Arsinoe haderte mit ihrem Schicksal, dass Lucia ausgerechnet heute sie und nicht Sekunda mitgenommen hatte. Schon während der Mater war immer stärkere Übelkeit in ihr aufgestiegen. Im Gegensatz zu Lucia waren ihr aber alle gesagten Worte egal, sie wollte einfach nur nichts sehen und nichts hören. So kam es, dass sie zunächst gar nicht mitbekam, wie sich Lucia von ihrer Seite entfernte. Doch als sie bei dem Schrei reflexartig nach ihrer Herrin greifen wollte, war diese nicht mehr da. Panisch blickte sich Arsinoe um und sah grade noch wie Lucia zusammensackte und von dem Centurio am Arm gepackt wurde. „Oh, ihr Götter!“, wisperte Arsinoe entsetzt und eilte zu ihrer Herrin, die soeben um einiges sanfter auf dem Boden abgelegt wurde als es bei einem Sturz gewesen wäre. Arsinoe war völlig überfordert. Was sollte sie tun? Ihre Herrin war ohnmächtig! Wo war Sekunda? Sie wüsste was zu tun wäre! Hilfe!? „Was soll ich denn nur tun?“, hauchte sie panisch und wagte es nicht ihre Herrin anzufassen. Aber sie konnte auch nicht einfach so liegen bleiben. Während Arsinoe vollkommen hilflos neben ihrer Herrin hockte, kamen die zwei Leibwächter hinzu. Beide hatten lieber die Augen auf die Menge gehabt, da von dort aus größere Gefahr zu drohen schien als von irgendwoher sonst. Der ältere der beiden, Attalus, kniete sich neben Lucia und tätschelte ihr die Wangen. Er kannte diese Methode jemanden zu wecken vielmehr mit saftigen Ohrfeigen, aber das war hier ja völlig ausgeschlossen. Und tatsächlich Lucias Augenlider flackerten.
„Was ist passiert?“, nuschelte Lucia die wohl typischste Frage, die man nach einer Ohnmacht stellen kann. Ihre Augen wollten sich noch nicht so wirklich öffnen, obwohl sie diese mit aller Macht aufzuzwingen versuchte. Durch den ganzen Lärm hatte Attalus die Worte seiner Herrin nicht verstehen können, doch er ging einfach mal von dem üblichen aus und lag damit sogar richtig: „Du bist umgekippt, Domina“ Die kurze Erklärung sollte seiner Meinung nach reichen, doch die noch immer völlig aufgelöste Arsinoe plapperte hastig darauf los: „Die haben den Mann enthauptet und du warst weg und dann bist du umgefallen und der Centurio hat sich aufgefangen und hat dich dann abgelegt und ist weg und du warst komplett weg und ich wusste nicht was ich machen sollte und du bist so bleich…“ Ihre Stimme überschlug sich und Attalus verdrehte die Augen.
Unbemerkt von der kleinen Gruppe hatte Lepidus schon mit der Enthauptung des angeblichen Duccianus angefangen. Für Lucia war das alles jedoch nur ein schrecklich lautes Hintergrundrauschen aus dem sie mal das eine, mal das andere wie durch einen Trichter hörte. Sie blinzelte verwirrt. Lag sie auf dem Boden? Was plapperte Arsinoe da? Umgekippt, Centurio, … „Oh…Scheiße!“, entfuhr es Lucia, als alles wiederkam und ihr wie ein schwerer Stein in den Magen sackte. Sie war auf dem Forum, besser sie lag auf dem Forum und ihr war übel und sie wühlte sich so schwach und zittrig wie noch nie in ihrem Leben. Ihr eigener Bruder… wie konnte er nur?! Am liebsten hätte Lucia wieder die Augen vor alledem geschlossen und sich einfach nach Hause tragen lassen. Warum tat Lepidus ihr das an? Ihre Finger kribbelten unangenhm und langsam aber sicher wurde sie sich einer ziemlich schmerzenden Stelle am Arm bewusst. Was war denn da passiert? Plapperte Arsinoe immer noch? Nein, das Mädchen kämpfte verbissen aber stumm gegen die Tränen. Ah, anscheinend konnte sie die Augen jetzt doch aufhalten. Wie durch ein Kissen hörte Lucia die Worte ‚Lege Age‘, wieder und wieder, die Menschen johlten und… war das das Lachen ihres Bruders? Ihre Übelkeit wurde schlimmer.
Attalus beobachtete seine Herrin und auch Arsinoe, und stieß einen Stoßseufzer aus. „Der alte Drachen ist aber auch nie da, wenn man ihn braucht.“, murmelte er unzufrieden. Jetzt war es wohl an ihm Initiative zu zeigen. „Domina? Domina!“, versuchte er also die eindeutig noch nicht ganz fokussierte Aufmerksamkeit seiner Herrin auf sich zu lenken. „Ich denke du solltest versuchen aufzustehen, Domina!“ Sie konnte ja schlecht noch länger auf dem Boden liegen bleiben. Ohne eine wirkliche Zustimmung abzuwarten griff er Lucia also unter die Arme und brachte sie zunächst einmal in eine sitzende Position. Das Gehacke auf dem Podest, das vielmehr der Arbeit eines schlechten Metzgers als eines guten Henkers aussah, ging weiter. Hoffentlich würde seine Herrin nicht einen Blick darauf werfe und gleich wieder umfallen!
Lucia wurde aufgerichtet und sofort tanzten wieder dunkle Punkte vor ihren Augen. „Halt. Nicht so schnell“, verlangte sie deshalb und stützte ihr Gesicht in ihre eiskalten Hände. Sie war sich inzwischen im Klaren darüber, dass Lepidus nun auch die Hinrichtung des angeblichen Duccianus zu einem Schlachtfest machte und allein der Gedanke genügte um sie sich vollkommen einsam und verlassen fühlen zu lassen. Wie konnte er ihr sowas nur antun?! Am liebsten hätte Lucia es nun ihrer Leibsklavin nachgemacht und ebenfalls zu weinen begonnen. Aber sie war in der Öffentlichkeit. Sie musste sich zusammenreißen. Schlimm genug, dass sie auf der Straße saß. Doch sie brauchte einfach noch einen Moment. Die Bilder des eben erlebten schossen ihr durch den Kopf vermischten sich mit den Geräuschen, die sie hörte und drohten sie wieder zu überwältigen. Sie musste sich unbedingt zusammenreißen! Mit zittrigen Fingern strich sich Lucia die Haare aus dem Gesicht, atmete tief durch und nickte dann ihrem Begleiter zu. „Langsam“, wies sie Attalus an und er half ihr vorsichtigst dabei sich aufzurichten.
„Reiß dich zusammen!“, sprach Lucia mehr zu sich selbst, als zu irgendwem anderen, aber Arsinoe bezog die Worte natürlich auf sich. Sie schniefte und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Sie versuchte es ja.
Endlich stand Lucia auf ihren äußerst weichen und wackeligen Beinen. Attalus hatte sie dankenswerter Weise mit dem Rücken zum Podest aufgerichtet und so hörte Lucia nur, wie ihr Bruder der Menge dankte und das alles ein Ende fand. Doch nicht für sie. Lucia stützte sich schwer auf Attalus Arm. Ihr Gesicht war so weiß wie Milch und sie fror schrecklich. Aber sie musste ihrem Bruder noch gegenüber treten. Ein kleiner Funke regte sich in ihr und sie klammerte sich mit aller Macht an dieses Gefühl. Sie war enttäuscht, fühlte sich verlassen, verraten und nun versuchte sie den in ihr aufglimmenden Zorn möglichst viel Nahrung zu geben. Sie würde Lepidus gegenübertreten, sie würde ihm ins Gesicht sagen, was sie von dieser Aktion und von ihm hielt! Sie musste sich nur so lange auf den Beinen halten! Widerwillig sah sie sich nach ihrem Bruder um. Er trennte sich grade von Avianus. Mit diesem würde Lucia auch noch reden müssen. Aber jetzt erstmal ihr Bruder. Bleich und mit unbewegter Miene starrte Lucia ihn an und wartete am Arm ihres Leibwächters darauf, dass er zu ihr kam.