[Taberna Medica Alpina]

  • Kranke gab es scheinbar zu jeder Jahreszeit und nie zu knapp. Für Alpina sicherte das, so schlimm es klang, ihr und Ursi‘s täglich Brot. Ursi fing an zu zappeln. Massa setzte sie ab. Die Kekse behielt er in der Hand. Eigentlich hätte sein nächster Weg sein Balneum, danach ein gemütliches Essen und ein Wein sein sollen. Aber was war schon Zeit. Das Wasser war später noch genauso warm und das Essen bestand nur aus kalter Küche.


    „Ein bisschen Zeit, ja.“ Lust auf einen Spaziergang? Er hatte die letzten Tag die meiste Zeit auf dem Pferderücken zu gebracht. Die Füße vertreten war daher ganz in Ordnung. „ Gehen wir Spazieren. Ich trage den Proviant.“ Massa hielt die Kekse hoch und war zum Abmarsch bereit.

  • Es klang nicht eben überschwänglich, aber Alpina war schon froh, dass er zusagte mit ihr spazieren gehen zu wollen. Immerhin war ihr daran gelegen, dass sie gut miteinander auskamen.
    Ursi hüpfte neben ihnen auf und ab. Sie freute sich sehr und Alpina ging das Herz auf, dass die Kleine so ausgelassen war.


    "Hast du Lust am Fluss entlangzugehen?"

  • Alpina fuhr herum als das Glöckchen über der Tür wie wild bimmeln anfing.
    Massa stolperte herein und polterte heraus. Es ging um eine Gefangene, eine Germanin. Sie erwartete ein Kind. Jetzt! Alpina nickte irritiert, griff ihren Korb mit den Utensilien, die sie für eine Entbindung brauchte und machte sich bereit ihm zu folgen.
    "Ich bin soweit! Wir können gehen!"


    Die Hebamme nahm das Schild, das ihre Abwesenheit ankündigte, um es an die Tür zu hängen.

  • Als die Glocken über der Tür läuteten wusch Alpina gerade ihre Hände. Sie hatte sauber gemacht und war nun bereit abzusperren und ihren Feierabend zu beginnen als eine Frau die Taberna medica betrat. Im Dämmerlicht brauchte es kurz bis sie die Germanin Inga erkannte, die eine langjährige Kundin von ihr war.
    "Inga? So spät noch?", begrüßte sie die Frau.



    "Alpina, ein Glück, dass ich dich noch antreffe. Ich brauche deine Hilfe. Ich habe auf der Straße einen Kerl aufgelesen, der völlig verdreckt und stinkend in der Gosse lag. Er hat sich offenbar bei einem Sturz verletzt. Hat ne Platzwunde und jede Menge blaue Flecken. Ich brauche also was um die Wunde zu reinigen. Sie sieht nicht gut aus und eine Heilsalbe."


    Alpina hörte sich die Geschichte an. Das klang alles plausibel. Sie machte sich daran eine Tinktur zur Reinigung der Wunde zu holen und die Heilsalbe auf den Tresen zu stellen als Inga fortfuhr.
    "Stell dir vor: ich habe seine Sachen durchsucht. Also natürlich nur um herauszufinden wer er ist, denn er konnte es ja nicht sagen. Da habe ich ein Etui mit Messerchen und so gefunden, wie bei einem Medicus!"


    Die Raeterin fuhr herum. Der Zerlumpte hatte ein Arztbesteck bei sich?
    "Wie sieht er denn aus?", wollte sie von Inga wissen.


    Die Germanin hob die Achseln. "Nicht besonders. Er ist eher schmächtig. Nicht mehr jung. Ach ja und wie ich gesehen habe sind seine Schneidezähne abgebrochen."


    "Balbus!" Alpina erkannte den Chirurgicus aus der Beschreibung. Sie beschloss sich die Sache selbst anzusehen.
    "Bring mich zu ihm, Inga. Ich denke, ich kenne den Mann."


    Überrascht nickte die Germanin und wartete, dass Alpina ihren Korb mit den Behandlungsmaterialien gepackt hatte, dann ging sie mit ihr zurück in ihre Wohnung.

  • Zum Glück war der Weg wirklich nicht weit gewesen, wie es Alpina gesagt hatte und sie kamen relativ gut voran. Atilianus konnte den Zustand des Mannes schlecht beurteilen, doch er hatte immer wieder das Gefühl, dass er ihm weg sackte und sein Kreislauf nicht besonders stabil war. Es war ihm hin und wieder so, als würde der Mann gleich wieder das Bewusstsein verlieren.
    "Haltet durch Herr, ihr habt es gleich geschafft, dann könnt ihr euch wieder hinlegen und ausruhen." versprach ihm der junge Schmiedegehilfe.


    Über die Schwelle in das Anwesen hinein half Alpina noch etwas mit, die Gänge entlang ging es dann besser. "Geht voraus, ihr wisst besser, wo wir hin müssen."sagte er zu Alpina und lächlte freundlich dabei. Er war ein guter Junge, fleißig und durchaus schlau. Wer seine Eltern waren wusste er nicht, nur dass sie römischer Abstammung waren und in Germania gelebt hatten. Man hatte ihn eines Tages beim Spielen im nahe gelegenen Wald entführt und als Sklave verkauft. Er war in einer kleinen römischen Familie dann aufgewachsen, die ihn gut behandelten und ihm auch die Möglichkeit gaben etwas zu lernen, da auch sie früh erkannten, dass mehr in ihm steckte. Eines Tages erkrankte der Pater Familias sehr und Atilianus konnte ihm einfach nicht helfen. Auch alle anderen Heiler fanden keinen Weg ihn zu retten. Der Wunsch den Mann zu heilen war so groß, dass dieser den Jungen auf dem Sterbebett zu ihm holen ließ und ihm erklärte, dass er ihm die Freiheit schenke. Er wollte, dass der Junge etwas macht aus seinem Leben. Sollte dies jetzt seine Chance sein? Die Belohnung für seine Bemühungen?


    So folgte er also Alpina bis zur Taberna. Dort angekommen sah er sich um und fand eine Liege, worauf sie Balbus legen konnten. Er brachte ihn dort hin und lies ihn dort langsam sinken, sodass sich der Mann setzen konnte. "Passt es so?" fragte er. "Geht es euch gut? Braucht ihr etwas? Wasser vielleicht?"

  • Atilianus war eine große Hilfe. Auch wenn Balbus es schaffte auf eigenen Füßen zu stehen und zu gehen, so war er doch unsicher, schwankte und musste ab und an gestützt werden. Als sie die Taberna medica erreichten, bot er weiterhin seine Hilfe an.
    "Ein wenig Wasser wird nicht schlecht sein", entschied die Hebamme. "Wenn du bei Balbus bleibst, gehe ich in die Casa Helvetia und hole es."
    Alpina verschwand ins Hausinnere.

  • Unwillig ließ sich Balbus helfen. Er wollte eigentlich nicht den Eindruck eines Schwächlings machen und schon die Tatsache, dass der kräftige junge Mann ihm half in die Taberna medica zu kommen ärgerte ihn. Es blieb jedoch nichts, denn die Mischung aus Restalkohol und der Gehirnerschütterung, die er sich wohl zugezogen hatte, führte dazu, dass Balbus nicht ohne Hilfe gehen konnte.


    Endlich angekommen in der Taberna ließ er sich auf die angebotene Liege fallen und seufzte. Alpina beschäftigte sich und den jungen Kerl damit alles nötige für die Wundreinigung zu organisieren.


    Als sie gerade im Haus verschwunden war blieb er mit dem Jüngling alleine.
    "Sag, du... äh wie war gleich dein Name? So wie deine Arme aussehen, könntest du Gladiator sein. Ich habe dich im Ludus aber nie gesehen. Was bist du von Beruf? Und wo kommst du her?"

  • Atilianus nickte Alpina zu. "In Ordnung." antwortete er der Raetin und sah ihr nach, wie sie den Raum verließ. Er hatte sich ein bisschen umgesehen und in ihren Kräutern gestöbert. Ein paar davon kannte er bereits. Die Frau in der Familie, in der er als Sklave aufgewachsen war, hatte auch einige bei sich stehen, erinnerte er sich. Wenn er sich verletzt hatte, versorgte sie immer seine Wunden.
    Während er so gedankenverloren über die Gläser und Fläschchen mit Elixieren strich, meldete sich Balbus zu Wort. Der Mann tat ihm leid, der Kleidung nach schien er einmal gut verdient zu haben, aber irgendwas musste passiert sein, warum er sich so hatte gehen lassen. Sollte er fragen? Aber nein, das schickte sich nicht für einen Mann seines Standes.


    "Atilianus, mein Herr" antwortete der Junge, auf Balbus Frage. "Nein Herr, ich war nie bei den Gladiatoren. Ich musste lediglich nur viel und hart arbeiten. Derzeit bin ich Gehilfe in der Schmiede nähe der Taberna, vor der wir euch aufgelesen haben." erklärte er.
    "Wo ich geboren bin, weiß ich nicht und auch nicht, wer meine Eltern sind, nur dass sie in Germanien lebten. Aufgewachsen bin ich als Sklave hier in Mogontiacum." erzählte er weiter.

  • Nun, Gladiator war er nicht. Er kannte also Balbus unrühmliche Vergangenheit nicht und wusste auch nicht um die Gründe seines Abgangs aus dem Ludus. Aber was musste er schon erklären, er war völlig betrunken wohl zusammengeschlagen und beraubt worden... peinlich genug.
    "So, ein Schmiedegehilfe bist du? Wie löblich! Bist harte Arbeit gewöhnt, was? So, ein germanischer Sklave oder eher Freigelassener bist du. Ich kann dir nur raten, fleißig zu sein und deine Finger vom Wein zu lassen. Ich habe den Fehler gemacht, diesem zu verfallen. Und sieh was aus mir geworden ist... eine Witzfigur. Ich bin meinen gutbezahlten und sicheren Job als Chirurgicus verloren und bin nun wohnungslos und arm wie eine Tempelmaus."


    Er schüttelte seinen Kopf und wirkte tatsächlich ziemlich zerknirscht.

  • Alpina kehrte zurück. Sie dankte Atilianus dafür, dass er auf Balbus Acht gegeben hatte. Dann begann sie die Wunde des Chirurgicus zu rinigen, mit einer Kräutersalbe zu versorgen und zu verbinden.
    "Ich fände es gut, wenn du zunächst hier bliebst, Balbus. Nebenan die kleine Kammer ist frei. Da habe ich dich im Blick und kann dich versorgen. Soll Atilianus im Ludus Bescheid geben, wo du bist? Die werden sich sicher schon Sorgen machen."

  • Atilianus spürte, dass der Mann vor ihm etwas zu verschweigen schien, dennoch gebot ihm sein Anstand, dass er ihn nicht darauf ansprach. Er nickte nur und antwortete ihm "ja, mein Herr, schwere Arbeit bin ich durchaus gewohnt und es macht mir inzwischen auch nichts mehr aus." Dann hörte er ihm weiter zu. Es hörte sich seltsam an, wie Balbus aussprach, dass er ein Sklave, bzw. Freigelassener war. Schließlich hatte Atilianus sich dieses Leben nicht ausgesucht und sich nie etwas zu Schulden kommen lassen, dass dies in geringster Weise gerechtfertigt hätte. Aber er widersprach dem Mann nicht. Plötzlich schien dessen Stimme sich zu verändern und er redete von zu viel Wein. Wahrscheinlich von sich selbst, denn er war ja völlig betrunken auf der Straße zusammen gebrochen gewesen. "Aber denkt ihr nicht, dass ihr das nicht hinter euch lassen könnt. Mit ein wenig Hilfe und Unterstützung, kommt ihr sicher vom Alkohol weg und könntet euch wieder etwas aufbauen, dass ihr verloren habt Herr." Der Mann hatte ihm einen klugen Ratschlag gegeben und so wollte er sich revanchieren, indem er ihm indirekt seine Hilfe anbot. Das war also sein Geheimnis, dass er vor Alpina nicht sagen wollte.
    Atilianus nickte verständlich, dann ging auf einmal die Tür auf und er sagte nichts mehr dazu. Wollte den Mann nicht vor ihr blos stellen.


    "Gern geschehen" entgegnete er ihr und sag dann hilflos zu dem Mann, als sie fragte, ob er im Ludus bescheid sagen sollte. Eine Zwickmühle, wahrhaftig.

  • Balbus hörte die Worte wohl. Sowohl die des jungen Germanen als auch die der Hebamme. Aber er hatte nun Schweißausbrüche und Kälteschauer. Dazu dieses furchtbare Zittern der Hände und die massiven Kopfschmerzen.
    Er sah Atilianus an. Der Junge war nett. Die raetische Kräuterfrau erst recht. Balbus schämte sich. Er schämte sich in Grund und Boden. Alpina hatte gefragt ob man im Ludus Bescheid geben müsse... sie wollte eine Antwort hören.
    Balbus wollte lügen... aber dann würde alles nur noch schlimmer. Also entschied er sich für die Flucht nach vorne.
    "Das mit dem Ludus ist Geschichte... meine unsägliche Vergangenheit. Der Grund allen Übels, die Quelle meines Versagens!"


    Tränen traten ihm in die Augen. Plötzlich wurde Balbus klar was ihn in den Suff getrieben hatte. Er hatte sich minderwertig gefühlt dort unter den ganzen Kerlen, den muskelbepackten Kärmpfern, die ihn mit dem kleinen Finger zu Boden schicken konnten, die keine Angst vor dem Tod hatten und die jede Frau haben konnten, die sie haben wollten. Ja, er hatte sich minderwertig gefühlt. Sein Können war nicht geschätzt worden, seine Fähigkeiten wurden nicht gefordert. Also hatte er sich gelangweilt. Was tat man wenn man sich langweilte und für minderwertig hielt? Man soff. Um es zu vergessen, um sich eine Phantasiewelt zu erträumen.
    "Alpina, man hat mich rausgeworfen! Weil ich so ein versoffenes Arschloch bin. Weil ich ein nutzloses Nichts bin! Ich bin nichts und ich habe nichts. Kein Geld, kein Dach überm Kopf und auch keine Anstellung mehr. Ich bin da wo ich hingehöre.... in der Gosse, am Tor zur Schattenwelt. Ich höre die Ruderschläge Charons schon. Alpina..."


    Nun heulte er wirklich. Wie Cerberus, der Höllenhund.

  • Betroffen hörte Alpina was Balbus ihr erzählte. Er war gefeuert worden und ertrank nun in Selbsmitleid. Einerseits tat ihr Balbus leid, andererseits war er selbst schuld an seinem Elend. Sie seufzte.
    Alpina dachte eine Weile nach. Dann fiel ihr etwas ein. Es war riskant, konnte langfristig aber für beide gut sein.
    "Ja, Balbus. Das musste wohl so enden. Aber weißt du was? Ich könnte mir vorstellen, dir eine neue Chance zu geben."


    Sie setzte sich an seine Seite.
    "Ich möchte nach Rom reisen, um einen berühmten Gynaicologicus zu besuchen und bei ihm zu lernen. In dieser Zeit bräuchte ich eine Vertretung hier in der Taberna Medica. Sicherlich bist du keine Hebamme und wirst vermutlich auch nicht alle Heilpflanzen und ihre Zubereitungen kennen, aber vielleicht können wir bis zu meiner Abreise noch einiges klären. Aber ich bin sicher, dass du dennoch vielen Menschen hier helfen kannst. Vielleicht hilft dir das wieder einen Sinn zu finden in deinem Beruf? Was meinst du? Du kannst hier wohnen solange ich unterwegs bin. Ist das ein Angebot?"

  • Mit gesenktem Kopf hörte Balbus der Kräuterfrau zu. Es musste wohl so enden. Wie recht sie hatte. Dann aber schnellten seine Augenbrauen hoch. Eine neue Chance geben? Wie meinte sie das?
    Einen Augenblick später erläuterte sie, wie sie es meinte. Fassungslos starrte Balbus Alpina an. Das meinte sie nicht ernst, oder? Sie wollte ihm ihre Taberna medica überlassen? Als Urlaubsvertretung gewissermaßen? Wie konnte sie so viel Vertrauen in ihn haben wo er doch gerade gezeigt hatte, was für ein versoffener und unzuverlässiger Kerl er war?


    Balbus wusste zunächst nicht was er sagen sollte. Dann nahm er scheigend die Hand der Raeterin. Erst drückte er sie, dann traten im die Tränen in die Augen. Um diese vor der Frau zu verbergen und als Zeichen seines tiefsten Dankes beugte er sich über die zarte Hand und küsste sie.
    "Ich werde dich nicht enttäuschen!", sagte er zu seinem eigenen Erstaunen mit fester Stimme. Ungläubig lauschte er diesem Satz und nickt dann innerlich wie äußerlich um sich selbst zu bekräftigen, dass es so sein würde. Er bekam eine zweit Chance und hatte nicht vor, diese großzügige Frau zu enttäuschen. Sein "Danke, Alpina!" kam dann schon nicht mehr so fest, sondern mit gehörigem Zittern in der Stimme.

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