Flavius flexus? | Der verlorene Sohn

  • Nachdem in Manius Minor die Einsicht war gereift, dass die familiare Konstellation keineswegs zwingend sein Verderbnis mochten bedeuten, ja vielmehr all das, was bisherig ihn mit Abscheu hatte erfüllt und noch erfüllte, womöglich gar der Schlüssel aus jenem leichtlich zu antizipierenden Kerker sozialer Obliegenheiten wie müßiger Okkupationen für Senat und Volk von Rom mochte bedeuten, da Aurelias Pläne doch logisch mussten implizieren, ihn aus der Erbfolge der Flavii Gracchi auszumerzen, was, wie schon bei seiner Abreise gen Orient ihm war bekannt gewesen, ja bereits sein Verweis ins apolitische Exil hatte konfirmiert, war ihm die Reise gen Rom weitaus unbeschwerlicher gefallen, ja er hatte gar eine stupende Gleichmut angesichts sämtlicher Misslichkeiten evolviert, mochten sie den Komfort seines Nachtlagers, die Ennuyanz der stets gleichförmigen See oder die bisweilen ihn bei hohem Wellengang befallende Blümeranz betreffen.
    Auch der heutige Morgen, da er an der Seite des Kapitäns erstmalig nach nunmehr zwei Jahr wieder italischen Boden hatte betreten, dominierte vorsichtiger Optimismus seine Haltung, weshalb in juvenilem Übermut er gar darauf hatte verzichtet, sich für das nunmehr anstehende Rendezvous mit seinem Erzeuger zu präparieren, ja selbst, wie in den ersten Tagen auf See zu spintisieren, welch unwahre Monströsitäten Sulpicius in seinen Brief mochte gebannt haben. Stattdessen hatte er den Beschluss gefasst, schlichtweg der Dinge zu harren, welche da kommen mochten, und jener Prämisse aus den Lehren seines Vaters, welche nach der radikalen Kritik Epikurs verblieben war, zu folgen, die gleichsam das zentrale Begehren jedes Philosophen repräsentierte.


    In jener positiven Verfasstheit hatte er gar, kaum hatte er die Urbs durch die Porta Ostiensis betreten, sich genötigt gefühlt zu konzedieren, dass mitnichten, wie noch er vor Tagen hatte lamentiert, Alexandria, sondern Roma seine Heimat war. Obschon höchst selten er als Knabe die äußeren Bezirke jenes Monstrums hatte erkundet, so erschien ihm doch auf Schritt und Tritt Neues Vertrautes zu begegnen, mochte es um die irreversible, grässliche Mundart der Subura, welcher sich die zahllosen Hausierer in der ganzen Stadt bedienten, der Odeur der Cloaca maxima, verbunden mit dem identitären Duft der römischen Garküchen, eine bekannte Straßenkreuzung mit dem Schrein der Lares hospitales jenes Quartiers oder ein repräsentatives Bauwerk sein: Trotz aller Unbill, welche diese Stadt konfrontiert mit dem Centrum des Ostens ihm unablässig hatte bereitet, blieb dies seine Heimat, so er dies erstrebte oder nicht.


    Durchaus beschwingt war somit seine Verfasstheit, als nach am Abend des Tages seiner Ankunft er endlich die Pforten der Villa Flavia Felix passierte, dabei den Ianitor in höchste Irritation versetzend, den in Aegyptus gewähnten Erstgeborenen schlagartig vor sich zu haben, um sodann im Atrium die Begrüßung durch die zweifelsohne in höchstem Maße konfundierte Familia zu erwarten.

  • "Dein Sohn ist in Rom eingetroffen" - gänzlich emotionslos unterbrach Sciurus mit dieser Nachricht Gracchus' langwierige Lektüre Periplus Reise hinter die Säulen des Herakles des Charon von Lampsakos.
    "Was?"
    blickte der Flavier mehr als derangiert empor und musterte den Sklaven intensiv, konnte er sich doch nicht einer Weisung entsinnen.
    "Titus? Aus welchem Grund?"
    "Nicht Titus, Manius Minor, Herr."
    "Minimus? Aber ... "
    Mitnichten minderte dies seine Konfusion.
    "Weshalb? Ich meine ... habe ich ...?"
    "Nein."
    Blinzelnd suchte Gracchus diese Information zu verarbeiten und eine Woge von Furcht kroch in ihm empor.
    "Geht es ihm gut?"
    "Es hat zumindest den Anschein."
    Allmählich sickerte der Gehalt dieser Nachricht durch Gracchus trägen Geist, dass allmählich sein Antlitz sich entspannte, gar ein Keim von Freude sich zu entfalten begann. Letztendlich war Minor bereits geraume Zeit in Aegyptus gewesen und das Ende seiner Studien und somit seine Rückkehr jeden Monat zu erwarten.
    "Dann haben wir nur seinen Brief nicht erhalten! Wo ist er?"
    Er sprang nun auf, die Schriftrollen achtlos zu Boden fallen lassend, und wartete kaum auf die Antwort des Sklaven "Im Atrium", um eben dorthin zu eilen. Und dort war es auch, wo er seinen Sohn wahrhaftig vorfand. Der Junge mochte nicht unbedingt den Anschein dessen bieten, was man als prächtigen jungen Römer mochte titulieren, doch letztendlich hatte er eine lange Reise hinter sich und schien sich diesen Umstandes entsprechend durchaus bei guter Gesundheit zu befinden.
    "Minimus!"
    begrüßte der ältere den jüngeren Flavius überschwänglich, mit der von Stolz geschwellten Brust eines Vaters, dessen Sohn alle Höhen der tiefgreifenden Studien hatte erklommen, dessen Sohn am Zenit römischer Bildung war angelangt, dessen Sohn nun einer der Besten der Besten war, bereit den römischen Staat durch seine Klugheit und seinen Scharfsinn zu dirigieren und zu lenken. Es gereichte gar so weit, dass er auf Minor zutrat, ihn kurz mit den Armen umfasste und an sich drückte, ehedem er die Hände auf dessen Schultern verharrend einen Schritt zurück trat und ihn - noch immer voller Stolz - anblickte.
    "Welch eine wundervolle Überraschung! Wir haben leider deinen Brief nicht er..halten, darob siehst du mich durchaus erstaunt ob deiner Ankunft."
    Er ließ eine wegwerfende Handbewegung folgen.
    "Doch um so erfreulicher ist dein Heimkehr! Hattest du eine erträgli'he Reise? Du hast zweifelsohne viel zu erzählen - über das Museion, die Bibliothek, deine Studienfächer, deine Lehrer und das erhabene Leben und Lernen dort in Alexandria!"
    Gracchus gierte regelrecht nach diesem Bericht, schien ihm diese ferne, für ihn unerreichbare Stadt doch geradezu wie ein märchenhafter Ort des Wissens und Studierens, dass die Berichte von dort - insbesondere in jener Tiefe, wie sie von Minor zu erwarten waren -, weitaus aufregender und atemberaubender als irgendein literarisches Stück würden sein müssen.
    "Doch verzeih, wo sind nur meine Gedanken, du musst hungrig sein nach der Überfahrt. Es findet sich zweifels..ohne noch ein Rest der cena. Oder möchtest du dich erst ein wenig ausruhen?"

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  • "Dat kann jo hoiter wer'n."
    , kommentierte der Kapitän, welcher mit größtem Interesse die Pracht der Villa Flavia Felix inspizierte, während der junge Flavius seinerseits nun doch ein wenig an Kleinmut verspürte, da zweifelsohne in jenem Augenschlage die Kunde seiner Ankunft die Familiaren erreichte, womit die Konfrontation mit ihm, zugleich jedoch dem Briefe Sulpicius' akut bevorstand. Sein Blick schweifte über die Bildnisse der flavischen Imperatoren, welche allzu deutlich demonstrierten, dass die Lehre Epikurs in diesem Hause niemals zu den favorisierten hatte gezählt, ja Politik und Ruhmsucht einen Pfeiler jener Familie mochten repräsentieren, was das Unverständnis seiner Anverwandten hinsichtlich des neuen Weges, welchem zu folgen er gedachte, bereits androhte.


    Als dann jedoch Manius Maior eintrat, ihn gar, was stets eine Exzeption in der paternalen Relation war gewesen, herzte und sodann freudestrahlend ihn begrüßte, präsentierte Manius Minor seinerseits ein erfreutes Lächeln, da doch, obschon sein Erzeuger nicht selten ihm hatte Trauer und Frust bereitet, er noch immer sein Vater und nächster Blutsverwandter blieb.
    "Ich bin wohlauf, besten Dank."
    , replizierte er erstlich die letzte Frage, sämtliche weitere aufschiebend, um nicht, was nun unentrinnbar ausstand, dem Briefe vorzugreifen und seinen Vater noch tiefer zu erschüttern, als dies zweifelsohne ohnehin ausstand.
    "Dea Brief is' hia!"
    , intervenierte in der Tat in jenem Augenblicke bereits der Kapitän und präsentierte die Papyrusrolle, auf welcher sorgsam appliziert das wächserne Siegel des Sulpicius Cornutus prangte, lediglich an den Rindern ob des Transportes leicht beschädigt, doch im ganzen immer noch intakt.

  • Erst nun bemerkte Gracchus den Kapitän, war er doch schlichtweg daran gewohnt jene Menschen, welche nicht in die Gesellschaft der flavischen Villa passten, aus seinem Sichtbereich auszublenden.
    "Bitte?"
    fragte er verwundert nach, da er die unartikulierte Aussprache nicht hatte gänzlich verstanden.
    "Dea Brief. Ich brauch' 'ne Bestät'gung dassa angekomm'n is. 's is wichtich", bot der Kapitän sein ganzes Arsenal an Worten auf.
    Gracchus verstand noch immer nicht, was genau der Mann wollte, doch Sciurus griff bereits nach dem Schreiben. "Von Sulpicius Cornutus."
    "Ah!"
    leuchte Gracchus' Antlitz auf.
    "So lies ihn vor!"
    Sciurus tat wie ihm geheißen, öffnete die Schriftrolle und überflog ihren Inhalt. Dann blickte er zu einem herumstehenden Sklaven, sowie dem Kapitän: "Trage unserem Gast etwas zu Essen und zu Trinken auf, während er auf die Bestätigung wartet."
    In Erwartung einer feudalen Mahlzeit folgte der Kapitän bereitwillig dem Sklaven in den Aufenthaltsraum der Sklavenschaft, so dass nurmehr die flavischen Herren und Sklaven im Atrium verblieben. Nun erst setzte der Vilicus an vorzulesen, was sein Herr bereits ungeduldig erwartete.


    Sulpicius Cornutus Flavio Graccho Consuli s.p.d.


    Mit größtem Ehrerbieten entsende ich dir dieses Schreiben zur Rückkehr deines Sohnes, welcher in diesem Augenblick hoffentlich in bester Gesundheit in Rom angekommen ist. Im gleichen Augenblick muss ich mein Bedauern über diese Tatsache ausdrücken, doch es blieb mir wahrlich keine andere Möglichkeit! Mit größter Freude und Stolz habe ich deinen Spross in mein Heim und meine Obhut aufgenommen. Ich habe ihm die Achtung und das Zuvorkommen entgegengebracht, welche einem Gast seiner Herkunft gebührlich sind, doch auch die Mahnung und Weisung, die einem jungen Mann gut tun, um ihn hier in Alexandria auf den rechten Pfad in eine Zukunft zu führen, die seiner Familie alle Ehre bereiten wird. Im Angesicht der besten Möglichkeiten habe ich dabei angenommen, ein großes Maß an Freiheit und Eigenverantwortlichkeit wird den Charakter eines jungen Mannes auf beste Weise zu formen wissen, dabei darauf vertrauend dass ein Spross seiner Herkunft den besten Weg wählen wird. Es war eine irrige Annahme, Flavius!


    Von allen Kreisen, die Gracchus Minor zur Wahl standen, hat er sich ausgerechnet einen solchen ausgesucht, wie er schlimmer in Alexandria kaum vorkommt. Emporkömmlinge ohne Anstand und Sinn für Tugenden, die sich ihren niedersten Gelüsten hingeben und dies Philosophie nennen! Dies war es auch, was mich anfangs in Sicherheit wog - die Bekundung deines Sohnes einen Philosophenkreis aufzusuchen, und als ich bemerkte, was genau dort vor sich ging, war es längst zu spät! In Verachtung aller Sitten, ohne Mäßigkeit, Anstand und Respekt vor Autoritäten oder den Regeln des Zusammenlebens haben sie träge und phlegmatisch in den Tag hinein gelebt, über Maß getrunken und gegessen, wilde Orgien gefeiert und wider alle Tugenden und gar wider die Götter gelebt! Und als wäre dies alles nicht bereits schlimm genug im Privaten hinter den Mauern ihrer Anwesen, haben sie ihre lasterlichen Umtriebe durch die ganze Stadt getragen! Stelle dir nur vor, Flavius, in Frauenkleidern sind sie auf offener Straße herumgelaufen!


    Es trifft mich zutiefst in meinem Herzen und meiner Ehre, meiner Pflicht gegenüber deiner Familie nicht weiter nachkommen zu können, doch Gracchus Minor hat hier in Alexandria nicht nur sich selbst, sondern ebenso mein Haus in Verruf gebracht. Ich habe gesellschaftliche Verpflichtungen, die es mir unmöglich machen, derartige Vorgänge in meinem Haus zu dulden - auch in Hinblick auf die Interessen der Flavia, welche ich immerhin in der Stadt vertrete! Aus Respekt vor deiner Patria potestas, welcher ich selbstverständlich nicht vorgreifen möchte, erlaube ich mir daher, deinen Sohn nach Rom zurückzusenden, auch wenn mitnichten ein vernünftiger, weltkluger Mensch aus ihm geworden ist. Darüberhinaus bitte ich dich, Flavius, um Verzeihung für mein Versäumnis, rechtzeitig eingeschritten zu sein.


    Aufgrund der Brisanz der Angelegenheit habe ich mir dazu erlaubt, diesen Brief über mehrere Kanäle zu senden. Aus diesem Grund bitte ich dich auch, dem diese Nachricht überbringenden Boten eine Bestätigung über den Erhalt der Nachricht zu quittieren.


    In tiefster Verbundenheit zum Hause der Flavier sendet dir und deiner Familie Grüße,
    Sulpicius Cornutus


    Während Gracchus zu Beginn das Bedauern des Sulpicius noch auf den Abschied Minors bezog und gütig lächelte, zufrieden mit der Art und Weise wie Minor augenscheinlich aufgenommen war, hob sich zur irrigen Annahme hin verwundert seine Braue. Einem Schlag ins Gesicht gleich folgten die Worte über den Umgang Minors, ein Schlag um den anderen folgten die Verfehlungen, welche alle Freude aus Gracchus' Antlitz vertrieben, dass letztendlich nurmehr eine unbewegte Maske blieb, welche deutlich die Kieferknochen zeigte, die der Flavier aufeinander biss. Mitnichten war sein Sohn zurückgekehrt da er alle Höhen der tiefgreifenden Studien hatte erklommen und am Zenit römischer Bildung war angelangt, mitnichten war er einer der Besten der Besten. Zurückgekehrt in Schimpf und Schande, in Kompromittierung nicht nur seines Gastgebers, sondern gar seiner ganzen Familie. Als Sciurus das Signum verlas und endete blieb nurmehr eine bedrückende Stille im Atrium. Gracchus wandte sich ab von Minor und trat einige Schritte von ihm fort, aus Furcht, würde er keine Distanz zwischen sie bringen, seinen Sohn schlichtweg im nächsten Augenblicke eigenhändig zu erwürgen.
    "Ich werde nicht nach einer Erklärung ver..langen"
    , begann er schlussendlich die Stille zu durchbrechen, mühsam beherrscht seine Wut und seine Enttäuschung nicht aus sich herausbrechen zu lassen.
    "Denn für dererlei Verhalten gibt es keine Erklärung."
    Nun erst dreht er sich wieder um.
    "Ich würde gerne glauben, dass dir nicht gegen..wärtig ist wie tiefgreifend diese Kompromittierung ist, wie dein eigenes Fehlver..halten die Zukunft deiner Familie tangiert - deines Bruders und deiner Vettern, die Reputation unserer gesamten Familie! Doch um dies zu glauben müsste ich annehmen, dass ein ge..dankenverlorener Tölpel vor mir steht oder aber ein impertinenter Egozentriker!"

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  • Voller Unrast erwartete Manius Minor Manius Maior gleich die Eröffnung des Schreibens, obschon in weitaus geringerem Maße sich irriger Imaginationen ob seines Inhaltes hingebend, sodass, als endlich Sciurius mit der Rezitation ansetzte, er lediglich dieses konfirmiert vorfand, was ohnehin er hatte erwartet. Fortunabel erschien es ihm indessen, die Missinterpretationen seines Gastgebers, jenen Nonsens basierend auf einem unermesslichen Fundus leerer Meinung, wortwörtlich nun zu kennen, um jenes inevitable Zerrbild seines Aufenthaltes zu Alexandria in adäquater Weise zu korrigieren.
    Dennoch schreckte ihn für einen Augenschlag, als der ältere Gracchus von ihm sich wandte, was ihm, obschon die Mimik seines Opponenten ihm war verschlossen, dessen Entrüstung eröffnete, sodass das initiale Wort Manius Maior mochte ergreifen. In der Tat konfirmierte auch hier sich die antizipierte Reaktion, da die leeren Meinungen in Aegyptus letztendlich, wie sein Traum ihm einst hatte trefflich klarifiziert, nicht im Geringsten von jenen in der Urbs differierten, das defekte Maß der Ponderation ethischen Handelns des Sulpicius dasselbe musste sein wie das des älteren Flavius. Doch die Präparation der langen Reise hatte ihn gegen die Akkusationen, welche nunmehr aus dem maiorischen Munde hervorquollen, trefflich imprägniert, ja gar seine Rebellion neuerlich entfachten, da jene finale Imputation des Egozentrismus schlussendlich nichts anderes repräsentierte als die zentrale Maxime seines neuen Lehrers und Seelenheilers. Aus seinen Worten klang somit der Starrsinn reflektierter Opposition, als er zu seiner Defension anhob:
    "Vater, höre mir zu: Ich bin zu einer Einsicht gelangt, welche all dies trefflich mag erklären."
    Obschon mit größter Sekurität formuliert, war der Jüngling genötigt bei jenen Worten sich der Narrationen des Sulpicius hinsichtlich ihres weibischen Auftritts coram publico zu erinnern, was selbst damalig ihm als konfidentem Jünger Epikurs war evitabel und provokativ war erschienen, weshalb für einen Augenschlag die Renitenz zu brechen drohte.
    Sodann jedoch ergriff er, der Remineszenz seiner Konversion, basierend auf der freien Einsicht in die geradehin evidenten Fügungen des Kosmos, neue Kräfte extrahierend, das Wort aufs Neue:
    "Die Worte von Sulpicius sind wahr: In der Tat wurde ich Teil eines Philosophenzirkels. Wahr ist es auch , dass Tugenden und der Cultus Deorum uns im geringsten nicht tangierten. Ich leugne ebenso mitnichten, dass ich das Museion in den letzten beiden Jahren höchst selten frequentierte und der Erwerb der Wissenschaft mir wenig erstreblich noch erschien."
    Trutzig streckte er den Rücken wie sein Kinn, um seinem Erzeuger nicht lediglich verbal, sondern auch korporal die Stirne zu bieten.
    "Doch vermag ich diesen Sinneswandel durchaus zu explizieren. Denn keineswegs fußte jenes Leben auf Gedankenlosigkeit und Impertinenz, sondern vielmehr auf einer höheren, befreienden Einsicht, welche eben ich beim fleißigen Studium am Museion hatte erlangt. Eine Diploma gibt Zeugnis von meinem eifrigen Studium der Lehren Epikurs, jenes Seelenarztes, welcher meine Perspektive gänzlich wandelte:
    Denn was, so frage ich, bereitet uns das Zittern vor den Göttern und das vordergründige Zelebrieren von Tugend und Anstand? Schmerz der Askese in der Gegenwart, Reue über versäumte Obliegenheiten in der Vergangenheit, Furcht vor der Rache und dem Versagen in der Zukunft!
    Dementgegen öffnete Epikur mir die Augen für die wahren Qualitäten des Lebens: für die Lust am Leben, für wahre Freundschaft und das Gestalten des Tages nach eigenem Gusto.
    Weder Ruhm, noch Wissenschaft erlangte ich in größerem Maße auf meiner Studienreise. Doch im Übermaß fand ich Freude, Frieden und Glück, wie ich niemals es in all meinen Tagen, weder beim Studieren, noch im Dienst als Minister oder wohldressierter Sprössling einer altehrwürdigen Familie empfand! Jene 'Emporkömmlinge'-"

    Missbilligend formulierte er jenes Wort, welchem Cornutus in seiner Epistel sich hatte bedient, um die Myrmidonenschar zu desavourieren.
    "-sind niemand geringeres als jener Kreis, welcher mir den Wert wahrer Freundschaft zeigte und in welchem ich Freude und Akzeptanz erfuhr, wie es in diesem Hause niemals der Fall war gewesen!"
    Konfirmierend streckte er den Digitus Salutaris von sich und stieß akkusativ ihn abwärtig, als vermöge jener Stoß ins Leere seine Argumentation in den Hallen der Villa Flavia Felix zu verankern. Zugleich wurde ihm jedoch gewahr, dass jene Formulierung womöglich war zu offendierend, weshalb rasch, als habe er mit jenem Gestus einen Dorn punktiert, er die Hand revertierte und hinter seinem Rücken verbarg.
    Das Wort war indessen gesprochen. Folglich fuhr er, kaum hatte er ein wenig sich gesammelt, mit seinen präparierten Plänen fort und sprach:
    "Mitnichten kann ich von dir erwarten, dass du meinen Weg und meine Einsichten teilst, obschon mir dies auch für dich als glückverheißende Option mag erscheinen. Dennoch steht mein Entschluss fest, so fest wie nichts in meinem jungen Leben: Ich will keinen Anteil erhalten am eitlen Ringen um Macht und Ansehen in dieser Stadt. Der Latus Clavus-"
    Er fuhr über den purpurnen Saum seiner Tunica, welche wohlweislich er heute morgen in Konsideration eines versöhnlichen ersten Eindruckes hatte gewählt.
    "-ist mir so viel wert als die Lumpen, unter welchen wir uns einst aus diesem Hause stahlen. Mich kümmert nicht, ob einst, wenn mein Leib in unzählige Atome ist zerfallen, mein wächsernes Abbild unser Lararium ziert und meine Familiaren dazu gemahnt, an jenem irrwitzigen Wettlauf der Ehren zu partizipieren."
    Wieder zückte er den Finger und wies auf jene Flucht des Atrium, hinter welcher der flavische Familienschrein mit der langen Reihe consularer, praetorischer und aedilizischer Imagines sich wiederfand.
    "Mein Leben soll nichts geringeres und nichts mehr als glücklich sein.
    Du magst dich deiner consularen Ehren erfreuen und es beglückt mich, so sie dich beglücken. Dennoch bitte ich dich inständig, meinen Weg ebenso zu akzeptieren und mir all jene Qualen des öffentlichen Lebens zu ersparen. Nicht mehr wünsche ich mir als Ruhe und die Freiheit, ein zurückgezogenes Leben gemäß den Lehren Epikurs zu pflegen."

    Neuerlich die Eskapaden seiner Getreuen in femininen Ornaten wie den Zorn, welchen jenes Faktum bei dem Sulpicius hatte evoziert, memorierend, fügte er, ästimiert als versöhnliche Offerte in der Logik eines Gefangenen der leeren Meinungen hinzu:
    "Womöglich wäre es das Beste, wenn du mir schlicht eines deiner Landgüter würdest anvertrauen, wohin ich mich mag retirieren, sodass du ungestört von dem meinigen und ich ungestört von dem deinigen Weg mein Dasein mag fristen."
    Ein Hauch von Insekurität mischte sich unter jene spontanen Worte und zuletzt verstummte der junge Flavius zaghaft, im Geiste angelangt bei jenen allzu lange verdrängten Remineszenzen an jene Szene im Cubiculum seiner Mutter, als Manius Maior ihm die Vaterschaft hatte aufgekündigt. Heute nun stand er hier, um seinem Erzeuger eben jene Option in gangbarer Weise zu offerieren. Von sekundärer Qualität waren nun einmal die Relationen familiarer Natur, welche, da nicht willkürlich ersonnen, nicht stets unter glücklichen Augurien mochten stehen. Epikur hatte indessen ihn gelehrt, dies zu begreifen und schlicht zu akzeptieren, was in seinem Geiste die emotionale Konfusion aufs Neue zu kalmieren vermochte, sodass zuletzt ein zaghaftes Lächeln er präsentierte, als er seinem Vater offerierte, jenen vermeintlich sehnlichsten Wunsch, nämlich Titus oder besser noch der Brut jener Natter an seiner Seite das flavische Erbe zu vermachen, aus freien Stücken zu erfüllen.

  • Kaum vermochte der Vater noch zu entscheiden, ob ihn mit Stolz erfüllte, dass sein Sohn zumindest für seine Taten einstand, oder dieser Akt der Aufmüpfigkeit ihn schlichtweg weiter entrüstete. Allfällig hätte der Stolz obwalten könne, hätte Minor nicht sodann in aller Ruhe damit begonnen seinen Sinneswandel zu explizieren. Jedes neuerliche Wort, jeder Satz und jede Erklärung wider alles flavische Gedankengut gereichten dazu, das bereits erhitzte Gemüt des älteren Flaviers zum Brodeln zu bringen, dass es beinahe schien als könne man den Dampf aus seinen Ohren austreten sehen, bis dass von Minor schlussendlich mit gezücktem Finger der Todesstoß wurde vollzogen. Über die Indignation und Raserei, welche in Gracchus wallte, ergoss sich stante pede ein kalter Schwall aus Gram und Wehmut, Ernüchterung und Konsternierung, dass seine Hände, welche zu Fäusten sich hatten geballt, und auch seine Schultern ihre Anspannung verloren.
    "Genug!"
    donnerte Gracchus schlussendlich in einer Couleur, welche selbst ein aufgewühltes Volk bei der Verkündung eines Prodigium würde zum Schweigen bringen können, und welche ihm selbst ein wenig seines Ingrimms zurückbrachte.
    "Genug dieser blasphemischen Worte! Wer glaubst du, dass du bist, der du in deinem Leben noch nichts gegeben hast, das Anre'ht darauf hättest den Göttern gleich zu leben, denen Abrosia in den Mund wächst und Nektar in die Kehle rinnt, dass sie tagtäglich ihren Wünschen und Be..gehren sich hingeben können!? Wodurch glaubst du hast du verdient dich auf dem Rücken der Welt auszuruhen, auf Kosten der Öffentlichkeit und deiner Familie?!"
    Er sog tief Luft in seine Nase und schnaubte sie regelrecht wieder aus.
    "Nichts hast du augenscheinlich begriffen von diesem Leben, welches du so leichtzüngig als eitles Ringen verdammst! Es wäre wohl klüger gewesen, dich auf einen kargen Acker zur Feldarbeit zu ent..senden, dass du das Prinzip von Geben und Nehmen mit deinem Leibe verinnerli'hst, als von dir zu erwarten es mit deinem Verstande zu erschließen! Freude, Frieden und Glück fallen nicht vom Himmel, ebenso wenig wie Nahrung, Güter oder jedes Privileg deiner Herkunft!"
    Langsam schüttelte Gracchus den Kopf und in Erwartung einer Entscheidung breitete eine Übelkeit sich in ihm aus, einer giftigen Schlange gleich, welche seinen Leib durchwühlte.
    "Ich werde deiner Bitte nachkommen, Manius Gracchus Minor, und den Weg, den du wählst, akzeptieren als Zei'hen meiner Zuneigung und Wertschätzung. Doch es gibt keinen Pfad in der Mitte, du wirst dich hier und jetzt für eine Ri'htung entscheiden mit allen Konsequenzen: für diese Familie oder ohne diese Familie."
    Gracchus blickte seinen Sohn an und suchte die vertrauten Züge Antonias und der flavischen Abkunft in seinem Antlitz zu ignorieren.
    "Nichts kümmert dich noch als ein Leben zu deinem eigenen Ver..gnügen und Glück? Du magst dieses Leben wählen, Minor, dort ist die Porta!"
    Mit seiner Hand wies er in Richtung des Vestibulum.
    "Lebe dein Leben nach deiner Lust, gestalte deinen Tag nach eigenem Gusto und gebe dich deinen Vergnügungen hin - doch ohne diese Familie, welche dich nährt und in ihren Armen geborgen hält, ohne dieses Haus, welches seine schützenden Mauern um dich gibt, ohne einen Sklaven, der dich umsorgt, ohne einen Vater, der auch in gräulichster Ver..bannung noch auf dich Acht gibt - gänzlich auf dich alleine gestellt! Diese Tunika, deren Wert du augenscheinlich nicht be..griffen hast, tausche ein gegen den Lumpen eines Sklaven, nimm mit dir das Nichts, welches du aus eigener Kraft bisher geschaffen und verdient hast, und wage es nie wieder den Namen unserer Familie als den deinen zu benutzen, denn wenn du nun durch die Porta schreitest, um ein Schmarotzer der Gesellschaft zu werden, wird diese Familie nicht mehr die deine sein, wird deine Existenz aus den Annalen und Erinnerungen dieser Familie gelöscht werden - ganz so wie dies schon andere vor dir traf!"
    In Anbetracht der Namen, welche ein solches Vorgehen bereits hatte ausgelöscht, schien dies ein übliches Prozedere in der Gens Flavia zu sein, ob dessen zweifelsohne beiden Gracchen bewusst war, dass dies kaum nur eine leere Drohung war.
    "Du wirst nicht mehr mein Sohn sein, nicht deines Bruders Bruders oder deiner Vettern Vetter, und soll..test du glauben unseren Namen und das Ansehen unserer Familie in den Schmutz ziehen zu können, so sei dir gewiss, dass wir dies ebenso wenig tolerieren werden wie von jedem anderen Malefikanten!"
    Nagend durchbiss die Schlange seine Eingeweide und fraß sich Stück um Stück durch sein Fleisch - sein eigen Fleisch und Blut!
    "Die Alternative liegt dort"
    , wies Gracchus in das Innere des Hauses, die Stimme nicht minder gestreng.
    "Verbunden mit all den Annehmli'hkeiten, welche du dein Leben lang so sorglos goutiert hast, augenscheinlich ohne auch nur einen einzigen Gedanken daran, woraus sie entspringen. Doch wenn du diesen Weg wählst, Minor, so wirst du deinen Beitrag leisten - und du wirst keinen weiteren Aufschub erhalten! Du wirst all das, was du in den letzten Monaten ver..säumt hast, binnen weniger Wochen aufarbeiten und dich zur nächsten Amtszeit des Cursus Honorum zur Wahl stellen - und zwar in einer Art und Weise, dass die Senatoren von dir überzeugt sein werden und du dem Namen deiner Familie zur Ehre gerei'hst! Und du wirst Rom dienen wie es deine Pflicht ist, im Ausgleich all dessen, was du in deinem Leben je erhalten hast und erhalten wirst, - und allfällig wirst du dann, in Erfüllung deiner Pflicht für Rom begreifen, dass es in diesem Tun um weitaus Größeres geht als eitles Ringen um Ma'ht und Ansehen, und dass auch Freude, Frieden und Glück nicht vom Himmel fallen!"
    Noch einmal atmete der Vater tief durch, gemahnte sich zur Ruhe in diesem verhängnisvollen Augenblick.
    "Es ist deine Entscheidung, Manius Gracchus Minor, wäge sie gut ab, denn sie wird endgültig sein."
    Endgültig. Endgültig seines Erben beraubt, seines Stolzes, seines Fleisch und Blutes.

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  • War Manius Maiors Mimik im Laufe seiner Stegreifrede ob der luminösen Umstände der vorgerückten Tageszeit entgangen, so offenbarte sich seine Haltung in einer Explosion, welche Manius Minor höchst selten (womöglich seltener als die Umarmungen seines Vaters) hatte vernommen und ihn unwillkürlich seinerseits eine Schritt mehr Distanz zwischen sich und den Vater bringen ließ.
    Der Eruption folgten sodann Lavaströme von Worten und Akkusationen, welche förmlich sich in den Geist des Jünglings einfraßen und brennenden Seelenschmerz ihm evozierten. Mochte die Insinuation der Blasphemie noch an dem Schirm epikureischer Gelassenheit ob der Uneinsichtigkeit leerer Meinungen abperlen, so schmolz selbiger recht rasch vondannen, als seines Vaters brutale Wahrheiten viskoser Magma gleich sich ihren Weg in seinen Verstand bahnten und ob der beständigen Iteration stets neu befeuerter Explikationen niemals einen Ansatz offerierten, eine neuerliche Defension zu ersinnen. Denn was mochte er der These entgegen stellen, dass seine Meriten nichts denn Nihilitäten waren, der Käfig, in welchem er seit frühester Kindheit sich wähnte, doch zumindest güldener Natur war gewesen, stets alimentiert nur mit dem exquisitesten Futter und dem süßesten Trunk, welchen die Analogie von Nektar und Ambrosia durchaus trefflich beschrieb? Zweifelsohne ruhte jener Wohlstand auf der Leistung seiner Ahnen und Familiaren, keineswegs auf seinem eigenen Verdienste!
    Während der junge Flavius noch zum Spintisieren ansetzte, was Epikur auf jene Vorhaltungen wohl mochte erwidert haben, konfrontierte der ältere ihn jedoch sogleich mit einer fatalen Alternative, deren Introduktion noch ihm die Hoffnung weckte, seinem Wunsch werde trotz aller Uneinsicht stattgegeben, so er ihn nur in sämtlicher Konsequenz erwählte. Doch spätestens mit der Versagung auch nur eines einzigen Sklaven (folglich selbst seines geliebten Patrokolos, den Vindex zwar ihm zum Präsent mochte gemacht haben, welcher dessenungeachtet jedoch seinem Gewalthaber, dem flavischen Pater Familias automatisch war zueigen), ja des Kleides am Leibe zerstob jedwede Hoffnung auf eine glimpfliche Rettung seiner Situation in flüchtigen Rauch.
    Der andere Pfad, welcher ihm in nicht minderer Detailliertheit wurde offeriert und all dies implizierte, was er in den letzten Jahren zu verabscheuen, ja zu abhorrieren hatte gelernt, zog weitaus uneindrücklicher an ihm vorbei, komprimierte sich zu einer obskuren Alternative der Maskerade tugendhafter Wohlanständigkeit, einem Dasein gleich jener Marionetten, welchen er als Knabe bei den Puppenspielern so gerne hatte applaudiert.


    Am Ende stand ein gleichsam finales Wort im Raume, eine Obligation zur Entscheidung fundamentalster Tragweite, ja zweifelsohne die größte in dem doch so knappen Leben des jungen Flavius. Dass sein Vater mitnichten zu scherzen beliebte, war ob der Vehemenz jener Philippica nämlich durchaus evident, da die familiare Damnatio memoriae keineswegs war so vollkommen, dass jedem Flavius nicht eine Handvoll jener mit ihr geschlagenen Anverwandten war ebenso bekannt wie das Grauen ihrer kümmerlichen Existenz. Hinzu trat die Ästimation seiner Lage, der Hass seiner Stiefmutter, welcher jene Verbannung den absoluten Triumph mochte erbieten, womit ob ihres giftigen Einflusses es kaum war zu erwarten, dass Manius Minor sein Verdikt jemals würde revidieren.


    Es galt somit wohl zu ponderieren, ehe er seine Decision präsentierte, was indessen eine den Jüngling geradezu überwältigende Masse an Faktoren und Extrapolationen abverlangte, weshalb für einen Augenschlag er ernstlich erwog, sich einige Tage des Bedenkens auszubitten. Doch hoffnungslos erschien ihm endlich jene infantile Hoffnung auf Gnade, wo selbige nicht mehr war zu vermuten, sodass endlich er sich doch jenen Alternativen musste zuwenden, welche die Fundamente seiner Existenz selbst betrafen:
    Vor ihm lag der Verrat an all dem, was seine Ratio hatte erkannt, sein Herz erstrebte und seine Experienz Tag für Tag als dergestalt beglückend hatte erfahren, wie der große Epikur es ihm verhieß. Hinter jener Pforte blühte nichts weniger denn ein toxischer Fungus, dessen Mycel zutiefst in die Irrtümer vordergründiger Tugendhaftigkeit und serviler Gottesfurcht sich verzweigte, um aus ihnen sich stets aufs Neue zu beleben und die Früchte eitler Ruhmsucht, substanzloser Arroganz und neidvoller Missgunst hervorzubringen, welche schon so viele Generationen der Flavii, Claudii, Iulii und sämtlicher Geschlechter jener Stadt hatten vergiftet.
    Hinter ihm bot sich indessen eine Option, welcher ihrerseits keineswegs desirabel mochte erscheinen, denn obschon sie ihm versprach, für die Wahrheit, welche immerhin selbst Manius Maior ihm als dritte Maxime des klugen Handelns hatte empfohlen, Zeugnis abzulegen und den Dogmen seiner Schule getreu zu bleiben, so verdammte sie ihn zugleich zu einem Martyrium horriblen Ausmaßes: Mochte er an Bord jener Corbita den Verzicht auf die Annehmlichkeiten aristokratischen Lebenswandels mit epikureischer Seelenruhe ertragen haben, so ängstigte ihn doch die dauerhafte Entsagung all jener kleinen Freuden des Alltags, jener köstlichen Speisen und behaglichen Stoffe auf dem Leibe, nicht wenig, erschloss sich ihm ganz neu jener 26. Lehrsatz, den zu beherzigen der Kreis der Myrmidonen so sträflich hatte negligiert: Alle Begierden, die nicht zu einer Schmerzempfindung führen, wenn sie nicht befriedigt werden, sind nicht notwendig, sondern erzeugen ein Verlangen, das leicht zu vertreiben ist, wenn es sich erweist, dass sie auf schwer Beschaffbares oder gar Schädliches zielen.
    Nun indessen hatte er die Konsequenzen seines nachlässigen Lebens zu tragen, musste er schamhaft erkennen, dass zwar durchaus theoretisch ein armer Bettler das glückseligste Wesen auf dem Erdkreis mochte werden, so er nur konsequent die Ratschlüsse des großen Philosophen respektierte, dass jedoch praktisch er in weiter Ferne von einem Stadium der Freiheit von all sämtlichen nicht notwendigen Begierden sich befand, ganz gleich ob diese natürlicher oder unnatürlicher Provienz waren. Dessenungeachtet erschien es ihm gänzlich impossibel, sich auch nur jene natürlichen und notwendigen Begierden wie das täglich Brot mit eigner Hände Arbeit zu erwerben, was ja bereits seine Flucht aus dem Hause des Sulpicius hatte prohibiert, zumal nunmehr man ihn gar seines extendierten Augenlichtes, seines besten Freundes und Dieners Patrokolos wollte berauben, womit selbst das simple Wandeln in den unebenen, von inantizipablen Löchern und Kanten übersäten Straßen Romas zum Spießrutenlauf sich würde entpuppen.


    All dies mochte den Weisen im geringsten Maße nicht tendieren, doch hatte der junge Flavius nach eifrigem Spintisieren und Erwägen dennoch zu konzedieren, dass mitnichten er ein derartiges Stadium der Ataraxie hatte erreicht, um sämtliche Brücken in das Leben jener Sklaven leerer Meinungen zu durchtrennen und der reinen, indessen freilich nackten Philosophie sich anzuvertrauen.
    "Ich..."
    , erwiderte der Jüngling so nach endlos langem, eisigem Schweigen, um sogleich aufs Neue zu verstummen, da noch immer ihm sein Beschluss aufs Äußerste widerstrebte, ja als Verrat an der Freundschaft seiner Myrmidonen, seiner Vernunft und seines Herzens erschien.
    Dem gespannten Warten Manius Maiors vermochte er indessen nicht länger zu resistieren und so presste er, der Abscheu vor dem eigenen Handeln klagend Ausdruck verleihend, seine Kapitulation verhalten hervor:
    "Ich wähle die Pflicht."

  • Unerträglich stieg die Anspannung, dehnte in Unendlichkeit sich der poröse Faden, welcher zwischen Vater und Sohn war gewebt aus Knochen und Blut, aus Schweigen und Verlust, wurde dünner, fragiler mit jedem klandestinen Atemzug - bis dass er durch die Antwort Minors mit einem Male zusammenschnellte, den Felsblocken mit sich riss, welcher auf des Vaters Herzen hatte gedrückt. Es drängte Gracchus ein Jauchzen aus sich zu entlassen, den Sohn in seinen Arme zu schließen, zu drücken und herzen, ihn dessen zu versichern wie vollumfänglich richtig diese Entscheidung war, wie er ihn überschütten wolle mit väterlichem Wohlwollen, Liebe und Unterstützung, und wie sehr der bloße Gedanke ihn bereits destruierte daran, ihn verstoßen zu müssen. Doch er tat nichts, sagte mit unbewegter Miene nichts weiter außer:
    “Gut.“
    Hatte sein Vater ähnlich empfunden als er Tiberius aus der Familie hatte verstoßen, wäre er zu diesem äußersten Gebaren bereit gewesen auch in Anwesenheit des Abtrünnigen, oder hatte dies alles nur geschehen können, da Animus bereits mit der Familie hatte gebrochen und weit fort war gewesen? Und hätte er selbst Minor wahrhaftig ziehen lassen aus seinem Leben, die Familie dem Verfemten entrissen, sein eigen Fleisch und Blut sich aus dem Leibe gerissen? Gab es einen Unterschied zwischen der Schlange und dem Geist der Schlange, welcher all die dunkle Verderbtheit bereits in sich barg, zwischen dem abominablen Gedanken, dem festen Vorsatz und der eigentlichen Tat?
    “Dann gehe nun und erhole dich von deiner Reise. Alles weitere werden wir morgen bespre‘hen.“
    Sukzessive würde die Schlange ihre Haut abwerfen und eine neue Kreatur offenbaren - eine neue Schlange allfällig, oder auch nur ein ausgedörrtes, knöchernes Skelett.

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    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Kaum hatte er den Beschluss formuliert, reute ihn selbiger, wünschte er ihn zu revidieren. Doch war das Wort gesprochen und seine Subordination unter jene irrsinnige Logik der Tradition besiegelt. Die spärliche Reaktion seines Vaters aggravierte jenen Schmerz nochmalig, da doch ihr war zu entnehmen, dass Manius Maior nichts anderes hatte erwartet, als dass Manius Minor niemals denn Mumm würde aufbringen, seinen Idealen Konsequenzen folgen zu lassen.


    Inkapabel, weiters seinem Vater die Stirn zu bieten, entschied er final, dessen Offerte zu akzeptieren und jener undelektablen Situation zu entfliehen. Er würde dringlich einen Schluck Opium benötigen, um jene grässlichen Geschehnisse zu verarbeiten!


    "Ja, Vater."
    , replizierte er folglich und wandte sich zu Patrokolos, um selbigem einen Gestus des Aufbruchs zu präsentieren. Indessen erwartete er nicht habituellen Kommentare zur Beschaffenheit des Weges, sondern trat sogleich seinen Weg zu der gewiesenen Tür an, da selbige Route im parentalen Hause ihm doch wohlvertraut erschien.
    Deplorablerweise war ihm in den Jahren der Absenz jedoch eine Barriere, nämlich die sublime Marmorleiste, welche Atrium und Durchgang trennte, entfallen, sodass nunmehr selbige seinen Fuß bremste und ihn zum Straucheln brachte.


    Beschämt von der neuerlichen Offenbarung seiner Inkapabilität welche hier konträr zum Myrmidonenzirkel als durchaus gravierend wurde erachtet, verließ er endlich das Atrium und ließ seinen Vater einsam zurück.

  • Mit gestrenger Miene blickte der ältere dem jüngeren Gracchus hernach, zuckte nur kurz zusammen als Minor auf seinem Wege strauchelte, und schnaufte noch einmal tief ein und aus als das flavische Haus den beinahe abtrünnigen Sohn wieder in sich hatte aufgenommen. Die Bestätigung des sulpicischen Schreibens längst vergessend - gleichwohl dabei ohnehin nicht notwendig, da dies alles von seinem Vilicus würde erledigt werden - trat er sodann beinahe den gleichen Weg an, in sein eigenes Refugium zu flüchten.

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