Cubiculum MFGM | De profundis

  • Obschon nach intensiver Reflexion seiner Obliegenheiten ihn die Schwäche seines Leibes doch gemahnte, sein Cubiculum vorerst nicht zu verlassen, so verspürte er doch nicht die geringste Neigung, sich neuerlich der Lethargie hinzugeben und schlicht zu ruhen.
    "Du solltest eine Ziege erwerben. Oder informiere Sciurus, er wird zweifelsohne einen adäquaten Einkäufer für Opfertiere zu bestimmen wissen, welcher ein Tier nach dem Gefallen der Manen einzukaufen vermag."
    , erklärte er soeben, als die Tür sich neuerlich öffnete und statt einem Sklaven mit einer neuerlichen, bekömmlichen Mahlzeit sein Vater eintrat, dem die Besserung seines Sohnes bekannt gemacht worden war.

  • Gracchus' Mundwinkel hob sich ein wenig bei den Worten seines Sohnes, zeigten sie doch, dass dieser augenscheinlich wieder bei Kräften war.
    "Sciurus weiß für Erwerbungen jeglicher Art stets nicht nur einen adäquaten, sondern den besten Einkäufer zu bestimmen."
    Er trat näher und zog sich selbst einen Stuhl heran, auf welchem er ungefragt Platz nahm - letztendlich war er immer noch der Herr des Hauses.
    "Wie geht es dir, Minimus? Cosmas weiß zu beri'hten, dass seine Kur dir vorzüglich bekommen ist, doch letztendlich weiß wohl jeder in diesem Hause, dass er sich gerne selbst schmeichelt."
    Im Grunde war der Medicus ein träger Benefiziant der Familie, welcher zumeist nur die Annehmlichkeiten dieses Lebens genoss. Doch Gracchus brachte es es nicht über sein Herz, ihn fortzuschicken, vermochte er doch auch nach all den Jahren noch immer seine Base Leontia in seinen Ohren zu vernehmen, welche den Medicus auf das höchste Maße lobte. Gleichwohl - wann immer dies vonnöten war, vermochte Cosmas durchaus sein Handwerk zur Zufriedenstellung auszuführen, und Gracchus hatte schon so manches Mal bedauert, von der Erkrankung eines Verwandten fern von Rom nicht rechtzeitig Kunde erhalten zu haben, um den Medicus dorthin zu entsenden.

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  • Der junge Flavius nickte ob der paternalen Kommentare und präsentierte final gar ein Lächeln, da er den Medicus der Familia Flavia Romae zwar in den letzten Tagen ob seiner Unerbittlichkeit mehrmalig vermaleideit hatte, doch inzwischen größte Dankbarkeit empfand, dass der Alte ihn vor einem Rückfall und damit der Sinnlosigkeit all seiner Leiden hatte bewahrt.
    "Vater!"
    , salutierte er Manius Maior und erstattete prompt Rapport:
    "Mir geht es inzwischen recht gut, wie mir scheint. Cosmas hat prognostiziert, dass ich in den nächsten Tagen wieder gänzlich zu Kräften kommen werde."
    Er blickte zu dem eifrig notierenden Patrokolos.
    "Ich präpariere soeben mein Opfer für die Manes unserer Familie. Ich glaube, ich bin ihnen ob meiner Genesung zu Dank verpflichtet."
    Er räusperte sich ein wenig verlegen, da derartige Aussagen womöglich überaus partikulär für einen Epikureer mussten erscheinen. Zwar hatte er seinem Vater jene maternalen Visionen bereits berichtet, doch hatte dieser sie ja eher relativiert, sodass dem Sohne der Eindruck war verblieben, jene seien eher als Produkte des Fieberwahns denn des Orcus waren ponderiert worden.
    "Ich bin bei dem Vorsatz verblieben, den Göttern und der Familie künftig ein wenig mehr Aufmerksamkeit zu schenken."

  • Obgleich er die Nachricht über das in Aussicht gestellte vollkommene Genesen seines Sohnes bereits durch den Medicus hatte erhalten, so nahm die eherne Proklamation dessen aus dem Munde seines Sohnes doch mehr noch eine Last von Gracchus' Herzen. Zwar hatten die alltäglichen Angelegenheiten senatorischer und pontificaler Pflicht ihn in den letzten Tagen bereits wieder ein wenig abgelenkt, dennoch hatte Gracchus viel über Minor, die Familie und ihre Pflichten reflektiert und war zu der Einsicht gelangt, dass es nichts gab, was die geistige Ermordung seines Sohnes - welcher ein Ausschluss aus der Familie würde gleich kommen - jemals würde rechtfertigen können, da doch der physische Tod desselben ihn bereits hätte um den Verstand gebracht. Minor war nicht nur sein Nachkomme, sein Erbe - er war seine wichtigste Hinterlassenschaft an die Welt und was auch immer aus seinem Sohn würde werden, dies war was er hatte geschaffen. Und hatte er einen trägen Epikureer geschaffen, so war dies was er würde akzeptieren.
    "Gut"
    , reagierte der Vater zuerst noch recht unbeeindruckt auf die Ankündigung Minors, ein Opfer an die Manen darbringen zu wollen, war dies doch schlichtweg derart alltäglich, dass ihm nicht einmal in den Sinn gelangte, sein Sohn hätte dies nicht in Erwägung ziehen können. Um so gewichtiger indes tönten die nachfolgenden Worte des jungen Gracchus ob seiner zukünftigen Absichten, was durchaus gereichte dem älteren die linke Braue empor zu heben, ehedem sein Mundwinkel dem folgte.
    "Das ... freut mich zu hören, Minimus."
    Die Einsicht seines Sohnes schien Gracchus vorrangig vor aller mahnenden Anklage oder Vorhaltungen, insbesondere da er ihn mehr als in der Lage sah seine Taten selbst zu reflektieren und Schlüsse daraus zu ziehen, ob dessen einzig seine eigene Schuld ihm erwähnenswert schien.
    "Glei'hwohl ich dich um Verzeihung bitten möchte für das, was geschehen ist. Es ... war nicht rechtens von mir, diese Entscheidung von dir zu verlangen, und insbesondere die Art und Weise ... war schlichtweg von unbesonnener Torheit geprägt."

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  • "Welche Entscheidung?"
    , fragte der junge Gracche ein wenig irritiert, da er die vergangenen Stunden nicht sonderlich der Reflexion seiner paternalen Relationen hatte gewidmet, sondern vielmehr sich seiner Zukunft angenommen hatte. Hinsichtlich jener leichtfertigen Gefährdung seines Lebens, ja seines potentiellen Abgleitens in die tiefsten Tiefen des Tartaros kam nichts ihm in den Sinn, woran sein Vater direkt oder indirekte Schuld auf sich geladen hätte, welche eine Exkulpation hätte gerechtfertigt.


    Doch kaum hatte er die Frage jedoch gestellt, memorierte er ihre letzte, wahrhaftige Unterredung, welche noch unter dem Einfluss des Opiums sich hatte ereignet, doch überaus klar ihm in Erinnerung war. Ging es darum, dass Manius Maior ihm offeriert hatte, sein Todesurteil zu sprechen, um selbst der Welt zu entfliehen? Mit einigem guten, respektive bösen Willen mochte man dies durchaus als Detonator jenes schmächlichen Exzessen erachten, in welchen Manius Minor folgend war geraten. Doch in Anbetracht der Last, die der junge Flavius seinem Vater hatte bereitet, erschien jenem jene temporäre Schwäche als durchaus nachsehnlich:
    "Nun, hätte ich meinen Geist nicht durch das Opium perturbiert, wäre ich dich womöglich eine bessere Stütze gewesen, anstatt dein Laborieren weiter zu entfachen."
    Noch war es dem Jüngling nicht in den Sinn gekommen, die paternalen Konfessionen intensiver zu reflektieren, zumal jener gestandene Selbstmord ihm weiterhin in gewisser Hinsicht noch immer dubitabel erschien, ja er, wo er dies nunmehrig erneut bedachte, auch jene erschröcklichen Vermutungen hinsichtlich seiner Stiefmutter nicht unbesehen fortzuwischen imstande sich sah. Doch erschien es ihm dennoch adäquat, seinen Vater nicht gleich aufs Neue mit jenen Hypothesen zu grämen, sondern vielmehr dem nachzukommen, was die Worte seiner geliebten Mutter hatten ebenfalls impliziert: die Ehrung seines Vaters!
    "Insofern übertraf meine Torheit die deinige wohl beiweitem, als ich mich zum Sklaven jener Droge machen ließ, als ich dir Gram bereitete durch meine Abwendung von all dem, was Götter und Mores Maiorum unserem Stande gebieten, als ich dich despektierlich traktierte und meine Obliegenheiten als dein Sohn so schändlich vernachlässigte!"
    Er beugte sich ein wenig nach vorn und blickte in jene amorphen Flächen, in welche sein getrübtes Augenlicht die braunen Augen seines Vaters verwischte.
    Einen Augenschlag stockte er und legte die jugendliche Stirn in Falten. Zu diesen Worten hatte er sich bereits während des Spintisierens über die Irrtümer seiner Jugend entschlossen, hatte geradehin danach gelechzt, sich durch sie von einem Teil jener Last auf seinem Herzen zu liberieren. Und dennoch erschien es nun, da seine Lippen jene Laute zu formen im Schwange waren, durchaus nicht leicht.
    "Ich-"
    , setzte er an und schluckte befangen, fasste sich doch schließlich ein Herz und erklärte mit fester Stimme:
    "Ich bitte dich um Vergebung für mein inakzeptables Betragen in den vergangenen Jahren. Ich gelobe dir fortan ein vortrefflicher-"
    Neuerlich stockte er, die Imprävisibilität jenes Versprechens erkennend.
    "-ein besserer Sohn zu sein."

  • Die Worte seines Sohnes rührten den Vater derart an, dass er seine Linke hinter den Kopf Minors legte und seinen eigenen dem entgegen neigte, so dass ihre Stirne sich berührten. Schon lange, sehr lange waren sie nicht mehr sich derart nah gewesen - nicht nur ihre Leiber, sondern auch ihre Ideale und Gedanken.
    "So haben unsere Torheiten sich gegenseitig ausgegli'hen, dass wir getrost sie der Vergangenheit angedeihen lassen und um so aufmerksamer der Gegenwart und Zukunft uns widmen können."
    Im Grunde hatte Gracchus nicht ernsthaft erwartet, dass Minor seinem Traumbild sich würde zuwenden, doch die allmähliche Erkenntnis der Tragweite dieser Entscheidung ließ durchaus ein wenig Euphorie durch seine Adern fließen. Mit einem schmalen Lächeln lehnte er schlussendlich sich wieder zurück.
    "Wie wird diese Zukunft aussehen, Minor, abgesehen von deinem Opfer an die Manen?"
    Noch immer vermochte er sich nicht gänzlich zu imaginieren, zu welchen Schritten sein Sohn bereit war.

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  • Der intime Gestus seines Vaters traf den Jüngling gänzlich unerwartet und so war er erstlich ein wenig perplex, als er die Stirn Manius Maiors auf der seinigen verspürte. Doch sodann beschied er sich konfident in jene Intimität fallen zu lassen, welche ihm dargeboten wurde. Die Wärme des paternalen Hauptes schien aus dieser Warte geradezu als Verheißung jener familiaren Behaglichkeit, welche in den letzten Jahren ihm lediglich das Opium hatte zu bieten vermocht. Womöglich würde so sein projektiertes neues Leben doch nicht so entbehrungsreich und trist sich gestalten, wie er in seinen epikureischen Tagen es stets imaginiert hatte.
    Seiner Einsicht zufolge waren ihre Missetaten zwar inkomparabel, da die Pein seines Vaters bestenfalls einem Zuviel an Pietät, seine eigene Narrheit hingegen einem Mangel desselben war geschuldet, doch ließ sich über jene Fehleinschätzung zu seinen Gunsten wohl interimistisch hinwegsehen.
    "Ja, widmen wir uns der Zukunft."
    Sie lösten sich und der jüngere Gracche blickte versonnen zur Decke. Selbstredend hatte er die vergangenen Tage hinreichend Raum gehabt, seine Obliegenheiten für die Zukunft zu bedenken, doch wollte er erstlich noch jenen Moment des Glückes verkosten, ehe er seine durchaus ambitionierten Pläne zu thematisieren.
    "Nun, wie es einem Sprosses unseres Hauses gebührt. Ich wäre bereit, erstlich die nächsten Schritte des Cursus Honorum zu beschreiten, also mein Tribunat abzuleisten. Sofern du dies gutheißen würdest selbstredend."

  • "Ein Tribunat?"
    repetierte der ältere Flavier ein wenig ungläubig, unterstützt durch das Heben seiner linken Braue. Es gab wohl kaum eine gräulichere Aussicht für ihn als jene in einem Militärlager am Ende des Imperium zu stranden, das windumtoste Zelt im schlammigen Sumpf des Nordens oder staubigen Sand des Südens errichtet, den ganzen Tag zwischen Wind, Sonne, Regen und militärischem Getöse gefangen fernab von jedem geistigen Reize.
    "Nun"
    , setzte er an, um sogleich wieder zu stocken. Sein Vater, sein Onkel Felix und Furianus hatten ihren Dienst in der Legion geleistet, und Marcus Aristides war gar viele Jahre wahrhaft glücklich gewesen in den Reihen des Militärs. Es war an der Zeit anzuerkennen, dass Minor allfällig andere Präferenzen für sein Leben favorisierte als sein Vater.
    "Es spri'ht nichts dagegen, wenngleich es für einen Mann deines Standes nicht vonnöten ist. Wenn du möchtest kann ich den Imperator darum bitten, dich der ersten Legion zuzuweisen?"
    Dies zumindest würde Minor nicht nötigen, Italia zu verlassen - was wiederum für Gracchus eine abschreckende Vorstellung war.

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  • Die Reaktion des älteren Gracchen trübte die Intimität des Augenblickes, denn obschon der jüngere die mimische Replik nicht zu identifizieren imstande war, so kommunizierte das verhaltene Kommentieren doch jenen Dissenz, welchen Manius Minor die vergangenen Jahre so intensiv hatte kultiviert. Selbst wenn der junge Flavius den Beschluss hatte gefasst, sich um seines Seelenfriedens willen seinem Vater zu unterwerfen, ja zuletzt gar eine neue Zuneigung zu ihm evolviert hatte, so wurde ihm nun schmerzlich bewusst, dass sein Argwohn bezüglich der paternalen Feigheit mitnichten ausgeräumt war: Noch immer war Manius Maior inmitten eines grässlichen Krieges von der Seite seines Sohnes und seines siechen Neffen geflohen, hatte sich in Rom verborgen gehalten, während die übrigen Verschwörer gegen den Usurpator tapfer in die Schlacht waren gezogen.
    In den Gründen seiner Seele drängte es ihn, jenes Versagen nochmalig zu thematisieren in der nun aufs Neue erwachten Hoffnung, jene Gestalt, der er Gehorsam zu leisten sich verschrieben hatte, auf wundersame Weise zu rehabilitieren.
    Doch er wagte es nicht, die so fragil erscheinende, neu gewonnene vertrauliche Atmosphäre dieser Stunde zu riskieren.
    "Ich würde es präferieren, in einer Legion zu dienen, welche an den Grenzen des Imperium seiner Pflicht nachkommt."
    , sponn er somit den Gesprächsfaden freundlich weiter und implizierte unintendiert doch beiläufig jenen Vorwurf, den er seinem Vater unterstellte. Denn in der Tat war er nicht gewillt, sein ohnehin nicht-obligates Tribunat zu einer reinen Formalität verkommen zu lassen, selbst wenn es womöglich am Limes Africas sich nicht weniger als ein solches würde entpuppen wie im ihm bereits vertrauten Mantua. Immerhin würde dortig das Potential eines wahrhaft nützlichen Dienstes höher ausfallen und dessenungeachtet ihn davor bewahren, jenen Ort seines juvenilen Traumas voller Einsamkeit, Furcht und Desperation ein ganzes Jahr zu bewohnen.

  • "An den Grenzen ... "
    repetierte Gracchus zögerlich.
    "Ja ... natürli'h ... nun ... sofern du eine Präferenz für eine Provinz hast, so kann ich auch hierfür den Augustus um ... entsprechende Zuteilung bitten."
    Wiewohl die Himmelsrichtung kaum einen Unterschied würde machen - allein die elendig lange Reise an die Grenzen des Imperium, Matsch und Dreck, Hitze oder Kälte, Sand oder Schnee, große Menschen oder kleine Menschen - im Grunde waren dies nur marginale Details. Einst hatte Gracchus angenommen die Legionen in den gänzlich und seit langem befriedeten Randregionen wie etwa Hispania oder Aegyptus hätten allfällig ein besseres Los als jene an den barbarisch besiedelten Grenzen, doch die Erfahrungen seiner Verwandten und Faustus' hatten ihn eines besseren belehrt. Eine Legion blieb eine Legion - einzig die Prima genoss bisweilen einen Sonderstatus.

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  • Manius Minor war nicht genötigt die Mimik Manius Maiors zu identifizieren, um dessen Abscheu vor dem Gedanken an einen Kriegsdienst fernab der italischen Zivilisation zu erkennen. Selbst wenn er den Beschluss hatte gefasst, in die in mancherlei Hinsicht gigantischen Fußstapfen seines Vaters zu treten, klarifizierte jene Reaktion doch Differenzen, die dem jungen Flavius auf anderem Territorium noch gestatteten, das paternale Beispiel zu übertreffen.
    "Nun..."
    , setzte er somit an, einen Augenblick erwägend, den älteren Gracchen durch einen möglichst abstoßenden Standort seine Superiorität an Mut und Pflichtgefühl zu demonstrieren, ehe er doch sich für die Wahrheit entschied:
    "... diesbezüglich bin ich mir noch nicht im Klaren."
    Seine Idole aus der flavischen Dynastie hatten in diversen Legionen gedient, obschon die meisten der jüngsten Generationen die privilegierte Prima Traiana hatten erwählt, welche er deplorablerweise leichtfertig bereits exkludiert hatte. Fielen indessen Onkel Furianus und Onkel Aristides beiseite, so verblieben jene flavischen Heroen, deren militärischer Ruhm ihnen den Caesarenthron und göttliche Ehren verschafft hatten: Divus Vespasianus hatte diversen Einheiten vorgestanden, hatte an der Spitze der Secunda Augusta an der Eroberung Britannias mitgewirkt, doch existierte diese Formation seit den Heeresreformen des Traianus nicht mehr. In seinem größten Triumph, dem Bellum Iudaicum, hatte er hingegen die XII Fulminata kommandiert, ebenso die X Fretensis, während sein Sohn Divus Titus die XV Apollinaris geleitet hatte. Manius Minor vermochte nicht mehr zu sagen, welche dieser Legionen es war, die noch heute im damalig unterworfenen Hierosolyma campierte, doch erschien ihm jenes Quartier doch als eine einem Flavius adäquate Station.
    "Womöglich in Iudaea, das unsere Ahnen einst dem Imperium hinzufügten?"
    , offerierte er daher. Soweit er in Alexandria erfahren hatte, war das Volk der Juden auch durchaus renitent, wenn nicht rebellisch, sodass ein Tribunat in jenen Landen auch nicht als jener Etappendienst sich würde erweisen, welchen er zu vermeiden bemüht war.

  • Der ältere Gracchus seufzte tief.
    "Iudaea"
    , lies er sodann mit einem leisen Schnauben vernehmen.
    "Dieser Sumpf aus welchem die Christianer hervorkriechen gleich Würmern aus dem Dreck. Es wäre zweifelsohne ein Akt des Ausglei'hes, würde ein Sproß des flavischen Hauses dort römisches Recht und Sitte perpetuieren."
    Einen Augenblick lang biss er die Kiefer fest aufeinander in aufwallendem Zorn über das Schicksal seines Bruders Tiberius Animus, welcher so tief in ihm verborgen lag, dass er im ohnehin beständig verdrängten Gedanken oft nur auf den Bruder selbst zurück fiel. Doch das Christenvolk hatte seinem Bruder die Sinne verdreht und ihn in seinen eigenen Wahn gestürzt - ein Akt, welchen der Flavier jedem einzelnen dieser Masse anlastete.
    "Iudaea wäre durchaus eine ad..äquate Wahl."
    Und letztendlich nicht gar so perniziös wie etwa der barbarische, unwirtliche Norden oder Osten des Reiches.

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  • "Nun, dann Iudaea."
    , erwiderte Manius Minor und blickte saturiert Manius Maior an, welcher augenscheinlich überaus spezifische Assoziationen mit der Provinz im Osten verband. Der junge Flavius selbst indessen hatte der Sekte der Christianer hingegen dergestalt wenig Appetenz geschenkt (obschon sie in Alexandria geradehin zum Straßenbild zählten), dass er weder Abscheu, noch Sympathie ihnen gegenüber empfand, sie vielmehr ebenso betrachtete wie Juden, die Diener des Mithras oder des Osiris, deren Jünger er ebenso in Aegyptus hatte angetroffen.
    "Ich fürchte, ich bin nur reichlich spät, um noch für das kommende Jahr ein Tribunat zu ergattern."
    Zweifelnd blickte er zu seinem Vater.
    "Auf welche Weise könnte ich noch unserer Familie von Nutzen sein?"

  • Ein wenig indifferent wiegte der ältere Flavius seinen Kopf. Mochte Minor in diesem Jahre kein Tribunat mehr erhalten, so würde er allfällig im kommenden Jahre darauf vergessen haben - oder längst anderweitig in das stadtrömische Leben involviert sein. Darob bot diesmalig Gracchus auch nicht an, diesbezüglich sein Wort beim Kaiser geltend zu machen.
    "Rom benötigt fortwährend Tribune, auch in den kommenden Jahren. Dir bleibt also noch genügend Zeit, dich zu beweisen"
    , suchte er sein nicht allzu großes Bedauern in ein wenig Trost zu verpacken.
    "Wie wäre es mit einem kultischen Amt? Im Collegium der Quindecemviri Sacris Fa..ciundis ist derzeit ein Sitz unbesetzt."
    Dass ein Wort des Pontifex pro Magistro würde ausreichen, diesen Sitz zu besetzen, verstand sich von selbst.
    "Du könntest indes dich auch im Privaten ein wenig mehr hervortun, allfällig ein Mäzen der Kunst, Kultur oder Wissenschaft werden."

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  • Manius Minor runzelte die Stirne, als Manius Maior ihn sogleich vertröstete, war doch jene Geduld überaus verständlich, so sie vonseiten eines eher furchtsamen, dem Kriegshandwerk abholden Manne stammte.
    Doch zumindest offerierte sein Vater sogleich neuerliche Optionen, die in altem Gebrauch epikureischer Reserve instinktiv ihn zurückschrecken ließen, ehe ihm bewusst wurde, dass ein derartiges Engagement höchst geeignet würde sein, seine Schuld den Unsterblichen gegenüber zu begleichen, sofern sie ihn in diesem Amte akzeptierten.
    "Nun, ein Collegium wäre durchaus eine geeignete Beschäftigung."
    , konstatierte er somit.
    "Doch wäre zu prüfen, ob die Götter mich in einem derartigen Amte wünschen, zumal ich doch ein wenig jung bin, oder?"
    Eine Majorität rückte dem Dafürhalten des jungen Flavius erst in reiferen Jahren in die summa Collegia Roms ein, nachdem sie in Politik und Verwaltung gewisse Meriten erworben hatten, während er selbst ja noch nicht einmal in den Senat war aufgestiegen.
    "In welcher Weise könnte ich denn mäzenisch aktiv werden?"
    , kommentierte er sodann die finale Eingebung seines Vaters und echter Unkenntnis, da zwar Förderer der Künste aus dem Umfeld seiner Familie (insonderheit auch sein Vater selbst, der ja einen Rhetorik-Wettbewerb als Consul initiiert hatte) bekannt waren, er jedoch niemals hatte erwogen, wie man zu einem solchen Mäzen aufstieg. Denn wie gelangte man an talentierte Aspiranten eines eigenen Philosophen- oder Autorenkreis? Zumal als ehemaliger Epikureer, dessen hinterlassene Schule zu fördern ihm geradehin als Verspottung der maternalen Mahnung erschien?

  • "Im Grunde ist dies nur eine Frage des Geldes"
    , antwortete der ältere Flavier, ohne dass in diesem Augenblicke ersichtlich war, worauf.
    "Und daran mangelt es wohl kaum."
    Wenn auch Gracchus selbst nicht den leisesten Schimmer hatte, wie groß oder klein das flavische Vermögen tatsächlich war. Es war, und dies genügte ihm seit jeher.
    "Du kannst einerseits adäquate Gäste laden - Schöngeister von Rang und Namen, und dazu ein Podium bieten für junge, talentierte Künstler. Du kannst aber auch einem Künstler ein Aus..kommen gewähren. Oder allfällig ein größeres Podium in der Öffentlichkeit schaffen. Du könntest Statuen stiften; ein Grundstück erwerben und einen Park der Sinnesfreuden erschaffen. Die Möglichkeiten sind zweifelsohne grenzenlos."
    Rechtlich gesehen waren Minors eigene Möglichkeiten hierzu begrenzt, denn da er noch immer unter der patria potestas seines Vaters stand hatte er genau genommen kein eigenes Vermögen. Doch Gracchus dachte selten in Vermögens- und Besitzverhältnissen. Sein Blick glitt in die Ferne.
    "Wir hatten schon lange keine schöngeistige Gesellschaft mehr zu Besuch. Schon seit ... seit dem Krieg nicht mehr."
    Er seufzte. Das Ende des Bürgerkrieges war beinahe nurmehr eine Reminiszenz im Gedächtnis Roms. In jener Zeit geborene Kinder liefen längst auf ihren eigenen Beinen und wusste nicht einmal, wovon gesprochen wurde. Frisches, saftig grünfarbenes Gras wuchs längst auf den Schlachtfeldern, auf welchen das römische Blut war vergossen worden. Allerorten verlustierten sich Gesellschaften ohne auch nur einen Gedanken an die Vergangenheit, und das Leben folgte seinem alltäglichen Verlauf. Nur Gracchus' Leben nicht. Sein Leben war stehen geblieben, steckte fest, stockte einem Wasserrad gleich, dessen Speichen sich im Tang der Tiefe hatte verfangen und darob nicht mehr vorankam. Sein Leben war noch immer voll gesogen und besudelt von römischem Blut; lag noch immer brach, ausgedörrt und öde.

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  • Wie Manius Minor während der Inspirationen Manius Maiors erkannte, mochten Personen, welche Rang und Namen bereits erworben hatten, zweifelsohne leichtlich zu identifizieren sein und womöglich ebenso der Schlüssel zum Erwerb adäquater künstlerischer Expertise wie ein Weg zur Publikation der eigenen Bereitschaft zur Förderung jener Talente, die sein Vater ihm ans Herz legte.
    "Nun, womöglich sollte ich mich mit Artaxias ein wenig beraten."
    Sein gutherziger Paedagogus, welcher einst ihn das Attische gelehrt hatte und bereits in jenen Tagen größtes Interesse für die Poesie der Hellenen hatte gepflegt, würde zweifelsohne ihm einen Rat zu bieten imstande sein, welcher Meister der Sprache zu laden adäquat mochte sein. Ob seiner Fehlsicht erschien ihm nämlich die Patronage für jene bildenden Künste, welche er zu genießen selbst nicht imstande war, wenig erstreblich.
    "Würdest du ebenfalls an einer solchen Versammlung partizipieren wollen?"
    Er war nicht recht imstande zu ponderieren, ob sein Vater jene Zurückgezogenheit, die seit dem Kriege er praktizierte, eine bewusste Entscheidung oder ein beiläufiger Sekundäreffekt seiner fortgeschrittenen Lebensphase war, doch vernahm er dem Timbre der Stimme eine Melancholie, welche argwöhnen ließ, dass Manius Maior jene schönen Geister in der Tat vermisste, sodass seine Teilnahme an etwaigen Poetenzirkeln nicht lediglich ihnen größeren Glanz durch die Präsenz eines Consulars und Manius Minor einen nützlichen Ratgeber würde offerieren, sondern auch dem älteren Gracchen selbst Freude bereiten mochte.

  • Abwägend hob Gracchus die linke Braue, doch ehedem er zu einer Antwort konnte ansetzten, klopfte es kurz an der Türe zu Minors Cubiculum und Sciurus steckte den Kopf hinein. "Herr, es ist Zeit, zum Collegium aufzubrechen ..."
    "Ah, ja"
    , nickte der ältere Flavier und zuckte ein wenig ergeben mit der Schulter.
    "Die Pfli'ht wartet, mein Sohn. Sofern du konkrete Pläne hast, lasse es mich wissen. Ein wenig Zerstreuung wäre allfällig nicht verkehrt."
    Er erhob sich, um den Raum zu verlassen. Doch bevor er durch die Türe trat, wandte Gracchus noch einmal sich kurz um.
    "Ich bin froh, dass es dir wieder gut geht, Minimus."
    Nicht nur auf den gesundheitlichen Zustand seines Sohnes war dies bezogen, sondern auch in Hinblick auf dessen Ansichten. Ein schmales Lächeln huschte über das Antlitz des älteren Flaviers, sodann wandte er sich um, seinen Pflichten nachzukommen wie eh und je.

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  • Das Erscheinen Sciurus bot dem Jüngling einen Vorgeschmack jenes Lebens, welches hinter der Tür des Cubiculum ihn erwartete; welches vielmehr seine Ahnen und alle Unsterblichen von ihm erwarteten! War er soeben noch voller Tatendrang gewesen, so schmerzte ihn angesichts jener Situation bereits wieder die Notwendigkeit, von seinem Vater geschieden zu sein, um den Obliegenheiten eines aristokratischen Lebens nachzukommen.
    Faktisch würde er fortan genötigt sein, seine Interessen hintan zu stellen, seine Emotionen zu zügeln und seinen Willen den vormals leeren Meinungen der Mores Maiorum zu unterwerfen. Mochten die schönen Künste nicht verboten sein, sondern womöglich ein Steinlein in dem riesigen Mosaik eines tugendhaften Lebens, so würden sie doch den gewichtigen Fliesen der Vita activa zu weichen haben, sich gewissermaßen an ihnen anlagern und zu zierlichem Beiwerk verkommen.


    In der Tat implizierte sein Entschluss, das ewige Leben in Freude zu gewinnen, für das hiesige Entbehrungen zu akzeptieren und vielem, was einst ihn erfreute, den Rücken zuzuwenden.
    Sichtlich getrübt war somit der Tatendrang Gracchus Minors, als Gracchus Maior die Tür hinter sich geschlossen hatte.

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