Als Frau entschied sich Livineia, zuerst die Augusta zu begrüßen, denn ihr Bruder würde schließlich zuerst die Begrüßung des Augustus vornehmen, das war eigentlich nur naheliegend. An der Seite ihres Bruders trat sie in den Garten ein. Es war für sie recht ungewöhnlich, doch hatte sie sich dafür entschieden, sich eher bodenständig und ohne großen Prunk zu kleiden. Sie hatte sich für den heutigen Tag dafür entschieden, die tugendhafte Schwester ihres großen Bruders darzustellen, denn wenn es heute um etwas ging, dann um seine Karriere – jedenfalls war dies für Livineia so. Sie liebte ihren Bruder und auch wenn sie häufig nicht seine Meinung teilte, so würde sie sich doch immer darum bemühen, ihn in seinem Streben zu unterstützen. Natürlich trug sie auch Armreife und eine hübsche Kette, doch hatte sie sich heute nicht zu prunkvoll behangen, wie sie es sonst manchmal zu tun pflegte. Auch mit Farbe im Gesicht hatte sie sich zurückgehalten, obgleich sie natürlich schon zu sehen war. Es ging heute nicht darum, Aufmerksamkeit zu erringen. Es ging darum, Aufmerksamkeit zu bewahren. Es würde nicht helfen, wenn sie aussah, als wäre sie in einen Farbtopf gefallen.
Bei dem Kaiserpaar angekommen, neigte sie höflich ihr Haupt.
„Salve, Augusta – die Ehre ist mehr als nur auf meiner Seite.“ Livineia lächelte die Kaiserin warm an. Bei den Feierlichkeiten des Flavius hatte sie die Augusta ebenfalls gesehen, aber keinen richtigen Anlass gefunden an sie heranzutreten, zumal Livineia selbst an jenem Tag auch ein wenig neben der Spur gestanden hatte. Es war ein schwieriger Tag gewesen.
„Salve, Augustus. Es ist eine große Ehre, auch dich kennenzulernen. Es freut mich, dass du und deine Frau uns heute beehren. Ich möchte noch einmal persönlich zu eurem Glück gratulieren.“ Nachdem Marcellus den Kaiser begrüßt hatte, grüßte Livineia ihn ebenfalls, um Marcellus im Gegenzug die Kaiserin zu ‚überlassen‘. Die erste Gelegenheit – und die nutzte sie natürlich auch sofort. Ihre Worte richteten sich schlussendlich an das Kaiserpaar.
Insgesamt, so hatte sie sich für die Cena vorgenommen, würde sie sich aber merklich zurückhalten. Sie wollte nicht als geschwätzig wirken und vor allem auch ihrem Bruder nicht die Show stehlen. Wenn es angebracht war, würde sie sich natürlich einbringen. Wenn sie im Laufe der Cena merkte, dass es angebracht war, durchaus auch mit Charme und Witz. Doch für den Moment lernten sie sich erst kennen und sie wollte nicht gleich vom ersten Moment an als frech gelten. Sie wusste schließlich, was sich gehörte und den Augustus oder seine Gemahlin zu überrumpeln war, zumindest in ihrem Alter, kein angemessenes Verhalten. Sisenna war etwas anderes und kam mit ihrer Art auch augenscheinlich gut an, aber Livineia war einfach schon zu alt um unbedarft gelten zu dürfen.
Auch im Gegensatz zu Silana grollte sie ihrem Großvater nicht, dass sie sich um die Blumen hatte kümmern sollen. Einen Großteil der Aufgaben hatte sie an die Sklaven delegiert und sich selbst lediglich um die Entscheidungen gekümmert. So hatte sie vor allem auf ein paar Bildnisse, dargestellt in Blumen, Wert gelegt – so schnell es eben gegangen war. Insgesamt war die Dekoration sichtbar, aber nicht zu aufdringlich. Livineia hatte schon Empfänge erlebt, bei denen man auf einmal in Blumen gesessen hatte, das mochte sie persönlich nicht so gerne. Sie hielt sich da lieber zurück.