Die Verlorene - In den Gassen von Mogontiacum

  • Die ersten Schneeflocken waren in der Nacht gefallen und noch immer tänzelten sie still zu Boden. Draußen auf den Feldern war der Schnee liegen geblieben, doch auf der Straße hatte sich ein schmutzig-brauner, glitschiger Matsch gebildet. Ygrid schlang den löchrigen Fetzen, der ihr als Mantel diente, noch enger um ihren schmalen Körper. Ihre Finger waren rot vor Kälte. Die Sohle der Schuhe, die sie an ihren Füßen trug, war löchrig. Das führte dazu, dass der Matsch in ihre Schuhe eindringen konnte und sich ihre Füße langsam wie Eisklumpen anfühlten.


    Im Nachhinein musste sie sich eingestehen, dass es eine dumme Idee gewesen war, Mogontiacum und ihren Retter zu verlassen. Eigentlich wollte sie „nur mal kurz“ in die Stadt gehen. Doch bald hatte sie erkannt, dass die Stadt noch immer fremd und gefährlich für sie war. Sie war ein Fremdkörper, den – wenn man ihn entdeckte, sofort entfernen würde. Auf keinen Fall wollte sie zurück in den Carcer! Zu Hause im freien Germanien gab es aber auch nichts mehr, wohin sie hätte gehen können. Als sie schließlich zu Carbo zurückkehren wollte, wurde ihr klar, dass sie sich verirrt hatte.


    Einige Tage hatte sie sich in der Stadt herumgetrieben, dann war es ihr irgendwie gelungen, ihr den Rücken zu kehren. Draußen auf dem Land fühlte sie sich wohler und sicherer. Dort konnte sie sie sich besser verständigen und die Leute dort nahmen sie auf, ohne viele Fragen zu stellen.
    Sie war bei Bauern untergekommen und bot sich ihnen als Arbeitskraft an. Im Gegenzug erhielt sie Kost und Logis. Vom Frühjahr bis in den Herbst gab es auf den Feldern viel zu tun. Der Winter gestaltete sich meist etwas ruhiger. Über ein Jahr hatte sie so gelebt. Doch Norius Carbo, ihren Retter, hatte sie in all dieser Zeit nicht vergessen. Wie es ihm wohl ging und wie er sich gefühlt hatte, nachdem sie fort gegangen war. Solche Fragen hatte sie sich immer wieder gestellt. Ihr Gewissen, etwas Schlechtes getan zu haben, nagte an ihr, bis sie schließlich nicht mehr anders konnte und die Bauersleute, die ihr Unterschlupf geboten hatten, verließ.


    Der Wintereinbruch hatte sie überrascht. Völlig durchgefroren und nass vom Schnee, der auf ihre Kleidung gefallen war, schwand ihre Hoffnung, jemals Mogontiacum lebend zu erreichen. Jeder Schritt wurde mal zu mal schwerer und schmerzhafter. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Ygrid aufgeben musste.
    Glücklicherweise hatte ein Fuhrmann, der sie mit seinem Wagen an ihr vorbei gefahren war, Erbarmen und hielt an. Er nahm sie auf seinem Wagen mit und gab ihr von seinem Reiseproviant etwas ab. Gemeinsam erreichten sie schließlich Mogontiacum, wo sich ihre Wege wieder trennten.
    Da sie inzwischen gelernt hatte, etwas besser zu verständigen, frage sie sich durch, um zur Unterkunft ihres damaligen Retters zu kommen. Schließlich hatte sie das Haus gefunden, in dem sie vor über einem Jahr mit Norius Carbo gewohnt hatte. Doch ihre Hoffnungen wurden ein für alle Mal zerstört, als sie erfuhr, dass er fort war. Weg! Auf Wanderschaft nach Rom!


    Nun war sie wirklich verloren! Entkräftet sank sie zu Boden und blieb einfach liegen. Sollten die Götter nun entscheiden, wie ihr weiteres Schicksal aussah.


    Sim-Off:

    Wer will, der darf! :D

  • Der Winter war endlich gekommen und die tänzelnden Schneeflocken lösten den Dauerregen ab, welcher die Stadt in den letzten Wochen in ein beinahe unausstehliches Nest verwandelt hatte. Jede Patrouille im Umland der Stadt, jeder Schritt in diesem völlig durchtränkten und durchnässten Land, war zu einer unvorstellbaren Qual geworden. Nun aber war es kalt und der Nasse Boden war daran zu gefrieren, überdeckt von einer dünnen, aber stetig wachsenden Schicht Schnee, und damit tückisch und verteufelt rutschig für jeden, der keine Nägel an seinen Sohlen wusste.


    Die Offiziere und niedrigen Unteroffiziere, welche heute mit mir zusammen den Abend in der Stadt verbringen durften, freuten sich. Schnee machte die Kälte gleich etwas wärmer, etwas erträglicher, so schien es zumindest, als der kalte Regen der letzten Tage, auch wenn man alleine am gefrierenden Atem vor dem Gesicht erkennen konnte, dass die Temperaturen gefallen waren, nicht gestiegen.


    Noch waren wir uns uneins, in welche der diversen Tavernen wir gehen wollten um in Ruhe etwas zu trinken, zu würfeln und vielleicht auch ein Mädchen zu kriegen, mit welchem wir den Abend erfreulich verbringen konnten. Da sahen wir von der anderen Seite her eine Gestalt durch die Strasse wanken. Im Schnee konnten wir nicht erkennen, weshalb die Person so unsicher ging, nicht einmal ob es ein Mann oder eine Frau war. Erst als sie zu Boden sank und nicht mehr versuchte sich zu erheben blieben einige unserer Blicke etwas länger an der Gestalt hängen.

  • Um Ygrid herum war Stille. Ihre Glieder entspannten sich und die Kälte wurde zusehends bedeutungslos. Sie wehrte sich nicht länger dagegen, sondern sie ließ alles geschehen. Ausruhen… nur nicht dagegen ankämpfen! Schlafen und vielleicht auch sterben.


    Die Schneeflocken legten sich sanft auf ihre Kleidung. Anfangs schmolzen sie sogleich und wurden von dem Stoff aufgesogen. Doch nach einer Weile verharrten sie in ihrer Form, Seite an Seite. Mors wollte schon ihre Klauen nach ihr ausstrecken. Doch die Götter schienen die junge Germanin nicht einfach so hergeben zu wollen.


    Es war nicht unbeobachtet geblieben, als sie zu Boden gesunken war. Ausgerechnet die, vor denen sie sich am Meisten gefürchtet hätte, wäre sie noch bei Bewusstsein gewesen, waren zu Zeugen geworden. Zu welch bizarrem Spiel ließen sich die Götter hier nur hinreißen? Sie machten die Menschen zu ihren Spielbällen, ganz wie es ihnen beliebte. So lag es nun ein weiteres Mal an den römischen Offizieren, ob jenes germanische Mädchen weiter lebte oder doch noch in Mors Fänge geriet.
    Ygrid selbst bekam nicht das Geringste davon mit. Unter ihrem nassen löchrigen Umhang würde man ein schlafendes rothaariges bleiches Mädchen vorfinden, dessen Anblick wohl kaum jemanden gleichgültig ließ. Ihr Atem ging langsam und gleichmäßig. Ihr Pulsschlag hatte sich schon verlangsamt. Noch war es nicht zu spät.

  • Da stimmt etwas nicht! LOS, wir schauen nach! entfuhr es mich, als sich die Gestalt noch immer nicht bewegte und wir aber auch keine Anzeichen weiterer Bewegungen erkennen konnten. Es schien, als wäre niemand bei dieser Person gewesen und auch genaues Hinsehen konnte uns keine Anzeichen eines Hinterhaltes offenbaren.


    Wie es militärische Führung vorschrieb rannte ich den anderen Männern voran und kniete mich neben der Gestalt nieder. Die Unteroffiziere bildeten einen schützenden Ring um uns, für den Fall, dass dies doch ein Hinterhalt sein sollte.


    Und? fragte einer der anwesenden Centurionen.


    Ich prüfte vorsichtig, ob ich einen Puls fühlen konnte. Scheinbar war die Gestalt eine junge Frau, Puls konnte ich ganz schwach doch regelmässig noch fühlen.


    Es sieht nicht gut aus, sie lebt noch, aber auch nur gerade so.


    Ich blickte mich um sah einige Häuser weiter die Tür einer Schenke. Los, wir bringen sie in die Schenke da drüben, da ist es wenigstens warm und geschützt! Fasst an!


    Das Mädchen war leichter als erwartet und schnell trugen wir es in die Wärme.


    Schankwirt, ein Tisch und warme Decken! befahl ich, als wir eintraten. Sofort räumten einige Gäste einen Tisch frei und setzten sich zu anderen Leuten an die Tische und ein Sklave eilte mit warmen Decken herbei. Wir legten das Mädchen sorgfältig auf den Tisch, gut eingewickelt in die warmen Decken.


    Gibt es hier auch etwas Warmes zu trinken? Einen Würzwein oder so?

  • Von den nahenden Rettern bekam Ygrid nichts mehr mit. Besinnungslos lag sie da. Möglicherweise spielten sich in ihrem Kopf gerade die letzten Bilder ihres Lebens ab, so wie man es manchmal schon von Sterbenden gehört hatte, die dann doch auf wundersame Weise wieder ihren Weg ins Leben zurückgefunden hatten. Vielleicht waren da wieder ihr Bruder, dessen Knochen inzwischen längst in den Rheinauen verblichen waren, oder ihr Haus und das Dorf, drüben auf der anderen Seite im freien Germanien. Vielleicht waren da auch ihre Eltern, die ihr zulächelten und sie ermutigten, doch endlich loszulassen.


    Ihre Retter hatten sich entschlossen, sie in die nächstgelegene Schänke zu bringen. Womöglich sogar die, die sie ursprünglich für sich selbst und ihren feuchtfröhlichen Abend auserkoren hatten.
    Der leblose Körper wurde auf einen Tisch gelegt und in warme Decken eingewickelt. Der dickbäuchige Wirt hinter dem Schanktisch beobachtete einen Moment die aufkommende Hektik in seiner Schenke, dann reagierte er und goss warmen Würzwein in einen Becher, den eine hinkende Bedienung, die bereits ihre besten Jahre hinter sich hatte, den Soldaten an den Tisch brachte. Er selbst trat auch gemächlich hinter seinem Tresen hervor und watschelte zielstrebig zu dem Tisch hinüber, um einen Blick auf das Mädchen werfen zu können. Während die Bedienung den Becher mit einem „Bitteschön!“ überreichte, konnte der Wirt erleichtert feststellen, dass das junge Ding keines seiner Mädchen war. Besonders die neuen unter ihnen, die noch nicht so gefügig waren, versuchten in den ersten Tagen zu fliehen. Doch noch keiner war wirklich die Flucht gelungen. Spätestens nach ein oder zwei Tagen hatte man sie wieder eingefangen oder sie waren freiwillig wieder zurückgekommen. Aber die hier gehörte nicht zu ihm, obgleich sie gar nicht so schlecht aussah. Falls sie überleben sollte, konnte er immer noch den obersten der Soldaten fragen, ob man sie ihm nicht doch überlassen konnte. Für eine gewisse Summe natürlich.


    Die Bedienung blieb ebenfalls am Tisch stehen, um abzuwarten, ob der Würzwein seinen Zweck erfüllte, nachdem man ihm dem Mädchen eingeflößt hatte. Und in der Tat, das warme anregende Getränk rann sanft in Ygrids Kehle hinab und begann sogleich wieder ihre Lebensgeister zu wecken. Auch die warmen Decken trugen ihren Teil dazu bei, dass das Leben allmählich wieder in die Glieder des jungen Mädchens zurückkehrte. Die Götter hatten sich also entschieden, das Menschenkind sollte leben! Hin und hergeworfen in jener fremden Welt. Sie waren es längst noch nicht überdrüssig, weiter mit ihr zu spielen.


    „Vielleicht sollte einer mal ihr die nassen Klamotten ausziehen, sonst holt sie sich doch noch den Tod!“, schlug die hinkende Bedienung vor, nachdem sie beobachtet hatte, wie sich die Augenlider des Mädchen bewegt hatten und sie zusehends wieder zu sich kam.

  • Ich konnte mich in der Schenke etwas im Hintergrund halten, denn die Unteroffiziere hatten übernommen und verrichteten die Taten, welche sie auch mit einem der Ihren unternommen hätten. Der Würzwein wurde dem Mädchen ganz vorsichtig und langsam eingeflösst und aufmerksam wurde beobachtet, ob eine Reaktion gezeigt wurde und welche.


    Als dann eine erste Reaktion erfolgte, stand ich beim Wirt, der sich ebenfalls zu uns gesellt hatte und beobachtete, sicherlich zum zu sehen, ob das Mädchen ihm bekannt sei oder nicht.
    Du! Hast du ein Hinterzimmer mit einem wärmenden Feuer? Falls ja, dann brauchen wir es, und frische Kleidung für das Mädchen!
    Diese Ansage gefiel dem Wirt überhaupt nicht. Na gut, mit einem Raum konnte er ja noch leben, immerhin würde er diesen später auch zu einem entsprechenden Preis auf die Rechnung setzen. Aber Kleider? War er denn eine Schneiderei?


    Herr, verzeiht ... begann er daher.


    Nichts da! Das Mädchen braucht jetzt Wärme und frische Kleider, oder möchtest du, dass ich dich zur Verantwortung ziehe, wenn sie stirbt? fuhr ich ihm über den Mund.
    Der Dicke wurde bleich und kuschte. Wenig später zeigte er mir den Weg in einen kleinen Raum, erhellt von etlichen Öllampen und einem prasselnden Feuer in der entsprechenden Feuerstelle. Ein Bett, ein Tisch und 2 Stühle waren sonst alles, was an Möbeln vorhanden war und es war klar, zu welchem Zweck dieses Zimmer sonst diente, doch dies war mir im Moment egal.


    Wir brauchen jetzt die Kleider und noch mehr Decken! Das Zimmer wird reichen.


    In diesem Moment rauschte ein junges hübsches Ding mit langen blonden Haaren herein, legte hastig frische germanische Frauenkleider auf das Bett und verschwand wieder, bevor ich wirklich begriffen hatte, wer sie war und woher sie gekommen war.


    Ich machte mich zurück zu den Anderen in der Schenke. Das Zimmer ist bereit, wie geht es dem Mädchen? Ist sie schon wieder bei uns oder müssen wir sie tragen?

  • Inzwischen hatte Ygrid nahezu die ganze Aufmerksamkeit der Schenkenbesucher und des dort beschäftigten Personals auf sich gezogen. Dem einen oder anderen mochte es gleich sein, was mit ihr geschah. Schließlich war sie eine Fremde und ihrem zerlumpten Äußeren nach zu urteilen, womöglich eine entlaufene Sklavin oder noch Schlimmeres. Manch andere aber fieberten mit ihr, ob sie es schaffen würde.


    Der warme Würzwein löste dann doch noch eine Reaktion aus. Die sich ausbreitende Wärme holte Ygrid wieder von jenem Punkt zurück, an dem sie sich befunden hatte - zurück ins Leben. Vorsichtig öffneten sich ihre Augen einen Spalt weit, so dass das schummrige Licht hineinfallen konnte. Sie sah zunächst alles verschwommen, doch mit der Zeit zeichneten sich Gesichter ab. Gesichter von Fremden, Gesichter von Männern, die in der Sprache der Römer sprachen und deren Sinn sie im Augenblick noch nicht erfassen konnte. Sie gab ihrerseits einige unverständlich gemurmelte Worte von sich. Wenn man genau hinhörte, so konnte man daraus germanische Wortfetzen entnehmen, im Dialekt gesprochen, dem man sich nördlich der Laugona* im Siedlungsgebiet der Chatten bediente. Stück um Stück kam ihr Bewusstsein wieder und sie realisierte langsam, dass sie auf etwas Hartem lag. Warme Decken waren um ihren Leib geschlungen. Die Männer, die um sie herumstanden und besorgte Gesichter machten, waren nicht irgendwelche Männer. Es mussten… nein, es waren römische Soldaten! Diese Erkenntnis löste Furcht und Entsetzen in ihr aus. Ihre Augen weiteten sich, sie wollte nur weg von hier! Doch sie war nicht fähig, etwas zu tun. Die Decken, die sie nun wärmten, waren gleichzeitig wie Fesseln, die sie an Ort und Stelle bannten. Jetzt, über ein Jahr nach ihrem Ausbruch aus dem Carcer, war man ihr doch noch habhaft geworden. Alles war umsonst gewesen. Die abenteuerliche Flucht, die Zeit bei Carbo und alles andere. Tränen begannen ihre Augen zu füllen. Doch sie wollte nicht heulen und jammern oder gar um Gnade betteln. Diesmal würde sie sich ihrem Schicksal ergeben.


    Natürlich hatte Ygrid nicht erfassen können, was inzwischen im Hintergrund geschehen war. Dass man für sie eine geheizte Kammer organisiert hatte und dass eines der Mädchen, wohl auch eine Germanin von „drüben“, die für den Wirt arbeitete, ihr Kleidung – germanische Kleidung, gespendet hatte.
    Als die Soldaten, die um sie herum standen, nun Andeutungen machten, sie solle sich doch erheben, nickte sie gefasst. Hände in ihrem Rücken halfen ihr auf, bis sie aufrecht auf dem Tisch saß. Sie brauchte einen Moment, denn sie spürte ein Schwindelgefühl und Beklommenheit. Einer der Männer hob sie vom Tisch und stellte sie auf ihre Füße. Als ihre Beine drohten einzuknicken, griffen starke Hände nach ihren Oberarmen, um sie festzuhalten. Ygrids Blick sank, sie wollte sich nicht mehr wehren, sondern ergab sich, ganz gleich wohin man sie nun brachte und was man mit ihr dort vorhatte.


    *= Lahn

  • Den Göttern sei Dank kam das Mädchen ziemlich schnell wieder zu sich. Bereits als ich aus der Nebenkammer wieder in den Schankraum trat, versuchten meine Leute sie auf die Beine zu stellen, was mit etwas mehr oder weniger Unterstützung auch gelang. Doch natürlich war sie noch nicht wirklich aufnahmefähig und ihr Verhalten ähnelte eher dem einer Puppe als einer jungen Frau.


    Gut, dann bringen wir sie nun in die Kammer und lassen sie schlafen!


    Ich überwachte diesen Vorgang, stellte sicher, dass die nassen Kleider in der Kammer ohne Übergriffe ausgezogen wurden und die neuen Kleider ebenso vorsichtig, nachdem die Kleine zuvor mit einer Decke abgetrocknet worden war, wieder angelegt wurden. Dann wickelten wir sie wieder in möglichst viele Decken ein und legten sie fürsorglich auf das Bett.
    Nach erledigter Arbeit traten alle Männer vom Bett zurück und blickten zu mir. Ich war zufrieden, nickte ihnen zu und nahm einige Münzen aus meinem Geldbeutel.


    Hier Männer, lasst es euch schmecken. Das war richtig so! Ich war dankbar, dass ich mit Offizieren und Unteroffizieren zu tun hatte, die hier in Germanien zuerst Menschen sahen und nicht Feinde oder Germanen.


    Selbst wartete ich noch, ob das Mädchen gleich einschlafen würde.

  • Seltsam behutsam gingen sie mit ihr um, so hätte man sicher am ehesten das Verhalten der Soldaten beschreiben können. Ygrids Erfahrungen mit Militärangehörigen der römischen Armee hatten sich bisher nur auf kriegerische Auseinandersetzungen und deren Folgen für die Besiegten beschränkt. Sie bot ihre letzten Kräfte auf und ließ sich hinausführen. Alles um sie herum erschien ihr so unwirklich. Das mussten die Auswirkungen ihrer Unterkühlung sein! Am Ende träumte sie das alles nur und in Wirklichkeit lag sie noch immer draußen auf der Straße und erfror langsam. Nur so konnte sie es sich erklären, dass die Soldaten sie nicht aus der Taberna führten, um sie wieder in den Carcer zu sperren, sondern in eine warme Kammer, sie anscheinende extra für sie hergerichtet worden war. Die Frau aus dem Schankraum, die hinkende Bedienung, war auch dort. Sie half ihr aus ihren nassen Kleidern, trocknete ihren Leib und lächelte ihr freundlich ins Gesicht. Scheinbar wie aus dem Nichts hatte sie frische Kleidung gezaubert. So wie sie es von zu Hause gewohnt war. Germanische Kleidung! Nicht dieses römische Zeug.
    Der Geruch der sauberen Kleidung und die Wärme, die in der Kammer herrschte verschafften ihr etwas Linderung. Den Rest besorgte ein tiefer erholsamer Schlaf, in den sie recht bald fiel, nachdem man sie behutsam auf ein Lager bettete.



    Auf die Frage, wie lange sie denn nun geschlafen hatte, konnte sie keine Antwort geben. Ob es nur ein paar Stunden waren oder mehrere Tage waren. Die Erinnerungen jedoch, die sie an jenen Abend bei sich trug waren verschwommen und ganz unwirklich. Fakt jedoch war, dass Ygrid, als sie irgendwann aufwachte, sich in einer geheizten Kammer wiederfand, gekleidet in einfacher aber sauberer und intakter germanischer Kleidung. Es war also nicht alles ein Traum gewesen. Was aber hatte es mit den römischen Soldaten auf sich? Hatten sie Ygrid wirklich gerettet und wenn ja, weshalb?


    Kurzerhand wand sie sich aus den Decken heraus und versuchte aufzustehen. Noch fühlte sich Ygrid etwas schwach auf den Beinen, doch ihr Körper verlangte nach Nahrung. Vorsichtig und fast lautlos begab sie sich zur Tür und versuchte diese, erst einen Spalt und sie dann immer weiter zu öffnen, bis sich schließlich aus der Kammer hinausschieben konnte. Draußen hörte sie Stimmen – römische Stimmen.

  • Meine Männer und ich hatten uns an den Tisch gesetzt, welcher den besten Blick auf die geschlossene Tür zur Kammer ermöglichte. Dies erstens um sicher zu stellen, dass niemand den Schlaf der jungen Frau störte und zweitens natürlich auch um zu merken, wenn jene wieder erwachte. Dies war nun anscheinend der Fall, denn die Tür öffnete sich langsam und vorsichtig, bis sich die schlanke Gestalt durch den engen Spalt hindurchdrückte.


    Es war schon spät geworden und einige der Unteroffiziere und Offiziere waren ins Lager zurückgekehrt, auch mit Mitteilungen über den Vorfall.


    Sofort erhob ich mich und ging zu ihr hin.


    Den Göttern sei Dank, du bist wieder wach und lebst! Nun musst du sicher Hunger haben. Komm, setz dich zu uns und iss!


    Ich hatte alles für diesen Moment vorbereitet gehabt und der Wirt wusste auf meinen Wink hin sofort, was ich erwartete. Während ich die junge Frau vorsichtig zu unserem Tisch lenkte, was ihr offensichtlich nicht ganz angenehm war, brachte der Wirt schon den dampfend heissen Brei und stellte ihn vor ihr auf den Tisch.

  • Noch ehe Ygrid wieder in die Kammer zurückweichen konnte, hatte man sie bereits entdeckt. Offenbar waren einige ihrer Retter in der Taberna geblieben und „bewachten“ sie nun. Einer von ihnen trat ihr entgegen und sprach auf sie ein. Die meisten seiner Worte verstand sie, so dass sie den Sinn dahinter ergründen konnte. Der Soldat freute sich offensichtlich über ihr Überleben. Weshalb, konnte sie sich nicht richtig erklären. Womöglich wollte er Rache nehmen für das, was sie und die anderen damals, vor über einem Jahr angerichtet hatten. Doch zunächst wollte er sie mit an seinen Tisch führen, an dem auch die anderen Soldaten saßen. Er glaubte, dass sie Hunger hatte. Und damit hatte er vollkommen Recht! Sie war hungrig. Und wie sie hungrig war! Vollkommen ausgehungert. Seit Tagen hatte sie nichts mehr Richtiges gegessen. Einen verschrumpelten Apfel und ein Stück trockenes Brot waren alles gewesen, was ihr der Bauer gegeben hatte, bei dem sie untergekommen war. Aber ihren Proviant hatte sie schon vor Tagen verbraucht.


    So ging Ygrid, wenn auch zögerlich, mit ihm, in der Hoffnung etwas zu essen zu bekommen. Der Anblick der Soldaten ließ sie immer noch erschaudern. Wieder glaubte sie, immer noch in ihrem Traum zu sein, in dem alles irgendwie verquer war. In dem römische Soldaten plötzlich Lebensretter waren und sie freundlich behandelten, ja sogar ihren Hunger stillen wollten.


    Als sie den Tisch erreichte und die Soldaten mit ängstlichen Blicken musterte, kam der Wirt mit einem Teller dampfenden und wohlduftenden Breis und stellte ihn vor ihr ab. Bei diesem Anblick lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Sie überlegte kurz, was sie tun sollte. Noch einmal sah sie fragend in die Gesichter der Soldaten. Dann entschloss sie sich zu setzen, nachdem kein Einwand gekommen war, begann sie den Brei mit einem Löffel hinunterzuschlingen obwohl er noch so heiß war.
    Nachdem sie beinahe die Hälfte gegessen hatte, fragte sie sich, was wohl der Preis dafür war. Sicher würden die Soldaten sie nicht einfach so wieder gehen lassen. Vielleicht wussten sie sogar bereits, wen sie vor sich hatten. Und wenn nicht, was sollte sie ihnen erzählen? Etwa die Wahrheit? Oder ein weiteres Lügengespinst, in dem sie sich heillos verheddern konnte. Eigentlich wollte sie nicht mehr weglaufen. Vielleicht würde man ja gnädig mit ihr sein.


    Nach dem letzten Bissen ließ sie satt und zufrieden den Löffel sinken und legte ihn in den leeren Teller zurück. „Danke für Essen!“, kam es leise mit starkem chattischen Akzent aus ihrem Mund.

  • Als die Frau dann endlich ihr Essen verschlungen hatte, anders konnte man das nicht nennen, was wir soeben beobachtet hatten, sprach sie auch zum ersten Mal. Es war nicht fliessendes Latein, nein, es war äusserst gebrochen und die Fälle stimmten auch nicht, aber es war Latein.


    Wie heisst du? Woher kommst du? fragte ich sie freundlich, denn ich hatte keine Ahnung wer das sein konnte.


    Ich bin Lucius Annaeus Florus Minor, Tribun der Legio hier in Mogontiacum. stellte ich mich dann ganz langsam vor, damit sie mich hoffentlich verstehen würde.

  • Dass die Fragen nach ihrer Person und Herkunft nicht ausbleiben würden, hatte sich Ygrid schon gedacht. Zu fragen, wer sein Gegenüber ist, lag eben einfach in der Natur des Menschen. Dabei spielte es auch keine Rolle, ob derjenige Römer oder Germane war. Dem Römer gegenüber hatte sie noch immer einige Ressentiments, die die junge Germanin so einfach nicht ablegen konnte. Sicher, dieser Römer war nett und freundlich. Wenn er und seine Männer sie nicht gerettet hätten, dann wäre sie mit größter Wahrscheinlichkeit nun tot gewesen. Also war es ihm alleine schon aus diesem Grund nicht schon zu fragen gestattet, wen er denn da gerettet hatte? Außerdem hatte er ihr ja selbst auch seinen Namen offenbart. Wobei Ygrid mit der Bezeichnung ‚Tribun der Legio‘ recht wenig anfangen konnte, weshalb sie sie für einen weiteren Namen hielt. Diese Römer hatten ja die Unsitte scheinbar unendlich viele Namen zu tragen. Das hatte sie auch gelernt, seitdem sie auf der römischen Seite des Rhenus lebte.
    Nach einem kurzen Zögern, weil sie auch nach den rechten Worten suchen musste, antwortete sie schließlich: „Mein Name… Ygrid.“ So deutlich wie möglich sprach sie den für römische Ohren fremdklingenden Namen aus. Dabei deutete sie auf sich. „Ich kommen von andere Seite. Freie Germanien“, antwortete sie weiter und versuchte dabei so normal wie möglich zu klingen. Noch waren ihre Antworten recht unverfänglich. Letztendlich überquerten tagtäglich unzählige Menschen den Limes, um ihr Glück im römischen Imperium zu suchen. Manchmal scheiterten sie eben auch dabei.

  • Eine freie Germanin, das erklärte natürlich die zögerliche Sprache! In den Augen der verbliebenen Kollegen konnte ich ähnliche Gedanken erkennen und natürlich war jetzt etwas mehr Vorsicht geboten, als wenn sie sich als Tochter irgend eines kleinen Handelsmannes zu erkennen gegeben hätte.


    Von welchem Stamm kommst du, Ygrid? fragte ich möglichst langsam und deutlich. Ich hoffte inständig, dass ich nicht auf die paar Brocken der äusserst unaussprechlichen germanischen Sprache zurückgreifen müsste, welche ich aufgeschnappt hatte. "Stamm" war mir gerade noch bekannt, aber wie ich dazu die korrekte Frage stellen sollte, war mir ein Rätsel.

  • Sobald Ygrid das freie Germanien erwähnt hatte, konnte sie in den Gesichtern der Römer eine Nuance von Misstrauen feststellen. Das gleiche Misstrauen, mit dem sie jedem Römer begegnete, seitdem sie auf der linken Seite des Limes gestrandet war. Andererseits, wieso sollten sich diese Männer vor einem Mädchen, wie sie es war, fürchten? Befürchteten sie vielleicht, sie könnte eine Spionin sein? Doch für wen oder was hätte sie spionieren sollen? Alles was ihr wichtig war, war verloren.


    Der Soldat beließ es natürlich nicht bei der Frage nach ihrer Herkunft und ihres Namens. Als nächstes interessierte er sich für ihren Stamm. Dabei benutzte er einen Begriff aus ihrer eigenen Sprache. Er sprach langsam, so dass sie begriff, was er von ihr wollte. „Chatti“, antwortete sie und deutete dabei auf sich selbst. Vielleicht beruhigte diese Antwort wieder die Gemüter der Männer, denn die Römer und Chatten hatten vor einigen Jahren einen Bund miteinander geschlossen. Ob sich jedoch daran in der Zwischenzeit etwas geändert hatte, konnte sie nicht sagen.

  • Einer der noch anwesenden Offiziere stiess deutlich hörbar den angehaltenen Atem wieder aus, nachdem die junge Frau, Ygrid, deutlich den Namen der Chatti genannt hatte. Ja, die Chatti waren nicht gerade der einfachste Stamm im freien Germanien, es gab immer wieder Teile von ihnen, welche die römische Herrschaft auf der anderen Seite des Limes nicht tolerieren wollten, doch der grösste Teil des Stammes war durch einen Bund mit den Römern verbunden, auf welchen man sich immer wieder berufen konnte.


    Trotzdem schickte ich einen vernichtenden Blick in Richtung des Mannes, den ich für schuldig hielt. Eine derart offene Bekundung von Erleichterung war nicht was ich mir gewünscht hatte und die entsprechende Bestrafung würde auf jeden Fall folgen.


    Aber nun zurück zu Ygrid. Nachdem wir nun wussten wer sie war und dass sie hier fremd war, stellte sich natürlich die Frage nach ihrer Unterkunft. Irgendwo musste sie ja sicher untergebracht werden, bevor wir sie wieder sich selbst überlassen konnten.


    Wen kennst du hier? Wo kannst du bleiben? fragte ich daher weiter und versuchte mein Latein wie zuvor auch möglichst einfach zu halten.

  • Wie sehr es einige der Soldaten beruhigte, als Ygrid das Wort „Chatti“ ausgesprochen hatte, konnte sie kurz darauf deutlich hören, als einer der Männer hörbar seinen angehaltenen Atem ausstieß. Ihr Blick schweifte kurz zu ihm. Wäre er ihr vor zwei Jahren begegnet, hätte er so wohl nicht reagiert. Denn dann hätte er vor ihr auf der Hut sein müssen. Doch inzwischen war aus der wehrhaften und selbstbewussten Schildmaid eine trostlose, jämmerliche und bettelarme Gestalt geworden, die nicht wusste, wie sie den nächsten Tag bestreiten sollte.


    Dem Anführer, der sie die ganze Zeit schon befragte, schien das Verhalten seines Mannes nicht so recht zu gefallen, was er mit einem mahnenden Blick deutlich machte. Umso mehr war die Germanin nun auf seine Reaktion ihr gegenüber gespannt. War auch er darüber erleichtert, eine Chattin vor sich zu haben? Vielleicht. Zumindest bohrte er nicht weiter, wie sie hierhergekommen war. Vielmehr wollte er von ihr über ihre möglichen Kontakte und Unterkunftsmöglichkeiten erfahren. Doch damit konnte sie überhaupt nicht aufwarten. Den einzigen Menschen, den sie in Mogontiacum kannte und der ihr hätte Unterkunft bieten konnte, war verschwunden. Aus diesem Grund war sie ja in diese fatale Situation geraten, aus der die Soldaten sie gerettet hatten.
    Ygrid zuckt nur traurig mit den Schultern als Antwort. Ihr fehlten schlicht die Worte, wie sie es ihm auf Latein hätte erklären können. Schließlich liefen ihr Tränen über die Wangen. „Es gibt niemanden, den ich hier kenne. Der, den ich kannte ist weg! Einfach weg! Ich bin allein! Ganz allein! Verloren. Ich habe niemanden mehr!“, brach es schluchzend in ihrer Muttersprache aus ihr heraus, ungeachtet dessen, dass wohl kaum einer der anwesenden Römer sie verstand.


    Sim-Off:

    kursiv = germanisch

  • Offensichtlich überstieg meine Frage das Latein der jungen Germanin und ihre auf Germanisch unter Tränen geschluchzten Worte überstiegen mein Können in dieser Sprache. Einzig "niemand" glaubte ich zu verstehen und wiederholte es daher vorsichtig und fragend, in der Hoffnung, dass die Frau das nicht bestätigen würde.


    In meinem Kopf drehte sich schon allerlei und ich überlegte bereits, was es mich kosten würde, die Frau hier oder in vielleicht bei Dativius, dem Händler bei dem ich bereits den Filz für die Tibialia der Legio gekauft hatte, unterzubringen.

  • Die Trauer übermannte Ygrid. Lange Zeit hatte sie versucht, den Gedanken an ihre ausweglose Situation zu unterdrücken. Sie hatte sich immer wieder eingeredet, dass irgendwie alles gut werden würde. Carbo war sozusagen ihr letzter Strohhalm gewesen, an den sie gehofft hatte, sich anklammern zu können. Aber Carbo war fort. An seine Stelle waren nun diese Handvoll Soldaten gerückt, die sie gerettet hatten. Die Götter trieben schon ein seltsames Spiel mit ihr!


    Schluchzend wischte sie ihre Tränen fort, als der Soldat unsicher und fragend das germanische Wort für niemand wiederholte. Es war unwahrscheinlich, dass er oder die anderen verstanden hatten, was sie in ihrer Not gesagt hatte. Womöglich hatte er dieses eine Wort verstanden, wenn überhaupt. „Ja, niemand, schluchzte sie.


    Ygrid versuchte sich wieder zu konzentrieren, um zurück ins Lateinische zu wechseln. Natürlich brauchte es seine Zeit, bis sie die richtigen Wörter fand, die einigermaßen ihre Lage beschreiben konnten.
    „Ich kommen mit Bruder. … Vor zwei Jahr. … Bruder … tot. Niemand haben. …Carbo mir helfen. …. Carbo weg!“ Die lateinischen Worte gingen ihr nicht leicht über die Lippen, darum versuchte sie mit Gesten das Gesagte zu unterstützen.

  • In meinem Kopf ging ich alle Leute durch, welche ich hier kennengelernt hatte. Carbo ... Carbo? Nein, da war nichts.


    Ich schaute zu meinen Männern und erntete auch bei ihnen bloss Schulterzucken. Niemand schien einen Carbo zu kennen. In diesem Moment durchzuckte es mich:


    Norius Carbo? fragte ich einfach drauflos. Die Chancen waren gering, aber es war der einzige Carbo der mir jemals irgendwie untergekommen war, auch wenn bloss als Name.

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