Die ersten Schneeflocken waren in der Nacht gefallen und noch immer tänzelten sie still zu Boden. Draußen auf den Feldern war der Schnee liegen geblieben, doch auf der Straße hatte sich ein schmutzig-brauner, glitschiger Matsch gebildet. Ygrid schlang den löchrigen Fetzen, der ihr als Mantel diente, noch enger um ihren schmalen Körper. Ihre Finger waren rot vor Kälte. Die Sohle der Schuhe, die sie an ihren Füßen trug, war löchrig. Das führte dazu, dass der Matsch in ihre Schuhe eindringen konnte und sich ihre Füße langsam wie Eisklumpen anfühlten.
Im Nachhinein musste sie sich eingestehen, dass es eine dumme Idee gewesen war, Mogontiacum und ihren Retter zu verlassen. Eigentlich wollte sie „nur mal kurz“ in die Stadt gehen. Doch bald hatte sie erkannt, dass die Stadt noch immer fremd und gefährlich für sie war. Sie war ein Fremdkörper, den – wenn man ihn entdeckte, sofort entfernen würde. Auf keinen Fall wollte sie zurück in den Carcer! Zu Hause im freien Germanien gab es aber auch nichts mehr, wohin sie hätte gehen können. Als sie schließlich zu Carbo zurückkehren wollte, wurde ihr klar, dass sie sich verirrt hatte.
Einige Tage hatte sie sich in der Stadt herumgetrieben, dann war es ihr irgendwie gelungen, ihr den Rücken zu kehren. Draußen auf dem Land fühlte sie sich wohler und sicherer. Dort konnte sie sie sich besser verständigen und die Leute dort nahmen sie auf, ohne viele Fragen zu stellen.
Sie war bei Bauern untergekommen und bot sich ihnen als Arbeitskraft an. Im Gegenzug erhielt sie Kost und Logis. Vom Frühjahr bis in den Herbst gab es auf den Feldern viel zu tun. Der Winter gestaltete sich meist etwas ruhiger. Über ein Jahr hatte sie so gelebt. Doch Norius Carbo, ihren Retter, hatte sie in all dieser Zeit nicht vergessen. Wie es ihm wohl ging und wie er sich gefühlt hatte, nachdem sie fort gegangen war. Solche Fragen hatte sie sich immer wieder gestellt. Ihr Gewissen, etwas Schlechtes getan zu haben, nagte an ihr, bis sie schließlich nicht mehr anders konnte und die Bauersleute, die ihr Unterschlupf geboten hatten, verließ.
Der Wintereinbruch hatte sie überrascht. Völlig durchgefroren und nass vom Schnee, der auf ihre Kleidung gefallen war, schwand ihre Hoffnung, jemals Mogontiacum lebend zu erreichen. Jeder Schritt wurde mal zu mal schwerer und schmerzhafter. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Ygrid aufgeben musste.
Glücklicherweise hatte ein Fuhrmann, der sie mit seinem Wagen an ihr vorbei gefahren war, Erbarmen und hielt an. Er nahm sie auf seinem Wagen mit und gab ihr von seinem Reiseproviant etwas ab. Gemeinsam erreichten sie schließlich Mogontiacum, wo sich ihre Wege wieder trennten.
Da sie inzwischen gelernt hatte, etwas besser zu verständigen, frage sie sich durch, um zur Unterkunft ihres damaligen Retters zu kommen. Schließlich hatte sie das Haus gefunden, in dem sie vor über einem Jahr mit Norius Carbo gewohnt hatte. Doch ihre Hoffnungen wurden ein für alle Mal zerstört, als sie erfuhr, dass er fort war. Weg! Auf Wanderschaft nach Rom!
Nun war sie wirklich verloren! Entkräftet sank sie zu Boden und blieb einfach liegen. Sollten die Götter nun entscheiden, wie ihr weiteres Schicksal aussah.
Wer will, der darf!