Cubiculum | Galeo Seius Ravilla

  • Die Villa Flavia Felix hielt stets einige wenige Gästezimmer für unerwartete Besucher bereit, sodass lediglich nach dem Gespräch mit dem Sohne des Hausherrn ein Sklave hinforteilen musste, um das entsprechende Gemach mit dem Maiordomus zu definieren und den jungen Seius dorthin zu eskortieren. Das Zimmer verfügte über einen kleinen Vorraum, in welchem ein Diener mochte schlafen, dahinter tat sich ein bescheidenes, doch geschmackvoll eingerichtetes Cubiculum mit einer Kline, einer Truhe, einem Hocker, einem Schreibpult sowie einem von Läden verschlossenen Fenster zur Straße auf. Zweifelsohne war dieses im Obergeschoss platzierte Gemach nicht das prächtigste aller Gästezimmer, doch durchaus ordentlich und wohl auch einem Freund der Familie zuzumuten.

  • Anaxis verteilte die bunten Kissen und Decken seines Herrn über dem Mobiliar. Sie hatten Ravilla aus Cappadocia nach Roma begleitet, um sein Heimweh zu lindern, dienten jedoch auch dazu, das Fenster teilweise oder ganz vom Sonnenlicht abzuschirmen, welches bisweilen eine schmerzhafte Macht über Ravillas Empfindungen hatte. Ravilla opferte Sol invictus täglich, damit dieser ihn verschonte. Gegenwärtig wirkte der Sonnengott gnädig und Ravilla ließ am heutigen Tage die Vorhänge offen zum Zeichen des Friedens.


    Es lief alles besser, als er zu hoffen gewagt hatte. Selbst Anaxis hatte eine kleine Vorkammer zur Verfügung gestellt bekommen, worüber dieser sich freute. Auf dem Boden schlief kein Sklave gern, was Ravilla wenig bekümmerte, denn Anaxis besaß ein Kissen und eine Decke.


    Nach Vollendung des ersten Tagewerks in den ehrwürdigen Hallen der Villa Flavia Felix fiel Ravilla in einen zufriedenen Schlaf. Sein letzter Gedanke betraf seine Freunde in der Casa Leonis, von welchen er sich in Dankbarkeit verabschieden würde, wenn er seine letzten Habseligkeiten holte.

  • Ravilla fand die beiden Schreiben - eine Notiz und ein Brief - welche Anaxis aus dem Postfach geholt und seinem Herrn nebst einer kleinen Nascherei bereitgelegt hatte. In einer freien Minute, von welchen Ravilla nicht allzu viel verzeichnen konnte in letzter Zeit, naschte er die Aufmerksamkeit und nahm noch die Süße auf der Zunge schmeckend zunächst die Notiz zur Hand. Er las die Grußworte von Saturninus, welche ihn lächeln ließen. Bündig und sachlich, wie es der Art des Kanzleimitarbeiters entsprach, und doch nicht ohne Herz verfasst.


    Das eigentliche Schreiben jedoch, reich verziert, welchem die Notiz beilag, sorgte dafür, dass Ravilla sich erfreut erhob.


    "O ihr Götter!", tönte sein Jubelschrei.


    Der Weg in den Senat erschien ihm nun nicht mehr lang und steil - er lag eben, weiß und glänzend wie eine Prachtstraße vor ihm!

  • Im weißen Schlafgewand saß Ravilla auf der Kante seiner Liegestatt. Der Geschmack von Zitronensaft und Salz brannte auf seiner Zunge. Ein wenig vermochte diese Mixtur die Pein seiner Wetterkrankheit zu lindern, so diese sich noch im Anfangsstadium befand. Qualvoll waren die letzten Wochen verlaufen, doch nun konnte Ravilla sich immerhin wieder erheben, ohne sogleich von Schwindel erfüllt wieder niederzusinken. Das tägliche Erbrechen war verebbt, die Schmerzen seines verätzten Rachens nach Tagen der Genesung verklungen. Der vernichtende Kopfschmerz hatte sich in seinen rechten Augapfel zurückgezogen, den er sich zur Wohnstatt hatte auserkoren, und ruhte nach der Zeit des Wütens, nur hin und wieder leis sich noch regend.


    Anaxis bereitete soeben alles vor, damit sein Herr heute erstmals seit langem wieder arbeiten konnte. Ein belebendes Bad, ein magenschonendes Frühstück und warme Kräutersude als Getränk würden helfen, den Tag mit der notwendigen Mindestleistung, um ihn als Arbeitstag titulieren zu können, zu überstehen.


    Ein Schmunzeln stahl sich gar auf die blassen Lippen, als Ravilla daran dachte, wie vortrefflich er das Klischee des faulen Magistrates in den letzten Wochen hatte erfüllt.

  • Erfüllt von Wehmut betrachtete Ravilla das geräumige Zimmer an einer der nobelsten Adressen Roms, das er nun gegen die Unterkunft in einem Castellum würde eintauschen müssen. Obgleich nobel eingerichtet, mutete das Cubiculum steril und leer an, seit Ravilla seine Sachen hatte packen lassen. Abschied hatte er genommen von allen, die ihm lieb und teuer waren. Von seinem edlen Patron, dem weisen Wegbereiter. Von des Flavius Gracchus' Sohn, in dessen Obhut Ravilla sein Tirocinium fori hatte absolvieren dürfen. Und letztlich von seinem einzigen Freund Saturninus, den er seit dessen Krankheit nicht ein einziges Mal hatte zu Gesicht bekommen. Alles ward getan.


    Nun, vielleicht hätte er auch von seinem Bruder Abschied nehmen sollen, welcher bei den Cohortes Praetoriae seinen Dienst versah, so wie es der Anstand unter Geschwistern gebot. Doch schwärte in ihm die Gewissheit, dass es in Stilos Sinne sei, wenn Ravilla den persönlichen Abschied in der Eile "vergaß".


    Ein letzer Blick, dann war es Zeit zu gehen. Nachdem er die Tür durchschritten hatte, hörte er, wie Anaxis jene hinter ihm verschloss. Ravilla ging in Richtung des Ausgangs, wo die Reisegruppe wartete, bald gefolgt von dem Leibsklaven, der nichts mehr tragen musste, da alles bereits verbracht worden ward. Ein wenig Trauer war in Ravillas dunklen Augen vielleicht zu verzeichnen, wenn er an das frostige Verhältnis zu seinem Bruder dachte, doch mochten die Dinge sich gewandelt haben, wenn Ravilla, gereift vom Dienst bei der Legio, heimkehrte nach Roma caput mundi. Schwerer wog der Abschied von den Flaviern und seinem Freund.


    Am größten jedoch die Trauer über die unveränderte Abwesenheit der lieblichen Schwester, die auf Geheiß des Vaters noch immer in Achaia weilte. Sie eines Tages wiederzusehen - jene Hoffnung verblich mit jedem Schritt seiner Karriere mehr, so wie das Licht am Abendhimmel, wenn Nox ihren schwarzen Schleier über das Imperium legte. "Jetzt erscheinet die Nacht, mit Mohn bekrönet die sanfte Stirn; es folget ihr nach schwärzlicher Träume Gebild." 1


    Gemessen schritt Ravilla durch die nächtlich leeren Hallen, wo seine Schritte ein Echo warfen, fort, hinaus, um seine Reise in den kalten, umkämpften Norden des Imperiums anzutreten.


    Sim-Off:

    1 Ovid Fasti 4,661f

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