Megalesia | Der Zug der Galli

  • Lurcos Blick schwenkte sofort in die Richtung, in die sein Tribun gezeigt hatte. Eine Gruppe, Männer, jugendlich, Fremdländer, mit ärgerverheißenden Blicken die sie in Richtung der Göttin warfen.


    "Wird sofort erledigt", antwortete er knapp Crispus und beorderte sofort einige Männer zu sich.


    Weit ausgefächert gingen die Urbaner auf die Männer zu, so dass die Burschen einkreisen würden. Durch das bunte Treiben der Prozession war das Vorhaben etwas erschwert, aber sie waren Urbaner, sie wussten wie man sich freundlich aber bestimmt Platz verschaffte. Lurco kam auf gleicher Höhe mit Pullus bei der Gruppe an, die Hand auf dem Schwertgriff.


    "Name, Herkunft und Begehr von Euch. Zügig", befahl er schneidend wie befehlsgewohnt.

  • Ravilla indes, noch ergriffen von der Prozession, die an seinem Herz gerührt hatte, trug gemessenen Schrittes die Lorbeerkrone zu seinem Magistraten hervor. Ihn selbst krönte der Lorbeer bereits, doch die grüne Krone dem Aedilis Curulis aufsetzen zu dürfen, war eine Ehre, der er sich bewusst ward. Der Glanz in Ravillas Augen verriet die Rührung, als huldvoll er die Krone hob und sacht sie auf das Haupt des kleinen Mannes senkte. Vorsichtig drückte und drehte er sie ein wenig, bis sie gerade und sicher auf dem Haupte saß. Langsam nahm die Hände er beiseite, den Blick noch auf Flavius Gracchus Minor gerichtet, ehe er, alles zu seiner Zufriedenheit findend, sich abwandte und dem Aedil erneut die ihm zustehende Bühne überließ.


    Als Ravillas Sklave meinte, dass niemand hinsah, tupfte er vorsichtig die Augen seines Herrn trocken, um die schwarze Umrandung der Lider zu retten, was gerade noch einmal gelang.

  • Ein wenig fühlte sich Manius Minor wie ein König, als sein Tiro fori ihn mit dem Laub des Siegesbaumes bekrönte, obschon dies selbstredend eine routinierte Aktivität während eines Opfers im Graecus ritus war. Die Nähe der beiden Männer gestattete es dem Flavius zwar nicht, sich im Detail an Ravillas kunstvoll geschminktem Gesicht zu ergötzen, doch schmeckte er doch den nicht eben dezenten Duft des Jünglings, der ganz konträr zu dem stets geschmackvoll und niemals nicht standesgemäß, doch für gewöhnlich eher dezent-klassisch gekleideten Aedil, dazu neigte, eher ein bisschen zu dick als zu dünn aufzutragen.


    "Dann wollen wir beginnen!"

    , murmelte er dem Seius zu und schenkte ihm ein lächeln, ehe er sich mit gravitätischer Miene dem Kultbild zuwandte.

  • Das Opfer


    372-f9b081ec.jpgMagna Mater Idaea war eine ursprünglich phrygische Gottheit, die ursprünglich eher in einer Art Mysterienkult Verehrung hatte gefunden, deren Restanten die Priesterschaft der Galli noch heute pflegte. Für den Staatskult indessen hatte man ihre Verehrung den römischen Traditionen angepasst, sodass an dieser nicht die beschnittenen Priester in Frauenkleidern, die noch beim Voropfer am Tempel der Götting zu Beginn der Prozession ihre Rolle hatten zu spielen gehabt, sondern der römische Magistrat als Repräsentant des Populus Romanus Quiritum die Gaben hatte darzubringen. Obschon bereits seit vielen Jahrhunderten dieser Kult in jener Form wurde vollzogen, oblag es noch immer den Quindecimviri Sacris Faciundis, diesen zu beaufsichtigen, was seinen Niederschlag in dem Umstande fand, dass sie gleich den Pontifices bei den traditionell-römischen Gottheiten als Opferhelfer fungierten, die Gebete vorsprachen oder einzelne Gaben oder Utensilien anreichten.


    Der Aedilis Curulis hingegen hatte lediglich an seinem Platze zu stehen und jene Vorgaben zu befolgen, die die Priesterschaft ihm vorgab. Zunächst galt es, die kultische Reinheit zu erlangen, wozu man ihm eine Schale mit Wasser darreichte, in welcher er sich die Hände wusch. Unterdessen erklang lautstark der Ruf

    "Favete linguis!"

    , und ein Qundecimvir besprengte die Anwesenden ebenfalls mit Wasser, um sie ebenso wie den Opferherrn zu purgieren. Die Massen, welche oben auf den Rängen des Circus das Schauspiel verfolgten, entgingen hingegen einer Reinigung, da sie doch augenscheinlich hinreichend Distanz zu den Akten an der Spina hatten und es ohnehin eines Einsatzes der Vigiles hätte bedurft, um sie alle mit Wasser besprengen zu können.


    Nun erst war die Weihe des Opfertieres an der Reihe. An dieser Stelle hatte Minor beschlossen, seinen Tiro fori als Opferhelfer zu engagieren, sodass dieser verhoffentlich nun ihm eine Patera reichte und diese mit Wein füllte.

  • Bereits zum zweiten Mal wurde Ravilla diesjährlich die Ehre zuteil, als Opferhelfer fungieren zu dürfen, recht überraschend am heutigen Tag, doch keineswegs unerwünscht, so dass er nur hoffte, keinen Fehler zu begehen. Noch nicht lange war es er, da hatte er für den Senator Annaeus Florus Minor bei dessen Zeremonie im Rahmen der Equirria am Templum Martis Ultoris als Opferhelfer zur Seite stehen dürfen. Im Gegensatz zu jenem Tage bedeckte heute kein Zipfel einer Toga Ravillas Haupt, denn der Lorberkranz ersetzte diese Form der Kopfbedeckung im Graecus ritus zur Gänze.


    Mit den Worten favete linguis versiegelte ein Herold die Münder aller Anwesenden.


    Mehr noch als beim Ritus für Mars spürte Ravilla heute die Präsenz der Unsterblichen, welche die Menschen auf all ihren Wegen unsichtbar begleiteten. Die Mutter lud ein, sich vertrauensvoll in ihre Arme sinken zu lassen, sich ihr mit Haut und Haar hinzugeben oder gleichsam mit Fleisch und Leben, wie es die Galli praktizierten, welchen indes nicht vergönnt war, Bestandteil der jetzigen Zeremonie zu sein. Kybele war keine sanfte Mutter, sie schmeckte gern Feindesblut auf ihren Lippen und in der Heimat wurden nach wie vor Opfergaben dargebracht, welche nicht das Wohlwollen der römischen Schirmherrschaft erweckt hätten. Wie Mars zog sie an der Seite ihrer Söhne in den Krieg - als Ma und Bellona, als Duellona oder Kybele - eine Löwin unter den Göttinnen. Und so war es nur korrekt, dass jene Tiere ihren Wagen zogen.


    Ravillas Hände umschlossen die flache Schale, die man ihm gereicht hatte, und die er nun seinerseits an Flavius Gracchus Minor übergab, um sie im Anschluss mit dem Wein zu befüllen, so dass das Opfertier geweiht werden konnte.

  • Während Gracchus seinen Sohn auf dem politischen Parkett ab und an noch ein wenig kritisch beäugte, stets in Bangen, jener könnte in die Eskapaden seiner Jugend zurück verfallen, so war das öffentliche Opferzeremoniell ein Akt, welchen Minor seit seiner Kindheit in sich hatte aufgesaugt - hatte er seinem Vater doch bereits früh bei großen, bedeutsamen Opfern als Opferhelfer beigestanden -, so dass der pflichteifrige Vollzug dessen den älteren Flavier weder beunruhigte, noch in sonderlich große Euphorie versetzte. Dennoch wohnte er dem Opfer mit der gewohnten Gravitas seines Amtes als Pontifex bei, gänzlich auf den kultischen Ablauf fokussiert.

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    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Umsichtig nahm der Aedil die Patera entgegen und mühte sich, nicht durch Zittern oder eine Unachtsamkeit jenen Wein zu vergießen, den Ravilla ihm in die flache Schale goss. Erst danach und unter Intonation eines Weihegebetes ergoss er den Rebensaft über das Kalb, welches augenscheinlich trefflich war mit Kräutern betäubt worden, sodass er geduldig und ohne Widerstand das kühle Nass auf seinem Haupte akzeptierte.


    Darauf folgte das Opfergebet, welches nun endlich die Große Mutter selbst adressierte:

    "O Magna Mater vom Berge Ida,

    Kybele, Tochter des Meon und Mutter der Quiriten!

    Schon der göttliche Aeneas verehrte dich im fernen Troja und genoss dafür deinen Schutz!

    In höchster Not eiltest du unserem Volk zu Hilfe und kamst vom fernen Pessinus nach Rom, um uns Mutter und Schirmerin zu werden!

    Seither beschirmst du unsere Stadt mit deiner Gnade.

    Wie alle Jahre feiern wir heute den Tag deiner Ankunft in unserer Mitte mit gerechten Gaben, mit Lustbarkeiten und Festen!

    Nimm an unser Opfer zu deiner Ehre und gewähre uns dafür weiter deinen Schutz vor allen Feinden, vor Pest und Gefahr!

    Beschirme das Volk der Quiriten wie du es seit deiner Ankunft in unserer Mitte getan hast!"
    Mit ausgebreiteten Armen intonierte der Flavius das Gebet, welches ein Quindecimvir ihm einsagte, ehe mit einer Wendung nach rechts er sich neuerlich seinem Opferhelfer zuwandte, der nun ihm das Moretum darzureichen hatte.

  • Da das Opfer für eine Göttin war, mit welcher mich nicht viel verband, hielt ich mich in den hinteren Reihen auf, obwohl mein Stand es mir problemlos ermöglicht hätte, einen besseren Platz zu erhalten.


    Aber auch von hinten verfolgte ich aufmerksam die Handlungen des Aedils.

  • Da die Fremdländer nicht reagierten, taten es die Urbaner. Wie ein Rudel Wölfe hatten sie die jungen Männer weitgefächert eingekreist. Wer nichts zu verbergen hatte, hätte sich zu erkennen gegeben. Wer schwieg hatte etwas zu verbergen, oder besser gesagt zu verschweigen. Die Blicke der Fremdländer ließen darauf schließen, dass sie die Prozession der Göttin stören wollten. Vermutlich waren es Christen oder andere Ungläubige. Lurco gab seinen Kollegen ein kaum merkliches Zeichen. Einen Atemzug später hämmerte er dem vor ihm stehenden jungen Mann die geballte Faust mit voller Wucht in den Solarplexus, wie ein Klappmesser der wie ein Blasebalg die Luft austieß klappte der Kerl zusammen, nur um einen Wimperschlag später einen weiteren Hieb mitten ins Gesicht zu kassieren, der ihn vollends zu Boden und in die Bewusstlosigkeit schickte. Lurco drehte den Querulanten mit einem Tritt auf den Rücken, nagelte ihn im wahrsten Sinne des Wortes mit seiner nagelbeschlagenen Sandalensohle auf dem Boden fest und legte ihm die Acht an. Die anderen Kerle starrten auf ihren gefällten Redelsführer und in die gezogenen Klingen der restlichen Urbaner.


    "Abführen, Zielort Carcer", befahl Lurco und riss den Bewusstlosen an den Handschellen in die Höhe, die sich auf seinem Rücken befanden.


    "Die überschüssige Kraft können die Herren abbauen, indem sie ihren ohnmächtigen Freund schleppen", erklärte Lurco und Pullus nickte zustimmend. Mit einer leicht verständlichen und eindeutigen Schwertgeste kamen die Jugendlichen der Aufforderung diesmal sehr zügig nach. Scheinbar hatten sie den Ernst der Lage dank der Zeichensprache nun begriffen.

  • Ravilla überreichte dem Opferherrn, als welcher sein Magistrat am heutigen Tage fungierte, nach Abschluss des Gebets andächtig jene Paste aus Schafskäse, Olivenöl und allerlei Gewürzen. Das Opfer näherte sich seinem feierlichen Finale.

  • Der Aedil strich das schmackhafte Weihe-Utensil auf die Stirne des Kalbes und übereignete sie damit der Großen Mutter, ehe er sich eine Patera mit Wein ließ reichen und diesen ebenfalls dem vorwitzigen Vieh über das Haupt ergoss, sodass es mit seiner breiten Zunge einige Tropfen davon zu kosten vermochte. Das unglückliche Tier ahnte zweifelsohne nicht, dass nur noch wenige Augenblicke in diesem Leben im verblieben, denn schon ergriff ein Minister seine gülden glänzenden Hörner und nötigte es, seinen Nacken darzubieten.


    Nicht ohne ein gewisses Mitgefühl für das kecke Tier gab Manius Minor sodann das Zeichen und die Opferaxt sauste unter dem frenetischen Gesang der Galli nieder.


    Obschon der Graecus Ritus in vielen Details vom römischen differierte, so musste Minor doch konzedieren, dass zumindest die handwerklichen Aspekte der Schlächter, die nun waren zu verfolgen, wohl in allen Kulturen similär sich gestalteten, da doch Quiriten, Hellenen, Parther und Germanen alle gleichermaßen ihre Opfertiere so darbrachten, dass die besten Stücke ihnen noch für einen wohlschmeckenden Opferschmaus der Sterblichen genügten.

  • Soweit der Flavius erkennen konnte, sandten die Unsterblichen, respektive Kybele, zumindest keine allzu offensichtlichen Bemerkungen hinsichtlich der Ablehnung eines Opfers, woraus er schloss, dass eine Litatio unausweichlich war, da er doch als Sohn eines Pontifex durchaus wusste, dass eine Obnuntatio bei einem öffentlichen Staatsopfer nahezu zu exkludieren war, sofern nicht ein augenscheinliches Prodigium sich just während der Opferhandlungen ereignete. In der Tat übernahm einer der Quindecimviri die Leberschau des geschlachteten Kalbes, während die Galli weiterhin Lieder intonierten und mit Zymbelspiel und Selbstkasteiung das Volk unterhielten.


    Eine Weile verfolgte auch Minor jene Darbietungen, die offiziell selbstredend uralte Riten zum Gefallen der Göttin darstellten, in ihrer Theatralik indessen den Argwohn nicht ließen verstummen, es handelten sich um übertriebene Praktiken zum Gefallen des Volkes, dessen Spenden man an diesen Tagen ja erhoffte, da es dem Flavius doch kaum wollte einleuchten, warum eine so altehrwürdige Göttin wie die Große Mutter, die bereits den göttlichen Aeneas selbst hatte bewahrt, Gefallen an derart skurriler Aufmachung und Selbsterniedrigung mochte finden. Während er darüber nachdachte, kam ihm zwar auch für den Hauch eines Augenschlages der Gedanke, dass eine similäre Selbstdarbringung womöglich ein Weg würde sein, vor den Unsterblichen seine Pflichtvergessenheit zu kompensieren, doch musste er letztlich doch konzedieren, dass eben das unrömische Gebahren im Kreise der Myrmidonen, welches am ehesten dem Lebenswandel der Galli mochte entsprechen, ja der Anfang vom Ende seines göttergefälligen Lebenswandels war gewesen und seine Mutter ja eben ihn hatte ermahnt, seines Standes sich als würdig zu erweisen. Die weibische Aufmachung, das Singen und Selbstkasteien der Galloi zumindest war keines aufrechten Quiriten, zu schweigen für einen römischen Patrizier würdig, weshalb jener Gedanke hinfort war gewischt, noch ehe die Schale mit der Leber des Tieres die Hand des Quindecimvir hatte berührt.


    Ein wenig beschämt ob jener Gedanken wandte der Aedil somit seinen Blick dem Publikum zu, welches partiell bereits in den Farben ihrer Factiones war erschienen, da sie ja bereits ihren favorisierten Göttern auf den Quadrigae hatten gehuldigt und nun wohl eher unwillig als pietätvoll den heiligen Riten beiwohnten, selbst wenn die Darbietungen der Galloi eine willkommene Abwechslung vom ewig-gleichen, starren Ritual des Ritus romanus mochte darstellen, der selbst einem pietätvollen Römer insonderheit zwischen Schlachtung und Litatio bisweilen ein Gähnen mochte entlocken.

    In der Tat konnte auch der flavische Opferherr sich eines solchen nicht erwehren, wobei es ihm entgegenkam, dass er inmitten der Arena stand und kaum einer der Zuschauer nahe genug ihm war, um jene Äußerung von Fatigue zu erkennen, als endlich das Zeichen folgte, dass das Opfer akzeptiert sei.


    "Litatio!"
    , verkündete der Praeco mit getragener Stimme und das Volk jubilierte. Die Kultgemeinde der Großen Mutter intonierte einen neuen Preisgesang ihrer Göttin und ließ erneut Zimbeln und Tympanon erschallen. Der Aedil hingegen wandte sich gemeinsam mit den Quindecimviri und seinen Assistenten nach rechts um und verließ die Rennbahn, während die Opfermetzger bereits die ersten Portionen des Kalbes präparierten, die dem Opferherrn, seinen Freunden und der Priesterschaft nun würden ausgeteilt werden.


    Damit war es offiziös: Die Megalesia hatten begonnen und das Kultbild mit dem Schwarzen Stein vom Berge Ida selbst wachte über ihren Verlauf!

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