Cursus Iuris

  • Eine leerstehende Taberna in der Basilica Germanica war der Ort, an dem ich meinen Kurs abhalten wollte. Die Taberna bestand aus einem einzelnen Raum und war wohl einmal ein Kleidungsgeschäft gewesen. Weshalb es nicht mehr existierte, wusste ich nicht. Es interessierte mich auch nicht. Die Miete war extrem günstig gewesen, eigentlich fast geschenkt. Allerdings waren meine Preisvorstellungen wohl auch sehr stark von Rom und Alexandria geprägt. Gut möglich, dass in diesen Metropolen alles deutlich teurer war als hier in der Grenzprovinz.


    Der Raum war nach meinen Wünschen hergerichtet worden und sah aus, wie ein kleiner Gerichtssaal. Es gab an jeder Seite je eine Bank, vor denen jeweils ein Tisch stand. Hier konnten sich je Bank bis zu drei Personen niederlassen. Hinzu kam noch eine Bank für bis zu acht Personen, direkt im Eingangsbereich des Raums. Und gegenüber dem Eingang stand ein bequemer Stuhl. Im Gegensatz zu einem Gerichtssaal stand dieser Stuhl aber nicht erhöht, sondern ebenerdig. Es sollte ja nicht der Eindruck entstehen, dass ich mir hier ein Amt anmaßen würde.


    Ich war in Toga, weiße Tunika und edle Calcei gewandet und stand vor dem Stuhl, während ich wartete und hoffte, dass weder zu viele, noch zu wenige Schüler hier ankommen würden.

  • Es kam der Secundus in die Taberna. Da er heuer nicht der hohe Herr, sondern nur ein einfacher Scholar, verbeugte er sich artig vor dem Lehrmeister.

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  • Sabaco verbeugte sich nicht. Er verbeugte sich niemals. Stattdessen murrte er ein "Salvete" und blickte sich um. Er war zwar als Privatmann hier, aber Sabaco war trotzdem kein Zivilist, weshalb er unter der Toga den klimpernden Militärgürtel und seinem Pugio trug. An seinen Füßen befanden sich Caligae, doch aufgrund der Witterung steckten seine Füße in Wollsocken. Während die Toga reinweiß war, zierte seine Tunika der schmale Purpursaum. Die Kombination verriet, dass Sabaco zwar ein Mitglied des Ordo Equester war, jedoch kein ritterliches Amt ausübte. Wie auch, wenn es an dem blöden Grundbesitz scheiterte.

  • Als Aemilius Secundus die Taberna betrat, war ich kurz überrascht. Dann fiel mir wieder ein, dass wir in Rom darüber sprachen, dass ihn der Augustus nach Germanien zu senden gedachte. Das hatte er wohl auch getan. Dass ich ihn hier sah, freute mich. Einerseits freute mich das bekannte Gesicht, zumal er mir gegenüber stets freundlich war, andererseits fühlte ich mich auch geehrt, dass ein Patrizier meinen Kurs besuchte. So lächelte ich und grüßte ihn mit einem Nicken.


    Der zweite Mann, der die Taberna betrat, war sehr anders. Offenbar ein Angehöriger des Ordo Equester, und dem, wenn auch gedämpften, Klimpern nach ein Soldat, vermutete ich. Was sollte sonst unter einer Toga klimpern, wenn nicht ein Cingulum Militare? Es wäre jedenfalls seltsam, wenn es sich um etwas anderes handeln würde.


    "Salvete. Ich würde vorschlagen, dass sich die Herren schon einmal setzen, während ich noch einen Moment warte, ob es weitere Teilnehmer gibt."


    Dabei wies ich auf die beiden Bänke mit den Tischen.


    "In der Zwischenzeit können wir uns einander kurz vorstellen. Wie ihr euch denken könnt, beziehungsweise bereits wisst," dabei nickte ich Secundus zu, "bin ich Aulus Iunius Tacitus. Ich habe am Museion Philosophie studiert und in Rom als Advocatus praktiziert. Außerdem habe ich mehrere Bücher zu juristischen Themen verfasst. Und, das sollte ich auch erwähnen, seit acht Monaten keinen Prozess mehr verloren, obwohl ich an jedem Gerichtstag einen oder zwei Prozesse geführt habe."


    Nach dieser Kurzvorstellung meiner selbst, die eher dem mir unbekannten galt, nahm ich auf dem einzigen Stuhl platz. Natürlich könnte ich Secundus vorstellen, aber es gehörte für einen Juristen auch dazu, sich kurz und bündig vorstellen zu können. Deshalb sollte sich jeder selbst vorstellen.

  • "Nero Aemilius Secundus, derzeit Tribun der Legion XXII, vormals Vigivier zu Rom.Erster auf Wunsch und Bitte Seiner Majestät unseres Herrn und Kaisers, letzteres durch Wahl.

    Ich entstamme dem edlen Haus der Aemilia. Der Kurs kann mir bei meinen Bestreben behilflich sein.

    Ach ja bevor es andersweitig herauskommt, ich kenne den ehrenwerten Aulus Iunius Tacitus.

    Soviel zu mir."

    Secundus setzte sich.

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  • Sabaco nahm auf der gegenüberliegenden Seite Platz. Er war nicht berührungsscheu, aber er hatte gern alles im Blick. Die Selbstvorstellung des Advokaten war mit einer ordentlichen Portion Selbstbewusstsein vorgetragen. Respekt verdiente man sich. Aulus Iunius Tacitus hatte viel geleistet, um heute hier protzen und einen unmöglichen Bart tragen zu können. Auch Schrullen musste man sich leisten können, damit sie einem nicht auf die Füße vielen. Sabaco nickte ihm zu.


    Den Tribun Aemilius Secundus kannte er dem Namen nach und nickte ihm ebenfalls zu, als der sich vorstellte. Noch verband er dessen Namen nicht mit Heldentaten, doch das war bei den senatorischen Tribunen selten der Fall. Mal sehen, was die Zukunft brachte.


    Dann war er selbst an der Reihe. "Decurio Publius Matinius Sabaco von den Matiniern aus Tarraco." Sein hispanischer Dialekt war auch kaum zu überhören. "Turma Secunda, Ala I Aquilia Singularium." Seine Mundwinkel zuckten, dann zogen sie sich zu einem Grinsen auseinander und er griff die Aussage des Advokaten auf, dass der seit acht Monaten keinen Prozess verloren hätte: "Hab seit meinem Dienstantritt noch kein Gefecht verloren." Ernst fuhr er fort: "Falls für mich mal ein Ritteramt relevant wird", das des Subpraefectus Alae zum Beispiel, auf dem im Moment sein alter Rivale Germanicus Varro hockte, "kann der Cursus Iuris mir vielleicht helfen."

  • Die Bemerkung zu den nie verlorenen Gefechten nahm ich mit einem kaum bemerkbaren Grinsen zur Kenntnis. Nachdem nun die Vorstellungsrunde abgeschlossen war, kam ich direkt zur Sache.


    "Nun, da wir uns einander vorgestellt haben, können wir loslegen. Im Rahmen dieses Kurses werdet ihr die Grundlagen der Juristerei kennenlernen. Wenn der Kurs vorbei ist, werdet ihr saubere Definitionen formulieren können, die den Kriterien wissenschaftlicher Präzision genügen. Ihr werdet wissen, wie man Gesetze liest und wo man Informationen über die Auslegungslehre findet. Und ihr werdet sauber und präzise Sachverhalte unter die relevanten Rechtsnormen subsumieren und aus den Rechtsnormen argumentieren. Dort, wo es Regelungslücken in den Gesetzen gibt, werdet ihr sie zu Gunsten eurer Mandanten schließen und dort, wo es Auslegungsspielräume gibt, werdet ihr sie nutzen. Wir werden das Argumentieren üben und eure Logik und Rhetorik schleifen und Gerichtsverhandlungen simulieren, damit ihr ein wenig Praxiserfahrung erhaltet. Ich unterrichte nach den Standards des Museions und ich erwarte, dass ihr diese erfüllt.""


    Ich pausierte kurz, um beide eindringlich anzusehen. Dann fuhr ich fort.


    "Beginnen wir mit einer Übung in Logik, die wir bei jeder Definition wiederholen werden. Es ist wichtig, zunächst abstrakt zu klassifizieren und dann immer weiter zu konkretisieren, bis wir eine saubere Definition erhalten. Die erste Definition ist die des Gesetzes. Ich behaupte, dass ein Gesetz als Regel klassifiziert werden kann. Stimmt ihr dieser Klassifizierung zu? Wenn ja, welche anderen Regeln gibt es und wie unterscheidet sich ein Gesetz von anderen Regeln?"

  • "Jein, einerseits ist das Gesetz eine Regel andererseits nicht.

    Das Gesetz ist im eigentlichen Sinn des Wortes eine Festlegung von Regeln.

    Begonnen mit dem Zwölftafelgesetz, bis zur heutigen Rechtssprechung,

    Regeln oder Normen sind Übereinkünfze welche für einen bestimmten Bereich als verbindlich festgelegt werden.

    Was nun bedeutet ein Gesetz ist höher als eine Regel!"

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  • Das war die Ausbildung, die man von einem Patrizier erwarten konnte. Entsprechend hielt ich mich mit Lob zurück.


    "Guter Gedankengang, Aemilius. Matinius, was ist deine Meinung?"


    Mich interessierte auch, wie Sabaco dachte. Schließlich ging es ja um Erkenntnisgewinn durch Austausch. Wobei sowohl eine Bestätigung, als auch eine abweichende Meinung in Ordnung waren.

  • Sabaco schaute bei der umständlich formulierten Frage ausdruckslos drein. Zu lang, zu abstrakt. Er erinnerte sich wieder daran, warum er seine Schulzeit gehasst und ständig geschwänzt hatte. Erst die Antwort von Secundus verriet ihm, worauf Tacitus mit seiner Bandwurmfrage überhaupt hinauswollte. Als er angesprochen wurde, wich die Ausdruckslosigkeit seines Gesichtes und er improvisierte eine Antwort nach seinem Verständnis.


    "Ich beziehe mich auf das Militärrecht. Ein Gesetz ist, beim Wachdienst nicht schlafen zu dürfen. Eine Regel ist, sich beim Wachdienst auch nicht hinzulegen, nicht einmal im Wachzustand." Er überlegte. "Andererseits ist es Gesetz, dem Befehl seines Vorgesetzten Folge zu leisten. Wenn der Vorgesetzte sagt, es wird sich nicht hingelegt, sondern im Stehen Wache geschoben, dann ist das so. Die Regel wird damit zum Gesetz und die Nichteinhaltung mit der gleichen Härte bestraft."


    Das Thema wurde immer komplizierte, je länger er darüber nachdachte. Es war schwierig, beides voneinander abzugrenzen. "Ich würde sagen, ein Gesetz wurde irgendwann von einem Politiker geschrieben und die Einhaltung wird vom Staat überwacht. Eine Regel kann von jedem aufgestellt werden, der sich in der Lage sieht, sie durchzudrücken. Das ist der ganze Unterschied."

  • Das würde wohl schwieriger werden... Nun gut, wie man Vater immer sagte: Man wächst mit seinen Herausforderungen. Intelligenz war da, Bildung musste nachgeholt werden. Das war machbar. Anders herum wäre es schwieriger. Von diesen Gedanken ließ ich mir aber nichts anmerken.


    "Die Antwort ist... interessant. Natürlich müsste man noch genau definieren, was ein Politiker ist und was eigentlich ein Staat ist, was im Moment sicher weit über das Ziel dieses Kurses hinausgehen würde. Aber versuchen wir uns, dem Ganzen schrittweise weiter zu nähern und nehmen den Gedankengang vom Aemilius wieder auf, dass ein Gesetz eine Festlegung von Regeln ist. Definieren wir: Ein Gesetz ist eine oder mehrere gesetzte Regeln."


    Ich hoffte, dass die Ähnlichkeit von 'Gesetz' und 'gesetzt' auffallen würde. Das war jedenfalls der rhetorische Sinn der Wahl eines Synonyms für 'festgelegt'.


    "Und stellen uns die nächste Frage: Wer kann eigentlich Gesetze festlegen? Oder, juristisch ausgedrückt: Wer erlässt ein Gesetz? Sehen wir uns hierzu ein paar Gesetze an. Wer hat das Zwölftafelgesetz erlassen? Wer hat die Lex Canuleia erlassen? Wer hat die Lex Annaea de Matrimonio erlassen?"

  • "Hm. Also wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, gab es vor besagten Zwöftafel , bereits Gesetze, welche allerding nur mündlich überloefert wurden, ergo nicht niedergeschrieben.

    Das der ursprünliche Wortlaut und damit der sinn schnell verloren ging, kann man sich sicher vorstellen , den ein jeglocher gab immer zu seiner Zeit seinen Wein hinzu.

    Quellen berichten, dass die Plebejer im Jahr 462 v. Chr. einen Vorstoß gewagt hätten, für ihren Stand rechtssichere Verhältnisse zu schaffen.

    Die Lex Canuleia wurde vom Volkstribun Canuleia,445 v. Chr. "

    Vei der letzten Frage musse Secundus leicht lachen.

    " Also ,das ist sehr einfach die Lex Annaea de Matrimonio wurde von Lucius Aennarzs Florus Minor, erdacht, vom Senat genehmigt und von unsrem Herrn und Kaiser erlassen."



    Sim-Off:

    Hab hier mal Wein genommen, da ich nicht genau weis ob es so etwas wie senf schon gab :)

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  • Ich hörte aufmerksam zu, musste aber doch korrigieren.


    "Dass vor den Zwölf Tafeln mündliches Recht galt, ist korrekt. Aber bis auf die Lex Annaea di Matrimonio sind mir deine Ausführungen noch zu wenig präzise. Wer genau hat das Zwölftafelgesetz und die Lex Canuleia beschlossen? Präziser: Welches Gremium? Matinius?"


    Dass ich das Wort an Matinius übergab, lag daran, dass ich ihn natürlich auch einbinden wollte. Niemand sollte hier zu kurz kommen und niemand sollte sich drücken können. Dabei sah ich Sabaco freundlich, aber zugleich erwartungsvoll an.

  • "Ich muss passen, Iunius Tacitus", gab Sabaco zu. Nicht sonderlich gern, doch der Advokat musste wissen, woran er war. "Ich kenne mich vor allem mit dem Militärrecht aus. Mein Hauslehrer war nicht glücklich mit mir, ich habe einiges nachzuholen." Das war sehr schonend umschrieben. Ob es für das geplante Format ein Problem war, wenn ein hochgebildeter Patrizier und ein Schulverweigerer im selben Unterricht saßen, oder ob sich daraus didaktisch irgendwas formen ließ, würde sich nun zeigen.

  • Bei den Worten Sabacos konnte sich Secundus das Lachen nicht verkneifen.

    "Verzeiht, aber der gute Sacabco und ich hatten das selbe Problem. Auch mein Hauslehrer war sehr unglücklich über mich. Es wird hoffentlich nicht der selbe alte Knabe geswesen sein."

    Letzteres war eher retorisch, da beid völlig unterschiedlich aufwuchsen.

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  • Die Antwort war ehrlich und auch das verlangte Respekt. Entsprechend nickte ich Sabaco anerkennend zu.


    "Es erfordert Mut, ehrlich zu sein. Auch das ist etwas, das wir uns merken sollten."


    Beim Kommentar des Secundus musste ich grinsen.


    "Na, hoffen wir einfach mal, dass es nicht der selbe war, sonst wäre er ein sehr unglücklicher Mensch!"


    Die Art, wie ich sagte, zeigte, dass ich mir natürlich der rhetorischen Natur der Bemerkung bewusst war. Ein wenig Auflockerung war vielleicht ganz gut an diesem Punkt, denn nun ging es von meiner Seite her richtig in die Tiefe.


    "Doch nun zur Beantwortung meiner Frage. Für das Zwölftafelgesetz wurden durch den Senat die Decemviri Legibus Scribundis, zehn patrizische Männer, ausgewählt, um dieses Gesetz aufzuschreiben. Hierin schließt sich der Kreis zum mündlichen Recht, welches hierdurch aufgeschrieben wurde und durch Kenntnisse des athenischen Rechts ergänzt und modernisiert wurde. Beschlossen wurde das Zwölftafelgesetz aber durch die Comitia Centuriata. Die Lex Canuleia wurde, wie du, Aemilius, korrekt beschrieben hast," dabei nickte ich Secundus zu, "vom Volkstribun geschrieben, aber ebenfalls nicht beschlossen. Beschlossen wurde auch dieses Gesetz durch die Comitia Centuriata. Für die Lex Annaea de Matrimonio habe ich nichts hinzuzufügen."


    Ich ließ eine kurze rhetorische Pause, um das Gesagte sacken zu lassen.


    "Wir sehen hier ein System. Zunächst haben wir eine Person oder einen Personenkreis, die dazu bevollmächtigt ist, ein Gesetz einzureichen. Diese Vollmacht ging in der Res Publica Antiqua allein vom Senat aus. Heutzutage kann sowohl der Senat, als auch der Kaiser diese Vollmacht erteilen. Dass der Kaiser die Vollmacht erteilen kann, liegt an der Generalvollmacht, die er vom Senat erhalten hat. Das könnt ihr in der Lex Aquilia de Imperio nachschlagen. Dieses Recht, Gesetzesvorschläge einzureichen, hat natürlich auch der Kaiser. In der Res Publica Antiqua mussten Gesetze nach der Genehmigung durch den Senat vor die Volksversammlung, in den genannten Beispielen die Comitia Centuriata, gebracht werden, um von dieser beschlossen zu werden. Das wäre für die Belange unseres Imperium Romanum zu zeitaufwändig. Deshalb ist es nun der Kaiser, der den endgültigen Beschluss fassen muss."


    Wieder ließ ich eine kurze Pause, um das Gesagt sacken zu lassen.


    "Typischerweise sind Magistrate bevollmächtigt, Gesetze einzureichen. Aber auch anerkannten Senatoren kann dieses Recht eingeräumt werden. Der Kaiser ist beides. Wir haben damit die klassische Lex vorläufig als Gesetz definiert, mit den folgenden Eigenschaften. Eine Lex ist eine Festlegung von Regeln, die durch eine dazu bevollmächtigte Person dem dazu von der Verfassung des Staates vorgesehenen Gremium, bei uns dem Senat, vorgelegt und durch eine verfassungsgemäße Stelle, bei uns dem Kaiser, beschlossen wird. Staatsverfassungen können unterschiedlich sein und deshalb auch unterschiedliche Gremien und Stellen vorsehen. Bei einer Königsherrschaft kann beispielsweise alles in einer Hand liegen. Hier möchte ich nun unsere Überlegungen durch eine kleine Übung unterbrechen."


    Ich stand auf und ging zu einem Regal, aus dem ich zwei Schriftrollen holte. Ich legte jedem meiner beiden Schüler eine Schriftrolle hin.


    "Dies ist die Lex Aquilia de Imperio. Wo finden sich hierin die entsprechenden Vollmachten des Kaisers, die die Gesetzgebung betreffen? jeder von euch nennt bitte eine der Vollmachten, unter genauer Zitierung des Textes in der Lex Aquilia de Imperio."

  • "Der Codex Universales, welchen der geheiligten Majestät seine Rechte einräumt und niederlegt.

    Genauer der Pars Duodevigunti.Es beginnt mit den Worten,

    Auf Beschluss des Senats und des Volkes von Rom werden dem Imperator Caesar ....... folgende Rechte und Vollmachten zugesprochen!

    XI. Alle Entscheidungen, die vor diesem Gesetzesantrag durch den Imperator Caesar ...... , auf seinen Befehl oder in seinem Auftrag erfolgten, ausgeführt, beschlossen oder befohlen wurden, werden für rechtmäßig und gültig erklärt, wie wenn sie durch den Senat und das Volk von Rom erfolgt wären.

    Es endent mit demn Worten,

    Verstöße gegen die Leges, Plebiscita und Senatus Consulta, die aufgrund dieser Lex erfolgten oder erfolgen, können nicht rechtlich verfolgt werden. "
    Viel hätte nicht gefehlt und Secundus hätte "Gott schütze den Kaiser" ausgerufen, er konnte sich gerade noch bremsen.

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  • Die Begeisterung des Aemiliers für den Kaiser war deutlich zu bemerken. Irgendwann würde ich ihn darauf hinweisen, dass Juristen sich nur höchst selten zu Begeisterungsstürmen hinreißen lassen sollten, zumindest nicht, wenn sie in dem Moment als Jurist tätig waren und es keinen Vorteil brachte. Aber noch war dieser Zeitpunkt nicht. Ich lächelte kurz.


    "Interessant, du hast mit Artikel XI die einzige in die Vergangenheit wirkende Vollmacht ausgesucht."


    Die Schlussworte könnten wir sicher auch diskutieren, aber zu einem späteren Zeitpunkt des Kurses. Mein Blick ruhte nun auf Sabaco. Ich war gespannt, welchen Artikel er aus dem Gesetz heraussuchen würde.

  • Auch mein Hauslehrer war sehr unglücklich über mich. Es wird hoffentlich nicht der selbe alte Knabe geswesen sein.

    "Wohl kaum", brummte Sabaco. "Ich würde dich kennen." Sabaco war in seiner Jugend sehr umtriebig gewesen, hatte als Jugendlicher ein kleines Netzwerk kommandiert und nur wenig war seinen Augen und Ohren in Tarraco verborgen geblieben. Er folgte nach diesem kurzen Einwurf wieder aufmerksam dem Advokaten. Das war viel. Er schrieb sich mit:


    Definition Gesetz


    • Lex = Festlegung von Regeln


    • wird durch eine dazu bevollmächtigte Person dem dazu von der Verfassung des Staates vorgesehenen Gremium (Senat), vorgelegt und durch eine verfassungsgemäße Stelle (Kaiser), beschlossen.


    • Staatsverfassungen können unterschiedlich sein und deshalb auch unterschiedliche Gremien und Stellen vorsehen.


    Dann blätterte er durch die Lex Aquilia de Imperio. Beim Anblick des gigantischen bürokratischen Textblocks bereute er kurzzeitig, sich für den Cursus gemeldet zu haben. Er biss die Zähne zusammen und konzentrierte sich. Vor Anstrengung schlug seine Stirn Falten. Er lauschte der Antwort von Secundus und der Erwiderung des Advokaten. "Die Lex Aquilia de Imperio ist ein Anhang des Codex Universalis", sortierte er langsam seine Gedanken, während er noch einmal den endlosen Textblock überflog. "Alle Paragrafen der Lex beschreiben jeweils eine Vollmacht des Kaisers. Jetzt muss ich noch die finden, in der es darum geht, dass der Kaiser Gesetze beschließen darf ..."


    Er nahm den Finger zur Hilfe, als er suchte. Zwei Paragrafen fand er, die er der Fragestellung zuordnen würde, nämlich IIII und VIIII. Aber er entschied sich für den Spannenderen. "Die IIII zum Beispiel." Seine Vier schrieb er immer al IV, aber die andere Schreibweise entsprach vielleicht irgendeiner altmodischen Tradition, wie bei der Legio VIIII Hispana, die nicht IX Hispana hieß. "Ich zitiere: Er hat das Recht Verträge im Namen des Senats und des Volkes von Rom zu schließen, so wie es Divus Augustus und seinen Nachfolgern erlaubt war." Er blickte auf. "Ich würde es so deuten, dass diese Verträge auch einer Art Gesetz gleichkommen. Indem er Verträge im Namen des Senats und des Volkes von Rom beschließt, haben sie bindende Wirkung für alle und kommen damit de facto Gesetzen gleich."


    Er war gespannt, ob seine Mutmaßung stimmte.

  • "Auch eine interessante Antwort. Diese Vollmacht werden wir auch noch besprechen, weil sie in Gewisser Hinsicht Gesetze hervorbringen kann."


    Ich nahm mir selbst ein Exemplar der Lex Aquilia aus dem Regal und rollte es stets so weit aus, wie ich es benötigte.


    "Beginnen wir mit Artikel I. Dieser gewährt dem Kaiser das Imperium Proconsulare Maius über alle Provinzen. Die Statthalter der Provinzen haben aber seit jeher die Befugnis, Edikte, Dekrete und Gesetze zu erlassen, die in ihrer Geltung auf die jeweilige Provinz beschränkt sind. Folglich gewährt Artikel I Alternative I dem Kaiser also die Gesetzgebungskompetenz für die Provinzen. Artikel I Alternative II gewährt ihm darüber hinaus das Oberkommando über den Exercitus Romanus. Der Oberkommandierende hat aber seit jeher die Befugnis, Gesetze für den Exercitus Romanus zu erlassen, meist in der Form von Edikten oder Dekreten. Solche Gesetze legen fest, für welche Verstöße welcher Strafrahmen angemessen ist und können in Friedens- und Kriegszeiten erheblich abweichen."


    Ich sah kurz zu meinen Schülern, ob sie noch anwesend waren, und fügte hinzu:


    "Übrigens sind Edikte und Dekrete ebenfalls Gesetze im allgemeinen Sinn. Die Gesetze, die mit Lex bezeichnet werden, sind Gesetze im engeren Sinn und bedürfen immer einer Entscheidung des Senats."


    Dann blickte ich wieder auf den Gesetzestext vor mir.


    "Kommen wir nun zu Artikel II. Hieraus wird dem Kaiser die Tribunicia Potestas verliehen. Das gibt ihm ein Vetorecht gegen alle Gesetzesbeschlüsse des Senats. Betrachten wir hierzu noch einmal die Antwort des guten Aemilius auf meine Frage, wer die Lex Annaea de Matrimonio erlassen hatte. Hier hattest du, lieber Aemilius, geantwortet, dass diese vom Senator Annaeus Florus Minor erdacht, vom Senat genehmigt und vom Kaiser erlassen wurde. Juristisch korrekt ausgedrückt, wurde sie vom Senat beschlossen, was natürlich eine Genehmigung darstellt, aber wir wollen ja die korrekten Wörter verwenden, nicht wahr? Jedoch wurde sie vom Kaiser nicht direkt erlassen. Vielmehr hatte er Artikel II der Lex Aquilia angewendet. Er hätte sie mit einem Veto verhindern können, was er nicht getan hat. Dadurch wurde diese Lex wirksam. Dass der Kaiserhof die beschlossenen Gesetze veröffentlicht, ist ein reiner Verwaltungsakt und hat mit dem Wirksamwerden eines Gesetzes nichts zu tun. Also, um es in klaren juristischen Worten zu formulieren: Artikel II der Lex Aquilia sorgt dafür, dass der Kaiser einem Gesetz nicht zustimmen muss, sondern formal muss er das Gesetz nicht ablehnen. Im Moment des Senatsbeschluss ist das Gesetz also unter Vorbehalt wirksam. Wenn der Kaiser nicht unverzüglich ab seiner Kenntnis widerspricht, erlangt das Gesetz volle Wirksamkeit. Das ist ein kleines, aber wichtiges Detail. Gibt es hierzu Fragen?"


    Immerhin war das eine etwas komplizierte Regelung, die seit der Schaffung des Amts des Volkstribuns in unserer Verfassung verankert war.

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