Beiträge von Claudia Antonia

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    Original von Marcus Flavius Aristides


    Es waren ungute und düstere Vorahnungen, die Besitz von Antonia ergriffen, kaum hatte sie Brief und Kiste in ihrem Cubiculum entdeckt. Nackte Panik umklammerte ihr Herz, heiß und kalt lief es der Claudia den Rücken hinab, als sie mit fahrigen Händen die Nachricht entrollte. Langsam, wie in Zeitlupe brachte sie die Worte ans Tageslicht, nur um hinauszuzögern, was sie weder verhindern noch ändern konnte.
    Meine liebe Schwägerin.. , las sie den ersten Satz und schloss die Augen. Ein Ton der Erleichterung entkam ihrer Kehle, die steinerne Hand, die ihr die Luft hatte abschnüren wollen, ließ ab von ihr und auch der wilde Herzschlag beruhigte sich. Gracchus war noch hier. Er war nicht abgereist, er hatte nicht abermals einen Schub seiner Krankheit bekommen. Beruhigt ließ sie sich in einen Korbsessel sinken, ehe sie - nun neugierig statt ängstlich, zu lesen begann. Zunehmend legte sich die claudische Stirn in Falten, ungläubig überflog sie ein zweites Mal die Zeilen, die augenscheinlich Aristides ihr hinterlassen hatte. Er war gegangen? Aristides? Der unerschütterliche, stets zuversichtliche und freundliche Aristides hatte Rom verlassen? Scharf zog sie die Luft durch ihre Zähne. Für immer verlassen, rief sie sich die geschriebenen Worte in Erinnerung. Matt ließ sie die Hände samt Brief darin sinken. Das erste Gefühl, so schien ihr, war wohl doch das Richtige. Zwar war es nicht Gracchus, der aus Rom geflohen war, aber doch einer jener Menschen, der zu den wichtigsten in ihrem Leben zählte. Ihr Körper fühlte sich mit einem Male taub an, unfähig und unwillig dem Schmerz ob dieses Verlusts freien Lauf zu lassen.
    Sie zog ihre Lippen zwischen die Zähne, als ihr Blick zur bislang unbeachteten Kiste wanderte. Sie, sie sollte sein Vermögen verwahren? Sie? Sie, die nur angeheiratete Verwandte war? Rührung überkam sie und sie fühlte die Tränen, die ihr in die Augen schossen. Sie hatte nicht gewusst, nie auch nur geahnt, dass der Flavier sie derart schätzte, ihr und ihren Fähigkeiten so sehr vertraute, dass er ihr eine solche Aufgabe zutraute.
    Langsam begann sie zu nicken. Einerseits, um sich selbst ins Bewusstsein zu rufen, dass tatsächlich der Fels der flavischen Familie fortgegangen war, andererseits als eine Art Antwort auf seine Bitte. "Das werde ich.", flüsterte sie leise und wischte die einzelne Träne fort, die Antonias Barriere überwunden hatte. "Das werde ich."

    Antonia, von zwei Sklavinnen umrankt, schenkte dem eingetretenen Sklaven kaum mehr Beachtung, als jenen beiden Wesen, die in diesem Moment mit viel Sorgfalt an ihrer Frisur zugange waren. Ihr Körper blieb reglos, als der Schatten ihres Gemahls das Wort an sie richtete, nur ihre Augen wanderten zur Seite, wo sich nun ein Brief in ihr Blickfeld schob. Eine Einladung? Schon wieder? Es schien der Herbst die Zeit für Feste und Feierlichkeiten zu sein. Fast war sie versucht bereits in Vorfreude zu verfallen, als schließlich der Name der Einladenden fiel. Germanica Calvena? Eine Germanica lud sie ein? Ihre Hand, die sie ausgestreckt hatte, um die Nachricht entgegen zu nehmen, verharrte in der Luft. Germanica Calvena.. jene Germanica, die sie in den Thermen gesehen hatte? Jene Germanica, die Celerina sich beinahe hätte vergessen lassen? Eine claudische Augenbraue wanderte in die Höhe. Jene Germanica, an der Delmatica kaum ein gutes Haar gelassen hatte?
    Endlich nahm sie den Brief an sich, überflog die Zeilen und legte schließlich die Stirn in Falten. Warum, bei allen Göttern des Olymp, lud diese Person sie und Gracchus zu dieser Feierlichkeit ein? Antonias Augen verengten sich zu Schlitzen. Sie war kein vertrauensseliger Mensch, im Gegenteil, stets hielten Paranoia und Misstrauen sie gefangen. So ging sie auch hier von keiner Einladung aus Höflichkeit aus, nein, diese Germanica hatte etwas vor. Doch was? Vielleicht sollte sie sich in den nächsten Tagen einmal wieder mit Delmatica treffen..
    "Sofern mein Gemahl es wünscht, werde ich ihn selbstverständlich begleiten., antwortete sie dem Sklaven. "Ich selbst jedoch hege keinerlei Wunsch dieses Fest zu besuchen."
    Celerina, kam es ihr in den Sinn. Vielleicht war sie der Grund für diese Einladung. Vielleicht sann sie auf Rache und suchte ob dessen die Freundschaft jener Menschen im näheren Umfeld der Flavia. Sie lächelte leise. Beizeiten würde sie wohl auch Celerina eine Nachricht zukommen lassen.

    Es war äußerst interessant zu sehen, wie das Triclinium sich nach und nach mit immer mehr Gästen füllte, selbst nachdem das Essen bereits begonnen hatte. Celerina und ihr Gemahl hatten, zu Antonias Freude, ebenfalls den Weg in die Villa Tiberia gefunden, ebenso wie weitere Senatoren. Zunächst jedoch wandte sich ihre neue Bekanntschaft an sie. Auf Albinas Bemerkung hin lächelte sie amüsiert.
    "In der Tat. Rom ist einerseits nur ein Dorf und andererseits doch so weitläufig wie ein Kontinent.", erwiderte sie und nippte an ihrem Becher. "Du hast also früher woanders gelebt? Darf ich fragen wo?"
    Die Claudia, die zeitlebens an Fernweh litt, konnte nie genug über andere Länder und möglichst exotische Orte erfahren, daher fragte sie tatsächlich aus Neugier und weniger um des Smalltalks willen.
    Es geriet Bewegung in die Gesellschaft, als für die Neuankömmlinge ein adäquater Platz gefunden werden wollte. Eine weitere Tiberia sowie Celerina fanden Platz am Damentisch und wurden von Antonia mit einem Nicken begrüßt. Bei allen Göttern, was auch immer Celerina den ganzen Tag tat, es ließ sie Funkeln wie einen Diamant. Antonia fragte sich insgeheim, ob dies an ihrer Ehe mit dem Aurelier lag und warf diesem einen kurzen Blick zu. "Celerina, du siehst wieder einmal wundervoll aus.", bekundete sie schließlich anerkennend und auch ein wenig neidisch, hatte sie selbst doch seit jeher das Gefühl, verglichen mit den anderen Frauen ihres Standes immer ein wenig zurückzustehen, nicht annähernd jene Perfektion zu erreichen. Mit einer der Gründe, warum sie das reichhaltige Speisenangebot ignorierte und sich nur hier und da kleinere Knabbereien gestattete. Den Blick von der schillernden Celerina riss Antonia erst los, als Tiberia Septima sich vorstellte und die beiden nicht-Tiberias am Tisch schließlich nach den Ehegatten fragte. Unbewusst begann sie verschmitzt zu lächeln, eine ähnliche Reaktion wie sie zu sehen war, wenn die Claudia nach ihrem Sohn gefragt wurde.
    "Natürlich.", ergriff sie nach einem kurzen Blick zu ihrer Verwandten als erste das Wort. Dass sie und Gracchus für einen jungen Neuankömmling in Rom nicht allzu bekannt waren wunderte sie zwar nicht weiter, dennoch verspürte sie einen gewissen Ärger ob der Tatsache. So sollte es nicht sein und so durfte es nicht sein. "Mein Gatte ist Flavius Gracchus. Er ist ein Kollege deines Verwandten Tiberius Durus im Collegium Pontificium." Ihr Kopf wandte sich eben jenem zu. Er schien still, lauschte jedoch interessiert den Worten der anderen. Vielleicht, so hoffte sie, würde er heute Blut lecken, würde seine Zweifel beiseite schieben und sich wieder in den Sattel der Politik schwingen. Abermals missfiel ihr die große räumliche Distanz, welche eine Beeinflussung des Geschehens ihrerseits unmöglich machte. So blickte sie sich wieder zu Septima, stets gewillt neue Bekanntschaften in der Welt der oberen Zehntausend zu machen.
    "Seit wann weilst du denn in der Stadt?"

    Ich kann mich dem nur anschließen, ich habe alle deine Charaktere über die Jahre sehr, sehr gerne gelesen und werde nun natürlich vor allem Aristides sehr vermissen :(
    Allerdings, die Hoffnung stirbt zuletzt und auch ich werde erstmal auf ein kleines Wunder hoffen ;)

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    Original von Manius Flavius Gracchus


    Hätte Antonia auch nur geahnt, welche Meinung der tiberische Senator ob ihres Verhaltens hatte, sie wäre vor Stolz zerflossen - was zweifellos wenig patrizisch wäre und so war es besser, dass jener Umstand nicht in ihr Bewusstsein drang. Stattdessen tat sie, was sie stets getan hatte. Sie grüßte freundlich, sie hörte aufmerksam zu, hielt sich ansonsten jedoch zurück. Allein als die Sprache auf Gracchus' Zukunft gelangte, seine Stellung im Senat und im Cultus Deorum, schien sie sich noch ein wenig mehr zu straffen, hatte sich ihr Gemahl ihr gegenüber diesbezüglich doch noch bedeckt gehalten. Seine Offenbarung, den Sitz im collegium pontificium wieder einnehmen, das selbstauferlegte Exil der Villa demnach schon in naher Zukunft verlassen zu wollen rief wahre Begeisterungsstürme in der Claudia hervor. Gewiss, nichts hiervon drang nach Außen. Sie jubelte nicht, obwohl ihr danach gewesen wäre, sie keuchte nicht, schnappte nicht nach Luft, obwohl ihr Körper danach verlangte. Sie blickte nur zu Gracchus, eine Mischung aus Zufriedenheit und unterdrückter Freude im Antlitz. Von der Schwermut, welche zugleich Besitz von ihrem Gatten ergriff, bemerkte sie nicht das Geringste, zu sehr hatte noch die Euphorie ihre Seele gepackt und würde sie wohl auch den restlichen Abend eng umschlungen halten.
    Mit einem Nicken verabschiedete Antonia kurz hierauf den Gastgeber, um sich anschließend einem weiteren Senator mit seiner Gattin gegenüber zu sehen.
    "Senator Purgitius.", schloss sie sich der Grußformel ihres Gatten an, um schließlich den Blick auf die Tiberia zu richten. Als jemand, der mit nahezu jedem Namen der höheren Gesellschaft etwas verbinden konnte wusste Antonia, wer Albina war, auch wenn sie noch nicht mit ihr gesprochen hatte. So neigte sie auch hier den Kopf, um die Schicksalsgenossin am heutigen Abend - dekoratives Anhängels eines Senators zu sein - mit einem "Salve, Tiberia." zu begrüßen. "Auch von mir natürlich die herzlichsten Glückwünsche."
    Von Durus kurz unterbrochen, eröffnete dieser schließlich den Abend und tat zugleich seine Absichten Consul zu werden kund. Ein wenig bitter war der Beigeschmack dieser Enthüllung für Antonia, führte ihr dies doch gleichsam vor Augen, dass jener Weg ihrem Gemahl vorerst würde verschlossen bleiben, so dieser sich nicht doch dazu entschloss weiter den Weg im Cursus Honorum zu gehen. Doch nur einen Augenblick flackerte ihr Lächeln, schnell gewann die nichts- und doch alles-sagende Fassade der Patrizierin wieder die Oberhand. Auch ihr behagte jene räumliche Trennung von Gracchus nicht allzu sehr, bedeutete ein Verlust der Nähe für sie doch auch zugleich ein Verlust an Kontrolle. Ein Umstand, den sie in letzter Zeit zunehmend als unangenehm empfand, fast als setze sie ihren Gemahl mittlerweile mit ihrem Sohne gleich, über welchen sie ebenfalls die absolute Herrschaft inne hatte.
    Ein angenehm dezent duftender Blumenkranz fand in Antonia eine neue Besitzerin, gleichsam Zeichen für die Claudia, Gracchus nun freizugeben und sich an ihren Platz zu begeben. Ob seiner eigenen Bedenken wusste sie nichts und löste so in einer kurzen Bewegung ihre Hand von seinem Arm, ihn mit einem letzten undeutbaren Blick bedenkend und sich an Albina wendend.
    "Wollen wir?", fragte sie, auf die Klinen weisend. Von einem Sklaven geleitet ließ sie sich schließlich auf der ihr angedachten Kline nieder.

    Besorgt, geradezu beunruhigt verfolgte Antonia das anfängliche Zögern des Jungen, das Verbergen seiner Gestalt hinter der Sklavin. Was nur würde Gracchus ob eines solchen Gebahrens denken von seinem Sohn und, schlimmer noch, von der Mutter, die diesen erzogen hatte? Schon war sie im Begriff Minor herbeizuzitieren, ihm die Hand entgegen zu halten und ihm so zu zeigen, dass er sich vor nichts fürchten musste, doch richtete ihr Gemahl bereits das Wort an seinen Sohn. Antonias Kopf blieb unbewegt, allein ihre Augen wanderten zu Gracchus Maior, der mit keiner Silbe noch bekundete, ob er jenes pädagogische Versäumnis seiner Gattin bemerkt hatte. Vielmehr glaubte sie tatsächliche Freude zu erkennen, wie es anders nicht zu erwarten war. Und wirklich, auf die Anweisung des Vaters hin fiel die Scheu von dem Jungen ab, ließ ihn die schützende lebende Mauer abschütteln und sich setzen. Es gab Dinge, dessen war die Claudia nun überzeugt, die eine Mutter dem Sohn einfach nicht beibringen konnte. Jene Schüchternheit zu verlieren gehörte wohl zweifellos dazu. Umso besser also, dass Gracchus wieder anwesend war.
    So lächelte sie erleichtert, stolz gar auf die Selbstbeherrschtheit des Sohnes, der seine Emotion zu bändigen wusste. Wäre der Spross einer geringeren Familie seinem Erzeuger zweifellos quietschend und jaulend um den Hals gefallen, so hielt der kleine Flavier sich zurück, offenbarte mit nichts die Euphorie, die sicherlich in seinem Inneren herrschte. Nicht gänzlich hatte sie also versagt, obgleich ein großer Teil von Minors guter Erziehung zweifellos bereits auf seinen geerbten Anlagen beruhte. Sanft strich sie also dem Sohne übers Haar, wie sie es stets tat, wenn sie eine seiner Taten wortlos zu loben gedachte.
    Gracchus Maior verlieh seinem Stolz währenddessen verbalen Ausdruck, war voll der Anerkennung von den Leistungen seines Sohnes, der - niemand wusste es besser als Antonia - tatsächlich sein Sohn war. Da sie ohnehin nicht um die nach wie vor vorhandenen Zweifel in Gracchus wusste, nickte sie still, die Worte bekräftigend. Allein Minors Reaktion ließ sie erstarren, innehalten in Erstaunen. Exzeptionell. Wie hatte sie nur versäumen können, wie hatten die paedagogi nur versäumen können, ihrem Kind jenes immens wichtige Wort beizubringen? So presste sie die Lippen aufeinander, senkte verschämt die Augen, als sei sie ein Kind, dass beim Kuchen stehlen erwischt worden war.

    Vom Ianitor hereingelassen, von einem weiteren Sklaven durch die Villa Tiberia geleitet, erreichten schließlich auch Gracchus und Antonia das Triclinium, in welchem sich bereits einige Gäste eingefunden hatten.
    Am Arm ihres Gatten – oder er an ihrem – ging das Ehepaar in den Raum hinein, eine kurze Zeit, welche Antonia dazu nutzte sich einen Überblick über die bereits versammelten Gäste zu verschaffen. Das ein oder andere Gesicht erkannte sie, von einem glaubte sie sogar er könne ein Claudius, ein Verwandter also, sein. Der Gastgeber jedoch schien momentan nicht anwesend, doch war es die Gegenwart des Aeliers, die flüchtig ihre Mundwinkel zucken ließ. Die Sorgenfalte auf ihrer Stirn indes hatte ihre Ursache nach wie vor im Zustand ihres Gemahls. So galt der nächste Blick denn auch Gracchus, der sich so oft danach erkundigt hatte, ob sie nicht vielleicht zu spät seien. 3 oder 4 Mal auf dem kurzen Weg hierher und Antonia kam nicht umhin sich zu fragen, ob er nicht doch durch seine Krankheit mehr Schaden genommen hatte, als sie wahr haben wollte, ob es nicht besser gewesen wäre, ihm noch eine Weile Ruhe zu gönnen, ehe er wieder in die Gesellschaft Roms eintauchen sollte. Andererseits, vielleicht war er schon immer so gewesen, vielleicht hatte sie früher jenem Verhalten nur nicht eine solch große Aufmerksamkeit geschenkt. Ohnehin analysierte und beobachtete sie Gracchus auf Schritt und Tritt, kaum ein Augenzucken, kein Blinzeln das ihrem Auge entging und das regelmäßig Antonia von einem verschlechterten, oder aber alternativ einem verbesserten Gesundheitszustand überzeugte.
    Wohlwollend hatte sie jedoch zur Kenntnis genommen, dass der Flavius sich endlich von seinem Bart getrennt hatte, welchen er als Souvenir aus Achaia mitgebracht hatte. Nicht allein aufgrund dieses Umstands fand sie selbst jenen Abend herrlich, genoss die Tatsache, dass nun, mit Gracchus‘ Rückkehr, auch sie wieder weitaus mehr vom Geschehen außerhalb des weiblichen Schattenkabinetts miterleben würde. Aufgrund dieser Gegebenheit zierte seit sie von der Cena erfahren hatte ein feines Lächeln ihre Lippen, das sie auch hier und heute zur Schau trug.
    “Siehst du.“, erhob sie leise an den Gemahl gewandt ihre Stimme, “Senator Tiberius ist noch nicht einmal hier, es bestand kein Grund zu Sorge.“

    Die abgewandten Augen, der gesenkte Blick ihres Gemahls hob sich wieder, traf sie und umgehend schmolzen ihre Selbstsicherheit, ihre Vorsätze und ihre Stärke dahin, fühlte sie sich wieder wie die schwache, die unzulängliche Antonia, die sie war. Sie spürte wie sie verlegen zu lächeln begann, wie ein junges Mädchen, das dem Bräutigam vorgestellt wurde. Und sie erkannte, sie hatte sich geirrt, wie schon so oft. Sein Geist, sein Verstand war scharf wie eh und je, treffsicher wie ein parthischer Bogenschütze, deutlich konnte sie es in seinen Augen, in jenem stolzen Blick sehen, der auf ihr ruhte und Scham überkam sie ob der Tatsache, dass sie Gegenteiliges auch nur vermutet hatte.
    Hinfort war gleichermaßen die wiedergefundene innere Ruhe, als seine linke, die gesunde, Hand ihre Haut berührte. Ein wohliger Schauer durchfuhr sie, bis ihr urplötzlich etwas auffiel und sie nicht umhin kam, den Gatten erstaunt anzustarren. Das 'ch', es war zurück, kurz und temporär nur, nicht in jedem Wort vorhanden, doch deutlich hörbar und nicht zu leugnen, fast sichtbar entfleuchte es seinem Mund um seine Gemahlin als Defätistin zu enttarnen. Es war nicht so schlimm, wie Gracchus es geschildert hatte, es würde sich bessern und wie konnte es auch anders sein? Die Götter waren nicht derart ungerecht, nicht so voll Zorn auf die flavisch-claudische Familie, dass sie ihnen nicht eine weitere Chance böten. Derart in Hochstimmung drang nur langsam seine Offenbarung, die Bekundung seiner eigenen Sehnsucht in Achaia zu ihr durch. Gänzlich Glauben schenken konnte sie jener Versicherung indes nicht, zu lange war er Rom fern geblieben, zu lange hatte sie selbst in Ungewissheit über seine Taten und seinen Zustand gelebt. Es war, wie so oft, die Erwähnung ihres Sohnes, die ihre Gemütsverfassung rettete, ließ doch allein die Erinnerung an Minor in euphorischer Vorfreude ihre Augen blitzen.
    Der Brief, den sie geschrieben hatten, hatte ihrem Gemahl also gefallen. Wie hätte dies auch anders sein, wie hätte jenes perfekte kleine Werk des Sohnes ihm nicht zusagen können? Den Stolz, den sie in sich fühlte, glaubte sie in ihrem Gemahl widergespiegelt zu sehen, allein sein Seufzen ließ sie einen Moment lang die Stirn in Falten legen. Welches war die Ursache, die Verbindung jenes unwilligen, missbilligenden Lautes mit dem vollkommenen Sohn und seiner Schöpfung? Was nur war es, das sie übersehen hatte? Glühend heiß entsann sie sich ihres eigenen Briefs, der Erklärung, die sie verfasst hatte. Dies musste es sein, hatte sie sich doch bereits selbst oft genug Vorwürfe ob ihrer Lüge dem Sohn gegenüber gemacht, wie viel größeren Missfallen musste dies bei ihrem Gatten ausgelöst haben?
    Glücklicherweise lenkte der gnädige Gemahl das Thema weiter, doch später, wenn er sich von der Reise erholt hatte, würde er sie gewiss examinieren, ihre Gründe erfragen und sie als Schuldige brandmarken. Zwischenzeitig jedoch gedachte er seine Gemahlin zu verwirren, breitete sich doch Irritation in Antonia auf die Frage nach dem derzeitigen Verbleib Minors aus. Wo sonst sollte Minor sein, wenn nicht hier? Niemals ließ die besorgte Mutter ihn alleine aus dem Haus gehen, niemals nur in Begleitung von Sklaven oder gar alleine, nur in ihrer Gesellschaft war es ihm erlaubt die Villa zu verlassen.
    "Gewiss ist er hier.", antwortete sie also, die erste Reglosigkeit überwindend und in Hinsicht auf die Zusammenführung von Vater und Sohn eine gewisse Vorfreude verspürend, die die Angst auf eine spätere Befragung hinfortschwemmte als sei sie nichts als Treibgut. Doch natürlich, wie hatte sie nur versäumen können sogleich Minor herbeibringen zu lassen? "Warte, ich lasse ihn holen."
    Nur wenige digiti bewegte die Patrizierin sich schließlich, wandte einzig den Kopf zur Türe, um in gemäßigter Lautstärke "Teje!" zu rufen. Eine ägyptisch anmutende Sklavin betrat den Raum und neigte leicht den Kopf. "Hole meinen Sohn.", ordnete die Herrin an. Derart unumschränkt waren Antonias Besitzansprüche in den letzten Monaten über Minor gewesen, dass sie nicht weiter über das verwendete Personalpronomen nachdachte, eine Teilung jener Herrschaft in 'unseren Sohn' nicht annähernd im Bewusstsein hatte. Wie es bei ihr selbst der Fall gewesen war, so wurde auch dieser Sklavin die Anweisung gegeben, keinerlei Hinweise auf den unverhofften Heimkehrer dem Jungen gegenüber zu äußern, wollte sie doch selbst sehen, wie Minor auf seinen Vater reagieren würde. Was ihr abermals den Bart in Erinnerung rief. Und während die Sklavin davoneilte, wandte die Claudia den Blick wieder Gracchus zu. Würde Minor seinen Vater derart überhaupt erkennen? Sie wusste um seine Scheu vor Fremden, würde er am Ende gar vor dem Flavier zurückschrecken, sich hinter ihr vor dem unbekannten Gesicht verbergen? Nein, ein Sohn erkannte den Vater, umso mehr als Minor hochbegabt und Gracchus ein außergewöhnlicher Mann war. Nichtsdestotrotz, das Dickicht in seinem Gesicht musste ab. Hatte sie Glück, so würde ihr Gemahl nach einiger Zeit in Rom von alleine sich des ungeliebten Gesichtshaars entledigen.
    "Sein erster Brief.", brachte sie die Sprache wieder auf jenes Werk. "Er konnte es kaum erwarten Lesen und Schreiben zu Lernen, nachdem.. ". Sie hielt inne, rief sich den Morgen ins Gedächtnis, an dem ihr Sohn sie erstmals um Schulung jener Fertigkeiten gebeten hatte und die Kehle schnürte sich ihr zu. Der Morgen von Gracchus Abreise, der Morgen ihrer Lüge. "Nachdem er einen deiner Briefe erhalten hat." Dies war wenigstens nur die halbe Unwahrheit, schließlich bekundete sie nichts Falsches, ließ lediglich eine Information unerwähnt, in der Hoffnung, Gracchus würde sich um jenes Detail nicht weiter kümmern.

    Er schien ihr jenen Gefallen nicht tun zu wollen, gegenteilig mit der Gänze der Wahrheit trachtete er sie zu belasten. Die erhoffte Erleichterung, die Beruhigung ihres aufgewühlten Inneren blieb aus, stattdessen drang Wort um Wort, Pfeil um Pfeil, Dolch um Dolch in Antonias Herz ein, streute ihr Gatte schließlich noch Salz in offene Wunden, um die Agonie zu perfektionieren.
    Zunächst jedoch schilderte er in eben jener Offenheit seinen Zustand, das Urteil der Ärzte, das nur einen schwachen Hoffnungsschimmer zurück ließ. Die Claudia wusste nichts über jene Art der Krankheit, wusste nicht, was ein Ungleichgewicht der Körpersäfte auslöste oder wie lange es sich hinzuziehen vermochte. Doch sie nickte verständig, hing noch gebannt an den Ausführungen Gracchus', die ebenso gut eine positive Richtung einschlagen konnten. Die Vorstellung, eine ihrer Körperhälften indes nur kaum mehr spüren, geschweigedenn kontrollieren zu können, ließ sie die Augenbrauen heben und unbewusst musterte sie die beeinträchtigte Seite ihres Gatten. Tatsächlich fiel ihr erst in diesem Moment auf, dass nur seine Linke sie in ihren Händen umklammert hielt, die Rechte unbewegt auf der Kline lag, als sei sie ein Zipfel einer Toga, ein abgelegtes und unnütz gewordenes Kleidungsstück. Nichts jedoch, wie ihr schien, was nicht auf irgendeine Art und Weise kurierbar wäre. Erneut den Fokus auf den Gemahl lenkend, schürzte sie kurz die Lippen. Eine Funktionsstörung der Hand ließ sich gewiss mehr oder minder gut verbergen, doch wie gestaltete sich dies beim Gehen? Würde er humpeln? Einem Kaiser Claudius gleich mehr Krüppel denn Mann? Ein Greis im äußeren Schein eines vitalen Römers? Sie ertappte sich dabei, wie sich Zehen und Fingern langsam zusammenkrampften und suchte umgehend dies zu beenden. Nicht ansatzweise, so fürchtete sie, konnte ihr Geist erfassen, was dies für Gracchus bedeuten musste, wie viel Anstrengung ihn die kleinste Regung kosten musste. Und wie schwer es ihm wohl fiel, ihr all dies zu offenbaren. Sich hier Rom und der Verantwortung zu stellen, trotz jener Behinderungen. Was sie nur abermals zu Selbstvorwürfen trieb. Wie hatte sie nur verlangen können, dass er zurückkehrte? Wäre es nicht besser für ihn unbeachtet und in Frieden sein Leben auf einem Landgut der Familie zu leben, bis eine vollständige Genesung eintrat? Sofern sie eintrat..
    Die Marter jedoch fand kein Ende, noch immer gab es Folgen der Krankheit, die er Antonia zu offenbaren gedachte. Nicht allein die Kontrolle über den Körper, vielmehr also auch die Kontrolle über seine Worte, seinen Geist, seien in Mitleidenschaft gezogen. Jene Beeinträchtigung, die sie bereits bemerkt hatte, die unvertuschbar und die Ungnädigste von allen war. Zugleich sprach er ihre Befürchtung aus, bekannte die Befürchtung, kaum mehr ein Amt ausüben zu können, dass es für ihn im Cursus Honorum, im Cultus Deorum nicht weiter nach oben gehen würde. Den Rest seines Lebens würde er wohl schweigend im Senat verbringen, sofern er überhaupt sich überwinden konnte, die Hallen ihrer Väter aufzusuchen. Niemals würde er Consul, niemals Censor werden, kein Flamen, wohl nicht einmal mehr ein Pontifex. Langsam, wenige digiti nur, begann die Claudia den Kopf zu schütteln, nicht bereit die Wahrheit zu akzeptieren, zu billigen, dass die Götter ausgerechnet einem Flavier, ausgerechnet diesem Flavier ein Schicksal der Untätigkeit, des Zusehens aufzubürden gedachten. Einem Mann, dessen Zukunft so strahlend schien, dem mehr Talent für jene Posten innewohnte als allen Senatoren zusammen. Und nicht zuletzt ihr selbst die Bestimmung zuzugestehen, Gemahlin eines politisch unbedeutenden Mannes zu sein. Es war schlicht nicht möglich, es konnte und durfte nicht sein. Was war es nur, das sie getan hatte, das er getan hatte, warum wurde ihnen eine solche Strafte zugedacht?
    Und ließen im ersten Moment die Worte einer möglichen Besserung nach Monaten, nach Jahren gar einen Augenblick lang einen Funken Hoffnung erneut aufglimmen, so löschte jenes gestotterte, verlorene Wort das Feuer bereits im Keim aus ohne auch nur ein Glühen zurückzulassen. Jenes Wort, das nicht einmal zur Hälfte konnte ausgesprochen werden, vermochte dennoch Antonia beinahe körperliche Schmerzen zuzufügen, drückte ihre Schultern hinab, zwang sie die Luft anzuhalten. Erst, als eine Alternative gefunden war, gestattete sie es sich auszuatmen. Die Erleichterung blieb dennoch aus, denn Stille senkte sich herab über das Ehepaar, kam in die Tiefe wie ein Damoklesschwert, vertrieb scheinbar das Licht aus dem Raum und hüllte Claudia und Flavius in tiefste Finsternis. Glücklicherweise wandte ihr Gemahl indes seinen Blick ab, hätte er doch nichts als Verzweiflung, Unglauben und Ohnmacht in Antonias Augen wiedergefunden, spiegelte sich in jenem Moment überdeutlich ihr Inneres in ihnen wider. Kaum war sie fähig, Gracchus' eigenen Kummer zu sehen, die Pein, die sein Zustand ihm selbst bereitete. Schwer hing jenes letzte Wort, das für die so sehnlichst herbeigewünschte Befindlichkeit stand, zwischen ihnen. Überdeutlich, fast als stünde es in materieller Form im Raume, allein um ihr die Fakten vor Augen zu halten.
    Sie hatte begonnen, auf der Unterlippe zu kauen, als abermals Gracchus es war, der das Schweigen durchbrach. Es war dies zu viel, als dass Antonia umgehend hätte antworten können. Zu viel die Verbindung der Zerstörung von Hoffnung und Träumen, die Vernichtung eines Ideals, das sie sich gemacht hatte, die Annihilation eines Manius Flavius Gracchus, den es in dieser Art ohnehin nie gegeben hatte. Noch immer, selbst jetzt, sorgte er sich um sie, um seinen Sohn, war bereit sein eigenes Wohl hintanzustellen. Mit nichts, nichts das sie war, nichts das sie je sein konnte, hatte sie einen solchen Ehemann verdient. Und wie hätte sie ihn je verdienen können, ganz gleich wie schlecht es um ihn stand, ganz gleich, wie wenig er noch die Leiter emporzusteigen im Stande war?
    Und so dauerte es, vielleicht einige Momente zu lange, bis die Claudia den Mund zu einer Antwort öffnete. Die Freude, das Glück war aus ihrem Gesicht verschwunden, hatte einem feierlichen Ernst Platz gemacht. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen, hatte gewusst was zu sagen war, noch ehe die Frage gestellt wurde. Es hatte eine Zeit gegeben, in der sie sich ihren Gemahl weit fort gewünscht hatte, in der ein Kontinent zwischen den Eheleuten noch nicht genug gewesen wären. Nun jedoch, nun war ihr der Gedanke an eine abermalige Trennung auf Monate, Jahre gar, unerträglich. Wieder die Ungewissheit, Tag um Tag Hoffen und Bangen, dies zu ertragen war sie nicht imstande, nun, da sie ihn gesehen hatte, das wusste sie. Und wäre dies nicht so, so verböte doch ein anderes Ideal, dass sie ihren Gemahl fort schickte. Wie stets, wie in jedem wachen Moment, so hielt sie sich eine Frage vor Augen: Was täte Cornelia? Was täte jene Frau, jene perfekte Patrizierin, die Mutter der Gracchen, jenes Wesen, dessen Vollkommenheit Antonia anstrebte? Gleich welche Schicksalsschläge sie trafen, sie hatte stets Haltung bewahrt, hatte die Achtung von Feinden wie Freunden erhalten und stets ihr Schicksal ohne Klagen akzeptiert. Wie hätte Antonia also anders reagieren können, als sich schließlich zu straffen, jedes Quäntchen Würde und Erhabenheit, das sie noch in sich finden konnte zusammen zu kratzen und dem Gatten ins Gesicht zu blicken. Immer hatte hinter einem großen Mann eine große Frau gestanden, hatte still und leise im Hintergrund ihn zu unterstützen gewusst. Nun war es an ihr, jene Frau zu sein, jenen Mann zu schützen, solange es ihm selbst nicht möglich war, ebenso wie sie es zeitlebens mit Minor getan hatte.
    Minor. Wozu Maior nicht mehr fähig war, an seiner statt würde Minor strahlen und glänzen, würde das Erbe seines Vaters antreten und ihrer beider Namen erneut zu Ruhm führen. Maior musste nicht länger die Bürde tragen, musste nicht länger die Pflicht auf sich laden, sie würde es tun. Und eines Tages würde ihrer beider Sohn jede Qual sie vergessen lassen.
    "Ich bitte dich", sagte sie also, "nicht zu gehen. Ich bitte dich zu bleiben."
    Fast fühlte sie sich, als verkünde sie ein Urteil, Freispruch oder Tod, welches der beiden, dessen war sie sich nicht gänzlich sicher.
    "Minor braucht dich. Ich brauche dich. Glaube mir, ein.. ein kranker Vater und ein kranker Gemahl sind in jedem Falle einem Absenten vorzuziehen. Und so in Achaia keine andere Besserung zu erwarten, ist als in Rom.. "
    So überhaupt eine Besserung zu erwarten ist, rief sie sich in Erinnerung. Zweifel überkamen sie. Wäre es nicht um seinetwillen besser, ihn nicht zu zwingen, ihn nicht anzuflehen, sich Rom zu stellen? Sich an jene Stadt anzuketten, die ihm nichts zu bieten haben würde? Nur eine Frau, um die er sich stets Sorgen machen musste und ein Sohn, der an seiner statt würde Rom erobern müssen? Hatte ihren Worten vorab noch ein um Fassung bemühter Ton angehaftet, hatten sie noch den Klang einer einstudierten Rede, so folgte noch eine kurze Bitte, leise, drängend, flehend fast, doch darum umso ehrlicher.
    "Bleib hier."

    Von jenem Wandel, der sich in Gracchus' Innerem vollzog, bemerkte die treusorgende Gattin selbstredend nichts. Die Gracchi betreffend schien generell ihre Aufmerksamkeit und die Interpretation von Gesehenem auf dem Wege von den Sinnesorganen zu ihrem Kopf enorm viel Information zu verlieren. Teils war dies zweifellos ein immenser Vorteil, meist jedoch führte dies zu enormen Missverständnissen. Hätte Antonia in jenem Moment geahnt, was ihr Anblick in dem Flavier auslöste, sie hätte wohl nie wieder ihr Cubiculum verlassen, in der Annahme, ihre Erscheinung sei derartig abstoßend, dass nicht einmal der eigene Gatte sie zu begehren imstande war.
    Nichtsdestotrotz, das Glück, das sie empfand ob der Tatsache, dass ihr Gemahl wieder hier war, war ihr überdeutlich anzusehen und kaum fehlzuinterpretieren. Allein seine Reaktion irritierte sie einen Augenblick. Er stand nicht auf, schloss sie nicht in seine Arme? Eine dunkle Ahnung kroch in ihr empor: Stand es derart schlecht um ihn, dass er kaum imstande war, sich zu bewegen? Ihr Lächeln wankte für einen Moment, fand jedoch schnell zurück, als Gracchus die Stimme erhob. Und hatte der Bart sie noch zweifeln lassen, so stand mit dem Ausspruch jener Begrüßung doch zweifellos fest, dass dies Manius Flavius Gracchus war. Wer sonst war derart eloquent, vermochte mit wenigen Worten Schmeicheleien schöner zu verpacken, als jedes Gedicht, jede Ode und jedes Lied es je könnten. Und auch wenn sie wusste, dass er maßlos übertrieb, glaubte, dass es seine Art war, nahezu jedes weibliche Wesen mit derartigen Worten zu bedenken, sie war froh, sie wieder hören zu dürfen. So ließ Antonia sich strahlend hinabsinken, nahm Platz neben dem so lange vermissten Gatten, die Hände von seinem Gesicht schließlich nehmend, doch mit ihren Fingern die Seine weiterhin umfassend.
    Allein seine Stimme brachte sie ins Grübeln. Das 'ch' war ihm, offensichtlich, abermals verlustig gegangen, nachdem er es sich doch erst wieder mühsam angeeignet hatte. Ganz abgesehen davon, dass seine Stimme, seine Tonfarbe, sich verändert hatte. Hatte er einst stets die perfekte Sprachmelodie gefunden, so klangen seine Worte nun beinahe tot. Tot und lieblos, so widersprüchlich zum Inhalt seiner Sätze, dass die Claudia zu glauben begann, allein die ungeliebte Pflicht habe ihn zurück nach Rom getrieben, ohne auch nur eine geringe Wiedersehensfreude zu verspüren, er gar im Gegenteil bereits sein Einsiedlerdasein zu vermissen begann. Erst sein kleines Lächeln, welches so hart kämpfen musste, um überhaupt wahrgenommen zu werden, rief ihr die vermeintlichen Tatsachen ins Gedächtnis. Er war nicht der vitale, gottgleiche Gracchus, den sie stets in ihrem Inneren vor sich gesehen hatte, nicht der unverletzbare Heroe und ganz gewiss nicht der Gracchus, den sie vor Jahren geehelicht hatte. Und dennoch war er ungebrochen, war trotz aller Schicksalsschläge und Beeinträchtigungen der vollkommenste Römer, der perfekte Patrizier, den sie seit jeher in ihm gesehen hatte. Doch ehe jene Grübeleien sich auf ihrem Gesicht hätten abzeichnen können, brachte seine abschließende Frage sie ins Stutzen. Er war zum zweiten Male dem Tode entronnen und er fragte sie, wie es ihr ging. Plötzlich und unvermittelt begann sie zu lachen. Sie lachte, weil die Erinnerung an vergangene Tage sie überkam, lachte, weil es so typisch für ihn schien, sich nur um das Wohl anderer zu sorgen, lachte, weil es ihr zweifellos wesentlich besser ging als ihm. Und sie lachte, damit sie nicht weinen musste.
    "Ich kann nicht klagen.", antwortete sie also wahrheitsgemäß. "Nun, da ich dich wieder vor mir sehe, könnte es mir besser gar nicht gehen."
    Ein Schmunzeln war geblieben von jenem Intermezzo, sah sie doch eine Szene vor sich, in welcher nach Gracchus' erstem Anfall er ihr ebenfalls diese Frage gestellt hatte. Und sie hatte offenbart schwanger zu sein. Dies würde heute zweifellos nicht folgen, hatte Antonia doch die beeindruckende Fähigkeit Enthaltsamkeit durch das bemuttern des Sohnes auszugleichen.
    Der Bart indes hielt ihren Blick gefangen, jenes ungewohnte Monstrum, das das vertraute Gesicht vor den Augen der Welt abschirmte. Er gefiel ihr nicht, er war unrömisch, doch würde sie sich hüten, dies laut auszusprechen. Wenigstens noch nicht.
    "Aber wie gehts es dir? Du ahnst nicht, wie sehr wir in Sorge waren. Was ist nur geschehen? Was löste erneut einen Anfall aus?"
    Vielleicht fühlte er sich ja besser, als sie befürchtete? Vielleicht sah sie nur abermals alles zu schwarz, so wie sie es immer tat? Gewiss würde er sogleich wort- und gestenreich bekunden, dass es ihm blendend ginge, dass allein die Anstrengungen der Reise ihn niederdrückten und er etwas Ruhe benötigte. Sicher, das war es. Und das war es, was ihre Augen erflehten, was der bange Blick als Erwiderung verlangte, obgleich der Mund noch immer lächelte. Denn wer war sie, fiele jene Stütze, fiele die Hoffnung auf Normalität weg? Wer würde durch seine Kraft, seine Überlegenheit, seine Vollkommenheit all ihre Unzulänglichkeiten ausgleichen, wer würde ihre Fehler berichtigen, wer würde Gaius sein, wo sie Gaia war?
    Nein. Er war hier. Er war hier und dies bedeutete, dass es ihm gut ging. Etwas anderes war sie nicht gewillt zu akzeptieren.

    Wenig nur hatte sich auch Antonia verändert, seit sie und Gracchus sich zum letzten Male von Angesicht zu Angesicht gegenüber gestanden hatten. Wenig für einen Fremden wohl, denn die Claudia, die sich tagtäglich im Spiegel sah, wusste sehr wohl, dass sie inzwischen weiter von der 20 entfernt war, als sie zuzugeben bereit war.
    In Erwartung eines familienexternen Besuchers hatte sie eine würdevolle Miene aufgesetzt und betrat nun erhabenen Schrittes das Triclinium. Etwas an jenem Mann, der nun dort auf der Kline Platz genommen hatte, irritierte sie. Nicht allein, dass er in den Speiseraum gebracht worden war, anstatt, wie üblich, ihn im Atrium warten zu lassen, nein, es war vielmehr eine sonderbare Aura, die ihn umgab und die Antonia, als sie seiner angesichtig wurde, inne halten ließ ohne sofort das Wort an ihn zu richten. Eine gewisse Vertrautheit ging von ihm aus, als habe sie ihn bereits schon einmal getroffen und doch, irgendetwas war sonderbar. Dieser Bart.. wen kannte sie, der einen Bart trug?
    Mit einem Mal fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Natürlich kannte sie ihn, natürlich hatte sie ihn bereits gesehen. Und dennoch war es unmöglich, mussten ihre Sinne ihr einen Streich spielen.
    [SIZE=7]"Manius?!"[/SIZE], wisperte sie ton-, ja beinahe lautlos. Mehr Frage denn Feststellung schwang in jenem Ausspruch mit, konnte sie doch nicht glauben, dass tatsächlich ihr Gatte hier vor ihr saß. So absurd schien ihr dieser Gedanke zu sein, dass sie versucht war ungläubig ihre Augen zu reiben. Es war ausgeschlossen, niemals konnte er hier sein. Und doch, wer sonst, wenn nicht Gracchus, sollte es sein? Seine Augen, Minors Augen, jene Augen, unter welchen sie stets zu zerfließen drohte. Sein Blick, der allezeit sie ins Wanken brachte und dem sie nie hatte standhalten können, der stets jede Fassade hatte bröckeln lassen.
    Er war es. Ebenso sicher, wie sie sich vor wenigen Augenblicken noch war, dass ihr Gemahl nicht hier sein konnte, dass er in Achaia weilte, um sich auszukurieren, war sie es nun, dass er wirklich und wahrhaftig hier saß. Und sie? Stand stocksteif da, eingefroren, ungläubig starrend wie die sensationsgierige Menge vor einem Mordopfer.
    "Manius.", krächzte sie abermals, feststellend diesmal, mit einem Zittern in der Stimme und doch lauter als das vorige Mal. Er war hier. Er war zurück.
    Unmöglich jenes Chaos, das Antonias Emotionen in ihrem Inneren nun veranstalteten in Worte zu fassen, unmöglich den Kampf von Freude und Schuldgefühlen in ihr zu beschreiben. Er war ihretwegen hier. Gewiss ihretwegen, ihr Brief, ihr Kummer, ihre Klagen hatten ihn derart beunruhigt, dass er seine Gesundheit zu vernachlässigen bereit war, nur um seine Gattin zu besänftigen, nur um ihre Unzulänglichkeiten wieder so auszugleichen, wie er es stets getan hatte. Und während so die Last der Sorge ihr von den Schultern genommen wurde, drückte das Joch des Selbstvorwurfs selbige wieder hinab. Was hatte sie nur getan? Ginge es ihm von nun an wieder schlechter, niemals würde sie sich vergeben können. Dennoch gewann temporär die Freude, erkämpfte Euphorie sich ihren Platz im Gesicht Antonias, ließ Erleichterung sie endlich die Starre lösen und auf den Gemahl zugehen.
    "Manius!" Sie jauchzte es beinahe, war mit wenigen Schritten beim zurückgekehrten Exilanten und umfasste sein Gesicht mit beiden Händen, fast als wolle sie haptisch bestätigen, was optisch so undenkbar war.
    "Du bist hier.", setzte sie hernach, mehr um sich selbst zu überzeugen, als um es allgemein festzustellen.

    Eben jene Nachfragen kamen selbstverständlich. Doch da die Sklavin keine Antwort erhielt, ging sie mit leisem Seufzer zurück ins Cubiculum, wusste sie doch, dass zweifellos nun sie selbst die Schuld für das Versäumnis eines anderen bekommen würde. Und tatsächlich, Antonia setzte einen äußerst missbilligenden Blick auf, als die unschuldige Leda auf ihre Frage hin nur ratlos mit den Schultern zuckte.
    Es konnte, so der Schluss der Claudia, niemand Wichtiges sein, wenn der Sklavenjunge sich nicht einmal von der Porta bis zu ihrem Cubiculum hin dessen Namen merken konnte. Darob ließ sie sich Zeit, suchte in aller Ruhe ein paar Ohrringe heraus, ließ sich nochmals einige verirrte Strähnen feststecken und machte sich schließlich auf den Weg zum Triclinium. Neugierig, wer da auf sie warten mochte, doch keineswegs so gefangen zwischen Angst und Euphorie wie es der Fall wäre, wenn sie auch nur geahnt hätte, wer der Besucher war.

    „Nur weil du paranoid bist, heißt das nicht, dass sie nicht hinter dir her sind.“
    Terry Pratchett


    Es war ein seltenes Ereignis, Antonia in Rage zu sehen. Es war, ihrer Ansicht nach, ihrem Stand nicht angemessen, sich zu sehr gehen zu lassen und dies beinhaltete das allzu deutliche Zurschaustellen von Emotionen ebenso wie ansprechende Kleidung. Heute jedoch gestattete die Claudia sich wutentbrannt im Raum umher zu gehen, zu schimpfen und wild zu gestikulieren. Dies war dem allgemeinen Sklavenfunk zu verdanken, der in Windeseile die Nachricht von einer Schmiererei an der Vorderfront des Hauses verbreitet hatte. Früher oder später erreichte jener Nachrichtendienst natürlich auch Antonias Sklaven Pallas, der stets pflichtschuldig dergleichen Dinge an seine Herrin meldete und nun wünschte, er hätte eben dies nicht getan. Allerdings hätte er natürlich ohnehin nicht gewagt, ihr etwas zu verheimlichen, dazu war er ein viel zu großer Feigling.
    "Das ist ungeheuerlich!", ereiferte sich die Claudia.
    "Ja, domina."
    "Eine Frechheit!"
    "Ja, domina."
    Antonia blieb abrupt stehen. Der Zorn war aus ihrem Gesicht gewichen. Stattdessen glaubte der Sklave nun so etwas wie Angst zu erkennen.
    "Domina?"
    "Wo ist mein Sohn?"
    Spielt im Garten, soweit ich weiß."
    "Wer ist bei ihm?"
    "Artaxias.. glaube ich."
    "Glaubst du? Du weißt es nicht?"
    "Ist es denn wichtig?"
    Warum er diese Frage gestellt hatte wusste Pallas nicht. Allerdings bereute er es umgehend, als er das Gesicht seiner Herrin sah.
    "Ich lasse es in Erfahrung bringen.. ", bot er umgehend an und war schon mit wenigen Schritten bei der Tür, als die Stimme Antonias ihn zurückhielt.
    "Nein, warte."
    Kalte Panik hatte Besitz von Antonia ergriffen, hielt sie eng umschlungen und drohte ihr die Luft abzuschnüren. Vor ihrem inneren Auge sah sie züngelnde Flammen und vor Raserei verzerrte Gesichter. Konturlose Schatten, ein brüllender Mob, der eine patrizische Familie nach der anderen in Stücke riss, sich von allem lossagte, was Rom groß gemacht hatte und sich stattdessen der Barbarei und der Zerstörung hingab. Und sie sah Minor, sie sah ihren Sohn, inmitten jenes Mobs. Er, Vereinigung von Claudia und Flavia, er, der das Blut zweier kaiserlicher Familien in sich trug, er war Symbol für alles, was sie zerstören wollten.


    "Domina?", fragte Pallas nachdrücklich. Sein Tonfall verriet, dass er bereits einige Male das Wort an seine Herrin gerichtet hatte, die jedoch ins Nichts zu starren schien.
    Gewiss, es war unwahrscheinlich, dass sich nun ganz Rom erheben würde. Es würde nicht von heute auf morgen einen Aufstand geben. Und doch, auch wenn kein fackelschwingender Pöbel vor der Villa aufzog, so gab es dennoch andere Möglichkeiten, den Patrizierin im Allgemeinen und den Flaviern im Besonderen zu schaden.
    "Ich will, dass von nun an wenigstens einer der Leibwächter stets bei ihm ist."
    "Auch hier in der Villa?"
    "Auch hier in der Villa."
    Natürlich würde der Sklave es sich niemals anmaßen, seine Herrin als verrückt zu bezeichnen. Übervorsichtig, ja, ein wenig paranoid gewiss auch, aber doch nicht verrückt. Nein, Verrücktheit war etwas, das in der claudischen Familie völlig neu gewesen wäre..
    "Aber.. warum? Es ist doch ohnehin meist ein Sklave bei ihm."
    "Ein Sklave ist nicht automatisch ein Leibwächter."
    "Das nicht, aber.. "
    "Du bist ein Sklave."
    "Ja.. "
    "Glaubst du, du könntest meinen Sohn vor einem Angreifer jedweder Art schützen?"
    "Leibwächter also."
    Bestätigend nickte Antonia nochmals.
    "Und.. du glaubst nicht, dass du ein wenig.. überreagierst?"
    "Überreagierst?"
    Ihr Blick passte so formidabel zu ihrem Tonfall, wie es ihre Ohrringe zu ihrer Tunika taten. Es war jener gefährlich leise Ton, der stets Signal für alle Sklaven im Umfeld von wenigstens 3 Zimmern war, nun sofort das Weite zu suchen. Mit einem Mal schien dem Sklaven Antonias Idee hervorragend, geradezu wegweisend für künftige Generationen zu sein. Wie hatte er nur jemals Zweifeln können?
    "Leibwächter. Ich kümmere mich sofort darum."
    Wieder wandte er sich um, schaffte es dieses Mal sogar die Tür zu berühren, als Antonia ihn erneut zurückhielt.
    "Sie sollen nicht die ganze Zeit neben ihm stehen.", wies sie ihn an. "Es würde ihn nur beunruhigen. Es genügt, wenn sie in Sichtweite bleiben. Verstanden?"
    "Wie du wünschst."
    In Windeseile brachte der Sklave zunächst eine schützende Tür und anschließend eine halbe Villa Abstand zwischen sich und seine Herrin, während jene ihre ausgesprochen kreative Vorstellungskraft dazu nutzte, sich weitere Untergangszenarien auszumalen.

    Es schien als ginge ein kollektives Seufzen durch die Räumlichkeiten, teils aus Erleichterung, teils zweifellos aus Enttäuschung darüber, dass vorerst wohl nichts Spektakuläreres geschehen würde. In exakt diese Hälften geteilt verhielt es sich auch bei Antonia und Delmatica, wobei die Claudia die Erleichterung und Delmatica eine enormen Teil der Enttäuschung vertrat. Man konnte ihr förmlich ansehen, wie niedergeschlagen sie ob Celerinas Reaktion war. Nichtsdestotrotz gab die erfahrene Klatschbase in ihr die Hoffnung nicht auf, dass sich aus diesem kleinen Zwischenfall eine handfeste Fehde entwickeln würde. Und für nichts in der Welt würde sie sich die Details dieses Ereignisses entgehen lassen. Doch dafür hieß es wohl zunächst antichambrieren..
    "Antonia, meine Liebe.", bereits jene Anrede ließ die Claudia erneut wachsam werden. Allerdings war es gleichzusetzen mit einem unverhofften Wettgewinn, wenn Delmatica etwas von einem wollte. Eine unermessliche Quelle tat sich hier auf, für beide Seiten, wie es schien. Und sofern man nicht unbedarft an jenes Spiel mit dem Feuer heranging, so konnte man tatsächlich etwas daraus gewinnen. Mit einem Lächeln, das einem Politiker auf Stimmenfang in nichts nachstand und einer Stimme, die zart wie Samt war, erwiderte die Angesprochene also "Ja?"
    Angebissen. Antonia wusste es und Delmatica wusste es. Aus dem einsamen Tanz wurde ein gemeinsamer Reigen.
    "Ich bin der Ansicht, wir dürfen nicht wieder so viel Zeit verstreichen lassen, bis wir uns wieder sehen, meinst du nicht auch?"
    Der Fisch zappelte im Netz. Blieb die Frage, wer hier der schuppige Gefangene war.
    "Unbedingt."
    "Wundervoll, wundervoll. In einigen Tagen wird bei mir eine kleine Zusammenkunft stattfinden. Ich habe einen wundervollen Philosophen eingeladen, der einige sehr interessante Theorien vertritt. Vielleicht möchtest du dich ja dazugesellen?"
    "Gerne."
    "Domina?", ließ sich auf einmal Leto vernehmen, die bislang mit den anderen Begleitsklaven in einiger Entfernung gewartet hatte.
    "Domina, ich sollte dir sagen, wenn es Zeit ist, deinen Sohn-"
    Weiter kam sie nicht, denn Antonia schnitt ihr mit einer Geste das Wort ab.
    Achja. Der Sohn. Jenes kleine Geheimnis, das Antonia umrankte, die sich sonst so mühevoll von jeglichen Skandalen fern gehalten hatte. Die Erwähnung Minors rief in Delmatica die Erinnerung wach, das sie bereits seit Langem versuchte, mehr über jene unverhoffte Schwangerschaft der Claudia zu erfahren. Es war doch auch wirklich zu sonderbar. Jahrelang nichts, kein Sohn, keine Tochter, kein Nachkomme der beiden patrizischen Familien. Und dann plötzlich, als sei es das Normalste der Welt, wurde verkündet, Antonia erwarte ein Kind. Ein Zufall? Ein Segen Iunos? Wohl kaum. Keine Sekunde hatte Delmatica daran gezweifelt, dass Antonia nachgeholfen hatte, dass sie Gracchus Hörner aufgesetzt und einen anderen zum Vater ihres Kindes bestimmt hatte. Und Gracchus, der Ärmste, hatte sich einwickeln lassen. Und doch, bis zum heutigen Tage war es unmöglich herauszubekommen, wer denn nun tatsächlich den Fortbestand jenes Familienzweigs gesichert hatte. Vielleicht wäre auch dieses wohlgehütete Geheimnis nun, da die Claudia einer Freundschaft nicht abgeneigt schien, zu ergründen. Es wäre schließlich nicht das erste dieser Art, das die Aemilia nach langer Zeit erfahren hatte.


    Antonia indes ahnte von solchen Gedankengängen nichts. Sie verabschiedete sich im Glauben, die Aemilia treibe derzeit nichts weiter um, als sie über Celerina auszuhorchen.
    Kaum dem Wasser entstiegen, hüllte Leto ihre Herrin abermals in das hellblaue Tuch, das sie wie einen Schatz bewacht hatte. Celerina und Prisca mit einem kurzen Heben der Hand begrüßend, schritt die Claudia schließlich, darauf bedacht mit ihren nassen Füßen nicht auszurutschen, in Richtung der Umkleideräume davon, um sich auf dem schnellsten Weg nach Hause zu begeben. Delmatica jedoch würde vermutlich abwarten bis auch die letzte Frau die Therme verlassen hatte, um nur nichts zu verpassen.

    [SIZE=7]Dedicatio: MFG :P[/SIZE]


    Ein Kind, ihr Sohn mit seinen großen dunklen Augen und einer Zahnlücke in der Reihe kleiner weißer Milchzähne, ist zu sehen im Garten der Villa. Er spielt, ist nicht interessiert an seinen Studien, die ihn nur von seiner spannenden Tätigkeit abhalten. Sie selbst umringt von einer gesichtslosen Herde an Matronen, die ihr in diesen "schweren Tagen" beistehen sollen. Es ist normal, sagen sie, er sei zu jung für jene Dinge, die sie in seinen Kopf forcieren will.
    Ihre Blicke, die wissenden Blicke, die sie austauschen fachen den Zorn in ihr an. Jene Blicke, die zu sagen scheinen: Armes Ding. Der Ehemann weit fort, mehr tot als lebendig. Sie versucht ihn zu ersetzen, versucht sich zu beschäftigen, versucht die Tatsache zu verdrängen, dass sie kaum mehr als eine Witwe ist. Sie sagt nichts.
    Sie ist jung, sie ist Realist, hat in seine vertrauten Augen geblickt und den Grund seiner Seele gesehen. Er ist kein Junge, dem man erlauben sollte seine Zeit mit Spielsachen zu verschwenden, er hat Größeres vor sich.


    Ein Entschluss ist gefasst, sie verschwinden, ein Holztier nach dem anderen, Geschenk um Geschenk, werden eingeschlossen in eine ungnädige Truhe, die allen Angriffen zu trotzen vermag.
    Er versucht es. Natürlich versucht er seine so geliebten Schätze zurückzubekommen. Er schmeichelt, er schreit, er bettelt. Und schließlich verweigert er sich allem, kreuzt die Arme und starrt an eine Wand, statt seiner Pflicht nachzukommen, statt seinem Paedagogus Aufmerksamkeit zu schenken, statt seine Übungen zu absolvieren. Nur auf den Rat einer jener unfähigen Frauen hin gibt sie nach, lässt locker und schließt einen Handel ab: Rezitiere jenes Gedicht, lies diese Aufzeichnung, lerne jenen Fakt und du kannst dir eine deiner Kostbarkeiten aussuchen.


    Es funktioniert. Für eine Weile. Er ist zufrieden. Sie ist zufrieden. So lange, bis all jene Spielsachen zurück bei ihrem Besitzer sind, die dieser sich wünscht, bis lediglich ungeliebte, alte Dinge in der Truhe verbleiben. Seine Aufmerksamkeit ist erneut verloren, okkupiert von Nichtigkeiten.
    Und sie? Sie tut nichts. Gibt sich der Frustration, dem Selbstmitleid hin. Vielleicht lag sie falsch. Vielleicht war er nichts weiter als ein Vertreter jener Sorte, die sich stets mit Schmeicheleien und auf Kosten anderer durchs Leben winden, lediglich interessiert an den schönen Dingen, an Zerstreuung und bedeutungslosen Vergnügungen. Jene Gedanken treiben sie um, als er eines Tages freudestrahlend zu ihr kommt, stolz zwei Tierfiguren emporreckt, die sein Vater ihm einst gab. Sie sieht nicht hin, erträgt den Anblick nicht.
    "Mama?", dringt seine Stimme an ihr Ohr. Sie muss ihn nicht gehört haben, ihn übersehen haben, denn aus welchem anderen Grund würde sie ihn nicht beachten? "Mama, schau doch! Mamaaaaaaa!"
    Seine kleinen Hände zerren an ihrer Tunika, wollen Aufmerksamkeit erzwingen, wo keine zu erwarten ist.
    "Mama, schau, der Löwe frisst die Antilope.. siehst du? Mama!"
    Sie sieht ihn nicht an. Nicht ein einziges Mal. Und als er endlich aufgibt, seine flehende Stimme verstummt und die kleinen Schritte leiser werden, wendet sie den Blick. Die Tiere liegen ihr zu Füßen, nun ungeliebt zurückgelassen.
    Auch den Rest des Tages spricht sie mit ihm kein Wort, wie auch am nächsten Tag, als er seine Studien zugunsten des Spiels vernachlässigt. Sie ignoriert ihn, den einzigen Sohn den sie hat, Geschenk der Götter, ihr Herz und ihre Seele. Ein Sklave bringt ihn zu Bett, muss ihm Trost spenden, anstatt ihr selbst, der Mutter, die sonstig stets dies hatte getan.
    Er verstand. Natürlich verstand er, er war ihr Sohn. Er begriff, was zu tun war und so tat er es..


    Die Welt um sie herum war dunkel, als Antonia die Augen öffnete. Orientierungslos blinzelte sie, versuchte sich zu erinnern wo sie war. Sie drehte sich auf die Seite, ihre Hände ertasteten das weiche Laken ihres Bettes und die Erinnerung kehrte zurück. Ein Traum. Nur ein Traum.
    Leise stöhnend rollte sie sich zurück, kam auf dem Rücken zum liegen und beschattete ihre Augen mit einer Hand.
    "Morpheus", murmelte sie schlaftrunken, "was willst du mir damit sagen?"
    Minor war nicht wie in ihrem Traum. Er war strebsam, war wissbegierig, widersprach nicht und hatte ohnehin mit nichts eine solche Behandlung verdient, wie sie selbst in ihrem Traume sie ihm hatte angedeihen lassen. Und doch, falls..
    Sich den Gedanken umgehend verbietend ließ sie die Hand wieder sinken, drehte sich abermals auf die Seite und versuchte in einen ruhigeren Schlaf zu finden.

    Der flavische Zorn manifestierte sich einer finsteren Gewitterwolke gleich, hüllte alle gravitas und dignitas ein, sodass deren heller Schein nicht mehr nach Außen dringen konnte. Celerina schien die menschgewordene Furie zu sein, eine Rachegöttin, bereit ihre Feinde zu zerschmettern. Delmatica konnte ihr Glück kaum fassen. Antonia indes wäre am liebsten in der Erde versunken. Jenes Schicksal war ihr jedoch heute nicht vergönnt.
    Allgemeines Tuscheln und Flüstern begann, zog sich durch den gesamten Raum, von Becken zu Becken, von Herrin zu Sklavin, von Patrizier zu Plebejer und lockte gar Frauen aus den benachbarten Räumen an. Und mit einem Mal wurde Antonia bewusst, welches Glück sie eigentlich hatte, von der Aemilia in Beschlag genommen worden zu sein und nicht zuerst Celerina getroffen zu haben. Zumal sie all den Tumult nicht verstehen konnte, war jener Sklave, um den sich der Streit augenscheinlich drehte und der sämtliche Blicke auf sich gezogen hatte, doch nun wahrlich nichts, wofür ein Streit sich gelohnt hätte. Allerdings war Antonia hier wohl auch kein Maß, hatte sie sich doch zeitlebens mehr an den eleganten und eher androgynen Figuren von Schauspielern erfreut und konnte nichts am muskelbepackten Typus Gladiator finden. Da sie hierfür jedoch auch regelmäßig Unverständnis in ihrem Bekanntenkreis erntete, beschloss sie nichts weiter hierzu zu sagen. Vielleicht ging es in diesem Fall auch weniger um Optik und mehr um Können.. diesbezüglich verunsicherte sie jedoch Delmaticas vorangegangene Äußerung. Eventuell würde sie zu einem späteren Zeitpunkt einmal Celerina dazu befragen, selbst ausprobieren wollte sie jenen Sklaven nicht, der augenscheinlich keineswegs wusste, welche gesellschaftlichen Schichten er zu bevorzugen hatte. Wie konnte er die Germanica einer Flavia - einer Flavia! - vorziehen? Eine ungeheure Unverschämtheit. Wer waren die Germanicer denn schon? Ein Haufen Querulanten, homines novi, die zeitlebens nur für Unruhe sorgten.
    "Mir scheint da tut sich ein Saturnaliengeschenk für Senator Aurelius auf.", sagte Delmatica so trocken, dass selbst die Claudia ein kurzes Grinsen nicht unterdrücken konnte. "Allerdings muss ich mich doch sehr über Minos wundern. Wer zieht schon ein gesellschaftliches Nichts einer einflussreichen Patrizierin vor? Avarus muss wohl seinen Geldhahn für dieses Mädchen sehr großzügig aufgedreht haben. Ungewöhnlich. Sehr ungewöhnlich."
    Unbewusst hatte Delmatica eben das ausgesprochen, was auch in Antonias Kopf vorging. Mit einem stummen Nicken beipflichtend, konnte sich nun jedoch auch Antonia sich einer gewissen Sensationslust nicht erwehren. Würde sich Celerina nicht schnell wieder in den Griff bekommen, gäbe es vielleicht sogar Handgreiflichkeiten. Ein richtiger Skandal.. und sie war hautnah dabei. Vielleicht sollte sie doch wieder öfter in die Thermen kommen. Für einen Moment wanderte ihr Blick zur Aemilia, die ein sonderbares Funkeln in den Augen hatte. Eindeutig, dies war ihr Tag. Und ihre Freundin würde sich zu Tode ärgern, dass sie die Thermen bereits wieder verlassen hatte.
    "Möglicherweise geht er auf diese Art einiger treuer Kundinnen verlustig.", mutmaßte Antonia, die neugierigen Damen, zu denen sie selbst ja auch gehörte, beobachtend.
    "Wie meinst du das?"
    "Nun, würdest du denn noch zu ihm gehen, wenn er dich derart behandelt?"
    "Wohl kaum."
    "Eben, eben. Und ich selbst kann mir, nach diesem Schauspiel, auch weitaus angenehmeres vorstellen, wie wohl auch einige andere Damen von Stand. Ein Masseur ist letztlich auch ersetzbar, nicht wahr?"
    "In der Tat.", erwiderte Delmatica und dachte einen Moment lang nach. "Zugleich erschließt er sich so aber eine neue Kundenschicht.. die Plebejer."
    "Von denen es natürlich ungleich mehr gibt."
    "Ein kluges Köpfchen."
    "Ein Grund mehr ihn zu meiden."
    "Richtig. Kluge Sklaven waren mir auch seit jeher suspekt."
    "Zumindest wenn sie nichts weiter tun sollen als massieren."
    Der Blick, mit dem Delmatica Antonia bedachte sprach Bände. 'Er soll natürlich mehr tun, als nur massieren.'

    Wie der Sohn sich über die Belobigung freute, so rief die mehr als offensichtliche Freude im Mienenspiel des Jungen ein euphorisches Gefühl bei der Mutter hervor, vermochte das Strahlen der großen Augen sie für einen Moment die Umgebung vergessen zu lassen und ein zufriedenes Lächeln zu Tage zu fördern. Hätte Antonia es gekonnt, sie wäre wohl selbst in Windeseile aufgebrochen, allein um jenen Brief zu überbringen, welcher dem Sohne so wichtig schien. Zweifellos war jedoch ein Bote schneller, wie sie sich ins Gedächtnis rief.
    Der plötzliche Interessenswechsel des Sohnes, welcher sich durch ein Davonstürmen manifestierte, vermochte die Claudia für einen Moment in erschrecktes Staunen zu versetzen, in welchem sie Minor verdattert hinterhersah. Als dieser schließlich nochmals innehielt, um jenes Verhalten zu erklären, löste sich die Verwunderung in Belustigung, so dass sie ihm lachend "Viel Vergnügen!" hinterherrief und sich selbst ungleich langsamer aufmachte, um umgehend sich an ihren eigenen Brief zu setzen.
    Die Rückverwandlung des improvisierten tablinums würde zweifellos den verbliebenen Sklaven obliegen.


    ~ finis ~

    Sim-Off:

    Ich kurbele mal die Gerüchteküche ein bisschen an. Wer sich lieber nicht hier verewigt sehen möchte, gibt einfach kurz bescheid, dann lösche ich den entsprechenden Teil ;) Ansonsten, keine Sorge, jeder kommt mal dran :D


    [Blockierte Grafik: http://img29.imageshack.us/img29/5361/delmatica.jpgAemilia Delmatica


    "Claudia Antonia! Wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen?"
    Nicht lange genug, erwiderte die Angesprochene in Gedanken und wünschte sich an jeden Ort, der nur weit genug von hier entfernt war. Der Kelch sollte heute also nicht an ihr vorübergehen, Aemilia Delmatica hatte sie aus der Masse der Frauen heraus erspäht und für heute als dankbares Opfer erkoren. Ihrer Freundin Peducaeana hatte sie sich augenscheinlich unterwegs entledigt, was zumindest die Pein für die Claudia ein wenig zu mindern vermochte. "Aemilia Delmatica. Viel zu lange schon, wie mir scheint.", heuchelte sie gekonnt Wiedersehensfreude und strahlte der unliebsamen Störung entgegen, die sich elegant in ihr Becken hinabließ. Jene tat, wie üblich, wenn sich eine neue Informationsquelle auftat, als seien sie und Antonia bereits seit Jahren beste Freundinnen. Wollte man nicht am nächsten Tag das Stadtgespräch sein, spielte man das Spiel jedoch besser mit, wie sich die Claudia ins Gedächtnis rief. Das würde ein langer Tag werden, soviel stand nun fest.
    "Ach, meine Liebe, wie steht es um deinen Gatten? Man hört ja nichts von seinem Gesundungsprozess, doch gewiss wird er in seinem Alter nicht mehr lange fort vom Nabel der Welt sein wollen, nicht?"
    So begann also der Tanz auf dem Eis, bei dem jeder falsche Schritt von ungnädigen Augen gesehen und vermerkt werden würde. Doch wie Delmatica hatte auch Antonia ihn schon oft getanzt, hatte in jungen Jahren gelernt sich im Zaum zu halten, wenn es darauf ankam, sodass sie keine Miene verzog, als die Aemilia ausgerechnet jenes Thema ansprach, das sie tatsächlich zu treffen vermochte.
    "Oh, es geht ihm von Tag zu Tag besser.", log sie also, nach wie vor das falsche Lächeln im Gesicht. "Du wirst sehen, zu den nächsten Wahlen steht er bereits wieder vorm Senat."
    Ob und was die Aemilia hiervon glaubte war nicht ersichtlich, doch zumindest vordergründig spielte sie Fröhlichkeit vor.
    "Ach, wie erfreulich. Oh, da du gerade den Senat erwähnst.. ist dir der Praefectus Urbi bekannt? Vescularius Salinator?"
    "Wer kennt ihn nicht."
    "Natürlich, natürlich. Ein Bild von einem Mann, nicht?"
    Jenes Urteil überraschte wohl nicht weiter, Delmatica hatte zeitlebens einen etwas eigenen Geschmack was Männer anging. Doch sie würde sich hüten, dies laut zu äußern und so legte sie lediglich den Kopf schief.
    "Ist er das?"
    "Oh, gewiss, glaube mir. Du weißt ja, was man über Männer mit spärlichem Haarwuchs sagt."
    Verschwörerisch zwinkerte sie der Gesprächspartnerin zu, die allerdings nicht die geringste Ahnung hatte, was man über Männer mit wenig oder starkem Haarwuchs sagte. Was sie nicht davon abhielt, ein wissendes Grinsen aufzusetzen. Delmatica schien dies als Erwiderung bereits zu genügen, denn sie reckte mit gerunzelter Stirn den Hals, um in Richtung der kleinen Fehde um den Masseur zu blicken. Selbstverständlich erkannte sie bereits von hier aus die meisten der beteiligten Damen. Und dass sie nun bei einer Verwandten der involvierten Flavia saß ließ sich nicht anders deuten, als dass Fortuna heute ein besonderes Augenmerk auf die Aemilia hielt. Die Freude jedoch gekonnt verbergend wandte sie sich mit leidendem Seufzer an Antonia.
    "Ach, ist es nicht fürchterlich, diese Streitereien an einem Ort, an dem man Entspannung sucht?"
    Auch Antonia hatte umgehend die Szenerie überblickt, Celerina entdeckt und jede Hoffnung auf eine schnelle Flucht endgültig begraben. Nein, aus Delmaticas Fängen würde sie heute nicht mehr entlassen werden. Es hieß nun also das Beste daraus zu machen. Vielleicht erfuhr man so ja wenigstens eine Geschichte, die der Wahrheit entsprach.
    "Aber ich kann verstehen, was die Damen umtreibt.", vergnügt legte Delmatica eine kleine Sprechpause ein, um Antonias Reaktion zu studieren. Diese tat ihr den Gefallen und zog in flavischer Manier eine Augenbraue in die Höhe.
    "Minos ist ein wahrhaft göttlicher Masseur. Und nicht nur das, wenn du verstehst, was ich meine."
    Die Claudia, seit jeher eher prüde veranlagt, setzte wohl ein etwas entgeistertes Gesicht auf, denn Delmatica kicherte zufrieden."Nunja, ich selbst greife natürlich nicht auf derartige Angebote zurück."
    Natürlich nicht, sie hatte ja ihre Gladiatoren..
    "Wir können wohl gespannt darauf sein, wen er zuerst beglücken wird. Wenngleich ich natürlich nicht glaube, dass er jene unbedeutenden Kinder deiner Verwandten vorzieht. Kennst du sie? Ich muss gestehen, nur zwei von ihnen habe ich schon einmal gesehen. Nicht einmal Peducaeana kannte die anderen."
    "Bedaure. In jenen Kreisen bewege ich mich für gewöhnlich nicht.", brummte Antonia, ob einer solchen Annahme offensichtlich ein wenig beleidigt.
    "Gewiss, gewiss."
    Doch Delmatica wäre nicht Delmatica, wenn sie sich von offensichtlichem Desinteresse davon abhalten ließe, ihr (erfundenes) Wissen zu teilen. Schließlich bestand doch Aussicht darauf, dass anschließend auch Antonia etwas über die Gegenseite berichten würde.
    "Die eine ist wohl eine Germanica. Wie hieß sie noch.. Cara.. nein.. Calina.. Calvena.. oder etwas in der Art. Urplötzlich aufgetaucht, aber auffällig wie ein bunter Hund. Hat schon die halbe Männerwelt Roms erkundet, wie ich hörte. Und die andere wird wohl künftig an die Reihe kommen. Iulier, Quintilier, Duccier, Decimer.. teilweise glaubt man gar, der alte Avarus sammle nun Mädchen von der Straße auf und gebe sie als Verwandte aus, nur um seinen politischen Einfluss durch sie zu mehren. Heiratsfähige Frauen gibt es ja kaum noch in der Germanica."
    Konkurrenz für Peducaeana also, dachte Antonia schadenfroh.
    "Zuzutrauen wäre es ihm durchaus.", erwiderte Antonia, die wie so viele ihres Standes eine gewisse Abneigung dem Germanicus gegenüber verspürte.
    "Wie wahr, wie wahr.", bestätigte Delmatica, erfreut über das offenbar wachsende Interesse. "Neulich im Theater scheint ihretwegen gar eine Prügelei ausgebrochen zu sein, als sich zwei ihrer Verehrer über den Weg liefen. Nunja, die andere ist Caecilia Cara, die Schwester von Caecilius Crassus. Angeblich schickte die Familie sie aus Alexandria fort, weil sie sich dort mit einem Peregrinus eingelassen hatte. Ein Peregrinus, stell dir nur vor."
    "Mh.", brummte Antonia. Auch Crassus war nicht unbedingt als größter Freund der Familie zu bezeichnen. Nicht seitdem er Gracchus' Schwester Minervina den Kopf verdreht hatte. Zweifellos allein mit dem Ziel sich eine Patrizierin und damit möglichst gute Partie zu angeln.
    "Wenn sie nach ihrem Bruder schlägt sollten sich hier allerdings eher die patrizischen Männer als die Peregrini vor ihr in Acht nehmen."
    "Tatsächlich?", fragte Delmatica so unschuldig wie ein hungriger Wolf. Dass sie nichts von jener Geschichte gehört hatte glaubte Antonia zwar keine Sekunde lang, doch um des Gebens und Nehmens Willen, berichtete sie knapp von Minervinas kleiner Rebellion.
    "Ungeheuerlich.", bestätigte sie schließlich gespielt bestürzt und untermalte dies mit einem Kopfschütteln. "Nun, mittlerweile scheint er sich ja mit einer Purgitia zufrieden gegeben zu haben, nicht wahr? Es kann den Purgitiern wohl nur gut tun, es ist furchtbar still um diese Familie. Vielleicht wird mit der jungen Tiberia ja bald ein wenig Glanz in deren Heim einziehen."
    Wie beiläufig ließ der Geier bekannt als Aemilia Delmatica wieder seinen Blick schweifen, um sich schließlich erneut ruckartig Antonia zuzuwenden. Diese durfte sich nun über eine nasse Hand auf ihrer Schulter freuen, platzierte Delmatica doch mit Vorliebe ihre Hand auf Gesprächspartnern. Um ein Gefühl der Vertrautheit zu erzeugen, wie sie hinter vorgehaltener Hand offenbarte. Die Claudia allerdings, die seit jeher ein gewisses Problem mit solchen Gesten fremder Menschen hatte, fühlte sich eher unbehaglich. Umso mehr, da sie gänzlich unbekleidet waren.
    "Nun fällt es mir ein. Die Kleine da, bei der Caecilierin und der Germanica.. das ist eine Iunia. Iunia Serrana. Hat neulich auf dem Forum einiges an Aufmerksamkeit auf sich gezogen, als ihre Sklavin einen unschuldigen Bürger zu Boden schlug."
    Dass jener 'Bürger' ein Sklave war, war wohl als 'dichterische Freiheit' zu sehen. Antonia allerdings, sich dieser Tatsache nicht bewusst, konnte ihr Erstaunen kaum verbergen. "Unmöglich!"
    "Wenn ich es dir sage. Iuno und Bona dea, dachte ich als ich es hörte, so weit sind die Sitten also schon verkommen, dass Sklaven sich ungestraft an Bürgern vergehen dürfen."
    "Er hat sie nicht verklagt?"
    "Sicherlich war es ihm peinlich."
    "Hm."

    Mit dem typischen Geräusch, das Holz auf Stein zu verursachen pflegt, landete eine soeben beschriebene Wachstafel auf dem Boden. Sie enthielt Revision III von Antonias Brief an Gracchus.
    Mit stillem Seufzen löste sich abermals die geduldige Gestalt von der Wand, die bereits die Vorversionen aufgesammelt und der Werferin zurückgebracht hatte.
    "Wenn du mir eine Bemerkung gestattest, domina.. "
    "Darum bist du ja hier. Du sollst mir helfen.", erwiderte die Angesprochene, sichtlich verstimmt.
    Ein Blick durchs Fenster verriet, dass die Sonne bereits endgültig sich hinter den Horizont zurückgezogen hatte. Doch die Claudia war noch nicht gewillt, endlich die Epistel ruhen zu lassen und sich zu Bett zu begeben. Immer wieder entdeckte sie beim Durchlesen ihres Schreibens Missgriffe, unzureichende Formulierungen und Inhalte, die ihr schlichtweg falsch erschienen.
    "Du machst dir viel zu viele Gedanken. Es ist ein Brief an deinen Gatten, kein Schreiben eines Verurteilten, der um Gnade fleht. Du solltest ihn so lassen, er ist vollkommen in Ordnung."
    "In Ordnung ist nicht genug."
    Den strafenden Blick, den Pallas für seine Äußerung erntete, gepaart mit jener Äußerung, ließ den Sklaven jeden weiteren Widerspruch vorerst vergessen. Das Stöhnen unterdrückend, das ihm im Halse steckte, legte er stumm die Wachstafel zurück auf den Tisch, von dem sie wenige Sekunden zuvor heruntergeschleudert worden war.
    "Vielleicht solltest du eine Nacht darüber schlafen.. "
    Einen widerwilligen Brummton von sich gebend, rieb Antonia sich mit einer Hand die Augen. Sie war in der Tat müde, doch wollte ihr dies keine Ruhe lassen. Sicher würde sie ohnehin noch stundenlang wach im Bett liegen und sich hin und her wälzen, auf der Suche nach dem optimalen Wortlaut. Nein, an Schlafen war noch nicht zu denken.
    "Nein.
    "Nein.. Gut.", murmelte Pallas und bezog erneut Stellung an der Wand, in der Hoffnung dass nicht er als nächstes die kreativen Ergüsse seiner Herrin in Form einer Wachstafel an den Kopf geworfen bekam. Im Zweifelsfall war schließlich er schuld, dass es nicht klappte, wie es sollte. Und sei es nur, weil er 'negative Wellen' aussendete, wie seine Herrin es nannte. Antonia indes wandte resigniert den Blick ihrem Schreiben zu. Wie konnte sie schreiben, was sie dachte und doch zugleich nicht zu sehr auf seine Rückkehr drängen? Wie konnte sie von Rom berichten, ohne seine, gewiss vorhandenen, Sorgen um die Familie zu schüren? Wie erklärte sie Minors Worte, ohne Maiors Zorn ob der Lüge zu entfachen?
    "Oh Iuno, schicke mir eine Eingebung.", ächzte Antonia, wohl wissend, dass wohl weder Iuno, noch jede Muse der Welt ihr die rechten Worte in den Mund legen konnten. Sich dieser Tatsache gewahr werdend, nahm sie einmal mehr die Wachstafel zur Hand und besah sich die Worte, die ihr während des Schreibprozesses noch passend, beim Lesen jedoch zunehmend ungeeigneter erschienen.
    "Weißt du", setzte Pallas nach geraumer Zeit erneut zu einem Versuch an, "je öfter du es liest, desto mehr Dinge wirst du finden, die du daran auszusetzen hast. Dein Gemahl wird den Brief nur einmal lesen, vielleicht sogar lediglich vorgelesen bekommen. Er wird nicht wie ein Adler auf der Suche nach Unstimmigkeiten sein."
    "Aha, es gibt deiner Meinung nach also Unstimmigkeiten!"
    "Ich.. nein.. ich meine nur.. "
    Doch die Claudia winkte ab. Sie verstand durchaus, was er meinte. Und ein Teil von ihr wusste, dass er recht hatte. Allein jedoch der Gedanke, Gracchus könnte ob eines einzigen Satzes seine Augenbraue emporheben, kettete sie an ihren Sitzplatz.
    "Schön.", entschied sie schließlich und erhob sich. Umgehend hielt sie inne, hatte sie doch so lange in ihrer sitzenden Position verharrt, dass jedwede Bewegung in eine andere Richtung einen Protest der Muskeln und Sehnen nach sich zog. Einen Laut des Unwillens aus der Kehle entlassend streckte sie sich kurz und fixierte den wartenden Sklaven.
    "Schön.", wiederholte sie abermals. "Schreib ihn ab, bring ihn mir zur Unterschrift und gib ihn dann, zusammen mit dem Schreiben meines Sohnes, an einen der Boten. Du weißt, wohin."
    Pallas wusste es. Und so machte sich am nächsten Morgen ein Reiter auf den Weg, das nächste Schiff gen Achaia zu erwischen.