Sein Herr hatte ihn nicht nur verstoßen, er hatte ihn umgebracht. Sciurus, langjähriger Sklave des Manius Flavius Gracchus - Leibsklave, Vilicus, Privatsekretär, Vorleser und Rezitator, Bettgenosse, Handlanger, Vorkoster, Leibwache. Alles. Er hatte alles getan für seinen Herrn. Er hatte alle Gefahr von ihm abgehalten, hatte ihn beschützt - bis zuletzt. Doch Manius war verhext, verflucht, verblendet durch den falschen Schein des Decimus Serapio, und hatte Sciurus geopfert.
Er war gefallen, den Abhang der Schlucht hinabgerutscht, der Fels hatte ihm seine Haut aufgerissen, und nach einem harten Aufprall auf eine verkrüppelte, schief gewachsene Pinie war er halb in den Fluss gefallen. Womöglich hätte er sich mit Kraft an das felsige Ufer ziehen können. Doch Sciurus hatte keine Kraft mehr. Sciurus war tot. Er übergab seinen Leichnam den Strömen des Flusses, der ihn kalt und unbarmherzig umfing und mit sich riss, warf sich in die Tiefe, seine Seele reinzuwaschen, die hinabsank in tiefe Dunkelheit.
Doch Wasser war schon immer gleichgültig gegen das Leben. Was man hineinwarf, tauchte irgendwann wieder auf. Und so spie der Fluss auch den geschundenen Leib wieder aus, der gestorben und neu geboren zugleich war, die Hülle eines toten Sklaven, angefüllt mit einem rachsüchtigen Geist. Einen Tag, oder zwei, oder drei lag er am seichten Ufer, viele Meilen entfernt von der Jagdhütte des Voluptarianus Suavis, ernährte sich von dem Brennen in seinen Rippen, dem inneren Feuer des Hasses und seiner Verwirrung. Einen weiteren Tag, oder zwei oder drei vegetierte er im Wald, kroch über den Boden, aß Beeren, Kräuter und Wurzeln, um wieder zu Kräften zu kommen. Die herbstliche Natur war gnädig, versorgte ihn mit allem, was er brauchte, die Montes Lucretili gewährten ihm die Schonung, derer er bedurfte, und die Einsamkeit nährte in ihm die Rachsucht, die ihn am Leben hielt. Insbesondere die Einsamkeit war endlos und nahrhaft.
Halbwegs bei Kräften folgte er dem Fluss und gelangte zum Tiber. Einem Bauern, der auf seinem Feld arbeitete, stahl er den Mantel und den Mittagsproviant. Ansonsten hielt er sich von Menschen fern. Sciurus war tot, doch sein Leib trug noch immer das flavische Brandmal, im Alltag zwar unsichtbar, doch bei einer eingehenden Überprüfung nicht zu übersehen. Erst in der Nähe Roms wagte er sich am späten Nachmittag aus seiner Deckung. Er musste den unterirdischen Kaiser finden, den Mann mit der Vogelmaske. Nur er würde ihm helfen können seine Rache auszuführen.
Am Tiberufer, dort wo die Aussätzigen und Ausgestoßenen vegetierten, verschmolz er mit dem Bodensatz der Gesellschaft und wartete er auf den Anbruch der Nacht.