Beiträge von Lucius Albius Decius

    Die beiden Wachhabenden umkreisten das Lager immer einer gegenüber dem andren. Das würde noch eine ganze Weile so gehen. Die Wolkendecke war bald nach Anbruch der Dunkelheit aufgerissen und hatte einen Mond offenbart, der sein milchiges Licht auf das römische Germanien warf. Ein leichter Nachtwind bewegte die Gräser und Büsche und lies Lucius frösteln. Die Erinnerung an eine gewisse Prüfung wenige Tage zuvor war noch nicht verblasst und der junge Mann war äußerst wachsam, nicht zuletzt da ihm bewußt war, dass es diesmal keine verkleideten Römer sein würden die im Falle eines Falles aus dem Dunkel angriffen...

    Der Mann neben Lucius hatte nur kurz den Kopf geschüttelt als der Decurio halten ließ und etwas von Nachtlager gesagt hatte. In der letzten Reihe konnte man sich das erlauben. Der Platz war an sich gut gewählt, eine freie grasbewachsene Fläche, auf der lediglich ein Dornengestrüpp wuchs, was schnell entfernt war. Alle Handgriffe saßen und kurze Zeit später war das Lager errichtet und befestigt und ehe er sich's versah war Lucius gemeinsam mit einem Mann, der sich ihm als Claudius vorgestellt hatte, dabei, das Zelt aufzubauen. Irgendwie dauerte das alles nur halb so lang wie während der Ausbildung, zumindest kam es ihm so vor. Vielleicht ein Merkmal dafür, dass diese Männer hier einer erfahreneren Einheit angehörten.

    Weiter ging der Ritt, jetzt durch etwas stärker bewaldetes Gebiet, in dem man öfter mal einige Rehe zu Gesicht bekommen konnte. Die Landschaft lag friedlich in der immernoch schwachen Nachmittagssonne da, die Luft bewegte sich kaum. Allmählich wurde Lucius müde, nicht allerdings weil irgendetwas anstrengend gewesen wäre, nein, sondern vor Langeweile. Natürlich war er froh, nicht lange bei einem Seuchenpfuhl wie dem, zu dem Raetia scheinbar geworden war, bleiben zu müssen, allerdings hätte eine Stadt die Option auf Abwechslung auf dieser Tour deutlich erhöht...schade!

    Der Nachmittag verging in stummem Dahinreiten ohne irgendwelche Zwischenfälle. Die Pferde trotteten in Kollonne vor sich hin. Lucius, der es aufgegeben hatte, auf irgendwetwas Spannendes zu warten, ließ den Blick wieder über die Umgebung streifen und lächelte leicht beim Gedanken an seine Kindheit, als er hier oft mit seinen Freunden gespielt hatte. 'An Römer anschleichen' hatten sie das damals genannt, so nah wie möglich an den Limes zu schleichen wie es möglich war ohne gesehen zu werden. Um dann oft schon weg zu rennen wenn sich nur einer der Soldaten auf dem Wall in ihre Richtung umwandte...

    Luciusließ den Gescheckten im ruhigen Trab neben dem Tier eines Kameraden am Ende des Zugs herlaufen. Im Gegensatz zur Grundausbildung war der jetzige Dienst das reinste Zuckerschlecken. Man ließ einfach das Tier laufen, achtete ein wenig auf die Umgebung und gut war's. Die anfängliche Anspannung fiel nach und nach vollkommen von dem jungen Mann ab und wandelte sich in eine angenehme Langeweile als nichts passierte bis auf dass ab und zu mal irgend ein Tier in Sicht kam. Die Männer ritten stumm in Formation hinter ihrem Kommandeur her und die Stunden begannen sich zu dehnen...

    Lucius kam in leichtem Trab auf das Tor zugeritten und zügelte den Gescheckten vor der Wache. ,,Eques Lucius Decius. Ich muss die V. Turmae einholen!'' Der angesprochne Soldat nickte und trat beiseite.


    Lucius gab seinem Tier die Sporen und galloppierte die Straße entlang und hinter der V. her. Als er sie erreicht hatte lies er sein Tier wieder in Trab fallen, ritt bis nach vorn zu Caecus und salutierte im Sattel. ,,Decurio! Eques Lucius Decius meldet sich zum Dienst! Ich wurde deiner Turmae zugeteilt.''

    Auch Lucius gröhlte seine Begeisterung heraus. Endlich gehörten sie nicht mehr zur untersten Gruppe innerhalb der Ala. Jetzt würde man den Männern etwas mehr Respekt entgegenbringen...vielleicht...und sie hatten es ehrlich verdient. Die Ausbildung war hart gewesen und es hatte nicht viele Momente gegeben, in denen man sich wirklich hatte ausruhen können. Lucius freute sich auf den Dienst mit seinem Tier...und auf die Abenteuer, die ausserhalb des Castellums warteten...

    Das schien die letzte Hürde dieser Woche zu sein. Mit schmerzenden Gliedmaßen zwängte sich Lucius ein weiteres mal in seine Rüstung und zog die Riemen fest. Waffen und Schild noch, fertig war er zum Abmarsch!

    ,,Was bildet sich dieser Sohn der Gosse eigentlich ein ?!'' ereiferte sich Markus auf dem Weg zum Zelt am andren Ende des Lagers. Lucius spähte über die Schulter um sich zu vergewissern dass keiner der Offiziere in Hörweite war. ,,Komm schon Markus...du weisst doch dass denen nichts mehr Spass macht als uns zu schikanieren. Außerdem...vielleicht ist er ja nur gefrustet weil er dachte er könnte uns heute Nacht überrennen oder sowas...'' Markus schüttelte den Kopf. ,,Der soll sich nicht wundern wenn er sich eines Morgens am Grunde der Latrine wiederfindet!'' Er spuckte auf die halb gefrorene Erde. ,,Bei den Göttern, ich habe keine Lust jetzt wieder alles auszuziehen nur um das dann in einer halben Stunde wieder anzulegen...'' meinte Lucius deprimiert. Sie kamen beim Zelt an.

    Die Truppe trat an, ein Schauspiel begleitet nur vom Scheppern der Ausrüstung und unwilligem Gemurmel, das man aber nicht näher deuten konnte. Und dann standen sie alle in Reih und Glied vor ihren Offizieren, voll bepackt und starrten stur geradeaus. Einige wirkten etwas verschlafen, andere wiesen blaue Flecken auf. Die Stimmung schien allgemein nicht sonderlich gehoben.

    Lucius und Markus hatten es gemeinsam mit den anderen irgendwie geschafft, die Leute auf dem Wall zu verteilen schon bevor Alienus zu ihnen stieß. Es gab ja auch nicht viel zu tun ausser den Kopf einzuziehen. Wer hatte diesen Barbaren da draußen eigentlich das Werfen beigebracht? Markus spähte über den Wall als wieder ein paar Wurfspeere wirkungslos davon abprallten. ,,Die haben wohl zielen gelernt als Treffen noch nicht Mode war...'' murmelte er mit einem sarkastischen Unterton und einige der in der Nähe kauernden Probati grinsten breit. ,,Also gut Jungs...'' begann Lucius ,,wenn die nicht werfen können - wir können es! Auf gehts!'' Einer der Männer hatte einige Pila mitgebracht, die eilig in der Reihe verteilt wurden. Markus und Lucius standen zuerst auf, die Schilde vor sich. Sie sahen sich eine Sekunde lang entschlossen an. ,,Männer!'' brüllten beide. ,,Werft!'' Und eine Save Wurfspeere flog hinaus ins Dunkel und auf die vermeintlichen Barbaren zu. Ein paar trafen, zeigten aber irgendwie nicht die Wirkung, die man erwartet hatte. Die Männer wechselten ein paar Blicke. ,,Was zum Henker...'' knurrte Markus. Dann war Alienus am Wall und brüllte Befehle...



    ...und wenig später waren die Babaren verschwunden. Es war den Probati zwar immernoch ein Rätsel, wieso sie so schnell aufgegeben hatten, aber es war einfach keine Zeit, darüber nachzudenken, denn am andren Ende des Lagers erblickten sie einige ihrer Kameraden, umzingelt von Germanen.
    Alienus war schon wieder verschwunden um nachzusehen, wieso am Westwall zwei Zelte Feuer gefangen hatten. ,,Jeder zweite Mann...'' brüllten Markus und Lucius im selben Moment...und sahen sich dann einen Moment lang mißbilligend an. ,,Jeder zweite Mann zum Nordtor!'' riefen sie dann im Chor und setzten sich in Bewegung, mit ihren Kameraden eine Formation bildend. Wäre da nicht die Sorge um die Kameraden gewesen dann wäre Lucius einfach nur stolz auf alle gewesen...



    ...und dann war es vorbei. Die Germanen entpuppten sich als Honorius und Konsorten...und alles was von der Aufregung der vergangenen Minuten übrig blieb war ein flaues Gefühl im Magen und ein gewisses Maß an Fassungslosigkeit. Sie waren dem Decurio auf den Leim gegangen...

    Lucius und Markus zogen im selben Moment die Köpfe ein. ,,Verflucht!'' brüllte Markus, dessen Stimmbänder erst jetzt richtig warm zu werden schienen. ,,Raus aus den Zelten! Das ist ein ANGRIFF!'' Lucius schnellte hoch, warf sein Pilum irgendwo ins Dunkel in Richtung der Reiter und zog dann sein Schwert. Die ersten halb gerüsteten Probati rannten aus ihren Zelten und auf den Krach zu. ,,Alles auf die Wälle!'' schrie Lucius ihnen zu obwohl das eigentlich vollkommen unnötig war. Jede Sekunde kamen mehr Männer aus den Zelten. Viele hatten sich einfach den Helm aufgesetzt und dann Schwert und Schild gepackt. Es sah nicht sehr professionell aus. ,,Wo ist der Duplicarius wenn man ihn braucht?!'' fragte Lucius seinen Kameraden über den Krawall hinweg während er wieder einen kurzen Blick über den Wall riskierte.

    Verdammt, Wache stehen war ja nun doch schon etwas langweilig nach den ersten paar Stunden. Lucius ärgerte sich dass das Pilum zu klein war um sich darauf zu lehnen. Er streckte sich - zum hundertsten Mal in dieser Nacht - und drehte sich um. Eine herrliche Nacht, sternenklar. Und immernoch nichts zu sehen ausserhalb des Walls...was ja irgendwie klar gewesen war...aber nun gut. Lucius ließ seinen Blick über das Lager streifen. Ihm fiel dabei nicht zum ersten Mal auf, dass der Wall garnicht so geradlinig war wie er hätte sein sollen und dass die Zeltreihen auch nicht so ordentlich waren wie es gedacht gewesen war. Zum Glück hatte der Decurio nichts gesagt. Lucius Blick blieb am rückwärtigen Wall hängen. Es war wirklich sehr dunkel, aber wenn man nicht dauernd in den Schein der wenigen noch brennenden Fackeln und Öllampen im Lager sah konnte man die Wachen sehen, die sich vom Himmel abhoben. Wenn denn welche da gewesen wären... Lucius hätte sich am Kopf gekratzt wenn er nicht den Schild in der Hand gehabt hätte. Ihm kam eine Idee. Rasch lief er den Wall entlang zu einem Mann namens Markus, der den nächsten Abschnitt bewachte.
    Etwas ausser Atem blieb er neben ihm stehen. ,,Sag mal Markus...wo sind die Wachen am rückwärtigen Wall ?'' Der Angesprochne sah etwas verärgert drein und blickte den Störenfried an der ihn aus seinen Gedanken gerissen hatte. ,,Da war die Antwort wohl schon in der Frage Lucius! Denn wenn du mal genauer hinsiehst wirst du...'' Er machte eine deutende Bewegung mit der Rechten und blinzelte ins Dunkel. ,,Äh...ja also irgendwo da hinten eben, nicht ?!'' Lucius sah auch wieder in die Richtung. ,,Wir sollten mal nachsehen oder? Vielleicht sind sie sich ja erleichtern...'' Markus wirkte nicht überzeugt. ,,Ja natürlich! Die Laufen vier dutzend Schritte zu den Bäumen um dann dran zu pissen! Sicher dass du noch ganz wach bist? Man kann doch in den Graben pinkeln...und mal so nebenbei...wer würde denn jemanden beim Pinkeln stören ausser...'' Beide erstarrten. ,,Also gut...'' begann Lucius. ,,Ich habe eine Idee! Wir müssen ja nicht gleich Krach schlagen...obwohl...den Krach gibts ja so oder so denke ich mal!'' Er machte eine kurze Pause. ,,Also...ich kann auch alleine...'' Er sah Markus an. Dieser hatte die Arme verschränkt und rollte mit den Augen. ,,Dann mach eben! Aber wenn jemand fragt warst du es!'' Und Lucius 'machte'...er brüllte so laut er konnte quer durchs Lager. ,,ACHTUNG! WACHEN! GEFAHR IM VERZUG!'' Markus verzog das Gesicht. ,,Du bist ein elender Anfänger! Da ruft man ALAAAAAAARM!!!!''

    Als ob man mit DEN Rückenschmerzen schlafen könnte...dachte sich Lucius als er den Decurio davonreiten sah. Und dann der kalte Wind...einschlafen...na klar! Lucius hätte es nicht gekonnt. Und Herumstehen war auch nichts, was er mochte. Also ging er auf seinem Abschnitt des Walls immer auf und ab, schaute mal zu den Sternen hoch, rückte mal seine Kleidung zurecht oder stocherte mit dem Wurfspeer den er mitgenommen hatte im halb gefrorenen Boden herum - und behielt die Gegend im Auge. Wache hieß schließlich wache weil man dabei wach war oder? Natürlich konnte in einer langen Nacht die Euphorie auch schon mal schwinden...aber bis zur Ablösung nahm er sich vor sollte seine genügen um keinen Fehler zu machen.

    Lucius legte sein Rüstzeug an, nahm seine Waffen und seinen Schild und begab sich zur Wachlinie. Eigentlich war die erste Wache die, die man bevorzugen sollte. Denn wenn man irgendwann mitten in der Nacht eingeteilt war konnte es sein , dass man, aus dem Schlaf gerissen und in den kalten Wind geschickt, danach nicht mehr einschlafen konnte. Einziger Nachteil der ersten Wache war, dass man hier eben noch nicht ausgeruht war. Lucius Schultern schmerzten kräftig vom Schaufeln und er reckte sich etwas und verzog dabei das Gesicht. Mit einem stummen Nicken gesellte er sich zu einem anderen Wachhabenden auf dem Wall und blickte müde in die Gegend um das Lager hinaus. Viel war da nicht zu sehen, was nicht nur daran lag, dass es mittlerweile schon fast dunkel war. Irgendwie war das alles blödsinnig, wer sollte denn angreifen? Andererseits...in dieser Armee schien alles Unmögliche möglich, vor Allem wenn man einen Vorgesetzten wie Honorius - und diesen verärgert - hatte!

    Lucius schaufelte seit mehr als einer halben Stunde wie ein Weltmeister. Er hatte sich gleich freiwillig zum Ausheben der Gräben gemeldet als er gesehen hatte, dass seine beiden Kumpane vom einstigen Training ausserhalb des Castellums es ebenfalls getan hatten. Wieder arbeiteten die drei Männer in einer Reihe nebeneinander und motivierten die wiederum neben ihnen schwitzenden Probati, das Tempo von Anfang an in einem gleichen Rhythmus zu halten. Das klappte nun auch schon ohne lautes Vorzählen, was gut war, denn die Arbeit sollte schließlich schnell und gut gemacht werden und dafür brauchte jeder der Männer seinen Atem.
    Wieder und wieder rammte Lucius seine Schaufel in den Boden, der ihm weniger hart erschien als das letzte mal und sich besser bearbeiten ließ. Hinter ihm nahm der Wall gestallt an und immer wieder wurde die aufgeworfene Erde festgestampft. Ein Seitenblick zeigte Lucius, dass diejenigen, die mit dem Aufstellen der Zelte zu tun hatten, ihre Arbeit ebenfalls gut machten - er schätzte dass schon über die Häfte stand!

    Als ob jemals gut wäre was die Männer leisteten...
    Ausbilden war sicherlich nicht die Arbeit, die einen Mann mit großer Genugtuung erfüllte dachte sich Lucius. Esseidenn, man konnte den Frust über diese zum Teil zugegebenermaßen doch langweilige Tätigkeit, diese in gewisser Weise doch recht undankbare Arbeit, an diversen Anderen auslassen. Mit Freundlichkeit und Lob würde man wohl kaum gute Soldaten aus den Männern machen, das war Lucius klar. Man musste sie mit viel Härte anfassen damit sie auf die noch viel viel größere Härte eines Kampfes auf Leben und Tod vorbereitet waren. Alles musste sitzen, jeder Teil der Ausrüstung, jede Bewegung, jeder Blick... Er seufzte. Ganz allmählich wurde aus der Furcht die er anfangs vor einem echten Kampf gehabt hatte Neugier. Das beunruhigte ihn irgendwie. Er trottete mit den anderen in Richtung der Unterkünfte.

    Lucius legte sein Schreibgerät aus der Hand - oder viel mehr fiel es auf den Tisch vor ihm - und rieb sich mit grimmigem Gesichtsausdruck das Handgelenk. Autsch...so viel hatte er noch niemals in seinem gesamten Leben am Stück geschrieben...er wollte garnicht wissen wieviele Fehler das kraglige Sammelsurium von Zeichen da vor ihm enthielt. Seufzend stand er auf und gab ab...