Es freute Marcus sehr, so viele Gesichter seiner Familie, aber auch Gäste von außerhalb im peristylium versammelt zu sehen. Nur einen kleinen Stich in ihm gab es, ob der Tatsache, daß seine Mutter nicht hatte kommen können. Aber so schnell die Verlobungsfeier zelebriert wurde, konnte seine Mutter nicht aus Baiae anreisen. Außerdem, und das besorgte ihn sehr, hatte er über dritte Hand erfahren, daß seine Mutter nicht in bester Verfassung war und abermals eine Badekur verordnet bekommen hatte. Dennoch hielten sich Marcus Sorgen in Grenzen, denn die bekam sie schon seit über zwanzig Jahren und für ihn passte es nicht in sein Verständnis, daß seine starke Mutter gar mal ernsthaft krank werden könnte. Jedoch wäre Marcus glücklich gewesen, wenn sie an diesem Abend in Rom hätte sein können. Und daß seine eigenen Kinder ihn derartig mit Verachtung wegen jener Verlobung strafen wollten, war für Marcus immer noch unbegreiflich, wenn eigentlich er seine Kinder am Besten hätte verstehen können. Schließlich hatte er alle Liaison seiner Mutter stets abgelehnt, die Männer nicht nur mit seinem kindlichen, später erwachsenen, Zorn bestraft, sondern auch alles daran gesetzt, sie schnell wieder aus der villa Flavia in Baiae zu bekommen. Doch von der bösen Überraschung ahnte Marcus in dem Augenblick nicht, wo er all die neuen Gäste begrüßte und noch mit den zuerst Eingetroffenen einige Worte austauschte. Schmunzelnd vernahm Marcus die Antwort von Tiberius Durus, der, wie er befand, eindeutig Humor besaß. Eine Seltenheit bei Senatoren- so glaubte zumindest Marcus. Abermals glitt sein Blick zu seiner Tochter, seinem liebreizenden Sonnenschein, doch er konnte sich nicht dem Hingeben, sich um seine Sorgen ihr bezüglich zu kümmern, denn schon der nächste Gast trat herein und Marcus wollte niemanden warten lassen.
Marcus atmete tief ein und wandte sich den Ankommenden zu, erfreut darüber, daß er mit Epicharis eine liebreizende, junge Frau an seiner Seite wußte, die seine manchmal mangelnde Eloquenz leichthin mit ihrer Anmut und ihrer geistreichen Art durchaus überdecken konnte. Auch die doch familiäre Art von Vesuvianus, der in absehbarer Zeit schließlich auch sein Schwiegervater sein würde, ließen alle Sorgen für den Moment vertreiben. Marcus lächelte gelöst und wieder heiterer und er wechselte auch auf die vertrautere Anrede.
“Ich danke Dir, Vesuvianus. Nun, Germania ist wahrlich ein forderndes Land, nicht nur vom Amte her, wenn man sich mit den störrischen Germanen und den romanisierten Germanen herumschlagen muß, sondern auch vom Klima und der Mentalität. Aber ich zweifele nicht daran, daß Deine Amtszeit durch Deine Taten glänzen wird.“
Einen Herzschlag dachte Marcus nach, ob der neue legatus in Germania auch ein Soldat mal gewesen war. Marcus wußte es nicht und so unterließ er es noch eine Anmerkung diesbezüglich zu machen. Daß Vesuvianus von dem Auszug seiner früheren Kameraden bewegt, wenn man das bei ihm sagen durfte, war, hatte Marcus schon aus Epicharis Brief erfahren. So wirkte er nicht sehr überrascht und nickte zustimmend.
“Aber natürlich, Vesuvianus, es wird sich sicherlich noch Zeit dafür finden…“
Später…denn schon kamen die nächsten Gäste. Erfreut nahm Marcus auch die Glückwünsche von Purgitius Macer entgegen. Tatsächlich mußte Marcus- seinem schlechten Namensgedächtnis- einige Herzschläge darüber nachdenken, um wen es sich noch mal handelte. Ein bedeutender Senator und der Leiter der Akademie, ehemaliger Tribun seiner Legion. All das war Marcus präsent. Nur der Name…der Name…unbewusst biß sich Marcus auf seine Unterlippe, ehe ihm zumindest der gensname einfiel, Purgitius. Die gens Purgitius. Und da nur wenige Nicht-Claudier und Nicht-Flavier eingeladen wurde, kam Marcus dann doch noch kurz darauf auf den anderen Namen, dem ihm ein nomenclato immer wieder vorzitiert als Marcus das Bad genommen hatte. Purgitius Macer, mit einem wichtigen städtischen Amt, doch Marcus hatte nicht Hannibal in seinem Rücken und der nomenclator schien sich in dem Moment aus dem Staub gemacht zu haben. So hoffte Marcus nicht mit dem Namen daneben zu liegen. Aber es blieben nicht viele Männer übrig, von der nicht patrizischen Gästeliste.
„Salve, Senator Purgitius, es ist uns eine Ehre, Dich in der villa und der Feier zu begrüßen. Und zudem danke ich Dir sehr für Deine Glückwünsche. Meine Verlobte und ihren Vater kennst Du ja noch von der Feier in Manuta. Und Tiberius Durus sicherlich aus dem Senat.“
Marcus sah kurz zu Durus, der interessiert die Gäste zu mustern schien, auch seine Tochter. Vielleicht ein wenig zu lange, aber eine auffällige Miene- die die väterliche Eifersucht in Marcus wecken vermochte- erkannte er an dem jungen Senator nicht. Marcus deutete mit seinem Kinn auf seine Verwandten.
“Das ist mein Vetter Flavius Aquilius, Priester des Mars, und mein Vetter Flavius Gracchus, ebenso Priester und ein passionierter Politiker. Sicherlich kennst Du ihn schon von seiner Rede im Senat vorletzte Wahl.“
Somit wollte Marcus den Senator auch gleich in die Runde mit einbinden, damit er sich auf der Feier auch gut amüsieren vermochte. Schließlich waren Essen und Musik schön und gut, aber wenn die Gäste nicht jemand zum Unterhalten hatten, wäre eine ganze Feier damit gestorben und ruiniert. Selbst wenn der Senator sicher seinen eigenen nomenclator hatte, es konnte nicht schaden. Aus den Augenwinkeln bemerkte Marcus auch das herannahen seiner liebsten Base, Leontia, die wie ein Stern in der Nacht erstrahlte. Ein gutmütig, herzliches Lächeln erschien bei ihm als sie bei ihm erschien. Ihre Beteiligung an der Arrangierung wußte Marcus durchaus, Hannibal hatte es ihm verraten, doch mittlerweile nahm er es ihr nicht mehr übel. Er kannte seine Mutter und ihre Art, die Flavier zu allem möglichen zu bewegen, durchaus.
„Ich danke Dir, liebe Leontia. Und lass mich noch anfügen. Du siehst wieder zauberhaft heute aus.“
Wenn auch schrecklich blass, aber das war unter den Römerinnen leider in Mode, wenn für Marcus eher ein Zeichen, daß sie etwas kränklich schienen und zu wenig aßen. Aber die Blässe täuschte nicht über Leontias Schönheit hinweg und Marcus war sich sicher, daß sie auch bald einige Werber haben würde. Dann erstaunte es Marcus doch, das Lächeln auf dem Gesicht von Antonia zu bemerken, das sie ihrem Gatten zu warf. Verwandtschaftliche Freude durchströmte Marcus, denn er hielt es für ein grundehrliches Lächeln und glaubte schon, daß sich die junge Claudia und Gracchus vielleicht gut, wenn nicht sogar auf einer richtigen Ehebasis, verstanden. Und das freute Marcus für seinen Vetter natürlich, vielleicht würde dieser doch noch erkennen, daß die wahre Schönheit im weiblichen Geschlecht lag. Dementsprechend herzlich, schließlich war sie seine Verwandte, grüßte Marcus auch Claudia Antonia, nur daß mit dem: Ich hoffe Du weißt, worauf Du Dich einlässt, irritierte ihn marginal, er nickte verwundert und brachte erst nach einem kurzen Augenblick des Schweigens ein:
“Ich danke Dir, Antonia.“
Mehr schaffte Marcus in dem Moment nicht, sah die junge Frau nur verwundert an. Hatte er sich doch geirrt. Aber das Lächeln, womit sie Gracchus bedachte? Aber womöglich hatte Amors Segen- für manche ein Fluch- bei Antonia gewirkt, aber nicht bei Gracchus. Herrje, wie verzwickt. In seiner Irritation streifte Marcus auch mit dem Blick den Eunuchen, Daphnus, welchen er nicht einzuordnen vermochte. Doch sein Neffe errettete ihn aus dieser und der Irritation bezüglich Antonias Worte, die er nicht zur Gänze verstand.
“ Filius fratris, ich danke Dir. Ich bin auch überglücklich, eine so wunderschöne und liebreizende junge Frau als meine Verlobte zu wissen und weiß das Geschenk, welches mir die Götter damit gemacht haben, sehr zu schätzen. Und dazu möchte ich Dir auch noch für Deinen Brief danken, Lucius, und sei Dir sicher, ich werde mich redlich bemühen, die Parther den römischen Zorn spüren zu lassen. Und dem Vorbild unseres Vorfahren würde ich doch sehr gerne in dieser Hinsicht folgen…“
Marcus schmunzelte, denn wenn auch Marcus in mancher Hinsicht von Geschichte keine Ahnung hatte, die der Flavier kannte er. Nur würde er wohl kaum an der Spitze des Feldzuges stehen, wie es sein Vorfahr einst tat, denn die Kaisermacht hatte eine andere Familie mittlerweile inne und selbst wenn die Flavier noch herrschen würden, dann wäre sein Bruder auf dem Thron. Und Marcus hätte nicht den Schneid, seinen eigenen Bruder zu beseitigen- wenn es wohl auch seine Mutter könnte und wohl auch skrupellos tun würde. Doch das Lächeln verging Marcus von einem Moment zum Nächsten als die Sklaven auf ihn zu traten. Mit wachsendem Zorn hörte er die Worte des ersten Sklaven und starrte auf die Totenmaske. Er wußte gar nicht, daß seine Mutter ihrem Enkel diese überlassen hatte. Dennoch starrte ihm seine erste Frau gar höhnisch entgegen. Denn selbst vom Reich der Toten vermochte sie es, ihn zu quälen und zu ärgern. Deswegen sah er erst einen Herzschlag später von dem ebenmäßigen Gesicht seiner verstorbenen Frau zu dem toten Tier. Marcus Mund öffnete sich ungläubig und dann traten ein Ingrimm und eine Wut an die Stelle des Unglaubens. Herrisch deutete er auf die tote Ratte, die ihn auch mit ihrer im Tode verzogenen Monsterfratze- wenn es auch nur ein kleines Tier war- anstarrte.
“Hinfort damit! Und schert euch aus meinen Augen…“
Der Sklave schlug schnell das Tuch wieder her rüber, denn der Ausdruck auf Marcus Miene war in keinster Weise mehr von Gutmütigkeit geprägt. Im Gegenteil: Seine Ader an der Schläfe und am Hals zeichnete sich deutlich ab und eine Zornesröte stieg ihm ins Gesicht. Mühsam beherrscht, denn die Wogen des Zornes brandeten heftig an seine Oberfläche, deutete Marcus einem Sklaven heran zu kommen, dem er leise zuzischte.
„Zweihundert Peitschenhiebe für die beiden Sklaven. Wenn sie überleben, dann ihr Glück. Aber keiner der Sklaven im Haus wird jemals wieder auf das Wort meines Sohnes hören, verstanden?“
Der Sklave nickte erblassend und schien den Göttern in jenem Augenblick zu danken, nicht das Ziel des abgrundtief flavischen Zornes zu sein, der schnell ins Extreme abgleiten konnte, der patrizischen Veranlagung wegen.
“Wo ist mein Sohn?“
- „Dominus, er hat, wie ich das vorhin gesehen habe, die villa verlassen.“
Marcus Wangenknochen malten aufeinander und der Wunsch, seinen Sohn windelweich zu prügeln wurde noch stärker.
„Nimm Dir ein Dutzend Männer und mach Dich auf die Suche. Ich will ihn bis zum Morgengrauen spätestens wieder in der villa wissen. Sonst könnt ihr noch nicht mal auf die Gnade der Götter vertrauen.“
Der Sklave nickte hastig und entfernte sich mindestens genauso schnell vom locus delicti. Mit Contenance war es bei Marcus auch wenig bestellt, er sah sich nur schnell um, ob die Frauen nicht vor Schreck ihre Fassung derart verloren hatte, daß man sie besser auffing. Seine Base sah schon gehörig blass um die Nase aus. Doch dann sah er mit großer Zerknirschung und unsäglichem peinlich Berührtsein zu seiner Verlobten und dachte sich in jenem Augenblick: Bei solchen Kindern braucht man keine Feinde mehr. Den Charakterzug, den sein Sohn hier offenbart hatte, mußte er eindeutig von seiner Mutter haben.
„Verzeih, es ist mir unsagbar peinlich. Normalerweise weiß mein Sohn sich eigentlich zu benehmen…“
Als ob Marcus das wüsste, aber er gab sich gerne einer Illusion hin.
„Ich habe es leider versäumt, noch mit meinen Kindern darüber zu sprechen. Dennoch ist ihr Verhalten wahrlich nicht zu entschuldigen. Mein Sohn wird dafür noch bestraft werden, sei dem Gewiß, Epicharis.“