Es war bereits spät, die Lampen entzündet, und im Haus roch es nach den Köstlichkeiten, die bald zum Abendessen kredenzt werden würden. Vala saß an dem Tisch, den er für seine Arbeit bezogen hatte, ich an meinem Schreibtisch. "Mhm", brummte ich leicht abwesend, da ich selbst noch einen Griffel hielt und schrieb, als Vala mich ansprach. Dreieinhalb Worte später machte ich einen Punkt und hob den Kopf, um Vala anzusehen. "Selbstverständlich. Worum geht es?" erkundigte ich mich. Der Geruch nach Gebratenem durchflutete den Raum, ich hatte Hunger.
Beiträge von Marcus Aurelius Corvinus
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Hanneus, Hanneus. Ich runzelte nachdenklich die Stirn, doch der Name sagte mir rein gar nichts. Die Stirn indes blieb gerunzelt, auch nachdem ich zu diesem Entschluss gekommen war. "Und dieser Terminvorschlag ist derart wichtig, dass du um ein Gespräch mit mir selbst bittest, statt meinen Sekretär zu konsultieren und dich direkt mit ihm abzustimmen?" fragte ich den Liktor leicht verärgert. Ich hatte wichtigeres zu tun, als mich über eventuelle Termine zu unterhalten, abgesehen davon, dass ich selbst nicht wusste, ob eben jener frei war oder nicht.
Ich winkte einem Sklaven. "Caecus, hole Livius Pyrrus hierher. Er soll einen Termin mit diesem Herrn vereinbaren", wies ich den Einäugigen an, sah dann erneut zu dem Liktor. "Sage dem Prätor, dass ich mich über seine Einladung gefreut habe und ihr nachkommen werde, sofern an diesem Tag kein anderer Termin ansteht. Alles Weitere kannst du mit meinem scriba klären." Damit nickte ich dem Aemilianer zu und wandte mich um, noch immer sehr verwundert darüber, dass diese Botschaft nicht schriftlich kam und offensichtlich so wichtig war, dass eine Abstimmung mit meinem Schreiber nicht ausreichend war.
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Einige Minuten später erschien Livius Pyrrus. Er hielt eine Wachstafel unter den Arm geklemmt und schritt auf den Liktor zu. "Salve! Ich soll mich um einen Termin kümmern?" schnarrte er und klappte rein vorsorglich bereits seine Wachstafel auf, um entsprechendes zu notieren oder nachsehen zu können.
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Ich nickte nur, musste dann kurz grinsen. Ja, Septima schien mir geradeheraus in dieser Sache. Ich erinnerte mich noch an unser letztes Zusammentreffen. Und dann stellte ich mir vor, was passieren würde, wenn Ursus nicht acht gab, und meine Miene wurde düster. "Ja. Gib gut auf sie acht, Titus." Wieder dachte ich an Celerina. Wenn ich in Ursus' Situation wäre, würde ich ihr zehn Leibwächter ans Bein ketten lassen, nur um sicher zu gehen. Doch Septima war nicht Celerina. Ich wollte ihr nichts unterstellen.
"Du hast mich nicht aufgehalten. Und es wäre schön, wenn dafür später noch Zeit ist", erwiderte ich auf seine Bemerkung hin. So viel schien er doch nicht auf dem Herzen gehabt zu haben, wie ich nun resümierte. Ich musterte ihn eine Weile, meinen Neffen, sah ihm dann in die Augen. "Ich vertraue dir, Titus." Was im Grunde in jener Situation direkt auf das Geheimnis abzielte, über das er Stillschweigen bewahren sollte.
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Ich hatte mich eben erhoben und Atem geschöpft, um zu sprechen, da fuhr mir der jüngste Senator der Germanicer regelrecht über den Mund. Ich wandte ihm den Blick zu, alles andere als begeistert, und wollte bereits etwas erwidern, als Flavius Furianus den Jungspund in seine Schranken wies. Ich richtete meine Aufmerksamkeit nun wieder an das gesamte Plenum und beschloss, den vorgebrachten Einwurf ersteinmal zu ignorieren.
"Ich danke den Konsuln für das Wort", begann ich. "Werte Kollegen, ich bin nun schon lange auctor der Acta Diurna, und für das entgegen gebrachte Vertrauen danke ich euch. Ich habe stets nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Bedauerlicherweise allerdings scheint nicht nur das Interesse an der Acta im Allgemeinen, sondern auch im Speziellen zurückgegangen zu sein. Wir müssen größtenteils auf freie Schreiber zurückgreifen, die jedoch auch nur sporadisch Artikel einreichen. Es gab die ein oder andere Sitzung, in der wir nach Möglichkeiten gesucht haben, den den Bürgern und unseren übrigen Lesern das Lesen wieder schmackhafter zu machen. Es gab interne Umstrukturierungen und der Änderungen nicht wenige, und dennoch können wir bestenfalls auf geringes Interesse blicken.
Inzwischen bin ich zu dem Schluss gelangt, dass ein neuer Wind in den Segeln der Zeitung vielleicht den gewünschten Erfolg bringt. Laut § 7.2, Absatz 2 des codex universalis entspricht die Amtsperiode des auctor der des cursus honorum, so dass eine Neuwahl durch den Senat ohnehin längst überfällig ist. Im Zuge dessen möchte ich mich für Decima Seiana aussprechen - die Nichte des Decimus Livianus. Sie ist schon lange als subauctrix für uns tätig, stellt seit geraumer Zeit ihre Fähigkeiten als lectrix unter Beweis, geht mit viel Elan und Fleiß an diese Aufgabe heran und ist darüber hinaus nicht abgeneigt, die Führung der Acta zu übernehmen. Es scheint dieser Familie im Blut zu liegen, sich für die Acta einzusetzen. Ich erinnere nur an Decima Lucilla."
Damit war ich vorerst fertig. Es war kein Fehler, zuzugeben, dass die Staatszeitung unter meiner Führung nicht eben aufgeblüht war, auch wenn es zunächst konstant weiter gegangen war. Doch in letzter Zeit waren die Artikel immer spärlicher gekommen, immer weniger Zeit war hineingesteckt worden - von allen. Die Arbeit der Redakteure war nach wie vor sehr gut, doch nurmehr sporadisch, und das galt es, zu ändern.
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Ich nickte, man würde sehen, wie sich die Situation darstellte. Am Ende war es vielleicht noch Furianus selbst, der darauf zu sprechen kam und damit jegliche Überlegungen diesbezüglich ohnehin in den Wind schoss. "Wie du möchtest. Bis zur cena ist es ja noch eine Weile hin. Jemand wird dir alles zeigen." Ich blickte zu dem Sklaven hin, der eben unsere Becher abräumte und dann nickte - er würde Lupus alles zeigen oder jemanden holen, der besser geeignet war, dessen war ich mir sicher. "Und ich werde mich gleich darum kümmern, einen Termin beim consul zu erhalten. Ich lasse dich wissen, wenn es soweit ist", fügte ich hinzu und erhob mich ebenfalls. "Es ist schön, dass du in Rom bist." Aktuell kaum mehr als eine Floskel, denn ich vermochte Lupus weder einzuschätzen noch hatte ich ihn durch das kurze Gespräch liebgewonnen. Er gehörte zur Familie, das jedoch war bis dato das einzige, was uns verband. Ich nickte ihm noch einmal abschließend zu, dann wandte ich mich um und überließ ihn den fachkundigen Händen der aurelischen Sklaven.
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Zur veranschlagten Zeit fanden wir uns also beim Hause der Flavier ein. Ich hatte darauf bestanden, den Weg zu Fuß zurückzulegen, denn weit war es nicht von unserer Heimstatt bis zu den Flaviern, und wer regelmäßig eine Strecke ging, hielt das Alter auf Abstand und nicht nur Geist, sondern auch Körper fit. Mit Lupus an meiner Seite, begleitet von einer kleinen Schar verdeckt bewaffneter Sklaven und Livius Pyrrus, der vielleicht nützlich sein würde, schritt ich zur flavischen porta und ließ anklopfen.
Kaum dass die Tür geöffnet wurde und das bekannt griesgrämige Gesicht des flavischen Türhüters erschien, der uns gewohnt skeptisch entgegenspähte, kündigte derselbe Sklave, der eben noch geklopft hatte, uns an. "Salve! Senator Aurelius Corvinus und Aurelius Lupus haben einen Termin bei consul Flavius Furianus", sagte er, während uns nichts anderes blieb, als abzuwarten.
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Alles Gute nachträglich. Hoffe, du hast schön gefeiert.
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Ich bin anwesend, aber werde wohl zumindest diese Woche nur recht unregelmäßig zum Schreiben kommen. Eventuell längere Wartezeiten bitte ich daher zu entschuldigen.
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Wer auch immer da klopfte, er hatte Glück, denn ich war eben selbst nach Hause gekommen. Noch in eine toga gehüllt, war ich ins Arbeitszimmer gegangen, um dort ein Dokument zu suchen, auf das ich beim Umkleiden eine Antwort diktieren wollte - denn warum die Zeit nicht nutzen? Ich stand also vor dem Regal, das Schriftrollen beinhaltete, und fuhr mit dem Zeigefinger an den angebrachten Beschriftungen entlang, als es klopfte. "Herein?" schlug ich gewissermaßen vor und wandte mich kurz um. Ah, der Gallier meiner Frau. Ich unterbrach meine Suche für einen Moment und sah ihm aufmerksam entgegen. Immerhin war er nicht geflohen, was sicherlich auch in seinem Ermessen lag.
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Ein wenig verwundert war ich schon, einen Liktor des amtierenden Prätors im Hause zu haben, zumal mir dessen Anliegen rein gar nichts sagte. Es bestand natürlich die Möglichkeit, dass der Sklavenjunge etwas verdreht hatte bei der Botschaft, die er mir überbrachte. Ich hatte jedoch beschlossen, die Angelegenheit selbst zu prüfen, und deswegen fand ich mich recht bald nach der Information den Besuch betreffend im atrium ein. "Salve, lictor. Wie kann ich dir behilflich sein?" grüßte und fragte ich den Mann, als ich vor ihm stehen blieb.
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Überraschend. Und sehr schade.
Lando war meiner unfachmännischen Meinunung nach ein sehr überzeugend dargestellter Germane und ein vielseitiger Charakter. -
Beim Klang ihres Lachens fühlte ich mich unwissend. Natürlich hatte der Junge nur geniest. Jetzt im Nachhinein erschien es mir absurd, mich überhaupt erschreckt zu haben ob dessen. Ich lächelte, ein klein wenig peinlich berührt vielleicht, ließ die Hand jedoch, wo sie war. Siv war zärtlich mit dem Kind, ganz so, wie ich es auch vermutet hätte. Ihr Strahlen und die darauf folgende Bemerkung allerdings ließen die Situation zu glücklich erscheinen. Das war ein wenig zu viel des Guten, zumindest für mich und in jenem Moment. Ob er nun frech werden würde oder nicht, bestimmte meiner Meinung nach die Erziehung. So viel Verstand hatte ich selbst in dieser Situation noch. Ich lächelte nun schief und wollte bereits bemerken, dass ich mich nun besser auf den Heimweg machte, als Siv mir das Kind leicht entgegen hielt und erwartungsvoll ansah. Ich sah zurück, im Blick die stumme Frage nach Bestätigung. Gleichzeitig war mir unwohl bei dem Gedanken daran, meinen Sohn zu halten. Zögerlich streckte ich dennoch die Hände nach ihm aus, richtete den Blick von Siv nun auf ihn. Auf die kleinen, etwas abstehenden Ohren, das wenige Haar und die verhältnismäßig großen Augen.
Als Siv ihn mir gab, überkam mich eine leichte Panik, vermengt mit Stolz - immerhin hielt ich hier meinen Sohn in den Händen! Unwissend hielt ich ihn nicht richtig und ein wenig steif. Sein Köpfchen kugelte zur Seite, woraufhin ich das ganze Kind ein wenig entgegengesetzt neigte, freilich alles etwa zwei Handspannen vor meiner Brust. Er war gar nicht so schwer, nur seltsam unhandlich, was dadurch erschwert wurde, dass er sich bewegte. Die Beinchen strampelten in der neugewonnenen Freiheit, die Ärmchen winkten wie zum Gruße, und wenn man mich gefragt hätte, so hätte ich felsenfest behauptet, er würde mich angrinsen. Hilfesuchend sah ich zu Siv.
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Es schien mir, als prasselten die Antworten ringsum nun wie Regentropfen nieder. Eine geeignete Pause, um selbst noch einmal das Wort zu erheben, ergab sich für mich nicht. Und dann war Decimus Livianus auch bereits auf und davon und hatte in Begleitung einiger unbedeutenderer Senatoren die heiligen Hallen des Senats verlassen. Verwundert sah ich ihm nach, und als ich mich umschaute, entdeckte ich, dass viele andere es mir gleich taten. Ich verstand nicht, warum es stets Livianus war, der sich derart ins Licht der öffentlichkeit zu rücken versuchte. Der Artikel, welchen er beanstandet hatte, war nicht der erste dieser Art. Immer wieder wurden solche Artikel eingereicht und auch publiziert, und manche von ihnen entbehrten eines gewissen Wahrheitsgehaltes nun einmal nicht. Während einige, wie Flavius Gracchus beispielsweise, doch den privaten Gang zu mir bevorzugten, schienen andere über eine vermeintlich große Ungerechtigkeit abstimmen lassen zu wollen - und machten damit aus einer - zugegebenermaßen stechenden - Mücke einen Elefanten.
Mein Blick glitt nun hinüber zu dem Gespann der beiden Konsuln, um von einem der beiden unmissverständlich das Rederecht zu erhalten und damit selbst etwas vorbringen zu können.
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Erstaunlich. Dieser Lucius Vocasius Pancras schien sein Geld durchaus wert zu sein. Zumindest machte er seine Sache gut. Den ersten Kampf hatte ich mit Interesse verfolgt, gemeinsam mit meiner Frau, der diese Art der Spiele wohl mehr zusagte als Wagenrennen. Ich konnte nur mutmaßen, dass es an den muskulösen Oberkörpern lag, denn an Spannung standen Gladiatorenspiele den Wagenrennen in nichts nach - meiner Meinung nach. Der retiarius, der als Verlierer des Kampfes galt, wurde verschont. Auch das war nicht weiter verwunderlich. Und schon begann der zweite Kampf.
Während der erste Kampf den Zuschauern noch Spielraum für Reaktionen gelassen hatte, schien der zweite Kampf nur so dahinzurasen. Erstaunen und Überraschung gingen ebenso schnell ineinander über wie Spannung und Entspannung, Schrecken und Ergriffenheit. Ich hoffte, dass die Männer für ihr Geld wenigstens etwas boten und nicht nach ein paar schnellen Minuten im circus den Lohn für die Darbietung einheimsen wollten. Interessiert betrachteten wir also das weitere Geschehen.
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Ich machte eine gleichgültige Handbewegung. Ohnehin hätte ich nicht Lupus' Aufgabe erledigt, und im Grunde war es die seine, die Konditionen die Heirat betreffend auszuhandeln - obwohl sein Vater mich darum gebeten hatte. "Keine Sorge", erwiderte ich gelassen. "Ich habe lediglich gefragt, um nicht fälschlicherweise die Verabschiedung einzuleiten." Das wäre wohl recht peinlich geworden, und deshaöb besprach man so etwas auch im Vorfeld untereinander. "Diese angestrebte Ehe sollte meiner Ansicht nach in jedem Falle zur Sprache kommen. Die bestehenden Verbindungen zur Familie der Flavier sind zwar schon ein Punkt, der - abgesehen von dir selbst und deiner Abstammung - dafür spricht, dich für ein Lehrjahr aufzunehmen, aber die geplante Hochzeit ist ein zusätzliches As im Ärmel." Und würde er das Gespräch nicht darauf lenken, würde ich es tun. Wer dann letztenendes mehr zum Thema sagte, war unerheblich. Was zählte, war das Resultat. Und wenn Lupus dumm genug war, eine geringe Mitgift auszuhandeln, dann war er es, der damit leben musste "Gut. Hast du sonst noch etwas auf dem Herzen?" fragte ich.
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Das war verständlich und erklärte zudem, warum auch sie so früh am Morgen die Kälte des Frühlings suchte, der in diesem Jahr leider besonders lange brauchte, um sich zur Sommerwärme zu entfalten. Ich überlegte, ob ich sie danach fragen sollte, ob sie schlimme Träume gehabt oder einfach falsch gelegen hatte, da fuhr sie auch schon fort und sprach das Thema Flavius an, das ich am liebsten gänzlich vermieden hätte. Ich seufzte, während sie sich in einem Erklärungsversuch erging, und es missfiel mir eindeutig, dass sie diesen Gorbian auch noch bei seinem seltsamen cognomen nannte, Piso, den Erbsenbauer. Was seine Eltern sich dabei gedacht haben mochten, würden sie vermutlich auch mit ins Grab nehmen. Als Prisca eine kurze Pause machte, bemühte ich mich um ein kleines Lächeln und setzte zu einer Erwiderung an. "Aber ich bin nicht böse auf dich, Prisca. Du kannst schließlich nichts dafür. Es war schlichtweg eine Unverschämtheit von diesem Flavius, ungefragt hier einzudringen und sich zu nehmen, wonach ihm der Sinn..." Ich verstummte, rund zwei Sekunden nachdem Prisca kaum vernehmlich etwas gesagt hatte, dass ich gewiss falsch verstanden hatte. Zunächst mit entsetztem, dann mit einem Blick, der deutlich machte, dass ich mir ein Misshören vorzumachen suchte, schüttelte ich den Kopf, gepaart mit einem überspielenden - und deutlich missglückten - Lächeln. Da war ein schwarzer Fleck auf meiner Brust, der sich vollsog und rasch größer wurde. Wie roter Wein, der auf eine gierig saugende toga traf.
"Was...hast du gesagt?" krächzte ich. Bestimmt hatte ich mich verhört. Es konnte doch unmöglich sein, dass Prisca das Wort Liebe eben benutzt hatte, noch dazu in Verbindung mit diesem unsittlichen Flavier! Ich starrte sie an und hoffte auf ein Wunder. Sie hatte bestimmt er hat sich verlaufen gemeint. Oder ich habe mich mit ihm verlustiert. Ich fühlte mich wie die Hecke, die das Dornröschenschoss umgab. Prisca war die lieblich schlummernde Jungfrau, dieser Flavius der fesche Freier. Und ich war die bösartige Dornenhecke, nur dass in meiner Version der Geschichte die Hecke gewann und nicht der Prinz.
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Ein Lächeln, ein Blick. Ich hatte das Gefühl, in ihr mich selbst zu sehen. Die tiefe Verbundenheit war unleugbar. Wenn es etwas wie einen Seelenverwandten gab, so war Prisca der meine. Spätestens in diesem Moment war mir das klar. Sie barg mein Gesicht in ihren Händen und... Erstaunt sah ich sie an, Überraschung überlagerte das aufkeimende Entsetzen über diesen Kuss, der - selbstverständlich! - nur im Sinne der sittsamen Zuneigung gegeben worden war. Und dennoch war da der leise Zweifel, der etwas mit Helena zutun hatte. Das Entsetzen darüber, was wäre, wenn es eben nicht so wäre. Ich überspielte die plötzliche Befürchtung, redete mir schleunigst und erfolgreich ein, dass eine Nichte ihren Onkel selbstverständlich so küssen durfte, vollkommen leidenschaftslos, tröstender Natur und, nun ja, durchaus auch auf die Lippen, insbesondere in einer solchen Situation. Es war schließlich nichts dabei. Wirklich und wahrhaftig nicht. Warum also sich Gedanken machen? Und trotzdem rasten sie nun dahin, trotzdem machte ich mir Sorgen - recht egoistische, wie ich mir eingestehen musste, denn ich wollte ganz gewiss nicht Prisca so verlieren, wie es mit Helena hatte geschehen müssen - zu ihrem eigenen Besten! An die andere Variante mochte ich gar nicht denken. Ich fand Prisca wunderschön, um nicht zu sagen perfekt, und zwar in jedweder Hinsicht. Sie wäre eine wunderbare Frau, eine liebende Mutter, eine treue Gefährtin, eine aufopfernde Freundin. Für mich war sie all dies, doch in erster Linie auch meine Nichte, und das würde sie auch bleiben - vor allem anderen. Hinzu kam, dass ich ihr selbst bei aller Eventualitäten mich selbst ihr nicht aufbürden wollte. Was ich genau genommen heute bereits getan hatte.
Prisca mochte meinen melancholischen Ausdruck deshalb ein wenig fehldeuten, immerhin war unser Gespräch gänzlich in diese Melancholierichtung abgeglitten, so dass im Grunde kaum ein Anlass zum Grübeln bestand, wenn ich sie nun besorgt ansah. Sie stockte kurz, als ich mich dazu anschickte, mich zu erheben, was mich dazu veranlasste, sie forschend anzusehen und dann vollends aufzustehen, als sie mich freigab. Als ich vor ihrem Bett stand, strich ich ihr noch einmal über das dunkle Haar und die Wange bis hin zum Kinn. "Du auch", flüsterte ich. Dann trat ich den Rückzug an, mit anderen Gedanken im Kopf als vor meinem Eintreten in ihr Zimmer, doch obgleich sie andersartig waren, muteten sie nicht unbedingt leichter und sorgloser an, sondern betrafen nun zum größten Teil eine andere Person als zuvor.
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Celerina reagierte nicht, und das war auch gut so. Ich hätte sonst beileibe nicht gewusst, ob ich schweigen oder alles erzählen und dabei das Risiko eingehen sollte, sie erneut in die Arme eines Sklaven zu treiben. Ich schwieg auch weiterhin, und lauschte in die Dunkelheit.
Es mussten erst wenige Momente vergangen sein, als ich erschrocken die Augen aufschlug und erneut in Düsternis starrte. Oder hatte ich geschlafen? Ich war in jedem Falle hellwach, brauchte aber dennoch ein paar Sekunden, um mich zu orientieren. Zunächst glaubte ich, Siv schreien gehört zu haben, doch roch es anders als in meinem Zimmer, irgendwie blumiger und nicht so harzig-neutral, und einen Augenblick später gewahrte ich eine tastende Hand, ein gehetztes Atmen, und ich registrierte, dass ich noch immer neben Celerina lag, obgleich ich vor gehabt hatte, mich irgendwann nachts davonzumachen. Ich hatte nur warten wollen, bis sie sicher eingeschlafen war. Dabei musste ich selbst eingeschlafen sein. Ich richtete mich auf und rieb mir mit Daumen und Zeigefinger über die Augen, dann tastete ich mich zu Celerinas Schulter vor, strich ihr das Haar von derselben und legte meine Hand dorthin. Ich fühlte mich müde und hatte einen schalen Geschmack im Mund. "Du hast schlecht geträumt", erklärte ich ihr im Versuch, beruhigend zu klingen. "Leg dich wieder hin."
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Ich nickte nur, eventell würde sich ja eine solche Gelegenheit nun bieten, da wir doch recht gemütlich beisammen saßen. "Ja. Wir hatten den Gedanken schon eine Weile, aber da die Familie stets weiter wächst, wird es spätestens mit der nächsten Hochzeit ein wenig beengend. Hinter der villa gibt es noch alte Stallungen, die ein Relikt aus der damaligen Stadtrandlage des Hauses sind", erklärte ich. "Für mich persönlich sind sie vollkommen unnütz, und insgesamt gesehen ist es auch nicht unbedingt nötig, die paar Tiere direkt am Haus halten zu müssen, wenn man sie ohnehin aus der Stadt bugsieren muss, um sie benutzen zu können." Ich hob die Schultern und sah von Ahala zu Celerina, der als Gestütsbesitzerin die meisten Pferde in den Stallungen gehörten. Ursus und die Zwillinge hatten ihre Tiere bereits vor ein paar Wochen aus der Stadt gebracht und in einem gepachteten Stall untergestellt. "Deswegen sollen die Stallungen abgerissen und das Haus ausgebaut werden, und hier kommst du ins Spiel. Ich habe zwar ein paar Vorstellungen im Kopf und Ideen parat, aber ich brauche selbstredend auch Zahlen. So etwas muss gut kalkuliert und geplant werden, Angebote müssen eingeholt und Vergleiche angestellt werden. Germanicus Avarus mag hier der bekannteste Name sein, was bauliche Veränderungen anbelangt, aber qualitativ und preislich gesehen habe ich keinen Überblick über vermeintliche Konkurrenzunternehmen."
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Ich schmunzelte ob seiner Verlegenheit und nickte zur Antwort auf seinen Vorschlag hin. "Gern, Tiberius. Dann hab eine geruhsame Nacht", wünschte ich meinem Neffen und stand ebenfalls auf. Es würde nun wohl noch eine Weile brauchen, bis ich einschlafen konnte, denn dass der Schmerz ob des Todes meines Bruders noch so schwer wog bei seinem Sohn, hätte ich nicht erwartet. Ich würde gewiss noch eine Weile darüber nachgrübeln, nachdem ich ins Bett gegangen war und das Licht gelöscht hatte, was ich tat, nachdem Avianus mich verlassen hatte.
~ finis ~