Beiträge von Caius Flavius Aquilius

    Der Tag war lang gewesen, und ich war trotz des mittäglichen Erfolgslerlebnisses müde - es war doch etwas anderes, den ganzen Tag sich im relativ begrenzten Areal des Mars-Ultor-Tempels aufzuhalten als den halben Tag durch Rom zu wetzen, immer ansprechbereit für die Sorgen und Nöte der Bürger - allein meine Füße würden gegen Ende der Amtszeit sicherlich die dritte Schicht Haut verbraucht haben, zumindest stellte ich es mir so vor. Aber die Arbeit - beziehungsweise alles, was vor einem Umfallen in Richtung Bett und dem heute wirklich wohlverdienten Augenschließen noch passieren würde - wartete auch in der villa Flavia auf mich, und das in Form meines neuen Sklaven. Der Nubier, der gebildet schien und vom Temperament her ruhig - ein Ausgleich, den mein Haushalt dringend nötig hatte, und ich hoffte im Stillen, dass ich mich nicht allzu sehr getäuscht hatte in meiner Einschätzung. Straton erahnte wohl, wie es mir erging, und behelligte mich auch nicht mit weiteren Fragen, setzte mich nur davon in Kenntnis, dass der Nubier ordnungsgemäß geliefert worden war (was für ein seltsamer Euphmeismus, immerhin handelte es sich um einen Menschen, nicht um eine Sache) und schenkte mir gleich Wein ein - nach einem halben Becher war ich schließlich soweit, dass ich mich wieder bereit fühlte, etwas sinnvolles zu machen.


    Straton wickelte mich aus der toga und brachte sie zurück in den Nebenraum, der mir inzwischen als Ankleidezimmer diente, dort war auch die toga bereits aufgehängt, die mir am morgigen Tag als Arbeitskleidung dienen würde, und seine ruhigen Bewegungen ließen auch mich etwas zur Ruhe kommen. "Sei so gut und bringe Micipsa zu mir," sagte ich schließlich und setzte mich an den Schreibtisch, um mir die Wartezeit mit einem Blick in eine neue Gedichtschriftrolle zu versüßen, die ich vor einigen Tagen von einem recht unbekannten Autor auf dem Markt erstanden hatte. Straton nickte und machte sich innerhalb der villa auf den Weg, den neuen Mitsklaven zu suchen, und so verstrich ein wenig der Zeit, die ich versunken in das Lesen verbrachte ... kein schlechter Stil, frische Ideen, es hatte sich gelohnt, und vielleicht würde dieser Dichter auch noch zu großem Ruhm gelangen, irgendwann. Als ich Schritte auf dem Gang hörte, blickte ich auf und sah gen Türe, erwartungsvoll und neugierig im Grunde zugleich.


    Sim-Off:

    Jetzt aber :)

    Ich hatte mir nicht den idealsten Tag ausgesucht, um meinen Antrittsbesuch zu machen, aber ein regnerischer Tag wie dieser versprach eine gewisse Ruhe auf den Straßen, und die vigiles würden sicherlich weit weniger aus der castra gerufen werden, weil es irgendwo brannte. So nutzte ich die günstige Gelegenheit und näherte mich den Torwachen, um diese dann freundlich mit einem "Salve!" zu grüßen - angetan mit der üblichen toga praetexta, die alle amtierenden Magistrate auszeichnete, machte schon meine Aufmachung relativ klar, worum es sich hier handelte - um einen Amtsbesuch. Mehr Pflicht als Spaß eben. "Mein Name ist Caius Flavius Aquilius und ch möchte den tribunus vigiles in Amtsgeschäften sprechen."

    "Meine Tiana hat er sich unter den Nagel gerissen, der Hundesohn, der elende! Du musst sie zurückbringen, magistratus, wofür sind schließlich die Magistrate da, wenn nicht, um uns zu helfen!" zeterte die matrona vor sich hin und ich blickte mich eilig um, in der Hoffnung, irgendeine Möglichkeit zu entdecken, diesem Weib zu entkommen. Ihr Kind rotzte gerade hingebungsvoll in die Schürze der Mutter, was diese entweder nicht bemerkte oder nicht bemerken wollte - egal, es war beides gleichermaßen anwidernd - während ich mich fragte, wieso diese anscheinend nicht allzu reiche Frau ein Schmuckstück besaß, das sie anscheinend mit einem Namen versehen hatte, bis mir ein Licht aufging: "Deine Tochter heisst Tiana?" hakte ich vorsichtig nach, nur um von einem weiteren, mit vielen Gesten begleiteten Wortschwall überschüttet zu werden.


    "Sie ist SO ein tugendhaftes Mädchen gewesen, bis sie den Schmarotzer kennengelernt hat, der sich hier immer vor dem Haus herumgedrückt hat, keine ehrliche Arbeit hat er, der hat sicher nur darauf gelauert, eine Frau zu finden, die auf seine Masche hereinfällt! Ich hab' ja mein Leben lang gearbeitet, und mein Marcus auch, bevor er vom Dach gefallen ist ..." Schätzungsweise hatte der bemitleidenswerte Kerl eher den Freitod im freien Fall gewählt denn dass es ein Zufall gewesen war, dachte ich mir.
    "...und sie sieht sein schmieriges Lächeln und er hängt ihr auch noch ein KIND an, der verdammte Lump, der!"


    Wutschnaubend und sichtlich in Rage gebracht spie sie ihre ganze Verachtung den neugierig starrenden Nachbarn entgegen, die nicht wirkten, als wären sie von der Sache allzu überrascht. Tugendhaftes Mädchen, ja sicher. Bei der Mutter konnten nicht einmal frisch gewaschene Tuniken tugendhaft sein. "Eh, Dein Schreiber hat da vorn 'nen Problem," kaute mir einer der Umstehenden entgegen, ein junger Mann, der aussah, als könnte er geradewegs aus der Familie der furchteinflößenden matrona stammen - irgendwie fettig. "Entschuldige mich einen Moment," unterbrach ich die matrona, die gleich zur nächsten Schimpftirade angesetzt hatte, wandte mich um und ging, so schnell ich konnte, ohne dass es allzu offensichtlich nach Flucht aussah, in die bedeutete Richtung, wo man mir Platz machte. Lucanus hatte seinen Mann gekriegt, und ich nickte ihm anerkennend zu.

    Gemächlich zog ich das Laken über uns beide, langsam fröstelte es mich dann doch, immerhin war es nun Winter, und selbst hier in Italia wurde es dann kühler. Nicht kalt, aber immerhin kühler. Sie schien innerlich genug zu frieren, da musste nicht auch noch ein äußerlicher Einfluss dazu kommen. Letztendlich war es auch angenehmer so, und zumindest für mich wirkte es ein bisschen geborgener, als sich gänzlich nackt auf den Laken zu wälzen. Die Zeit der Leidenschaft war zweifelsohne vorüber, nun gab es andere Dinge, die wichtig waren und der Aufmerksamkeit bedurften.
    "Die Götter haben Dich nicht umsonst auf diese Welt gesandt - selbst wenn Deine Seele weiterlebt, ist dies doch keine wertlose Zwischenstation, oder etwa nicht? Es gibt einen Sinn hinter allem, und auch wenn er sich uns nicht immer sogleich offenbart, ich denke auch, dass Dein Leben einen wichtigen Grund hat. Vielleicht auch, wieso sich alles so entwickelt hat, wie es sich entwickelte .. mit dem Abstand einiger Jahre betrachtet man vieles anders, das wirst Du sicher noch erfahren. Versprich mir, Bridhe, dass Du den Tod nicht leichtfertig suchst." Ich wandte den Blick wieder zu ihr, suchte den ihren - sie sollte wissen, dass es mir ernst damit war, und ich nahm den Tod ernst. Das Leben war flüchtig, das Glück ebenso, aber es war lange kein Grund, es einfach alles wegzuwerfen und so zu tun, als sei es nichts wert.

    "Du wirst Dich noch wundern, was Leute so alles essen," erklärte ich mit dem bedeutungsschwangeren Unterton eines Mannes, der Flavius Felix beim Essen zugesehen hatte. Wenn man das überlebte, gab es nicht mehr viel, das einen zu schockieren fähig war, soviel war sicher. Der Gedanke an Garnelen gefiel mir mehr und mehr, vor allem, weil er mich mit seinen Worten an eine Leckerei meiner Kindheit erinnerte - Hispania hatte so viele versteckte Genüsse zu bieten, und Garnelen frisch aus der Reuse (natürlich bei irgendeinem Fischer geklaut) gehörten eindeutig dazu. Damals hatten wir sie noch aus der Hand gegessen, ohne jegliche Sauce, aber damals war ich auch noch ein Junge gewesen, für den die Aufregung des Diebstahls jede Sauce wett gemacht hatte. Irgendwie war die Welt mit der Zeit weit weniger aufregend geworden, wenn man es recht betrachtete. Die Gerüche, die uns hier umwehten, taten ihr Übriges, um meine Gedanken abdriften zu lassen, in Regionen kindlicher Genüsse, und einen Moment lang sehnte ich mich nach Tarraco zurück. Es geschah mir nicht allzu häufig, dass mich ein gewisses Heimweh packte, aber es geschah.


    Aber die Realität war selten gnädig, und mich holte sie an diesem Tage in Form einer kreischenden Frau mit einem schnell geleerten Unrattopf und einem Kerl, der vor ihr zu flüchten schien, wieder ein. Wenigstens war es gerade voll genug, dass der Unbekannte nicht schneller vorankam als mein eifriger Neffe, dem unversehens fast die toga zur gefährlichen Stolperfalle geworden wäre - und ich war noch immer der Meinung, dass der elendig lange Lappen für einen Magistraten eher hinderlich denn hilfreich war! - er löste das Problem geschickt mit einer auf dem Boden landenden Stoffbahn. Von oben hob das Kreischen wieder an.


    "Lauf nur weg, du elender Dieb, anzeigen werde ich Dich, jawohl! Und dann hast Du Ausgeburt des Tartaros nichts mehr zu lachen!" keifte die unförmige matrona dem Flüchtenden hinterher, während ich die Stirn runzelte. Das klang fast so, als wären wir auf unseren ersten Fall gestoßen (sämtliche Garnelengelüste beugten sich gerade der Tatsache, dass die Arbeit uns wohl doch eingeholt hatte) und ich blickte nach oben. "Bürgerin, wenn Du etwas gegen diesen Mann vorzubringen hast, dann komm herunter und sag mir, worum es geht!"


    Sie schaubte wutentbrannt und wandte ihren zornigen Blick auf mich - für einen Moment sah es so aus, als wollte sie ihre Schimpftirade fortsetzen, sah dann aber den Streifen an meiner toga und besann sich wohl eines Besseren. "Und ob ich was zu sagen habe!" triumphierte sie und setzte ihre wogenden Massen in Bewegung, ich sah sie vom Fenster zurücktreten, dann verschwand sie ganz und bewegte sich wohl im Inneren der insula auf ebenerdigen Grund hinab. Ein paar Nachbarn haben sich an den Fenstern angesammelt, bei so viel Spektakel wurden die Leute wohl neugierig, und als sie sich vorn an der porta der insula einfand, ahnte ich auch warum - sie war eher breit als hoch und hatte das ehrfurchtgebietende Gehabe einer mehrfachen Mutter, ein kleiner Rotzlöffel hatte sich auch an ihrer Schürze festgekrallt, den sie mitschleifte, als wäre er ein Schoßhündchen. Wo war mein Neffe abgeblieben? Ich spähte nach vorn, sah aber nur eine sich zusammenballende Menschenmenge.


    "LUCANUS!?" rief ich nach vorn, in der Hoffnung, er wäre überhaupt noch in der Nähe. Dann allerdings forderte die matrona meine Aufmerksamkeit (und für einen Moment lang überlegte ich ernsthaft, in Zukunft nur noch bei Männern zu bleiben, was leidenschaftliche Anwandlungen anging): "Dieser dreifach verfluchte Dreckskerl hat mir meinen Schatz gestohlen, Du musst dagegen was machen, sage ich!" Etwas überrascht blickte ich sie an und versuchte in die Sache dann etwas Licht zu bringen: "Was genau vermisst Du denn und wieso glaubst Du, er habe Deinen Schatz?"

    Sorgsam prüfte ich die Eingeweide des Widders und hatte schon das Herz, die Leber und die Milz durchgesehen, als mir die Galle in die Hände geriet - schwarz durchwuchert von irgendeinem seltsamen Gewächs, das ziemlich bösartig aussah. Unwillkürlich schluckte ich und rekapitulierte. Hatte ich irgendeinen Fehler gemacht? Etwas vergessen? Ein Gebet nicht ausführlich gesprochen? Aber auch bei längerem Nachsinnen, währenddessen ich die Galle beiseite legte und mir das nächste Organ zur Hand nahm, damit es nicht zu sehr auffiel, konnte ich mich an keinen Fehler entsinnen. Verdammt! Das war das erste Opfer, das ein so katastrophales Ergebnis zeigte, der Widder hatte von außen gut gewachsen und gesund gewirkt, wie konnte die Galle also so furchtbar aussehen?


    Und warum musste das ausgerechnet jetzt passieren, wenn ich das erste Mal für meinen patronus opferte? Ich hatte ungefähr tausend lästerliche Flüche auf der Zunge, aber ich schluckte sie herunter, dieses Zeichen war zu eindeutig, um daran herum zu deuten. Mars hatte das Opfer nicht angenommen und was ich befürchtet hatte, war eingetreten - die Götter schienen Rom derzeit nicht gesonnen zu sein. Oder besser, Mars war derzeit schlechter Laune und würde es vielleicht auch noch an den Truppen auslassen, für die der Senator gebetet hatte.


    Mir brach der Schweiß aus, und ich hoffte inständig, dass es keiner gemerkt hatte - verdammt, verdammt, verdammt. Das hatte mit im atrium Baden gehenden panischen Ferkeln nun wirklich nichts mehr zu tun, kein Priester mochte so ein Ergebnis. Die meisten verschwiegen es nur gekonnt, denn zumeist konnte der Opferherr nicht sehen, was man aus den Tieren herausholte und wie die Organe genau aussahen. Gerade bei Staatsopfern stand die litatio schon lange im Voraus fest. Würde meine Lüge auffallen? Ernst starrte ich auf die Schale mit den Eingeweiden herunter und wühlte weiter darin, die Finger dunkelrot vom Blut des Tiers. Es stank zum Göttererbarmen und nur ein gewisses Training verhinderte, dass mein Magen Kapriolen schlug. Wahrheit oder Lüge?


    Ich hob den Blick wieder, sah zu Purgitius Macer und sprach ernst: "Mars hat dieses Opfer nicht angenommen, Senator, ich befürchte, der Zorn der Götter gilt Rom weitaus intensiver, als wir dies bisher vermutet haben. Ich würde vorschlagen, ein zweites Opfer darzubringen, und notfalls so lange, bis Er das Opfer annimmt." Wenn wahrhaftig Sühne verlangt wurde, dann würde ich heute in Blut waten, bevor der Tag vorüber war - und zum ersten Mal empfand ich ein gewisses Maß Furcht. Was, wenn es schlimmer war, als ich es mir ausmalen wollte?

    Je mehr sie erzählte, desto erschütterter wurde ich - denn im Grunde überlegte man selten, wie ein Mensch zum Sklaven wurde. Irgendwie hatten sie für mich doch alle zur Kriegsbeute gehört, wie Severus von Legionären gefangen genommen oder etwas in der Art. Aber dass schon einfache Händler sich an Wehrlosen vergriffen, das war ehrlos. Wenn ein Krieger im Kampf unterlag, musste er mit dem Tod rechnen oder mit der Sklaverei, dieses Risiko war bekannt - aber eine Frau, die niemals Feind gewesen war? Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und wieder zog ich sie etwas an mich. Dieses Leid würde ich nicht ungeschehen machen können, mit nichts in der Welt, und so beließ ich es dabei, ihr mit der Wärme meines Leibes zu versuchen, einen gewissen Trost zu spenden. Zudem, ich konnte einfach keine Frau weinen sehen, egal aus welchem Grund sie nun auch weinte. Behutsam streichelte ich ihr über ihr weiches Haar, schweigend nun. Es war nicht zu ermessen, in welcher Furcht manche Menschen doch leben mussten, ohne dass man darüber einen Gedanken verlor. In meiner Jugend waren Sklaven eben Sklaven gewesen, sie gehörten zum Haushalt, man ärgerte sie gern, bekam dafür Ärger von den Eltern, aber das waren für mich auch die einzigen, signifikanten Unterschiede gewesen, Straton war zwar nie frei gewesen, aber doch ein Lausbub, und mein jahrelanger Spielgefährte, er war von seinem Vater ebenso verprügelt worden wie ich von meinem, wenn wir Unsinn angestellt hatten.


    Erst meine Jahre in Achaia, die Worte der Philosophen, die über Freiheit und die Gleichheit der Menschen sprachen, hatten meinen Sinn für Sklaven überhaupt erweckt - und schätzungsweise in vielem einen zu weichen Herrn aus mir gemacht. Innerlich seufzte ich, denn die Materie war nicht leicht und würde es wohl niemals sein. "Sklaven überleben in bestimmten Lebensbereichen tatsächlich nicht lange. Manche werden für harte Arbeit gekauft, und irgendwann gibt der Körper nach. Aber dafür habe ich Dich nie ausersehen, Bridhe, und ich denke auch nicht, dass der Tod so früh zu Dir kommen wird. Du bist jung, gesund, und was heute ist, muss morgen nicht mehr sein. Du hast mein Wort, solltest Du sterben, dann werde ich selbst Deine Asche zerstreuen. Aber daran solltest Du nicht denken, der Tod wirft seinen Schatten schnell auf jene, die sich zu viel damit beschäftigen." Meine Finger glitten liebkosend über ihre tränenfeuchte Wange, streichelten sie behutsam.

    "Garnelen?" echote ich und war irgendwie auch froh, dass mein Neffe einen so fischorientierten Geschmack hatte. "Warum nicht, sowas gibt es sicher auch hier. Aber bitte sag mir jetzt nicht, dass Du zu jenen gehörst, die ihre Meeresfrüchte in garum ertränken." Das letzte Familienessen mit Flavius Felix hatte mich, was garum anging, wirklich traumatisiert. Das schlimmste waren die garum-Eier gewesen, die geradezu getroffen hatten vor lauter Sauce. Wenn ich mich recht entsann, dann gab es innerhalb der gesamten Familie außer Felix niemanden, der seine Eier auf diese widerliche Weise mochte. Garum war und blieb eine Zumutung, wenn mehr als ein Tropfen das Essen berührte. Nach Fisch war mir am frühen Morgen zwar noch nicht, aber mit Garnelen konnte ich mich durchaus anfreunden, solange sie einigermaßen fangfrisch waren - roch man mehr Fisch als Meer, musste man von derlei Genüssen die Finger lassen.


    Wir bogen um die Ecke und schon erstreckten sich vor unseren Augen die ersten Buden samit der dort angebotenen Köstlichkeiten - dazu die übliche Menge an Römern, die sich ihr Frühstück holten, oder auch dabei waren, um die ersten Geschäfte zu feilschen. Wenn es eines gab, was ich an meinem Volk mochte, dann war es die Gabe, überall den eigenen Vorteil zu suchen, sei es an der Garküche nebenan oder auf den Stufen einer baufälligen insula. Ich konnte mir bei so manchem Landsmann gut vorstellen, dass er noch mit Charon um die Überfahrt über den Styx feilschte, solange er konnte.
    "Da hinten sieht es doch gut aus," meinte ich und wühlte mich voran. Vom Vorbeilassen eines Magistraten hatten die Leute hier eindeutig noch nichts gehört, also verschaffte ich mir mit einige Ellenbogenhieben den nötigen Respekt.


    "Du miese Ratte!" kreischte es plötzlich schräg oberhalb uns und ehe ich es mich versah, klatschte direkt vor mir eine geballte Ladung Haushaltsunrat auf die Straße, nicht ohne meine Sandalen samt unterstem Teil der toga mit Spritzern zu bedecken. Automatisch blickte ich nach oben, und konnte mich mühevoll vor einer zweiten Ladung in Sicherheit bringen, während vor mir in der Menge jemand bedenklich danach aussah, als wollte er sich auch davonmachen - schräg an uns vorbei versuchte er sich durch die Menschen zu wühlen und kam dabei meinem Neffen bedenklich nahe. "Halt ihn fest!" rief ich und versuchte, einen großen Schritt über den Unrat zu machen, der mir nicht gerade den Wunsch erweckte, herauszufinden, woraus er eigentlich bestand.

    Die Anwesenheit meines Patrons (von Gracchus und Antonia einmal ganz abgesehen) verhieß zumindest, dass dieser Tag nicht ganz fürchterlich vorübergehen würde, und da sich Gracchus samt Gemahlin fast häuslich eingerichtet hatten, würde ich später sicher auch ein bisschen was schnorren können. So ein heißer Gewürzwein wäre sicher nicht verkehrt jetzt, vor allem ging dieser ganze Schwachsinn mit einem gewissen Alkoholpegel eindeutig schneller vorüber. Für die nächsten Spiele würde ich mir auch einen Sklaven vorausschicken, mit einer riesigen Amphore Wein ... bei diesem Gedanken angelangt, forderten Purgitius Macers Worte meine Aufmerksamkeit ein. "Falls noch ein Bär übrig bleibt, vorausgesetzt, diese Gladiatoren sehen ziemlich motiviert aus. Wollen wir nachher ein paar Wetten abschließen? Es wird doch zumeist ein wenig spannender mit ein paar gesetzten Sesterzen," gab ich zurück und dachte in diesem Moment daran, dass es überhaupt erst dann etwas Spannung versprach. Im Grunde war das hier die reinste Zeitverschwendung, nicht einmal richtig unterhalten konnte man sich, dafür war das Gekreisch der Menge viel zu laut.


    Die dunkelhaare Frau mit dem kecken Lächeln neben Antonia kannte ich freilich noch nicht, aber den Mann daneben - schätzungsweise war das die Gemahlin des Germanicus Avarus, sie hatten ja kürzlich erst geheiratet, und noch schien sie durchaus von der Ehe angetan. Aber was half es schon, auch Gracchus und Antonia wirkten nach außen hin wie ein zufriedenes Ehepaar und in Rom gab es sicherlich keines, das unglücklicher gewesen wäre.
    Ich gab ihr Lächeln freundlich zurück und neigte ihr höflich den Kopf zu, genauso wie ihrem Mann, kurz bedauernd, dass sie so weit weg saß - aber ich wollte schließlich auch nicht eine gebrüllte Unterhaltung über Gracchus' und Antonias Köpfe hinweg führen. Einen kurzen, etwas längeren Seitenblick auf Gracchus gönnte ich mir indes schon. Wir saßen zwar fast nebeneinander, aber doch, die Distanz zwischen uns hätte nicht größer sein können .. ein Teil jener Bürde, die wir immer würden tragen müssen. "Senator, hast Du den üblen Geruch des Tiber heute eigentlich auch bemerkt?" wandte ich mich wieder an meinen Patron, tapfer bemüht, das Gespräch auch auf Themen abseits der Spiele zu lenken.

    Ihr Götter, ich hasste die Spiele. Sie waren laut, sie waren blutig, und vor allem, sie verschwendeten sinnlos gute Kämpfer auf einer massenbelustigenden Hatz gegen Tiere. Ich hätte mich an einem guten Theaterstück sicherlich besser erfreut und vor allem länger, aber nein, es mussten ja immer Krieger und Tiere sein. Ich war an diesem Tag schon mit einem gewissen Unwillen aufgestanden, denn ich war mir sehr wohl dessen bewusst, dass ich mir dieses verdammt Spektakel den ganzen Tag über würde antun müssen, Tiberius Durus hatte sicherlich nicht gespart, und das bedeutete, es würde eine halbe Ewigkeit dauern, bis der letzte Gladiator den letzten Löwen, Alligator oder was auch immer man sonst noch so aufgetrieben hatte, getötet hatte, oder umgekehrt. Ich würde mich tödlich langweilen, soviel stand fest, und zu allem Überfluss würde ich auch noch so aussehen müssen, als würde mir diese primitive Volksbelustigung Spaß machen.


    Das war eindeutig der unangenehmere Teil des Ganzen - zudem musste man auch noch recht weit vorn sitzen als amtierender magistratus, damit man bloß keine blutige Einzelheit verpasste. Gemeinsam mit Rutger hatte ich mich durch die Menschenmasse gequält, die in das Amphiteater geströmt war, und wieder einmal wünschte ich mir eine große Peitsche, um diese ganzen Leute auseinander zu treiben. Aber ohne Leibwächter hatte ich mir das alles nicht antun wollen, und so kam Severus in den Genuss, heute das Spektakel sozusagen hautnah erleben zu dürfen. Auch wenn ich mir nicht ganz sicher war, was er über die Spiele als solche dachte, er würde einige der Gladiatoren in der Arena kennen von seinem Training, vielleicht wurde es dann doch noch ganz interessant.


    Meine toga praetexta - man trug natürlich alle Amtsinsignien zu diesem überflüssigen Schwachsinn, wie konnte es auch anders sein - öffnete uns alle Türen, die für normale Bürger verschlossen waren, und als ich endlich die Tribüne erreicht hatte, die für Magistrate und Senatoren gedacht war, fühlte ich mich wie durch eine Mangel gepresst. Ich erspähte freien Platz, der praktischerweise zwei Vorteile aufzubieten hatte - zum einen meinen patronus, zum anderen Gracchus und seine Gemahlin, die an diesem Feiertag wieder einmal so frisch wirkte wie eine Blüte im Frühling. Frauen waren eindeutig das beneidenswertere Geschlecht, dachte ich bei mir und steuerte den Platz an, auf dem ich mich nach einem freundlichen "Salve allerseits!" auch niederließ und Severus heranwinkte. "Man könnte meinen, die Spiele begännen vor dem Amphitheater, ich bin mir fast sicher, draußen geht gleich genauso das Hauen und Stechen los wie hier drin." Ich lächelte gen Gracchus nebst Gemahlin, dann gen meines Patrons und streckte die Beine aus. Auch das noch. Die Tribüne war für den typischen kleinwüchsigen und fettleibigen Senator konzipiert - es würde die reinste Folter werden, soviel stand fest.


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    Wie es sich für einen amtierenden Magistraten gehörte, hatte ich mich auch zu jenem öffentlichen Opfer eingefunden, das zu Ehren des Tiberinus angesetzt worden war - zum einen eine günstige Gelegenheit für die gens Tiberia, Rom zu zeigen, warum sie es verdiente, zu den Patriziern dieser Stadt zu zählen, nämlich in einem großen Einsatz für das Volk, zum anderen auch ein geschätzter Feiertag, denn es ging auf die Saturnalien zu und jeder geschenkte, freie Tag war ein guter Tag, die meisten Familien begingen diesen Tag doch sehr opulent.


    Sehr weit vorn stand ich nicht, aber ich zweifelte auch nicht daran, dass das Opfer korrekt und stimmig ausgeführt würde - so verlegte ich mich wie viele andere der Schaulustigen darauf, aufmerksam zu sein und an der richtigen Stelle zu jubeln - irgendwo weiter vorn musste gerade die 'Litatio!' verkündet worden sein und wie stets wurde diese erfreut begrüßt. Vor allem jetzt. Rom konnte wirklich günstig gestimmte Götter gebrauchen. Ein anderes Ergebnis hätte auch gar nicht sein dürfen - letztendlich erwartete man bei den öffentlichen Opfern die 'Litatio!' geradezu. Und dennoch - als es voran ging, die Menge sich zu bewegen begann, zog ein nicht gerade angenehmer Geruch von Seiten des Tibers zu uns herüber und ich musste mir große Mühe geben, nicht zu würgen.


    Anderen erging es anscheinend ähnlich, und trotz des Festtages sah ich die ein oder andere ziemlich gequält wirkende Miene - angenehm war das wirklich nicht. Konnte es wirklich sein, dass die 'Litatio!' nicht so eindeutig gewesen war wie ausgerufen? Ich warf einen zweifelnden Blick auf den Fluss und beschloss, später mit Gracchus darüber zu sprechen, wir hatten uns immerhin bei den Spielen verabredet ... er hatte es weit mehr mit solchen ominösen Zeichen als ich, und hoffentlich wusste er Rat. Gemächlich schritt ich voran, und mühte mich, möglichst nicht so auszusehen, als müsste ich gleich kotzen - auch wenn mir ehrlich gesagt ziemlich danach war.

    Still lauschte ich einem Augenblick lang den wenigen Vögeln, die in dieser Jahreszeit noch im Garten ihr Lied sangen, eine einsame Zikade versah die Melodie gar mit einem Rhytmus. Es schien so friedlich, fast als sei die Welt einmal zur Ruhe gekommen, auch wenn ich wusste, dass es eine reine Illusion war. Schon morgen würden die nächsten Sorgen, die nächsten Pflichten warten, und es würde wenig Zeit bleiben für die Dinge, die einen wirklich zu erfüllen wussten.
    "Ich werde Dich dazu sicher nicht zwingen ...denke einfach darüber nach. Ich bin mir sicher, es wird auch andere geben, die Deinen Gesang zu schätzen wissen und deren Anerkennung wird Dir die Schüchternheit sicher irgendwann nehmen. Denkst Du, wenn ich vor dem Altar stehe, ein Opfergebet spreche und mir viele Menschen dabei zusehen, sei ich nicht nervös? Manchmal zittern mir so sehr die Hände, dass ich erst eine Weile brauche, bis ich weitermachen kann. Aber irgendwann geht es wieder .. und dann mache ich weiter. Mit der Zeit wird es weniger schlimm."
    Seltsamerweise fiel es mir leicht, ihr das zu sagen, auch wenn es mir Gracchus gegenüber wohl peinlich gewesen wäre - er sollte mich für stark halten, für jemanden, der mit den Herausforderungen des Lebens umgehen konnte.


    Als sie von ihrer Heimat sprach, kehrten die Bilder Hispanias zurück. Sonnige Hügel. Tage, an denen es so heiss war, dass die Luft flirrte und man den würzigen Geruch der Gräser fast wie eine Wand fühlen konnte, gegen die man lief. Und die erfrischende Kühle des Meers, in die man sich stürzen konnte, an der Küste Tarracos.
    "Wie wurdest Du eigentlich ... Sklavin ... Bridhe? Ich glaube, danach habe ich Dich nie gefragt. Wann immer ich Dich von Deiner Heimat sprechen höre, spüre ich deutlich, wie sehr Du sie lieben musst, und in solchen Momenten ... denke ich auch an meine Heimat. Ich kann mir vorstellen, wie es sein muss, an einem Ort zu sein, der dem überhaupt nicht ähnelt, was man selbst kennengelernt hat, als man groß geworden ist." Ihre Worte über den Tod ließen mich den Kopf zu ihr wenden, und ich hob meine Brauen leicht an, um sie genau zu betrachten - es schien ihr ernst mit dieser Bitte, und ernst antwortete ich: "Es werden Deine Kinder und Enkel sein, die dereinst diesen Dienst an Deinem Andenken antreten, nicht ich, Bridhe. Aber ... gesetzt den unwahrscheinlichen Fall, dass es den Göttern früher gefällt, Dich zu ihnen zu rufen, gebe ich dir mein Wort als Flavier und Priester, dass ich Deine Asche zerstreuen werde, wie es Dein Wunsch ist."

    Ich wartete geduldig ab, bis mein patronus sein Gebet zuende gesprochen hatte - gut formuliert fand ich es allemal, nicht zu kriecherisch, nicht zu fordernd, daran gab es im Grunde nichts auszusetzen. Jetzt musste nur noch das eigentliche Opfer laufen, wie es sollte und die Sache wäre erledigt - hoffte ich, denn jetzt kam der blutige Teil des Ganzen und dabei konnte wirklich viel schiefgehen. Ich blickte zu Purgitius Macer und fragte, ganz wie es das Ritual vorgab: "Agone?"


    Auf sein "Age!" hin ließ ich mir den malleus, meinen Opferhammer geben, und griff mit der anderen Hand das culter, jenes scharfe Messer, mit dem ich die Halsschlagader des Widders durchtrennen würde - es war im Grunde eine klare, eindeutige Handbewegung, und doch beendete ich damit ein Leben. Konzentriert holte ich mit dem schweren Hammer Schwung und ließ ihn krachend gegen den Schädel des Tiers fahren, der Widder knickte auf den Vorderläufen ein, wie es sein sollte, sei es wegen der Wucht oder der Tatsache, dass der Schlag sein Gehirn zerstört hatte und das Tier damit betäubt - der finale Schnitt gelang mir recht gut, ich zog das Messer klar durch und das Blut begann aus dem langen Schnitt auf den Boden zu schwappen.


    Für zarte Gemüter waren die blutigen Opfer in jedem Fall nichts - und ich wusste, ich würde sehr bald neue Kleidung brauchen, das Tier blutete sehr gut, zu wenig Blut war ein schlechtes Omen, soweit, so gut. Einer der camilli kniete sich mit einer Schale zur Blutrinne um den Altar und begann, das ablaufende Blut zu sammeln, und als ich zurücktrat, um darauf zu warten, dass der Widder ausblutete, fühlte ich mich erleichtert. Es war gut gegangen, und ich hatte die gute Hoffnung, dass auch die Eingeweide makellos sein würden, das Tier war gut gewachsen, man hatte keinerlei Mängel sehen können - was sprach also noch gegen den Opfererfolg?


    Es dauerte eine ganze Weile, bis das Tier endlich soweit war, dass es losgebunden und auf den Altar gewuchtet werden konnte, und während die Menge ein wenig zurückwich (der geöffnete Bauchraums eines Lebewesens roch eben niemals wie eine blütenfrische Blumenwiese), vollführte ich die Schnitte, die nötig waren, um das Tier so weit zu öffnen, dass ich die Eingeweide herausholen konnte, die für eine Anlayse notwendig waren. Ich ließ mir die nötige Zeit und arbeitete sorgfältig, und schließlich lag alles, was ich brauchen würde, in der patera. Mich über jene neigend, studierte ich die Innereien des Opfertiers genau und hoffte natürlich auf makelloses Aussehen...

    Ich warf einen zweifelnden Blick auf Lucanus' hochgelobtes Schreibgerät - nun, wenn er an solchen Dingen seinen Spaß fand, dann wollte ich ihn nicht daran hindern, mir erschien das Ganze als ein bisschen zu neumodisch für meinen persönlichen Geschmack. Aber er musste ja damit arbeiten, nicht ich.
    "Wir bringen ihm etwas mit," meinte ich, noch bevor Straton zu einer Antwort ansetzen konnte - das wäre ja noch schöner, dass mein vilicus meinem Neffen eine Essensbestellung mitgab, so weit musste es hier nun doch bei aller Liebe nicht kommen. Straton warf mir einen - wohlverdient - giftigen Blick zu und kramte leise knurrend in den Akten, die er mir herauslegen sollte, während ich mich zur Tür wandte. "Gehen wir, bevor uns noch die Arbeit einholt," fügte ich nun mit einem schadenfrohen Grinsen gen Straton in Richtung meines Neffen an und schritt hinaus, die Straßen Roms warteten geduldig auf uns ...

    Von meinem officium her kommend schritten Lucanus und meine Wenigkeit unbehelligt über eine der größeren Straßen in Richtung des Marktbereichs in der belebten Stadtmitte Roms. Straton war in meinem Amtsraum zurück geblieben, und ich genoss es, dem doch etwas beengend wirkenden officium entkommen zu sein - selbst im Tempel hatte man mehr Freiraum, und da ich noch ziemlich an die tägliche Opferpraxis und den stetigen Fluss der Menschen gewöhnt war, fiel mir die Umstellung nicht leicht. Natürlich bemühte ich mich, dies meinen Neffen nicht merken zu lassen, schließlich sollte er nicht glauben, er habe sich als Arbeitgeber einen Jammerlappen ausgesucht - aber dass ich mich draußen wohler fühlte, war wohl kaum wirklich zu übersehen. Manchmal war mir die Einsamkeit meines Arbeitszimmers sehr recht, aber die meiste Zeit eben nicht. Nicht zuletzt deswegen hatte ich mir als Amt das des tresvir capitalis gewünscht, es versprach die meiste Abwechslung, und mich mit Erbschaftsangelegenheiten herumzuschlagen, war nicht wirklich mein größter, verzweifeltster Wunsch gewesen.


    "Nach was steht Dir der Sinn? Warmer puls vielleicht? Oder Wurst und Brot? Ansonsten würde ich sagen, schauen wir mal bei den exotischen Ständen vorbei, Essen, bei dem man nicht weiss, was es ist und wie es heißt, ist immer wieder eine spannende Erfahrung," meinte ich grinsend und dachte an meinen letzten Besuch bei den ausländischen Händlern. Irgendwer hatte mir Nachtigallenzungen in Fladenbrot angedreht, die verdächtig geschmeckt hatten, als seien es zerkleinerte Sardellen gewesen - aber interessant war es allemal gewesen.
    Außerdem war ich neugierig, wie sich mein Neffe wohl mit unbekannten kulinarischen Genüssen schlagen würde, und, solange man das Ohr an der Straße behielt, erfuhr man vielleicht auch den ein oder anderen interessanten Klatsch, der mir bei meinem Amt helfen würde. Als tresvir capitalis war ich mehr als jeder andere Vigintivir verpflichtet, auf die Dinge zu achten, die in Rom vor sich gingen, und das würde für uns beide sicher noch eine Menge Laufarbeit bedeuten.

    Seinem Atem lauschend, lag ich an der Seite meines Manius, hörte das Echo seiner schnellen Atemzüge in meinem Innersten nachhallen und mit einem Echo versehen zurückkehren, als hätten wir nie etwas anderes gemacht. Stille hatte sich über sein cubiculum gesenkt, die leisen Geräusche, die wir zuvor verursacht hatten, waren verstummt, die Wände hatten unsere Seufzer, das unterdrückte Stöhnen, jene Laute einer Erfüllung tiefster Begierde verschluckt, als seien sie nie dagewesen. Aber ich wusste, was geschehen war, und um dieses Wissen zu vertiefen, musste ich nur meine Augen öffnen und neben mich blicken, seinen Augen mit den meinen begegnen, tief eintauchen in seinen Blick, wie wir nur wenige schmetterlingsflügeldünne Augenblicke zuvor ineinander eingetaucht waren. Ich fühlte meinen Körper ermatten, das warme, angenehme Gefühl der nachlassenden Anspannung, mit dem sicheren Wissen, dass mein Hunger nach ihm niemals gestillt werden würde, egal, wieviele Nächte, wieviele Umarmungen wir uns noch schenken würden. Ich musste ihn nicht einmal sehen, um zu wissen, wie nahe er mir war, jede Faser meines Leibes atmete seine Anwesenheit, atmete seine Hitze, seine Leidenschaft, ebenso seine Zärtlichkeit und Hingabe.


    War ein erstes Zusammenkommen zweier Liebenden doch oft genug von den Dichtern als höchste Erfüllung beschrieben worden, so hatte ich erst jetzt die Gelegenheit erhalten, dies auch durch eigene Erfahrung zu bestätigen, und frohgemut die ewigen Worte als wahr zu erklären. Er hatte genommen, meine Furcht, loszulassen, meine Angst, etwas falsch zu machen, meine Unsicherheit, das Richtige zur richtigen Zeit zu tun, meine Kraft, die uns voran getrieben hatte, meine Lust, die ich ihm nur zu bereitwillig anvertraut hatte, meine Hingabe, das Wissen, seinen Leib nahe an dem meinen zu fühlen, mich in ihm, ihn in mir, ein ewiger Kreislauf dessen, was wir uns lange gewünscht hatten - und er hatte gegeben: Dieses Wissen, dass es etwas in meinem Leben gab, das richtig war, wie es bestand, das immer richtig sein würde, egal, was geschah. Seine leicht geöffneten, feucht schimmernden Lippen, als wir uns genossen hatten, diesen Tanz vollführten, der so anders und doch so erfüllend war, und er gab noch immer, jetzt, in diesem Augenblick, in dem wir nahe beieinander lagen, ich seinen Herzschlag fühlte, sein Atmen hörte, und wusste, dass uns diesen Augenblick niemand jemals würde nehmen können. Mochte in der Zukunft kommen, was wollte, in unserer Liebe gab es keine Bitterkeit mehr, kein saures, galletriefendes Gefühl der Unerreichbarkeit, des stetig als Damoklesschwert über uns schwebenden möglichen Verlusts.


    Es gab nur noch Manius, und mich, Manius' Atem, seinen Herzschlag, und sein Sein. "Ich würde es anders sagen, mein Manius," flüsterte ich leise, in zärtlichem Ton zurück. "Wir leben jetzt erst, denn alles davor war kein Leben, nur ein Vegetieren, ein stetiges Sehnen, ein unerreichbares Hoffen. Sollten die Götter beschließen, uns nun zu sich zu holen, dann könnte man guten Gewissens auf unsere Grabstelen meißeln lassen: Sie haben gelebt." Endlich verstand ich, warum die Welt aufhörte sich zu drehen, wenn es um die Liebe ging. Warum sich so viele Menschen so sehr danach sehnten, dass sie alles dafür aufgegeben hätten, was sie besaßen. Warum es die Liebe war, die manchmal nur wenige Worte brauchte, um sich zu erklären, und manchmal auch tausend Worte nicht genug waren - ich blickte ihn nur an und sah die ganze Welt in ihm.

    Als ihre Finger über mein Haar, dann über meine Wange glitten, lächelte ich leicht und blinzelte jegliche Erinnerung an Feuchtigkeit in meinen Augen fort. Es war mir fast ein bisschen peinlich, dass ich auf Musik derartig ansprach, vielleicht auch das eine Hinterlassenschaft meiner Mutter, die sehr viel musischer begabt gewesen war als der Rest meiner Familie - sie hatte sich oft genug die Zeit mit Musik vertrieben, für die ich leider nicht wirklich ihr Talent besaß. Erfreuen konnte ich mich dennoch daran, wahrscheinlich zu sehr ...
    "Das Meer wie ein Mensch? Ein sehr philosophischer Gedanke, aber die Parallelen sind unbestreitbar. Es gibt genug Menschen, die mit einem Mal so aufgewühlt scheinen wie das Meer an Tagen des Sturms, und mit ihrem Zorn über einen kommen, als sei man ein hilfloser Fischer in einem viel zu kleinen Boot. Es verschlingt einen, dieses Meer, wenn man nicht darauf achtet, genau wie einige Menschen es vermögen - aber ich glaube, die stillen Menschen sind jene, vor denen man am vorsichtigsten sein muss, denn sie wissen sich zu beherrschen und ihre Gefühle zu bezähmen." Die Hand träge ausstreckend, ließ ich meine Finger sanft über ihre Schultern gleiten und zog sie dann wieder etwas zu mir heran, damit ich ihre Wärme fühlen konnte.


    "Überlege es Dir, Bridhe ... Du scheinst wirklich Talent zu besitzen, und ein solches verdient es, gefördert und offenbart zu werden. Natürlich hätte ich Deinen Gesang gerne für mich alleine, aber meinst Du nicht, es würde Dir gefallen, für Dein Können auch von anderen geschätzt zu werden?"
    Das war etwas, was ihr vielleicht ihr Dasein versüßen mochte - ich hatte ohnehin beschlossen, sie von einer Sklavin, die zu putzen und aufzuräumen hatte, zu einer Sklavin zu machen, die als Aufgaben eher meine Zerstreuung und die schönen Künste erhalten würde, es schien mir passender, und wenn die Götter ihr schon eine musikalische Begabung geschenkt hatten, dann musste diese auch gefördert werden, und das ganz sicher nicht mit einem Putzlappen. "Hier in Italia oder in meiner Heimat Hispania gibt es sehr viel Sonne, Bridhe, so viel sonne, dass es für mehr als ein Menschenleben leichthin reicht. Du wirst den italischen Sommer lieben, wenn Du Dich nach Wärme sehnst - aber vielleicht ist auch eine Sonne gemeint, die im Innersten scheinen muss, um die Welt zu erwärmen, mehr eine Eigenschaft denn ein Geschenk der Natur?"

    Wir passierten das Stadttor, wenngleich uns die Torwachen interessiert musterten, mehr als ein leichtes Kopfneigen bekamen sie nicht von mir, galt meine Aufmerksamkeit an diesem Tag doch ausschließlich meiner Begleiterin (und der Straße, aber das auch eher zu dem Zweck, dass meiner Begleiterin kein Unbill zustoßen möge).
    Mochten mir ihre Worte etwa andeuten, dass sie eine Wiederholung des Ausflugs in Betracht zog, um die anderen Punkte auf der Spaß-Liste abzuarbeiten? Ich glaubte es gar, und es ließ ein angenehm warmes Gefühl in meinem Inneren zurück. Wenn ich mir keine allzu großen Gedanken machen musste, wie meine Komplimente wirkten, wenn es nicht wichtig war, ob eine Frau auf die Worte, die ich sprach, auf die Dinge, die ich für sie tat, passend reagierte, war es leicht, ein wenig Spaß zu haben, aber dies hier war keineswegs nur Spaß alleine. Vielleicht war es ein zu perfektionistischer Anspruch, den ich hegte, aber das Beispiel zu vieler unglücklicher Ehen in meinem privaten Umfeld hatte mich vorsichtig gemacht. Nicht zuletzt die Ehe zwischen Gracchus und Antonia war mir ein warnendes Beispiel - wenngleich ich nicht dasselbe Problem erdulden musste wie mein Vetter.


    "Eben weil diese schönen und unbeschwerten Zeiten so selten sind, sollte man sie umso mehr genießen. Neben der Pflicht braucht der Mensch auch eine gewisse Form des Entspannens, und die Zuflucht zur hohen Kunst der Literatur alleine vermag mir nicht ausreichend zu sein, in staubigen officien verbringt man zuviel Lebenszeit. Die frische Luft ist es, nach der das Streben leicht fällt, und wenn ich um so angenehme Begleitung wie Dich weiß, hält mich wenig noch in geschlossenen Räumen. Die meisten geborenen Römer dürften dies als seltsam empfinden, aber ich bin nun einmal in Hispania geboren und aufgewachsen, und dort wird man nicht von Mauern gefangen und gehalten wie es in Rom geschieht," antwortete ich ihr lächelnd. Sie war niemand, der inmitten von Mauern gehörte, dafür schien mir ihr Geist zu frei, zu aufstrebend. Waren nicht die schönsten, buntesten Vögel unglücklich, wenn man sie in zu engen Käfigen hielt? Sie waren schön anzusehen, aber ihr Gesang verlor an Schönheit und Stärke.
    "Vögel sollten fliegen dürfen, denn das ist ihre Natur. Nur wenn sie sich gegen den Flug entscheiden, weil es ihr Wille ist, taugen sie für einen Käfig," dachte ich laut und hätte mir im gleichen Augenblick die Hand an die Stirn klatschen können ... ich musste wirklich zuerst denken und dann zu sprechen lernen.


    Als sie auf den Ritt zu sprechen kam, musste ich doch lachen. "Spätestens morgen, wenn du nicht mehr aufrecht gehen kannst und alle Sklaven Deines Haushalts ob Deiner schlechten Laune mich hoffen niemals wieder sehen zu müssen, wirst Du mich verfluchen für diese Idee - aber Du hast meinen ganzen Respekt, diese Tortur so gut und klaglos zu ertragen." Es tat gut zu lachen, ohne Hintergedanken hegen zu müssen, ohne sich davor schützen zu müssen - zumindest heute wollte ich nicht grübeln, mir einige Stunden des privaten Seins gönnen, das mir in den letzten Wochen so sehr gefehlt hatte. Es gab nur sehr wenige Menschen, bei denen ich die übliche Haltung der Vorsicht wenigstens zum Teil aufgeben konnte, und vielleicht gehörte sie zu jenen - noch wusste ich es nicht genau, aber hoffen durfte man ... und während ich mich für einige Momente lang in Gedanken verlor, ritten wir weiter, der Erholung entgegen ...

    Während Lapsus an Geschwindigkeit gewann - ich hielt ihn noch weitgehend zurück, denn Prisca sollte den Ritt ans Meer schließlich ohne allzu wundes Gesäß überleben und auf Dauer konnte es beileibe nicht bequem sein, quer auf dem breiten Nacken meines Hengstes zu sitzen - atmete ich tief ein. Die Luft außerhalb der ewigen Stadt war frisch und von einem würzigen Duft erfüllt, der mich hoffen ließ, dass wir heute das sich ankündigende gute Wetter behalten würden. Ich war zwar auch auf Regen eingerichtet, aber Sonnenschein war weit angenehmer, man konnte einfach mehr dabei unternehmen. Ein Bad im Meer bei Regen machte einfach deutlich weniger Spaß als bei warmem Wetter.
    Sie schmiegte sich an meinen Körper, als sei sie es so gewöhnt, und ich genoss es, mich für einen Augenblick an den Gedanken klammernd, es könnte immer so sein. Genauer gesagt wusste ich sehr wohl, dass dies eine absolute Ausnahme bilden würde, je höher ich in den Rängen des cursus honorum steigen würde, den wenigsten Ädilen, Prätoren oder Consuln blieb noch allzu viel Zeit für ihr privates Leben nebenher. Aber man konnte schließlich auch die Abendstunden, wenn nicht gerade irgendein Gastmahl wartete, das man der Pflicht wegen besuchen musste, angenehm miteinander verbringen.


    "Es ist doch erstaunlich, wie gut die Luft wird, wenn man Rom verlässt, nicht wahr? Einer meiner Ahnen beschwerte sich nicht umsonst beständig darüber, dass man in der urbs aeterna nicht atmen könne, und an manchen Tagen gebe ich ihm nur allzu gerne Recht," sagte ich, den Kopf zu Prisca wendend, und schmunzelte etwas. Eine frische Meeresbrise war einfach angenehmer als der ewige Gestanksumpf von Rom, auch wenn wir ihn in unseren hochherrschaftlichen Villen selten wirklich vernahmen.
    Die einzige Zeit des Jahres, in denen diese Gerüche auch von der Subura zu den Patriziern empor stiegen, waren zumeist die des Sommers, und solche verbrachte man gern anderswo auf dem Land oder am Meer. Was sie wohl bevorzugte, das Land oder das Meer? Ich hoffte, es sei das Meer, denn es war mir jedenfalls lieber, und nichts war unerfreulicher als ein Streit wegen solcher Grundsatzdinge inmitten einer Ehe. Auch wenn wir längst noch nicht bei dem Ehethema angelegt waren, angesichts ihrer Nähe, ihrer Wärme, die ich überdeutlich spüren konnte, drängte es sich mir immer wieder auf. Vielleicht war man als Mann für derlei Einflüsse deutlich anfälliger, ich konnte es nicht recht sagen. Ich lenkte Lapsus an die Seite der via, die wir gen Ostia benutzten, um den Reisenden auszuweichen, die heute ebenso wie wir unterwegs waren, und stellte fest, dass unsere Gefolgschaft bisher gut mitgehalten hatte.


    "Kennst Du diese Gegend hier bis Ostia schon? Ich weiss leider nur wenig über Dich, und ich hoffe, Du gewährst mir die Freundlichkeit, diese Wissenslücken heute ein wenig aufzufüllen," die Wange kurz an ihre legend, als sei es reiner Zufall und wegen der Bewegungen des Pferdes entstanden, ließ ich Lapsus beschleunigen, mir diesen Moment unerwarteter Intimität somit stehlend. Ja, daran würde ich mich gewöhnen können, nur zu gut gewöhnen. Es war auf eine seltsame Weise anders als mit allen Frauen zuvor, denn alle anderen Erlebnisse waren auf in gegenseitigem Einvernehmen genossenem Vergnügen ausgerichtet gewesen, ohne den Gedanken an eine ernsthafte Bindung - wenn man einmal von Orestillas Lüge absah - und jetzt sollte es ernst werden, so ernst, wie eine Ehe eben sein konnte.
    Was, wenn sie einfach nur gerne spielte? Hinter so mancher tugendsamer Fassade verbarg sich ärgeres, aber irgendwie wollte ich dies auch nicht von ihr glauben, dafür hatte sie sicherlich lange genug in der sicheren Obhut ihrer Familie gelebt. Und ich glaubte auch nicht, dass Corvinus nicht darauf geachtet hätte, dass ihr niemand zu nahe kam, der es nicht sollte. Mich wieder etwas zurücklehnend, blickte ich nach vorn. "Wir scheinen heute Glück mit dem Wetter zu haben!"