Zugegeben, es geschah nicht oft, dass mir in irgendeiner Weise ein Plebejer dumm kam, wenn er mitbekommen hatte, wer ich war. Die meisten hatten genügend Überlebensinstinkt, um sich einem gewesenen Magistraten nicht allzu ungebührlich gegenüber zu benehmen, zumindest nicht in der Öffentlichkeit - was sie in ihren Stuben zuhause über mich sagten, war mir herzlich egal, und ich würde es wohl auch nie zu hören bekommen. Aber dieser Händler schien zu jener Spezies Mensch zu gehören, die sich für nichts zu schade war und anscheinend auch noch nie die Konsequenzen seines Handelns zu spüren bekommen hatte. Es dauerte einige Momente, in denen ich mir selbst versichern musste, dass dieser Händler sich tatsächlich benommen hatte wie die sprichwörtliche Axt im Walde, und dass ich mir das nicht einfach nur einbildete - dann aber kochte die Wut umso ungehinderter in mir empor.
Die wenigsten Menschen konnten mich wirklich wütend machen, und selten genug gelang es jemandem, den ich überhaupt nicht kannte und mit dem ich bisher nie etwas zu tun gehabt hatte, aber dieser Händler schoss in meiner internen Sklala der Zuneigung gleich auf den allerletzten möglichen Platz. In meinen Augen musste ein Echo meines Empfindens gestanden haben, denn nach der letzten Tirade wirkte der Händler durchaus so, als wollte er seinen Worten noch etwas anfügen, aber er beließ es dabei, starrte mich nur herausfordernd an, als ahnte er, dass es mir in der Hand juckte, sie ihm in Form einer Faust in das hässliche Gesicht zu rammen.
"Das heißt, wenn eine junge Frau ein Schmuckstück in ihre Hand nimmt und es dann nicht an Ort und Stelle liegt, wenn sie sich abwendet, ist sie ohne Zweifel sofort die Schuldige?" hakte ich langsam nach, als hätte ich es mit einem Kind zu tun. "Na, die Brosche ist weg, ich bin doch nicht blind, und sie hat sie in der Hand gehabt, also muss sie ihr gefallen haben - hältst Du mich für blöd?" schnappte der Händler gleich zurück, was ihm einen Vermerk auf meiner inneren Liste für all jene einbrachte, die in den nächsten Tagen unangenehmen Besuch bekommen würden. "Zuerst einmal gehört es sich unter zivilisierten Menschen, dass man sich einander vorstellt, wenn man miteinander zu tun hat, und Deinen Namen habe ich bisher noch nicht vernommen," gab ich knapp zurück, denn in der Tat war er noch namenlos geblieben. "Marcus Rufilius Tarco!" spie er mir die Worte entgegen, also offensichtlich zwar ein Bürger, aber sicherlich aus keiner Familie, die sich irgendwann einmal einen Namen gemacht hätte, ich konnte mich an keinen Rufilius erinnern, der zu meiner Lebzeit irgendwie heraus geragt hätte.
"Nun, Rufilius Tarco, Dir ist also eine Brosche abhanden gekommen, und Du glaubst, diese junge Frau hätte sie. Jetzt schau sie Dir doch einmal an. Sie hält die Hände locker, hat keinen Beutel am Gürtel, wo sollte sie das Schmuckstück bei sich tragen? Ihre Sklaven haben, soweit ich das sehe, auch leere Hände, und hätte sie den Schmuck im Mund, würde man das sehen, sie könnte zumindest nicht mehr gut sprechen, aber danach sieht sie auch nicht aus," führte ich meine Gedanken aus, und während einige der Umstehenden die junge Frau, deren Namen ich noch immer nicht kannte, genauer musterten (der ein oder andere mochte sie gar versuchen mit seinem Blick zu entkleiden, aber manche Männer schreckten eben vor nichts zurück), regte sich zustimmendes Gemurmel in meiner Umgebung, die Argumentation schien den meisten also einzuleuchten. "Hast Du überhaupt schon Deine Sklaven ausgeschickt, um nachzusehen, ob das Schmuckstück nicht vielleicht bei anderen liegt, dass sie es vielleicht einfach falsch zurückgelegt hat? Oder es ist zu Boden gefallen - oder vielleicht hat es einfach jemand anders eingesteckt, der diese junge Frau mit dem Schmuckstück sah und hoffte, Du würdest Dich an ihr Aussehen weitaus mehr erinnern als an das eines anderen, und seien wir ehrlich, wer würde sie so leicht vergessen, wenn er sie gesehen hat?"
Noch mehr zustimmendes Gemurmel - und darauf kam es an. Solange der Händler noch glauben mochte, er hätte Unterstützung hinter sich, so lange würde er sich auch vor den anderen produzieren, aber die meisten Menschen, die zuerst laut wurden, verringerten ihre Lautstärke beträchtlich, wenn sie befürchten mussten, alleine dazustehen.
"Du willst doch nur davon ablenken, dass sie mich bestohlen hat," knurrte der Händler in meine Richtung, aber es klang nicht mehr ganz so überzeugt wie vorher, offensichtlich hatte ich dann doch zumindest ein wenig Zweifel gesät. "Sie soll ihre Hände herzeigen und ihre Sklaven auch, und die Beutel müssen wir ebenso ansehen, das wird diese Diebin schon entlarven!" Langsam aber sicher wurde es mir zuviel mit diesem effekthascherischen Kerl, und nach einem kurzen Blick zu der jungen Frau knirschte ich leise mit den Zähnen, ein Muskel in meinen Wangen spannte sich an, gut sichtbar ein Zeichen der wachsenden Verstimmung. "Du willst mir also vorwerfen, ich würde einen Diebstahl unterstützen, ist das wahr?" sagte ich mit scharfem Ton, und es blieb kein Zweifel daran, dass ich diese Anschuldigung ernst nahm, ernst genug, um meine Ehre verletzt zu sehen. Würde er wirklich dumm genug sein, einen ehemaligen Amtsträger noch weiter zu provozieren?