Camryn blieb sitzen, statt aufzustehen und demütig das Haupt zu neigen, wie es eigentlich üblich war von Sklave zu Herr. Aber sie war eigen. Und dies war nicht die einzige Sache, die sie nicht so handhabte wie andere Sklaven. Als der Flavier ins Atrium trat, sah sie auf und musterte ihn von Kopf bis Fuß. Sofort verglich sie ihn mit ihrem Herren und stellte dabei fest, dass der Flavier breitere Schultern hatte und etwas stämmiger war als Corvinus. Zudem besaß er recht markante Gesichtszüge, die Camryn leicht lächeln ließen. Ihre Aufgabe, als Geschenk herzuhalten, würde sie bei diesem Mann mit Freuden erfüllen. Sie hatte schon befürchtet, auf einen weißhaarigen, engstirnigen alten Bock zu treffen. Da hätte es einiges an Überwindung gekostet, aber bei diesem hier...
"Salve, Flavius Aquilius", grüßte sie ihn sitzend und senkte den Kopf etwas, hielt seinen Blick jedoch mit ihren flammenden grünen Augen gefangen.
"In der Tat, das habe ich. Sie scheint von nicht geringer Wichtigkeit zu sein. Mein Herr hielt mich an, sie nur dir persönlich zu übergeben und drohte mir Peitschenhiebe an, sollte das Siegel gebrochen sein. Ebenso hoffte er auf Rückantwort."
Sie lächelte verschmitzt und hielt ihm die Schriftrolle hin. Zum Bringen hätte sie schließlich aufstehen müssen.
Caius Flavius Aquilius
- persönlich -
Salve Caius!
Sicher wunderst du dich, aus welchem Grund ich dir einen Brief von Camryn überbringen lasse. Nun, dies hat einen ebenso einfachen wie hoffentlich willkommenen Grund: Sie ist dein bis zum morgigen Tag.
Unser Gespräch in der villa Aurelia hat mich über einiges nachdenken lassen. Ich bin letztendlich zu dem Schluss gekommen, dass es nicht gerade schicklich war, dir von den Künsten jener Frau vorzuschwärmen, die sich nun in deiner Nähe aufhält. Darum entschloss ich mich, dir eine gewisse Zeit mit ihr zum Geschenk zu machen. Sieh es als freundschaftliche Geste an, oder auch als Vertrauensbeweis. Du weißt, bei mir sind Geheimnisse jedweder Art gut aufgehoben, besonders, wenn ich sie teile.
Doch nun, lange Rede kurzer Sinn, nimm dir ein paar Stunden für Camryn und genieße die Zeit und ihre Künste, wie ich sie genieße.
Marcus Aurelius Corvinus