Rutger nickte langsam.
"Ja, noch haben wir etwas Zeit, das stimmt."
Einladend wies er auf eine hoch geschwungene Pinienwurzel neben sich in der Sonne.
"Setz dich doch, Flavia Arrecina, dann erzähle ich dir was mir widerfahren ist. Vielleicht verstehst du mich dann ein wenig...?
Wo soll ich beginnen... hmm, also ich war gerade unterwegs mit meinen Waffengefährten, um einen Vorposten bei Colonia auszuspähen - das ist eine eurer Städte in unserem Land - , es war eine sonniger Tag, ein bisschen so wie heute, aber nicht so heiß, als uns ein unvorsichtiger Römer in die Hände lief..."
Er stockte, sah Arrecina ein wenig seltsam an, und holte dann weiter aus.
"Aber du kennst ja meine Heimat gar nicht. Es ist dort alles viel grüner als hier, und satter, und kühler. Die Wälder reichen endlos weit, sie sind wunderschön und die Jagd ist gut. Wir Chatten haben uns dieses Land vor vielen Menschenaltern erobert. Die Sippe aus der ich stamme, die Hallvardungen, hat schon viele kühne Taten vollbracht. Schon lange, sehr lange kämpfen wir nun gegen eure stahlgepanzerten Legionen. Wieder und wieder versuchen sie uns alle zu vernichten, aber," - er lächelte stolz - "wir, wie schon unsere Ahnen, haben ihnen so manche Niederlage beigebracht!"
Rutgers Blick schweifte weit in die Ferne, und etwas Wehmut klang mit, als er weiter ins Erzählen geriet.
"Früher hatten wir einen Vertrag mit den Römern - also, ich meine mit früher, als ich noch ein Kind war. Mein Vater ist ein Drichten - er gebietet über viele Krieger - , und damals hatten wir noch eine Große Halle... Sie war sehr schön, und um eine große Esche herumgebaut. Aber dein Volk hat den Vertrag gebrochen, und uns heimtückisch angegriffen. Wir haben uns zur Wehr gesetzt, mussten aber weichen, und seitdem sind wir eigentlich ständig im Krieg..."
"Natürlich habe ich sobald ich wehrhaft wurde auch gegen eure Soldaten gekämpft, und gegen diese räudigen Hunde von Hermunduren," - er spuckte aus - "die ihnen den Speichel lecken."
Rutger ballte die Fäuste, so daß die Knöchel weiß hervortraten. Wenn er auch ein Feind der Römer war, so schien er die Hermunduren doch noch deutlich erbitterter zu hassen.
"Verräter allesamt! Erst im letzten Jahr hat einer von ihnen mit trügerischen Worten viele Stämme dazu gebracht, sich gegen die Besatzer zu erheben, und hat sie dann gnadenlos ans Messer geliefert! Es war natürlich klar, daß dieser Bastard von Modorok eine Marionette der Römer ist, aber einer meiner Brüder hat sich doch von seiner Schlangenzunge einlullen lassen, und ist ihm gefolgt, und gefallen. Die Pest über die Hermunduren, und die Pest über eure römische List!"
Er sah Arrecina dann plötzlich wieder ruhig direkt an.
"Ich erzähle dir das, damit du dir ein Bild machen kannst. Du musst verstehen, junge Flavierin, für meine Sippe ist seit Jahren Krieg. Die großen Schlachten sind selten, doch wir erschlagen immer wieder Besatzer und ihre Handlanger, überfallen die Vorposten, brennen ihre Wehrtürme ab oder schneiden ihnen den Nachschub ab. Und so leisten wir Widerstand, und hindern eure Legionen daran, unser Land noch weiter zu erobern."
Er lachte leise auf.
"Bei der Gelegenheit, ich meine, bei so einem Überfall auf die Nachschublinien, habe ich mir sogar schon mal selber eine Unfreie gefangen. Eine kleine Keltin. Man sieht also, Flavia Arrecina, Sklaven zu haben, schützt nicht davor, irgendwann vielleicht mal selber einer zu sein..."
Rutger ließ diese Worte in der Luft schweben, stand auf, ging zum Bach, und schöpfte sich mit der hohlen Hand einen Schluck Wasser. Er trank, kam zurück, und setzte sich wieder neben Arrecina.
"Aber magst du mir nicht auch ein bisschen von dir erzählen? Du kommst scheinbar auch nicht aus Rom. Lebst du bei deinen Eltern, oder bist du schon verheiratet?"
Fragend sah er sie an, und spielte wieder mit dem Pinienzapfen in seiner Hand.