Beiträge von Rutger Severus

    Rutger nickte langsam.
    "Ja, noch haben wir etwas Zeit, das stimmt."
    Einladend wies er auf eine hoch geschwungene Pinienwurzel neben sich in der Sonne.
    "Setz dich doch, Flavia Arrecina, dann erzähle ich dir was mir widerfahren ist. Vielleicht verstehst du mich dann ein wenig...?
    Wo soll ich beginnen... hmm, also ich war gerade unterwegs mit meinen Waffengefährten, um einen Vorposten bei Colonia auszuspähen - das ist eine eurer Städte in unserem Land - , es war eine sonniger Tag, ein bisschen so wie heute, aber nicht so heiß, als uns ein unvorsichtiger Römer in die Hände lief..."

    Er stockte, sah Arrecina ein wenig seltsam an, und holte dann weiter aus.


    "Aber du kennst ja meine Heimat gar nicht. Es ist dort alles viel grüner als hier, und satter, und kühler. Die Wälder reichen endlos weit, sie sind wunderschön und die Jagd ist gut. Wir Chatten haben uns dieses Land vor vielen Menschenaltern erobert. Die Sippe aus der ich stamme, die Hallvardungen, hat schon viele kühne Taten vollbracht. Schon lange, sehr lange kämpfen wir nun gegen eure stahlgepanzerten Legionen. Wieder und wieder versuchen sie uns alle zu vernichten, aber," - er lächelte stolz - "wir, wie schon unsere Ahnen, haben ihnen so manche Niederlage beigebracht!"
    Rutgers Blick schweifte weit in die Ferne, und etwas Wehmut klang mit, als er weiter ins Erzählen geriet.


    "Früher hatten wir einen Vertrag mit den Römern - also, ich meine mit früher, als ich noch ein Kind war. Mein Vater ist ein Drichten - er gebietet über viele Krieger - , und damals hatten wir noch eine Große Halle... Sie war sehr schön, und um eine große Esche herumgebaut. Aber dein Volk hat den Vertrag gebrochen, und uns heimtückisch angegriffen. Wir haben uns zur Wehr gesetzt, mussten aber weichen, und seitdem sind wir eigentlich ständig im Krieg..."
    "Natürlich habe ich sobald ich wehrhaft wurde auch gegen eure Soldaten gekämpft, und gegen diese räudigen Hunde von Hermunduren," - er spuckte aus - "die ihnen den Speichel lecken."


    Rutger ballte die Fäuste, so daß die Knöchel weiß hervortraten. Wenn er auch ein Feind der Römer war, so schien er die Hermunduren doch noch deutlich erbitterter zu hassen.
    "Verräter allesamt! Erst im letzten Jahr hat einer von ihnen mit trügerischen Worten viele Stämme dazu gebracht, sich gegen die Besatzer zu erheben, und hat sie dann gnadenlos ans Messer geliefert! Es war natürlich klar, daß dieser Bastard von Modorok eine Marionette der Römer ist, aber einer meiner Brüder hat sich doch von seiner Schlangenzunge einlullen lassen, und ist ihm gefolgt, und gefallen. Die Pest über die Hermunduren, und die Pest über eure römische List!"


    Er sah Arrecina dann plötzlich wieder ruhig direkt an.
    "Ich erzähle dir das, damit du dir ein Bild machen kannst. Du musst verstehen, junge Flavierin, für meine Sippe ist seit Jahren Krieg. Die großen Schlachten sind selten, doch wir erschlagen immer wieder Besatzer und ihre Handlanger, überfallen die Vorposten, brennen ihre Wehrtürme ab oder schneiden ihnen den Nachschub ab. Und so leisten wir Widerstand, und hindern eure Legionen daran, unser Land noch weiter zu erobern."
    Er lachte leise auf.
    "Bei der Gelegenheit, ich meine, bei so einem Überfall auf die Nachschublinien, habe ich mir sogar schon mal selber eine Unfreie gefangen. Eine kleine Keltin. Man sieht also, Flavia Arrecina, Sklaven zu haben, schützt nicht davor, irgendwann vielleicht mal selber einer zu sein..."


    Rutger ließ diese Worte in der Luft schweben, stand auf, ging zum Bach, und schöpfte sich mit der hohlen Hand einen Schluck Wasser. Er trank, kam zurück, und setzte sich wieder neben Arrecina.
    "Aber magst du mir nicht auch ein bisschen von dir erzählen? Du kommst scheinbar auch nicht aus Rom. Lebst du bei deinen Eltern, oder bist du schon verheiratet?"
    Fragend sah er sie an, und spielte wieder mit dem Pinienzapfen in seiner Hand.

    Als Nefertiri ihm den Tonkrug reichte, setzte Rutger ihn sofort gierig an die schrundigen Lippen und trank in tiefen Zügen das kühle Nass. Erst als er den Krug geleert hatte, ließ er ihn sinken, und lächelte die Ägypterin erleichtert an.
    "Danke."


    Später, als sie sich zur Küche begab, lehnte er müde den Kopf an den Rand des Beckens. Wo er nun so ganz allein war fiel die tapfere "es-sind-nur-Kratzer"-Miene von ihm ab, und leidend betrachtete er eine schwärende offene Stelle am seinem linken Unterarm. Sie hatte sich entzündet, pochte dumpf, und in der Tiefe zeigte sich etwas Eiter.
    Unglücklich legte Rutger den Arm auf dem Rand des Beckens ab, und schloss die Augen.
    Überrascht öffnete er sie wieder, als es dann plötzlich plätscherte, und sich das Wasser milchig färbte. Skepsis trat in sein Gesicht, aber er verbannte sie schnell, um der schönen Ägypterin nicht zu nahe zu treten. Aus eben demselben Grund nickte er bereitwillig, als sie die, für ihn viel zu süß riechende, Flüssigkeit aufschäumte.


    Rutger schloss wieder die Augen, als er ihre sanft massierenden Finger auf der Kopfhaut spürte, und atmete langsam tief ein und aus. Entspannt legte er den Kopf zurück, immer weiter, bis er fast an Nefertiri lehnte.
    "Das tut gut." sagte er leise.
    Ein wenig verwundert hörte er ihre verheissungsvollen Worte. Sie wollte alles für ihn tun, was sie konnte? Alles? Ein versonnenes Lächeln zog über sein Gesicht. Die Augen hielt er weiter geschlossen, aber vor seinem inneren Auge sah Rutger, wie er Nefertiris dunklen Leib in den Armen hielt, und wie sie sich ihm geschmeidig hingab. Ob das in ihrem "was-immer-sie-tun-konnte" mit inbegriffen war?


    Rasch öffnete Rutger die Augen, wandte sich halb zu Nefertiri hin, und sah mit einem wölfischen Lächeln auf den Lippen zu ihr auf. Dann reckte er sich ein wenig, ließ langsam eine Strähne ihres herrlichen schwarzen Haares durch die nassen Finger gleiten, und folgte mit der rauhen Hand zärtlich dem Schwung ihres Nackens. Sanft aber bestimmt zog er Nefertiri etwas zu sich hinab, um sie beim Wort zu nehmen, und ihr ungestüm einen hungrigen Kuss zu rauben.

    Zitat

    Original von Caius Flavius Aquilius
    "Rutger! Lass es gut sein und komm zurück!" rief ich ihm scharf zu, als der Dicke seine Unschuld zu beteuern versuchte...


    Böse starrte Rutger auf den wimmernden Barius hinunter. Dann wischte er sich verächtlich die Hände an der Tunika dieses erbärmlichen Römers sauber, und wandte sich ab.
    Mit finsterer Miene ging er auf Aquilius zu, nahm unterwegs grob einem Sklaven den Weinkrug aus der Hand, setzte ihn an und trank im Gehen. Achtlos warf er den Krug beiseite, wo er zerbrach, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, und trat mit fest zusammengepressten Lippen direkt auf seinen "Herrn" zu.
    Kalte Wut schwelte in seinen Augen als er ihn erbittert anfuhr:
    "Ich bin kein Hund, Flavier!"

    Rutger hatte schlechte Laune.
    Sein eigentlich eher sonniges Gemüt kam heute abend nicht gegen die vielen Widrigkeiten an, die er hier erdulden mußte. Zum einen hatte er Heimweh. Zum anderen hatte man ihn versklavt. (Das war allerdings nicht neues.) Dann hatte sein "Herr" darauf bestanden, daß er eine Tunika trug, die erstens viel zu bunt war, zweitens mal wieder viel zu kurz, und drittens durch die Farbe gleich verriet, daß er zu Flavius Aquilius gehörte.
    Lächerlich war das!
    Und dann die ganzen Gladiatoren hier, viele davon am Vorabend ihres Todes - das erinnerte Rutger daran, daß er auch allzu leicht hier hätte landen können - oder bei den Löwen - um bald in der Arena zu sterben, und außerdem daran, daß dieses Damoklesschwert noch immer über ihm hing.
    'Wäre vielleicht besser', dachte er grimmig. Selbst die Weiber der Kimbern und Teutonen hatten sich lieber selbst entleibt, als in römische Knechtschaft zu geraten.


    Und nun war er hier, umgeben von viel zu vielen Menschen, Lärm und penetranten Düften, auf einem Fest, das gegen jeden Anstand verstieß! Kalt sah Rutger auf die schamlos poussierenden Weiber und die geilen Männer. Das waren die Römer, die "Herren der Welt". Hier zeigten sie ihr wahres, häßliches Gesicht. Finster folgte Rutger Flavius Aquilius durch das Gedränge, und hielt nach Wein Ausschau.
    Diesen Kummer konnte man nur ertränken.
    Dabei fiel sein Blick auf Artoria Medeia. Die Gastgeberin der Vinalia Rustica war ihm bei dieser Gelegenheit als eine ehrwürdige Hohe Frau erschienen, und nun sah er sie, wie sie sich schamlos in aller Öffentlichkeit unter brünstigen Küssen räkelte. Abstoßend. Der ganze Zauber ihres Festes erschien ihm im Nachhinein als ein billiger Trug.
    Und der Flavier mußte auch noch zu ihr gehen. Abwehrend verschränkte Rutger die Arme vor der Brust, und stand stolz und verächtlich neben Aquilius, als der Medeia begrüßte...


    ...da kam plötzlich ein Geschoß durch die Luft gesaust! Aus den Augenwinkeln sah Rutger gerade noch wie es auf dem Kopf des Fußküssers zerbarst, da riß er als treuer Leibwächter schon geistesgegenwärtig Aquilius zur Seite, und rettete ihn heroisch vor den aufspritzenden Fruchtfleisch-Fetzen, und den kleinen Stückchen grüner Schale, die gerade als Schauer über die Umgebung niedergingen.
    Na warte! Rutger wirbelte herum und erblickte den Attentäter: einen dicken Römer, der schon das zweite Wurfgeschoß in der Hand wog. Der kam ihm gerade recht! Wutentbrannt ging er auf den Mann zu... Verderben im Blick!
    "Du Hundsfott!" knurrte Rutger, packte den verwirrten Mann grob vorne an der Tunika und schmetterte ihm wuchtig die geballte Faust auf die Nase!
    Und nochmal! Das tat gut.

    In rasendem Galopp ging es zwischen locker stehenden Pinien hindurch. Um Rutger und Arrecina herum wechselten blitzschnell Licht und Schatten, dann wurde es auf einmal blendend hell, als sie am Rande eines breiten Bachbettes herauskamen. Eine Herde Ziegen drängelte sich da gerade, um zu trinken - panisch sprangen sie in alle Richtungen auseinander, meckernd und bimmelnd. Phaidra galoppierte in das Wasser hinein, das ihr glücklicherweise nur bis zu den Fesseln reichte, und dann weiter im Bach. Hoch spritzte das Wasser, und die Tropfen funkelten hell in der Sonne. Der Ziegenhirte brüllte den beiden noch üble Flüche hinterher und fuchtelte mit seinem Knotenstock, aber da waren sie schon wieder weg.


    Spritzend und platschend galoppierte die Stute noch eine Weile im Bach entlang. Als sie dann langsamer wurde, und schließlich ruhig über den kiesigen Grund schritt, waren Arrecina und Rutger völlig durchnässt. Bei der Hitze war das aber eher erfrischend.
    Der Bach floß jetzt am Rande eines dichten Pinienwaldes. Es roch intensiv nach Harz. Auf der anderen Seite sah man die geschwungene Ebene und in der Ferne zeichneten sich verschleiert Bergzüge ab, als blau getönte Schattierungen vor dem Horizont.
    "Lass uns rasten."
    Rutger lenkte die Stute ans Ufer, sprang von ihrem Rücken und half Arrecina beim Absteigen. Dann ließ er Phaidra trinken, band sie an einen Baum wo auch etwas Gras wuchs, und setzte sich in die Sonne.
    Er lehnte sich an den Stamm einer Pinie, streckte gemütlich die Beine aus, und spielte müßig mit einem Pinienzapfen, während er Arrecina nachdenklich musterte. Rutger hatte jetzt eine Entscheidung zu treffen.

    Rutger folgte der schönen Ägypterin stumm, für den Moment gezähmt von ihrer Freundlichkeit und ihrem verführerischen Anblick. Die ganze Pracht, an der sie da vorbeikamen, schien ihn recht unberührt zu lassen, doch als sie in das balneum kamen, blieb er stehen und blinzelte erstaunt.
    Die klare kühle Schönheit des lichtdurchfluteten Raumes, und die spiegelglatte Oberfläche des Wassers, berührten ihn seltsam. Er ging zum Rand des Beckens, und sah hinab. Seine Schritte liessen ganz kleine Wellen entstehen, und als er das Mosaik auf dem Grunde des Beckens betrachtete, sah er, bläulich und leicht verzerrt, die Bilder von Delphinen und Najaden, die sich zwischen Seetang und Muscheln tummelten. Schön.
    In dem kleinen Nebenraum angekommen, kam dann die nächste Überraschung. Irritiert guckte er auf das Becken, in das er hinein steigen sollte. Er hatte eher mit einer Waschschüssel gerechnet, oder im Höchstfall einem Zuber. Erst das ganze Gerede, daß er nun Sklave sei, daß er jedwede Rechte, und auch den Anspruch geachtet zu werden, verloren habe - und nun behandelte man ihn wie einen Ehrengast? Was sollte das eigentlich?


    "Es sind nur Kratzer." erwiderte er reflexartig auf Nefertiris mitleidige Worte hin.
    Er fuhrt sich mit der Zunge über die ausgetrockneten Lippen, und hatte das unwürdige Bild vor Augen, wie er auf die Knie niederfiel und das Badewasser schlürfte.
    "Ne-fahr-thyrri, ich bin sehr durstig. Kannst du mir bitte etwas zu trinken geben?"
    Rutger zog sich sein zerschlissenes Hemd über den Kopf. Die gewalkte Wolle war starr von altem Blut, Dreck und Staub. Noch immer war er breitschultrig und sehnig, aber dabei sehr mager geworden. Als systematisches kreuzweises Muster hoben sich die roten Striemen auf seinem Rücken gegen die helle Haut ab.
    Rutger streifte gerade die zerfetzten Reste seiner Schuhe ab, das Hemd hielt er dabei in der Hand, als sich plötzlich etwas, das bis dahin darin verborgen gewesen war, löste. Mit metallischem Klirren landete es auf dem Boden und glitt da ein Stück entlang. Es war eine Bronzefibel in der Form eines auffliegenden Schwans, bedeckt mit kunstvollen Ornamenten, aber schon dunkel angelaufen. Rutger erschrak. Hastig bückte er sich und hob die Fibel wieder auf. Mit den Fingerspitzen strich er darüber, und schlug sie sorgfältig in die Stoffetzen ein. Stumm sah er Nefertiri an, erschien einen Moment lang halb wütend auf sie, halb hilflos. Dann zuckte er die Schultern und legte das Hemd mit der Fibel zur Seite.


    Unbefangen streifte er auch noch seine, ebenfalls zu Lumpen gewordenen, ledernen Hosen ab. Nackt trat er dann an den Rand des Beckens, stieg hinein und setzte sich, so daß das Wasser ihm bis zum Kinn ging. Seine Wunden begannen zu brennen, und er biß die Zähne aufeinander. Energisch rieb er sich das klebrige frische Blut von den Händen, wusch sich den ärgsten Dreck selber ab, und zuckte kurz zusammen, als sich eine größere Kruste am Hals löste. Etwas Blut sickerte da hervor, und verlor sich in dem schon dunkler gewordenen Wasser.
    Schließlich tauchte er ganz unter und spülte auch aus seinen Haaren den Staub heraus. Glatt hingen sie ihm in die Stirn, als er wieder auftauchte, und Nefertiri schief anlächelte.
    "Ich glaube, ich habe noch nie ein Bad nötiger gehabt. Hilfst du mir mal?"

    Gewandt schwang Rutger sich hinter Arrecina auf den Pferderücken, griff um sie herum und nahm die Zügel auf.
    "Immer der Nase nach!" Er zwinkerte der Flavierin zu.
    Als Phaidra bei dem zusätzlichen Gewicht mißmutig hin und her tänzelte umschlang sein starker Arm Arrecinas Taille, und hielt sie sicher bis die Stute sich wieder beruhigt hatte. Rutger roch selbst nach Pferd, dazu ein bisschen nach Rauch und nach Schweiß. Sein Atem streifte warm Arrecinas Nacken, als er fröhlich "Auf gehts!" rief, und Phaidra mit leichtem Schenkeldruck in einen lockeren Trab fallen lies.
    Die Bäume zogen an ihnen vorbei, und der Wind wehte ihnen um die Nase. Phaidra setzte elegant die Hufe, und ihr Rücken schwang sacht auf und nieder, als sie eifrig vorwärtsstrebte.


    Der Weg führte eine kleine Anhöhe hinauf, von da hatte man kurz Sicht auf die große Stadt Rom. Vom Dunst verschleiert lag sie da, zwischen die Hügel gebettet, und sah weiß und verheißungsvoll aus.
    Dann ging es wieder bergab und zwischen goldenen Felder hindurch. Kleine Eidechsen stoben von den Steinmäuerchen längs des Weges auf, als die Reiter vorbeitrabten. In der Ferne zeichnete sich eine Reihe von Schnittern ab. Gleichförmig schwangen sie ihre großen Sensen, während sie langsam vorwärtsgingen und das Korn niedermähten. Gebundene Garben standen aufrecht hinter ihnen auf dem Feld verteilt.


    Nach einiger Zeit wurde der Weg schmaler, war nur noch ein Pfad, und verlor sich dann in einer leicht ansteigenden Ebene, mit vergilbtem Gras und niedrigen Büschen bedeckt, und von vereinzelten Schirmpinien bewachsen. Blendend weiß leuchteten ausgebleichte Schneckenhäuser in der Sonne. Irgendwo bimmelten hell kleine Ziegenglocken. Plötzlich schwang sich ein großer brauner Raubvogel aus einem Gebüsch auf. Mit ausgebreiteten Schwingen segelte er hoch hinauf in den strahlend blauen Himmel.
    Phaidra scheute, und sprang abrupt zur Seite. Rutger hielt Arrecina, und zügelte das Pferd mit Mühe. Sie verfiel in einen unruhigen Schritt, wollte immer wieder schneller werden, und zog bockig an den Zügeln.

    Rutger lachte. Er fühlte sich lebendig und frei. Übermütig zog er Arrecina fest an sich, gab der Stute die Fersen, und lies die Zügel lang.
    "Lauf, Phaidra!"
    Ihre Muskeln spannten sich unter dem glänzenden Fell, als sie losschnellte wie der Pfeil von der Bogensehne. Ihre Hufe donnerten auf den Boden, der rasend schnell unter ihnen hinwegglitt. Schneckenhäuser zersprangen unter ihnen, und Steine spritzten auf. Die Pinien rauschten nur so vorbei. Arrecinas Haar wehte Rutger ins Gesicht, und der Wind pfiff ihnen um die Ohren. Phaidra wurde schneller und immer schneller, streckte sich, setzte in weiten federnden Sprüngen über die Ebene hinweg, und schien den Boden kaum noch zu berühren...

    "An der Mähne festhalten! Lehn dich jetzt auf ihren Rücken... "
    Rutger packte Arrecina an den Hüften und hievte sie ein Stückchen höher.
    "So, jetzt... - he, vorsichtig!" - Er wich einem ihrer Füße aus - "jetzt schwingst du das rechte Bein hoch, und dann, hopp, über ihren Hintern rüber, auf die andere Seite... na also!"
    Zum Glück war Phaidra mit Grasfressen beschäftigt. Sie stand still, drehte nur einmal den Kopf, begutachtete die beiden Menschen, und widmete sich wieder der Wiese.
    Rutger blickte schmunzelnd zu der Flavierin, die jetzt hoch zu Roß saß, auf.
    "Keine Angst, bleib einfach ruhig sitzen, Gewicht schön nach hinten... und das Atmen nicht vergessen."
    Er wartete bis Arrecina sich akklimatisiert hatte, und beobachtete dabei neugierig wie sie sich machte. Wußte man doch, daß die Römerinnen im Allgemeinen verzärtelte und wehleidige Dinger waren.
    Dann führte er die Stute eine Weile im Schritt den Weg entlang. Ihr Gang war weich, fast schwebend.
    Rutger korrigierte ein paarmal Arrecinas Sitz, und kommandierte in freundlichem Tonfall Dinge wie "Aufrecht sitzen." , "Schultern zurück." oder "Knie anlegen." , bevor er wiederum stehenblieb, um selbst auch aufzusteigen.

    Ajax der Thraker sah den drei Gestalten nach, wie sie die Straße entlang gingen, und immer kleiner wurden - die junge Herrin, das edle Pferd, und der wilde Germane. Der drehte sich gerade noch mal um, und warf einen Blick auf die Villa zurück. Ajax hatte ein ganz schlechtes Gefühl bei der Sache. Aber er hatte ja getan was er konnte. Falls was schiefging, traf ihn keine Schuld. Nur ob das die Herrschaften auch so sehen würden?
    Mit einem kalten Knoten im Magen sah er die drei um eine Ecke biegen und verschwinden.


    - Fortsetzung folgt -

    Pinien und Olivenbäume säumten den kleinen Weg, der sich durch sanft geschwungene Hügel zog. Ein feiner Dunstschleier lag über der spätsommerlichen Landschaft. Es ging schon auf Mittag zu. Laut erklang das Lied der Zikaden. Ein leichter Wind machte die Hitze erträglich und brachte einen würzigen Kräuterduft mit sich.




    Rutger ging mit der Stute am Zügel neben Arrecina her, sog tief die warme Luft ein, und lies den Blick über diese liebliche Landschaft schweifen. Sie hatten eine ganze Weile gebraucht, um von der Villa Flavia aus durch die Stadt bis zur Porta Quirinalis zu finden. Rom war ein widerlicher Moloch, fand Rutger. Stinkend, lärmend, voller Römer.
    Sie hatten dann die große Straße hinter sich gelassen, und waren auf diesen kleine Weg eingebogen. Phaidra schien sich auch ihres Lebens zu freuen. Ungeduldig schritt sie aus, streckte die Nase in den Wind und wieherte dann schmetternd.
    Am Wegesrand lies Rutger die Stute haltmachen. Sogleich begann sie, das trockene Gras zu rupfen.
    "So, Flavia Arrecina, du kannst aufsitzen."
    Rutger zeigte ihr, wie sie sich hinstellen sollte.
    "Komm, greif in die Mähne, ich nehme dein Bein, gebe dir Schwung, und schon sitzt du oben."

    Rutger war hingerissen. Wie charmant sie seinen Namen betonte. Wie anmutig sie den Kopf neigte. Und dieses warme Lächeln auf den weichen Lippen - so herzlich - da konnte nichts Falsches daran sein. Seine finstere Miene schmolz dahin. Fasziniert betrachtete er den samtigen Schimmer ihrer dunklen Haut am Ansatz der Schulter, und das Aufblitzen der Glasperlen im schwarzen Haar, als ein Sonnenstrahl darauf fiel.
    Er bekam Lust, in dieses Haar heinzugreifen, und darin zu wühlen, er wollte ihre Lippen schmecken, und diese kleine Grube da, direkt über ihrem Schlüsselbein, wollte er mit der Zunge erforschen.
    Als ihm bewußt wurde, wie hungrig er sie anstarrte, rief er sich zur Ordnung.
    "Ja, ich folge dir gern."
    Einen nachdenklichen Blick warf er noch über die Schulter auf Aquilius, und einen zufriedenen auf den verhüllten Leichnam. So würde es den anderen auch ergehen. Später.
    Jetzt folgte er erst einmal Ne-fahr-thyrri, der exotischen Schönheit, die ihn in ihren Bann geschlagen hatte.

    Die junge Flavierin schien ungeheuer Spaß dabei zu haben, den Wächter einzuschüchtern - sie blühte förmlich auf. Ruger hatte auch Spaß, schließlich machte ihm gerade die Tochter seines übelsten Feindes den Weg frei. Fröhlich erwiderte er ihr verschwörerisches Lächeln, und tat den ersten Schritt: aus dem Hof auf die Straße.


    "Junge Herrin, wenn du ausreiten willst, dann nimm am besten die Porta Quirinalis." antwortete Ajax. Gestenreich beschrieb er ihr den Weg, den er gut kannte - er führte dort immer die Hunde der Flavier aus.
    "Also, du gehst erst mal hier die Straße lang, immer bergab, und hinter dem kleinen Park, an der Erosstatue, biegst du links ab. Da kommst du dann auf die Via Nomentana, du hältst dich bei der Garküche rechts, also am Quirinustempel vorbei, immer geradeaus, bis zum Tempel deiner Gens, und dann siehst du schon das Stadttor. Da sind immer viele Taschendiebe, sei vorsichtig. Und nach dem Tor gehts über die Brücke, und dann bist du schon im Grünen."
    Er senkte wieder den Kopf. "Herrin."

    "Sind wir das nicht alle in unserem Herzen?" Verwirrt blinzelte der Thraker. Wollte sie eine Antwort darauf? Er hatte sich über diese Frage selbst schon Gedanken gemacht - in den langen Stunden seiner Wache, wie wir uns denken können - , und gerade wollte er ansetzen, um der jungen Herrin seine Sicht der Dinge darzulegen, als Arrecina dann Klartext redete.
    Ajax war kein feiger Mann. Früher, bevor er zu den Flaviern kam, war er Raubtierwärter im Circus gewesen. Er hatte Löwen, Tigern, Krokodilen (und einmal sogar einem Nashorn) Auge in Auge gegenüber gestanden. Und er hatte sie gebändigt. So erwiderte er auch Arrecinas bedrohlichen Blick ruhig, fest, und ohne sich eine Schwäche anmerken zu lassen, denn sobald sie eine Schwäche witterten, fielen die Bestien über einen her.
    Doch dann sprach sie die magischen Worte aus:
    "Ich kann natürlich auch meinen Onkel Felix holen".
    Da schlug Ajax die Augen nieder, und seine Schultern sackten tiefer. Resigniert knurrte er:
    "Ja Herrin. Wie du wünscht, Herrin."
    Er zog den schweren Riegel zurück und trat zu Seite. Die Torflügel schwangen weit auf.

    "Ja Herrin." knurrte Ajax, und griff nach dem Riegel. Dann stutzte er, kratzte sich an seinem Stiernacken, und sah Arrecina fragend an.
    "Du, Herrin, der Germane soll aber nicht raus. Der ist noch wild."
    Rutger hielt ruhig das Pferd am Zügel, und trug seine schönste Unschuldsmiene zu Schau. Er? Wild? Jeder der ihn jetzt ansah mußte erkennen, daß das völliger Quatsch war! Er war die Zivilisation in Person.
    "Du mußt wen anders nehmen, Herrin. Brutus vielleicht? Soll ich ihn mal rufen?" schlug Ajax vor, und kratzte sich wieder unbehaglich.
    Es war immer heikel, wenn ein Flavier nicht bekam was er wollte,und Ajax wünschte sich, die junge Herrin wäre eine Stunde später aufgekreuzt. Dann hätte seine Ablösung, Diomedes, sich damit herumschlagen müssen - dem hätte er das auch gegönnt -, während er selber ein Mittagsschläfchen halten würde, oder noch ein wenig an der Altarszene feilte.
    Der große Thraker richtete die Augen auf den Boden. Er hatte gerade das seltsame, unwirkliche, Gefühl, selbst die Figur in einer Geschichte zu sein. Er hoffte, daß diese 'Szene' hier glimpflich für ihn ausgehen würde.

    Rutger nickte bei Arrecinas Worten. Ja, von ihrem Vater wollte er sich jetzt auch nicht erwischen lassen.
    Aber er haderte mit sich: Er war doch ein Heuchler! Konnte es sein, daß die verlogene Art der Römer schon auf ihn abgefärbt hatte? Oder war es doch eher eine Kriegslist...
    Er folgte Arrecina, Phaidra mit sich führend, quer über den Hof, dann um eine Hausecke herum und auf das Hoftor zu.

    Gelangweilt, aber durchaus pflichtbewußt, versah Ajax der Thraker seinen Dienst: das Hoftor bewachen. Der bullige Sklave stand schon seit Stunden stumm, groß, und abschreckend davor. Zweimal hatte er heute schon mit seinem massiven Stab verdächtige Herumtreiber verscheucht, und einem auch ordentlich das Fell gegerbt. So war es ihm lieber, als wenn gar nichts los war. Am allerliebsten war es ihm aber, wenn es richtig zu Sache ging, und sein caestus zum Einsatz kam, wenn Knochen brachen und Blut spritzte.


    Gerade hatte er das Tor wieder verriegelt, und war in den Schatten der Mauer getreten. Dort flocht er sich seinen drahtigen schwarzen Bart neu, und dachte dabei über Gloria nach. Gloria, das war eine verführerische Amazone, und er war recht stolz auf sie - er hatte sie sich nämlich selbst ausgedacht! Sie war die Hauptperson in einer Geschichte, die der zähe Kämpe in den vielen langen Stunden seiner Wache ersonnen hatte. Sich solche versponnenen Erzählungen aus den Fingern zu saugen, das war schon seit Jahren Ajax' geheime Leidenschaft. Aber natürlich behielt er die Geschichten für sich. Keine Menschenseele wußte davon. Er wäre ja zum Gespött der ganzen Villa geworden. Nein, hier gab man sich besser keine Blöße.


    Im Moment stand ihm eine Szene vor Augen, in der Gloria in einer knappen Lederrüstung an den Altar eines fiesen ägyptischen Priesters gefesselt war.... da riss ihn Hufgeklapper und das Geräusch von sich nähernden Schritten in die Realität zurück.
    Sein finsteres bärtiges Gesicht zeigte keine Spur von diesem zarten Innenleben, als er sich zu Arrecina und Rutger wandte.
    "Junge Herrin." knurrte Ajax, und senkte das zottige schwarze Haupt ein wenig vor Arrecina.

    "Du meinst wir sollen zusammen reiten? Nun ja... ich denke deine Leute könnten das... unschicklich finden." zögerte Rutger scheinbar.
    "Ich kann sie auch am Zügel führen, und dir erst mal ein paar Grundlagen zeigen, Sitz, Haltung und all das. Mal sehen wie ihr miteinander zurechtkommt. Später kannst du vielleicht ein paar Runden alleine reiten."
    Rutger beschäftigte sich mit dem Lederzeug, sah dabei ein wenig starr auf seine Hände, und zog einen Gurt fest an, während er unschuldig hinzufügte:
    "Oder wir steigen zusammen auf, wo es keinen stört. Hier im Hof ist es sowieso arg eng... am besten wäre, wir gehen vor die Stadt. Ein abgeerntetes Feld, oder eine Wiese, finden wir bestimmt."
    Er lächelte kurz.
    "Weicher Grund. Anfangs fällt man schon mal runter."
    Mit einem Ruck löste Rutger die Schlaufe, mit der das Pferd angebunden war.
    "Wollen wir?" fragte er fröhlich. Und schickte stumm ein inbrünstiges Stoßgebet zu allen Asen und Wanen: wenn ihm jetzt nur nicht der Wächter am Hoftor einen Strich durch die Rechnung machte!

    Nach dem Opfer war Rutger dann wieder zu seinem Platz am Brunnen zurückgekehrt. Gerade behielt er angespannt Flavius Aristides im Auge, der gefährlich nahe stand. Rutger wollte auf keinen Fall jetzt 'enttarnt' werden, wo es endlich etwas zu essen geben sollte. Aber der Patrizier schien nur Augen für eine der römischen Damen zu haben.
    Rutger bemerkte den Blick der Gastgeberin wohl, fühlte sich geschmeichelt, und beschloß, sie später unbedingt noch nach der Geschichte von Othy-steuz (oder so) zu fragen... Es war doch ganz klar, daß er, ein gestählter Krieger aus dem Norden, ihr mehr zusagte, als all diese herausgeputzten und verweichlichten Römer - keine Frage!
    Rutger sonnte sich in diesem Bewußtsein, und wunderte sich gar nicht, als plötzlich die blondhaarige Schönheit vor ihm stand... in ihrer schlichte Tunika erschien sie ihm doch weitaus ansprechender als jede noch so geschmückte Römerin.
    Er lächelte versonnen. Sicher wollte sie seine Bekanntschaft machen... - hmm, nein, sie wollte leider nur, daß er sich woanders hinsetzte... - aber vielleicht konnte man das ja noch ändern. Folgsam stand er auf und fragte, unwillkürlich in seine Muttersprache verfallend:
    "Woher kommst du? Bist du vielleicht Suebin?"
    Und wieder auf Latein, ohne jede Umschweife:
    "Magst du dich beim Mahl zu mir gesellen?"
    Er fasste sacht ihren Ellbogen, um sie zu einer Kline zu geleiten, wo sie Platz nehmen konnte.Dann setzte sich selbst, und guckte höchst irritiert auf den Sklaven hinunter, der da plötzlich mit einer Schüssel kniete und ihm an die Füße fasste. Sehr seltsam. Er zuckte die Schultern, und begann hungrig, sich durch die Vorspeisen zu kosten.

    Rutger zuckte mit den Schultern.
    "Wenn du willst, kann ich dir schon etwas beibringen, sicherlich."
    Er nickte mit gespieltem Gleichmut.
    "Ich bin Kriegsgefangener. Wir ich herkam, das ist eine längere Geschichte. Jetzt zeige dir erst mal wie du sattelst und aufzäumst, so kannst du dich gleich mit ihr vertraut machen - und auch wenn du normalerweise jemanden hast, der das für dich erledigt, ist es gut es notfalls selbst zu können. Moment, bin gleich wieder da."
    Er verschwand im Stall und kehrte kurz darauf mit einem kunstvoll beschlagenen Sattel aus schwarzem Leder zurück, dem passendem Zaumzeug, einer dunklen Satteldecke und einem Apfel. Den drückte er Arrecina in die Hand.
    "Hier, zum bestechen." Phaidra schnoberte auch gleich danach.
    Rutger sattelte die Stute und legte ihr das Zaumzeug an, dabei zeigte und erklärte er Arrecina jeden Handgriff genau, stutzte allerdings selber auch mal bei einem Riemen, dessen Sinn ihm schleierhaft war. Kompliziert, dieses römische Modell.
    "So, das wichtigste ist, daß nichts scheuert." Unwillkürlich blickte er auf seine Handgelenke, wo die heilenden oder frisch verheilten Stellen noch immer rötlich hervorstachen.
    "Ähm, ja. Und daß es hält, natürlich. Versuch es doch mal alleine. Oder willst du gleich aufsitzen?"

    "Rutger - Rutger Thidriksohn von den Hallvardungen - ist mein Name." , sagte Rutger etwas abwesend, weil er gerade versuchte, die Stute zum Hochheben eines Beines zu bewegen. Sie wollte aber nicht, peitschte wild mit dem Schweif, legte die Ohren an, und keilte gegen ihn aus, so daß er schnell beiseite springen musste.
    "Ruhig, Frowe!" Rutger trat wieder heran, und strich ihr beruhigend über die Seite. "Ruhig."
    Ob das Tier seine schwelende Wut spürte? Oder war es dieses ungute Mädchen, das sie so nervös machte?
    Rutger atmete selber tief durch. "Ruhig." Und langsam regte die Stute sich tatsächlich wieder ab, sie schnaubte und die Ohren wanderten wieder neugierig nach vorne.
    Rutger klopfte ihr auf den Hals und hockte sich hin, um zuletzt auch noch ihre Hufe mit dem Öl einzustreichen.
    "Was meintest du? Ach so, ja, ich bin ein guter Reiter." antwortete er selbstsicher.
    Und wie schön wäre es, jetzt auf dem Rücken eines Pferdes zu sitzen, und im gestreckten Galopp nach Norden zu preschen....

    Rutger sah zu Arrecina hoch.
    "Und du? Soll ich dir die Schöne mal satteln? Oder ein ruhigeres Pferd?"