Beiträge von Rutger Severus

    Gravitätisch stolzierte Syagrius in das Arbeitszimmer. Der Germane folgte ihm widerwillig. Das Klirren seiner Ketten hallte laut von den mamornen Wänden wider.
    Sich vielfach tief verbeugend trat der Sklavenhändler auf Aquilius zu.


    Zitat

    Original von Marcus Flavius Aristides
    Der Mann war eher von Zwergengestalt. Sein Gesicht war rund wie der Vollmond und eine lange, spitze Nase zierte den Apfelkopf. Dabei zeigte die obere Rundung kein Härchen, nur eine etwas fettige, schmierige Schicht, die von seltenem Waschen zeugte. Auch seine Kleidung hätte durchaus auf dem Boden alleine stehen können, so sehr strotzte sie von Dreck und Körperfett.


    Treuherzig, mit einem untertänigen Lächeln, sah er zu Aquilius auf. Seine Nase krauste sich und zuckte ein bisschen.
    "Salve edler Herr, Salve! Gestatte dass ich mich vorstelle - ich bin Syagrius, Kompagnon im Sklaven- und Gladiatoren-Großhandel des ehrenwerten Lucianus, des 'Keltenhändlers', der Dir sicherlich ein Begriff ist..."
    Ein salbungsvoller Unterton trat in seine näselnde Stimme.
    "Zuerst lass mich Dir sagen, dass es mir eine große, überaus große Ehre ist, den edlen Flaviern zu Diensten sein zu dürfen!" Die trüben Augen richteten sich mit einem Ausdruck tiefer Ergriffenheit auf Aqulilius. Im Raum verbreitete sich langsam ein übler Dunst: in eine säuerlich-schweißige Grundnote mischte sich ein Hauch von ranzigem Bratfett mit einer Nuance von billigem Rosenwasser.


    "Werter Herr, ich überbringe Dir hier den Sklaven, den Dein Verwandter Dir schickt, pünktlich und in allerbestem Zustand, obwohl unsere Reise, wenn ich das anmerken darf, durch allerlei widrige Umstände sehr erschwert wurde, mal hatten wir Gluthitze, mal die schauerlichsten Unwetter, Überflutungen, Erdrutsche, Schneestürme, marodierende Banditen..."
    Bei den letzten Worten ballte er die rundlichen Hände ergrimmt, dann überzog mit einem mal ein strahlendes Lächeln seine Gaunervisage, und in einer Geste tiefer Rührung presste er die Fäuste auf die Brust.
    "Nichtsdestotrotz! - Syagrius steht zu seinem Wort! Hier stehe ich nun, und bin stolz, überaus stolz, Dir trotz aller Hindernisse diesen wackeren Germanen hier zu übergeben, wahrlich ein Prachtexemplar, ein wahrer Achilles!"
    "Denk an die Löwen und benimm dich!" raunte er dem "Achilles" leise aber unheilschwanger zu. Und lauter: "Zeig dich!" .

    Hocherhobenen Hauptes trat der Germane vor, ein großer und gestählter Mann, in dessen Bewegungen auch jetzt, in Ketten, eine kraftvolle Gewandtheit lag, wenn er auch sehr erschöpft schien, und man unter seinem zerfetzten Hemd die Rippen einzeln zählen konnte. Teils frisch blutig, teils verschorft war die Haut um die Eisenbänder an seinen Hand- und Fußgelenken und am Hals, sowie die Striemen auf dem Rücken.
    Aus schmalen graugrünen Augen musterte er den Flavier feindselig. Seine zusammengepressten Lippen waren trocken und schrundig, und auf Nase und Wangen schälte sich gerade ein ordentlicher Sonnenbrand ab.


    Ölig lächelnd fuhr Syagrius derweil fort:
    "Vierhundert Sersterzen, so bin ich mit dem edlen Herrn Flavius Aristides verblieben, das ist der Preis für den Transport - natürlich kam ich ihm da entgegen, aufgrund der enormen Ehre für Eure Gens tätig sein zu dürfen, jawohl - jedenfalls hat er schon hundert angezahlt, verbleiben noch dreihundert, und so es Dir beliebt, hochedler Herr, die Summe huldvoll zu begleichen, ist er Dein.
    Der Sklave, meine ich."

    Und Syagrius gönnte sich einen tiefen, leicht pfeifenden Atemzug.

    "Sehr schön, sehr schön!" Syagrius strahlte.
    "Ich bin dir sehr verbunden, guter Mann."
    "Rühr dich nicht von der Stelle, Finn." Der nickte stumm.
    "Und du komm mit, nichtsnutziger Bastard! - hähä, will sagen wackerer Sklave!"
    Der Germane betrachtete gerade ganz gebannt eine stattliche Smaragdeidechse, die sich träge auf einem Mamorrelief neben der Porta sonnte. Ihre winzigen Schuppen schimmerten mattgrün. Soeben hob sie den kleinen Drachenkopf und zeigte ihre hellblaue Kehle. Der Sklave beugte sich vorsichtig vor... - und wurde durch einen heftigen Ruck an dem Eisenkragen um seinen Hals zurückgerissen.
    "Sofort, du Hund!" Syagrius lies die Peitsche in seine Kniekehlen klatschen.
    "Hinein sag ich!"
    Der Germane stolperte nach vorne, über die Schwelle, und eilig wuselte der kleine Sklavenhändler hinterher.
    Seine verschlagene Äuglein funkelten umso gieriger, als er der Pracht im Inneren der Villa ansichtig wurde, und seine Hände zuckten immer mal wieder wie von selbst. Nach einem bedauernden Blick über die Schulter auf Sciurus hielt er sich jedoch tadellos unter Kontrolle.


    ....


    Syagrius' hünenhafter Handlanger verschränkte die gewaltigen Arme vor der Brust und wartete wie befohlen. Die Sonne brannte auf ihn herunter. Er nahm den Weinschlauch, doch der war schon leer. Finn stand noch eine Weile mißmutig vor der Porta der Flavier herum, und trottete dann davon, um schon mal in den "Lüsternen Faun" vorzugehen. Dort lies es sich wesentlich bequemer warten. Finn wußte nicht, daß der kleine Sklavenhändler zu diesem Zeitpunkt schon sein erbärmliches Leben auf dem Fußboden von Flavius Aquilius' Arbeitszimmer ausgehaucht hatte. Es hätte ihn aber auch nicht sonderlich interessiert.


    edit: Finns Abgang hinzugefügt

    "Hähä..." Triumphierend auf den Fußspitzen wippend drehte Syagrius sich zu Finn herum.
    "Das läuft ja wie am Schnürchen. Wie ich immer zu sagen pflege: der erste Eindruck ist der wichtigste. Ein gepflegtes Auftreten, wohlgesetzte Worte, das öffnet einem Tür und Tor."
    Versonnen bohrte er mit dem Zeigefinger im Ohr, hob ihn dann belehrend -
    "Nimm dir daran mal ein Beispiel, Finn!".
    Wieder suchte er sein Tüchlein hervor und fuhr sich ächzend über die Stirn.
    "Oh diese vermaledeite Hitze, die bringt mich noch um! Sobald ich das Geld habe, gehts erst mal ab in den Lüsternen Faun! Aber jetzt gib mir doch mal den Weinschlauch rüber."
    Finn reichte ihm einen haarigen Beutel. Sogleich setzte Syagrius ihn an die Lippen, legte den Kopf in den Nacken und schlürfte so gierig, dass ihm rötliche Rinnsale über das Kinn liefen und weiter über den faltigen Hals, wo der Kehlkopf beim Schlucken beständig auf und ab hüpfte.
    Der Blick des Germanen heftete sich auf Syagrius´ Kehle. Ein wölfischer Ausdruck lag darin.
    "Aaah!" seufzte der kleine Sklavenhändler genießerisch, rülpste herzhaft, und lehnte sich lässig an den Türrahmen.
    "Was für eine Wohltat!"

    Syagrius schniefte gekränkt.
    "Ich bin ein ehrlicher Händler! Hier hat alles seine Richtigkeit! Nun gut, sieh es dir ruhig an."
    Und schwungvoll reichte er Sciurus den ramponierten Brief - ein Brief, auf dem wirklich ein hübsches rotes Flaviersiegel prangte - ein Siegel, das Syagrius mit Harz wieder festgeklebt hatte, nachdem er sich den Brief zu Gemüte geführt hatte - mit Harz, das just in diesem Moment der Beanspruchung nicht mehr standhielt.
    Und so entrollte sich das fleckige Pergament in Sciurus Händen mit einem leisen Rascheln.


    Syagrius hustete verlegen und machte einen vorsichtigen Schritt zurück.
    "Tja, öh, das hat die Witterung wohl nicht vertragen, wie gesagt, Schneestürme, feuchte Nässe, schlimmer Frost, da kann das schon mal passieren..."
    Seine lange Nase zuckte nervös, aber die Gier in den kleinen zwinkernden Augen war stärker.
    "Also, wie du siehst, ist alles ganz korrekt. Zum Finanziellen: für die Überführung des Sklaven sind vierhundert Sesterzen vereinbart, hundert hat der edle Herr Flavius Aristides schon angezahlt, bliebe noch die Kleinigkeit von dreihundert Sesterzen zu begleichen..."


    Marcus Flavius Aristides´ ungelenke Handschrift lag im hellen Tageslicht schonungslos offen:

    Caius Flavius Aquilius
    Villa Flavia
    Roma
    Italia


    Salve Du alter Schwerenöter,


    anscheinend zieht Rom, die große Hure, doch noch alle einsamen Flavier an. Athen, ja Athen, war im Vergleich zu diesem elenden germanischen Lande doch den elysischen Gefällen gleich zu setzen, auch wenn die Griechen fast nur öde und langweilige Frauen aufzubieten haben. Du und Gracchus in Roma? Ob das eine gute Mischung ist? Ich kann mir schon vorstellen, daß ihr der Schrecken aller Mütter seid, die um die Unschuld ihrer Söhne bangen. Ja, Furianus habe ich auch kurz kennen gelernt. Ich glaube, verheiraten wollte er planen er plant schon eine Heirat für mich zu arrangieren. Hoffentlich nicht mit einer durchgeknallten Patrizierin. Es könnte arg unangenehm werden, wenn ich den ganzen Plänen einen Dämpfer aufsetzen müsste. Sagt man das so? Nun ja, auf jeden Fall würde meine Mutter sich diese Planung bestimmt nicht aus der Hand nehmen lassen. Aber wieso ist er der Hausherr? Ist Felix etwa immer noch nicht von seinem Dohmi Domizil zurückgekehrt?


    Nadia? Du verwirrst mich. Eine Nadia kenne ich nicht, aber wenn Du dieses süße kleine Ding meinst, was Furianus gehört, dann vermag ich Dir nur weniges zu berichten. Ich hörte einen Schrei, kam dazu als die Kleine blutend und verletzt auf dem saftigen Grün unseres Gartens lag. Als ich ihr aufhelfen wollte, wurde ich von ihrem Besitzer, Furianus, wahrlich angefahren. Er dachte wohl, daß ich die Kleine angegriffen hatte. Lächerlich, nicht wahr? Als ob ich es nötig hätte, einer Frau Gewalt anzutun. Schließlich gibt es andere Wege, und wenn es notfalls Geld ist. Aber ich muss schon sagen, daß ich Dich um Deine kleine Nefertiri beneide, besonders um ihr süßes, dunkles und wohlgerundetes Gesäß. Aber nimm die Worte der Sklavin mal nicht so ernst. Gerettet habe ich sie wohl kaum, aber Du weißt ja wie sehr Frauen zum Übertreiben neigen.


    Aber was soll das heißen? Du bist wirklich Priester geworden? Was hat Dich denn dazu bewogen? Schließlich ist das auch mit Arbeit verbunden und ich hörte, daß manche der Zeremonien im Morgengrauen abgehalten werden. Aber wenn Du schon mal so dicht an der Quelle sitzt, Caius, dann schick doch mal ein paar Stoßgebete für deinen alten Vetter in Richtung unseres Kriegsgottes. Ich kann das hier in Germania auch immer wieder gebrauchen.


    Ja, das ist auch ein Grund, warum ich Dir diesen Brief hier schreibe. Du weißt ja, wie sehr ich es haße, selber die Feder in die Hand zu nehmen. Und mein alter Knabe, Hannibal, ist immer noch nicht in Germania angekommen. Nun, mir ist neulich ein Malöhr ein Mißgeschick passiert. Ich ritt da so fröhlich aus, als plötzlich einige Germanen, ja es gibt sie in diesen Landen immer noch, mich angriffen. Dummerweise waren sie mir in der Überzahl und es war wohl nur Fortuna zu verdanken, daß sie mich nicht gleich töteten. Arg geschunden hielten sie mich einige Zeit in ihrem Lager gefangen. Doch mir gelang, erneut mit Fortunas und mit Mars Hilfe, die Flucht. Dabei nahm ich jenen Germanen gefangen, der mich am ärgsten zugerichtet hatte. Aber zu meiner Verteidigung, ich war ungerüstet und fast ohne Waffen kalt erwischt worden.


    Lange habe ich gehadert, also genau gesagt ein bis zwei Stunden, was ich denn mit dem Germanen machen sollte. Ihn aufknüpfen, kreuzigen, den Löwen zum Fraß vorwerfen? Alles ziemlich langweilig. Außerdem wäre die Strafe nicht wirklich lange gewesen und die Wochen meines Wundfiebers nicht angemessen. Deshalb ist mir ein, wie ich finde, grandioser Einfall gekommen. Ich schenke ihn Dir als Sklaven. Zugegeben, er ist ein rebellischer, wilder und ungebildeter Germane. Aber ich glaube, er könnte Dir durchaus gefallen. Ob für Dein Bett oder als Dein Zeitvertreib in einer Arena. Mach mit ihm, was Dir gefällt. Aber bring ihn bitte nicht gleich um. Er soll es am eigenen Leib spüren, was es heißt einen Flavier und Patrizier Roms anzugreifen.


    So, genug geschrieben für heute. Meine Hand tut weh und Dir werden wohl inzwischen die Augen brennen, wenn Du meine Schrift entziffern musstest. Nimm's nicht so schwer mit diesen hispanischen Weibstücken. Rom vergißt schnell und auch das wird mit dem Sand der Zeit vergehen. Grüß mir Gracchus und auch Milo.


    Marcus

    "Ah!" Syagrius setzte ein falsches Grinsen auf, wobei er eine Reihe fauliger Zahnstummel entblößte.
    "Salve!" . Routiniert stellte er seinen Fuß unauffällig in Position, um die Türe aufhalten zu können, falls sie ihm, wie so oft, gleich wieder vor der Nase zugeschlagen werden sollte.
    Näselnd, in seinem vulgären Latein, legte er los:
    "Guter Mann, erlaube mir mich vorzustellen! Vor dir steht Syagrius, unermüdlicher und hochgeschätzter Vertrauter des großen Unternehmer Lucianus - du kennst ihn sicher, den Keltenhändler, der mit den günstigen Preisen und dem Lager gleich beim Circus - also, ich komme soeben von einer Geschäftsreise in das ferne und unwirtliche Germanien, genauer gesagt komme ich aus Colonia Claudia etc. mit einer Botschaft die der edle Herr Marcus Flavius Aristides dringend seinem geliebten Vetter Caius Flavius Aquilius zukommen lassen möchte!"
    Er wedelte pompös mit dem Pergament, hielt kurz inne um ein Eselsohr darin zu beseitigen, rieb vergeblich über einen Fettfleck hinweg, und präsentierte das Dokument feierlich.
    "Dies ist der Brief."
    Verschwörerisch beugte er sich vor und lies Sciurus voll an seinem eigenwilligen Odeur teilhaben.
    "Nur persönlich zu übergeben..." , raunte er.
    "Und nicht nur das. Wir haben hier für den werten Herrn Flavius Aquilius auch ein Prachtexemplar von Sklaven, haben keine Kosten und Mühen gescheut, um ihn sicher über die Alpen zu transportieren - Schneestürme, Lawinen, Wolfsrudel, Wegelagerer, du weißt schon - jedenfalls haben wir alles getan, damit er ihn unbeschadet in Empfang nehmen kann... Kurz, ich würde mich überglücklich schätzen, dem ehrwürdigen Herrn Flavius Aquilius nun das Dokument überreichen zu dürfen, und diesen strammen Burschen hier - und das Geschäftliche zu regeln, natürlich."
    Syagrius holte wieder Luft und straffte sich. Noch immer verunzierte das Grinsen sein häßliches Gesicht. Erwartungsvoll sah er zu Sciurus hoch. Finn stand als ein riesiger Schatten hinter ihm. Der germanische Sklave sah grimmig ins Leere.

    Gluthitze lag über der Stadt. Im gleissenden Sonnenlicht leuchteten die weissen Fassaden der Villen schmerzlich hell, und die Säulen warfen kurze, scharf abgegrenzte Schatten.
    Kein Lufthauch regte sich. Über dem aufgeheizten Straßenpflaster flirrte die Luft. Kein vernünftiger Mensch war um diese Zeit unterwegs. -


    Drei Gestalten näherten sich der Villa Flavia. Vorneweg marschierte auf säbelkrummen Beinen, die lange spitze Nase kühn in die Luft gereckt, ein zwergenhaftes Männchen. Seine speckige Glatze spiegelte förmlich in der Sonne.
    Unter den überhängenden Zweigen eines Feigenbaumes blieb er ächzend im Schatten stehen, zog ein ranziges Tüchlein aus dem Ärmel, wischte sich ausgiebig über den Kopf und tupfte sich dann sorgsam das von Pusteln entstellte Vollmondgesicht trocken.
    "Was für eine erbärmliche Hitze!" , klagte er näselnd.
    "Viel zu viele Termine, immer nur Arbeit, niemals einen Augenblick Ruhe! Syagrius hier, Syagrius da, und dafür kaum jemals eine lumpige Sesterze! Aber was soll man machen? Wenn es drum geht, mit den feinen Leuten ins Geschäft zu kommen, da ist Syagrius einfach unersetzlich. - Finn!"


    Sein Begleiter, ein grobschlächtiger blonder Riese beugte sich fragend zu dem kleinen hinunter. Dabei zog er den Strick an, an dem er den dritten Mann hielt: einen drahtigen jungen Germanen in schweren Ketten, der verschlossen auf die prachtvollen Villen sah.
    "Finn." , wiederholte Syagrius gewichtig.
    "Wir gehen nun zu sehr vornehmen Leuten, also mach mir nur ja einen guten Eindruck!"
    Und an den Gefangenen gewandt mahnte er hämisch:
    "Und du auch, Drecksbastard, sonst landest du nämlich schnurstracks bei den Löwen, hähä..."
    Mit einem meckernden Lachen löste er die Lederpeitsche vom Gürtel, lies sie knallen, und zog sie dem Germanen vergnügt über den striemenübersäten Rücken. Der zuckte zusammen und starrte den Sklavenhändler mit glühendem Haß an.
    "Hähä, ich sehe schon, du wirst uns vermissen, du Ratte. Finn dich auch... hähä..." , kicherte Syagrius heiter, schlug nochmal zu und wurde schlagartig wieder ernst.


    "Hmm." Musternd sah er an sich hinunter, klopfte ein paar der ärgeren Staubflecken aus seinem schmierigen Gewand heraus, und betastete kritisch den dünnen Kranz von fettigen Haarbüscheln, der ihm noch verblieben war. "Hmm."
    Kräftig schnaubend zog er die Nase hoch, spuckte in die Hände, feuchtete die spärlichen Strähnen sorgsam an und strich sie liebevoll glatt. Zu guter letzt kramte er ein angeschlagenes Fläschchen hervor, entkorkte es, roch mit verzückter Mine daran und besprenkelte sich schwungvoll damit. Der blumige Duft des Rosenwassers vereinte sich mit Syagrius´ säuerlichem Eigengeruch zu einer unguten Mischung.


    Derart gerüstet wuselte der Sklavenhändler emsig weiter. Im Gehen zog er ein fleckiges Pergament hervor, befingerte es, und summte dabei munter eine obszönes Liedchen vor sich hin.
    Finn folgte ihm auf den Fuß. Den Germanen zog er grob mit sich.
    Vor den Toren der Villa Flavia machte Syagrius halt und stellte sich in Positur.
    Auf sein Zeichen hin klopfte Finn kräftig an...

    Unter tiefhängenden Wolken zog die Sklavenkaravane dahin, zwischen dunkel bewaldeten Hügeln, aus denen fahler Dunst aufstieg. Die Straße war nassgeregnet und übersät von schlammigen Wasserlachen.
    Das Knallen der Peitschen mischte sich mit dem Klirren der Ketten, den Seufzern der Versklavten und dem Rhythmus der Tritte auf dem Pflaster zu einer schaurigen Melodie.


    Bleich und frierend schleppte Rutger sich dahin, Schritt für Schritt, vorbei an einem Feld, auf dem der Emmer tief die tropfenden Ähren hängen lies.
    Stetig scheuerten die kantigen Eisenringe seine Fußknöchel wund.
    Aus dem Korn flog krächzend ein Schwarm Krähen auf, und verschwand schnellen Fluges in den Regenschleiern.
    Rutger sah ihnen schwermütig nach. Weit in der Ferne zeigten sich einen Augenblick lang die felsigen Hänge des Lodfyrberges - dort hatte Rutger erst neulich einen Rehbock erlegt... Jorun hatte sich über das Fell gefreut... was sie jetzt wohl tat... was, wenn er seine Familie nie wieder sah...


    Rutgers Augen wurden ein wenig feucht, aber das konnte auch der Regen sein. Da traf ein beißender Peitschenhieb seinen Rücken - er stolperte vorwärts -
    "Lauf zu, du fauler Hund!"
    Und Schritt für Schritt entfernte Rutger sich weiter von seiner Heimat, einem ungewissen Schicksal entgegen...

    Anfangs wehrte Rutger sich erbittert. Er versuchte, sich aus Finns Griff zu winden, trat mit den Beinen gegen ihn, schnappte nach der Hand des 'Barbiers' und bedachte seine Peiniger mit farbenfrohen Flüchen.
    Aber als alles nichts half, und Strähne für Strähne seines Haares in den Dreck fiel, erlahmte auch sein Kampfgeist. Zähneknirschend lies er die entwürdigende Prozedur über sich ergehen, und verbarg, wenn das Messer wieder in die Kopfhaut schnitt, seinen Schmerz hinter der ohnmächtigen Wut.


    Danach lag er mit verschlossener Miene auf dem Boden, die unbarmherzige Sonne direkt über sich. Und wieder meldete sich der Durst. Rutger spürte wie ein ganz jämmerliches Gefühl in ihm aufstieg: Verzweiflung.
    Nur nicht aufgeben! Er zerrte an den Ketten, suchte nach Schwachstellen, hoffte, ein schon sehr rostiges Kettenglied auseinanderbrechen zu können... - vergeblich...


    Rache! Der Gedanke an Rache gab ihm Halt. Im Geiste reihte Rutger die Kandidaten auf:
    1. Der Patrizier-Bastard, Marcus Flavius Aristides, der Neiding und Dieb - im Moment, so ganz spontan, sagte Rutger die Vorstellung, ihn zu erwürgen, am meisten zu.
    2. Die Kröte, Syagrius - den würde er unter dem Stiefel zertreten. Oder ihm die Peitsche in den Rachen stopfen bis er daran erstickte.
    3. Finn, der Kollaborateur - alle Knochen einzeln brechen?
    4. Der 'Barbier' - aufschlitzen mit dem Scher-Messer, ganz eindeutig.


    Aber irgendwie waren diese Überlegungen gerade doch eher theoretisch. Unmerklich kroch wieder die Verzweiflung heran.
    Ein gequältes Seufzen stahl sich über Rutgers Lippen. Er sah auf und begegnete dem Blick der älteren Frau. Trotzig erwiderte er ihn.
    "Was starrst du so?"
    Und wieder versank er in finsteres Brüten.

    Donnars Hammer schmetterte auf Rutger herunter, wieder und wieder. Feurige Funken stoben vor seinen Augen auf, und dann wich der rote Nebel des Blutrausches jäh einer makellosen unendlichen Schwärze.
    Schlaff sackte Rutgers Körper auf den Boden. Still lag er da, während sich kalte Eisenringe um seine Hand- und Fußgelenke schlossen, dann auch um seinen Hals, und mit schweren Ketten verbunden wurden.
    Wie ein erlegtes Wild lag er über den Schultern des Riesen, der ihn durch die Stadt trug. Seine Arme baumelten hin und her, dabei knirschten leise die Ketten, und sein blondes Haar hing in Strähnen hinunter.


    Aber ganz weit weg von dort, schritt Rutger langsam durch einen dichten Nebel. Flügelschlag verklang über ihm. Schemenhaft ragten verkohlte und geborstene Balken auf. Ein Rauschen drang an seine Ohren. Er kniete neben einer kleinen Quelle die zwischen den Wurzeln eines ausladenden Hollunderbusches munter hervorsprudelte. Beide Hände tauchte er in das Wasser, schöpfte und trank. Über der Wasseroberfläche wogte ein feiner Nebelschleier, kräuselte sich, verzog sich zu Seite, und zeigte Rutger für einen Moment das liebe Gesicht seiner Schwester. Ihre Lippen bewegten sich, sie sah Rutger beschwörend an, aber er verstand kein einziges Wort, und sogleich zerflossen ihre Züge wieder in den Wellen.


    Irgendwo im Nebel erklang ein dumpfes hungriges Grollen. Rutger lief es eisig den Nacken hinunter. Er mußte hier weg. War das was sich da drüben undeutlich abzeichnete, nicht eine Brücke? Hastig lief er darauf zu, doch jeder Schritt dauerte eine Ewigkeit, und er kam gar nicht vom Fleck. Da hatte Es ihn auch schon eingeholt, warf ihn zu Boden und öffnete den gewaltigen Rachen, um ihn zu verschlingen. Aus dem Maul drang ein fürchterlicher Pesthauch, umwehte Rutger, er würgte und hustete und...


    ...riss die Augen auf. Über sich gebeugt sah er verschwommen und roch er deutlich das zwergenhafte Ungetüm von Sklavenhändler. Eiserne Bande hielten ihn. Die grelle Sonne stach ihm in die Augen, sein Mund war völlig ausgedörrt, sein Schädel dröhnte, vom Rücken ganz zu schweigen. Ein gequältes Stöhnen kam über Rutgers Lippen, er schloss wieder die Augen, konnte zwar dem Anblick, nicht aber dem giftigen Geifern des Zwerges entkommen.
    "Peitsche spüren..." - "Schwäche für hübsche Bengel..." - "Sklaven bluten sehen..."
    "..seinen Sklaven nach Rom bringen..."
    - alles nur ein böser Traum!


    "...scher ihn!" - "...das Messer!"
    Mit letzter Kraft bäumte Rutger sich auf. Sein Haar war Ziu geweiht! Er hatte es abgeschnitten und verbrannt als er zum ersten Mal einen Mann tötete, einen Hermunduren, doch das war schon einige Sommer her und seitdem war es wieder lang gewachsen. Er war stolz darauf, kämmte und pflegte es stets, und wusste dass es der Sitz eines guten Teils seiner Stärke war!
    "Rühr mich nicht an du Kröte, oder, bei Ziu, ich bringe dich um!" , drohte er mit rauher hasserfüllter Stimme.
    Sein Blick fixierte sich auf Syagrius, lauernd, mordlustig. In seiner lebhaften Phantasie sah er genau vor sich, wie er dem kleinen Mann mit einem herzhaften Schlag mit den Ketten den Schädel einschlug...

    Ganz und gar ungläubig hatte Rutger Marcus´ Schachern mit dem widerlichen Sklavenhändler verfolgt. War das möglich? Ging es da um ihn? Hatte ihm sein Schicksal bis zum gestrigen Abend nicht verheißungsvoll zugelächelt? Alles Glück war zum Greifen nahe gewesen. Jetzt ... das.
    Fassungslos weigerte Rutger sich, daran zu glauben.
    "Niemals." flüsterte er leise, und wiederholte langsam, als würde er einen heiligen Schwur leisten: "Niemals."
    Wie betäubt hörte er, was weiter verhandelt wurde.


    Als Marcus wieder zu ihm sprach, ihn verhöhnte, wich dieser Unglauben schlagartig einer unbändigen Wut. Dieser hinterhältige Bastard hatte ihn belogen, hatte ihm Gytha genommen, hatte ihm sein Leben gestohlen, wollte ihn nun noch demütigen und in den Schmutz treten!
    Animalischer Zorn wallte in Rutger auf. Seine Züge verzerrten sich.
    "Niemals!" , knurrte er, bleckte in wilder Raserei die Zähne, wie ein in die Enge getriebenes Raubtier, und stürzte sich mit einem unartikulierten Schrei auf Marcus.
    Heftig prallte er gegen ihn, stieß das Knie in den Unterleib seines verhassten Feindes, und fiel mit ihm auf die fleckigen Dielen. Die Tobsucht verlieh ihm ungeahnte Kräfte - eine Hand riss sich aus den Fesseln frei, Rutger spürte kaum den Schmerz als er sich den Handballen zerquetschte und die Haut über den Fingerknöcheln abschabte. Mit den Fingern zielte er auf Marcus´ Augen - erbittert, wenn auch ungenau, da seine Hände noch immer taub waren - gleichzeitig rang er, fest gepackt von seinem furor germanicus, darum, Marcus die Zähne tief in die Kehle zu schlagen!
    Zerreißen! Zerfetzen!! Den Feind zerstören!!!

    Demonstrativ trank der Römer. Vor Rutgers Augen erschien das aufdringliche Bild eines lebhaften Bergbaches, der verspielt von Stein zu Stein sprang, rauschte und brauste, und dazu einlud, den Durst zu löschen. Fast konnte er das frische klare Wasser riechen, und den feinen kühlen Dunst auf den Wangen spüren. Abwehrend wandte er den Kopf zur Seite. Der Bach verschwand, dafür sah er jetzt einen großen Tonkrug, massiv und glattwandig, und bis zum Rand gefüllt mit honigdunklem Met... ein Tropfen perlte über den Rand hinterließ eine dunkle Spur auf dem Ton... Regen prasselte auf Laub, sammelte sich in den Vertiefungen der Blätter und rann in funkelnden Fäden auf den Boden... eiskaltes Wasser drang aus einer Felsspalte, umrahmt von Moos und Sauerklee...
    "...aber ich lasse Dich bestimmt nicht laufen... nein!" - Die Bilder verschwanden. Rutger sah starr auf den Römer. In dem unbestimmten Graugrün seiner Augen glomm ein Funke: blanker Haß.
    "Was soll das heißen?!" fauchte er.

    Mit größtem Widerwillen hatte Rutger die Stadt betreten. Hier saß er vollends in der Falle, er fühlte förmlich wie sich die Schlinge um seinen Hals zuzog.
    In der Taberna angekommen, lehnte er sich auf eine schmierige Tischkarte und starrte Marcus wütend und übernächtigt an.
    Im Morgenlicht war sein Gesicht sehr fahl. Sein Hemd war vorne ganz verkrustet von braun eingetrocknetem Blut. Er zerrte an den Lederriemen, die seinen Händen das Blut abschnürten.
    "Mach mich los! Du wolltest in die Stadt, ich habe dich hingebracht."
    Im Hintergrund schenkte der junge Mann gerade einen Becher Wein ein. Rutger hatte, nach dem Gewaltmarsch und dem Blutverlust, einen brennenden Durst. Das plätschernde Geräusch machte ihn beinahe wahnsinnig
    Dann wurde der Becher an ihm vorbei getragen und ruppig vor Marcus auf den Tisch geknallt. Einige Tropfen spritzten heraus. Rutger schluckte mit ausgedörrter Kehle.
    Arge Skepsis schwang in seiner Stimme mit, als er verlangte:
    "Du hast dein Wort gegeben, halte es!"

    Rutgers Augen wurden schmal, und seine Nasenflügel bebten, vor allem als der Römer ihn "Kleiner" nannte.
    Doch das Bewußtsein, dass er diesen, wenn auch groß geratenen Südländer, immer noch überragte, half.
    "Was erwartest du eigentlich, wenn du alleine im Kriegsgebiet herumstöberst?" fauchte er.
    "Ihr glaubt ihr hättet uns schon geschlagen, aber da täuscht ihr euch gewaltig!"
    Als Marcus weiter sprach, erwachte in ihm eine unsinnige Hoffnung. Vielleicht konnte er doch irgendwie mit heiler Haut davonkommen? Seine Familie wiedersehen, weiter den Kampf gegen die Besatzer führen, sich auszeichnen und die Schmach dieser Nacht vergessen machen... falls der Römer ihn nicht anlog, was, wie allgemein bekannt war, die Römer zu tun pflegten sobald sie den Mund aufmachten.


    Rutger gestand sich ein, dass er keine Wahl hatte, und nickte resigniert. Blieb das Problem, dass er während seiner Entführung selber die Orientierung verloren hatte.
    "Hier." Er wies mit dem Kinn auf den nächstbesten Wildwechsel und führte Marcus ohne zögern dort entlang.
    Aufmerksam nahm er die Laute und Gerüche des nächtlichen Waldes wahr, horchte auf den Wind oder das Murmeln einer Quelle, fühlte Farn um seine Knie streichen, roch die Nähe einer Linde und dann den Duft von Waldmeister. Recht bald hatte er eine ungefähre Vorstellung wo sie waren, und korrigierte behutsam die Marschrichtung.


    Als sich am Himmel wieder der Mond zeigte, führte er Marcus zielstrebig über einen felsigen Hügelrücken. Unter ihnen erstreckte sich, silbrig angeschienen, der endlos scheinende Wald.
    Auf und ab ging es, immer weiter, über holprige Hänge, durch eine Klamm in der das Echo ihrer Schritte hohl widerhallte, dann wieder durch einen lichten Eichenwald. Ganz in der Nähe brach ein Wildschwein grunzend und schnaufend durchs Gebüsch.
    An einer sandigen Furt überquerten sie einen seichten, ruhig strömenden Fluss, an dessen Ufern das Schilf raschelte und wisperte.


    Schließlich, sie hatten gerade einen Abhang erreicht wo dorniger Wacholder in seltsamen menschenähnlichen Formen wucherte, zeigte sich am östlichen Himmel ein blasser Lichtschein, und die Nacht wich einer kühlen, blaustichigen Morgendämmerung. Am Fuße des Abhanges sah man jetzt einen Weg, in den sich tief die Spuren von Wagenrädern eingegraben hatten.
    Rutger hielt inne.
    "Dort unten. Das ist der Weg in die Stadt. Du wirst da sein noch bevor die Sonne aufgeht."

    Benommen setzte Rutger einen Fuß vor den anderen. Es erschien ihm unwirklich, dass er noch am Leben war - für den Moment. Jeden Augenblick konnte der Römer die Klinge über seinen Hals ziehen, und ihn schlagartig auslöschen. Ohne Vorwarnung, und ohne dass er sich wehren konnte. Einfach so...
    Gerade eben war er darauf gefasst gewesen dem Tod kühn ins Auge zu blicken, aber nun dieser verfluchte Aufschub, dieses hilflose Warten auf das Unvermeidliche... Rutger spürte wie die kalte Hand der Furcht sich unerbittlich um sein Herz legte.
    Seine Hände waren taub von den Fesseln. Er stolperte über eine Wurzel und fing sich wieder. Zweige kratzten über sein Gesicht, und das Blut sickerte stetig aus dem Schnitt an seinem Hals.


    Als der Römer anhielt, sah Rutger seine Hinrichtung gekommen.
    Er versuchte verzweifelt sich gegen die lähmende Furcht zu wappnen, und Haltung zu bewahren. Nein, er war ein Hallvardunge, und er würde seiner Sippe keine Schande machen!
    Er richtete sich auf, und wandte sein Gesicht trotzig dem Römer zu.
    "Die Stadt wirst du nie erreichen. Vorher versinkst du im Moor oder brichst dir den Hals in einer Schlucht."
    Seine Lippen kräuselten sich zu einem - falschen - verächtlichen Lächeln.
    "Oder endest als Fraß für die Bären, wenn nicht meine Sippe dich vorher erwischt."
    Sein Blick irrte unwillkürlich zu der Klinge, die Marcus in der Hand hielt.
    "Es sei denn..." Er zögerte, und sprach dann schnell, mit etwas belegt klingender Stimme weiter.
    "Ich zeige dir den Weg, wenn du mich gehen lässt."

    "Und du stirbst mit mir, Römer." erwiderte Rutger hasserfüllt.
    Starr blickte er auf die Feuersbrunst. Er sah jetzt klar.
    Sein Tod war unvermeidlich, und er wollte es hinter sich bringen, hier, wo der Römer dafür büßen würde. Nur nicht irgendwo im Wald abgestochen werden, wo der Körper unbestattet verrottete, und er sich zu einem schadenbringenden Wiedergänger wandeln würde.
    Was wohl Jorun... nein, bloß nicht daran denken!
    Stolz hob er das Kinn und presste die Lippen fest aufeinander. Seine Stimme wankte nicht, als er kalt hinzufügte:
    "Töte mich. Du kannst nicht entkommen."
    Noch einmal sog er tief die Luft ein und wartete gefasst auf das Ende.


    Die beiden Wächter versperrten Marcus hochaufgerichtet den Weg in den Wald. Speer und Pfeil waren reglos auf ihn gerichtet, düsterrote Reflexe huschten über das Eisen. Ein lautes Knacken und Prasseln war zu hören, die Luft roch brandig, und einige Funken schwirrten vorbei wie Glühwürmchen.
    Der Augenblick dehnte sich, dann senkten die Wächter ihre Waffen und machten Marcus den Weg frei.

    Hoch stoben die Funken. "Feuer!" Der Ruf hallte durchs Lager.
    Dunkle Umrisse wurden vor den düsterroten Flammen sichtbar, Menschen die mit nassen Decken auf das Feuer einschlugen.
    Aus der Ferne schien es als würden sie einen seltsamen Tanz aufführen. Es prasselte, qualmte und zischte, Dampfschwaden stiegen auf, und glimmende Fetzen der Zeltwand wirbelten hoch hinauf in den Nachthimmel.
    "Nein!" flüsterte Rutger entsetzt.
    Er zerrte an seinen Fesseln, und bäumte sich wild gegen Marcus Griff auf, kam dabei ins Rutschen, glitt vom Pferderücken herunter und prallte mit der Schulter unsanft auf dem Boden auf.
    Mit zusammengebissenen Zähnen rollte er sich herum und versuchte mühsam, auf die Füße zu kommen.


    "Was haben wir denn da?" Ein Wachtposten löste sich aus der Dunkelheit des Waldes, den Speer in der Hand. Ein zweiter folgte ihm, und spannte den Bogen.
    "Ein flüchtiger Gefangener und Brandstifter." Sie kamen auf Marcus zu.
    "Runter mit dir!" Der vordere Wächter machte ihm mit einer abrupten Bewegung seines Speeres das Zeichen vom Pferd zu steigen.

    Rutger rang nach Luft, ein kratziges Husten kam aus seiner Kehle, und in seinen Augen glomm ohnmächtige Wut.
    "Verflucht sollst du sein, Niederträchtige !" flüsterte er mit rauher Stimme.
    "Jede Freude soll dir zur Qual werden, jede Speise sich in deinem Mund in Asche verwandeln."
    Seine Stimme wurde lauter, schneidender, und erfüllte das Zelt mit ihrem eiskalten Klang.
    "Geschmäht für deine Tücke, verbannt für deine Arglist, sollst du einsam in der Ödnis wandeln, bis du elend zugrunde gehst und der Garm dein Aas verschlingt!"
    "Walvater, Grimmer, Gaut, das soll der Lohn sein für den Verrat dieses Weibes!"

    Rutger verstummte. Leise hörte man das Rauschen der Wälder, dann ein hohles Aufheulen, als eine plötzliche Windbö vorüberstrich. Der Zeltvorhang flatterte und die Pfosten knarrten.
    Mit verschlossener Mine trat Rutger, von Marcus gestoßen, aus dem Zelt.
    Nebelfetzen trieben durch das nächtliche Lager, und der Mond verbarg sich hinter zerklüfteten Wolken.

    In seinem rasenden Zorn erkannte Rutger nicht sofort, dass die Verhältnisse sich grundlegend gewandelt hatten.
    "Räudiger Dieb, dein Leben ist verwirkt !" stieß er hervor, und kämpfte gegen den Griff mit dem Marcus ihn gepackt hielt. Erst als durch diese Bewegung die kalte Klinge seine Haut ritzte, und ein dünner Faden Blut warm über seinen Hals rann, kam er auf den Boden der Tatsachen zurück.
    Die lodernde Wut in seinem Gesicht wich der Verblüffung, und dann machte sich ein Ausdruck tiefer Betroffenheit breit.
    "Lass mich los oder..." - er setzte auf Latein neu an - "Lass mich sofort los, Römer, oder meine Sippe wird dir die Haut in Riemen vom Körper schneiden, den Bauch aufschlitzen und deine Eingeweide den Wölfen zum Fraß vorwerfen!".
    Seinen großen Worten zum Trotz erhob er sich - widerstrebend - ganz langsam. Unwillkürlich schielte er kurz schräg nach unten auf den Dolch. Gytha warf er einen kalten Blick zu.
    "Verräterin!" zischte er voll abgrundtiefer Verachtung.

    Aus dem Zelt des Gefangenen drang noch Licht. Rutger grüßte Domarr, der dort Wache stand, schob schwungvoll den ledernen Vorhang am Eingang zur Seite und trat geduckt hinein.
    "Gytha, ich habe -" er stockte.
    Sah Gytha und den Römer in einen innigen Kuss vertieft. Starrte ungläubig auf das Bild, das sich ihm da bot.
    " - gewartet." murmelte er tonlos.
    Das Blut wich aus seinem Gesicht. Wie erstarrt stand er da.
    Dann verzerrten sich seine Züge zu einer Maske des Zornes.
    "Römerbuhle!" , brüllte er und kam mit geballten Fäusten auf sie zu,
    "Du Metze, du falsches Weib!" .
    Grob packte er sie an den Schultern und riss sie von Marcus weg.
    Mit blanker Mordlust in den Augen stürzte er sich auf den Römer.
    "Dreckiger Neiding!"
    Blind vor Wut holte er mit der Faust aus.
    "Ich brech dir alle Knochen!"
    Und schlug zu.

    Auf der ölig schwarzen Oberfläche des Waldweihers spiegelte sich klar der Mond. Als ein leichter Hauch das Wasser kräuselte, zerbrach die Sichel aus flüssigem Silber in viele Scherben, leuchtende Flecken wogten umher, und vereinten sich dann wieder zu einem leicht zitternden Bild.
    In seinen Mantel gehüllt, die Beine weit von sich gestreckt, saß Rutger auf einem Stein am Ufer. Müssig spielten seine Finger mit der Schwanenfibel. Ob Gytha überhaupt kommen würde? Immerzu war sie damit beschäftigt diesen Römer zu pflegen.


    Vom Lager her drangen die Geräusche der Pferde an sein Ohr - zufriedenes Schnauben, mal ein Aufstampfen, gemächliches Kauen. Und auch Stimmen. Wahrscheinlich wurde noch immer darüber gestritten, was mit dem Römer passieren sollte. Ob der Gode ihn bekommen würde?
    Ein Schauder überlief Rutger, als er an den heiligen Hain des Allvaters dachte, an die riesigen Eichen, graue Wächter, die die Menschen überdauerten. An das groteske Zucken der Erhängten, und an die Raben, die sich an ihrem Fleisch labten, bis von einstmals lebendigen, atmenden, kämpfenden Männern nur noch vergilbte Knochen blieben.
    Hatte da nicht eben ein Rabe gekrächzt? Er sah sich um, und blickte genau auf eine Birke, die im Mondlicht knochenweiß erschien. Ihre Äste waren wie mahnend gen Himmel gereckt. Kalt glitzerte der Tau auf den Blättern. Ein böses Omen! Rutgers Finger formten das Zeichen von Donnars Hammer.


    Die Zeit verrann. Wo Gytha nur blieb? Schließlich erhob er sich. Er würde mal nachsehen. Eilig kletterte er das steile Ufer hinauf, warf noch einen Blick voll abergläubischer Scheu auf die Birke, und kehrte mit raumgreifenden Schritten zum Lager zurück.