Und dann stand Verres langsam auf. Er wankte nicht. Er fühlte sich eher wie der Fels in der stürmischen Brandung, der allem trotzte. Und dennoch traf ihn immer wieder ab und an eine so harte Kraft, dass er leicht bebte. Dies waren sie Zweifel, die auch immer wieder in ihm aufkamen: Hatte er wirklich etwas falsch gemacht? Hätte er Albina, von der er ausging, dass sie nun wie er furchtbare Qualen litt, vor sich und den Gefühlen zu ihr, schützen müssen? Hätte er standhaft bleiben müssen, als sie seine Hand nach ihm ausgestreckt hatte und er sie erst abwies? Und hatte er sie eigentlich abgewiesen? Eigentlich hatte er sich nichts sehnlicher gewünscht, dass sie ihn berührte. Den ersten Schritt hätte er niemals gewagt, so viel Anstand hatte er in sich gehabt. Aber er hatte doch, als sie sprach, dass sie das nicht dürften, abgewiesen, als er gesagt hatte, dass es ihm leid tat. Er war ja damals im Park selber unsicher gewesen und doch voller Gefühl für sie. Aber hätte er ...
hätte hätte hätte: Es war geschehen. Und sie waren für einige Momente glücklich gewesen. Auch, als er sie nachts besuchte, sie dann ihren Kopf auf seine Brust gelegt hatte und so selig eingeschlafen war. Was waren das alles für magisch wunderbare Momente gewesen. Er hatte seinen Gedächtnisverlust vergessen und auch seine ständigen zermürbenen Gedanken, wer er denn eigentlich war, die ihn seit damals, als er in Dakien in der kleinen einfachen Hütte aufgewacht war, immer während quälten. Er hatte vergessen, das er ein Sklave war und fühlte sich so leicht und frei wie ein Vogel, der, wenn er er wollte, einfach seine Flügel bewegen und davon fliegen können, auch wenn er das in ihrer Gegenwart und gerade wegen Albina gar nicht wollte.
Seine kleine Albina. Sie war so unschuldig wie ein Reh. So rein und zart und doch so innerlich stark. Vor allem war es auch ihre Offenheit ihm gegenüber und dann war es einfach diese Liebe, diese aufrichtige Liebe ihm gegenüber, einem Mann, den sie doch kaum kannte. Und der so viel älter war als sie und zu dem auch noch ein Sklave.
Als er so an die schönen Momente dachte, fühlte Verres, wie stark er sich fühlte, vor allem auch, weil er glaubte, diese Kraft war etwas, was Albinas Liebe verursachte.
Er ging zu seinem Bett und setzte sich darauf.
Seine Beine hatte er rechts und links leicht seitlich von seinem Körper bewegt und nun stützte er seine Ellenbogen je auf eines seiner Knie und senkte seinen Kopf in seine Hände, so dass seine Handflächen seine Stirn umfassten und er den Boden anstarrte.
Ein Fels in der Brandung? Ein König Lenoidas, der sich opferte? Ein Miles? Ein Liebender? Oder nur ein Sklave seiner Umstände?
Zweifel wechselte mit Standhaftigkeit und das irritierte den verwirrten Sklaven mehr, als er erst zugeben wollte. Doch Verres wollte sich auch nicht belügen. Auch wenn es die schwerste Zeit war nach seiner Versklavung und auf alte Erinnerungen konnte er ja nicht zurückgreifen.
Alles war so verwirrend.
Auf der einen Seite wollte er um diese magische Liebe zu Albina kämpfen, auch wenn seine Vorraussetzungen nicht schlechter sein konnten als Sklave. Diesmal ging es ihm nicht darum, dass er sich deswegen bemitleidete, wie er es vielleicht manchmal tat. Es war nun mal eine Tatsache, die er endlich akzeptieren musste. Er hatte kaum Rechte als Sklave und natürlich war es ihm klar, dass es in den Augen der Gesellschaft nicht rechtens war, eine freie Frau zu lieben. Aber er fühlte sich als Mensch und ja, er war zu stolz und zu lebenshungrig nach der Wahrheit, als dass er sich dermaßen unterorden wollte, sich seinem Schicksal kampflos zu ergeben. Und wenn er um Albina und ihre gemeinsame Liebe kämpfen wollte, musste er um vieles mehr stärker sein, als bisher in seinem kurzen Leben der Erinnerungen, die ihm blieben. Er musste seit damals in Dakien sein Leben neu anfangen, da er nicht auf die Ressoursen der Erfahrung seines eigentlich längeren Lebens zurückgreifen konnte: Er wusste nicht, wie er früher gehandelt, gedacht, gefühlt hätte. Es schmerzte ihn schon, aber vielleicht war dies auch ein Neubeginn, den er nutzen sollte. Doch es fiel ihm schwer: Ständig fragte er sich: Wer war ich vorher, wie hätte ich gehandelt. Doch mit einem Mal akzeptierte er seinen Zustand: Er wusste es nicht und nahm es in diesem Moment als Neubeginn an, auch wenn es schwer viel.
-Vielleicht warst du auch ein arroganter Mistkerl- kam es ihm plötzlich in den Sinn und er sagte sich: - Wer du auch warst, du bist heute der Verres, der du bist!-
Es war seltsam, aber kurz huschte ein Lächeln über Verres Gesicht: Ja, er hatte ein wenig mit seinen Überlegungen etwas erreicht: Er nahm sich an, wie er jetzt war. Auch wenn er immer wieder daran denken würde, wer er vor seinem Gedächtnisverlust war, doch nun half ihm diese Erkenntnis, sich auf die Gegenwart und Zukunft zu konzentrieren. Und die war wichtiger als die Vergangenheit.
Und eines wusste er: Die Liebe zu Albina war für ihn etwas besonderes. Natürlich dachte er darüber nach, ob es so etwas wie eine Flucht sein konnte, dass er so an ihr hing, sie so liebte, weil er sich vorher wegen seines Gedächtnisverlust so alleine fühlte, aber dann kam ihm eine andere Erkenntnis: Wäre es so gewesen, würde er nicht ganz so um sie trauern, würde sie nicht ganz so lieben: Nein, er war sich sicher: Sie und ihn verband etwas anderes, etwas, was vielleicht nur die Götter verstehen würden. Er war ja jemand, der zweifelte und immer wieder dachte er: Vielleicht war es nur ein Moment, eine Leidenschaft und er dachte sogar daran, dass Albina vielleicht alles bereute, weil es so viel Ärger bedeutete. Und ja, sie war jung und vielleicht war Verres der erste Mann, der solche faszenierenden Gefühle in ihr ausgelöst hatte. Doch es war seltsam: Verres glaubte daran nicht. Albina war kein naives Weibchen, welches sich schnell beeinflussen lies. Dann hätte er sich nicht in sie verliebt. Er spürte, dass es da was anderes gab.
In dem Moment aber wechselte seine Stärke wieder um zu seinen Zweifeln und der Fels bebte: War er zu egoistisch und zu stolz? Redete er sich etwas ein, an das er glauben wollte, weil er selber so wenig Glauben und Wissen über sich hatte: WOLLTE er an die grosse Liebe glauben?
In diesem Moment dachte er nur eines: Verzeihe mir, Albina, dass ich so denke, aber ich bin wahrlich kein Prophet oder jemand der die Weisheit mit Löffeln gegessen hat. Ich liebe dich!
Dennoch kam er sich seltsam vor, dass er angefangen hatte damit, ihrer beider Liebe in Zweifel zu ziehen. Doch er wollte alle Möglichkeiten durchgehen:
War er, Verres vielleicht einfach nur zur richtigen Zeit bei ihr? Sie war jung und unerfahren, hatte ein wenig Angst vor der grossen Stadt und sehnte sich nach ihrem Zuhause. War Verres einfach jemand, in dem sie glaubte, einen Menschen gefunden zu haben, dem sie ihre Sorgen und Ängste erzählen konnte?
NEIN! Verres glaubte es nicht.
In seinem Kopf brodelte es und noch nie so wie jetzt merkte er, wie er verzweifelt nach einer Antwort suchte. Und etwas anderes kam ihm schmerzlich in den Sinn: Was war mit ihr? Wie behandelte Quintus sie? War er ihr sehr böse? Verres hoffte es nicht, denn er war sich sicher, dass ihr das nicht helfen würde. Er hoffte, dass sein neuer Herr ihr vergeben würde. Auch wenn er ihm, Verres nicht vergeben würde und Verres meinte es ernst und es war ihm egal, dass es vielleicht so sein würde, doch er sorgte sich in diesem Augenblick nur um seine Albina und wünschte ihr, dass man sie auffing.
Doch im nächsten Augenblick spürte Verres auch, dass das alles so kompletter Wahnsinn war und dachte an seinen Wolf, seinen Freund, den er so gerne nun bei sich hätte. Wollte Verres uneigennützig sein für seine Albina, wollte er alles Gute für sie und sich dafür aufgeben? War das Liebe?
Und dann kamen mehr und mehr Zweifel: Bin ich zu egoistisch? Bin ich zu stolz? Bin ich von mir zu voreingenommen? Sollte ich Albina einfach vergessen? Ihr zu Liebe? Vielleicht wird sie mich schnell vergessen und einen Mann an ihrer Seite finden ...
Nun raufte sich Verres die Haare. Wie er es auch dachte, alles schien ihm falsch: Er wollte und konnte es nicht glauben und es tat ihm Leid, an ihrer Liebe zu zweifeln. Und doch wusste er: Sie ist noch so unerfahren, vielleicht ähnlich wie ich, da ich nicht weiss, wie ich vorher war. Er hätte heulen können, denn er merkte, wie er sich verrannte: Was war schon richtig oder falsch und alles lag daran, dass er nicht mit ihr reden konnte: Ein Berg von Spekulationen baute sich vor ihm auf, wie der Leichenberg der Gegner bei König Leonidas und Verres spürte, dass er langsam an seine Grenzen kam und es so keinen Sinn hatte:
Er musste Kontakt aufnehmen zu seiner Albina. Und dann fühlte er sich wieder stark und kräftig und war voller Hoffnung, doch dann kam wieder ein zweifelnder Gedanke: Sollte ich sie vergessen, damit sie mich einfach vergisst? Ist es nicht so, dass ich kein Öl ins Feuer giessen sollte?
Wieder war Verres kurz am verzweifeln.
Und dann spürte er erst, wie verzweifelt er war: Dieses Hin und her zwischen Stärke und Schwäche machte ihn fertig, er musste sich endlich entscheiden. Und dann fragte er sich, ob er früher nicht einfach gehandelt und sich entschieden hätte: Denn was gerade in ihm abging, dieses Hin und Her, brachte ihm im Moment nur Verwirrung und würde Albina nicht helfen. Und immer wieder dachte er, ob er egoistisch wäre, wenn er um Albina kämpfen würde. Und zwar deswegen, weil er sie nicht enttäuschen wollte, sondern ihr zeigen, wie wichtig sie ihm war, damit sie spürte, was für ein feiner Mensch sie war und er ihrer Liebe zollen konnte.
Oder war er egoistisch und wollte damit unbewusst wissen, wie er geliebt wurde?
Verres wusste es nicht und es war die schlimmste Herausforderung in seinem bewussten Leben. Er wollte perfekt sein, er wollte so viel. Doch auf einmal kam er zu sich: Es gibt niemals den goldenen Weg. Ich liebe Albina, ja, auch wenn sie sich kaum kannten. Er liebte sie nicht, weil sie für ihn da war, nein, Verres glaubte an etwas höheres. Denn er wusste um die tiefen Gefühle für Albina, die er für sie empfand und das nach so kurzer Zeit.
Und dann liess er sich auf sein Bett nieder, verschränkte seine Arme hinter dem Kopf und plötzlich dachte er an die Götter und sprach leise: »Ihr lieben Götter? Warum? Schickt mir doch ein Zeichen? Ich meine es doch ernst, warum all dies Leid? Warum? Ich weiss, dass das Leben aus Prüfungen besteht ... aber ich liebe Albina wegen ihrer selbst, nicht nur weil sie mir das Gefühl gibt, ein Mensch zu sein, oder weil sie für mich da war, in meiner Not.ist und ich ihr ein Freund sein konnte. Ich liebe sie, wie sie ist, mit ihren Stärken und Schwächen. Warum ich sie wirklich so liebe, wisst nur ihr Götter. «
Und dann starrte Verres an die Decke und erneut begann er zu denken, mit Stärke aber auch mit Schwäche, denn er war nur ein Mensch. Er wollte sich und Albina nicht belügen und doch wusste er, dass es keine Wahrheit gab, denn diese Wahrheit war immer von den Menschen erdacht.