Einige Wochen nach seiner Ernennung zum vorläufigen Epistates liegt Theodorus auf seinem Bett und quält sich mit einem Problem, das den meisten an der ganzen Epistatessache Beteiligten wohl nie aufgefallen wäre: Die Meisten würden wohl meinen, der Platz auf dem Musenthron wäre das erstrebenswerteste Ziel eines Gelehrten mit Ambitionen und Theodorus wäre der Glücklichste unter der Gelehrtenschaft dieser Welt. Nur für Theodorus stellt sich diese Sache alles andere als einfach dar: Ein kleiner Schönheitsfehler trennt ihn noch vom Annehmen seiner Aufgabe: Er ist Jude.
Und er ist nicht nur irgendein Jude, Theodorus ist auch ein gläubiger Jude, Sohn des Alabarchen von Alexandrias, mütterlicherseits in direkter Linie von Herodes dem Großen abstammend. Er, der rationale und urgriechische Pgilologe, glaubt an seinen Gott, die Auserwältheit des hebräischen Volkes und die Gebote der Thora. Mehr noch, er glaubt an seine eigene Auserwähltheit. Keine Bürde könnte schwerer sein als diese. Obwohl jeder Heide zu seinen Götzen betet, zürnt Gott ihm nicht, er hat ihn blind geschaffen und ohne Erkenntnis lebt er vor sich hin. Schlechte und böse Taten werden nach dem Tod bestraft, war er aber redlich und gut, so erlangt er das Himmelreich, auch wenn er Gott niemals gesucht hat. Theodorus aber kennt Ihn, den Allerhöchsten von Kindesbeinen an, sein Leben lang war er auf der Suche nach dem Höchsten, er wurde Rabbiner und respektiert in der Gemeinde Alexandrias.
Diese Zeit war nun vorbei: Auf dem Weg nach Hause trafen ihn hasserfüllte Blicke, die Leute redeten nicht mehr mit ihm, fragten ihn nicht mehr um Rat und der Vater machte des Abends immer strenge und spöttische Bemerkungen. Denn der Titel des Epistates war nicht irgendein Titel. Es war der Titel des höchsten Priesters des Apollon, mit allen dazugehörigen sakralen Aufgaben und Pflichten. Es war unmöglich, den Posten anzunehmen ohne die eigene Religion zu verraten. Dieses Dilemma macht Theodorus sehr zu schaffen und sorgt dafür, dass der Gelehrte seit Tagen nicht mehr schlafen kann. Unruhig wälzt er sich im Bett hin und her, liest die unheilvollen Lehren aus der Heiligen Schrift, die Geschichten über Sodom und Gomorrha oder den armen Hiob, und ab und zu weint er still in sein Kissen, voller Verzweiflung und Alleine, Niemand ist da, der ihn verstehen würde, Niemand, mit dem er offen reden könnte, nur Theodorus und sein Problem...
"Oh Herr, warum hast du mich mit dieser Bürde belegt? Was habe ich dir getan, dass du mich derart strafst, welche Aufgabe mutest du mir zu?"
Aber Gott in seiner unendlichen Liebe und Weisheit schweigt. Der allmächtige Erschaffer des Alls und seiner Bewohner ist weit weg. Nur die schweigenden Wände des dunklen, kalten Zimmers.