Epicharis fand es amüsant, dass ihre Sklavin sich vor den Tieren verbeugte, doch sie sagte nichts dazu und setzte sich mit Aristides an ihrer Seite in Bewegung, um zum Plateau und damit auch zu den Nachspeisen zu gelangen. Die kleinen Blütenboote würdigte sie nur eines flüchtigen Blickes. „Vielleicht hast du Recht, aber für dich klingt es trivial, während diese Dinge für einen Außenstehenden interessant anmuten“, gab Epicharis zu bedenken, während der Kies leise unter ihren Füßen knirschte. Tigerauge funkelte in der Sonne und Epicharis’ Haar glänzte, was eindeutig Dharas Verdienst war. Diese ganzen Militärangelegenheiten kamen ihr wie die Bücher der Sybille vor, sie verstand kaum ein Wort und konnte nicht nachvollziehen, warum man Regelungen modernisierte und kurze Zeit später wieder rückgängig machte. Die Erzählung, Familien betreffend, ließ Epicharis etwas erschrecken. Nicht, dass sie sich etwas derartiges nicht vorstellen konnte - doch dass es tatsächlich Gang und Gebe war, war doch erschreckend. Sie hätte das niemals für sich billigen können, eine Ehe zu führen ohne den Sitten gemäß verheiratet zu sein. Aristides’ Worte ließen in ihr genau jenen Gedanken aufkeimen von dem er hoffte, sie hätte ihn nicht. Sie warf ihm einen skeptischen Blick zu, verzichtete jedoch darauf, ihn zu fragen, ob auch er eine oder mehrere solcher „Ehen“ führte oder geführt hatte. Immerhin war er ein Patrizier, ein Ehrenmann. Da wäre es fatal, wenn sie ihm dies unterstellte, und es würde die Vertrauensbasis in ihren Grundfesten zerstören, die sich gerade im Aufbau befand. Epicharis wischte den Gedanken also fort und ging nicht darauf ein.
Seine wie nebenbei erwähnte Bemerkung klang da schon sehr viel redenswerter und interessanter, obwohl Aristides sie für belanglos und langweilend hielt. Epicharis blinzelte ihn überrascht an und ging zuerst auf die Wahl ein. „Ein Verlöbnis ist ein Heiratsversprechen, Marcus. Ob die Riten nun in diesem Jahr oder erst im nächsten vollzogen werden, hängt zwar in erster Linie von deinem Austritt aus der Legion und deiner Kandidatur ab, du sollst aber wissen, dass ich mein Wort nicht leichtfertig gebe und warten kann, wenn es nötig ist.“ Dabei nickte sie angedeutet und lächelte flüchtig. Außerdem war dieser Umstand sicher auch ihrem Vater bewusst gewesen, als er sein Einverständnis erteilte, also blieb ihr ohnehin nichts anderes übrig. Wenn sie schon heiraten musste, so wollte sie ihrer Familie Ehre machen, und das würde sie sicherlich nicht, wenn sie ungeduldig und furienhaft war. Nun wollte sie auf den nebenbei erwähnten Satz in Aristides’ Bemerkung antworten, der zudem leicht besorgniserregend war. „Du sagtest, dass das Gerücht eines größeren Einsatzes umgeht? Wie kann das sein, ist denn die Erste Legion nicht für die Sicherung des Kernlandes des Imperiums zuständig?“ fragte Epicharis mit leicht besorgtem Unterton in der Stimme. Ihre Frage mochte ein wenig naiv klingen, doch das verstand sie einfach nicht. Hier in Italien war doch keine große Bedrohung auf dem Vormarsch, welcher große Einsatz sollte denn geschehen?
Während sie das blaue Tor mit den Tiermotiven passiert hatten und weiter auf den verschlungenen Wegen wandelten, kam eine leichte Brise auf, welche Toga und Tunika des Pärchens erfrischend aufbauschte und umspielte. Die widerspenstige Haarsträhne löste sich erneut aus Epicharis’ Frisur, doch sie merkte es nicht. Viel zu sehr war ihre Aufmerksamkeit auf das Gespräch gerichtet, das sich inzwischen wieder um die Spiele drehte. „Cantorix heißt der gute Mann. Wenn du einmal die Zeit findest, werde ich dir seinen Stand auf den Märkten gern zeigen“, versprach sie. „Sicherlich gefällt dem kleinen Serenus auch die Herausforderung im Spiel.“ Dessen war sie sich zwar nicht so sicher, weil der „kleine Serenus“ ihr ziemlich ruppig und impulsiv vorkam, aber es war eine freundliche Geste, ihn zu erwähnen. Epicharis lächelte begeistert, und diese Begeisterung ließ auch ihre Augen strahlen, als Aristides sie nach dem ägyptischen Spiel fragte. „Weder noch. Ich bin seit geraumer Zeit auf der Suche nach einem original ägyptisch anmutenden Spielbrett des Senet. Cantorix bezieht seine Ware bedauerlicherweise nur aus dem Norden, weshalb er Senet nicht im Sortiment hat. Es unterscheidet sich zwar kaum vom Ludus Duodecim Scripta, aber wenn man diese ägyptischen Schritbilder auf dem edlen Holz vor sich hat, so zeichnet das doch ein gänzlich anderes Flair, meinst du nicht?“ Sie schmunzelte und setzte sich. Die drei Sklavinnen hatten erneut mit der Musik eingesetzt, als Aristides und sie um die Ecke gebogen waren, sodass nun erneut liebliche Musik durch den Garten schwebte. Epicharis seufzte verhalten zufrieden auf und legte nun auch die Beine auf die Kline. Derweil hatte man die Speisen mit süßem Allerlei ersetzt. Die Claudierin ließ ihren Blick über das dargebotene Sortiment schweifen und entschied sich ebenfalls für kandierte Rosenblätter, dazu einige Datteln. „Ja, nicht wahr? Ich war auch verwundert. Die Regeln sind wirklich ziemlich komplex, aber das Spielen stellt damit eine Herausforderung dar“, erwiderte sie und biss ein Stück einer Dattel ab.
Einen Moment sann sie über den bisherigen Verlauf des Gesprächs nach und stellte fest, dass sie sich erstaunlich gut mit dem Flavier – ihrem Verlobten – unterhalten konnte. Das war sicherlich nichts selbstverständlich. Epicharis beschloss, erneut das Thema auf ein vorheriges zu schwenken. „Ich würde gern das Orakel zu unserer Verbindung befragen. Es wäre schön, wenn du mitkommen würdest“, sprach sie und warf Aristides einen kurzen Blick zu, ehe ein kandiertes Rosenblatt zwischen ihren Lippen verschwand und sie sich erneut etwas von dem Wein reichen ließ. Die Nachspeisen waren eine klebrige Angelegenheit, weswegen die Sklaven mit den Wasserschalen kaum mehr von der Seite der beiden Patrizier wichen, es aber dennoch verstanden, sich dezent im Hintergrund zu halten. Epicharis lenkte ihren Blick erneut auf die Silhouette der ewigen Stadt. Sie genoss das sich ihr bietende Bild und drückte dies in einem Lächeln aus. „Manchmal vermisse ich Rom, wenn ich in Mantua bin. Gegen die pulsierende Stadt ist Mantua wie ein kleines Provinzstädtchen, jeder kennt jeden und es gibt nicht viel, was man unternehmen könnte.“ Sie wandte sich wieder zu Aristides um. „Eine Reise nach Africa würde mich sehr reizen. Mehr noch als der Schnee im Norden. All die Wildtiere, das fremde Klima und die Lebensweise, das muss herrlich sein. Wie ist Alexandria? Dort gibt es doch eine große Bibliothek, nicht wahr? Warst du einmal dort?“