Die Claudierin sprang auf und machte einige Schritte nach links, bewegte sich dann nach rechts und schien aufgeregt. Wie sollte sie ihn empfangen - sitzend? Stehend? 'Eine Frau muss sich rar machen, Kind, damit des Mannes Interesse größer wird.' Tanta Sagitta und ihre Lebensweisheiten. Und nun, sollte sie tun, als sei sie noch beschäftigt, zwei- oder dreimal noch das Schiffchen wandern lassen, ehe sie sich umwandte und Flavius Aristides willkommen hieß? Oder sollte sie sitzen und ihre Aufmerksamkeit sogleich vollends auf ihn richten? Was war wohl geschickter, was wäre angemessen?
Epicharis merkte, dass sie Angst hatte, etwas zu verbaseln. Dhara half ihr, und Epicharis liebte sie für einen Moment regelrecht für die befehlenden Worte, die ihr an anderer Stelle sicherlich einen scharfen Verweis eingebracht hätten. So setzte sie sich und ließ die viel zu kurze Nackenmassage über sich ergehen, lauschte den beruhigenden Worten seitens der Sklavin und folgte ihr, nun schon etwas entspannter, mit den Augen, als sie eine Knospe brach und ihr ins Haar steckte. Das Kompliment ermutigte sie ebenfalls. Epicharis lächelte flüchtig und schloss die Augen, und unwillkürlich und völlig zusammenhanglos kamen ihr Senecas Worte ins Gedächtnis zurück. 'Dass wir leben', hatte er geschrieben, 'ist ohne Zweifel ein Geschenk der Götter. Dass wir ehrbar leben hingegen, ist ein Geschenk der Philosophie.' Epicharis wollte um jeden Preis ehrbar leben und ihrem Vater keine Schande bereiten, indem sie sich ungeschickt verhielt und eine eventuelle Absprache mit Flavius Aristides wegen seines Desinteresses hinfällig wurde. Noch konnte die Claudierin es nur vermuten, doch sprachen alle Hinweis dafür, dass er es war, den ihr Vater auserkoren hatte. Die Einladung zum Bankett, das großzügige Geschenk auf dem Sklavenmarkt, dass er nun hier war, um sie allein einzuladen...
Dhara war soeben entschwunden und Epicharis erhob sich erneut, machte zwei Schritte vom Webstuhl fort, entschloss sich dann aber anders und setzte sich wieder hin. Schnell strich sie die hellblaue Tunika glatt, tastete über ihr Haar um zu ergründen, ob es noch recht saß und faltete sodann locker die Hände im Schoß. Einen flüchtigen Moment schloss sie die Augen, um sich zu sammeln, sie spürte die wärmende Frühlingssonne auf ihrem Körper und das berühigte sie. Epicharis erschien nun gänzlich gefasst, hatte den Aufruhr in ihrem Inneren und die Angst, etwas falsch zu machen, gänzlich unter Kontrolle und lächelte leicht.
Umso erleichterte war sie, als es der Sklave war - Hannibal? - der nun eintrat und sich tief verbeugte. Epicharis ertappte sich dabei, wie sie kurz den freien Raum hinter dem Sklaven absuchte, um sicher zu gehen, dass es auch wirklich nur er war und nicht auch er die Villa betreten hatte, aber der Flavier blieb verschollen. Epicharis atmete unmerklich auf und konzentrierte sich nun auf den flavischen Sklaven vor ihr, der sich gar vorbildlich verhielt. Seine Haltung war perfekt und seine Worte wohl gewählt. Wenn nur Nordwin auch so wäre, schoss es ihr durch den Kopf und sogleich tadelte sie sich des gedanklichen Ausfluges in dieser Situation. Epicharis schwieg, bis Hannibal geendet hatte. Ihre Miene verriet nichts über die Gedanken, die hinter der Stirn wogten. Er lud sie zu einem Mahl ein, hatte bereits alles arrangiert? Ihre Tunika passte kaum zu einem derartigen Ereignis, die Haare? Vielleicht. Schminke? Nun, sie war durchaus gesellschaftsfähig, aber war sie auch fähig, dieses Mahl zu überstehen? Schnell ging sie ihre Garderobe durch. Die blutrote Tunika, die sie neulich erst erstanden hatte würde vielleicht gehen, aber rot trug man auf der Hochzeit, also wohl besser nicht. Ah, das lindgrüne Stück, dass sie mit dem Tiberier erworben hatte, das würde gehen..
Epicharis bemerkte, dass Hannibal beinahe eine geschlagene Minute auf seine Antwort warten musste, während sie sich gedanklich in kleidungsspezifischen Weiten verlor. Das war nicht recht, und schnell schenkte sie ihm ein strahlenden Lächeln.
"Hannibal! Zuerst möchte ich meine Freude aussprechen, dich unter diesen Umständen wiederzusehen. Dein Herr scheint mir einen guten Geschmack zu haben, was Sklaven anbelangt", lobte sie ihn ehrlicherweise, noch ehe sie etwas zu der Einladung sagte. Sie machte es spannend, indem sie noch einen kleinen Moment so tat, als müsse sie noch überlegen wie die Entscheidung ausfallen würde, sprach dann jedoch weiter. "Teile deinem Herren mit, dass ich seiner Einladung sehr gern zur Stunde folgen werde. Doch wenn er vielleicht noch einen kleinen Augenblick warten würde, bis ich mich habe frisch machen lassen, wäre ich ihm wirklich zu Dank verpflichtet."
Sie überlegte - das war recht neutral und dennoch erfreut, oder? Epicharis entschied für sich, dass die Worte eine gute Wahl gewesen waren, dafür, dass man sie sozusagen überrumpelt hatte. Sie würde die kleinen goldenen Ohrringe tragen. Die, welche so herrlich klimperten und funkelten, wenn die Sonne sie beschien. Und dazu....