Hiermit nehme ich, Aurelia Helena, die Erbschaft meines pater, Titus Aurelius Cicero, und meines patuus, Manius Aurelius Eugenius, an.
Aurelia Helena
Hiermit nehme ich, Aurelia Helena, die Erbschaft meines pater, Titus Aurelius Cicero, und meines patuus, Manius Aurelius Eugenius, an.
Aurelia Helena
Ich bitte um die Eröffnung eines Kontos. Vielen Dank!
Dieser Blick! Helena lief ein heißer Schauer den Rücken hinunter und sie hing an seinen Augen, obwohl sie eigentlich wegsehen wollte. Er konnte nicht ahnen, was er in ihr auslöste, denn obwohl in ihrem Bauch mindestens ein Dutzend Schmetterlinge herumwirbelten hatte sie sich nach außen hin einigermaßen unter Kontrolle. Ihre geröteten Wangen konnten auch gut von dem Thema kommen, über die sie gerade sprachen. Marcus musterte sie als würde er etwas suchen. Was er wohl sah? Seine 17 jährige Cousine, mit der man sich nett unterhalten konnte, oder eine junge reizvolle Frau, die ihm gefiel? Helena konnte sich diese Frage nicht selbst beantworten und sie ihm zu stellen wäre äußerst unpassend gewesen.
Marcus war mittlerweile wieder zu ihr zurückgekommen, nachdem er sich, während sie sprach, an das Fenstersims gelehnt hatte. Er klang aufgewühlt, was auch nur zu verständlich war. Sie wollte ihn gerne trösten, doch sie wusste nicht wie. Er musste das Ganze einfach mal vergessen. Irgendjemand musste ihn daran erinnern, dass das Leben auch schön sein konnte und nicht nur voller Probleme war. Aber war sie die Richtige dafür? Nachdenklich wiegte Helena den Kopf hin und her nachdem er geendet hatte. Das ist alles? Das ist aber ganz schön viel! Doch sie sagte nichts mehr dazu, denn allem Anschein nach wollte Marcus dieses Thema beenden. Das wiederum stellte Helena vor ein weiteres Problem, denn sie wollte nicht das er ging.
"Nun wir können auch gerne über etwas Anderes reden. Auch über mich, wenn du das mit deinen Worten sagen wolltest. Allerdings ist mein Leben im Moment nicht mal annähernd so aufregend wie deins. Möchtest du etwas Bestimmtes wissen?"
Helena lächelte leicht schief und unterdrückte gleichzeitig ein schweres Schlucken. Sie bewegte sich auf dünnem Eis, denn sie hatte so ein ähnliches Gespräch schoneinmal mit Deandra geführt und das war sehr heikel gewesen. Hoffentlich wollte nicht auch Marcus wissen wie es bei ihr mit der Liebe stand, denn sie wusste nicht ob sie die Kraft dazu hatte ihn ebenfalls anzulügen. Aber wenigstens würde er so noch eine Weile bleiben und das war im Moment das Wichtigste. Vielleicht würde er sie ja nochmal so ansehen...
Wieder einmal hatte sie sich in eine Situation manövriert, aus der es keinen Ausweg mehr gab. Helena schluckte schwer und presste die Lippen zusammen, als wolle sie die Worte zurückholen, die ihr gerade über die Lippen gerutscht waren. Natürlich ging das nicht und natürlich hatte Marcus ihre Worte nicht überhört. Obwohl es erst so aussah, denn er sagte eine ganze Weile gar nichts. Allerdings schien er auch nicht sonderlich überrascht zu sein, was Helena wiederum verwunderte. Hatte er vielleicht mit sowas in der Art gerechnet? Oder hatte er sogar schon den gleichen Gedanken gehabt? Zumindest wehrte er sich nicht gegen diese Aussage und das zeigte doch mehr als deutlich, dass in seiner Beziehung mit Deandra nicht alles in Ordnung war.
Seine Frage allerdings erwischte Helena auf dem falschen Fuß. Einen Moment lang starrte sie ihn fassungslos an, bevor sie auf ihre Hände sah. Marcus forderte es ja geradezu heraus, dass sie ihm ihre wahren Gefühle beichtete. Auch wenn das bestimmt nicht das war was er hören wollte. Nun war es Helenas Stirn, auf der sich tiefe Furchen bildeten. Und sie fühlte sich einen Moment lang so hilflos, wie Marcus sich angehört hatte. Er erwartete eine Antwort und sie musste gut überlegen was sie nun sagte.
"Ich...ähm..." Helenas Stimme klang rauh, deswegen räusperte sie sich kurz, bevor sie weitersprach. "Wir kennen uns nun schon sehr lange. Mein ganzes Leben lang um genau zu sein. Früher haben wir uns nicht sehr gut verstanden aber ich wage zu behaupten, dass sich das geändert hat seit ich wieder da bin. Trotzdem weiß ich, dass du ein Mensch bist, der sehr gerne lacht. Das war früher schon so und heute ist es noch genauso. Ich erinner mich da nur zu gerne an unseren Ausflug auf den Markt. Aber seit einiger Zeit...Sag mir, Marcus, wann hast du das letzte Mal gelacht? Aufrichtig und herzlich? Ich sehe dich meistens nur noch mit verschloßener Miene, in dich gekehrt und in Gedanken versunken. Das bist nicht du!" Helena verstummte und biss sich auf die Unterlippe. Doch bevor Marcus antworten konnte redete sie schon weiter. "Ich mag naiv sein, aber ich habe eine ganz bestimmt Vorstellung von einer Beziehung und von der Ehe. Es ist ein ständiges Nehmen und Geben, von beiden Seiten. Nimmt ein Partner nur, dann kann das nicht gutgehen. Du hattest es in der letzten Zeit sehr schwer. Du befürchtest den Anforderungen nicht gerecht zu werden. Wäre es da nicht die Aufgabe einer Frau an deiner Seite zu stehen anstatt zu verschwinden? Sollte sie dich nicht stützen, dir Halt geben anstatt dir nochmehr Sorgen aufzuhalsen? Ich weiß nicht nicht was zwischen euch vorgefallen ist, aber meiner Meinung nach hätte Deandra in dieser Situation zurückstecken müssen. Sie hätte für einen Moment ihre eigenen Wünsche hinten anstellen müssen um dir zu helfen. Das ist nicht zu viel verlangt wenn man jemanden wirklich liebt. Deswegen denke ich, dass sie nicht gut für dich ist."
Erneut schwieg Helena, doch jetzt hob sie den Kopf. In ihren Augen lag ein seltsamer Glanz und ihre Wangen waren leicht gerötet. Ob sie die richtigen Worte gewählt hatte wusste sie nicht, aber das konnte man ja nie wissen.
"Ich jedenfalls würde so handeln."
Helena schüttelte kurz den Kopf als Marcus ihr anbot etwas vom Markt kommen zu lassen. Momentan brauchte sie nichts und auch wenn ihr ein neues Kleid immer eine Freude bereitete, so hatte sie im Moment doch anderes im Kopf. Es berührte sie, dass Marcus sich scheinbar wirklich Sorgen machte. Seine bedrohlich klingenden Worte verdrängte Helena einfach, denn davon wollte sie nichts hören. Vorsichtig stellte sie den Becher zurück auf den Tisch und verschränkte die Hände ineinander. Eigentlich konnte man nicht behaupten, dass sie schüchtern war, doch die Befangenheit in Marcus Gegenwart wollte einfach nicht weichen. Aber auch das würde mit der Zeit vergehen. Sie musste nur geduldig sein.
Es dauerte eine Weile bis Marcus auf ihre Frage antwortete. Er schien ein wenig mit sich zu kämpfen, als wäre er sich nicht sicher, ob er ihr die Wahrheit sagen sollte oder nicht. Das er es schließlich doch tat freute Helena, denn es zeigte ihr, dass er ihr inzwischen wirklich vertraute. Sie schwieg während er sprach und musterte sein Gesicht. Was fühlte er wohl im Moment? Er war verletzt von Deandras Verhalten und sicher auch wütend und, zumindest wenn sie seine Worte richtig deutete auch ein wenig hilflos. Wie auch in Germanien tat es ihr weh ihn so zu sehen, doch diesmal hielt sie sich zurück und vermied jegliche Berührung. Viel war es nicht was er sagte und als er schließlich lächelte konnte sie nicht anders als es zu erwidern.
"Du musst dich nicht bedanken. Ich bin immer für dich da und ich hoffe du weißt das." Wenn es nach mir ginge dein ganzes Leben lang... "Und entschuldigen musst du dich auch nicht. In so einer Situiation handelt wohl jeder ein wenig überreizt. Ich habe dir das nie übel genommen."
Helena nickte bekräftigend und lehnte sich dann ein wenig zurück, um es bequemer zu haben. Marcus hatte trotz allem recht kühl geklungen als er von Deandra gesprochen hatte. Sie hatte eher damit gerechnet, dass er ihr sein Herz ausschütten würde. Lag es wirklich daran, dass er sie nicht belasten wollte oder waren seine Gefühle für seine Verlobte etwa schon abgekühlt? Immerhin hatte er selbst zugegeben, dass es Dinge an Deandra gab, die er nicht leiden konnte. Wie so oft glomm in Helenas Inneren ein kleiner Hoffnungsfunke auf. Marcus Gegenwart sorgte nicht gerade dafür, dass sie dieses Gefühl einfach zur Seite schieben konnte. Sie hing an seinen Augen, die scheinbar bis auf den Grund ihrer Seele sehen konnten. Die Worte verließen ihren Mund, bevor sie auch nur ansatzweise etwas dagegen tun konnte. Ihre Stimme war leise, fast ein Flüstern, aber nicht weniger eindringlich.
"Deandra tut dir nicht gut, Marcus!"
Helena lächelte Marcus entgegen als dieser eintrat und versuchte dabei ihre Unsicherheit zu verbergen. Gegen ein ganz normales Gespräch war nichts einzuwenden, auch wenn es ihr lieber gewesen wäre, wenn noch jemand bei ihnen gewesen wäre. Helena rutschte zur Seite um Marcus Platz zu machen, doch er setzte sich nicht neben sie, sondern zog einen Sessel herbei. Helena schob die leise Enttäuschung die in ihr aufkommen wollte bei Seite. Marcus' Hände waren warm und sie fühlte sich sofort geborgener. Einen Moment blickte sie auf die Hände, bevor sie zu Marcus aufsah.
"Mir geht es gut. Hin und wieder Kopfschmerzen zu haben ist ja nichts bedrohliches. Marina macht sich einfach zu viele Sorgen. Es ist wahrscheinlich einfach nur das Wetter. Aber danke für das Kompliment."
Sie drückte kurz seine Hände und löste sich dann von ihm. Diese Nähe tat ihr nicht gut und sie wollte nicht, dass ihr Cousin etwas davon bemerkte. Helena stand auf, ging an Marcus vorbei und betrachtete das Rosenmosaik. Ob er den Duft wahrgenommen hatte, den sie aufgetragen hatte? In diesem Moment klopfte es erneut leise an der Tür und Dina trat ein. Sie trug einen Krug und zwei Becher, die sie auf dem kleinen Nachttisch abstellte. Danach füllte sie die Becher mit klarem Wasser und verließ den Raum wieder. Helena wäre in dieser Situation Wein lieber gewesen, doch sie sagte nichts. Stattdessen ging sie zum Tisch hinüber und nahm einen Becher in die Hand. Da sie nicht im Stehen trinken wollte, setzte sie sich schließlich wieder. Sie benahm sich unmöglich, doch sie hoffte, dass er es nicht merken würde.
Während sie trank musterte sie Marcus über den Becherrand. Vielleicht lag es am Licht, aber sie meinte dunkle Schatten unter seinen Augen zu sehen. Nun war der Zeitpunkt gekommen um ihn zu fragen wie es ihm ging. Wahrscheinlich erwartete er das sogar. Und dennoch wehrte sich etwas in ihr dagegen. Dieses Thema würde wieder darauf hinauslaufen, dass sie ihn trösten musste. Sie würde ihm sagen müssen, dass es in jeder Beziehung Probleme gab und das sich bestimmt wieder alles einrenken würde. Sie würde erneut lügen müssen! Aber was wäre sie für eine Cousine, wenn sie sein Leiden ignorieren würde. Helena senkte den Becher und sah Marcus in die Augen.
"Du siehst nicht gut aus, Marcus. Hast du immer noch nichts von Deandra gehört?"
Helena schreckte aus ihren Gedanken hoch als es plötzlich an der Tür klopfte. Wahrscheinlich Marina, die sich erkundigen wollte wie es ihrer Herrin ging. Doch statt ihrer Leibsklavin trat Dina ein, eine Sklavin aus der Villa, mit der Helena bis jetzt nicht allzu viel zu tun gehabt hatte. Auf ihren fragenden Blick hin fing Dina an zu sprechen und bei ihren Worten tat Helenas Herz einen Satz. Marcus wollte sie sehen?! Kurz huschte ihr durch den Kopf, ob er vielleicht Gedanken lesen konnte oder gespürt hatte, dass sie an ihn dachte. Doch dann schüttelte sie, fast ärgerlich über sich selbst, den Kopf. Er war ihr Cousin und wie Dina schon gesagt hatte, wollte er sich nur nach ihrem Befinden erkundigen.
"Mir geht es besser, ja. Hilf mir mich anzuziehen. Wartet er schon vor der Tür?"
Dina nickte während sie weiterhin damit beschäftigt war an Helenas Haaren herum zu fummeln. Helena schlug ihre Hand zur Seite und ging zu einer ihrer Truhen hinüber, um einen abolla herauszusuchen. Normalerweise ließ sie sich damit immer etwas Zeit, da sie sehr auf ihre Kleidung achtete, doch diesmal wollte sie Marcus nicht zu lange warten lassen. Dina half ihr dabei und nachdem Helena sich vor ihren Spiegel gesetzt hatte steckte die Sklavin ihre Haare hoch und schminkte sie schnell. Nur bei dem Rouge winkte Helena ab. Wenn sie wirklich wieder rosig aussah, dann brauchte sie das nicht. Zu guter Letzt nahm Helena eine kleine Phiole in die Hand und träufelte etwas Rosenduft auf ihre Handgelenke und ihren Hals.
"Du kannst ihn jetzt herein bitten. Und bring uns etwas zu trinken."
Helena wollte vermeiden, dass Marcus sich noch mehr Sorgen machte, als er wohl ohnehin schon tat. Das leise Pochen war zwar immer noch da, aber das würde sie ihm verschweigen. Er hatte momentan genug andere Problem. Helenas Finger fuhren nervös über den Stoff, doch dann atmete sie tief durch und setzte sich auf den Rand ihres Bettes. Sie schmunzelte leicht als ihr bewusst wurde, dass vor nicht allzulanger Zeit Marcus auf seinem Bett gesessen hatte, während sie ihn besuchte. Auch diesmal konnte sie einem Gespräch nicht aus dem Weg gehen, denn sie würde ihrem Cousin wohl kaum den Zutritt verweigern können. Unter Dinas prüfendem Blick zog Helena den abolla etwas enger um ihren Körper und nickte schließlich. Daraufhin ging die Sklavin zur Tür um sie zu öffnen.
Helena lag auf ihrem Bett, eine Hand auf der Stirn, die Augen geschlossen. Seitdem sie heute morgen aufgestanden war hatte sie Kopfschmerzen, wie so oft in letzter Zeit. Bis jetzt hatte sie sich geweigert sich einzugestehen, dass sie krank war. Marina hatte schon den ein oder anderen bissigen Kommentar zu hören bekommen, als sie ihre Herrin davon zu überzeugen versuchte endlich einen Arzt kommen zu lassen. Seit der Sache mit ihrer Mutter war Helena Ärzten gegenüber eher mißtrauisch. Zudem war es ja auch schon wieder besser geworden. Das schmerzhafte Stechen hinter ihren Augen war zu einem unangenehmen, aber durchaus aushaltbaren Pochen geworden. Bald würde sie nichts mehr davon bemerken. Das war bis jetzt immer so gewesen.
Um sich abzulenken versuchte Helena ihre Gedanken schweifen zu lassen. Sie landeten, wie so oft, bei Marcus. Es ging ihm nicht gut, das wusste sie. Seitdem Deandra verschwunden war sah man ihn eigentlich nur noch selten mit einem Lächeln. Eigentlich sollte Helena sich freuen und irgendwie tat sie das auch. Immerhin konnte ihr doch kaum etwas besseres passieren, als das Marcus und Deandra sich stritten. Doch sie hasste es Marcus so leiden zu sehen. Wahrscheinlich war das den meisten Anderen gar nicht so aufgefallen, aber sie kannte ihn schon lange und hatte ihn in den letzten Wochen noch besser kennen gelernt. Trotzdem hatte sie bis jetzt nichts gesagt. Sie war nicht auf ihn zugegangen, hatte stattdessen meistens weggesehen oder so getan als wäre nichts. Schon bei ihrem letzten Gespräch alleine wäre sie fast schwach geworden und hatte sich zu Dingen hinreißen lassen, die nicht hätten passieren dürfen. Sie musste Marcus aus dem Weg gehen, egal wie schwer ihr das fiel.
Mit einem Seufzen richtete Helena sich auf und blieb erst einmal still sitzen. Vorsichtig bewegte sie den Kopf hin und her, doch der erwartete heftige Schmerz blieb aus. Sie lächelte leicht und stellte die nackten Füße auf den Boden. Sie trug nur ein leichtes dünnes Nachtkleid, da sie sich nicht angezogen hinlegen wollte, falls sie einschlief. Der weiche Stoff raschelte leicht als sie aufstand und zum Fenster hinüber ging. Bevor sie sich hingelegt hatte, hatte Marina die Vorhänge zugezogen, da das helle Licht in Helenas Augen geschmerzt hatte. Jetzt jedoch kam ihr die Dunkelheit bedrückend vor. Nachdem sie die schweren Vorhänge zur Seite gezogen hatte schloß sie erneut die Augen und genoss die Sonnenstrahlen, die ihr ins Gesicht fielen. Ihre Gedanken weilten jedoch immer noch bei Marcus. Was er wohl gerade tat?
Helena konnte Marcus Reaktion nicht sehen, da sie ihm immer noch den Rücken zugedreht hatte. Sie hatte die Schultern ein wenig hochgezogen, in Erwartung des folgenden Donnerwetters, und starrte auf das große Wandbild. Was dort abgebildet war sah sie allerdings nicht, denn ihre Sinne waren auf die Person gerichtet, die hinter ihr auf dem Bett saß. Ein Weile kam überhaupt keine Reaktion. Marcus schrie sie nicht wieder an, wie sie es erwartet hatte. Helena wandte den Kopf, doch da sie sich vom Bett entfernt hatte konnte sie sein Gesicht nicht sehen. Hatte er überhaupt verstanden was sie ihm sagen wollte? Sie wollte ihn nicht verletzten. Es war einfach das Einzige gewesen was ihr in diesem Moment richtig vorkam.
Dann jedoch sagte er doch etwas und sorgte damit dafür, dass Helenas Herz sich schmerzhaft zusammenzog. Er schmiß sie raus. Wahrscheinlich konnte er ihre Nähe einfach nicht mehr ertragen. Helena starrte auf den Schatten in dem Marcus saß und nickte dann langsam. Wortlos wandte sie sich ab und verließ das Zimmer. Nachdem sie vorsichtig die Tür hinter sich geschloßen hatte drang ein verzweifeltes Seufzen über ihre Lippen. Die Tränen, die sich nun ihren Weg bahnen wollten wischte sie ärgerlich zur Seite. Das wäre ja noch schöner wenn ein Sklave sie so sehen wüde. Obwohl sie immer noch nicht wirklich etwas gegessen hatte, war ihr Hunger verflogen. Sie konnte sich nicht vorstellen jetzt hinunter zu gehen und so zu tun, als wäre nichts passiert. Stattdessen lief sie eilig über den Gang und verschwand in ihrem Zimmer.
Ihr Bettsah auf einmal so einladend aus. Helena ließ sich auf die weichen Decken fallen und schloß die Augen. Hätte sie vielleicht doch anders reagieren sollen? Was, wenn Marcus nun so wütend auf sie war, dass er nicht merh mit ihr sprechen würde? Aber vielleicht war das auch ganz gut so, denn ein wenig Abstand konnte nicht schaden. In diesem Moment konnte Helena sich nicht vorstellen irgendwann wieder normal mit Marcus zu sprechen. Vielleicht sollte sie zurück nach Spanien gehen. Ihre Tante würde sich sicher freuen. Über diese Gedanken schlief Helena schließlich ein. Allerdings war es kein sehr erholsamer Schlaf.
Helena grinste ebenfalls als sie vor ihrem inneren Auge eine füllige Deandra sah. Das war eigentlich vollkommen unvorstellbar, denn Deandra war keine Frau, die sich gehen lassen würde. Marcus folgende Worte waren da schon viel interessanter. Eine gutaussehende und intelligente Frau...traf das denn nicht auch auf die zu? Helena runzelte die Stirn und hätte dann fast genickt, doch sie konnte sich gerade noch zurückhalten. Marcus musste ja nicht unbedingt mitbekommen worüber sie nachdachte. Seine nächste Frage sorgte allerdings dafür, dass sie kurz stolperte. Mit einem entschuldigenden Lächeln sah sie zu Marcus hoch und wandte den Blick dann wieder nach vorne. Ja, sie hatte sich dieses Fettnäpfchen selbst gestellt und war mit ihren schön beschuhten Füßen genau hineingetreten.
"Nun, darüber habe ich noch gar nicht so genau nachgedacht..."
Doch glücklicherweise lenkte Marcus selbst von diesem Thema wieder ab. Zumindest insofern, dass sie nicht auf seine Frage antworten musste. Natürlich war er noch nie bei einer sogenannten germanischen Hexe. Das hätte sie auch sehr gewundert. Allerdings hörte sie mit gespitzten Ohren seine nächsten Worte. Es gab also sojemanden hier in der Nähe. War sie wirklich so verzweifelt, dass sie darüber nachdenken würde? Aber woher sollte sie wissen, dass ein sogenannter Liebeszauber auch wirken würde? Alles Hokuspokus, so hatte Marcus es genannt und eigentlich stimmte sie ihm da zu. Doch es gab manchmal Situationen, in denen man seine Ansichten änderte. Marcus' nächsten Worte sorgten dafür, dass sie wieder leicht errötete. Wenn du wüsstest... Nach außen hin aber versuchte sie sich an einem empörten Gesichstausdruck und schüttelte vehement den Kopf.
"Es gibt keinen Glücklichen!" Ohne das sie es eigentlich wirklich wollte fügte sie noch einn Satz an. "Außerdem würdest du es doch sicher merken, wenn ich verliebt wäre, nicht wahr?"
Warum hatte sie das jetzt gefragt? Helena wusste es selbst nicht so genau. Doch das Glück war wieder auf ihrer Seite, denn in diesem Moment machte Marcus sie auf einen Stand mit hübschen Schmuckstücken hinüber. Helena trat näher und ignorierte dabei die lautstark vorgetragenen Verhandlungsküste der Standbesitzerin. Einige von den Ketten waren wirklich schön und schließlich hielt Helena eine hoch, an der ein kleiner Berstein befestigt war. In dem Bernstein konnte man ein Insekt erkennen, auch wenn sie nicht sofort erkennen konnte worum es sich handelte.
"Sieh mal, das ist doch hübsch, oder?"
Sie wählte die falschen Worte, dass konnte sie an seinem Gesichtsausdruck sehen. Doch nun war es zu spät, denn die Worte waren heraus. Wie schon zu Anfang, als sie in das Zimmer getreten war machte sich ein ungutes Gefühl in ihr breit. Sie wusste nunmal nicht wie man sich in so einer Situation verhalten musste. Auf ihr Herz war jedenfalls kein Verlass, denn das hatte ja dafür gesorgt, dass sie diesen Fehler begangen hatte. Eine Weile sagte Marcus gar nichts, sondern starrte nur, fast ein wenig verwirrt, auf seine Hand hinunter, die Helena ergriffen hatte. Nunja, immerhin ließ er es zu, dass sie ihn berührte. So falsch war ihr Verhalten wohl doch nicht. Doch dann zog er ruckartig seine Hand fort, mit einem Gesichtsausdruck, der Helena einen schmerzhaften Stich versetzte. Und dem nicht genug, schrie er sie plötzlich an. Bei der heftigen Bewegung, mit der er die Esskastanie in die Ecke warf zuckte Helena so zusammen, dass sie fast die Schale hätte fallen lassen, die sie immer noch hielt.
"Ich...also..."
Verwirrt, verständnislos und ein wenig ängstlich sah sie Marcus an. Es war lange her, dass jemand sie angeschrien hatte. Ihre Hände zitterten, so dass sie sich geradezu an die Schale klammerte. ES ging also gar nicht nur um seine Mutter. Auch sein Vater war von ihm gegangen, da er ohne seine Frau nicht mehr leben konnte. Das hatte sie nicht erwartet...Sie sollte verschwinden und zwar sofort. Es war ein Fehler gewesen hier her zu kommen. Wie war sie bloß auf die Idee gekommen, dass er sich von ihr trösten lassen würde? Marcus war mittlerweile wieder ruhiger geworden, doch Helena rutschte trotzdem ein Stück von ihm fort, zumindest so weit es die Bettkante zuließ. Er war ihr mit einem Mal so fremd. Sie lauschte seinen Worten, sagte aber ersteinmal gar nichts. Vielleicht sollte sie wirklich einfach schweigen, denn momentan hatte sie das Gefühl, dass alles was sie sagte nicht richtig war. Sie konnte ihn verstehen, sehr gut sogar und trotzdem erwiderte sie nichts. Seine Verzweiflung konnte sie ihm nicht nehmen. Jetzt nicht, und später auch nicht. Sie hatte kaum einen Platz in seinem Leben.
Nun war es Marcus, der Helenas Hand nahm. Diesmal jedoch konnte sie es aus irgendeinem Grund nicht ertragen. Sie löste sich von ihm und stand auf. Etwas zu schnell, denn eine der Kastanien hüpfte aus der Schale und landete auf dem Boden. Helena sah ihr hinterher und stellte die Schale dann dort ab, wo sie zuvor noch gesessen hatte. Dann entfernte sie sich ein Stück vom Bett und blieb mit dem Rücken zu Marcus stehen. Da immer noch kein Licht im Zimmer brannte konnte er sie wohl kaum noch sehen. Und das war beabsichtigt. Wenn sie ihn schon nicht trösten konnte, dann konnte sie ihn vielleicht wenigstens wachrütteln. Wahrscheinlich würde er sehr wütend werden, aber Helena wusste sich einfach nicht weiter zu helfen. In ihren Augen bildeten sich Tränen, als ihr bewusst wurde, dass er sie nie so sehen würde, wie sie ihn sah. Als sie nun endlich die Stimme erhob versuchte sie ihr einen harten Klang zu geben.
"Hörst du dich eigentlich selbst reden? Du versinkst in Selbstmittleid, Marcus. Bis jetzt hattest du kein Problem damit die Verantwortung für deine Familienmitglieder zu übernehmen. Im Gegenteil, ich hatte sogar das Gefühl dass es dir Freude bereitet. Und jetzt hat sich von einem Tag auf den Anderen plötzlich alles geändert? Das kann ich kaum glauben. Du bist nicht allein, aber du wirst allein sein, wenn du niemanden an dich heran lässt. Niemand will dir deine Trauer nehmen, denn Trauer hilft über den Schmerz hinweg zu kommen. Aber lass dich nicht so gehen. Was glaubst du würde dein Vater dazu sagen, wenn er dich so sehen könnte?"
Spendabel? Spendabel war gut, denn Helena hatte einen recht erlesenen Geschmack. Aber das kannte Marcu sicher von den anderen Frauen in seiner Umgebung, denn auch Deandra sah nicht so aus, als würde sie sich mit gewöhnlichen Kleidern abspeisen lassen. Trotzdem freute Helena sich über Marcus Angebot und sie schwor sich, dass sie sich zurückhalten würde. Zumindest soweit das möglich war. Die Kastanien schmeckten sehr gut und während Helena sie genüßlich verspeiste schlenderten sie weiter über den Markt. Marcus Lachen war ansteckend und soweit sich Helena erinnern konnte war sie schon lange nicht mehr so ausgelassen gewesen. Es galt nun diesen Moment zu genießen, denn ihr Cousin hatte sicher nicht oft die Gelegenheit seine Freizeit mit ihr zu verbringen.
Bei der Anspielung auf die fülligen Damen der germanischen Gesellschaft machte Helena ein empörtes Gesicht und stieß Marcus spielerisch in die Seite. Bei dem anschließenden Kompliment errötete sie leicht und steckte sich dann wie zur Demonstration, dass sie nicht auf ihre Figur achten musste, eine der Kastanien in den Mund. Es dauerte einen Moment bevor sie nun wieder sprechen konnte.
"Da muss Deandra ja aufpassen, dass dir die 'fülligen' germanischen Frauen nicht irgendwann mehr zusagen, als die 'dürren' Römerinnen. Vielleicht solltest du ihr auch eine paar Kastanien mitbringen?"
Nun zwinkerte sie ebenfalls und wedelte dann mit einer Hand eine Fliege fort, die sich ihrem Gesicht nähern wollte. Wenn Marcus wirklich auf den Viehmarkt wollte, dann hätte sie ihren Fächer mitnehmen sollen. Der lag nur leider in ihrem Zimmer. Marcus dachte auch gar nicht daran dieses Thema weiter zu vertiefen. Stattdessen lenkte er ab, indem er wieder von ihrer Schwester sprach. Leider war dieses Thema ebenso wichtig, so dass Helena es nicht einfach übergehen konnte. Die Idee mit dem Wolf hatte etwas für sich, auch wenn Marcus das sicher nur zum Spaß gesagt hätte. Zumindest aber würde Sisenna damit reichlich Aufsehen erregen. Helena schlug sich diesen Gedanken aus dem Kopf, auch wenn sie darüber schmunzeln musste.
"Ein Amulett hört sich doch gut an. Wir glauben vielleicht nicht an diesen Hokuspokus wie du ihn nennst, aber meine kleine Schwester lässt sich mit Sicherheit dafür begeistern. Und vielleicht steckt doch mehr dahinter als wir ahnen. Hast du es schonmal ausprobiert? Einen Liebeszauber vielleicht? Nicht das du es nötig hättest."
Es ging also wirklich um seine Mutter. Zwar hatte Marcus das nicht direkt erwähnt, aber der Brief von dem er sprach konnte nur das bedeuten. Er hatte Nachricht über den Tod seiner Mutter bekommen. Helena spürte wie sich ihr Herz erneut zusammenkrampfte. Erinnerungen durchfluteten sie. Sie dachte an den Moment an dem man ihr gesagt hatte, dass ihre Mutter von ihnen gegangen war. Wie gut konnte sie Marcus Verhalten in diesem Moment nachvollziehen. Auch sie war untröstlich gewesen und hatte sich tagelang in ihrem Zimmer eingegraben. Helena versuchte diese Gedanken zu verdrängen. Mittlerweile war sie über den Tod ihrer Mut einigermaßen hinweg. Zudem war sie hier um Marcus zu helfen und dabei waren ihre eigenen Gefühle nebensächlich. Dir richtigen Worte zu finden war schwierig, zumal Helena noch nie in so einer Situation gewesen war. Sie fühlte sich hilflos und beschloß schließlich einfach ihrem Herzen zu folgen.
"Es tut mir sehr leid, Marcus. Ich weiß, wie du dich jetzt fühlst. Aber durch den Brief ist dein Leben nicht zu Ende, auch wenn es im Moment für dich so aussieht. Es gibt immer noch Menschen, die dich lieben und denen du viel bedeutest."
Helena verstummte und biss sich auf die Unterlippe. Vielleicht war es doch nicht so ratsam nur auf das eigenen Herz zu hören. Sie wollte ihn nicht auch noch mit ihren eigenen Problemen belasten. Trotzdem fiel es ihr unheimlich schwer Marcus so zu sehen. Sie mochte seine offene und fröhliche Art. Momentan war er nur ein Schatten seiner Selbst. Da er seinen Blick gesenkt hatte konnte sie ihn ohne Gefahr mustern. Der Glanz war aus seinen Augen verschwunden und hatte einer Verzweiflung Platz gemacht, die sie nur zu gerne wieder vertreiben würde. Vorsichtig und unendlich langsam hob sie eine Hand und schloß sie sanft um seine, die die Esskastanie hielt. Noch immer wusste sie nicht, wie er auf eine Berührung ihrerseits reagieren würde. Sie hatte das Gefühl, dass Marcus ganzer Körper momentan unter Spannung stand und wenn er es nicht schaffte sich zumindest ein wenig zu entspannen, würde er über kurz oder lang zusammenbrechen. Eigentlich war sie nicht die Richtige um ihm beizustehen. Das müsste Deandra tun, aber aus irgendeinem Grund wollte er sie nicht sehen. Stattdessen duldete er ihre Gegenwart und vielleicht sogar ihre Berührung.
"Du darfst dir nicht die Schuld an dem geben was passiert ist. Deine Mutter war krank, schwer krank und du hättest ihr nicht helfen können, selbst wenn du bei ihr gewesen wärst. Ich weiß, dass ist schwer zu verstehen und noch viel schwerer zu akzeptieren. Das du trauerst ist verständlich, aber gib dich deswegen nicht auf. Wir brauchen dich! Ich brauche dich..."
Ihre Stimme war bei den letzten Worten so leise geworden, dass sie noch nicht einmal sicher war, dass Marcus sie gehört hatte. Ihr Daumen fuhr zärtlich über seinen Handrücken und sie versuchte etwas von der Kraft, die sie in sich verspürte auf ihn zu übertragen. Immer noch war sie unsicher, was Marcus nun von ihr erwartete. Aber wahrscheinlich erwartete er überhaupt nichts. Immerhin war sie zu ihm gekommen und nicht umgekehrt. Trotzdem wünschte Helena sich, dass er ihr wenigstens ein Zeichen geben würde, dass er sich über ihre Anwesenheit freute.
Eine Weile lang reagierte Marcus überhaupt nicht. Helena fragte sich schon, ob er sie überhaupt gehört hatte. Doch dann rührte er sich und drehte sich langsam zu ihr um. Sie war erschrocken über den Ausdruck in seinen Augen, doch sie bemühte sich das Lächeln nicht zu verlieren. Marcus schwieg auch weiterhin und Helena begann sich langsam unwohl zu fühlen. Sie kannte ihn nicht sehr gut, aber sie wusste, dass er eigentlich sehr redseelig war. Das er sie nun einfach nur anstarrte machte sie nervös. Helena überlegte gerade, ob sie nicht vielleicht soch besser wieder gehen sollte, als er eine Hand hob und eine der Esskastanien nahm. Ihre Augen leuchteten kurz erfreut auf, denn obwohl er sie nicht aß war es doch ein kleiner Sieg für sie. Und er schickte sie auch nicht hinaus, wie er es bei Deandra getan hatte.
Die Frage, die er ihr dann allerdings stellte kam so überraschend, dass Helena scharf die Luft zwischen den Zähnen einsog. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen, zum Teil aufgrund der Erinnerungen, die plötzlich über sie hineinbrachen, zum Anderen da Marcus Stimme so voller Angst war. Diesmal war sie es die eine Weile schwieg, die Schüssel fest umklammert. Es war schon Jahre her, dass ihre Mutter an Wundbrand gestorben war. Ein harmloser kleiner Schnitt war ihr zum Verhängnis geworden. Ihre Mutter war eine stolze und starke Frau gewesen. So stolz, dass sie erst geklangt hatte, als es schon zu spät war. Auch die Ärzte konnten ihr nicht mehr helfen. Helena senkte die Augen auf die Bettkante und blinzelte ein paar Mal. Sie bemühte sich nicht zu oft an ihre Mutter zu denken, doch diesmal hatte sie die Mauer um sich herum nicht aufbauen können. Dafür war die Frage viel zu plötzlich gekommen.
"Natürlich denke ich oft an sie. Auch wenn ich mich bemühe diese Gedanken von mir fern zu halten. Es tut weh, weißt du. Aber Nachts, kurz vor dem Einschlafen ist man fast wehrlos gegen die Erinnerungen. Und gegen die Träume kann man eh nichts tun." Helena stockte und sah dann zu Marcus hoch. Das Lächeln war verschwunden, doch in ihren Augen lag ein warmer Glanz. "Aber es wird besser, Marcus. Anfangs erinnert man sich nur an die letzten schlimmen Tage. Doch dann erinnert man sich auch an die schönen Ereignisse. Ein zufälliger Duft oder eine Blume, ein Lachen...die Auslöser sind meistens recht einfach. Die Jahre zusammen mit meiner Mutter überwiegen ihre letzten Tage. Und es gibt soviel Schönes an das man denken kann." Erneut verstummte Helena und seufzte leise. Es dauerte einige Augenblicke, bevor sie den Mut aufbrachte die nächste Frage zu stellen. Wieso fragst du mich das?"
Den Grund dafür konnte sie sich mittlerweile gut vorstellen. Seine Frage in Verbindung mit der Nachricht, dass es seiner Mutter schlecht ging. Von Anfang an, als sie von der Sklavin von Marcus Benehmen gehört hatte, hatte sie daran gedacht. Aber sie hatte gehofft, dass es einen anderen Grund gab. Helena hoffte nur, dass sie sich nun nicht zu weit herausgewagt hatte. Sie wollte Marcus nicht verletzten, sie wollte ihm helfen, soweit ihr das möglich war. Die Hand, die die Marone hielt lag ganz in ihrer Nähe. Wie gerne hatte Helena ihn berührt, aber sie hielt sich zurück. Wenn er ihre Nähe brauchte, würde er auf sie zukommen.
Es kam keine Antwort. Helena starrte ihrerseits weiterhin auf die Tür, die sich nicht öffnen wollte und die Unruhe in ihrem Inneren wurde stärker. Sie wusste, dass Marcus da sein musste. Immerhin hatte die Sklavin ihr gerade noch erzählt, dass sie mit ihm gesprochen hatte. Helena konnte sich nicht vorstellen, dass er innerhalb der wenigen Minuten sein Zimmer verlassen hatte. War ihm vielleicht etwas zugestoßen? Helena schluckte und rang mit sich selbst. Es war unhöflich ein Zimmer zu betreten ohne dazu aufgefordert worden zu sein. Doch mittlerweile machte sie sich wirklich Sorgen und Marcus würde das mit Sicherheit verstehen.
Helenas Hand ruhte einen Moment über dem Riegel, der die Tür verschloß, bis sie sich einen Ruck gab und sie vorsichtig öffnete. Als Erstes bemerkte sie, dass die Inneneinrichtung heil war. Und es war recht dunkel. Mittlerweile war der Abend hereingebrochen und niemand hatte eine Kerze angezündet. War vielleicht doch niemand da? Doch dann bemerkte Helena eine leichte Bewegung auf dem Bett. In dem dämmrigen Licht erkannte sie nur einen Schemen, aber es musste sich um Marcus handeln. Wieder stockte sie in ihrer Bewegung und ihr wurde ein wenig mulmig. Warum saß er im Dunkeln? Dann jedoch trat sie ein Stück vor, auf das Bett zu und versuchte etwas Genaueres zu erkennen. Marcus hatte sich nur in eine Decke gewickelt und sein Blick gefiel ihr überhaupt nicht. Sie meinte Verzweiflung zu erkennen und Schmerz. Großen Schmerz.
Die Sorge musste ihr ins Gesicht geschrieben stehen, als sie an die Kante des Bettes trat. Da er bis jetzt noch nichts gesagt hatte wusste Helena nicht ob ihm ihre Anwesenheit unangenehm war. Sie leiß sich zwar auf der Bettkante nieder, sorgte aber dafür, dass sie ihn nicht berührte. Helena wusste, dass jeder Mensch anders auf Schmerz reagierte. Manche wollten getröstet und umarmt werden, andere konnten in diesem Moment Berührungen nicht ertragen. Sie wollte Marcus auf keinen Fall bedrängen. Ihr Blick fiel auf das Tablett mit den Köstlichkeiten, das die Sklavin auf den kleinen Beistelltisch gestellt hatte. Plötzlich kam sie sich mit ihren Esskastanien idiotisch vor, doch nun gab es kein Zurück mehr.
"Erinnerst du dich an unseren Einkaufsbummel auf dem Markt? Wenn ich mich richtig erinnere konntest du von den Maroni gar nicht genug bekommen."
Helenas Stimme klang sanft und ein leichtes Lächeln lag auf ihren Lippen. Da der kleine Tisch belegt war hielt sie die Schale in den Händen, in der Hoffnung, dass der Duft bis zu Marcus durchdringen würde. Sie fragte ihn absichtlich nicht was passiert war. Natürlich war sie neugierig und besorgt, aber sie würde ihn nicht drängen. Falls er darüber reden wollte war sie da, falls nicht sollte er sich von ihr nicht dazu gezwungen fühlen. Helena bemühte sich nicht dorthin zu starren, wo die Decke einen schmalen Einblick auf seine nackte Haut zuließ. Die Situation kam ihr seltsam irreal vor. Jetzt konnte sie nichts weiter machen als abzuwarten.
Wann war Helena eigentlich das letzte Mal im Tempel gewesen? Sicher, sie betete viel, aber eben nur zu Hause. In Spanien? Ja, daran konnte sie sich erinnern. Scheinbar war das zu lange her und die Götter zürnten ihr nun. Anders konnte sich Helena nicht erklären, warum Deandra scheinbar so auf dieses heikle Thema beharrte, obwohl sie versucht hatte abzulenken. Sie spürte Deandras Blick auf sich ruhen. Natürlich wartete sie auf eine Antwort. Vielleicht sollte sie ihr einfach die Wahrheit sagen. Aber nein, das konnte sie nicht tun. Zum einen würde es spätestens eine Viertelstunde später Marcus wissen und zum anderen...Deandra hatte gerade so glücklich ausgesehen als sie von Marcus gesprochen hatte. Allem Anschein nach war sie doch nicht so skrupellos wie sie es gerne wäre.
"Ja, ich war schon einmal verliebt. Unglücklich verliebt, denn er liebte eine Andere. Ich...möchte ungerne darüber sprechen."
Helena musste sich noch nicht einmal verstellen, um den Eindruck zu vermitteln, dass ihr dieses Thema unangenehm war. Mit Sicherheit hatte Deandra einen guten Grund dafür, warum sie ihr diese Frage gestellt hatte. Aber eigentlich wollte Helena diesen Grund überhaupt nicht erfahren. Ihr Blick wanderte zu den mittlerweile wieder fleißig arbeitenden Sklaven. Vielleicht hielt die Nähe der Arbeiter Deandra davon ab weiter über dieses Thema zu reden? Um erneut abzulenken beschloß Helena, auf Deandras vorherige Frage einzugehen.
"Und natürlich glaube ich nicht wirklich, dass du dich von einer Sklavin bedroht fühlst. Es tut mir leid, falls ich dich damit beleidigt habe. Das war nicht meine Absicht."
Bei diesen Worten wandte sie sich wieder an Deandra und schenkte ihr ein unschuldiges Lächeln. Sie hatte es wirklich nicht darauf angelegt Deandra in irgendeiner Art und Weise zu beleidigen. Helena musste zugeben, dass sie von Liebe und den ganzen dazugehörigen Verwicklungen keine Ahnung hatte. Ihr Vater hätte das sicherlich sehr begrüßt. Normalerweise verlagte Helena von ihren Gesprächspartnern, dass sie sie als vollwertig und erwachsen ansahen. Jetzt allerdings wäre es ihr fast lieber gewesen, wenn Deandra sie zu jung für dieses Thema gehalten hätte.
Helena war kurz davor der Sklavin entgegen zu gehen, doch gerade als sie sich dazu entschloßen hatte hörte sie eilige Schritte auf der Treppe. Mit einer leicht dampfenden Schüssel in der Hand erreichte die Sklavin das Ende der Treppe und Helena warf einen prüfenden Blick auf die Esskastanien. Sie wusste nicht, ob diese kleine Geste Marcus aufmuntern würde, aber sie konnte sich zumindest noch gut daran erinnern, dass er sie auf dem Markt mit genuß gegessen hatte. Wenn er im Moment nichts Handfestes zu sich nehmen wollte, so könnte ihm doch die Maroni schmecken. Auf die Frage der Sklavin hin nahm Helena ihr die Schüssel ab und lächelte kurz.
"Danke, aber ich brauche deine Hilfe jetzt nicht mehr. Obwohl, mein Zimmer müsste aufgeräumt werden. Geh Marina dabei zur Hand. Bis ich heute schlafen gehe sollte erledigt sein."
Mit diesen Worten und den Esskastanien machte Helena sich auf den Weg zu Marcus. Sie wusste von der Sklavin bis jetzt nur, dass er sehr schlecht gelaunt war und irgendetwas passiert sein musste. Möglicherweise war ihre Mühe umsonst, aber sie wäre nicht seine Cousine, wenn sie es nicht wenigstens versuchen würde. Ihr Herz klopfte ein wenig schneller, als die Tür zu seinem Cubiculum in Sicht kam. Kurz davor blieb sie noch einmal stehen und atmete tief durch. An sich konnte ja nichts passieren. Schlimmstenfalls würde Marcus sie wegschicken, ohne ihr die Chance zu geben auch nur ein Wort zu sagen. Die Schüssel auf einer Hand balacierend klopfte sie leise an.
"Marcus? Ich bin es, Helena. Bitte, lass mich hinein!"
Den Blick starr auf das Holz gerichtet überlegte Helena, was dahinter gerade vorgehen mochte. Auch wenn die Sklavin nicht ausgesprochen hatte, wusste Helena nur zu gut was sie gemeint hatte. Innerlich machte sie darauf gefasst, dass sämtliche Inneneinrichtung zerlegt war und sie Marcus mitten im Chaos antreffen würde. Mit klopfendem Herzen wartete Helena auf eine Antwort. Er musste einfach mit ihr reden. Egal was passiert war, mit irgendjemandem musste man sich austauschen. Deandra hatte er ja nun schon weggeschickt...
Bei den Worten der Sklavin machte sich sofort ein besorgter Ausdruck in Helenas Augen breit. Nein, sie hatte noch nichts gehört, denn sie war an diesem Tag mehr in ihrem Zimmer gewesen als anderswo. Eine ihrer Augenbrauen wanderte warnend nach oben als die Frau fröhlich vor sich hinplapperte. Sie konnte sich denken was die Sklavin sagen wollte bevor sie sich unterbrach und es gefiel ihr überhaupt nicht, dass sie so über ihren Herrn dachte. Doch diesmal ging sie darauf nicht ein, denn viel wichtiger war zu erfahren, was mit Macus los war. Das er sogar Deandra hinausgeschmissen hatte schockierte sie, obwohl es sie eigentlich freuen sollte. Aber es zeigte eindeutig, dass etwas sehr Schlimmes passiert sein musste. Und essen wollte er auch nicht. Marcus war kein Mann, der einfach so eine Mahlzeit verweigerte. Bei der Frage der Sklavin überlegte Helena einen Moment und nickte dann.
"Ja, du kannst mir etwas bringen. Haben wir Maroni im Haus? Wenn ja, mach zwei Portionen fertig. Ich warte so lange."
Es war nur eine Idee und Helena wusste nicht, ob es funktionieren würde. Bei ihrem Besuch auf dem Markt hatte Marcus sie zumindest sehr gerne gegessen und vielleicht schätze er diese einfache Geste. Ob er allerdings mit ihr reden würde war fraglich. Wenn schon Deandra nicht an ihn herankam, warum sollte er sich ihr gegenüber dann öffnen? Allerdings hatte er schon einmal mit ihr das Gespräch gesucht als er ein Problem gehabt hatte. Vielleicht fiel es ihm einfacher mit ihr zu reden als mit Deandra. Versuchen würde sie es auf jeden Fall. Die Sklavin war mittlerweile eilig verschwunden und Helena hoffte, dass sie nicht erst zum Markt rennen musste um ihren Wunsch zu erfüllen.
Da sie nicht stillstehen konnte begann Helena auf dem Gang auf und ab zu gehen. Was könnte Marcus so aus dem Gleichgewicht gebracht haben? Vielleicht brachte sein neuer Posten Ärger, doch irgendwie konnte sie sich nicht vorstellen, dass ihn das so aufregte. Oder hatte sich das Problem mit Deandra doch nicht geregelt? Aber auch das konnte nicht sein, denn sonst hätte Deandra sicher nicht so gestrahlt als sie von Marcus erzählt hatte. Plötzlich hielt sie inne und ihre Augen weiten sich ein wenig. Hatte er etwa eine weitere Nachricht über den Zustand seiner Mutter bekommen? Oder sogar eine Nachricht über ihren Tod? Immerhin hatte er verlauten lassen, dass es ihr nicht gut ging. Bitte! Lass es das nicht sein! Helenas Blick wanderte zur Treppe. Wo blieb die Sklavin nur?
Entgegen ihrer Vermutung antwortete Deandra auf die Frage nach Camryn. Wahrscheinlich ging es ihr dabei aber einfach nur genauso wie Helena: Sie war froh sich endlich mal mit einer zumindest einigermaßen Gleichgesinnten zu unterhalten, auch wenn man sich noch nicht wirklich gut kannte. Zumindest aber schien ihre Frage Deandra auf dem falschen Fuß zu erwischen. Sie brauchte eine Weile bis sie antwortete und sie meinte ein kurzes, verwirrtes Blitzen in ihren Augen gesehen zu haben. Doch da war Helena sich nicht sicher. Das was Deandra schließlich sagte verfolgte Helena mit großem Interesse. Bei der Bemerkung, dass es ihr nicht Leid tat schmunzelte Helena und nickte leicht. Das hatte sie auch nicht erwartete. Zudem konnte sie Deandra verstehen, nachdem sie nun hörte was Camryn sich geleistet hatte. Natürlich hatte das Deandra wütend gemacht, doch Helena fand, das sie sich trotzdem hätte beherrschen müssen. Aber so wie es aussah hatte sie das mittlerweile selbst eingesehen.
"Nun ja, verletzte Gefühle können einen Menschen schon einmal dazu bringen Dinge zu tun oder zu sagen, die sie hinterher bereuen. Ich will Camryn auf keinen Fall in Schutz nehmen, aber ich glaube, dass sie mehr für Marcus empfindet, als sie dürfte." Helena musterte nachdenklich einen braunen Vogel, der in der Nähe im Rasen herumpickte. "Sie wird dir nie gefährlich werden, aber ich denke das weißt du. Trotzdem ist es sicher nicht einfach mit der Frau unter einem Dach zu leben, die mit Marcus das Bett geteilt hat. Ich kann deinen Gefühlsausbruch verstehen. Vielleicht hätte ich sogar so ähnlich gehandelt. Feuriges Temperament lässt sich manchmal nur schwer zügeln."
Innerlich schüttelte sie den Kopf über dieses Gespräch. Marcus war treu, ja davon war sie auch überzeugt. Und trotzdem hoffte sie ein wenig, dass es doch anders war. Er hatte ihr selbst erzählt, dass er früher ein sehr ausschweifendes Leben geführt hatte. Konnte man das einfach von jetzt auf gleich beenden? Marcus hatte sich verändert, zumindest hatte er ihr das so erzählt, aber hieß eine Veränderung auch, dass man auf Spaß verzichtete? Da sie zu lange weg gewesen war um das zu beurteilen hatte es eigentlich keinen Sinn sich darüber Gedanken zu machen. Sie musste die Situation so nehmen wie sie war und versuchen damit so gut wie möglich umzugehen.
"Ich glaube unser lieber Marcus weiß überhaupt nicht, wie er auf die Frauen in seiner Umgebung wirkt. Was das betrifft scheint er fast ein wenig naiv zu sein."
Helena wandte sich wieder an Deandra und zwinkerte ihr schelmisch zu. Zum einen um ihr zu zeigen, dass ihre Worte eher ein Scherz waren, zum anderen um davon abzulenken, dass sie ebenfalls eine dieser Frauen war.
Helena war ebenfalls erschrocken zusammengezuckt, als sie die Sklavin kurz vor sich entdeckte. Sie war so in Gedanken gewesen, dass sie die Schritte auf dem Gang überhaupt nicht gehört hatte. Eigentlich hatte sie schon früher vorgehabt zum Essen hinunter zu gehen. Bis jetzt hatte sie weder Deandra noch Marcus an diesem Tag gesehen. Trotzdem war sie nicht untätig geblieben. Es war nicht einfach sich eine sinnvolle Beschäftigung zu suchen. Helena hatte einige Zeit damit verbracht zu überlegen worin ihre Talente lagen. Da war zum einen natürlich die Gartenarbeit, aber das war etwas für einen kurzen Zeitvertreib und nicht längerfristig geeignet. Natürlich gab es noch einiges mehr, das ihr Spaß machte, aber sie war sich nicht sicher, ob sich das auch verwirklichen ließ. Schließlich hatte sie die Gedanken auf später verschoben um endlich eine Kleinigkeit zu sich zu nehmen. Nun stand sie vor der Sklavin und nachdem der erste Schreck vorbei war lächelte sie leicht.
"Es ist ja nichts passiert."
Sie wollte sich ebenfalls abwenden, doch dann bemerkte sie den besorgten Gesichtsausdruck der Frau. Mit Sicherheit hatte das nichts mit ihrer Begegnung zu tun. Irgendetwas anderes musste sie beschäftigen. Helena hielt in ihrer Bewegung inne und musterte die Frau nachdenklich. An sich interessierte sie sich wenig für die Belange der Sklaven und doch tat ihr die Frau leid. Immerhin war sie fast in sie hinein gelaufen.
"Warte mal einen Moment! Was ist los? Ich sehe doch das dich irgendwas beschäftigt."
Helenas Stimme klang befehlend und hatte doch einen weichen Unterton. Vielleicht würde die Sklavin sogar Camryn von dieser Begegnung erzählen. Immerhin war es recht selten, dass sich die Herrschaften nach dem Wohlergehen der Sklaven erkundeten. Wenn alles gut lief hatte sie einen weiteren Pluspunkt bei der germanischen Sklavin gesammelt ohne mit ihr sprechen zu müssen.