Auch für diese ID ist die Zeit gekommen ... Bitte umstellen. Danke.
Beiträge von Aurelia Sisenna
-
-
Nachdem Sisenna der Sklavin durch verschiedene Gänge, einmal die Treppe rauf und wieder hinunter und schließlich bis in den Garten gefolgt war, blieb sie, als der Weg nicht enden wollte, trotzig stehen.
„Ich gehe hier keinen einzigen Schritt weiter. Ich warte hier auf Tante Callista, du kannst gehen“, sagte sie in bestimmten Ton und richtete den rechten Zeigefinger auf die Brust der dicklichen Frau. „Ich bin doch kein Bote, dass ich so viel laufen müsste“, murmelte sie vor sich hin, als die Sklavin bereits gegangen war. Sie führte beide Arme hinter den Rücken und legte die Hände übereinander. Ihr Kopf wanderte den dicken Baumstamm neben ihr hinauf. Mit offenem Mund betrachtete sie die relativ blätterlose Krone, die sich jedoch nur unwesentlich von denen im heimischen Garten unterschied, daher schnell uninteressant wurde und den Blick zu den unweit entfernten Büschen wandern ließ.
„Eine gute Gelegenheit, Besuch für meine Schnecken einzusammeln.“
Ohne zu verweilen, die vorgesehenen Wege ignorierend, strebt sie der Gewächsreihe zu, die eine Fundgrube vermuten ließen. Und richtig, an den schlanken Zweigen klebten einige Schneckenhäuser, deren Insassen sich offenbar zur Ruhe begeben hatten. Einige besonders schöne Exemplare hingen leider außer Reichweite, aber in Bodennähe tummelten sich auch hübsch gefärbte Häuser, die sie zwischen Daumen und Zeigefinger nahm und mit sachtem Zug von der Unterlage löste. Sisennas Hände boten ihrem Alter entsprechend wenig Platz und so zog sie ohne lange Überlegung den Rock ihrer neuen, roséfarbenen Tunika hoch und legte eine Schnecke nach der anderen auf den edlen Stoff, bis plötzlich Stimmen laut wurden. Sie zog den Kopf ein und lauschte angestrengt, während ihre Augen die Geräuschquelle suchten. Hinter den Büschen näherten sich ein Mann und ein Junge, der augenscheinlich schlecht gelaunt war, denn er quengelte herum. Als der Mann sich reckte, um einen Käfig in luftige Höhe zu heben, duckte sie sich hastig und schlich seitlich einen Doppelschritt fort. Aus ihrer neuen Position heraus konnte sie den Jungen besser als zuvor betrachten. Er saß mit dem Rücken zu ihr auf einer Bank und bot sich förmlich für einen Überraschungsangriff an. Ein von Vorfreude gekennzeichnetes Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit, sie griff nach einem Stöckchen und holte Schwung. Der Schub war jedoch schlecht bemessen, denn das Geschoss flog um Armlänge an dem Jungen vorbei und landete seitlich vor ihm auf dem Weg. Sisenna, die wieder gebückt stand, schlug die freie rechte Hand vor den Mund, hielt mit der anderen noch immer ihren Rock hoch und unterdrückte so gut es ging ein Lachen. -
Saba blickte Hilfe suchend über die Schulter, erhielt jedoch keine Antwort von der Aurelia. Diese verschränkte die Arme vor der Brust, legte ihren Kopf schief und ließ die Sklavin eine Weile baumeln. Es amüsierte sie, wie Blicke ausgetauscht wurde, während keiner ein Wort verlor. Sisenna stellte einmal mehr fest, wie unselbständig, hilflos und geradezu dumm Sklaven doch waren. Es kam ihr nicht in den Sinn, dass weniger die Person als solches unterbelichtet war, sondern der Stand sie zu dem gemacht hatte, was sie darstellte.
Irgendwann wurde ihr dieses Wartespiel aber zu langweilig. Sie räkelte die Schultern und räusperte sich.
„Ich möchte zu Tante Callista“, erklärte sie in bestimmten Ton und machte sich sofort auf den Weg. Mit erhobenem Kopf schritt sie an dem Ianitor vorbei, kam allerdings nicht weit, weil sie sich in dieser Villa nicht auskannte. Sie war auf den Türsklaven angewiesen. Er sollte sich allerdings nicht einbilden, dass sie hilflos wäre, sie wollte lieber gönnerhaft wirken, daher drehte sie sich ihm mit aufgesetzt überlegener Miene wieder zu und erklärte: „Du darfst mir jemand zur Begleitung mitgeben.“
-
"Die Domina Aurelia Sisenna wünscht Einlass zu erhalten."
Mehr konnte Saba nicht erklären, denn sie kannte die Pläne der Herrin nicht. Nachfragen verbot sich von selbst, also musste diese Auskunft reichen. Sie lächelte den mürrischen Ianitor an, wippte währenddessen auf den Zehen und linste immer einmal wieder zu dem Türspalt, um mit allen erdenklichen Zaunpfählen zu winken.
-
Sisenna, die – ungeachtet der Tatsache, dass sich inzwischen etliche Verwandte in der Villa befanden – noch immer gewohnt war, relativ uneingeschränkt Entscheidungen zu treffen, beschloss nach dem Frühstück spontan, die Tante Callista zu besuchen, denn an die Einladung konnte sie sich noch gut erinnern. Sie dachte sich nichts dabei, ohne zu fragen das aurelische Anwesen zu verlassen, denn zum einen war sie es seit Monaten so gewohnt und zum anderen hatte ihr auch niemand erklärt, dass sie seit einiger Zeit eine Art Vormund hatte, den sie womöglich besser fragen oder über ihre Vorhaben wenigstens unterrichten sollte. Wie immer nahm sie eine Handvoll Begleitsklaven mit. Von Vorfreude getragen sprang sie den Weg mehr als dass sie wohlerzogen lief oder legte zwischenzeitlich kurze Spurtstrecken ein, weil das zeitversetzte Nachlaufen der Sklaven sie immer wieder aufs Neue amüsierte. Trotz ihrer kurzen Beine traf sie mit weitaus ruhigerem Atem als die anderen bei der claudischen Villa ein.
Sie stellte sich direkt vor die Porta, verschränkte die Arme und wartete darauf, dass einer der Sklaven von alleine auf die Idee kam zu klopfen. Ein Atemzug verging, nichts tat sich – Sisenna verzog den Mund. Ein weiterer verstrich – sie rollte mit den Augen. Nach dem dritten stampfte sie auf und stützte die Arme in die Hüften.
„Warum könnt ihr eigentlich nicht von alleine denken? Ich stehe hier, weil ich dort rein möchte!“ Ihr Zeigefinger wies auf das Türblatt. „Saba!“
Die Sklavin trat pflichtgetreu hervor und hob die Hand, um zweimal anzuklopfen.
-
Sisenna hatte beide Arme um den Hals der Sklavin gelegt, als in den Zuschauerraum getragen wurde. Sie überragte endlich viele der anwesenden Personen oder befand sich zumindest auf Augenhöhe mit ihnen. Als sie auf den Patz gesetzt wird, hielt sie sich zur Sicherheit noch etwas fest, ehe sie die Arme löste, ihr Kleid zurecht strich und sich durch mehrmaliges hin und herrutschen in eine günstige Sitzposition brachte. Tante Callista, so beschloss sie inzwischen, die nette Frau zu bezeichnen, setzte sich neben sie. Sisennas Hände ruhten auf den Oberschenkeln und ihr Blick war gebannt nach vorne gerichtet, als das Stück begann.
Bei der Vorstellung der Personen auf der Bühne konnte sie sich nicht annähernd alle Namen merken, das war für ihr Gedächtnis zu viel, Aber sie erkannte schließlich die Darsteller an der jeweiligen Stimme als die ihr bekannten Sklaven. Zwar trugen sie völlig ungewohnte Kleidung, manche besaßen sogar andere Haare und die Namen stimmten ebenfalls nicht, aber das waren sie, definitiv. Sisenna schüttelte den Kopf, als Leone Camryn als Camylla vorstellte. Aufgeregt zeigte ihr Finger nach vorne und tippte mehrfach in Richtung der Sklavin.
„Das ist Camryn, ich weiß das genau!“, sagte sie, rutschte auf dem Stuhl herum, stellte sich mit den Knien auf die Sitzfläche und blickte Prisca an, die das Stück angekündigt hatte. Irgendwelche Hände drehten Sisenna schließlich um, sie musste sich hinsetzen und bekam die Anweisung, still zu sein. Jemand erklärte ihr, dass die Sklaven nur eine Rolle und nicht sich selber spielten, was sie letztlich auch verstand. Sie nickte auf die Nachfrage hin und hörte weiter aufmerksam zu.
Im Verlauf des Stückes tauchten aber Wörter auf, die Sisenna nicht begriff. Oft wurde zu ihr gesagt, sie solle nicht alles hinnehmen, sondern hinterfragen, wenn sie etwas nicht verstand.
ZitatOriginal von Narrator Italiae
"Deplorabel! Solch futile Sklaven gibt es in unserem Domizil nicht! Ich insistiere, sofortig von diesem Soßenklecks degraissiert zu werden!"
Jetzt, so dachte Sisenna bei sich, könne sie wohl wieder etwas sagen. Sie wandte sich zu Callista. Ihre kindlich helle Stimme durchschnitt die soeben kurzzeitig eingetretene Stille, in der die Sklavin die Tafel auf der Bühne umrundete.„Tante Callista, ich habe kein Wort verstanden. Was hat der Flavius gesagt?“
edit: Formatierung geändert und Fehler ausgemerzt.
-
Fast wollte Sisenna aufatmen, weil die Rundumkontrolle keinen Beobachter ihres undamenhaften Verhaltens ergeben hatte, da blieb ihr Blick an einer fremden Frau hängen, die sich zielstrebig näherte. Sisennas Augen vergrößerten sich zusehends, sie fühlte sich ertappt - dabei kannte sie die Näherkommende nicht einmal. Ihre Kleidung hob sich von den meisten anderen Gästen ab, sodass Sisenna nicht wusste, ob sie die Frau wie eine Sklavin behandeln durfte oder nicht.
„Äh“, entfleuchte ihr, während sie noch immer die Fremde anschaute. Sie spürte jedoch instinktiv, dass ihr nichts Schlimmes bevorstehen konnte, denn der Blick war freundlich auf sie gerichtet.
Das ‚Zweifellos, Süße’, riss sie aus ihren Gedanken. Sie löste den Blick von der Fremden und wandte sich wieder der Frau zu, die Tante Prisca ähnelte und hilfreiche Ratschlägen zur Hand hatte. Zweimal wurde sie bereits mit ‚Süße’ angesprochen, was ihr gefiel. Sisenna zeigte ihr kleines Lächeln, das Befangenheit und Unsicherheit verriet, die sie ansonsten mit einem ansatzweise resoluten Verhalten überspielte. Herzlich und laut lachen hörte man Sisenna nicht mehr, sie war ein stilles Kind geworden.
„Lauter, rein und ehrlich“, wiederholte sie, um sich das neue Wort und seinen Sinn einzuprägen. Und wieder hörte sie ein Kosewort. ‚Liebes’. Sisenna fand sich eigentlich nicht lieb, denn sonst hätte Papa ja nicht die Familie verlassen. Es musste an ihr liegen, daran glaubte sie fest. Gleichzeitig gab es Auftrieb, wenn jemand anderer Gutes von ihr dachte. Aus Nervosität strichen ihre Hände erneut über den Bauch, dreimal insgesamt, während Sisenna den Blick nicht von Claudia Callista lösen konnte.
„Callista finde ich auch hübsch“, erwiderte sie, während ihre Gedanken bereits um den Jungen kreisten. „Er ist nicht zufällig ein Kaiserjunge?“ Ihre Augen nahmen einen hoffnungsvoll fragenden Ausdruck an. Ganz bestimmt wollte sie einmal zu Besuch bekommen, egal wie die Antwort nachher ausfiel, denn zunächst sprach Callista die fremde Frau von eben an. Sisennas Blick schwenkte wieder zu ihr. Sie wusste zwar, dass sie nicht ihre Amme war, aber sicherlich würde gleich die Aufklärung folgen.
Als jedoch das Fanfarengetöse erklang, drückte sie erschrocken beide Hände auf die Ohren. Erst als Callista sprach und sie kein Wort verstand, gab sie den Gehörschutz auf. Sie konnte sich zusammenreimen, dass nun bald dieses Theater begann, weswegen alles Sklaven seit Tagen wie die Hummeln herumliefen.
„Ich möchte in der ersten Reihe sitzen“, kündigte sie an, streckte beide Hände nach oben, sodass jede der beiden Frauen zufassen konnte, wenn sie wollten.
-
Zitat
Original von Claudia Callista
Callista lächelt zu dem jungen Mädchen. Sie steht auch in ihrer Nähe.
"Aber nein, Süße. Nicht nur das Opfer selber zählt. Oder die Perfektion des Nämlichen. Die Götter sehen in das Herz eines Menschen und erkennen die Absicht. Ist das Opfer ehrlich. Dein Gedanke lauter. Dann werden sie Dich erhören."
Haben sie deshalb meine Wünsche nie erfüllt?
Womöglich, Callista.
Noch immer verfolgte Sisenna, die das Tongefäß inzwischen unter den Arm geklemmt hatte, wie der Wein sich am Rand der Opferschale sammelte, zu einem Tropfen formte und anschließend zu Boden plumpste, als eine Frauenstimme an ihr Ohr drang. Sie wendete sich um und beugte ihren Kopf in gewohnter Weise schräg nach hinten, um die zwar von Statur kleine Frau, die sie jedoch trotzdem um einiges überragte, ansehen zu können. Fremde Augen lächelten sie an, nicht nur der Mund. Ein klein wenig erinnerte sie Sisenna an Tante Prisca, und weil dieser Vergleich positive ausfiel, lächelte sie zurück.„Meinst du wirklich?“, fragte sie hoffnungsvoll, weil ihr momentan nichts wichtiger war, als dass genau diese Wünsche einmal in Erfüllung gingen. „Ich habe ganz unbedingt den Wein opfern wollen, ganz ehrlich.“ Anschließend verzog sich ihr Mund, was sie grüblerisch wirken ließ. Sie verstand nicht sofort, wie es gemeint war, dass der Gedanke lauter erfolgen muss. „Habe ich laut genug oder doch zu leise gesprochen?“, fragte sie, während ihr Blick jede noch so kleine Geste wahrgenommen hätte, gleichgültig, ob es eine zustimmende oder ablehne wäre.
„Ich heiße Sisenna.“ Gern hätte sie nun gefragt: Und du? Aber ihr wurde beizeiten beigebracht, wie sie sich gegenüber anderen zu benehmen hatte und neugierige Fragen gehörten jeweils nicht dazu. Sie drückte die Amphore der Sklavin an den Bauch und ließ sie umgehend los - hoffend, die Sklavin würde schnell genug zufassen. Gewohnheitsmäßig streifte sie anschließend die Hände am Bauch ab. Der Schreck war ihr anzusehen, als ihr bewusst wurde, dass sie damit womöglich ihr Kleid ruinierte und außerdem nicht mehr schick aussah. Sie traute sich nicht nachzusehen, kniff verschämt die Lippen zusammen und ließ den Blick, ohne dabei die Kopfhaltung zu verändern, von rechts nach links schweifen, um zu überprüfen, wer diesen Patzer eventuell beobachtet hatte.
-
Sisenna kam um einiges zu spät, denn man hatte es wegen den Vorbereitungen für das Fest schlicht vergessen, sich auch um sie zu kümmern. Ewigkeiten musste sie warten, bis endlich einmal eine Sklavin kam, um sie zu waschen und anzukleiden. Mit entsprechend säuerlicher Miene betrat sie schließlich den Opferraum. Ihr Kleid umschmeichelte den kindlichen Körper in eleganter Weise, was sie wie eine zu klein geratene junge Frau wirken ließ. Die nach oben gesteckten Haare unterstrichen diesen Eindruck noch, dabei zählte Sisenna gerade einmal 5 Sommer und 6 Winter.
Missmutig, weil sich auch jetzt keiner um sie zu kümmern schien, tippelte sie zu einer Sklavin, fasste sie am Rock und zog sie zu den Opferschalen hin, an denen einige Gäste noch standen.
„Gib her“, sagte sie mit ernster Miene, ließ sich eine Amphore reichen, die sie mit beiden Händen ergriff, drehte sie kopfüber und verfolgte das Spektakel, während sie ihre Wünsche äußerte. „Ihr Götter, ich möchte schnell wachsen und einen Kaiserjungen finden.“
Der Inhalt der Amphore schwappte in das Opfergefäß, rann an der einen Seite hinab und zum Teil an der anderen wieder hinauf.
„Oh“, rief sie aus, als ein Teil des Weines über den Rand floss. „Werden meine Wünsche jetzt nicht in Erfüllung gehen?“
-
Während Onkel Corvinus erklärte, wie man zu einer Kaiserin wurde, hörte Sisenna gebannt zu. Sie bemerkte nicht, wie sich ihr Mund einen Spalt öffnete und auch das Spiel am Haaransatz setzte sie unbewusst fort. Ihre Augen hingen an seinen Lippen, während sie die Auskunft verinnerlichte, allein durch eine Heirat einflussreich, mächtig und, so schlussfolgerte sie, auch beliebt werden zu können. In ihrem Kopf setzte sich fest, sie müsse eines Tages einen wichtigen Mann heiraten, und wenn der Kaiser eben bereits vergeben war, musste es ein anderer sein. Bestimmt gab es auch ein Kaiserkind oder sogar mehrere. Der Gedanke fesselte sie derart, dass sie nur unzureichend Corvinus’ weiteren Ausführungen folgte. Sie wusste, Erwachsene durfte man nicht unterbrechen, aber weil sie so aufgeregt war, zappelte sie fortwährend auf seinem Oberschenkel herum, während sich die Linke inzwischen an seiner Schulter abstützte und die Rechte hektisch winkte, um dem Onkel anzuzeigen, dass sie etwas sagen wollte.
Endlich hatte er geendet und sofort platzte sie heraus: „Besuchst du mit mir einmal den Palast?“ Mit großen Augen, die ihren sehnlichen Wunsch unterstrichen, schaute sie Corvinus an.
Um den Onkel nicht betrüblich zu stimmen, antwortete sie anschließend artig auf seine Frage nach ihrem Verständnis für den Papa, die sie mehr oder weniger bruchstückhaft aufgenommen hatte. „Ja.“ Sie nickte dabei eine Spur zu übertrieben, denn obwohl sie nun bereits wiederholt gehört hatte, dass der Papa wichtige Aufträge zu erledigen hatte, fand sie seine Abwesenheit natürlich gar nicht schön.
Als Corvinus plötzlich auf die kleinen Hasen zu sprechen kam, sackte der Kinderkörper in sich zusammen. Die Hand rutschte von der Schulter und legte sich neben die andere in ihren Schoß. Mit einem Seufzer, der theatralisch wirken mussten, hörte sie weiterhin zu, während ihr Blick nach unten gerichtet war. Die Worte „dann schließt man die Augen und der Geist gleitet ins elysium“ lösten einen weiteren Seufzer aus. Auf die Frage, ob sie wüsste, was das Elysium sei, ruckte ihr Kopf herum, denn natürlich „wusste“ sie das, auch wenn sie es nicht verstand. Leider geschah diese Aktion derart abrupt, denn sie wollte ja ihre Klugheit beweisen, sodass sie auf dem runden Oberschenkel das Gleichgewicht verlor. Nach Halt suchend, griff die eine Hand nach der Tunika des Onkels, während sich die andere auf dem zweiten Oberschenkel abstützte. In dieser Querlage rang sie um Balance, denn sie wollte keineswegs abstürzen. Es dauerte bange Momente, bis sie wieder sicher saß.
„Sind Mama und Papa schon bei den Sternen und sehen sie zu mir herab?“, fragte sie hoffnungsvoll und anstelle einer Erklärung, was sie alles bereits wisse, denn eines hatte sie sich vor allem gemehrt: Die besten Menschen kehrten gleich nach dem Tod zu den Sternen zurück, während die Mittelmäßigen ausharren mussten und die Schlechten auf ewig bestraft wurden. Aber wie das alles ging, verstand sie trotzdem nicht.
-
Sisenna erstrahlte förmlich bei seiner Bemerkung, sie sei bereits eine große Dame. Er nahm sie tatsächlich ernst. Er schob sie nicht ab, er hörte ihr zu und sagte auch nicht, sie wäre noch zu klein, um zu verstehen. Noch gänzlich unter diesem Eindruck stehend, ließ sie sich zu dem Stuhl führen und hochheben. Sie legte ihren linken Arm auf seine Schulter, die Hand berührte dabei seinen Nacken. Zunächst bewunderte sie die Sterne, die sie in der Vielfalt noch nie gesehen hatte, bot der Blick aus ihrem Fenster doch nur eine eingeschränkte Sicht. Sie nickte, als die Frage nach ihrer Einsamkeit kam, sagte aber nichts, sondern betrachtete unverwandt den Nachthimmel. Als Corvinus jedoch anfing, von ihren Eltern zu sprechen, schaute sie ihn mit dem typischen Sisenna-Blick an, der dadurch entstand, wenn sie anstelle den Kopf in den Nacken zu legen, allein ihre Augen nach oben richtete. Ihr Gesichtsausdruck wirkte dadurch staunend oder auch fragend. Sisenna verstand zwar, was Corvinus sagte, aber verarbeiten konnte sie es nicht. Warum musste Mama denn krank werden, wenn sie es gar nicht wollte?
Sisenna begann aus Nervosität sachte an Corvinus’ Nackenhaaren zu zupfen, sie war sich dieser Handlungen nicht bewusst. Vielmehr stellten sie ein Ventil für nicht zu bewältigende Informationen dar. Sie hörte, dass ihre Mutter alleine sein wollte und sie registrierte, dass ihr Vater wichtige Aufträge für den Kaiser ausführte.
„Und ich bin keine Kaiserin“, schlussfolgerte sie leise, denn wäre sie eine, würde Vater auch sie für wichtig erachten. Dabei hatte sie immer häufiger versucht, Kaiserin zu spielen, um gesehen zu werden. Sie wendete den Blick ab und grübelte nach. Ihre Bemühungen waren bislang erfolglos geblieben, aber sie nahm sich in diesem Augenblick vor, einmal eine ganz wichtige Frau im Reich zu werden, weil sie inzwischen glaubte, Beachtung und Liebe erhielt man allein durch Leistung oder durch einen Titel. Ein Prozess, der die Überzeugung beinhaltete, Liebe müsse man sich verdienen, man bekommt sie nie umsonst, setzte sich bereits in Mantua in Gang, verstärkte sich in Rom und fand erneut seine Bestätigung. Die Lösung lag auf der Hand.
„Weißt du, was ich tun muss, um Kaiserin zu werden?“ In ihrer Frage schwang die Bitte mit, ihr darin Hilfe und Unterstützung zu gewähren. Gleichsam bittend blickte Sisenna Corvinus an.
-
Sisenna genoss es, einmal von einem Verwandten umsorgt zu werden. Sie konnte sich nicht erinnern, ob sie so etwas Außergewöhnliches schon einmal erlebt hatte, denn dafür waren in aller Regel ja die Sklaven da. Sie stand ganz artig, fast unbeweglich, als der Onkel Corvinus die Palla über ihre Schultern legte. Als er nun sogar behauptete, gerne zu dieser Verabredung gekommen zu sein, glänzten ihre Augen, die sie nicht mehr von seinem Antlitz abwenden konnte. Oh, war der Onkel toll! Sie neigte ihr Köpfchen leicht zur Seite, betrachtete sein Äußeres auf eine ganz neue Weise und beschloss in diesem Moment, dass ihr späterer Mann einmal wie Onkel Corvinus sein sollte. Natürlich dachte Sisenna über das Heiraten nach, alle Mädchen liebten diesen Gedanken. Ob er sie vielleicht sogar mochte? Ob er vielleicht sogar in ihr ein kleines Fräulein sah?
Natürlich war sie bereit! Was für eine Frage?! Ihre Linke griff eilig nach der annähernd dreifach so großen Hand des Onkels, sie lächelte nochmals über beide Wangen und ließ sich erhobenen Hauptes aus dem Zimmer führen. Ihre Bemühungen, sich elegant und erwachsener zu bewegen, mussten hölzern wirken, aber sie wollte Eindruck auf ihn machen. Vor allem beim Treppenabwärtsgehen bemühte sie sich darum, nicht den Fuß abzusetzen, wie sie es noch oft tat, und auch nicht permanent auf die jeweils untere Stufe starren zu müssen. Das war aufregend, daher überzog ihre Wangen schon bald ein zartrosa Hauch.
Angst? Sie hatte doch keine Angst im Dunkeln, wenn sie an der Hand ihres Helden lief.
„Nur kleine Mädchen kennen Angst“, sagte sie mit Überzeugung. Sie würde doch niemals zugeben, vor allem nachts voller Angst zu sein, aber nicht vor der Dunkelheit, sondern vor dem Alleinsein. Aber sie glaubte, dass große Mädchen keine Ängste mehr kennen, daher verschwieg sie diese Regungen. Sie hatte längst vergessen, was Onkel Corvinus eigentlich mit ihr vorhatte, für sie war es die erste Verabredung ihres Lebens mit einem Jungen. Es machte ihr nichts aus, dass der Junge bereits recht erwachsen war. Und wie es in den Geschichten immer zu hören war, wurde das Mädchen unter den Sternenhimmel geführt. Sisenna strahlte über das gesamte Gesicht, als er sagte, sie seien da. Und er lächelte dabei sogar.
Ja, sie waren jetzt da. Und was würde jetzt folgen? Wie war das noch in den Geschichten? Sisenna hatte keine Ahnung, wie sie sich jetzt verhalten musste, daher nickte sie mehrmals in auffälliger Weise, schwieg aber beharrlich, weil sie nicht wusste, was man in solchen Fällen sagt.
edit: doppeltes Wort entsorgt.
-
Die Entdeckerfreude wuchs, je mehr Sisenna das Einschlagpapier entfaltete. Inzwischen klebten ihre Finger, was das Mädchen jedoch nicht störte. Nachdem auch die letzte Ecke des Papiers zurückgeschlagen war, lagen die süßen Köstlichkeiten frei, die also ein Geschenk von Onkel Corvinus darstellten, den Sisenna nicht einmal wirklich kannte. Zumindest erinnerte sie sich nicht an ihn. Weil er jedoch ohne besonderen Anlass Leckereien verschenkte, mochte sie ihn schon jetzt gerne leiden.
Daumen und Zeigefinger griffen nach einer Zuckerfigur, während die restlichen Finger in eher zweckmäßiger als übertrieben eleganter Weise abgespreizt waren. Nach kurzer Begutachtung steckte sie die Leckerei zunächst mit einer Spitze in den Mund und verkostete sie bedächtig. Ihre Augen blickten dabei in eine Zimmerecke, aber nur deswegen, um sich ganz und gar auf die Geschmackswahrnehmung konzentrieren zu können. Bald darauf verschwand die Leckerei gänzlich im Mund, was auf den positiven Ausgang der soeben vollzogenen Prüfung hindeutete. Leider bot der Mundraum weniger Platz als nötig, um permanent mit geschlossenem Mund kauen zu können. Sisenna wusste sehr wohl, dass ein Kauen mit geöffnetem Mund für ein wohlerzogenes Mädchen keineswegs schicklich war, daher legte sie ihre Rechte als Sichtschutz davor.Noch immer kauend, hörte sie die Frage der Sklavin, die sie, weil sie ein für Sisenna wichtiges Thema betraf, sogleich beantworten wollte. Dafür musste sie aber zunächst die Süßigkeit vollständig in eine Ecke des Mundes schieben, um wenigstens annähernd reden zu können, was natürlich auch nicht besonders schicklich war. Sie entschied sich dennoch dafür, weil ja nur eine Sklavin Zeuge dieser Unanständigkeit wurde, und wenn es um ihre Schnecken ging, war Sisenna ohnehin hellhörig, also wandte sie sich zur Sklavin um.
„Ja, das ist Helena.“ Sie wies auf die in ihrem Haus befindliche Schnecke. „Und diese heißt Verina.“ In diesem Augenblick fiel ihr ein, dass Onkel Cotta ja von den Sprachschwierigkeiten der Sklavin erzählt und sie diesbezüglich gebeten hatte, ihr Latein beizubringen. Sie würgte hastig die Süßigkeit herunter, um so deutlich wie irgend möglich sprechen zu können.
In Manier eines Schulmeisters wies sie nochmals mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf die erste Schnecke. „Hhhee.“ Sie betonte die Laute so gut es ging, schürzte die Lippen und atmete dabei schwer aus. Man konnte es aufgrund dieser zwei Buchstaben auch als Hauchen bezeichnen. „Lee… naa. Verstanden?“ Sie schaute fragend. „He…le…na. Und das ist Vvvee… rrii…naa. Und du heißt Caa…taa. Jetzt wiederhole langsam und deutlich.“
Es ließ sich nicht vermeiden, dass Sisenna ihre Lippen jeweils mitbewegte.
-
Sisenna, die noch kein ausgeprägtes Zeitgefühl besaß, begann, nachdem die Dämmerung schon lääääängst hereingebrochen war, an dem Versprechen des Onkel Corvinus zu zweifeln, sie glaubte ohnehin seit langem nicht mehr an die Verlässlichkeit von Männern. Wieder und wieder lehnte sie sich zum Fenster hinaus und kontrollierte die Farbgebung des Himmels. Nach ihrer Ansicht war es bereits dunkel genug, aber niemand kam, um sie zu holen. Vor allem, wenn sie den Kopf nach links drehte, was sie natürlich mit Absicht tat, verschluckte die hereinbrechende Nacht bereits etliche Konturen. Den rechten Teilhimmel, der noch von den letzten Sonnenstrahlen angehaucht wurde, wollte sie mit Absicht nicht sehen.
„Er kommt nicht“, jammerte sie, schob traurig die Brauen zusammen und ging mit gesenktem Kopf zu ihrem Bett. Mit einem Seufzer nahm sie darauf Platz, blickte auf ihre im Schoß liegenden Hände und fuhr dementsprechend unfreundlich den Sklaven an, der an sie herangetreten war.
„Geh weg, ich will alleine sein!“ Ihre Hand holte einmal aus, so als könne sie den Sklaven damit verscheuchen. Dabei blickte sie nicht auf und übersah somit die wollene Kinderpalla, in den grobknochigen Händen. Stattdessen warf sie sich auf das Bett, rollte sich wie ein Igel ein und schaltete ab. Auch das Klopfen an der Tür ignorierte sie.
Der Sklave wandte sich dem eintretenden Corvinus entgegen und hob bedauernd die Schultern. Die noch nicht angelegte Palla baumelte in seinen Händen, die er hilflos vorgestreckt hatte.
Als Sisenna jedoch die Frage ihres Onkels vernahm, dessen Stimmlage sie unter den Sklaven sicher heraushörte, rollte sie sich wieder auf, krabbelte vom Bett und kam mit einem Strahlen auf ihn zugelaufen.
„Du bist ja doch noch gekommen“, stellte sie erleichtert fest, während sie seine Rechte mit beiden Händen umfasste und gleichzeitig mehrmals hüpfte.
-
Sisennas Blick wanderte von Corvis rechtem Auge zu seinem linken und anschließend mehrfach hin und zurück, als er erzählte, sie könnten ihre Eltern alle wiedersehen, wenn es an der Zeit ist. Wann diese Zeit jedoch heran war, sagte er allerdings nicht, was sie zunächst traurig stimmte, aber letztlich verdrängte, weil sie befürchtete, die Antwort könne ihr nicht gefallen.
Zum weiteren Nachdenken kam sie ohnehin nicht, weil der Vorschlag von Onkel Corvinus langsam Gestalt annahm. Ihr Mund öffnete sich zu einem Staunen, als sie von der Aussicht hörte, heute einmal länger als sonst aufbleiben zu dürfen, denn bisher durfte sie nie nach dem Einbruch der Dunkelheit ihr Zimmer verlassen. In ihr erwachte der Unternehmungsgeist. Sie schloss den Mund und schluckte.„Abgemacht, du holst mich ab“, bestätigte sie mit glänzenden Augen.
Vergessen war die Sorge um das Schicksal der kleinen Häschen und ihr eigenes, denn nicht nur die Aussicht auf ein nächtliches Abenteuer sorgte dafür, sondern auch das überzeugende Argument, sie könnte bereits alleine essen. Heftig nickte sie, um die Richtigkeit der Vermutung zu überstützen. Sie lehnte sich nach vorn, wobei sie sich an Onkel Corvinus’ Tunikarand und Halsansatz festhielt, während sie ihr Gewicht einsetzte, um an seinen abgestellten Teller zu gelangen und ein Stückchen Fleisch zu stibitzen.„Siehst du?“, fragte sie mit einem triumphierenden Lächeln, als sie sich ihm wieder zugewandt hatte und steckte anschließend das Fleisch mit samt den Fingern in den Mund. Die Lippen strichen über die Finger, als sie diese herauszog. Genüsslich kaute sie, denn inzwischen verspürte sie auch großen Hunger.
Noch immer weilte ihr Blick auf seinem Gesicht. Sie hörte aufmerksam der Vereinbarung zu, bei jedem Wehwehchen nach ihm rufen zu können. Flüchtig zweifelte sie daran, ob der Onkel sein Versprechen wohl lange einhalten würde, daher wurden ihre Augen wieder ungläubig groß und sie stellte das Kauen ein. Schließlich sagte sie sich, man könne es ja einmal ausprobieren, ob der Onkel sein Wort hielt. Sie reckte ihre rechte Hand nach oben, die Finger waren abgespreizt. Wenn er jetzt einschlug, war der Packt besiegelt, auch wenn es ihr durchaus Sorge bereitete, woher er wusste, dass sie manchmal schummelte.
-
Nachdem sich zunächst Sisennas Oberlippe bedenklich nach unten gezogen hatte und ein Tränenausbruch nicht mehr fern lag, ging eine Veränderung in dem kleinen Mädchen vor, die offensichtlich zum ersten Male gestattete, die Möglichkeit, ihre Eltern nie wiederzusehen, an sich heranzulassen. Immer wieder schwirrten ihr die Worte im Kopf herum, dass Mama und Papa irgendwo wohnten, es ihnen gut ging und sie in Gedanken bei ihr waren.
„Du meinst, dass Papa jetzt wieder bei Mama ist?“ … „Oder doch nicht?“
Wenn das der Fall wäre, dann lag es also doch an ihr, dass Papa fortgegangen war, denn erst als sie alleine in Rom weilte, kehrte er offensichtlich zu ihrer Mama zurück. Hinter der Kinderstirn arbeitete es heftig. Schließlich kam sie zu dem Schluss, dass es wichtiger war, wenn es Mama gut ging, denn vor allem ihr ging es ja damals so furchtbar schlecht. Sie selbst bekam eben nun die Strafe für ihre Unartigkeit, die beschmutzten Kleider und das heimliche Aufstehen bei Nacht.
Noch immer ließ Sisenna Corvinus’ Kopf nicht los, er diente ihr inzwischen als Stütze, auch wenn der Onkel überhaupt nicht mit seinen Gedanken bei ihr war. Das merkte sie. Aber sie war es ja gewohnt, ständig übersehen zu werden.Auf jeden Fall wollte sie sich den Wohnort zeigen lassen, denn das eröffnete die Möglichkeit, einmal ihre Eltern besuchen zu gehen, wenn sie groß genug dafür war.
„Gleich heute Abend?“, fragte sie daher Onkel Corvinus hoffnungsvoll. Ihre Hände fanden rechts und links nahe seines Halses Platz, sie lächelte wieder und legte noch ein Quäntchen mehr an Intensität in ihren Blick. „Ja, das möchte ich. Wie lange muss ich denn noch warten?“
Sisenna besaß kein Zeitgefühl. Ihr war es am liebsten, wenn alles schnell ging. Dann jedoch fiel ihr eine schwierige Frage ein, die sie nicht beantworten konnte. Ihr Gesicht wurde sehr ernst, als sie zu flüstern begann.
„Und was passiert jetzt mit mir? Kleine Häschen werden steif, wenn die Mama ZU lange fort ist.“
Sisenna wusste das mit unumstößlicher Sicherheit, hatte sie doch einmal ein Hasennest entdeckt und anschließend jeden Tag nachgesehen, ob die Mama bei den Hasenbabys war. Anfangs haben die Kleinen gewimmert, dann wurden sie still und eines Tages waren sie steif und bewegungslos. Sisenna weinte längst nicht mehr, sie war bereits still. Ob sie auch bald steif sein würde?
-
Sisenna verabschiedete ihre große Schwester mit einer Umarmung. Auf das Versprechen, ihr viele Geschichten zu erzählen, würde sie später sicherlich zurückkommen. Jetzt aber wandte sie sich wieder Onkel Corvinus zu, der ihre Betrübnis so vollständig ignorierte wie ein Stein leckere Haselnusscreme missachtete. Den angebotenen Teller schob sie daher mit beiden Händen energisch fort. Sie legte Onkel Corvinus ihre Hände auf die Wangen und versuchte, seinen Kopf derart zu drehen, dass er sie anschauen musste.
„Ich habe keinen Hunger“, sagte sie eindringlich trotz ihrer leisen Stimme. Dabei führte sie ihr Gesicht ganz nahe an seins, damit er ihr diesmal auch ja ordentlich zuhörte und nicht wieder wegsah oder mit anderen sprach oder nicht richtig verstand.
„Kann ich meine drei Geschenke jetzt gleich haben, wenn ich sie richtig errate?“
Ohne eine Antwort abzuwarten, äußerte sie mit Überzeugung: „Es sind Mama, Papa und Helena.“
Sisenna nahm es nicht so genau damit, dass nur zwei der Geschenke versteckt waren. -
Sisenna setzte Corvinus’ Bemühungen, sie zu sich heranzuziehen, einen leichten Widerstand entgegen, weil ihr die Überraschung viel wichtiger als dieses Gerede der Erwachsenen war. Letztlich gab sie aber nach, weil er sie wie ein Kaiserkind behandelte. Sie liebte es noch immer, Kaiserin zu spielen, denn das gab ihr das Gefühl, wichtig zu sein. Schließlich kam sie sich oft vollkommen überflüssig vor.
Ihr fragender Blick lockte zum Glück eine weitere Erklärung aus dem Onkel hervor, der sie mit offenem Mund begierig lauschte. Ihre Eltern lagen ganz unten, damit sie nicht nass wurden?
„Aber da werden sie doch gedrückt“, erwiderte Sisenna gequält. Ihr Gesichtchen wandelte sich in einen Flunsch, bei dem die Augen übergroß erschienen und die Lippen vorgeschoben waren. Es fehlte nicht viel und sie würde anfangen mit weinen. Nicht so sehr, weil sie nun warten musste, sondern vielmehr ahnte sie inzwischen, dass ihre Eltern auch in diesen Reisekutschen nicht angereist waren. An das Päckchen dachte sie jetzt nicht mehr, sie war wieder einmal sehr enttäuscht.
-
Sisenna drehte ihr Köpfchen der Quelle zu, die sie als erstes lieb angesprochen hatte. Sie rieb sich nochmals die Stirn, weil die einerseits noch immer schmerzte und andererseits überlegte sie, wer der Onkel war. Als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, musste sie erheblich klein gewesen sein. Natürlich kannte sie ihn, aber den Namen hatte sie vergessen.
Über seine Worte dachte sie nicht erst lange nach. Sie verstand, was sie verstehen wollte, und strahlte über das ganze Gesicht.„Ihr habt sie versteckt? Wie eine Überraschung?“
Ungeduldig trat sie von einem Bein auf das andere, rannte schließlich auf den Onkel zu, der ihr ohnehin die Hand entgegengestreckt hatte, und schaute ihn mit flehentlichen Augen an.
„Bitte! Ich möchte sie gleich sehen!“
-
Sisenna konnte auf die Sklavin ein kein wenig hinabblicken, als diese sich vor ihr hingekauert hatte. Für sie drückte der Größenunterschied aber nichts aus, denn ganz gleich, ob die Sklavin stand, hockte oder lag, Sisenna war ihr weisungsbefugt und wusste, wenn es darauf ankam, dieses Wissens zu nutzen.
„Du sprichst wirklich sehr undeutlich“, resümierte sie, als sich Cadhla vorstellte. Der Name war ihr weder geläufig noch klang er wie ein echt römisch-lateinisches Wort. Dieser Sache wollte sich Sisenna zuallererst annehmen.
„Du heißt ab heute ‚Cata’. Sklaven bekommen von ihren Herren neue Namen“, erklärte sie, als wäre sie bereits im Erwachsenenalter. Sie kannte die Gepflogenheit, nicht aber deren Sinn, dem Sklaven die Identität zu rauben. Sisenna hingegen vergab gerne neue Namen, ob nun an ihre Schnecken, an Sklaven oder an Spielzeugpuppen. Für sie machte das keinen Unterschied.
„Was ich dir jetzt zeige, darfst du niemand verraten“, sagte sie anschließend mit eindringlicher Stimme. Sie nickte einmal bedeutungsvoll, bevor sie zu dem Tischchen ging, auf das Onkel Cotta ein Geschenk gelegt hatte, öffnete ihre Hände und versuchte, die beiden Schnecken auf die Holzplatte abzulegen. In einem Fall gelang ihr das auch. Helena, die den Namen ihrer Schwester trug, hatte sich weitgehend in ihr Haus zurückgezogen und aus Protest über die unliebsame Behandlung allerhand Spucke produziert. Verina - nach ihrer zweiten Schwester benannt - hingegen hielt sich am Handteller fest, kein Schütteln bewegte die Schnecke, die Handfläche loszulassen. Sisenna seufzte, fasste Verina am Haus und zog vorsichtig daran. Der Schneckenkörper zog sich bedenklich in die Länge, bevor sich das Tier löste - einen Schleimfilm auf der Hand zurücklassend.
Sisenna wischte sich die Hände an der Tunika ab, griff nach dem Geschenk und packte es aus.