Zitat
Original von Caius Flavius Aquilius
Ich bot ihm einen der Holzstühle mit Lederbespannung an, auf denen wir unsere Besucher für gewöhnlich empfingen, und setzte mich selbst ihm gegenüber, ein Sklave blickte auch gleich durch die Tür herein und entfernte sich, nachdem ich Wein und Wasser bestellt hatte - wen man schon einen Gast hatte, musste man ihn auch angemessen bewirten.
"Nun, ich denke, was die Existenz der Götter angeht, lassen sich zwei Wege beschreiten - der eine wird in allem, was durch Götter gewirkt wird und uns als das Wirken der Götter erscheint, eine natürliche Ursache erblicken und sie sicherlich auch wohlbegründet erklären können, was dafür spricht, wie weit sich die Wissenschaften entwickelt haben, wie gut wir fähig sind, mit Logik und Verstand bestimmten Rätseln auf den Grund zu gehen. Der andere wird das Problem emotional angehen anstatt des Rationalen, und vehement verteidigen, dass das Wirken der Götter in allem zu sehen ist und in manchem besonders stark ... ich gebe zu, bei vielem fällt es mir schwer, einen speziellen göttlichen Willen erkennen zu wollen, doch in manchen Augenblicken bin ich mir vollkommen sicher, dass die Götter existieren und sich um uns kümmern."
Eine kurze Pause ließ ich einkehren, um dann fortzufahren: "An manchen Morgen, an denen ich in diesen Tempel gehe, um meinen Dienst zu tun, habe ich die Gelegenheit, den Sonnenaufgang zu bewundern, dieses vollkommene, atemberaubende Spiel der Farben am Himmel, das stattfindet, als existierten wir nicht, als sei es vollkommen unwichtig, ob wir überhaupt existieren, denn wir sind für die Perfektion dieser Pracht absolut nicht notwendig. Die Natur ist zu so viel Perfektion fähig, und diese erkennen zu dürfen, in Atem gehalten davor zu stehen und unfähig zu sein, mit Worten alles zu fassen, ist dies nicht ein Augenblick, in dem man dem Göttlichen so nahe ist wie niemals sonst? Die Natur mag auf logischen Prinzipien fußen, doch woher stammen sie, woher ist diese alles umfassende Ordnung? Ich kann nicht glauben, dass sie sich einfach so erschaffen hat."
Mit der Frage nach dem paedagogus erwischte er mich allerdings auf dem falschen Fuß. "Ähm. Wer aus meiner Familie sucht denn einen paedagogus? Vielleicht Flavius Aristides?"
Ich hörte dem jungen Priester aufmerksam zu und fand ihn recht sympathisch. Er beharrte nicht so fanatisch auf den Ideen seiner Religion wie andere seiner Art. Ich hatte nichts gegen den Glauben, aber ich hatte etwas gegen Fanatiker. Lächelnd nickte ich hier und da, gab mit einem "Hm, ja..." meine geistige Aufmerksamkeit kund und fand den Vortrag sehr spannend.
"Du wägst gut ab, das gefällt mir. Es stimmt, dass die einen rational-wissenschaftlich denken und die anderen emotional-religiös. Aber sie alle leben dasselbe Leben und sollen dieselbe Toleranz genießen. Entschuldig also bitte, wenn ich dich angegriffen haben sollte mit meinen Fragen. Ich bin jedoch jemand, der das Ganze kritisch betrachtet.
Mit Deiner Ausführung der Natur bin ich sehr einverstanden. Der Mensch selbst ist nichts gegen die Schönheit der Natur, die uns umgibt. Weißt Du, warum ich die Armut und nicht den Reichtum einer verstaubten Bibliothek in Athen gewählt habe? Ich sehe das Leben und die Natur als wunderschön an. Ich genieße jeden Augenblick und bin für jedes Geschenk dankbar, dass mir die Natur zuteil werden lässt. Ich denke die Religion funktioniert ähnlich, eben mit dem Unterschied, dass hier nicht das Natürliche, sondern das Übernatürliche angebetet wird. Und ich habe damit kein Problem.
Doch eine bohrende Frage macht mich seit langem halb wahnsinnig: Existieren wir wirklich? Alles was wir sehen, ist von unseren Sinneswahrnehmungen beeinflusst. Und die sind auch nicht untrübsam. Deswegen zweifle ich an sovielen Dingen, auch an meiner Existenz.
Zweitens die Frage nach dem Sinn dessen, was wir hier tun. Eigentlich vergehen wir, ohne etwas Bleibendes zu hinterlassen. Natürlich erinnern sich unsere Kinder und Kindeskinder an uns, was aber ist danach? Endet nicht alles später in Sternenstaub? Schon Achilles wählte den Weg des Ruhmes vor einem normalen Leben. Aber auch sein Andenken wird irgendwann verloschen sein. Ich frage dich also noch einmal: wofür leben wir?"
Nach diesen Worten nahm ich ein wenig Zeit zum Verschnaufen und nippte am Wein, der mittlerweile gebracht worden war. Als ich meine weiteren Worte im Geiste gesammelt hatte, setzte ich fort.
"Allein diese Fragen haben mich in all den Jahren weite Strecken zu Fuß zurücklegen lassen. Vielleicht verdanke ich dieser ewigen Suche auch ein wenig meine verbliebene körperliche und geistige Leistungsfähigkeit....
Übrigens, zur Frage des paedagogus..."
Ich reichte ihm eine Kopie des Aushangs, der auf dem Markt zu sehen war.