Beiträge von Appius Aurelius Cotta

    Das Morgengrauen hatte kaum einen ersten Schimmer gezeigt, als ich mich, auf Maron gestützt, leise durch die langen Gänge der villa Aurelia in Roma bewegte, um diese zu verlassen, schon wieder zu verlassen, und dies wahrscheinlich für lange Zeit.


    Bei dieser meiner eigentlichen Abreise hatte ich niemanden mehr von der Familie dabei haben wollen, und dies war nicht nur meinem schlechten Gesundheitszustand geschuldet, denn ich fühlte mich wieder besonders schwach. Nachdem in Konsultation mit einem angesehenen Arzt der Entschluss gereift war, mich zu einer neuerlichen Erholung auf die Landgüter der gens nach Sardinien zu schicken respective mich dorthin zu begeben, hatte ich die vergangenen Tage dazu benutzt, von den gerade in Roma ansässigen Mitgliedern der Familie Abschied zu nehmen, während ich die praktischen Reisevorbereitungen Maron überlassen hatte unter der Führung von Corvinus, dem ich zu diesem und zu jedem ihm sonst noch sinnvoll erscheinenden Zweck so gut wie mein gesamtes Geld übereignet hatte. Das Verlassen dieses Hauses selbst aber wollte ich unbeobachtet hinter mich bringen und hatte mich deshalb für die Abreise zu einer Stunde entschieden, in der selbst in der Hauptstadt des Imperiums noch nicht sehr viel frisch gebackenes Brot zu haben sein würde. Dieser Abschied ging mir nahe, denn nach allem, was der Arzt gesagt, und mehr noch nach dem, was er zwischen den Zeilen angedeutet hatte, lag es nurmehr allein in den Händen der Götter, über eine Wiederkehr zu bestimmen; menschliche Kunst schien machtlos zu sein angesichts meines Verfalls. Gerade erst in den letzten Tagen war eine gewisse Besserung meines Zustandes eingetreten, so dass eine Abreise nach Sardinien überhaupt erst möglich erschien. Meine innere Bewegung bei jedem Schritt, der mich der Sänfte näher brachte, war groß, und nach all der Schwäche, die ich hier im Schoße der Familie und in den Mauern der villa Aurelia in Roma schon gezeigt hatte, hatte ich mir diese neuerliche unwillkürliche Offenbarung meiner innersten Gefühlswelt vor den anderen Aureliern ersparen wollen.


    Der Plan ging auf. Am Vorabend hatte Maron dafür gesorgt, dass Gepäck und Sänfte bereitstanden, die mich nach Ostia bringen sollten; ich erreichte die Sänfte, ohne noch von weiteren, an der Abreise nicht direkt beteiligten Sklaven oder gar von Mitgliedern der Familie gesehen zu werden. Jetzt auf der langen Reise und, so es die Götter wollten, auch noch danach, würde ich viel Zeit haben, um noch einmal all die Eindrücke in meinem Herzen zu bewegen, die ich in den vergangenen Wochen hier in Roma empfangen hatte, meine Gedanken an Corvinus, die gute und vertrauensvolle Beziehung, die zwischen uns immer geherrscht hatte, seine imponierende Karriere, seine bevorstehende Ehe - seine Einsamkeit? Meine Gedanken an Ursus, seine ebenfalls fast berauschende Karriere, sein so gelungenes und geradliniges Naturell - und seine vielleicht ebenso große Einsamkeit. Meine Gedanken an Avianus, seine Zurückhaltung bei gleichzeitigem Mut. An die weiblichen Mitglieder der Gens dachte ich selbstverständlich auch, doch war ich in der Einschätzung von Frauen von jeher ganz unsicher gewesen und hatte dies in den vergangenen Wochen nicht überwinden können; es blieb mir nur, für sie zu opfern und ihr Andenken in allen Ehren zu bewahren. Die Sklavinnen und Sklaven des Hauses Aurelia mochten ihr eigenes Leid zu tragen haben; ich hatte Maron freigestellt, mich nach Sardinien zu begleiten, wusste ich doch, wie gut er auch hier in Roma am Platz gewesen wäre und wie sehr er an dem Mädchen Tilla hing, doch er hatte nicht von mir lassen wollen und fuhr mit mir mit.


    Mit all diesen und noch weiteren Gedanken an die fernere Vergangenheit trug ich mich, während die Träger die Sänfte trugen durch die noch schlummernde, ewige Stadt. Still wie der Tod lag die Ruhe auf ihr und die Nacht; mich schaukelte die Sänfte nur zu immer neuen Gedanken, doch schon bald würde ein Schiff mich in seinem Leibe tragen und schaukeln und wiegen in meinen eigenen, langen und traumlosen Schlaf.

    Es war mir schon nahe gegangen, dass meine Frage an Siv nach dem Schicksal ihrer Familie sie offenbar wirklich getroffen hatte. Ihr Blick verlor sich in die Fernen ihrer germanischen Heimat und ihrer Kindheit und Jugend; einer Jugend, die vielleicht beendet schien nach ihrer Heirat, die dann aber so richtig und so viel abrupter beendet werden sollte durch die römischen Legionen. Nicht in eine unendliche Leere ging also ihr Blick, sondern mitten hinein in schmerzhafte Erinnerungen und Gefühle.


    Meine Frage nach ihrem Mann, den sie erwähnt hatte, und vor allem die Formulierung, die ich dafür gewählt hatte, sollten eigentlich zu einem anderen Thema hinüberführen: Ich hatte gehofft, bei ihrer Antwort vielleicht etwas mehr über die näheren Umstände ihres Lebens in ihrer Heimat zu erfahren, die ich ja überhaupt nicht kannte. An Sivs Gesicht sah ich jedoch nur zu bald, dass ich mit meiner Bemerkung fast das genaue Gegenteil erreicht hatte: Wieder schien sie mit einem intensiven Gefühl zu kämpfen, das mir dieses Mal allerdings weniger Wut oder Schmerz als eher so etwas wie Ratlosigkeit oder auch Verwirrung zu sein schien. Hatte sie in Germanien einen anderen Mann geliebt als den, den sie dann geheiratet hatte? Oder gab es etwa hier jemanden?


    Besonders diesen letzten Gedanken wagte ich kaum weiterzudenken; wenn es sich dabei um einen anderen Sklaven handeln sollte, so war die Situation natürlich noch beherrschbar, wenn auch durchaus unangenehm, weil solche Liebschaften naturgemäß zu Misshelligkeiten unter dem Personal führten; ganz anders sah es natürlich aus, falls sie sich in ein Mitglied der gens verliebt haben sollte, besonders, weil dafür nach meiner Berechnung eigentlich nur Corvinus in Frage kam. Fast hätte ich bei dieser Vorstellung geseufzt, konnte dies aber noch unterdrücken und beruhigte mich schließlich mit dem Gedanken, dass Siv ja bei weitem nicht die erste Sklavin wäre, die sich in ihren dominus verliebte; manchmal hatte ich sogar den Eindruck gehabt, dass dies zu einer Regel wurde, vielleicht weil die Abhängigkeit vom dominus für einen Sklaven und eine Sklavin mindestens so groß war wie die Abhängigkeit, in der beispielsweise eine Siv angesichts der rauen Lebensbedingungen in ihrer Heimat gegenüber ihrer Familie und ihrem Mann gestanden hatte. Denn das Germaninnen also, wie ich jetzt von ihr selbst erfahren hatte, so jung heirateten, lag doch sicher auch daran, dass ihnen kein besonders langes Leben zu prognostizieren war und dass sie deshalb alles, was Natur, Gemeinschaft und Tradition von ihnen forderten, so früh wie möglich zu erledigen hatten.


    So hatte mich Sivs Reaktion schließlich doch noch zu den von mir gewünschten Erwägungen über ihre Heimat geführt, sie hatte aber auch noch jenes Unbehagen verstärkt, das ich selbst schon in dem Moment empfunden hatte, in dem ich meine Frage ausgesprochen hatte - das Unbehagen, ja, die Trauer darüber, dass eine Ehe für mich in so weiter Ferne stand. Und die letzten Worte Sivs hatten auch noch fast so geklungen, als habe sie mich darüber hinwegtrösten wollen. Trost für einen ehelosen Römer von einer Sklavin, deren Mann römischen Soldaten getötet hatten... Ich sah Siv betroffen an - und meinte doch, in ihren Worten so etwas wie echte Anteilnahme gespürt zu haben.


    In diesem Moment betrat Maron das triclinium. Ihn hatte ich wirklich ganz vergessen und so auch nicht mehr darauf bestanden, dass Siv ihm noch etwas zu essen brachte, wie ich es anfangs erbeten hatte. Jetzt meldete er einfach, dass mein cubiculum bereit war; einen Moment zögerte ich, denn irgendwie hatte ich zu Siv doch noch nicht alles gesagt - aber irgendwie war es vielleicht jetzt auch besser, nicht mehr weiterzureden. Entschlossen erhob ich mich also - und fühlte sofort, wie sich ein Schwindel meiner bemächtigte und mir schwarz vor Augen wurde. Ich sackte in mich zusammen.

    Mittlerweile war mir wieder ein wenig heißer geworden, was gewiss nicht auf eine Veränderung der Außentemperatur in der urbs aeterna zurückzuführen war. An derartige Phänomene mittlerweile gewöhnt, griff ich einfach wieder zu meinem Becher mit Wasser und nahm einen großen Schluck daraus.


    Dabei vergaß ich Siv keineswegs, auch wenn diese mich zwischenzeitlich nicht mehr ganz so gerade heraus ansah, wie sie das fast die ganze Zeit über getan hatte, egal, was für eine Frage ich ihr gestellt hatte. Ich hoffte dabei natürlich nicht, dass daran etwa das erneute Eingeständnis meiner Angst vor ihr schuld sein könnte, dass dadurch gar etwas in ihr Schlummerndes, Böses geweckt worden war, welches ich doch hatte besänftigen wollen, dass ich die gute Siv also am Ende noch auf umstürzlerische Gedanken brachte. Ihre Worte an mich zerstreuten dann aber meine diesbezüglichen Bedenken doch einigermaßen, allerdings machten sie mich auch gleichermaßen nachdenklich und traurig. Ich ließ mir daher ein wenig Zeit, bevor ich sagte:


    "Praktisch deine ganze Familie hast du verloren - oder sie ist dir von Römern genommen worden. Und ausgerechnet in einem ihrer Häuser musst du nun leben."


    Diese Worte hatte ich unwillkürlich mit gesenktem Blick zu ihr gesagt; als sich mein Mund wieder schloss, hob ich unverzüglich wieder meine Augen auf zu ihr, doch meine Nachdenklichkeit war noch nicht an ihr Ende gelangt. Natürlich wusste ich nichts darüber, wie gut oder wie schlecht sich Siv mit ihrer Familie verstanden hatte, aber immerhin war sie mit ihren Angehörigen zusammen aufgewachsen, hatte ihre Kindheit verbracht und harte Zeiten gemeistert wie den strengen germanischen Winter, den sie selbst erwähnt hatte. All dies hatte man ihr genommen, und bei den römischen Aggressoren musste sie nun eine Art neue Heimat finden und Menschen, die ihre Wut sahen und das, was dahinter war. - Mir war natürlich klar, dass ich als einer ihrer domini dabei keine Hilfe würde sein können, und deshalb wollte ich meine Gedanken über sie jetzt auch nicht vor ihr äußern; ich lenkte daher das Gespräch jetzt zu einem Punkt, der mich bei Sivs Antwort sehr überrascht hatte - und auch ein bisschen getroffen:


    "Du bist doch noch sehr jung - und hattest schon einen eigenen Mann? Ich bin älter als du - und ich habe noch keine Frau."


    Und würde vielleicht aufgrund meiner Erkrankung auch nie eine haben...

    So vieles schien in der Sklavin Siv vor sich zu gehen auf meine Frage hin - und vielleicht nicht nur auf meine Frage hin, doch das blieb mir gänzlich undurchschaubar. Wenn ich in diesem Gespräch den Sokrates machte, dann gab sie die Rolle der Sphinx - oder gar der Pythia -, wobei ich mich des Eindrucks nicht ganz erwehren konnte, dass es ihr mit mir vielleicht ähnlich ging. Das wäre natürlich auch nicht verwunderlich gewesen, denn gerade die Maske eines Sokrates gestattete es ihrem Träger ja, unerkannt zu bleiben und stattdessen die Gesprächspartnerin mit sich selbst zu konfrontieren. Ich gestand es mir erst in den wenigen, sich aber dehnenden Augenblicken ein, in denen Siv auf meine Frage hin meinem Blick standhielt und doch noch schwieg, dass es wohl das war, was mich zu immer neuen Fragen an sie antrieb: der Wunsch, dieses trotzige, wütende, traurige Mädchen mit sich selbst zu konfrontieren. Und vielleicht war es auch das, was Siv schließlich dazu brachte, mir doch noch auf meine Frage zu antworten und dies auch noch der Wahrheit gemäß, wie mir schien.


    Es war immer das gleiche, was Sklaven auf diese und ähnliche Fragen erzählten, stockend meist und oft ohne sichtbare emotionale Beteiligung. Dies allerdings war hier in Sivs Fall anders, denn es gelang ihr nicht ganz, ihre Wut, ihren Abscheu und am Ende auch ihren Zynismus zu verstecken - einen Zynismus, der allerdings nur noch mehr auf eine tiefe Verzweiflung schließen ließ. Während ich ihren mir schon aus Cadhlas Mund nur allzu bekannten Andeutungen lauschte und sie dabei ansah - wobei ich diskret versuchte zu vermeiden, sie anzustarren -, kam mir der Gedanke, dass ich mich vorhin doch ein wenig in Siv getäuscht haben könnte. All die Gefühle, die ihre Worte begleiteten und untermalten, zeigten doch nur, wie wenig sie sich mit ihrem Schicksal hatte abfinden können und wie wenig sie sich selbst wohl auch als Sklavin sah. Und das konnte man ihr zweifellos nicht verdenken, war sie doch offenbar in Freiheit aufgewachsen und dann wie so viele andere von unseren Legionen durch Gewalt zur serva gemacht worden - eine Erfahrung, welche sie also doch durchaus gefährlich machte. Auf ihre Frage hin konnte ich daher ganz wahrheitsgemäß antworten:


    "Du weißt doch schon, warum ich frage. Ich fürchte mich vor dir, und ich möchte wissen, wieviel Grund ich dazu habe."


    Den sokratisch angehauchten Gedanken mit der Konfrontation mit sich selbst verschwieg ich dagegen lieber, weil Siv ihn wohl ohnehin nicht verstanden hätte - und auch, weil ich selber nicht so recht wusste, was ich damit genau vorhatte; ich war nun einmal nicht Sokrates. In puncto Furcht hatte mich aber schon ihre eigene Bemerkung über die "anderen Römer" hier in der villa Aurelia in Roma zufriedener gestimmt; ungewiss allerdings blieb, ob sie auch mich in diesen Kreis der "anderen, besseren Römer" einschloss. Die Soldaten dagegen schienen auch in ihrem Fall wieder einmal nicht zimperlich gewesen zu sein.


    "Was ist aus deinen Familienangehörigen geworden?",


    fragte ich behutsam und beugte mich ein wenig vor.

    Zitat

    Original von Siv
    "Warum du hast Angst? Ich bin Sklavin. Ich kann nichts tun. Du bist Herr."


    Sklaven qua Sklaven waren sicher weder zu großen Worten noch zu großen Taten fähig, und insofern hatte Siv natürlich Recht, wenn sie sagte, sie könne nichts tun. Dass Sklaven qua Menschen natürlich eine ganze Menge tun konnten - vom meuchlerischen Messerstich gegen ihre "Besitzer" bei Dunkelheit bis hin zu dem von der heilkundigen Siv doch sicher präferierten Giftmord - stand auf einem anderen Blatt. Solche Pläne setzten voraus, dass sich ein servus für sich selbst eben nicht mehr als Sklave definierte - der Spartacus des Aufstands war für sich selbst ein freier Mann gewesen -, und so weit war es bei unserer Siv offensichtlich noch nicht, und ich würde ihr selbstverständlich nicht den geringsten Hinweis in diese Richtung geben.


    Dass freilich auch Sklaven qua Sklaven zu Gefühlsäußerungen fähig waren, ließ sich an der nordischen Sklavin nach dem Eingeständnis meiner Furcht vor ihr gut beobachten. Wieder schien es mir das Gefühl der Wut zu sein, welches Siv nach ihrer offenbaren ersten Überraschung zu dominieren begann. In mir stieg allmählich der Verdacht auf, dass sie vielleicht alles, was ihr begegnete und etwas in ihr aufrührte, mit diesem einen Gefühl quittierte, das es ja so leicht machte, eigene Verletzungen und Trauer nicht zu spüren. - Da ich in unserem Gespräch nun einmal in die Rolle desjenigen geschlüpft war, der gleich einem Sokrates seltsame Fragen stellte, fuhr ich plötzlich fort:


    "Hast du denn soviel Trauriges erlebt, in deiner Heimat und vielleicht auch hier?"


    Immerhin hatte ihre Wut ja auch wieder für eine trotzige und zugleich mutige und ehrliche Antwort an mich ausgereicht, in der sie eingeräumt hatte, dass sie manche Römer durchaus gerne in Angst vor sich sehe, und vielleicht sogar auch mich.

    Aufmerksam hörte ich Avianus zu, wie er nun auf Ursus' und meine Fragen hin über die Angelegenheiten und das Befinden seiner nächsten Angehörigen sprach. Zugegeben, seine Schilderung war kurz, und ich war mir nicht sicher, ob er sie aus einer - vor Titus und mir natürlich ganz überflüssigen - Schüchternheit so knapp hielt, um uns etwa nicht zu langweilen, oder aus einer ihm selbst geschuldeten Diskretion heraus, die es ihn vorziehen ließ, seine Gedanken an Bruder, Mutter und Vater allein mit sich auszumachen. Jedenfalls genügten seine Worte durchaus, um ein gewisses Bild zu vermitteln; mich gemahnten sie natürlich gleich an die Geschichte und die Geschehnisse in meiner eigenen Familie: an den wenig rühmlichen Abgang meines Vaters und besonders an den Tod meiner Mutter, der sich fatalerweise zugetragen hatte, als sie sich, wie die Mutter von Avianus und Catulus, für eine Zeit aufs Land zurückgezogen hatte. Im Innern bat ich die Götter darum, dass den beiden Brüdern eine solche weitere Entwicklung der Ereignisse erspart bleiben würde und dass sie, was immer die Götter am Ende beschließen mochten, Kraft finden würden, es zu ertragen.


    Mit seinem letzten Satz lenkte Tiberius unsere Aufmerksamkeit dann auf Tilla. Diese war auf mein Zeichen mit meinem Becher hin an mich herangetreten. Ich freute mich, als sie mich eigens begrüßte und erwiderte ihre entsprechende Gebärde mit einem Lächeln und einem Nicken, auch wenn ich mir ziemlich sicher war, dass sie sich wohl hauptsächlich um Marons willen so gut an mich erinnerte. Nach ihm fragte sie auch prompt, was mir ein noch breiteres Lächeln der Genugtuung über meine große Menschenkenntnis ins Gesicht zauberte ^^, mit dem ich ihre Frage dann nickend bestätigte: Natürlich war Maron auch wieder da!


    So fröhlich also die Begrüßung zwischen mir und Tilla vonstatten gegangen war, so albern ging sie weiter, woran allerdings der gute Vetter Ursus die Hauptschuld trug mit seiner Aufforderung an die kleine Sklavin, die Becher mit Wasser aufzufüllen. Pflichtschuldig folgte Tilla dem Kommando, und so kam es, dass sie mir den noch so gut wie vollen Becher mit dem extra für mich erwärmten Met, statt ihn mir, wie erhofft, abzunehmen, auch noch mit kaltem Wasser aufschüttete. Diese Burleske kitzelte mir Nerven und Zwerchfell, und ich hätte auch laut losgelacht, hätte dabei nicht die Gefahr bestanden, Ursus zu vergrätzen, der doch so große Stücke auf "sein Met" zu halten schien. So verschloss ich das Lachen leicht glucksend im Halse, konnte aber nicht verhindern, dass mir vor lauter Heiterkeit eine Träne die Wange hinabrann. Ich sah zu Tilla hinüber: Ja, das mit dem Taschentuch hatte ich schon verstanden - und jetzt hätte ich auch wieder eines brauchen können. (:D)

    Dass Siv mir aus dem Krug in ihrer Hand meinen Becher mit Wasser auffüllte, entging mir angesichts dessen, was sich als Folge meiner Frage in ihrem Gesicht abspielte. Dort zeichnete sich nämlich nur allzu deutlich ab, dass meine Frage nicht ohne Wirkung geblieben war; ganz augenscheinlich stellte die Wut einen Schlüssel zu der Sklavin dar und das, weil sie wohl, wie vermutet, ein grundlegender Zug ihres Charakters war.


    Dass nicht nur der Gesichtsausdrucks Sivs meine Ahnungen bestätigte, sondern bald darauf auch in unmissverständlicher Weise ihre eigenen Worte und der Ton ihrer Stimme, vermochte mir allerdings keine Befriedigung zu verschaffen. Erst jetzt, als dies alles ausgesprochen wurde, merkte ich, dass ich meine Frage vielleicht gar nicht so sehr aus echtem Interesse an dieser serva gestellt hatte, wie ich mir vorgemacht hatte, sondern eher aus einer Art sportlichem Ehrgeiz heraus: Würde es mir gelingen, das Eis zu brechen? - Das war nun geschehen, doch wie sollte es weitergehen? Es war mir tatsächlich gelungen, in dem Mädchen etwas anzurühren, doch mehr hatte ich ja eigentlich gar nicht wissen wollen, eine tiefergehende Unterhaltung mit der Bediensteten nie angestrebt. Es wäre jetzt ein Leichtes gewesen, ihre Bemerkung über die "guten Menschen" hier in der villa Aurelia in Roma aufzugreifen und nach den beiden Namen zu fragen, die mir unbekannt waren, Merit-Amun und Fhionn. Doch da ich es nun einmal so weit getrieben hatte mit dieser Siv und sie so nervös, wie mir schien, vor mir stehen sah, mit vor Überraschung geweiteten Augen in die meinen starrend - da fühlte ich auf einmal so etwas wie Verantwortungsgefühl ihr gegenüber: Nein, sie sollte jetzt nicht einfach mein Spielzeug sein, an dem ich meine Menschenkenntnis ausprobieren wollte; wenn schon spielen, dann würde ich jetzt meinen eigenen Einsatz erhöhen:


    "Ich denke, dass du wütend bist, Siv, weil ich einen gereizten Ton in deiner Stimme höre, weil ich den Stolz und die Reserviertheit in deinen Bewegungen sehe und eine dunkle Glut in deinen Augen. Und weil mir das alles ein bisschen Angst macht. Möchtest du, dass ich vor dir Angst habe? Vielleicht ist es das, was du willst."


    Diese dunkle Glut, von der ich soeben gesprochen hatte - ich hatte sie wohl allzu oft in meinen eigenen Augen getragen, befeuert von Trauer, verdunkelt von Einsamkeit. Wie meine Augen wohl jetzt aussahen, mein Blick?

    "Cadhla", auch wenn es mir ganz widerstrebte, sie hier einzig und allein als eine Art Türöffner zu gebrauchen, schien bei Siv in der Tat genauso wie bei mir als Gesprächsthema einen Nerv getroffen und viele Erinnerungen wachgerufen zu haben. Diese konnten ich und die blonde Sklavin hier vor mir freilich nicht teilen, denn wir hatten zu unterschiedlichen Zeiten mit Cadhla in der villa Aurelia in Roma gewohnt, und während sie, Siv, wie sie zu Recht bemerkte, natürlich auch mit der Keltin gearbeitet hatte, war ich immer dominus gewesen - außer eben jenes eine Mal. Doch auch bei Siv schien da noch viel mehr zu sein; das sagten schon überdeutlich ihre Augen und am Ende auch eins ihrer Worte für Cadhla: "Freundin".


    Es hätte mir in dieser Situation natürlich nie und nimmer passieren dürfen, dass ich schluckte, und sofort griff ich wieder nach meinem Becher und tat so, als nähme ich daraus einen kräftigen Schluck, obwohl er schon beinahe leer war - alles, um meine Befangenheit zu überspielen. Eine "Freundin" hatte ich hier nämlich eigentlich nie gehabt, und ich beneidete die Sklavin vor mir fast schon um diese Nähe, die sie genossen, mir dagegen mein Stand und mein Geschlecht verwehrt hatte.


    Das Thema "Cadhla" eignete sich also vorzüglich dazu, den Nerv so einiger Bewohner der villa Aurelia in Roma zu treffen, jetzt, da die lebendige Cadhla nicht mehr hier weilte. Was mir allerdings wieder nicht gelungen war, war das Brechen des Eises zwischen mir und der Sklavin Siv. In diesem Moment jedoch störte mich dieses neuerliche Fehlgehen meiner Bemühungen nicht, gab es mir doch die Möglichkeit, von meiner eigenen Verlegenheit - und Einsamkeit - abzulenken und stattdessen Siv, ihre offensichtliche Aggressivität und vielleicht auch ihre eigene Einsamkeit in den Mittelpunkt zu stellen. Behutsam und zugleich mit vollem Risiko fragte ich daher:


    "Cadhla ist ja leider nicht mehr hier. Wer ist jetzt deine Freundin? Wer bemerkt deine Wut?"

    Zitat

    Original von Tiberia Albina
    Nach langer, langer, viel zu langer Zeit, melde ich mich nun nach glücklicher und schöner und toller Weise bestandener Graecumsprüfung zurück im IR!!!


    (Kniet nieder, Barbaroi, ich habe ein Graecum!! :D )


    Glückwunsch von mir!


    Den Kniefall kriegst du auch, weil ich selbst im Studium die Möglichkeit hatte, mich darum herum zu drücken - und das natürlich genutzt habe. ;D

    Zwischen der Sklavin und mir entstand nun ein Augenblick der Stille, in dem wir beide offenbar jeweils mit unseren eigenen Gedanken beschäftigt waren. Während ich noch über die Renitenz der aurelischen Sklavinnen und die Vertrauenswürdigkeit ihrer Heilkünste ruhig vor mich hin philosophierte, war es jetzt Siv, die mich genauer in Augenschein nahm, vielleicht um anhand meines kranken Aussehens die Dosis der mir zugedachten Behandlung abzuschätzen; diese jedenfalls erwähnte sie noch kurz.


    Besonders aber schien es auch ihr Cadhla angetan zu haben, wie ich einer angedeuteten Bemerkung der serva und besonders einer Frage entnehmen konnte, die sie mir dann stellte. Ob ich Cadhla kannte? Ich musste lächeln, als ich die Frage vernahm, denn natürlich fiel mir sofort wieder unsere schließlich doch - unfreiwilligerweise - ziemlich enge Begegnung im hortus ein, bei der allerdings sie mich genauer kennengelernt hatte als umgekehrt ich sie. ^^ An die Stelle der Bilder jener kuriosen Begebenheit traten aber schon bald Erinnerungen an die Ankunft der Keltin in der villa Aurelia in Roma, kurz nach meinem eigenen - ersten - Einzug hier. Ich hob meinen Blick wieder zu Siv und gab den Bildern in meinem Kopf Worte:


    "Ich kannte Cadhla nicht mehr, als ein Römer eine Sklavin kennt... vielleicht ein bisschen mehr. Sie war voller Stolz, obwohl hier für sie zuerst alles neu und verwirrend war. Trotzdem war sie... bei all ihrem Stolz und trotz allem, was sie hatte erleben müssen, war sie ohne Groll geblieben."


    Redete man so über eine Sklavin? "Serva" - das war freilich der Stand der Cadhla nach unserem Gesetz gewesen. Eine Sklavin allerdings war diese Frau nicht einen Tag lang.


    "Ihr kanntet euch sicher besser?"


    In meiner Frage schwang die Hoffnung mit, die eisige Distanz zwischen mir und Siv nun endlich ein wenig zu durchbrechen; immerhin hatte ich in den Worten über Cadhla mehr über mich mitgesagt, als zwischen einem dominus und einer serva üblich war. Aber ich wollte mich ja auch unbedingt von dieser Siv behandeln lassen. ^^

    Zitat

    Original von Titus Aurelius Ursus
    "Im ersten Moment denkt man, er ist einfach nur süß, er riecht vor allem so. Aber das stimmt gar nicht. Zumindest nicht bei diesem hier. Es gibt auch süßere Sorten, doch ich fand diesen am leckersten, gerade weil er ein bißchen herber ist. So, laßt uns also die Becher erheben darauf, daß wir alle endlich heimgekehrt sind." Immerhin waren auch die anderen beiden noch nicht so sehr lange wieder in der Villa. "Auf daß wir vereint - auch mit den anderen Aureliern, die gerade nicht hier bei uns sitzen - stark sind und kommenden Stürmen standhalten."


    Auf die klangvollen Worte meines Vetters hin führte auch ich nun den Becher an meine Lippen und nippte vorsichtig von dem gepriesenen Getränk. Nicht, dass ich Alkohol jemals gut vertragen hätte, aber nach Ausbruch meiner Krankheit blieb mir bei dem Genuss berauschender Getränke nurmehr das Vorbild weiblicher - selbstverständlich patrizischer - Vorbilder und damit ein leichtes Nippen an mir dargebotenen Bechern. Nach der ersten Verkostung dieses germanischen Gebräus bedauerte ich dies allerdings keineswegs, traf es doch so gar nicht meinen Geschmack; allein Ursus zuliebe lächelte ich tapfer. Um mich bei diesem meinem kleinen Täuschungsmanöver nicht doch noch ertappen zu lassen, ergriff ich schnell das Wort:


    "Wenn wir dieses Getränk vertragen, so scheint mir, werden wir in der Tat einiges an Stürmen hinter uns bringen können."


    Ursus sah nach seiner Zeit als Militärtribun freilich ganz so aus, als könne ihn auch ein Mistral nicht aus seinen caligae werfen. - Die erste Bemerkung seines Trinkspruchs hatte mich allerdings wieder auf eine Frage gebracht, die ich schon vorhin hatte stellen wollen, was ich dann allerdings wieder aus den Augen verloren hatte. Ich hatte nämlich natürlich schon aufgeschnappt, dass irgendetwas mit der Mutter von Avianus und Catulus gewesen war, wusste aber nichts Genaueres. Daher wandte ich mich nun an meinen jüngeren Verwandten.


    "Avianus, sag, wie geht es eigentlich eurer Mutter? Ihr habt sie irgendwohin begleitet, nicht wahr?"


    Aus den Augenwinkeln heraus suchte ich bereits nach einer Möglichkeit, meinen Becher Met loszuwerden. Ob Tilla vielleicht...?

    "Ich danke euch für eure guten Wünsche, Avianus und Ursus! Wenn die Götter es nur halb so gut mit mir meinen sollten wie ihr beiden, wird mir wohl wirklich nichts anderes übrig bleiben, als steinalt zu werden! Und außerdem soll man ja aus einer Mücke keinen Elefanten machen",


    sagte ich, lachend und mit den Augen zwinkernd, zu meinen zwei gut gelaunten Verwandten. Und ich freute mich in der Tat über ihre zwar besorgte, aber doch positiv-konstruktive Reaktion auf die Nachricht von meiner Erkrankung. Genauso war ich - nach dem ersten Schrecken - schließlich auch selbst mit der unappetitlichen Botschaft umgegangen: Grund zur Sorge und zur Sorgfalt bestand natürlich, aber eben nicht zur Panik.


    Ebenso froh wie über die aufmunternden Worte von Avianus und Ursus war ich auch über mein eigenes Verhalten. Natürlich hätte ich über meinen Aufenthalt in Aegyptus als erstes gerne etwas anderes berichtet als jenen verhängnisvollen Stich einer Mücke. Andererseits hatte es aber natürlich auch keinen Sinn, mit dieser Wahrheit hinter den Berg zu halten und den Dingen dahingehend ihren Lauf zu lassen, dass ich das Entdecktwerden der Krankheit verräterischen Schweißperlen, Schwindelanfällen und Fieberschüben überließ. So, wie ich jetzt mit dieser Botschaft umgegangen war, war es am besten gewesen: Raus damit. Und dann zu einem anderen Thema.


    Als ein solches näherte sich uns drei Aureliern nun das von Ursus avisierte Met, das in mehreren Krügen von zwei Sklavinnen zu uns getragen wurde. Über diesen adventus freute ich mich umso mehr, als ich bei der einen Sklavin in ein bekanntes Gesicht blicken konnte: Tilla Romania. Leider waren mir in ihrem Antlitz aber nicht nur die Züge wohlbekannt, sondern auch der immer etwas verschreckte und traurige Ausdruck. Ich dachte daher zunächst, dass sich in dieser Hinsicht, nämlich das Gemüt der serva Tilla betreffend, in der villa Aurelia in Roma nicht viel geändert hatte. In diesem Urteil wurde ich allerdings schwankend, als mir ein seltsames Mienen- und dann auch Gebärdenspiel zwischen der Sklavin und Ursus ins Auge fiel. Zeigte sich hier nicht etwas Neues in Tillas Gesichtszügen? Und in denen von Titus etwas - Ertapptes? Offenbar hatte ich also auch hier etwas nicht mitbekommen, was sich zwischen diesen beiden oder auch noch mehr Personen des aurelischen Hauses abgespielt haben musste. Wäre ich allein und unbeobachtet gewesen, hätte ich in diesem Moment aufgeseufzt angesichts meiner sich fortsetzenden Unwissenheit. Da ich mich jedoch in der Gesellschaft meiner Verwandten befand, tröstete ich mich mit dem Gedanken, dass ich später Maron nach dieser Angelegenheit fragen würde; er hatte doch zu Tilla immer ein gutes Verhältnis gepflegt, das sich augenscheinlich nicht nur aus der Gemeinsamkeit ihres Sklavenstandes speiste, sondern auch aus gewissen Vatergefühlen, die der Thraker für Tilla hegte.


    Eine andere Ablenkung von meinen Überlegungen ergoss sich nun in Form warmen Mets in einen Becher, in den mir von der zweiten Sklavin eingeschenkt wurde. Ich war sehr gespannt, auch wenn der ziemlich süßliche Geruch des germanischen Gebräus mich nicht gerade optimistisch stimmte. Mit dem Verkosten allerdings wollte ich natürlich warten, bis auch meine beiden Verwandten dazu bereit waren. Außerdem hoffte ich darauf, dass Ursus, der gerade frisch Heimgekehrte, der sich mit seinem Met aber schon ganz wie der Gastgeber gebärdete, noch einen Trinkspruch zum Besten geben würde. Es bräuchte ja nicht wieder so etwas Kunstvolles sein wie bei unserem Theaterstück anlässlich des Weinfestes. :)

    Dass Avianus mir nach seinen herzlichen Worten auch noch tröstend auf die Schultern klopfte, hätte mich früher sehr verlegen gemacht und beschämt; jetzt aber konnte ich diese Geste dankend annehmen und sah ihm warm in seine braunen und lebendigen Augen.


    "Ich danke dir für den Zuspruch, Avianus! Und ich kann Ursus nur zustimmen: Die Zusammenarbeit mit Marcus ist die beste Vorbereitung, die du haben kannst, ganz gleich, wohin dein Weg dich noch führen wird."


    Dass ich selbst nach Abschluss meiner Studien und meiner Ankunft in der villa Aurelia hier in Roma am allerliebsten auch erst einmal so etwas wie ein scriba personalis bei Corvinus gewesen wäre, verschwieg ich selbstverständlich. Ich hatte nie gewagt, diesen Wunsch zu äußern, schon gar nicht, nachdem kurze Zeit nach mir auch Titus die villa nach seiner Zeit in Athen bezog und sich mutig sofort in Wahlkampf und Politik stürzte. Eine ähnliche Lebhaftigkeit wie von Ursus ging meiner Meinung nach auch von Avianus aus, und deshalb war ich mir auch sicher, dass er seinen Weg, einmal gefunden, mit einer ähnlichen Leichtigkeit gehen würde. Aber er hatte ja auch noch Zeit.


    Seltsamerweise drängte sich mir im Augenblick der Berührung von Tiberius ein, wie mir zunächst schien, ganz unpassender Gedanke auf, den ich dann aber gut mit einer Bemerkung von Titus in Verbindung bringen konnte, dem ich mich nun zuwandte:


    "Sorgen? Nein, Sorgen braucht man sich sicher nicht um mich zu machen. Ich erkenne immer mehr, wie sorgsam auch mich die Vorsehung geleitet hat und bin deshalb auch zuversichtlich - nicht zuletzt natürlich auch, weil ich ja das Glück habe, in einer gens mit Verwandten wie euch zu leben, allen voran Marcus. Nur diese kleine Mücke..."


    Ich lächelte, denn natürlich hatte ich mich schon längst mit meinem Leiden abgefunden und sogar ein wenig angefreundet.


    "Die Idee mit Mattiacus ist gar nicht schlecht, Ursus, vielleicht sollte ich ihn auch noch konsultieren. In Aegyptus selbst habe ich natürlich auch Ärzte aufgesucht, einheimische, die mit diesen Krankheiten tagtäglich umgehen. Man versicherte mir, dass zwar gelegentliche Schübe vorkommen, dass ich aber dennoch bei guter Konstitution und Pflege damit steinalt werden kann. Und die Hauptsache: Es ist nicht ansteckend!"


    Und vielleicht half ja auch dieses Met. :D

    Sivs Schweigen aufzubrechen, war mir gelungen, die verschlossene Bosheit in ihr dagegen nicht. Das zeigte sich mir deutlich, als sie meine Frage danach, was sie denn sei, wenn nicht Schildmaid, knapp und kalt damit beantwortete, sie sei Sklavin. Nein, so dumm war dieses Mädchen nicht, dass sie meine Frage nicht verstanden hatte, und an ihren Augen konnte ich klar erkennen, dass ihr bei ihrer Antwort tausend Erinnerungen an ein anderes Leben, eines vor der Sklaverei, durch den Kopf gingen. Trotz war es, Trotz und wahrscheinlich auch Hass, der sie zu ihrer Erwiderung trieb. Vielleicht war es das Fieber, aber in diesem Augenblick wäre mir fast der Geduldsfaden gerissen, und ich hätte ihr am liebsten, ganz gegen meinen üblichen Umgang mit Sklaven, eine Ohrfeige verpasst. Neben einem eigenen inneren Ruf zur Ordnung war es dann aber Siv selbst, die mich wieder besänftigen konnte, als sie mir ein aufgeschütteltes Kissen reichte und dann kurz über Cadhlas weiteren Weg berichtete.


    "Cadhla fehlt mir",


    sagte ich knapp, denn mich befielen in diesem Moment selbst viele Erinnerungen an die Keltin. Ich konnte dabei nicht umhin, sie mit Siv zu vergleichen. Auch bei Cadhla war ja immer dieser Stolz und dieser Widerstand zu spüren gewesen, aber als sie das eine Mal, an jenem Abend im hortus, die Möglichkeit gehabt hatte, mich zu beseitigen - es hätte wie ein Unfall ausgesehen - und dann zu fliehen, da hatte sie es nicht getan, sondern mir stattdessen liebevoll geholfen. Hilfe bot nun auch Siv an gegen meine "Erschöpfung", wie sie es so taktvoll nannte, die sie aber sicher schon als Fieber diagnostiziert hatte. Ich zweifelte auch gar nicht daran, dass sie sicher Mittel kannte, die meinen Zustand, wenn wieder ein Schub kam, lindern würden. Doch hatte ich allein schon bei diesem Gedanken ein ungutes Gefühl. Cadhla hatte aus einfachem Mitleid und aus Menschlichkeit geholfen; Siv würde helfen - um die Kontrolle zu bekommen?


    Ich nahm einige kräftige Schlucke Wasser und musste seufzen. Corvinus, der gute Corvinus, und die Sklaven, die er zum Sklavenkauf schickte - sie mochten zwar ein Händchen für die hübschesten Sklavinnen Romas haben, aber auf der anderen Seite wimmelte es nach solchen Einkaufstouren in der villa Aurelia immer vor aufmüpfigen servae. Es gab doch tausende zufriedene und ergebene Sklaven - Maron war freilich etwas ganz Besonderes -, die villa Aurelia aber schien ein Zufluchtsort der gefährlichen Sklaven zu sein. :D Bei diesen Gedanken musste ich unwillkürlich lachen.


    "Na, deine Heilmittel kannst du gerne einmal bei mir anwenden, Siv!"


    Würde schon schiefgehen.

    Gerade als Ursus so richtig anfangen wollte, uns von allem zu erzählen, erhob sich zu meiner großen Überraschung - und wohl auch zu der von Avianus und Ursus - Corvinus, der sich nurmehr von uns verabschiedete und sich dann zurückzog. So ganz wusste ich nicht, wie ich dieses Verhalten einordnen sollte, und schon neigte ich wieder einmal dazu, es auf mich zu beziehen. Andererseits hatte ich natürlich schon in den wenigen Tagen, die ich nun in der villa Aurelia hier in Roma weilte, mitbekommen, welch merkwürdige Stimmung hier herrschte, und Corvinus als der eigentliche Herr dieses Hauses war davon natürlich noch ganz anders betroffen als ich. Auch diese Stimmung konnte ich nicht einordnen, und zu einem längeren Gespräch mit Marcus war es, nicht zu letzt aufgrund meiner Erkrankung, auch noch nicht gekommen.


    Nun war er also gegangen. Dafür begann Ursus nun in aller Ausführlichkeit die Neugierde von mir und sicher auch von Avianus zu befriedigen, indem er von seiner Zeit in Germania erzählte. Mit großen, strahlenden Augen hing ich dabei an seinen Lippen. Als er geendet hatte, konnte ich nicht mehr an mich halten:


    "Ursus, ich danke dir für diese farbige, anschauliche Schilderung all deiner Erlebnisse! Ich habe jetzt fast das Gefühl, ich wäre mit dir dort im Norden gewesen."


    So richtig gelang es mir nicht, meine Empfindungen in Worte zu fassen. Mehr noch als ihre Anschaulichkeit hatte mich an der ganzen Erzählung die Bescheidenheit von Titus beeindruckt. Geendet hatte er allerdings mit einer für ihn typischen, ohne jeden Zweifel ganz und gar freundlich gemeinten Bemerkung über die Karrieren von Avianus und mir, die mich schmerzhaft und dennoch natürlich nicht unerwartet traf. Ich hatte mir ohnehin vorgenommen, in diesem Punkt vor meinen Familienangehörigen keine große Geheimniskrämerei zu betreiben, und so fing ich nun meinerseits an zu reden:


    "An Anschaulichkeit wird meine Schilderung es mit der deinen bei weitem nicht aufnehmen können, Ursus. Besonders weil meine Reise nach Aegyptus doch eher eine Reise nach innen, letztlich zu mir selbst war. Ja, natürlich war ich auch in Alexandria; ich habe die Pyramide gesehen und die Sphinx und bin am Nil entlang bis nach Edfu gekommen. Aber einen großen Teil meiner Zeit habe ich tatsächlich in der Wüste verbracht, dort, wo die Toten ruhen."


    Ich gönnte mir einen Moment Pause; ich hatte gut und couragiert angefangen, doch das Schwierigste stand mir ja noch bevor.


    "Die hohen Erwartungen in mich in Richtung auf eine steile und schnelle Karriere, das plötzliche Auftauchen meiner Mutter und die ganzen Verletzungen, die damit verbunden waren, meine eigene Unfähigkeit, mich hier wirklich auszudrücken und jemandem nahe zu kommen - ich kann es auch nicht wirklich erklären, Avianus und Ursus, aber ich habe es hier einfach nicht mehr ausgehalten, in dieser villa nicht, in Rom nicht, in diesem Leben nicht. Und bin eben dahin gegangen, wo die Toten ruhen."


    Dies alles fiel mir auch wieder sehr schwer zu sagen. Insbesondere gegenüber Avianus fühlte ich in mir eine gewisse Zurückhaltung, die rein gar nichts mit ihm selbst zu tun hatte, sondern allein mit der Tatsache, dass auch wir beiden noch keine Gelegenheit gehabt hatten, uns näher kennenzulernen. Trotzdem gelang es mir, dies alles auch in seiner Gegenwart jetzt so zu formulieren - ein Zeichen dafür, dass ich mich während meiner Abwesenheit tatsächlich ein wenig weiterentwickelt hatte.


    "Ich weiß natürlich, dass ich für die gens damit alles andere als ein Ruhmesblatt bin. Und dass eine politische Karriere für mich eigentlich nicht mehr in Frage kommt, denn wer sollte mir noch vertrauen? Aber das ist nicht der einzige Grund. Ich habe mir in Aegyptus, wahrscheinlich im Delta... es wird eine Mücke gewesen sein... ich habe jetzt ein Fieber, das mich immer wieder schubweise überfällt und mich dann sehr schwächt. So gut reiten wie du, Ursus, werde ich nicht mehr lernen."


    Ich versuchte den Angesprochenen anzulachen, bei dem es mich überhaupt nicht wunderte, dass er sich bei der Armee so gut gemacht hatte.


    "Ich hoffe, dass ich vielleicht noch Dienst an den Göttern verrichten kann."


    Und ich hoffte, dass nun vielleicht auch Avianus uns in seine Zukunftspläne einweihen und zumindest mir damit die Möglichkeit geben würde, ihn besser kennenzulernen.

    Während Siv das Tablett für mich abstellte und mir Wasser in einen Becher eingoss, nahm ich die Gelegenheit wahr, die Sklavin nach dem auditiven Eindruck nun auch visuell genauer unter die Lupe zu nehmen. Einem in ganz bestimmter Hinsicht geübten Blick wie dem Marons fiel dabei sicher die liebliche Figur Sivs auf und ihre schönen Haare; ich aber erschrak. Natürlich konnte ich mich noch sehr gut an den Ankunftstag Cadhlas in der villa Aurelia in Roma erinnern, der auch für mich einer der ersten Tage in diesem Haus gewesen war - an ihren unbeugsamen Widerstand, an ihre funkelnden, kriegerischen Augen, an ihre stolze innere Zurückweisung ihrer neuen "Herren". Doch was ich hier in Sivs Augen zu lesen glaubte, war blanker und vor allem stummer Hass, ein Gefühl, das mehr war als irgendeine Emotion, nämlich nahende Gefahr.


    Nachdem ich endlich die ersten Schlucke Wasser hatte zu mir nehmen können, besserte sich mein fiebriger Zustand weiter, der sich schon merklich entspannt hatte, als ich mich hier auf die cline hatte legen können. Dies half mir, meinen Blick, der bei meinen Observationen Sivs schon schärfer auf die Sklavin gerichtet gewesen war, nun noch stärker auf sie zu fokussieren. Ich verfolgte jede ihrer Bewegungen und versuchte aus ihren Augen ihre Absichten zu erraten.


    Vorläufig aber ließ sich erst einmal wieder ihre Stimme vernehmen. Gleich nach meiner Frage war Siv deutlich anzusehen gewesen, wie das Wort "Schildmaid" sie in Erregung versetzte. Tausend Gedanken und Erinnerungen schienen durch ihren Kopf zu jagen, bevor sie mir endlich antwortete - auf eine Weise antwortete, die mein Misstrauen eher von Neuem bestärkte: Sie war also keine Schildmaid, jedenfalls keine wie Cadhla. Was für eine Art von Kriegerin war sie dann? Ich beschloss, das Gefährliche, nämlich das Stumme ihres Hasses aufzubrechen, indem ich weiter mit ihr redete:


    "Ich merke, dass du gerne über Cadhla sprichst, nicht wahr? Wie geht es ihr? Und du selbst? Woher kommst du? Und wenn du also keine Schildmaid bist: Was bist du dann?"


    Vielleicht war sie eine Art Krankenwärterin. Diesen Eindruck gewann ich jedenfalls, als sie gleich, nachdem sie meine erste Frage nach der Schildmaid beantwortet hatte, meine Stirn befühlte. An der Art, wie ihre Haut dabei an der meinen kleben blieb, merkte ich, dass ich immer noch sehr verschwitzt war, obwohl es hier im triclinium sicher sehr angenehm war. Ich hatte nun nicht vor, mein Leiden nach meiner Ankunft in der villa Aurelia in Roma als allererstes einer Sklavin zu offenbaren; ihr kenntnisreicher Blick belehrte mich aber auch darüber, dass ein völliges Leugnen lächerlich gewesen wäre.


    "Danke deiner Nachfrage! Die Reise hat mich ziemlich mitgenommen, aber sogar noch mehr das andere Klima, das hier im Vergleich zur Großen Wüste herrscht. Es ist hier viel feuchter; daran muss ich mich erst noch gewöhnen."


    Ich war mir überhaupt nicht sicher, dass sie mir das glauben würde. Andererseits hatte sie von ihrer zweifellos im Norden gelegenen Heimat her vielleicht auch nicht unbedingt die Kenntnisse, um meinen Zustand wirklich einwandfrei beurteilen zu können. Jedenfalls hoffte ich, bald in mein cubiculum gebracht zu werden, um aller Anfragen in diese Richtung fürs Erste ledig zu sein, und schickte Maron daher, nach meinem Zimmer zu sehen. Siv dagegen wollte ich aus dem erwähnten Grund des Aufbrechens ihres bösen Schweigens noch eine Weile in meiner Nähe behalten.

    Die freudige Begrüßung, die Ursus mir zuteil werden ließ, löste eine unbeschreibliche Erleichterung in mir aus, welche mich selbst überraschte und mein Gesicht fast ein wenig gegen meinen Willen mit einem für mich doch sehr ungewöhnlichen Strahlen überzog. Der Grund hierfür war vielleicht, dass Ursus' Reaktion so offensichtlich aufrichtig war, denn auch eine anfängliche Verblüffung über mein Erscheinen hatte er durchaus nicht zu verbergen gesucht. Nachdem diese jedoch einer echten Freude gewichen war, ließ auch ich es mir nicht nehmen, meinen - wie mir schien, nun muskulöseren - Vetter herzlich zu umarmen, und gern ließ ich mich von ihm beinahe schon auf eine der Bänke drücken.


    Nachdenklich stimmte mich allerdings, dass Ursus sofort bemerkte, wie müde ich aussähe, und dies, obwohl ich heute doch einen meiner besseren Tage hatte. Ich beschloss, die Aufmerksamkeit nach Möglichkeit von dieser Tatsache wegzulenken, wenn auch nur kurz, denn an der nun folgenden Äußerung von Avianus konnte ich erkennen, dass ich hier ein wenig störend in ein Gespräch eingedrungen war, in dem es um Politik und die Familie ging - beides Themen, zu denen ich ja nun leider noch nicht allzuviel beizutragen hatte - und natürlich um Ursus selbst und seine Erlebnisse, die auch mich wesentlich mehr interessierten als meine eigenen Erfahrungen in der Wüste.


    "Ja, Ursus, ich selbst bin erst vor wenigen Tagen hier eingetroffen und muss mich noch ein wenig akklimatisieren. Von Aegyptus habe ich vor allem die Wüste gesehen; das, was ich darüber vielleicht erzählen könnte, ist ganz sicher nicht so interessant wie deine steile Karriere, zu der ich dir herzlich gratuliere, und natürlich die Frage, wie dir denn bei der Legion der puls geschmeckt hat."


    Ich hoffte, dass es mir durch diese launige Bemerkung gelungen war, die Aufmerksamkeit wieder auf den zu lenken, dem sie am heutigen Tag ganz allein gebührte: Titus Aurelius Ursus.