Der Umzug war vorbei. Sie alle waren ziemlich geschafft gewesen. Umso schöner war das Ende für alle gewesen. Jeder hatte wieder Zeit für den anderen und konnte das stete Streßgefühl ablegen. Nur der Ableger des Fliederstrauches schien sich noch nicht ganz wohlzufühlen. Er stand in einer lang gestreckten Wasser gefüllten Vase und sollte Wurzeln treiben. Jeden Tag hob Tilla den Zweig hinaus und sah nach. Immer noch keine Wurzeln! So ein Mist! Die Herrin durfte das nicht erfahren. Sie stand mit Hilfe von Sabas vermittelnder und übersetzender sprechender Stimme im Kontakt mit dem aurelischen Gärtner. Sie hatten beschlossen, den Ableger demnächst in die Erde des Gartens einzupflanzen. Mit Hilfe eines Stockes sollte er aufrecht stehen und seine Wurzeln in die Erde treiben können. Der Gärtner sprach immerzu von der kleinen Marei, die seine Gärtner-Lehrlingin gewesen war, wie sie immer an seinen Lippen gehangen hatte und tausende von Fragen gestellt hatte. Immer wieder fragte er Tilla, wann dominus Ursus zurückkommen würde und damit auch die kleine Marei zurückbringen würde. Tilla konnte ihm keine Antwort geben, ihn lediglich vertrösten. Die Gerüchte vom bevorstehenden Bürgerkrieg liessen seine Fragen verstummen und er widmete sich dem Garten, der für den kommenden Herbst vorbereitet werden musste.
Keine Nachricht von Hektor. Nacht für Nacht lag Tilla alleine in ihrer Kammer und weinte sich in den Schlaf, sie vermisste ihn so! Die wenigen Stunden, die sie miteinander verbracht hatten, verblassten allmählich in ihrer Errinnerung. Mutter Esther arbeitete stundenweise wieder in ihrem Kräuterladen und half den beiden Sklavinnen mit ihrer Erfahrung. Dennoch hatten sie wenig Zeit für sich, um als Mutter und Tochter auf einer Decke unter dem Kletterbaum zu sitzen und in den Himmel zu schauen und dem Wind zu lauschen. Die Herrin schien nichts von dem wahrzunehmen, was ihre ihr nächststehenden Sklaven umtrieb und setzte ein Fest für sich alleine an. Der Streßpegel stieg erneut. Tilla und Mara fügten sich den Anweisungen, gaben sich redliche Mühe, alles zu tun was der Herrin gefallen würde. Beide hofften, dass sie ihre Anstrengungen belohnt werden würden. Immerhin durften sie nahe der Herrin sitzen und ihr aus nächster Nähe zusehen, wie diese sich benebeln liess.
Maras Füße zuckten einmal mehr, als ob sie aufspringen und mit den zum Tanzen abgestellten Sklaven tanzen wollte, anstatt still zu sitzen. Tilla ertappte sich dabei die einnehmenden Melodien der Musiker zu geniessen. Am liebsten würde sie sich genau wie die Herrin auf den Kissen räkeln, die Augen schliessen und sich mit den Tönen davon tragen lassen. Mehr Wein und mehr Kräuter. Selbst zugreifen war nicht drin. Mara kümmerte sich um den Wein und Tilla um die Kräuter. Beide lächelten freundlich, die eigenen Wünsche tapfer unterdrückend. Die Herrin meldete sich zu Wort. Gehorsam nickten Tilla und Mara. Kein 'unschön' mehr. Und sahen sich im nächsten Moment einander mit fragender Miene an. Einen Brief? An dominus Ursus? Kurz steckten sie die brünetten Köpfe zusammen (man hätte sie in dem Moment wohl für Schwestern halten können) und erfuhren voneinander, dass keine von beiden sich drum gekümmert hatte. Also schnell... sie mussten improvisieren! Mara erhob sich, scheuchte eine herumstehende Sklavin auf, um sich von dieser die Schreibutensilien bringen und geben zu lassen. Ja, der Brief ist in Arbeit, es fehlt nur noch der Mittelteil und der Schluß... entgegnete Tilla mit vorgespielter Selbstsicherheit. Legatus Legionis Titus Aurelius Ursus -- Legio I Traiana Pia Fidelis -- Mantua. ratterte Tilla aus dem Kopf heraus die Anschrift hinunter. Salve Ursus, Sonne meine Herzens... Äh, was flüsterte sie da? Mit hochrotem Kopf gab sie Mara zu verstehen, dass diese das Sprechen somit auch das Vorlesen des imaginären Brieftextes fortsetzen sollte.
"Ich möchte mich mit diesen Zeilen nur kurz melden, um dir zu zeigen dass es mir gut geht. Es passierte in den letzten Wochen sehr viel. Ob dich die Nachricht vom Tode meines Mannes erreichte, weiss ich nicht! Gänzlich unbekannt ist mir, ob du gesagt bekommen hast, dass die Häuser der verdächtigen Familien einschließlich der Flavier und Aurelier von den Prätorianern durchsucht wurden. Zusammen mit den Germanicern hatte ich überlegt, zu Dir nach Mantua zu reisen, aber die Reise ist ins Wasser gefallen. Sedulus und Serrana sind erneut Eltern geworden, es ist ein Junge." Tilla schrieb mit, was Mara auf die Schnelle für den Brief einfiel und übernahm, als sie erkannte, dass Mara ins Stocken geriet. Mara übernahm nun das Mitschreiben. Diese Zeilen lasse ich von der Villa Aurelia schreiben, ja, ich bin dorthin zurückgekehrt. Es herrscht ziemliche Aufregung und Ungewissheit wegen des nahenden Bürgerkrieges. Ein jeder stellt sich die Frage, was die Zeit danach uns bringen wird. Ich hoffe, dass du aktiv im Kastell tätig bist und die richtige Seite gewählt hast. Zudem denke ich dass es sicherlich von deiner Seite her ein paar klärende Worte geben könnte was die derzeitige Situation angeht und es würde mich natürlich auch freuen ein paar Zeilen von dir und deinem Wohlergehen zu lesen. Natürlich weiß ich, deine Zeit ist knapp, denn die Führung und Ausbildung deiner Männer unterliegt einem straffen Zeitplan. Nun geriet sie auch ins Stocken und schloß den Mund. Einar trat an Maras Seite und reichte ihr mit einem leisen Flüstern eine zusammen gerollte Papyrusrolle. Zusammen mit Tilla wickelte sie die Rolle auf. Beide Sklavinnen erkannten, dass es eine neue Proskriptionsliste war. Der Name des dominus stand als letztes drauf. Tilla nahm Mara die Rolle aus der Hand und versteckte sie unter einem Kissen. Nichts wichtiges.. nur die Abrechnung des Einkaufes auf dem Markt. erklärte Tilla, schon jetzt wissend, dass sie eine Abschrift der Liste eigenhändig dem Brief hinzufügen würde. Ihr Beitrag zum Informationsfluß nach Mantua. Mann.. für die Ergreifung 2000 Sesterzen und für Hinweise 1000 Sesterzen. Tillas ehemals im Diebstahl geübten Finger kribbelten.. das waren sehr viele Münzen!