Beiträge von Tilla Romania

    So wie sie da saß mit angezogenen Beinen, die sie mit den Armen umklammerte konnte man ihr nur zu ansehen, dass es ihr nicht gerade gut ging. Das eingenommene Essen lag plötzlich schwer im Magen. Immer noch wollte sie wegrennen.. doch sie tat es nicht. Tilla behielt seine großen Hände im Auge und wartete darauf, das er wieder zu sprechen anfing. Nun.. sie sollte hier zu Hause sein? Die Leute hier waren so ganz anders als sie von ihrem Herrn kannte. Arbeiten tat sie sowieso.. wenn auch nicht im Moment. Die Arbeit war für die Familie.. für das Haus.. für die Stadt? Ursus gab ihr einen ganz neuen Blick auf diesen Aspekt. Sie würde darüber nachdenken.


    Mit einem Nicken stimmte sie ihm zu den Worten über ihren ehemaligen Herren zu, lauschte seinen Worten. Ein klein wenig zuckte sie über die ungewohnte Berührung durch seine Hand zusammen. Irgendwie.. tat es gut, seine Hand zu spüren und er sprach immer noch weiter. Tilla betrachtete sie aus der Nähe, stupste zaghaft seine Fingerspitzen an, rutschte über die Knorpel seines Handrückens. Ein schwacher winziger Versuch, ein Band des Vertrauens zu Ursus zu knüpfen. *Ja, rot und schwarz, furchtbar, schlimm und schrecklich... wie meine Alpträume. Oft wird mir alles zu viel. Schöne Erinnerungen hole ich mir im Garten: Kaninchen auf dem Rasen zugucken. Schmetterlinge von Blume zu Blume beobachten. Möwen und Adlern am Himmel nachschauen.*


    Abermals zog sie die Tafel wieder zu sich. *Ja, er ist krank. Das sagten viele der anderen. Keiner hat sich gewagt gegen ihn aufzulehnen. Ein kranker Sklave hat sein Leben riskiert mich wieder gesund zu pflegen. Er hat gesagt, es ist besser, ich soll gehen und ihn zurücklassen. Seine Zeit sei ohnehin gekommen. Die Träne ist von ihm. Die gab er mir mit.* Tilla zuppelte den weissen Anhänger mit blauen Kristallen in Form einer Träne hervor, den sie um den Hals trug.

    Tilla nickte langsam und wiederholte ihre Namensgeste noch einmal, da er so unsicher geklungen hatte. Jetzt nahm er die Tafel.. ein wenig hiob sie den gesenkten Kopf an, um mitanzusehen, wie er blass wurde. Waren ihre geschriebenen Worte nicht gut? Sie wollte sich doch nur ausdrücken, mitteilen was in ihr vorging. Die letzten Jahre auf der Straße hatte sie alles, was sie gesehen und erlebt hatte, für sich behalten. Und jetzt.. jetzt wollte es irgendwie aus ihr heraus.


    Ursus sprach ganz lange auf sie ein, erzählte seine Sicht über das Messer, was es tun konnte, wenn es geführt wurde. Tilla blickte zu Boden, dachte über seine Worte nach. Also musste sie die Hände hassen.. aber eben Hände waren es, die ihr halfen sich zu verständigen. Sie steckte in einer Zwickmühle. Wieder sagte er zu ihr, dass hier in diesem Hause anderen nicht mehr wehgetan wurde.


    Mit einer Bewegung zog sie die Tafel zu sich, wischte das geschriebene weg. *Ich weiss nicht, wer meine Eltern sind. Ich bin meinem Herren als Baby vor die Tür gelegt worden. Er behielt mich und zog mich als seine Sklavin auf. Schon früh musste ich mit ansehen, wie jeder Fehler bestraft wurde. Keiner durfte dem anderen helfen. Derr Herr stand über allen. Er sah es, wenn man den Kopf wegdrehte oder die Augen zumachte, um nichts sehen zu müssen. Darum meldete ich mich zum Botengänge machen und Einkaufen mit der Kochgruppe, weil wir da vom Haus weg waren. Sein Majordoromus überwachte die Gruppe.* Tilla stockte immer wieder beim Schreiben. *Nur er durfte mit Messer hantieren. Er liebte es... zu schlachten... vor allem dann.. wenn wir auf seine Anweisung zusahen... und wenn er getrunken hatte. Danach.. nach.. dem Messer.. mit elf.. bin ich abgehauen...* Sie schob die Tafel weg, kauerte sich zitternd zusammen.

    Tilla gefiel der Entenschnabel, aber wenn er das 'U' behalten wollte, war es ihr auch recht. Schliesslich wollte sie ihn nicht verärgern. Achja... ihre eigene Namensgeste. Vor lauter Überlegen und Nachdenken über Ursus Zeichen, hatte sie dies gar nicht erst beantwortet. Sollte sie es wirklich zeigen? Seine Mimik sprach Bände.. und sie sollte von ihm fortgehen, bis er sie wieder rufen liess. Dann hatte sie aber nichts zu tun.. und würde sich wieder langeweilen. Diese Aussicht war unbehaglich.


    Mit einem tiefen Atemzug gab sie sich einen Ruck, liess die angezogenen Beine wieder zu Boden sinken, setzte sich aufrecht hin. Tilla erfasste eine eigene schwarze Strähne, wickelte sie sich um den Finger und zog den Finger nach unten, damit die Haarsträhne von selbst wieder abrollte. Locke. Löckchen. Beinahe schon wehmütig sah sie zu, wie die Haarsträhne sich zusammenzog, auf und ab hüpfte. Sie liebte ihre Locken sehr, die Namensgeste stammte noch aus der Zeit, wo sie hatte sprechen können. Einmal mehr zog sie die Tafel heran, nahm sie an sich zum mitnehmen, falls er sie fortschickte. Sie ertrug seine ernsten Gesichtsausdruck nicht, es veranlasste sie dazu, den Srift zu nehmen und zu schreiben. *Tut mir leid, falls ich die Stimmung verdarb. Du sagst, Messer ist ein Werkzeug. Für mich sind Messer viel mehr als Werkzeuge die durch die Hand meines Herren dazu dienten durch ihre Klingen meine Stimme wegzunehmen.* In ihr schrie alles danach aufzustehen und wegzulaufen, den Erinnerungen zu entfliehen, doch sie blieb stocksteif mit gesenktem Kopf sitzen.

    Sie schüttelte zwei ganze Mal mit dem Kopf, winkte ab. Sie wollte nicht über die Sache mit dem Messer reden. Plötzlich fand sie es auch nicht mehr gut, dass er Wein trank. Tilla bemühte sich ruhig zu bleiben, versteckte ihre Sorgen hinter der verschlossenen Miene, die sie aufgesetzt hatte. Immer noch schwirrte ihr der Satz, den er über das Messer gesagt hatte, im Kopf herum. Ihr Gedächtnis stolperte immer wieder über das Wort Werkzeug, ein Messer als Werkzeug benutzen und dann machte ihr Herz einen Hüpfer als wollte es plötzlich aufhören zu schlagen. Sie kratzte mit den Fingernägeln übers Schlüsselbein, zog die nackten Beine an ihrer Brust heran.


    Kurz war das Lächeln, welches sie zu seinen Worten über seine Augenbraue, erwiderte. Ganz still auf der Bank sitzend sah sie ihn an, musterte seine Kleidung, dachte nach. Mhm, ich weiss nicht recht.. jetzt fällt mir nichts ein. Sie liess den Blick weiter wandern, versuchte sich Ursus so vorzustellen, als ob er jetzt gerade nicht bei ihr wäre. Sie musste nachdenken.


    Mit den Händen probierte sie ein paar Gesten aus, mit denen sie ihn anderen gegenüber beschreiben würde. Mann. Bart. Augenbraue. Große Hände. Strenges Gesicht. Lesen. Weise. Letzteres stand eher für das was er hatte versucht ihr beizubringen: nämlich kürzere Gebärden. Hand. Langsam hellte sich ihr Gesicht auf, langsam kam sie der Geste schon näher. Hand. Reden. Sie hielt die rechte Hand wie einen Schnabel vor ihrem unbewegten Mund, bewegte die Hand wie einen schnatternden Entenschnabel. Mit fragender Miene sah sie Ursus an. Ursus-Enten-Schnabel? Sie zog die Tafel heran, begann zu schreiben. *Ich bezeichne dich nicht als Ente. Die Geste hat nichts mit dem Tier Ente zu tun, eher mit dem Schnabel der Ente. Der Schnabel steht für Reden, er steht für Sprechen, für etwas was ich nicht mehr tun kann.* Langsam schob sie ihm die Tafel zu, entweder sie gefiel ihm oder sie gefiel ihm nicht.

    Mit großen Augen sah sie Ursus an. Sie durfte sich ein Messer nehmen? Aber das war ja.. Doch im restlichen Satz nahm sie die Einschränkung wahr. wenn Du Obst schälen willst. Aha.. somit wusste sie wie die Sache aussah. Ihre Mimik verschloß sich. Tilla nickte gehorsam, merkte sich einmal mehr etwas was er zu ihr sagte und widmete sich den übrigen Weintrauben und Nüssen, die da noch auf ihrem Teller lagen. Ein Messer als Werkzeug nehmen... er traf da einen wunden Punkt. Ihr Herr hatte ein Messer gebraucht, um sie zu verstümmeln, auf ewig verstummen zu lassen.


    Mit dunkleren Augen als zuvor hob sie ihren Blick, verfolgte Ursus Hände und steckte sich die letzte Weintraube in den Mund. Das ist einfach. Es ist mir schon von Anfang an aufgefallen. Du musst nur die Mimik benutzen. Tilla zog mit den Fingern eine Augenbraue nach oben, weil sie ihre nicht so gut hochziehen konnte wie er es tat Deine Augenbrauen sind dein Zeichen. Du kannst sie auch nur andeuten.. Sie 'malte' ihre eigene Augenbraue nach, zog eine zweite unsichtbare Augenbraue drüber. Ursus = Augenbraue.

    Sie beendete das Schälen der eigenen Orange und sah ihm zu, wie er mit dem Messer schälte. Er hatte gut reden.. Wie sollte sie bitte schön, eine Orange schälen, wenn sie nicht mal ein Messer besaß? Denn darum spritzte, tropfte und kleckerte es ja. Sorgsam schob sie trotz der missmutigen Gedanken die Schalen auf ihren Teller rüber und nahm wieder auf der Bank Platz. Ja, Orangen trinken und essen tue ich gerne. Tilla nickte, hob den Daumen und schob sich die ersten Stückchen ihrer Orange in den Mund.


    Kurz darauf schüttelte sie den Kopf, zog die Tafel heran. *Nein, das hat mir keiner beigebracht. Mein alter Herr hat die Messer immer verschlossen gehabt. Nur der Oberkoch durfte ein Messer haben. Darum mache ich das Schälen mit den Fingern.* Dies war bald auf dem Wachs zu lesen, ein Versuch sich zu erklären. Tilla legte den Stift beiseite und aß ihrerseits die restliche Orange, wobei sie sich hütete unnötig zu kleckern. Seine Ermahnung hatte sie nicht überhört sondern nahm sie ernst.


    Kauend sah sie ihm zu, dachte über seinen Vorschlag nach. U wie Ursus. D wie Dina. Überraschend nannte sie Ursus an erster Stelle.. und danach erst Dina, obwohl sie die ältere Frau als allererstes kennengelernt hatte. Corvinius. Cotta. T wie Tilla. Immer noch verschwieg sie ihm ihre Namensgeste. Welche Geste würdest du dir denn für dich ausdenken?

    Sie schüttelte sich nochmal, schob den Wein beiseite. Er fragte sie nach dem was sie am liebsten trank. Wie sollte sie ihm orange erklären? Tilla legte die Stirn in Falten, dachte angestrengt nach. Ihr Gedankengang wurde abgelenkt nach der Frage, wie sie bestimmte Personen bezeichnete. Ihr kam der Gedanke, oder ihre Gedanken lesen konnte oder war ihr Zögern so auffällig gewesen?? Langsam schüttelte sie den Kopf, zuckte mit den Schultern. Es gefiel ihr 'Lehrerin' zu spielen, brachte sie gleichzeitig dazu, sich genauer zu erklären und es warf vielerlei Fragen auf. Eine Idee tauchte auf, wie sie die erste Frage beantworten konnte. Bleib sitzen.. ich bin gleich wieder da.


    Darum sprang sie von der Bank auf, lief in den hinteren Teil des Gartens und kehrte mit drei reifen Orangen zurück. Die Bewegung tat ihr gut und ermöglichte ihr sich auszutoben, gar das Erröten loszuwerden, wobei sich dies auch nicht gerade vermeiden liess. Bewegung brachte ebenso rote Wangen hervor wie ein Kompliment... Sie blieb vor der Bank stehen, legte die Orangen auf das Tablett. Orangen.. die haben Saft.. den kann man trinken. versuchte sie ihm zu erklären, bohrte mit dem Fingernagel eine Schale an und riss die auf. Es spritzte, tropfte, kleckerte zugelich. Die Tropfen trafen ihre und auch Ursus Kleidung. Tilla machte unbeirrt weiter daran, die Orange zu schälen, damit sie beide die Frucht essen konnten.

    Sie nickte und zeigte zwei Finger vor, tippte die Fingerspitzen an und nickte lächelnd. Ganz genau. Das ist einfach. Du verstehst es allmählich... Jetzt machte Ursus eigene Gebärden. An einem größeren Käsewürfel knabbernd sah sie seinen Händen zu und grinste. Wieder zeigte sie vier Finger einer Hand vor, tippte sie nacheinander an, zeigte den erhobenen Daumen. Prima.... Ursus, wollte sie sagen, da fiel ihr auf, dass sie noch keine Namensgebärde für den Mann, der ihr gegenüber saß, hatte. Ihre eigene Namensgebärde hatte sie ihm ebenfalls noch nicht gezeigt beziehungsweise verraten. Dafür wollte sie noch etwas abwarten... sie saß erst wenige Stunden mit ihm hier im Garten zusammen. Uhm.. was zeigte er ihr da? Du bist schöne FrauTilla sah auf ihren Teller hinab, um ihre erröteten Wangen zu verbergen. Wie sollte sie bloß darauf reagieren? Sie ergriff einige Weintrauben und aß sie auf. Er hatte ihr gesagt, wie er sie wahrnahm. Tilla hielt sich nicht für schön. Überhaupt hatte sie noch keinen Gedanken daran verschwendet. Danke erwiderte sie schlicht und probierte nun endlich den Wein. Brrr... sie schüttelte sich kopfschüttelnd, verzog das Gesicht. Bah.. ich mag keinen Wein. Saft von Orangen ist gut.

    Tilla stockte als er um Einhalt bat und liess die Hände sinken, die eben noch 'gesprochen' hatten. Forschend sah sie sein Gesicht an und entdeckte eine freundliche, amüsierte Miene, die sie gerade anlachte.


    Seine Aufforderung, sich mehr nehmen zu dürfen, gab ihr den nötigen Mut, dies auch zu tun. Sie nahm sich eine Handvoll Käsewürfel, Trauben und etwas Brot. Mit einem stumpfen Messer, nahm sie von der Butter, strich es auf dem Tellerrand ab und stippte das Brot hinein.


    Nun selbst fleissig kauend sah sie ihm zu, zeigte ihm die fünf Finger ihrer Hand. Brot und Käse sind richtig. Ich zeige dir die anderen nochmal. Trauben abzupfen, Nüssen knacken. Tilla fügte die erklärenden Gesten hinzu, tat so, als ob sie Trauben pflückte oder Nüsse knackte.Sie tippte den kleinen Finger an. Wein ist richtig. Das ist einfach. Handzeichen waren echt nützlich, sie konnte zweierlei Dinge tun: weiterkauen und mit den Händen reden. Sie deutete auf Ursus für die Geste 'Du'. Du bist Mann. Du trinkst Wein. Du ißt Käse. Allmählich fand sie wieder den Anschluß. Mit langsamen Bewegungen schlng sie die Beine in den Schneidersitz, um so bequemer zu sitzen.

    Sie konnte ihm die Frage nicht beantworten... doch sie sah ihm an, dass er die Schachtel von selbst aufmachen würde. Geduldig wartete sie und freute sich über das Grinsen, welches da über sein Gesicht huschte, sowie über den Käse, den sie auf die Hand gelegt bekam. Na, es ging doch alles gut. Stumm sah sie dem wegfliegenden Marienkäfer nach, aß den Käsewürfel auf und sah asbald wieder zu Marcus rüber. Der legte soeben die Schachtel auf den Tisch.


    Tilla trat die restlichen zwei Schritte näher und nahm ihren Schatz wieder an sich. Sie musste nichts gegen Essen eintauschen? Ja, das war ihr klar. Nur, sie hatte gedacht, dass Marienkäfer gegen Käsewürfel kein schlechtes Geschäft waren. Mit der Schachtel in der Hand nahm sie auf einem Stuhl Platz und legte die Tafel auf die Knie. Jetzt sollte sie erzählen. Nur einen kurzen Moment kaute sie auf dem Griffel herum, bevor sie anfing zu schreiben. *Tilla bin ich. Von der Straße komm ich her. Ich bin stumm, keine Stimme und Zunge mehr hab. Tafel und Stift ersetzen das Verlorene. Gebärden für eine Zeichensprache lernte ich von den Straßenkindern.* Tilla legte die Tafel auf den Tisch und schob sie Marcus rüber. Danach öffnete sie die Schachtel und liess auch den zweiten Marienkäfer frei.

    Sie erkannte einen weiteren Mann der bei Marcus stand und der machte etwas mit einem komischen Ding, das er auf und ab bewegte. Interessiert sah sie dem sich bewegenden Ding zu, bis sie sich daran erinnerte wo sie war. Errötend darüber, dass sie sich so schnell ablenken liess, sah sie zu Boden, blickte aber wenige Sekunden zu ihrem Herren wieder auf.


    Dieser hielt ihr jetzt ein Stück Käse entgegen und blickte sie auch noch unverwandt an. Tilla wackelte mit den Zehen, schluckte abermals. Mhm, was sollte sie tun? Immer noch hielt sie die Tafel fest. Sie trat ein, zwei Schritte vor, stand dann aber noch zwei Schritte zu weit weg, um den Käsewürfel einfach so anzunehmen. Wollte er etwas gegen den Käse haben? Sie setzte eine fragende Mimik auf. Ah.. sie hatte eine Idee. Tilla nestelte einen ihrer Lederbeutel auf und zog eine kleine Schachtel hervor, deren Deckel mit ganz vielen Löchern übersät war. Diese Schachtel legte sie auf ihre flache Hand und hielt sie ihm entgegen. Käsewürfel gegen zwei lebende rot-schwarze Marienkäfer? Tilla sah immer noch fragend drein, klemmte die Schreibtafel unterm Arm fest.

    Noch ein wenig außer Atem,w eil sie sich so beeilt hatte und vom Laufen stand sie auf ihrer Stelle und hob langsam den kopf. Warum sprach er sie jetzt an? Er sollte doch bloß essen! Verwirrt über die Änderung des sonst so üblichen Geschehen lauschte sie seinen Worten, blickte zwischen Mimik, Gestik, Essen und Sitzplatz hin und her. Ja.. weitermachen wäre schön.. aber das Essen. brachte sie spontan hervor.


    Jetzt reckte er ihr auch noch einen gefüllten Becher entgegen. Sollte sie mitmachen? Wirklich? Ein letzter forschender Blick huschte über seine Mimik. Tilla gab sich nach seiner zweiten Ansprache einen Ruck und setzte sich mit kleinen Schritten wieder auf die Bank. Mit etwas eingezogenem Kopf, weil sie noch nicht ganz überzeugt war, das Richtige zu tun, nahm sie sich kleine Portionen von allem etwas und legte es auf dem Teller ab. Tilla nahm sich immer zwei von jedem, schob es in den Mund und kaute langsam. Ihr Blick ruhte auf der Tafel, gedanklich ging sie durch, was sie bisher gemacht hatte. Mit den Fingern riss sie ihr Stück Brot in einzelne Stücke und schluckte. Das Essen.. das ist gut. Wein. Käse. Trauben. Nüsse. Brot. Tilla begann impulsiv wieder die Gesten zu den Bezeichnungen auszuführen.

    Kurze Geste für Senator? Wollte er mit ihr eine noch stillere Sprache als ihre bisherige Handsprache basteln? Tilla beobachtete seine Handbewegung und die Stelle die sie berührt hatte. War diese spontane Akktion doch nicht so gut gewesen? Rasch suchte sie mit dunklen Augen seine Mimik ab und fand zu ihrer Erleichterung keine Anzeichen von Verärgerung. Nickend hob sie den Daumen, zeigte ihm, dass es so mit den verkürzten Gesten auch in Ordnung war. Vielleicht sollte sie ihre eigene Zeichensprache überdenken? Aber dazu später... denn jetzt sprach er wieder zu ihr.


    Mit einem Nicken und kurzen Aufleuchten der Augen rutschte sie von der Bank, rannte über den Rasen zur Küche rüber. Soweit sie wusste war Dina dort beschäftigt.. und eine Schreibtafel gab es da auch. Eine schriftliche Erklärung reichte, kurz berichtete sie ihr, was sie mit Ursus im Garten machte. Dina half Tilla die Eßsachen zusammen zu stellen. Nach einer ganzen Weile erst kehrte sie zu Ursus zurück, trug das schwere Tablett mit den Händen. Wie blöd, dass sie nicht sehen konnte, wo sie ihre Füße hinsetzte, aber sie schaffte es ganz ohne stolpernde Zwischenfälle zur Bank. Dort stellte sie es ab, legte den Kopf schief. Und jetzt? Bisher hatte sie immer abwarten müssen, bis die Herren gegessen hatten. Daher trat sie vor Ursus zurück, stellte sich in respektvoller Entfernung auf. Tilla bemühte sich den plötzlich aufgetauchten Appetit auf Trauben, Käsewürfel, Nüsse und Brot zu unterdrücken.

    Der Herr wollte sie sehen! Es war soweit! Mit zitternden Fingern strich sie ihre saubere kirschfarbene Tunika glatt und überprüfte im blauschillernden Wasserbecken ihre Frisur, die sie zu einem dicken Zopf geflochten hatte. Einige schwarze Strähnen hingen ihr seitlich herunter, aber nur, weil sie noch zu kurz waren, um richtig hinter die Ohren gestrichen werden zu können. Von Spangen, Haarklammern oder ähnliches wusste sie nichts, zu selten verliess sie das Haus.


    Dina schenkte ihr einen aufmunternden Blick und drückte auch ihre schmale Schulter. Tilla verliess an ihrer Seite das Haus, näherte sich mit kleinen Schritten der Terrasse und beobachtete Marcus beim Frühstücken. Die Tafel und Schreibzeugs hatte sie mit, hielt es fest an ihre Brust gedrückt. Beim Anblick der Käsewürfel wurde ihr Mund ganz trocken. Erst neulich hatte sie von dieser Leckerei probiert. Käse war unheimlich lecker.. und sättigend. Tilla schluckte und blieb in respektvoller Entfernung kurz vor ihrem Herren stehen. Ein scheues, schüchternes Lächeln zierte ihre Mimik, wie immer, wenn sie auf Menschen stiess, die ihr noch fremd waren, auch wenn sie bereits mit ihnen unter einem Dach lebte.

    Genau, das ist spassig. Tilla tippte ihre Nasenspitze an und lächelte Ursus an. Langsam veränderte sich der Eindruck den sie von ihm hatte und überlagerte die Furcht die sie vor ihm gehabt hatte. Vielleicht würde sie später über sich selbst lachen, wenn sie an die ersten Minuten zurückdachte. Nickend bestätigte sie, dass er dran war und deutete auf ihn. Du bist dran. wiederholte sie.


    Tilla wurde nicht müde, die Gesten und Gebärden geduldig zu wiederholen. Sie wollte ja selbst, dass man sie verstand und dieses Verständnis ihrer Handsprache auch als Schutz vor erneute drakonische Strafen. Mit wachem Blick sah sie Ursus zu, korrigierte, ihn von sich aus ganz kurz berührend, seine Handstellung. So musst du das 'Senator' machen.. nicht zu weit weg von der Brust. erklärte sie, führte selbst die Geste vor. Vielleicht sollte sie sich neben ihn setzen? Sie saßen ja schliesslich spiegelverkehrt gegenüber. Nein!! Für diesen Schritt war sie noch nicht bereit. Tilla tippte die Tafel an, deutete mit dem Stift auf die ersten Wörter in der Liste und sah Ursus an.

    Diese Geste passte auch. Sie sah ihm mit schiefgelegtem Kopf zu, ahmte die Geste mit der Haarsträhne nach. Alles klar. Mann hat Bart und Frau hat Haar(-strähne). erwiderte sie lächelnd, klatschte in die Hände, erfreut darüber, dass sie beide bessere und schneller verständlichere Gesten erfunden hatten. Einmal mehr zeigte sie auf den dritten Finger ihrer rechten Hand, dass er wieder ins Schwarze getroffen hatte, hob danach mit einem bestätigenden Nicken den Daumen. Das macht Spass. 'sprach' sie mit ihren Händen, berührte ihre Nasenspitze und lächelte dazu.


    Mit einem verschmitzten Grinsen, zog sie die Tafel zu sich heran und schrieb fein säuberlich alles auf, was sie bisher an Gebärden hatten. Mit dem Stift deutete sie auf das erste Wort und fügte die entsprechende Geste hinzu. Tilla setzte die Liste fort. Reden. Essen. Trinken. Schreiben. Komm. Geh. Bitte hilf mir. Komm schnell. Es ist sehr wichtig. Besuch für Dich. Senator. Kaufmann. Diener. Bettler. Mann. Frau. Kind. Tilla deutete auf Ursus und tippte die Tafel an. Jetzt bist du dran. Sie holte Luft und fügte die dazugehörige Geste hinzu. Bitte.

    Jetzt verstand er sie nicht. Bereitwillig ergriff sie den Stift, schrieb die Bezeichnungen nieder. *Senator. Kaufmann.* Die Gebärden fügte sie hinzu. Tilla schob ihm die Tafel zu, zeigte vier Finger und tippte den dritten sowie den vierten Finger an. Diener. Bettler. Das hast du richtig. Nickend und lächelnd freute sie sich für ihn, zeigte ihm den erhobenen Daumen. Allmählich gefiel ihr diese Aufgabe immer besser. Impulsiv setzte sie sich rittlings auf die Sitzbank. So konnte sie ihn besser beobachten...


    Stimmt. Bart ist gut. Tilla wiederholte seinen Vorschlag, stimmte somit zu. Bei Frau zögerte sie noch, überlegte ihrerseits eine Weile. Lange Haare geht auch. Haar(-strähne) kämmen? Oder wie wäre es mit Schminke oder Parfüm? Sie tat so als ob sie sich die Lippen anmalte oder die Handgelenke mit Parfüm einrieb. Kinder sind so und so. Tilla wiegte ein fiktives Baby in der schmalen aber kräftigen Armen. Artete diese 'Unterhaltung' mit Ursus nicht langsam in ein theaterähnliches Spiel aus? Und wenn, es machte Spass, liess Tilla halbwegs vergessen, dass sie stumm war.

    Sie lächelte Ursus scheu an, freute sich innerliche, sich so gut ausgedrückt zu haben, auch wenn er ein zweites Mal benötigt hatte, um sie zu verstehen. Bhende wischte sie die Tafel sauber beziehungsweise strich das Bienenwachs wieder glatt, um das Hilfsmittel zur gegenseitigen Verständigung bereit zu haben.


    Ein Soldat ist da. Eine reiche Frau mit viel Schmuck ist da? Irritiert sah sie Ursus an, kratzte sich hinterm Ohr, schüttelte heftig den Kopf, dass ihre langen Haare durch die Luft flogen. Nein. Falsch..


    Sie war ihm dankbar, dass er dann doch mit dem zweiten Raten ins Schwarze traf. Ja, genau. Mann. Frau Sie nickte, hob den Daumen, um zu bestätigen, dass er es richtig getroffen hatte. Stirnrunzelnd sah sie zu Boden, knabberte gedanklich an dem Problem. Tilla nahm die Tafel zu Hilfe. *Du sagst Soldat und reiche Frau. Ich sage Mann und Frau. Ich sehe, da ist ein Problem. Eine andere bessere Idee um besser zu beschreiben? Ich kenne noch die folgenden Gesten...* Senator. Kaufmann. Diener. Bettler. Zu ersterem genügte ein Querstrich über die Brust für den lilanen Strich. Zum zweiten, ein gut gefüllter Münzenbeutel. Zum dritten eine typische Dienerverbeugung und zum vierten eine bettelnde zittrige Hand.

    Abermals nickte sie zu jedem Wort, wiederholte die Gesten. Tilla spannte sich an, als er ankündigte sich auf die andere Bank zu setzen.. aber im nachhinein war es völlig unnötig. Seine Körpersprache sprach keine Drohungen aus und seine Mimik war immer noch freundlich. Schweigend wartete sie ab, bis er ruhig saß und hob ihre Hände, um weiter zu gebärden.


    Etwas langsamer als vorhin wiederholte sie das zuletzt genannte. Bitte hilf mir. Zusätzlich benutzte sie die Tafel als Hilfsmittel, kritzelte die drei Worte auf das Wachs und deutete nach jeder einzelnen Geste auf das Wort. Bitte hilf mir. Ursus fragte sie nach anderen Gebärdenzeichen. Tilla zog die Augenbrauen zusammen, überlegte eine Weile. Schliesslich beantwortete sie. 'Komm schnell' mit mehrmaligem Herbeiwinken einer imanignären Person, setzte eine ernste wichtige Mimik auf und malte den Umriss der fiktiven Person in die Luft. Um zwischen den Personen zu unterscheiden fügte sie etwas hinzu. 'Mann'. 'Frau' Die Geste für Mann bezeichnete sie mit einem soldatischen Gruß an die Stirn. Die Frau mit einem Ohrring am Ohr. Vielleicht verstand er es ohne Aufmalen? Hoffnungsvoll zog sie die Augenrbauen nach oben, sah fragend drein.

    Er hatte sie verstanden.. das waren auch keine schweren Gesten. Nickend bestätigte sie seine Worte zu den Gesten und ahmte sie nach, um sie ihm noch einmal zu zeigen. 'Reden'. 'Trinken'. 'Essen'. 'Schreiben'. erwiderte sie. Sie sollte zu ihm kommen? Tilla konnte nicht anders und riss die Augen auf. Upsa... und nun? Sie umklammerte die Bank mit den Händen. Darüber nachdenken durfte sie wohl nicht, es klang eher wie eine Aufforderung, gar wie eine Aufgabe. Sie kaute auf der Unterlippe und bemerkte, dass diese nicht mehr blutete. Das Blut war schon am Trocknen.


    Bisher hatte Ursus sich daran gehalten nicht näher zu kommen und er schien sich wirklich mit ihrem Geschreibsel und Gebärden beschäftigen zu wollen. Ein gutes Zeichen? Tilla nickte zögernd. Ja. Um sicherzugehen, dass er sie verstand, strich sie abermals das Wachs auf der Tafel glatt und schrieb einmal mehr was sie ihm mitteilen wollte. *Dina kann schon ein paar meiner Gesten verstehen. Die anderen Sklaven haben noch nicht danach gefragt, weil ich zuletzt mehr mit Dina zu tun hatte.* Nun zeigte sie ihm die Gesten die sie Dina beigebracht hatte. 'Komm'. 'Geh.' Sie winkte eine imanigäre Person zu sich und schickte sie mit derselben Bewegung rückwärts wieder fort. 'Bitte hilf mir.' fügte sie hinzu, setzte eine bittende Miene auf, klatschte zweimal mit den Händen.