Die Gesichter der Menschen um Chimerion herum zogen an ihm vorbei, ohne von ihm wahrgenommen zu werden. Die Gaffer am Straßenrand, die dem Zug Platz gemacht hatten, sahen interessiert hinterher und riefen Schmährufe. Offenbar war es für sie eine Genugtuung zu sehen, wie die römische Gerechtigkeit mit einem entflohenen Sklaven verfuhr, sollten doch alle wieder in Gedächtnis gerufen bekommen, wer die wahren Herren waren. Das einzige was Chimerion wahrnahm war die Kühle des Schattens, als sie das Torhaus der Via Appia passierten und man nicht weit entfernt schon Kreuze stehen sah, leer, aber doch den Reisenden mahnend.
Völlig unvermittelt hielt der Zug und nun konnte Chimerion auch wieder etwas sehen. Cassim lud den Kreuzbalken von seinem Rücken und sogleich machten sich eifrige Hände daran, ihn mit dem Längsbalken zu verbinden. Chimerion spürte, wie sich die Faust eines Wächters von hinten in seinen Rücken bohrte und ihn nach vorne schob, in die erste Reihe, damit er auch ja nichts verpasste. Hannibal schien bereits jetzt am Ende seiner Kräfte zu sein, die Wunde musste ihm schwer zu schaffen machen, auch wenn sie notdürftig verbunden war. Chimerion blickte zurück, suchten die Augen seiner Herrin. Ob er sie bitten sollte, man möge ihn selber nehmen und Hannibal verschonen? Zeifelnd wandte er sich wieder um und sah den Verurteilten schwankend aufrecht stehen und etwas zu dem Mann sagen, der scheinbar das Kommando über die Kreuzigung hatte. Erst auf den zweiten Blick erkannte er Catubodus, dessen kleine Gestalt ihn an eine Ratte erinnerte, ein Geschwür, eine Pestbeule. Hass regte sich wieder in ihm und drohte, ihm den Atem zu nehmen. Was hätte er darum gegeben, diesem Mann einen Dolch ins Herz zu rammen, ihn büßen zu lassen für Menelaos und auch für Hannibal? Doch an seiner Seite standen die Custodes und hatten stets ein Auge auf den Daker.
Mit Tränen in den Augen musste er tatenlos mit ansehen, wie Hannibal ans Kreuz gebunden wurde, dann wurden die Seile angezogen und langsam stellte sich das Kreuz auf und stand schließlich, um allen Vorbeiziehenden sein Opfer zu zeigen. Voller Abscheu wollte sich Chimerion abwenden, doch er konnte einfach nicht wegsehen. Seine Lippen bewegten sich stumm, als er wie in der Nacht zuvor für Hannibal betete und die Götter um einen schnellen Tod anflehte.
Hatte Hannibal ihnen nicht allen Hoffnung gegeben auf ein besseres Leben, ein Leben in Freiheit, hatte er ihnen nicht seinen Plan erläutert und sich gute Chancen ausgerechnet, dass er gelingen konnte? Chimerion konnte die Hoffnung in seinen Augen sehen, das Glühen, als sie sich dem Hafen genähert hatten und die tiefe Verzweiflung auf der Rückreise, als Hannibal klar wurde, dass sein eigen Fleisch und Blut ihn ans Messer geliefert hatte....
Lange stand er da und blickte zum Kreuz hinauf. Hannibal hatte ihm vorher zugenickt, dieses Nicken erwiderte Chimerion nun. "Stirb schnell, guter Freund, stirb schnell", murmelte er und ein gequältes Stöhnen drang aus seiner Brust, als die Trauer ihn zu überwältigen drohte.
Beiträge von Chimerion
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Der Morgen hätte für Chimerion nicht schlimmer beginnen können. Er hatte am Abend zuvor erfahren, welches Schicksal Hannibal drohte. Anfangs war er erleichtert zu hören, dass Hannibal noch am Leben war, zwar mit einer schwärenden Wunde, aber immerhin noch am Leben. Als ihm aber eröffnet wurde, dass sie den Halbtoten nun auch noch kreuzigen wollten, hatte er die ganze Nacht kein Auge mehr zugetan. Eigentlich hatte er Hannibal nie ganz vertraut und immer die Befürchtugn gehabt, er würde sie verraten. Das es aber dessen eigenes Fleisch und Blut war, das sie alle dem Tod übereignet hatte, das schien Hannibal schlimmer verletzt zu haben als der Dolch des Sklavenjägers. Während der Nacht hatte er für Hannibal gebetet, die Götter sollten Erbarmen mit ihm haben und ihn sterben lassen. Doch scheinbar brachte der Morgen nicht die Erfüllung seines Wunsches. Im Gegenteil. Die Wärter kamen, um ihn abzuholen und schnitten ihm als erstes ohne viel Federlesen die Haare ab. Ohnmächtig vor Zorn sah er seine Haarpracht fallen, bis keine Strähne mehr auf seinem Kopf war. Dann wurde er nach draußen gefüht, begleitet von zwei Wächtern mit dicken Knüppeln.
Als sie den Hof erreichten, blendete ihn das Licht der Morgensonne und er musste sich die Hand vor die Augen halten. Erst nach Augenblicken erkannte er die Menschenmenge, die auf eine Gestalt in der Mitte deuteten. Hannibal, der mehr tot als lebendig war, musste den Kreuzbalken tragen und schaffte es nicht. Er wurde verspottet und schließlich setzte sich der Zug doch in Bewegeung. Ob Hannibal den Balken selber trug konnte er nicht erkennen, er folgte mit gesenktem Blick dem Zug.
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Chimerion blickte sie an und sah in ihren Augen, dass sie alles mit ihm machen würde was notwendig war, sollte er sich schlecht betragen. Die Gnadenfrist, die er bekommen hatte, musste er nutzen und ihr zeigen, dass er nicht wieder fliehen würde. Wohin sollte er auch gehen? Der Arm der Flavier reichte weit, das hatte gemerkt. Es gab nichts, was sie mit ihrem Geld nicht kaufen konnten, selbst der Tod eines Sklaven konnte mit einer Handvoll Denare gekauft werden.
Seine Haare waren sein ganzer Stolz gewesen, als er nun hörte, dass sie abgeschnitten werden sollten, stieg ein Anflug von Zorn in ihm auf, die Schande war nur schwer zu ertragen. Hatte nicht Hannibal gesagt es wäre besser, stehend zu sterben als kniend zu leben??? Nun, die Frage war, wofür es sich zu sterben lohnte. Diese verhassten Römer hatten ja die ganze Welt erobert, wohin sollte man noch fliehen?
"Ich werde tun, wie du gesagt hast und mir die Haare scheren lassen und dich danach in die Villa Aurelia begleiten", antwortete er. Dann räusperte er sich, um ihre Frage auch noch zu beantworten. "Ich nehme an du wirst mich auspeitschen und brandmarken lassen, damit alle sehen, dass ich schon einmal geflohen bin?" bemerkte er mehr feststellend als fragend, er kannte die Antwort ja bereits. Würde das überhaupt reichen? Musste sie ihn nicht härter bestrafen, um ihr Gesicht nicht zu verlieren?
"Ich hätte noch eine Frage: Was ist mit den anderen Sklaven geschehen? Sind sie....sind sie schon tot?" fragte er. -
Chimerion blickte beschämt zu Boden. "Es war mir eine Ehre, dich zu retten, Herrin", murmelte er und wartete auf eine weitere Strafe. Ungeschoren würde er nicht davonkommen, also war ihm das Auspeitschen und Brandmarken sicher, damit alle Welt sehen konnte, dass er geflohen war.
Gespannt wartete er darauf, was sie ihn als nächstes auferlegen würde. -
Sie hatte ihn vermisst, jeden Tag und jede Nacht, dachte er und schloss die Augen. Mit diesem Gefühl konnte er sterben, sie mochte ihn wirklich. Umso verwunderter war er, als er die Klinge an seinen Händen spürte, wie sie mit einem Schnitt die Fesseln durchtrennten. Seine Arme fielen seitlich an seinem Körper hinunter und er registrierte ihre Worte nur am Rande. Langsam drehte er sich wieder um, immer im Gedanken, es könnte eine List sein, um ihn noch ein wenig zu quälen.
Doch in ihren Augen sah er nicht den Wunsch nach töten, sie meinte es ernst. Dankbar senkte er seinen Kopf. Er wusste nicht, warum er sein Leben behalten konnte, doch nun schien es ihm doch sehr wertvoll zu sein, nun da es in Sicherheit war. "Danke....domina", murmelte er und kniete sich nieder. Sein Glück kaum fassend nahm er den Becher und leerte ihn in einem Zug, der Wein war nicht schlecht, mit Wasser verdünnt und seine dicke Zunge dankte es ihm. Dann begann er sich notdürftig zu waschen und tupfte vorsichtig das Blut aus seinem Gesicht.
"Warum verschonst du mein Leben, Herrin?" fragte er ehrlich erstaunt. Oder würde er in der nächsten Nacht sterben? -
Chimerion musste an ihre Gespräche im Cubiculum denken, als Celerina genau die gleichen Worte gesagt hatte, dass sie selber nicht frei sei und ihren Platz in der Gesellschaft rechtfertigen und darstellen musste. Ihm wurde klar, welch ein falsches Leben das sein musste, sich immer verstellen zu müssen.
"Ich... ich habe dir gefehlt? Du meinst... richtig gefehlt? Nicht nur ein Diener, der dir jeden Wunsch erfüllt?" stotterte er und kam für einen Moment völlig aus dem Konzept. Sie musste ihn doch jetzt schlagen, ihn foltern und für die Sorgen und schlaflosen Nächte bestrafen, die er ihr bereitet hatte. Statt dessen sagte sie ihm, dass sie ihn gebraucht hatte und die Ratte des schlechten Gewissens, die bereits an ihm nagte, begann eine Fressorgie zu feiern. Wäre er frei gewesen, hätte er vielleicht gesagt, dass er Celerina liebte, so aber hatte er einen süßen Schmerz in der Brust, als er sich vorstellte, wie sie an ihn dachte... Wie an einen Geliebten. Der Kloß in seinem Hals schwoll an, er fühlte sich wie ein kleiner Junge, der seiner Spielgefährtin wehgetan hatte und sich nun entschuldigen wollte.
Aber das war anders, er wusste, was er getan hatte. Als sie ihm befahl sich umzudrehen, lächelte er. " Wenigstens durfte ich dich noch einmal sehen, bevor ich vor die Götter trete", flüsterte er und fühlte sein Herz schwer werden. Dann drehte er sich um und atmete tief durch. Das würde schmerzen, mehr als alles andere, wenn sie ihre Sache nicht richtig machte. Das Messer war nicht groß genug, um ihn gleich beim ersten Stich tödlich zu verletzen, noch dazu in ihren zarten Händen. Wenn sie nun auf eine Rippe traf und abrutschte? Er beugte seinen Kopf nach vorne und bot ihr seinen Nacken an. "Stoß beim Schulteransatz hinein, dann geht es am schnellsten", presste er hervor. Dann begann er leise ein Gebet zu murmeln. -
Der Schlag fiel und Chimerions Kopf wurde zur Seite geschlagen. Die Stelle wo sie getroffen hatte brannte und langsam sickerte ein Blutstropfen die Wange hinunter. Also hatte es begonnen. Chimerion sah sie wieder an, sah wie zornig sie war. So kannte er seine Herrin, sie befahl und er hatte zu gehorchen... So lange bis der Tod ihn von seinem Dienst erlöste.
"Freiheiten und die Freiheit sind zwei verschiedene Dinge, ich wollte nicht von der Gunst eines anderen Menschen abhängig sein, ihm ausgeliefert bei allen Dingen des täglichen Lebens..." entgegnete er völlig ruhig und versuchte, sein Blut, das bei dem Schlag zu kochen begonnen hatte, zu beruhigen. Das Kommende würde er nur mit größter Selbstbeherrschung ertragen können. Offensichtlich hatte mir Cassims Namen einen Nerv bei seiner Herrin getroffen, sie schien ihm die Schuld dafür zu geben, dass er geflohen war. Welch herrlicher Anker im Sturm, dachte er. Doch dann antwortete er: "Cassim hat mir angeboten, ihn in sein Land zu begleiten, nach Parthia, wo er einer angesehenen Familie entstammt. Vielleicht wäre ich nicht geflohen, hätte ich nicht dieses Land als ein Hoffnungsschimmer am Horizont gesehen...." Er unterbrach sich und blickte verlegen zu Boden. Noch vor einigen Wochen hätte er seine Herrin getröstet, wäre sie so in Tränen aufgelöst gewesen wie jetzt. Ein Stich ging ihm ins Herz, als er sah, wieviel Leid er ihr angetan hatte, hatte sie es scheinbar doch ehrlich mit ihm gemeint. Doch das Vergangene konnte er nicht rückgängig machen. "Meine Taten sind nicht zu entschuldigen, doch glaube mir, dass ich dich nie verletzten wollte," murmelte er betreten.Schließlich rief sie nach einem Messer. Chimerions Körper spannte sich sofort an und er richtete seinen Blick wieder geradeaus auf Clerina. Sie würde ihn nicht wimmern hören, das hatte er sich geschworen. Ihre Frage überraschte ihn nicht sonderlich, sie spielte wieder Katze und Maus mit ihm, wie zu Anfang. Doch nun würde es nicht wieder auf ihrem Lager Enden sondern mit seiner Leiche zu ihren Füßen. Er schüttelte den Kopf. "Warum du mich nicht töten lässt? Wenn ich ehrlich bin denke ich, dass du es selber tun willst." Er blickte zur Tür, wo der Custos gerade mit den bestellten Dingen ankam. Sein Blick fiel sofort auf das Messer, welches er bei sich trug. "Du hast allen Grund, dies zu tun," meinte er, bemüht, seine Stimme sachlich klingen zu lassen, obwohl es um sein Leben ging.
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Der Knauf der Peitsche war hart und drückte ihm den Kopf nach oben, sodass er gezwungen war, sie anzusehen. Doch statt voller Hass blickten seine Augen freundlich, er durfte Celerina wieder sehen und vergaß einen Moment lang seine Lage. Sie schien schlecht geschlafen zu haben in letzter Zeit, ihre Augen zeigten dunkle Ränder und sie schien vor Zorn zu beben. Womöglich würde sie hier und jetzt seinem Leben ein Ende bereiten, doch darauf hatte er sich in den Tagen seiner Gefangenschaft vorbereitet. Nur hatte er nicht damit gerechnet, dass sie ihm vor Augen führen würde, welche Privilegien er genossen und wie sehr er sie verletzt hatte. Er setzte zu einer Antwort an, doch es kam nur ein trockenes Krächzen aus seiner Kehle. Er räusperte sich und sah sie weiter an, bemüht seine Gefühle in Worte zu fassen.
Eine Erklärung für das alles? Die hatte er selber nicht, alles schien wie ein Traum gewesen zu sein, ihre Flucht durch Italien, die Freude über das ägyptische Schiff, ihren harten Kampf gegen die Sklavenjäger und ihre demütigende Reise zurück nach Rom, um ihr Kreuz in Empfang zu nehmen. Seine Zunge fuhr über die ausgetrockneten spröden Lippen.
"Wie hätte ich dir dein Vertauen zurückzahlen können?", begann er mit heiserer Stimme, die nicht seine eigene zu sein schien. "War ich nicht dein Spielzeug, deine exotische Errungenschaft? War ich nicht dein dakischer Hund, dem die Gunst seiner Herrin zuteil wurde? Es gab nie ein Vertrauen zwischen uns, ich war dir immer auf Gedeih und Verderb ausgeliefert und das wollte ich ändern. Ich wollte meine Freiheit, eine eigene Familie haben und sie mit der Arbeit meiner Hände ernähren..." Er drehte den Kopf zur Seite, weg von der Peitsche und schüttelte sich unter einem trockenen Husten. Keuchend sah er sie wieder an. "Es fiel mir trotz allem nicht leicht, dich zu verlassen, ich hatte mir eingebildet, dass ich mehr für dich wäre als nur ein Hund mit dem man spielt, aber ich habe gesehen, wie es den anderen Sklaven hier im Haus erging. Sie lebten von der Gunst ihrer Herren und wenn diese ihrer überdrüssig waren, kamen sie in die bestenfalls in die Küche oder wurden verkauft. Wusste ich denn, ob du meiner nicht auch überdrüssig werden würdest, früher oder später? Ich wollte nicht darauf warten, bis das passierte, also beschloss ich mit Cassim und den anderen zu fliehen, nach Parthia, wo wir keine Sklaven mehr gewesen wären." Er unterbrach sich und seine Augen wurden traurig, als er an die mögliche Zukunft dachte, die er bei einer gelungenen Flucht gehabt hätte.
"Aber wir wurden verraten, von unseresgleichen...", redete er weiter, mit Bitterkeit in der Stimme. "Wem soll man noch vertrauen, wenn sich Sklaven sogar gegenseitig verraten? In solch einer Welt möchte ich nicht mehr leben", sprach er leise und verstummte dann. Man konnte sich nur auf sich selber verlassen, diese Lehre hatte er bitter erkaufen müssen. Er verkniff sich die Frage, was sie jetzt mit ihm machen würde, er wollte keine Schwäche mehr zeigen. Wenigstens im Tode wollte er das letzte bisschen Würde bewahren, das ihm geblieben war. -
Das Intermezzo im Atrium war einfach an Chimerion vorbeigezogen, er hatte gesehen, wie der schmierige Sklavenjäger seinen Lohn empfangen hatte und sich gewünscht, er hätte ihm den Dolch durch das Gesicht ziehen können. Doch am meisten ekelte ihn dieses Kind, das sie alle so schändlich verraten und verkauft hatte. Mochten die Götter sie mit Krankheit strafen. Vor Chimerions Augen war die Welt wieder zurückgetreten und er war allein gewesen mit seinen Gedanken an der nun Kommende. Doch statt einer sofortigen Hinrichtung war er in den Keller gebracht und in eines der engen Verliese gesteckt worden. Das wenige Licht, das er gesehen hatte, war das einer Fackel gewesen, als einer der Wächter ihm grinsend einen Holzeimer hingestellt hatte, in den er seine Notdurft verrichten konnte.
Dann war es wieder dunkel geworden, für eine sehr lange Zeit, wie es Chimerion vorkam. Was tue ich hier überhaupt?, fragte er sich zum wiederholten Male. Wäre es nicht besser gewesen, sich von dem Sklavenhändler töten zu lassen, mit der Genugtuung zu sterben, dass er seine Belohnung für einen Kadaver nicht bekam? Doch etwas in ihm hatte es so gewollt, er würde vielleicht noch einmal seine Herrin sehen und sie würde ihm den Tod bringen. Er hatte sich fest vorgenommen, nicht zu betteln und alle Qualen zu ertragen, die sie sich für ihn ausgedacht hatte. Hätte vielleicht alles anders sein können? Hatte er sich vom Duft der Freiheit anstecken lassen und musste nun den Preis dafür zahlen?
Sein Kopf schwirrte von Fragen, auf die er keine Antwort kannte, die Stunden zogen sich endlos dahin, brachten ihm aber keine Klarheit. Schließlich begann er zu beten, er bat die Erdenmutter um ihren Beistand in den kommenden Tagen und beschwor die Geister seiner Ahnen, ihm in seinen kommenden Qualen beizustehen und sie ihn wie einen Mann ertragen zu lassen. Dann setzte er sich wieder auf den Boden und dämmerte vor sich hin. Er wusste nicht mehr, wann er endlich eingeschlafen war, an die kalte modrige Wand gelehnt. Mit einem Ruck öffnete er die Augen, als die Türe geöffnet wurde und das Licht einer Fackel ihn blendete. Er hielt die Hand vors Gesicht und hörte auch gleich die Stimme seiner Herrin. Dann spürte er einen Tritt in die Seite, nicht fest, beinahe zärtlich nach den Tagen in Gefangenschaft und erhob sich. Er atmete tief durch und machte sich bereit. Ohne Celerina anzusehen stand er vor ihr, die Blick sittsam auf den Boden zu seinen Füßen gerichtet. -
Da waren sie also wieder, die verlorenen Sklaven, dachte Chimerion bitter. Die ganze Rückreise über hatte er nicht mehr gesprochen und kaum gegessen. Die Beule an seinem Kopf und die Hautabschürfungen waren am verheilen, doch das hatte nun keine Bedeutung mehr. Mit dem Betreten der Stadt Rom war etwas in Chimerion gestorben, was er einmal zu haben schien: Seine Würde. Als er nun über die Schwelle des Hauses trat, das ihm einst Heim und Nahrung geboten hatte, waren seine Augen über die Einrichtung gewandert, hatten alles Schöne und Lebendige in sich aufgenommen und in seinem Kopf gespeichert.
Nun war er am Ende seines Weges angekommen und als er Aristides und Celerina erblickte, verschwanden alle Angst und Zweifel. Wenn sein Schicksal ihm gnädig war, würde der Hausherr sie gleich hier und jetzt töten, erwürgen oder ertränken lassen, wie junge Katzen. Oder er würde sich etwas noch grausameres einfallen lassen. Chimerions Augen waren verschleiert, als er mit seinem Leben abschloss und nur am Rande bekam er das Gespräch zwischen Catu und den Patriziern mit. -
Chimerion ließ einen Freudenschrei hören, als er sah wie sich der Dolch in Catu bohrte. Das schien das Ende für den Sklavenjäger zu sein, der nun zu seinen Ahnen gehen würde. Umso größer war Chimerions Wut, als er sah, dass der Getroffene zwar zuckte, aber dann den Dolch herausriss und selber zum Angriff überging. Scheinbar hatte die Rüstung des Mannes den meisten Schaden verhütet.
Breitbeinig machte sich Chimerion bereit, um den Angriff zu erwarten, der auch kam. Da er gemerkt hatte, dass mit Catu nicht zu spaßen war, hielt er noch ein wenig mehr Abstand und als er den Dolch auf sich zukommen sah, machte er geistesgegenwärtig einen Sprung nach hinten und kam aus seiner gebückten Stellung heraus. Knurrend begriff er das Spiel, als Catu zuschlug und ihn verfehlte, doch um Haaresbreite. Dann stolperte er über den hinter sich liegenden Toten, Menelaos, der mit verrenkten Gliedern auf der Erde lag. Fluchend musste Chimerion den Dolch loslassen, um beide Hände für den Sturz freizuhaben und sich nicht selber zu verletzten.
Der Schmerz schoss in seinen Rücken, als er hart landete und seine Kopfschmerzen, der er von der Keule hatte, wurden immer schlimmer. Für einen Moment lang blieb ihm die Luft weg, dann versuchte er sich aufzurappeln. -
Aalglatt wich Catu dem tödlichen Dolch aus, der ihm mit Sicherheit das Leben genommen hätte und mit einem mal explodierten in Chimerions Kopf viele bunte Lichter, gefolgt von einem metallenen Geschmack in seinem Mund. Er hatte die Keule zwar gesehen, aber nicht damit gerechnet, dass der Sklavenjäger sie werfen würde. Für einen Moment lang war der Schmerz allgegenwärtig und blockierte jede andere Gefühlsregung oder Gedanken. Wie aus weiter Ferne hörte er ein keuchen und das Aufschlagen von etwas schwerem auf dem Boden. Durch einen Vorhang von Tränen sah er Menelaos auf der Erde liegen, umgeben von einem großen See aus Blut, daneben einer der Custodes. Mit mordgierigem Blick wandte er sich dem Verursacher des Blutbades zu. Ein gequälter Schrei drang aus seinem Mund, als er seinen Dolch bei der Schneide griff und ihn aus der Vorhand mit allem warf, was er an Kraft aufbringen konnte.
Mit noch nassen Augen verfolgte er fasziniert die Flugbahn der Waffe, während er sich nach Menelaos Dolch bückte und aufhob. -
Im schwachen Licht konnte Chimerion die Keule seines Gegenübers deutlich erkennen. Auf den Schrei von Cassim bewegte er sich langsam nach vorne, lauernd wie ein Raubtier. Für seinen Dolch musste er dem Sklavenjäger schon sehr nahe kommen und dabei versuchen, nicht von dem beschlagenen Knüppel getroffen zu werden. Zweifellos würde es kein leichter Kampf werden, es sei denn, die anderen würden mit ihren Widersachern kurzen Prozess machen und sich dann auf Catu stürzen.
Aber auch die Frau, die sie dabei hatten, schien sich auf das Kämpfen zu verstehen. Allem Anschein nach war das nicht ihr erster Kampf, sie bewegte sich anmutig wie eine Schlange. Alles hing nun davon ab, schnell fertig zu werden.Als er sah, dass einer der Custodes zu Boden ging, sah er seine Chance gekommen und sprang Catu geduckt an. Zur Not würde er ihm mit bloßen Zähnen die Kehle durchbeißen, auf gar keinen Fall wollte er wieder zurück zu den Flaviern. Her konnte er nur seine Freiheit gewinnen: Entweder konnte er seinen Weg in den Osten fortsetzen oder er würde sterben und auch nicht länger Sklave sein. Der Dolch blitzte matt auf, als er nach Catu stieß und zwischen die Rippen zielte.
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Im Dunkeln konnte Chimerion schon den Steg des Schiffes stehen, der vom Licht einer kleinen Fackel erhellt wurde. Scheinbar herrschte an Bord schon hektisches Treiben, die Ägypter wollten mit dem zurückgehen der Flut auslaufen, um schneller voranzukommen. Die Zeit war gekommen, das große Abenteuer konnte losgehen.
Voll freudiger Erwartung ging Chimerion der Gruppe voraus, um sich den Männern an Deck zu zeigen. Bei den darauffolgenden lauten Worten fuhr er wie gestochen herum. Seine Hand tastete nach seinem Dolch, den er unter seinem Mantel trug. Die Finger seiner Hand schlossen sich fest um den von seiner Körperwärme erhitzten Griff. Noch zog er ihn nicht, er wollte erst sehen, wer sie dort im Dunkeln angerufen hatte. Soweit er erkennen konnte, waren es fünf an der Zahl, darunter eine Frau... Eine Frau in einem Lederpanzer, so wie Cassim gesagt hatte. Die Übrigen hatten sich ebenfalls umgedreht und Chimerion hoffte, dass alle für den bevorstehenden Kampf gerüstet waren. Außer Dido waren sie alle bewaffnet und der Pier war gerade breit genug für fünf oder sechs Menschen.
Blitzschnell sah sich Chimerion um. In seinem Rücken das Schiff der Ägypter, die nun ihrerseits aufmerksam geworden waren, als sie den Ruf gehört hatten. Vor ihm diese Band mit Söldnern, die für eine Schale Puls und eine Lupa ihre eigenen Mütter verkaufen würden. Was wohl die Ägypter dachten? Er hatte ihnen nicht gesagt, dass er mit einer Gruppe Flüchtlinge an Bord kommen würde, noch dazu, dass sie entlaufene Sklaven waren. Aber vielleicht würde sie das Geld mehr interessieren, das sie für die Überfahrt bekamen.
Zögernd wandte er sich wieder der Gefahr zu, die sich ihm unaufhaltsam näherte und blickte die Sklavenjäger finster an. "Hannibal, Cassim, seid auf der Hut, nehmt Dido nach hinten", raunte er seinen Freunden zu. Er blickte die Kleine an. Sie war mit Sicherheit ein nerviges Kind, aber was würde das Schicksal für sie bereithalten, wenn sie diesen Menschen in die Hände fiel? Die Erwachsenen würden mit Sicherheit gekreuzigt werden und sie als Kind? Sie war zwar klein, aber sie war ebenfalls geflohen. Schlimmstenfalls würde ihr das gleiche Schicksal drohen wie ihrem Vater und das versetzte Chimerion einen Stich. Noch hatten sie es in der Hand. Langsam glitt der Dolch unter seiner Tunika hervor, verborgen von seiner nach hinten gewandten Hand.Sim-Off: Edit: Noch ein wenig mehr geschrieben.
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Eine Stunde später begann es bereits zu dämmern, als Chimerion zum Hafen zurückkehrte. Er hatte die Anderen nicht gefunden, hatte aber bis zuletzt gehofft, doch eine Spur von ihnen zu finden. Schließlich hatte er beschlossen, zum Hafen zurückzukehren.
Ganz in der Nähe des Schiffes sah er eine kleine Gruppe Menschen und sein Herz tat einen kleinen Hüpfer, als er alle beisammen sah. Hannibal, mit Dido an der Hand und der Neuzugang, Menelaos. Und natürlich Cassim, der wieder wie ein Mensch aussah mit neuer Tunika und Gürtel.
Chimerion sah sich nochmal um, aber bis auf einige Matrosen, die auf einem der Schiffe lautstark würfelten, war es ruhig und nichts verdächtiges zu sehen.
Langsam trat Chimerion zu der kleinen Gruppe.
"Salvete alle zusammen", raunte er und nickte ihnen zu. "Dort hinten ist unser Schiff, der ägyptische Segler am Ende des Piers. Ist euch jemand gefolgt?" Dabei sah er vor allem Cassim an, der zumindest einen der Sklavenjäger kannte. Oder sollte man besser Sklavenjägerin sagen? -
Nachdenklich betrachtete Chimerion den Parther. Zwar interessierte es ihn brennend, wer ihn so zugerichtet hatte, aber dafür war auch später noch Zeit. "Dann sieh mal zu, dass du was anderes zum Anziehen findest, etwas das nicht so blutig und zerrissen ist... Vielleicht denken die Leute ja, du kommst von einer Tabernenschlägerei oder so" und ein Grinsen lief ihm übers Gesicht. Scheinbar war Cassim den Häschern doch noch entronnen. Seinem Zustand nach mussten es drei oder vier gewesen sein, die ihm aufgelauert hatten.
Die nächste Aussage ließ ihn wieder stutzig werden. "Sie schicken eine... eine Frau? In einer Lederrüstung sagst du? Bei den Göttern, diese Römer spinnen wirklich. Gut, ich werde nach ihr Ausschau halten. Wir sollten uns jetzt wieder trennen, du besorgst dir Kleider und suchst danach die Anderen, ich werde mich schon auf die Suche machen. Ich lass sie nicht gerne zurück, aber wenn sie nicht mehr auftauchen haben sie die Sklavenjäger vielleicht schon geschnappt und warten nur darauf, dass wir sie suchen und ihnen ebenfalls ins Netz gehen. Wir treffen uns wieder in einer Stunde, beim Schiff. Dann wird es bald ablegen, hoffe ich und wir kommen ein für alle mal von diesem Land weg. Mögen die Götter dir gnädig sein", murmelte er noch und war dann in der Menge verschwunden.
Er blickte alle Leute an, die ihm entgegenkamen und versuchte herauszufinden, wer hinter ihnen her war. Dumm schienen sie nicht zu sein, wenn sie selbst Cassim in eine Falle locken konnten, ohne dass jemand etwas davon mitbekam. Fluchend setzte er seine Suche fort. -
Chimerion hatte gerade bei einem der letzten Händler ein paar Pinienkerne gekauft, die er genüsslich vor sich hinknabberte. Ja, das Leben schien eine gute Wendung zu nehmen, in wenigen Stunden würden sie schon weit draußen auf dem Meer sein.
Während er die Liegeplätze betrachtete, hörte er hinter sich Schritte und er sah Cassim noch nicht, da hörte er schon die Schreckensnachricht. Etwas in seinem Inneren verkrampfte sich bei den Worten des Freundes. Also hatte man sie doch gefunden? Er drehte sich zu Cassim um - und erschrak.
Eine rote Spur lief über dessen Wange, scheinbar von einem Messer oder einem Dolch. Offenbar hatte er schon Kontakt mit den Sklavenjägern gehabt. Mit einigen tiefen Atemzügen zwang er sich dazu, ruhig zu bleiben. Es hatte keinen Sinn, jetzt den Kopf zu verlieren, dann Chimerion lag viel an seinem Kopf. Das Gewand von Cassim hing merkwürdig herab, ihm fehlte der Gürtel.
"Skalvenjäger sagst du? Verdammt, wie können die wissen, dass wir hier sind? Und wer hat dich so zugerichtet? Bist du überfallen worden oder warum fehlt dein Gütel?"Noch bevor Cassim antworten konnte, trat er näher, sodass nur er ihn hörte. "Ich habe einen Segler für uns gefunden, einen Ägypter. Er liegt am Ende des Piers und läuft in zwei Stunden aus. Wenn wir die anderen bis dahin nicht gefunden haben werden wir alleine segeln, verstanden? Wir suchen sie und bleiben dabei aber in der Nähe. Und wir sollten uns andere Kleidung besorgen... Zumindest du, dich haben sie ja jetzt gesehen."
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Einen Moment lang zuckte Chimerion beim Ausruf eines Mannes zusammen, der aber bei näherem Hinschauen lediglich ein Ass vom Boden aufhob und triumphierend vor sich hielt.
So komisch der Mann aussah, konnte er wohl um jedes Ass froh sein, das man ihm gab. Seine Erscheinung war mehr als schmuddelig, besonders seine Haaren schienen entweder fettig oder übermäßig geschmalzt zu sein. Kopfschüttelnd drehte sich Chimerion wieder um und ließ die angehaltene Luft durch seine Lippen entweichen. Langsam wurde es Zeit, dass er aus diesem Nest wegkam. Nicht nur die Einwohner sondern auch die Angehörigen der Classis, die hier stationiert waren machten ihn nervös. Wo das Militär war, da waren berittene Kuriere nicht fern.
Während Chimerion suchend über den Platz ging, fiel ihm auf, dass die Schatten bereits länger wurden und die Menschenmenge weniger. Es ging dem Abend zu und die Sonne würde in einer halben Stunde untergehen. Schweren Herzens entschloss er sich, auch alleine zu segeln, sollte er die anderen nicht mehr finden. Schließlich war ihm die Tunika näher als der Mantel und als eiinzelner Mann würde er nicht auffallen. Langsam begann er sich zu entspannen und pfiff ein kleines Liedchen vor sich hin, während er sich auf den Weg zum Kai machte. -
Chimerion hörte den Verkauf des Buches mit Freude, damit hatte der zweite bereits seine Überfahrt in der Tasche.
Er bedeutete Menelaos, im zu folgen und trat einige Schritte in eine enge Gasse hinein, wo sie weniger belauscht werden konnten.
"Ich habe eine Möglichkeit gefunden, ein ägyptischer Segler würde uns mitnehmen, uns alle für 1500 Sesterzen. Ich habe meinen Teil schon beisammen und du deinen in dem Fall auch. Wir müssen jetzt nur noch die anderen finden und hoffen, dass sie auch so erfolgreich waren wie wir."Er blickte sich kurz um und trat dann wieder auf den großen Markplatz.
"Am besten treffen wir uns in einer Stunde am Fischmarkt, solange suchen wir nach den Anderen." Wieder sah er sich kurz um und meinte dann: "Wenn wir die anderen nicht finden sollten, dann segeln wir trotzdem mit den Ägyptern. Sie werden heute Abend ablegen, in etwa drei Stunden, wenn es dunkel ist. Sorge dafür, dass du da bist." Dann verschwand er im Getümmel der Menschen. Er blickte nach links und rechts, machte sich lang und erhoffte, irgendwo dazwischen die hohe Gestalt von Cassim oder die Haare von Hannibal zu erblicken. Sie hatten kaum noch Zeit, aber wenn sie es schafften, könnten sie Italia hinter sich lassen und damit auch etwaige Verfolger. Gewiss war ihre Flucht schon entdeckt worden, aber in Chimerion regte sich eine immer größer werdende Hoffnung. -
Während der ganzen Zeit hatte Chimerion nach seinen Freunden Ausschau gehalten, um einen von ihnen zu entdecken. Am ehesten hoffte er Cassim zu finden, der sich um die Lebensmittel kümmern sollte. Doch langsam bezweifelte er, ob sie wirklich so viel bräuchten. Die Seeleute hatten ihren Laderaum ja schon gefüllt und für die Höhe der Passage war das Essen sicher auch mit dabei.
Nun musste nur noch Geld her. Chimerion trieb sich an den Marktständen herum, die etwas abseits des Hafens lagen. Hier hoffte er für das eine oder andere Schmuckstück, das er aus der Villa Flavia entwendet hatte, etwas Geld zu bekommen. Nach einigem suchen traf er auf einen Händler, der Schmuck anbot.
Nach einer kurzen Unterhaltung begann er zu handeln. Die kleinen Ohrringe mussten ihm mindestens 500 Sesterzen einbringen, wahrscheinlich waren sie sogar doppelt so viel wert. Schließlich handelte er den Händler auf 600 Sesterzen und so wechselten Schmuck und Geld den Besitzer. Chimerion wog den Beutel. Das dürfte auch genügen, um sich alleine abzusetzen, dachte er noch für sich und erschrak über seine eigenen Gedanken. Zumindest Cassim wollte er finden, denn er war der Garant für eine Aufnahme ins Parthische Reich.Als er über den Marktplatz schlenderte, traf er endlich auch Menelaos, der scheinbar schon Ausschau gehalten hatte.
"Hallo Menelaos, hat alles geklappt?", fragte er. "Ich habe ein Schiff gefunden, das uns mitnimmt. Hast du die Anderen schon irgendwo gesehen?"