Beiträge von Mithridates Castor

    Rhakotis? Was bei Serapis und Alexander sollte er denn in Rhakotis tun wollen? So wie Castor die Angelegenheit sah, war die Stadtwache dazu da, um sie, die hellenische Oberschicht, vor dem fremdartigen Pöbel zu schützen, nicht etwa den Ägypterabschaum vor sich selbst.
    Wie überall dort, wo die Rhomäer sich einmischten, schien es nun also auch in Alexandria steil bergab zu gehen. Ein Ägypter als Herr über die Stadtwache, eine Rhomäerin als Prytan! Vorbei die Zeiten, als die stolze Polis ein Zentrum von hellenischer Kultur, Politik und Wissenschaft darstellte. Was vom alten Glanz geblieben war: Eine Wirtschaftsmetropole, innerlich zerrissen, klein gehalten durch römische Besatzung und regiert von einem Haufen fremder Barbaren. Dass seine Einschätzung nicht ganz den wahren Begebenheiten entsprach, ließ sich dabei leicht in den Hintergrund drängen.
    Unmerklich schüttelte M.C. den Kopf. Es wurde wirklich Zeit, sich anderen Aufgaben zuzuwenden.
    "Nun, ich habe meine Einwände vorgebracht. Dass darauf nicht ernsthaft eingegangen wurde und offensichtlich nichts Substantielles entgegen gesetzt werden konnte, spricht, so denke ich, für sich. Mehr habe ich zu dem Thema nicht mehr zu sagen."
    Er hatte genug dazu gesagt, sollten sie tun, was sie wollten.

    Auch Mithridates Castor hatte die allgemeine Aufregung mittlerweile aus seinen Büros hinausgelockt. Also stand er nun vor dem Eingang seines Arbeitsbereichs unweit dem des Strategen und beobachtete das ungewöhnliche Geschehen.
    Einerseits beunruhigte ihn das, was er da sah. Wollten die Rhomäer etwa das stillschweigende Einverständnis zwischen alexandrinischer Oberschicht und römischen Besatzern brechen? Schwer vorstellbar, aber bei diesem Volk wusste man ja nie, woran man an ihnen war.
    Andererseits dachte der Agoranomos auch fieberhaft darüber nach, wie ihm eine mögliche Eskalation der Situation zwischen Stadtwache und römischen Soldaten nutzen mochte. Ein toter Strategos oder Gymnasiarchos wäre sicherlich bedauerlich, aber vermutlich verschmerzbar. Schon sah er sich nach einer Möglichkeit um, wie die eine oder die andere Partei vielleicht provoziert werden konnte. Ein gezielter Steinwurf etwa? Wohl zu riskant, zumindest einigen Kollegen würde das kaum entgehen. Also blieb M.C. vorerst nichts anderes übrig als abzuwarten, wie sich die Situation weiter enwickeln würde.

    "Natürlich bin ich ich mit den Problemen der Stadtwache nicht so vertraut wie andere hier, doch es würde mich schon interessieren, warum eine Mannschaftsstärke von 300, mit der auch dein Vorgänger zurecht gekommen zu sein scheint, plötzlich nicht mehr ausreichen sollte, die Sicherheit der Polis zu gewährleisten. Welche Ereignisse der jüngeren Vergangenheit bieten zu einer solchen Maßnahme Anlass?"
    Kurz holte er Luft, dann fuhr der Agoranomos fort.
    "Und wenn dem tatsächlich so sein sollte, dass die Erhöhung notwendig ist, wer soll garantieren, dass die Kosten in einem annehmbaren Rahmen bleiben. Ist die Erhöhung erst einmal beschlossen und die zusätzlichen Wächter eingestellt ist es für solche Überlegungen zu spät, geschätzte Kollegen."

    "Bleibt dennoch das Kostenproblem. Wir reden ja doch fast von einer Verdopplung der Truppenstärke. Also auch doppelte Soldausgaben, Kosten für Ausrüstung und Ähnliches. Wenn wir die Stadtkasse mit solch großen Mehrausgaben belasten, sollten wir von der Notwendigkeit der Maßnahme absolut überzeugt sein. Und das bin ich, mit Verlaub, noch immer nicht."
    Mehr als die steigende finanzielle Belastung des städtischen Budgets fürchtete M.C. die Stadtwache als Werkzeug in den Händen dieses Ägypters. Und wer nach den nächsten Wahlen dieses Werkzeug voraussichtlich unter seiner Fuchtel haben würde, hatte der Agoranomos trotz intensiver Nachforschungen noch immer nicht in Erfahrung bringen können.

    Das Angebot wusste der Agoranomos in jedem Fall zu schätzen. Die Geschichte mit der Verlobten hatte Mithridates hingegen im Arbeitseifer der letzten Tage schon wieder vergessen gehabt; umso besser, dass er von Anthimos Bantotakis nun selbst darauf angesprochen wurde.
    "Ach ja, das ist ja nur eine Formalität."
    Er kramte in seinen Unterlagen nach dem betreffenden Schriftstück und entfernte die Klausel 'vorläufig'.
    "Bitteschön!"


    Betriebserlaubnis
    22.Mechir
    [19.11.105]


    Hiermit wird dem Bürger Ánthimos Bantotakis gemäß §3 Nomos Empories die vorläufige Betriebserlaubnis einer Malerei des Namens Zografia Bantotakia in Alexandria erteilt.
    Weiterhin wird ihm ermöglicht, die darin erstellten Produkte gemäß §4 Nomos Empories auf den städtischen Märkten zu vertreiben.


    Mithridates Castor

    Der Prytan war bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, doch das, was er da erzählt bekam, hinterließ bei ihm doch ein leicht mulmiges Gefühl. Hatte er im Verlauf der letzten Jahre solch große Feindschaften auf sich gezogen, dass diese ihm gleich am hellichten Tag gedrungene Schergen auf den Hals hetzten?
    Einen Moment lang ging ihm der Gedanke durch den Kopf, ob es nicht das Beste wäre, den Rest seiner Amtszeit in der sicheren Umgebung seines Domizils zu verbringen, doch dann überwog doch wieder seine Neugier. Er musste unbedingt wissen, was es mit dieser Geschichte auf sich hatte.
    "Ich danke dir für deine Wachsamkeit. Sollten die drei noch einmal auftauchen, wäre es wohl das Beste, sie gemeinsam zu empfangen. Ich werde zudem Echion benachrichtigen. Was immer diese Leute auch wollten, ein Überfall bei Tageslicht und vor den Augen der halben, städtischen Beamtenschaft erscheint mir wahnsinnig."
    Dass es in Alexandria wie überall sonst genug wahnsinnige und verzweifelte Menschen gab, die zu allem bereit waren, ließ er unerwähnt.

    Mit einigen geübten Federstrichen nahm Mithridates die Angaben der jungen Frau in das Dokument auf, siegelte es und überreichte ihr dann die auf ihren Verlobten ausgestellte Betriebserlaubnis.
    "Dann bleibt mir noch, euch viel Erfolg zu wünschen. Doch so wie ich deinen Verlobten kenne, habe ich daran kaum Zweifel. Und der Passus 'vorläufig' wird dann wie vereinbart getilgt."



    Betriebserlaubnis
    22.Mechir
    [19.11.105]


    Hiermit wird dem Bürger Ánthimos Bantotakis gemäß §3 Nomos Empories die vorläufige Betriebserlaubnis einer Malerei des Namens Zografia Bantotakia in Alexandria erteilt.
    Weiterhin wird ihm ermöglicht, die darin erstellten Produkte gemäß §4 Nomos Empories auf den städtischen Märkten zu vertreiben.


    Mithridates Castor

    M.C. ließ einige Sekunden verstreichen, ehe er zu einer Antwort ansetzte. Er hatte bereits von der Verlobten seines Angestellten gehört, kennen gelernt hatte er sie bis zu diesem Moment allerdings noch nicht. Und für irgendwelche Späße dieser Art war er eigentlich auch nicht zu haben. Eigentlich, denn mit der Aussicht auf ein baldiges Ende seiner Zeit als Agoranomos war er nachsichtiger geworden und drückte auch einmal ein Auge zu, wenn es seiner Meinung nach zu vertreten war.
    "Nun, Penelope, üblicherweise benötigt man hierzu die mündliche oder schriftliche Zustimmung des künftigen Besitzers.
    In diesem Fall würde ich aber vorschlagen, ich erteile die Betriebserlaubnis erst einmal vorläufig und sobald dein Verlobter deine Angaben bestätigt hat, wird aus dieser temporären Genehmigung eine dauerhafte."

    Ein wenig Vorsicht wollte der Agoranomos dann doch walten lassen, immerhin konnte er nicht wissen, ob es sich bei der Frau tatsächlich um jene Person handelte, als die sie sich vorgestellt hatte.
    "Ich hoffe, du bist mit diesem Vorschlag einverstanden? Wenn ja, benötige ich eigentlich nur noch einen Namen für die Malerei."

    II. Akt


    Personen: Nestor, der kindliche Tyrann
    Mithras, der Sonnengott
    Demos, der Geknechtete


    Nach dem Tod seiner beiden Vertrauten sucht der Tyrann den Ratschlag der Götter.


    Tyrann:
    Ihr Götter so helft mir, es reuet mich nun!
    Sagt mir doch, was soll ich nur tun?


    Ein kleiner Zwerg, ganz in gelb gewandet und geschminkt, erscheint auf einem Sockel über der Bühne. Es ist der Sonnengott Mithras, der mit tiefer Stimme antwortet:


    Mithras:
    Sterblicher, nun willst du doch sühnen,
    wie könntest dich auch für deine Taten noch rühmen?
    Erinnerst' dich Demos, des Knechts, den ließest du quälen,
    damit das Geld für deine marmorne Statue kannst zählen!
    Ruf ihn herein, um dir zu verzeihen,
    und ihm dein Leben dann zu weihen!


    Tyrann:
    So soll es sein, ihr Götter dort oben.
    Zu oft ließ ich meinen Schrecken erproben.
    Doch nun ist Schluss, wo bleibt meine Tugend,
    Lasst ein, den Demos, vergesst meine Jugend!


    Mithras verschwindet wieder, dafür taucht gleich darauf der Knecht Demos auf.
    Dieser tritt vor den am Boden knienden Tyrannen.


    Demos:
    Wie lange wart' ich auf diesen Moment,
    dass der Lebensfaden des Tyrannen endlich zu reißen beginnt.
    Der Wunsch nach Rache lässt mich erbeben,
    nur im Tod findet ein Schurke das ewige Leben.


    Demos zieht einen Dolch hervor und ersticht den Tyrannen. Dann besteigt er den Thron.


    Demos:
    Aus ist's mit ihm!
    Weder Fremden noch Tyrannen gehört die Herrschaft über dies Land.
    Krone und Szepter müssen in des Demos' Hand.



    Fortsetzung folgt

    Als sich das Publikum auf den Plätzen des Theaters niedergelassen hatte, erschien auf der Bühne ein Mann, der nun mit lauter Stimme den Beginn der Vorführung verkündete:
    „Liebe Bürger, verehrte Gäste, wir freuen uns über Euer Erscheinen. Es ist uns und dem Prytanen Mithridates Castor eine besondere Ehre, Euch heute hier zu Ehren unserer Götter und der gesamten Bürgerschaft eine Darbietung der Komödie Der kleine Tyrann der lokalen Künstlergröße Melanthios präsentieren zu dürfen. Sie behandelt die Suche des kindlichen Tyrannen Nestor nach der ewigen Jugend."



    I. Akt: Im Thronsaal des Tyrannen


    Personen: Nestor: der kindliche Tyrann
    Magus Achilles: parthischer Zauberer am Hofe des Nestor
    Stultissimus: der Obersklave des Tyrannen und Geliebte des Achilles
    Iniucunda Urina: alternde, jungfräuliche Lupa


    Der Tyrann Nestor (dargestellt durch einen jugendlichen Darsteller) sitzt auf seinem Thron, in der einen Hand ein Becher voller Mohnsaft, in der anderen eine Spielzeugpuppe. Zu seiner Linken steht Stultissimus, der Obersklave und getreue Handlanger des Tyrannen.
    Ein dritter Mann, der parthische Zauberer Magus Achilles, in merkwürdigen langen Gewändern gekleidet, betritt den Saal und verneigt sich vor dem Tyrannen. Stultissimus und Achilles tauschen derweil verliebte Blicke aus.


    Tyrann, jammernd:
    Oh Achilles, mein Magier, was soll ich nur tun
    ich merk es, die Jugend, sie welkt nun schon.
    Nichts hat gewirkt, an Perser und Römer verkauft' ich mein Reich,
    doch vom vielen Mohn ist mir nun schon die Birne ganz weich!


    Achilles:
    Mein König, die ew'ge Jugend vollbringt nur Eins,
    es ist die Liebe, die uns Menschen so wichtig erscheint.
    So bracht ich dir die passende Frau,
    sie steht nun draußen, vor dem königlichen Bau.


    Der Tyrann horcht auf, stellt Becher wie Puppe beiseite und nimmt eine gerade Haltung ein.


    Tyrann:
    So bring sie herein!


    Eine Frau betritt den Thronsaal, gekleidet wie eine Dirne. Es ist dies Iniucunda Urina, eine alternde, jungfräuliche Lupa.


    Urina, ans Publikum gewandt:
    Iniucunda Urina, so werd ich genannt.
    Doch das Leben hat mein Herz leider schon oft verbannt.
    Nach Liebe dürstet mich doch so sehr,
    doch in meinem Alter, da mögen einen die Männer nicht mehr.
    Aber nun, so hoff ich, naht meine Chance.
    Der König, das seh ich, liegt wahrlich in Trance.


    Sie wendet sich Nestor zu, küsst und umarmt ihn. Nach einigen Sekunden stößt sie der Tyrann aber von sich weg, woraufhin die verschmähte Frau weinend aus dem Zimmer rennt.


    Tyrann, an Achilles:
    Es wirkt nicht, du Narr.
    Du sprachest nicht wahr.
    Stultissimus, mein Diener, greif nach dem Schwert,
    denn Achilles Leben ist nun nichts mehr wert.


    Der Obersklave zieht sein Schwert und erschlägt den Parther, ohne zu überlegen. Erst dann realisiert er, was er gerade getan hat und wirft sein Schwert von sich.


    Stultissimus, ans Publikum gewandt:
    Ach wünscht' ich doch, ich wär nicht so dumm,
    ich schlüge nicht immer mit der Peitsche rum.
    Mein Ein und Alles hab ich umgebracht.
    Nun folg' ich Achilles, der nie mehr erwacht!


    Er greift nach seiner Peitsche und erhängt sich an ihr, seinem Geliebten in den Tod folgend.



    Fortsetzung folgt

    Mithridates ließ sich auf seinem Platz nieder. Im Gegensatz zu den meisten Teilnahmen an öffentlichen Veranstaltungen in der Vergangenheit, begegnete er dem heutigen Tage mit fast freudiger Erwartung. Denn die Werke des Melanthios mit ihrem derben Humor und dem Verzicht auf Konventionen entsprachen nun einmal mehr seinen Interessen und Vorlieben, als es die der klassischen hellenischen Künstler jemals würden tun können.