Beiträge von Micipsa

    Auch Micipsa hatte das Angebot seines Herrn angenommen, sich mithilfe des Hauslehrers von Serenus etwas weiterzubilden. Oder war es eine Aufforderung gewesen? Jedenfalls gab es gegen ein wenig Abwechslung nichts einzuwenden. Über den genauen Ablauf und die Teilnehmer wusste er jedoch nicht Bescheid und so betrat er etwas zögerlich den für diesen Zweck ausgewählten un in seiner Einrichtung leicht veränderten Raum.
    Er überflog die Gesichter der Anwesenden: Die anwesenden Frauen schienen, von Bridhe einmal abgesehen, dem Aurelierhaushalt zu entstammen; den Mann neben Bridhe kannte er nicht, allerdings hatte er von einem parthischen Sklaven gehört, der sich neuerdings zum flavischen Besitz zählen durfte.
    Der Nubier nickte ihnen kurz zu und wandte sich dann an ihren designierten Lehrer: "Ich bin Micipsa und gehöre zum Haushalt von Flavius Aquilius", stellte er sich kurz vor und nahm anschließend etwas abseits der Anderen Platz.

    Zufrieden machte er sich über seinen Apfel her. Irgendwie versorgte ihn Bridhe in letzter Zeit häufiger mit - zumindest für Sklavenverhältnisse - etwas ausgefalleneren Speisen. Er nahm sich vor, das demnächst einmal zu ändern.
    "Meine Götter?" erwiderte er auf die Frage von Fhina, deren Wangen offenbar durch den Einfluss der Frühlingssone leicht gerötet waren. "Wenn ich zu irgendeiner Gottheit meiner Vorfahren eine engere Bindung habe, ist es wohl Mandulis, der nubische Sonnengott. Aber ich lebe im Allgemeinen zu lange unter Römern, als dass er noch viel mehr für mich bedeuten könnte als verblassende Erinnerungen", sagte er ohne Wehmut.
    Sie standen noch immer in unmittelbarer Nähe der Verkaufsstände. Aber ihnen war für ihre Rückkehr scheinbar kein zeitliches Limit gesetzt worden und so führte er die Unterhaltung fort:
    "Was haben eigentlich Aquilius und dein Dominus miteinander zu tun? Und wer ist dieser Dominus überhaupt?"
    Das ging ihn zwar eigentlich nichts an und wahrscheinlich wusste auch weder Fhina noch Bridhe genauer über das Verhältnis ihrer Herren Bescheid, aber irgendeinen Grund musste es ja geben, warum Fhina die Villa Flavia aufgesucht hatte und sie nun von ihnen zurückbegleitet wurde. Und Micipsa war nun einmal ein neugieriger Mensch.

    Micipsa nahm die Tatsache, unentdeckt geblieben zu sein, erleichtert zur Kenntnis. Er bereute es nun ein wenig, dass sie während der Ausübung ihrer Opferzeremonie nicht geschwiegen und damit aus Bridhes Sicht ihren Bräuchen vielleicht nicht den notwendigen Respekt entgegengebracht hatten. Doch wenn die Keltin darüber verärgert war, ließ sie es sich ihren beiden verbliebenen Begleitern gegenüber jedenfalls nicht anmerken.
    Im Gegensatz zu so manchem Römer schätzte er den süßen Geschmack des angebotenen Mets und so griff er dankbar nach einem Becher und nahm einen großen Schluck davon. Lange war ihm der angenehme Honigwein nicht mehr vergönnt gewesen und umso intensiver konnte er ihn nun genießen.
    "Nicht schlecht. Noch etwas stärker gewürzt und er wäre perfekt!" sagte er mit der inneren Überzeugung eines Kenners und Experten.
    "Ich weiß zwar nicht, wie du das alles hier aufgetrieben hast, aber ich denke, es ist Zeit, mich einmal für die Versorgung hier zu bedanken."
    Er blickte von Bridhe zu Pallas hinüber, nur um sich zu vergewissern, dass der Mann aus Britannien noch nicht eingeschlafen war. Vielleicht wurde es auch langsam Zeit für ihn selbst, sich zurückzuziehen, da sich der Nubier mittlerweile schwer tat, ein ermüdetes Gähnen zu unterdrücken.

    Micipsa erwiderte Bridhes nach Bestätigung suchenden Blick mit einem kurzen Nicken: "Solange meine Aufgaben unter anderem darin bestehen, zwei gut aussehende junge Frauen begleiten zu dürfen, werde ich wohl auch kein Bedürfnis haben, mich über Aquilius zu beklagen." Tatsächlich war er recht zufrieden mit seinem Besitzer und dem neuen Leben in Rom. Auch wenn er in der Regel Vorsicht walten ließ, wenn es darum ging, sich ein Urteil über andere Personen zu machen. Menschen konnten sich eben auch verstellen oder ihren Charakter über Nacht vollkommen verändern. Doch bis zu diesem Tag hatte er nichts derartiges bei seinem Herrn entdecken können.
    Den gedanklichen Austausch über ihre Götter verfolgte er interessiert, ehe er sich an dem von Bridhe ausgesuchten Obststand wieder zu Wort meldete: "Einen Apfel nehm ich mir gerne. Wenn schon Aufpasser, kann ich ja gleich noch den Vorkoster spielen." Er griff nach einem der kleinen, gelbfarbenen Äpfeln in der Auslage. "Die Frauen bezahlen natürlich", fügte er schmunzelnd mit Blick auf den Beutel in Bridhes Händen an.
    Ob es am Frühlingswetter lag oder nicht , der großgewachsene Nubier war jedenfalls so gut gelaunt wie lange nicht mehr.

    So ausführlich sie diese komplizierte Angelegenheit auch besprochen hatten, einer wirklich sinnvollen Lösung waren sie nicht näher gekommen. Und eine solche würden sie wohl auch nicht finden, denn letztendlich entschied in jedem Fall Aquilius, was mit dem Kind geschehen sollte.
    "Ich würde ja einen Sammelfonds vorschlagen, um wenigstens das Kind frei zu bekommen, aber da Sklaven ihrem Status gemäß meist nicht für ihre Arbeit entlohnt werden, würde wahrscheinlich nur wenig zusammenkommen", sagte er, halb ernst gemeint, halb als Scherz.
    Micipsa dachte über seine Besitztümer nach, die im Grunde nur aus dem bestanden, was er am Leib trug und in seiner Truhe verwahrte. Kein Geld, kaum Wertgegenstände. Und selbst das Wenige gehörte ihm streng genommen ja nicht einmal. Wie es um die Vermögensverhältnisse anderer Flaviersklaven inklusive Bridhe stand, wusste er zwar nicht, aber sie dürften ähnlich mager ausfallen.
    Er ließ sie schließlich los und blickte gedankenverloren die gegenüberliegende Wand an. Es musste einige Zeit vergangen sein seit dem Zeitpunkt, als sie sich vom Garten in die Kammer aufgemacht hatten. Nicht dass es ihn übermäßig interessiert hätte, was andere über ihn dachten. Aber vielleicht suchte man bereits nach ihm, um ihm irgendeine Arbeit aufzuhalsen und da wollte der Nubier nicht unbedingt in der Kammer von Bridhe aufgefunden werden.
    "Ich sollte jetzt besser gehen. Aber wenn ich dir in irgendeiner Form helfen kann, zögere nicht, mich dafür heranzuziehen."
    Es handelte sich um ein ernstgemeintes Angebot, auch wenn ihm im Moment nicht einfiel, inwiefern er die Keltin sinnvoll unterstützen konnte.

    Scheinbar desinteressiert hatte Micipsa die bisherige Unterhaltung der beiden jungen Frauen verfolgt. Dabei musterte er die kleinere der beiden jedoch sehr aufmerksam. Ihre Geschichte ähnelte denen anderer Leidensgenossen, die er in jüngster Zeit erzählt bekommen hatte. Der Bedarf an Sklaven, insbesondere weiblichen Geschlechts, musste gewaltige Ausmaße angenommen haben, wenn römische Sklavenjäger nun auch in überwiegend befriedete Gebiete ausschwärmten. Mit einer Einordnung Fhinas nach Volksstamm oder Herkunftsland tat sich der Nubier allerdings schwer. Dafür sahen sich die Angehörigen verschiedener nordischer Völker aus seiner Sicht viel zu ähnlich. "Sind eure Völker denn verwandt? Und eure Götter die Gleichen?" fragte er also das Mädchen namens Fhina, sich an seine Begegnung mit Brigid erinnernd.
    Während sie weiter in Richtung Stadtzentrum spazierten, nahm er Bridhes Vorschlag wohlwollend auf.
    "Gute Idee! Auch wenn ich nicht weiß, was zu dieser Jahreszeit in Rom an Obst angeboten wird!"
    In Leptis Magna waren die Märkte auch in den kälteren Monaten recht ansehnlich ausgestattet gewesen, aber wie das in Rom aussah, wusste er nicht. Und die Sklavenverpflegung fiel in der Regel wenig abwechslungsreich aus.

    Wären der keltischen Göttin im Verlauf der spätabendlichen Veranstaltung nicht schon genug Merkwürdigkeiten geboten worden, hätte Micipsa vielleicht mit größerer Irritation auf Didos plötzliches Verschwinden und Bridhes Eigenarten reagiert. So aber beließ er es dabei, Pallas' Blick verständnisvoll zu erwidern. Wenigstens der Mann aus Britannien wirkte relativ unbeeindruckt vom Geschehen.
    Seine Frage ließ allerdings Zweifel in Micipsa aufkommen. Nicht schon wieder! Ein zweites Mal würde der Nubier sicherlich nicht aufspringen, um auf Anraten eines seiner Begleiter durch die Büsche zu schleichen.
    Doch diese Zweifel verschwanden schnell wieder. Denn tatsächlich glaubte nun auch der Nubier, einzelne Wortfetzen zu vernehmen, die aus einem nahe gelegenen Teil des Gartens zu ihnen herüberdrangen.
    Offensichtlich hatte sich das Mädchen gerade rechtzeitig aus dem Staub gemacht. Am liebsten hätte es der Nubier ihr jetzt einfach nachgemacht und die Feuerstelle fluchtartig verlassen. Aber da weder Pallas noch Bridhe Anstalten machten, es Dido gleichzutun, entschloss er sich, am seinem Platz auszuharren und zu warten, was auf sie zukommen sollte. "Vielleicht ist es nur einer der Hausherren, der von einem Trinkgelage nach Hause wankt. Und uns dabei gar nicht bemerkt!" versuchte er sich selbst zu beruhigen.

    Dass Bridhe das Sklavenleben anders wahrnahm, als Dido, Pallas und vielleicht auch er selbst, war ihm durchaus bewusst. Dass sie allerdings auf einige eher harmlose, sicherlich nicht abwertend gemeinte Worte des Mädchens so verletzt reagierte und davonstapfte, damit hatte er nicht gerechnet. Etwas verwirrt blickte er ihr hinterher. Weinte sie etwa? Auch ihr ungeborenes Kind hatte sie erwähnt, wobei sich Micipsa nicht ganz darüber im Klaren war, ob dies beabsichtigt war und inwieweit Pallas und Dido darüber Kenntnis besaßen.
    Während er also ins Feuer starrte, unschlüssig, was denn nun zu tun oder zu sagen wäre, tauchte die schwangere Frau plötzlich wieder neben ihnen auf. Die Worte, die sie ihm zuhauchte, nahm er äußerlich unbewegt auf. In gewisser Weise war es ja auch alles andere als ein Wunder, dass der Schein des Feuers und die Ereignisse der letzten Minuten andere Wesen, sei es Tier oder Mensch, auf sie aufmerksam gemachte hatten.
    Er wartete also noch einige Sekunden, bevor er aufstand und bemerkte:
    "Ich lass euch einen Augenblick allein. Ich habe ein Bedürfnis zu befriedigen."
    Dann schritt er in die Dunkelheit der Nacht hinaus, allerdings in eine etwas andere Richtung, als Bridhe zuvor.
    Erst als das vom Feuer herrührende Licht kaum noch zu sehen war, vollzogen seine Schritte einen Bogen und schlugen eine neue Richtung ein, hin zu dem Gebüsch, vor dem Bridhe eben noch gestanden hatte.
    Wenn die Keltin sich nicht getäuscht hatte, müsste sich die 'Beute' nun genau zwischen ihm und den am Feuer Verbliebenen befinden. Die ganze Aktion bereitete ihm mittlerweile großes Vergnügen, das auch nicht durch das Unwissen darüber getrübt wurde, auf was er es eigentlich abgesehen hatte.


    Als er sich mit langsamen, möglichst leisen Schritten dem anvisierten Ziel näherte, glaubte er tatsächlich eine Gestalt wahrzunehmen, die zwischen den Sträuchern ausharrte. Nach einem Tier sah diese jedenfalls nicht aus. Für einen Moment überlegte er noch, ob er dieses Etwas vielleicht doch erst einmal aus einiger Distanz ansprechen sollte, doch dann stürmte er einfach darauf los, in der Hoffnung, es erfolgreich zu überrumpeln. Das Ganze allerdings etwas zu stürmisch, denn er geriet dabei ins Straucheln, so dass er fast ungebremst in den heimlichen Besucher hineinstürzte... Ein heimlicher Besucher, der sich zu allem Unglück und zur großen Verlegenheit des Nubiers auch noch als eine dieser steinernen Skulpturen herausstellte. Leise fluchend richtete sich der großgewachsene, etwas unbedarfte Mann wieder auf. Was diese Bridhe sich nur immer alles einbildete. Was sie auch immer hier gehört oder gesehen zu haben meinte, es war jedenfalls nicht mehr hier.
    Etwas missmutig trottete er zurück zum Feuer, ließ sich dort stumm nieder, der Keltin einen fragenden, genervten Blick zuwerfend.

    Micipsas Blick wanderte von Dido zu Pallas und wieder zurück. Allem Anschein nach lieferten die beiden sich einen Wettstreit darin, wer die größeren Mengen heunterschlingen konnte. Und das mitten in der Nacht. Das hinderte das Mädchen allerdings nicht daran, ihren Mund gleichzeitig anderweitig zu nutzen. Sie schnatterte also weiter eifrig vor sich hin, über Eltern, Götter und Sklaven schwadronierend.
    "Meine Eltern?" sagte er in einer von Didos Pausen, in denen sie ihre Portionen herunterschluckte. "Na ja, sie sollen viele Kinder gehabt haben. Wahrscheinlich zu viele." Keine Andeutung eines Vorwurfs oder gar von Verbitterung war aus seinen Worten herauszuhören. Wenn man durch die Abgabe des ein oder anderen Kindes dazu beitrug, den Rest der Familie zu ernähren, wäre es da nicht unverantwortlich gewesen, anders zu handeln? Micipsa hatte diese Frage schon lange für sich beantwortet und konnte mittlerweile gut damit leben.
    Didos pragmatische Herangehensweise an das Thema Götter gefiel ihm. Micipsa dachte eben ähnlich, auch wenn es in ihrem Fall vielleicht eher kindliche Naivität war, die sie zu ihrer Frage bewog.

    Wie in einem Patrizierhaushalt in derr Regel mit neugeborenen Sklavenkindern verfahren wurde, wusste er nicht. Bisher hatte es ihn auch nicht interessiert. Was er aber festgestellt und für ungewöhnlich befunden hatte, war, und insoweit musste er Bridhe Recht geben, dieses hochnäsig-arrogante Auftreten der in der gens geborenen Sklaven. Offensichtlich trugen sie irgendeine verborgene flavische Erblast in ihrem Leben mit sich rum.
    Micipsa erwiderte ihren Händedruck zuerst zögerlich, dann umso entschlossener, in der Hoffnung, Zuversicht auszustrahlen.
    "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Aquilius dir dein Kind wegnehmen wird. Vor allem dann nicht, wenn es sein eigenes sein sollte." Oder gerade dann? Er wollte seine Worte nicht als versteckte Empfehlung an sie verstanden wissen, ihren Herrn zu belügen. Am Ende würde dies die ganze Angelegenheit nur noch komplizierter gestalten. Wenn das Kind beispielsweise einem anderen Bewohner der villa flavia auffallend ähnlich sähe.
    "Und vielleicht erlangst du sogar für dich noch die Freiheit", fuhr er schließlich fort. "Immerhin hast du noch einige Monate Zeit, ihn davon zu überzeugen." Er hatte zwar keine Ahnung, wie ihr das genau gelingen sollte, aber Aquilius legte scheinbar gelegentlich ein Verhalten an den Tag, das für seinen Stand und seine Sippe nicht unbedingt typisch zu nennen war.

    Ehe das Mädchen zu singen anfing, hatte der Nubier noch versucht, seine Gesichtszüge wenigstens ein klein wenig freundlicher zu gestalten. Doch dieser Versuch war spätestens in dem Moment zum Scheitern verurteilt, als ihr Gejaule einsetzte. Grauenvoll! Wie konnte ein so kleines Wesen mit seinen Stimmbändern nur einen solchen Lärm erzeugen. Im Umkreis mehrerer Stadien durfte eigentlich kein Lebewesen mehr zu finden sein.
    "Egal, ob Schwan oder Schwalbe, ich fand dein Lied recht interessant", log er wenig überzeugend. "Vielleicht ein bisschen zu laut!" Sich mit dieser Dido auf Diskussionen über die Qualität ihres Gesangs einzulassen, erschien ihm nicht gerade empfehlenswert. Zu einer weiteren Kostprobe wollte er sie aber natürlich auch nicht animieren.
    Von einem Serenus hatte er noch nie etwas gehört, aber wenn dieser tatsächlich Didos Besitzer sein sollte, musste er einiges ertragen können. Im Grunde konnte er sich nur schwer vorstellen, dass man überhaupt einen vernünftigen Menschen finden würde, der es mit diesem aufmüpfigen, neunmalklugen Geschöpf freiwillig über einen längeren Zeitraum hinweg aufnehmen wollte.
    "Dein Vater ist Schmied!" hakte er bei Bridhe nach. "Dann wird er sicherlich ein angesehener Mann in eurem Dorf sein?"

    Sie wusste also tatsächlich nicht, wer der Vater sein würde. Einmal mehr war Micipsa froh darüber, als Mann geboren worden zu sein. Als solcher lief das Leben zumindest auf den ersten Blick um einiges unkomplizierter ab.
    Vorurteile bezüglich ihres Lebenswandels hegte er aber nicht. Dass sie, gewaltsam aus ihrer Heimat gerissen, die Nähe zu anderen Menschen gesucht hatte, konnte er nachvollziehen. Außerdem waren ihrem Selbstbestimmungsrecht als Sklavin Grenzen gesetzt, wenn auch hoffentlich nicht in dieser Frage.
    "Auf jeden Fall hätte es das Kind, was seine Mutter angeht, kaum besser treffen können", meinte er wahrheitsgemäß. Auch wenn er sich manchmal schwertat, sich in die junge Frau, die immerhin einem ihm vollkommen fremden Kulturkreis entstammte, hineinzuversetzen, so beeindruckte ihn doch, mit welcher Hingabe und Entschlossenheit sie die Schwierigkeiten ihres Lebens anging.

    In Erwartung einer heftigen Reaktion von Seiten Bridhes war er vorsichtshalber schon etwas von ihr zurückgewichen. Im ersten Moment konnte man ihr auch die Entrüstung ansehen, die seine Worte bei ihr auslösten, aber der befürchtete wütende Protest blieb glücklicherweise aus.
    Als sie von einem heftigen Zitteranfall befallen wurde, trat er wieder näher an sie heran und legte behutsam eine Hand auf ihre Schulter.
    "Na, bis jetzt ist das ja nur eine Vermutung", versuchte er sie zu beruhigen. Auch wenn ihre Reaktion die Schwangerschaftsthese zu unterstreichen schien. Die Keltin hatte diese Möglichkeit offensichtlich bereits selbst in Erwägung gezogen und erfolgreich verdrängt.
    "Und wenn sich die bestätigen sollte, wirst du das in jedem Fall mit dem dominus klären müssen. Aber auch das Kind einer Sklavin kann ein gutes Leben führen." Wenn auch nicht unbedingt ein freies! fügte er in Gedanken an.
    Die Frage nach dem möglichen Vater sparte er aus. Auf ihre Beziehung zu bestimmten Personen angesprochen konnte Bridhe recht erbost reagieren, wie der Nubier bereits selbst vor einiger Zeit hatte feststellen dürfen.

    Es kostete ihn keinerlei Überwindung, hier zu bleiben. Dazu schätzte er die Keltin mittlerweile doch zu sehr. Aber was es mit ihrem Befinden auf sich hatte? Irgendetwas geschieht mit mir und ich kann nicht sagen, was es ist. Den Gedanken, dass es sich bei ihren Auffälligkeiten ganz einfach um ihren Normalzustand handeln konnte, hatte er schnell wieder verworfen. Den merkwürdig abwesenden Ausdruck gepaart mit dem glasigen Blick, den ein vom Fieberwahn Befallener für gewöhnlich trug, konnte er an ihr auch nicht erkennen.
    Zurück also zu seiner früheren Vermutung. Sie wäre ja nicht die erste junge Sklavin, die aus ihren Begegnungen in einem römischen Haushalt körperliche Folgen davontrug, ganz unabhängig davon, welche Geschichten über sie der Wahrheit entsprachen und welche nicht.
    "Sag mal. Hast du schon einmal daran gedacht...also du wirst dich damit natürlich besser auskennen als ich, aber..."
    Er unterbrach sich selbst. Es war nicht seine Art, in Geprächen mit anderen Menschen herumzustottern oder auszuweichen, war es noch nie gewesen.
    "Du könntest schwanger sein!?" sagte er stattdessen gerade heraus.

    Am Feuer sitzend hatte Micipsa die merkwürdige Szene zwischen Dido und Bridhe beobachtet. Gegenüber Kindern empfand er fast schon traditionell eine Form von Misstrauen, dessen Ursachen nur schwer zu ergründen waren. Wahrscheinlich lag es an ihrer Unberechenbarkeit, an der Unkontrollierbarkeit, die diese auszeichnete, ihm selbst aber nicht so recht geheuer war.
    Für Überaschungen jeder Art war der Nubier jedenfalls nur schwer zu begeistern.
    Dass das Mädchen trotz Feuer und Decke fror, konnte er aber absolut nachvollziehen. Wenn selbst einem kräftigen Mann wie ihm die Kälte zusetzte, wie musste sich dann erst Dido fühlen.
    "Zwei Kelten, ein Nubier und eine Römerin! Ob die Göttin jemals zuvor von einer solch illustren Gesellschaft beehrt wurde?" Aber Bridhe hatte ja versichert, es handle sich bei Brigid um eine recht tolerante Gottheit, was solche Dinge anbelangte.
    "Hat denn die Herrschaft der kleinen Dido erlaubt, des Nachts umher zu schleichen?" erwiderte er auf eine ihrer Fragen.

    Da Bridhe offensichtlich für den Moment das Interesse daran verloren hatte, ließ auch Micipsa die Bastelei auf sich beruhen und richtete seine Aufmerksamkeit stattdessen wieder verstärkt auf das, was sie sagte. Der flehende Tonfall, in dem sie die letzten Worte gesprochen hatte, machte ihn stutzig. War sie tatsächlich so verzweifelt? Was in ihrem Kopf wirklich vor sich ging, war für den großen, dunkelhäutigen Mann nur schwer nachzuvollziehen. Immer wenn man glaubte, die junge Keltin hätte diese Phase überwunden, drohte sie scheinbar von einer neuen Welle von Verzweiflung und Trübsinn übermannt zu werden.


    Jedenfalls kam er ihrer Bitte nach und blieb sitzen. "Das mag jetzt etwas hart klingen, aber so wie ich das sehe, bleibt dir wie jedem Sklaven hier nur die Möglichkeit, sich mit der Situation, wie sie eben ist, zu arrangieren. So gut es eben geht. Einen angemessenen Familienersatz wirst du hier natürlich kaum finden, aber zumindest ein gewisses Maß an Unterstützung kann sich das Hauspersonal gegenseitig schon bieten." Im Allgemeinen spielte Neid und Missgunst unter den Sklaven eines Haushalts in der Regel eine mindestens ebenso große Rolle wie bei den Römern selbst, wie der Nubier nur zu gut wusste. "Wenigstens wir beide stehen wohl kaum in einem Konkurrenzverhältnis, was die Aufgabenverteilung und die Gunst des Herrn angeht", fügte er mit einem kleinen Lächeln im Gesicht an.

    Nicht zum ersten Mal wurde er Zeuge von Bridhes Stimmungsschwankungen. Ein falsches Wort, eine missverständliche Frage genügte, um eine gutgelaunte in eine grübelnde, trübsinnige Frau zu verwandeln. Und umgekehrt. Wenn man die Hintergründe ihres Verhaltens nicht kannte oder zu kennen glaubte, musste man fast annehmen, sie befände sich in besonderen Umständen. Da dafür aber ansonsten scheinbar nichts sprach, wie Micipsa mit einem unauffälligen Blick feststellte, versuchte er sie aufzumuntern. Auch das nicht gerade seine Stärke.
    "Man weiß nie, was das Schicksal mit uns vorhat. Qui fuit rana, nunc est rex!* Diese Unsicherheit macht immerhin auch einen Reiz des Lebens aus."
    Dass es seiner Meinung nach immer noch wahrscheinlicher war, ihre Geschwister hier in Rom wiederzusehen als in Hibernia, vom gleichen Schicksal ereilt wie sie selbst, sprach er besser nicht aus.
    "Benötigst du eigentlich weitere Sonnenräder?" fragte er mit Blick auf die immer noch vor ihnen ausgebreiteten Strohhalme. "Oder soll ich nun gehen?"



    Sim-Off:

    * Gestern ein Frosch, heute ein König!

    Über ihre Worte musste er erst einmal nachdenken. Natürlich hatte er sich schon oft Gedanken gemacht über seine Herkunft, Familie und alles, was sonst noch dazu gehört. Doch dabei war der Nubier jedesmal zu der Einsicht gelangt, dass es ihn ihm Leben weitaus schlimmer hätte treffen können. Warum sich also beklagen? Ubi bene, ibi patria, wie Cicero erklärt hatte.
    "Wir können uns unser Leben nunmal nicht aussuchen.
    Und nicht vorhandene oder verloren gegangene Erinnerungen dadurch zu ersetzen, dass man sich ausmalt, wie sein Leben unter anderen Voraussetzungen verlaufen wäre, macht aus meiner Sicht wenig Sinn."

    Bei Bridhe war das natürlich etwas anderes. Immerhin hatte sie ihrer Erzählung nach bis vor kurzem in ihrer Heimat gelebt.
    "Glaubst du denn daran, dass du jemals zurück auf deine Insel kommst?" lenkte er das Thema wieder in eine etwas andere Richtung.

    Er verknotete die übrigen Enden, wie Bridhe es vorgemacht hatte und begutachtete anschließend das Ergebnis. Zufrieden stellte er fest, dass ihm die Flechterei mit ihrer Hilfe doch halbwegs gelungen war.
    "In Leptis werden etwa zu dieser Zeit die Feierlichkeiten zu Tanits Ehren begangen, der alten Fruchtbarkeitsgöttin. Die ausgelassene Stimmung auf den bunt geschmückten Straßen habe ich dabei immer sehr genossen.
    Von den Göttern meines Volkes ist mir hingegen nicht viel geblieben. Nur vage Erinnerungen. Und das hier:"

    Er zog den Anhänger hervor, der bis dahin unter seiner Tunika verborgen gewesen war und der eine menschenähnliche Gestalt mit Krone und Sonnenscheibe zeigte.
    "Mandulis. Der nubische Sonnengott. Aber - ebenso schnell wie er horvorgeholt worden war, verschwand der Anhänger auch wieder - letztendlich vertraue ich sowieso mehr auf mich selbst als auf die Hilfe der Götter.
    Was nicht bedeutet, dass ich deinen Glauben nicht respektieren würde!"
    hob er beschwichtigend die Arme.

    Aufmerksam folgte er ihren Erklärungen. Na, das sollte doch zu schaffen sein! dachte er, während er das kleine Sonnenrad vor seinen Augen einer eingehenden Betrachtung unterzog.
    Er griff nach einigen Halmen und ging daran, ihre Anweisungen zu befolgen, musste aber bald feststellen, dass es für ihn und seine großen Finger deutlich komplizierter war als erwartet. Erst nach einigem Herumhantieren gelang es ihm, die Strohhalme so in der Mitte zu verbinden, dass das entstandene Gebilde Bridhes Sonnenrad zumindest ähnlich sah.
    "Und wie bindet man jetzt die Enden zusammen? Mit einem neuen Stück Stroh?" fragte er, ihre Reaktion abwartend.
    Wenn man sich sein noch unvollendetes Sonnenrad so ansah, hatte sie wohl allen Grund, ihn auszulachen.