Beiträge von Asny

    Es war nicht gut, die Gedanken derart abschweifen zu lassen, doch Asnys Verstand hatte schon immer die große Gabe der Verselbständigung besessen und zumeist war diese Eigenart vorteilhaft gewesen. Aber zu diesem Zeitpunkt nicht. Nun galt es vordergründig die Reaktionen des Körpers zu beachten, gewiss würden sich später noch andere Gelegenheiten ergeben, die Arbeit ihres Kopfes unter solch erschwerten Bedingungen zu kontrollieren. Mit Sicherheit bliebe dies nicht der einzige armselige Versuch, sie mittels Gewalt in die beschränkte kleine Welt ihres werten Herrn zu pressen. Doch neue, unbekannte Werkzeuge benötigten immer ein Weilchen, bis man sich an den Umgang mit ihnen gewöhnt hatte und sie für präzise Arbeiten zu besserem Nutzen führen konnte. Dennoch würde aus einem Schmiedehammer keine Nähnadel werden können, und wenn man ihn noch so gut beherrschte. Es war in der Tat möglich, dass Aristides schlicht zu grobschlächtig war, um im erwünschten Maße dienlich sein zu können. Nicht einmal ihr Rücken lag augenblicklich dermaßen schutzlos und verletzlich da wie sein Seelenleben. Und er wusste, dass sie dies wusste. Denn sie machte keinen Hehl daraus, weder aus ihrem Wissen noch aus ihrer Absicht, dieses vollkommen schonungslos auszunutzen.
    Natürlich war es ebenfalls interessant zu verfolgen, wie lange der Flavier bis zu der Erkenntnis brauchen würde, dass er nichts würde tun können, um seine Ansprüche als angeblich höherstehende Persönlichkeit bei ihr durchzubringen. Zumal es einfach nicht die gewünschte Wirkung erzielte, wenn man anderen befahl, in seinem Namen eine gefesselte Person mit einer Peitsche zu schlagen. Die erwünschte Befriedigung würde ausbleiben. Es war zu seinem eigenen Besten, wenn sie es ihm nicht derart einfach machte, doch Asny bezweifelte, dass er eine solche Einsicht jemals aus eigenen Kräften würde erlangen können. Wo wäre er, hätte er aus eigenen Kräften und ohne die Grundvoraussetzung seiner reichen und einflussreichen Familie seinen Weg gehen müssen? Wäre er überhaupt noch am Leben? Hatte er jemals darüber nachgedacht? Nun, sein Verstand hätte ihm gewiss keinen steinigen Weg geebnet. Insofern hätte alle Verantwortung auf dem Körper geruht, den die blonde Sklavin sogar als recht brauchbar deklarierte, wenigstens vor der Beinverletzung und dem daraus resultierenden Humpeln. Früher, zu anderen Zeiten, mochte er eindrucksvoll gewesen und Mars zu Ehren große Kämpfe bestritten haben. Doch vielleicht bildete sie sich dies auch nur ein, um jenen Klotz an ihrem Knöchel nicht im Vorfeld bereits zu Grabe zu tragen und als absolut nichtswürdig zu betrachten. Dennoch sah die Zukunft düster aus. Sie würde ihn ordentlich triezen müssen, um ein brauchbares Ergebnis erwarten zu können.


    Als Aristides sie zwang, ihn anzublicken, wurde diese Meinung nurmehr bestätigt. Wenigstens ersparte ihr die Tränenflüssigkeit ein deutliches Bild seiner angeblich edlen Züge und auch seine Stimme besaß in ihren Ohren einen seltsamen Nachhall. Sie lächelte ihn an, nein, vielmehr belächelte sie ihn und seine Äußerungen, die doch nur seine Verständnisschwierigkeiten laut herausschrien. Asny hasste solche Menschen, welche auf eigenes Gutdünken und mit ihren beschränkten Horizonten versuchten, sie zu verstehen. Ein Vorhaben, das ihnen nicht gelingen konnte, weil sie schlicht nichts von ihr wussten. Warum wagte sich dieser Mann auf ungesichertes Terrain, auf welchem er zwangsläufig stürzen musste? Der flavische Stolz? Die Dummheit eines Kriegers? Warum nur war nicht Gracchus ihr Herr? Mit dem hätte sie wenigstens gute, lehrreiche Konversationen führen und sich die Lektionen, welche sie zweifellos halten musste, ersparen können. Kämpfe mit anderen Menschen waren so zäh und langwierig, von dem enormen Zeitaufwand ganz zu schweigen. Gerade wenn die Erfolgsaussichten sich derart in den tiefsten Katakomben tummelten wie bei Aristides. Wenn er sie zu Tode strafte, barg dies seine Niederlage. Diese Gleichung würde sie ihm sehr bald zukommen lassen.

    Die folgenden Schläge waren tatsächlich gleichmäßiger in ihrer wütend beißenden Härte. Menschen waren so leicht zu manipulieren. Wiederum schloss Asny die Augen und presste die Kiefer aufeinander, die sich am Liebsten erneut zu einem Schrei geöffnet hatten. Hier half nichts als eiserne Disziplin. Ihre Grenzen waren noch längst nicht erreicht, nicht aufgrund solch unspektakulärer Ereignisse. Schließlich war sie nicht irgendwer. Sie war besser als dieser komplette Haufen Pöbel, der dort stand und glotzte, zusammengenommen. Allesamt waren sie zu unbedeutend, als dass in ihr auch nur das Bedürfnis geweckt werden konnte, ihnen ihre Überlegenheit zu demonstrieren. Es gab nur sie, ihren Körper, und den Schmerz, welchen sie annehmen und auskosten musste.
    Ihre Wahrnehmung begann zu verschwimmen. Unter einem unterdrückten Keuchen zwang Asny ihre Lider auf und merkte, dass ihr Sichtfeld unter dunklen Schatten zusammenschmolz, als fiele sie in einen nachtschwarzen Brunnen hinab. Ungehalten ob dieses schamlosen Fluchtversuches ihres Körpers biss sie die Zähne so fest aufeinander, dass sie leise knirschten und schlug ihre Stirn einmal kräftig gegen das dunkle Holz des Kreuzes. Sie würde hier garantiert nicht das Bewusstsein verlieren, sie nicht. Alles wäre umsonst gewesen, wenn sie möglicherweise für längere Zeit von ihrer Umgebung und besonders sich selbst nichts mitbekam und nichts beobachten konnte. Ihre Fingernägel krallten sich Halt suchend in die harte, faserige Oberfläche, während sie sich weiterhin dazu zwang, die Augen offen zu halten und um ein wenig freie Sicht zu blinzeln. Laut und schnell spürte sie ihren Herzschlag, den Blutfluss in ihrer Haut und mindestens fünf verschiedene Arten von Schmerz, die sich jedes Mal, wenn ihre Aufmerksamkeit nachzulassen drohte, zu einem einzigen, unkontrollierbaren Brüllen vereinten. Aber sie triumphierte. Sie war wach, sie spürte jeden Windhauch, der über ihre Haut kroch, und sie würde den Schmerz aushalten. Es gab nichts, das diese Menschen ihr antun und sie nicht ertragen könnte.


    Man hätte sie alleine zu diesem Loch gehen lassen sollen. Es wäre ihr gelungen, auch wenn sie womöglich ein wenig mehr Zeit dazu benötigt hätte. Diese kleine Kammer war genau das, was sie nun brauchte. Ohne die Beeinflussung der störenden Außenwelt existierte nur sie dort, und was gab es Erstrebenswerteres? Das Draußen hatte sie noch nie benötigt, es hatte sich ihr lediglich immer wieder aufgedrängt und sie hatte es benutzt und ausgeschlachtet, wie es ihr eben nützlich war. Dort drinnen in der engen Dunkelheit würde sie nichts von ihrem Körper und den Schmerzen ablenken, sie konnte sich ihnen ganz und gar hingeben und daran wachsen. Dass die Meute um sie herum dieses Loch als scheinbar höchste aller Strafen betrachteten, überzeugte nur einmal mehr von ihrer Beschränktheit. Glaubten sie tatsächlich, dass Asny ihre Welt zum Überleben benötigte, das sie wahnsinnig würde, wenn man ihr den Zutritt verwehrte? Wie vermessen, wie kurzsichtig. Und vor allem bemitleidenswert. Ohne es zu wollen oder zu ahnen brachten sie ihr Erleichterung. Und am Ende unterstützten sie sie nur, in dem sie ihre Wunden beispielsweise unbehandelt ließen. Ihr Körper musste selbst für eine Stoppung des Blutflusses sorgen, ohne Verbände, ohne Waschung oder Salben. Schließlich war er ihr Körper, der sich dem Geist anzupassen hatte. Wenn sie diese Prüfung überstand, würde sie stärker denn je sein. Und es herrschte kein Zweifel daran, dass sie diese Prüfung überstehen würde.


    Endlich umgab sie Dunkelheit und die Geräusche der Außenwelt verstummten wenigstens so weit, dass Asny sie über ihren leise keuchenden Atem nicht mehr zu hören vermochte. Mit langsamen, aber kontrollierten Bewegungen brachte sie sich in eine knieende Position, ohne auf die stützende Hilfe der Wände angewiesen zu sein. Kein halbtotes Liegen in einer Ecke für sie, kein Aufrechthalten nur mit der Hilfe einer dreckigen Mauer. Ihre Muskeln zuckten und zitterten und mehr als einmal drohte ihr Gleichgewichtssinn zu versagen, doch sie fing sich und brachte sich geduldig wieder in eine aufrechte Position. Ruhe, sie musste ruhiger werden, ihrem Körper die Panik nehmen. Nur die Panik, denn nicht einmal die Tränenspuren wischte sie von ihren Wangen. So wie es war musste es bleiben, bis sie sich wieder vollkommen unter Kontrolle wusste.
    Endlich schien ihre Position sicher genug, um wiederum die Augen zu schließen ohne Gefahr zu laufen, zur Seite zu fallen wie ein schwerer Sack Gerste. Locker legte sie die immer noch zitternden Hände auf ihren Oberschenkeln ineinander, senkte das Kinn auf die Brust und fokussierte sich auf ihr Inneres; eine tiefe, gleichmäßige Atmung und das fortwährende Aufbranden der glühenden Wunden. Nach einer Weile war sie dazu übergegangen, bei jedem Ausatmen einen dunklen, gleichmäßigen Ton aus ihrer Kehle entstehen zu lassen, dessen sachte Vibrationen jede Faser ihres Leibes zu berühren schien und sie daran hinderte, taub und starr zu werden. Es war immer dieselbe Tonlage, ähnlich einem langgezogenen Summen, von dem alles ausging und zu dem alles zurückströmte. Jeder Muskel, jeder Nerv, jeder kleine Hautfetzen sollte spüren, dass sie ihn bewusst wahrnahm, jene in Schmerz, doch auch jene, die nur die Kühle der Dunkelheit und die Härte des Steins spürten, die Schweißtröpfchen auf ihrer Stirn und ihren Atem auf der Haut. Sie stellte sich vor, wie sie ganz und gar in ihrem Körper versank, mit dem Blut zu ihrem Herzen floss, mit der Luft zu ihren Lungen und bis in die Finger- und Zehenspitzen hinein. Trotz aller körperlicher Ertüchtigung hatte sie ihre Physis noch nie derart wahrgenommen, wie sie es nun tat. Die Schmerzen blieben selbstredend, es war keine Verringerung fühlbar, dennoch schien sich ihr Organismus langsam zu beruhigen. Das raue Keuchen in ihrer Atmung ließ nach und die Muskeln lockerten sich nach und nach ein wenig aus ihrer Verbissenheit. Es war seltsam, nicht zu denken und dennoch so weit entfernt von allem anderen zu sein, doch zu Asnys eigener Verwunderung stieg eine undefinierbare, aber irgendwie doch angenehme Empfindung in ihr auf, je länger sie auf diese Weise atmete und summte. Beinahe fürchtete sie schon, zurückkehren zu müssen, weil sie im Begriff war, einzuschlafen durch diese gleichmäßige Monotonie oder doch wieder das Bewusstsein zu verlieren. Es war... anders. Nicht kontrolliert, aber auch nicht unberechenbar. Womöglich war sie gestorben und hatte es gar nicht mitbekommen. Doch dies hätte ihr Asa zweifelsohne sehr rasch und sehr deutlich mitgeteilt. Falls sie sich irgendwann noch einmal bei ihrer Schwester blicken ließe.

    Wenngleich Asny jenes mahnend gen Himmel aufragende Holzkreuz auch durchaus kannte, so hatte sie bislang dessen eigentlicher Nutzung noch nicht beiwohnen dürfen. Ein Umstand, den sie, wann immer sie dieses Gerät passierte, ein wenig bedauerte. Es war weniger die sadistisch geweckte Absicht, jemand anderen leiden zu sehen und schreien zu hören - dies brächte ihr für gewöhnlich keinerlei Vorteil -, sondern die Beobachtung der körperlichen Reaktion, der Wirkung auf Haut und Muskeln und der Verlauf der Vernarbung. Dass man nun an ihr selbst eine solche Studie durchführte, war auf der einen Seite selbstredend sehr positiv und praktisch, doch besaß sie leider keine Augen am Hinterkopf, so dass es ihr unmöglich sein würde, die Anwendung und die Abheilung aus nächster Nähe beobachten zu können. Ein leiser Seufzer des Unmuts verließ ihre Lippen, während man sie an das Kreuz band. Anscheinend konnte man von Aristides doch nicht so ohne Weiteres verlangen, dass er von sich aus sinnvolle Entscheidungen fällte, die ihren Erwartungen entsprachen. Im Grunde blieb ihr auf diese Weise nur der Grad des Schmerzes und wie bereits bekannt war dieser Index überaus ungenau und trügerischer als eine Moorlandschaft. Eine Einteilung in gefühlte Schmerzen gerade am Rücken verlangte eine Konzentration und ein Bewusstsein, die sie erst noch beide würde entwickeln müssen. Andererseits kannte sie ihren Körper ausgezeichnet, wusste um seine Stärken und Grenzen, die sie auch gerne einmal zu überwinden versuchte. Er musste sich freilich stets dem Geist beugen, doch Asny verlangte nichts Nachlässiges oder Verrücktes von ihm. Gut funktionieren sollte er, gesund und trainiert sein. Schließlich war er ihr Körper und wie alles, was sie als ihr Eigentum deklarierte, musste er besonders sein. Im Gegensatz zu Aristides hatte er diese Besonderheit bereits hinlänglich bewiesen. Doch vermutlich sollte sie mit dem Flavier ein wenig geduldiger sein. Schließlich hatten sie sich gerade erst kennengelernt und wie es den Anschein hatte, war sein Geist eher schwächlich und ergab sich lächerlichen Sehnsüchten nach seiner Tochter. Wenn er ihr allerdings bei ihrem Training half, würde sie ihm umgekehrt auch diesen Gefallen tun, von dem sie am Ende selbst profitieren könnte. Natürlich durfte sie nicht aus den Augen verlieren, dass er niemals ihren Wert erreichen könnte, dafür war bereits die Basis zu angeschlagen und sein Optimum zu tief angesetzt. Doch man konnte nie wissen. Immerhin besaß er einen Teil ihres Interesses und dies hatte schon mehr aus einem Menschen heraus geholt, als dieser Mensch selbst von sich gedacht hätte.


    Ihren Atem zu gleichmäßigen Luftzügen zwingend starrte Asny auf die grobe Holzmaserung direkt vor ihrem Gesicht und prüfte mit einem kurzen Ruck und einer leichten Drehung der Handgelenke die Befestigung der Fesseln, die sie nicht unbedingt als notwendig erachtete. Wenn sie hinfiele, wäre es ihre eigene Schuld und ein Eingeständnis von Schwäche, welches sie von sich aus nach Kräften zu verhindern suchte. Doch vielleicht fiel dem Auspeitscher mithilfe des Kreuzes und der genauen Justierung des daran geschnürten Körpers das Zielen ein wenig einfacher.
    Am Rande ihres Bewusstseins bekam die Sklavin noch flüchtig mit, dass Aristides irgendeine dumme Rede hielt, die ihn selbst wohl am meisten aufbauen sollte, ehe sie sich der Außenwelt und ganz besonders einer bereits jetzt schluchzenden Asa verschloss, und sich auf ihren Körper und dessen Wahrnehmung fokussierte. Die raue Berührung der Fesseln an ihrer Haut, das von der Sonne aufgewärmte Holz vor ihr, eine leichte Brise, die sich in ihren Haaren verfing und ihren nackten Rücken streichelte, eine Vielzahl von Düften, die sie umgaben, ihr eigener Atem, den sie auf ihren Bauch konzentrierte und das leichte Pochen ihres Pulses in den Schläfen. Sie deklarierte diesen Punkt als 0, frei von Schmerz. Notgedrungen und bar einer anderen Erfahrung würde sie die Schmerzgrade erst einmal mit der Anzahl der Schläge gleichsetzen müssen, obgleich sie zweifelte, dass diese Gleichung so einfach aufgehen würde. Nicht jeder Schlag brächte den gleichen Anteil an Schmerz wie der andere. Anfänglich vielleicht, der erste Schlag wirkte womöglich wie der stärkste, doch einfach nur deshalb, weil er bei 0 ansetzte. Ob der achte Schlag noch dieselbe Wirkung besaß war fraglich.
    Andererseits befand sie sich aus genau jenem Grunde, ihrer Unwissenheit, an diesem Ort. Sie musste lernen, wie sie es immer tat. Und auch Aristides musste lernen. Endlich. Ein derart leichtgläubiger und labiler Herr war untragbar für sie. Allerdings würde es gewiss merklich schwerer werden, ihm etwas beizubringen als sich selbst. Immerhin wollte sie lernen. Um jeden Preis.


    Das Verhalten ihres Körpers unter Schmerzeinwirkung war überdies wirklich erstaunlich. Es schien, als wollte er sich dabei von der Herrschaft des Geistes befreien, ihn niederringen und übertreffen, wie ein kleines Kind, das aufbegehrte und sich von Mutters Hand loszureissen versuchte. Was umso unsinniger war, als dass gerade die Mutter ihm doch hätte helfen können. Doch in derartigen Ausnahmesituationen schienen gebräuchliche Herrschaftsverhältnisse ins Wanken zu geraten, ausgerechnet dann, wenn alles viel leichter würde, ließe man auch weiterhin den Verstand an der Macht. Asny wusste, dass ein paar Schläge sie nicht umbrächten sondern lehrreich wären, dennoch reagierte ihr Körper derart überzogen und albern, dass sie beinahe geneigt war, sich für ihn zu schämen. Die Haut zerriss, es floss Blut - ach, wie furchtbar. So ein armer Körper. Doch wenn sie all die auftretenden Merkmale nicht genau zur Kenntnis nahm, würde sie beim nächsten Mal nicht anders reagieren. Am Besten gewöhnte man sich an etwas, wenn man es oft und intensiv wiederholte. Und ihr Körper musste sich definitiv daran gewöhnen, wenn sie verhindern wollte, dass er sich ihrem Geist derart rücksichtslos in den Weg stellte. Dann würde sie auch daran arbeiten, die Auswirkungen des Schmerzes besser bekämpfen können. So hatte sie bemerkt, dass zwischen dem eigentlichen Schlag und dem bewussten Aufflammen der Auswirkungen einige Zeit verstrich, als bräuchte die Botschaft ein Weilchen, bis sie vom Rücken zu ihrem Verstand vorgedrungen war. Wie ein kleiner Bote, der ein wenig Zeit benötigte, um seine Nachricht zu verbreiten. Würde man ihn an der Auslieferung hindern, wäre es dann möglich, gar nichts mehr zu spüren? Sich ihm zu verschließen? Die Peitschenhiebe folgten zu rasch aufeinander, doch Asny legte diesen Gedanken sorgsam ab, ehe sie sich wiederum auf das Gegenwärtige konzentrierte und die Reaktionen ihres Körpers verfolgte. Ihre Atmung und ihr Herzschlag beschleunigten sich als wäre sie eine weite Strecke über Berg und Tal mit aller Macht gelaufen. Ihr Körper begann unkontrolliert zu zittern und Tränen schossen ihr in die Augen, obgleich sie überhaupt keinen Anlass dazu besaßen. Sie war nicht traurig und es mussten inzwischen schon viele Jahre vergangen sein, seit sie zuletzt geweint hatte. Es war kein Schmutz auf ihren Augapfel gelangt, der fortgespült werden müsste. Insofern bestand kein regulärer Grund für diese Tränen. Wollte ihr Körper etwa einen mitleidvollen Eindruck erwecken, damit die brennenden Qualen ein Ende fanden? Ein instinktiver Täuschungsversuch? Wahrscheinlich hätte er sogar versucht zu schreien, hätte sie ihm nicht die Stimme genommen. Ihr Atem ging zu panisch für einen entsprechenden Seufzer, doch Asny war mit dieser Entwicklung alles andere als zufrieden. Ihre Muskeln sollten ihr gehorchen und nicht irgendeinem Lederriemen. Der Verstand wusste, was geschah, selbst wenn die Augen es nicht sehen konnten. Es mochte für den normalen Begriff der Schönheit nicht hübsch anzusehen sein, wie ihr die Haut in Streifen vom Rücken gerissen wurde, aber es war auch kein Weltuntergang, keine Katastrophe. Viel schlimmer und nachhaltiger war der Aufstand, den ihr Körper deswegen machte. Dort liefen Vorgänge ab, zu unkontrolliert und schnell, die ihr um einiges mehr schadeten. Es war höchste Zeit daran zu arbeiten, bevor sie noch tatsächlich so armselig zu wimmern und zu flehen begann, wie die ganzen Sklaven, deren Bestrafung sie auf den Märkten manches Mal beigewohnt hatte. Diese waren tatsächlich Sklaven gewesen, Sklaven vor sich selbst.


    Nach dem zehnten Schlag gaukelte Asnys Leib ihr in seiner Blindheit ein pulsierendes Feuer vor, wie es nicht zu übertreffen sein konnte. Vollkommen unsinnigerweise, schließlich gab es immer noch eine Steigerung zu einem Gefühl. Peitschenhiebe auf den Rücken waren dahingehend nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ihr Herz schlug wild und schnell in heller Aufregung und ihre Atmung wollte sich nur sehr widerwillig dem von ihrem Verstand aufgezwungenen Muster unterwerfen. Doch hart biss sie die Kiefer aufeinander und starrte auf die verlaufenden Muster des Holzes vor ihr. Sie musste diesen zitternden Bann abwerfen. Es durfte nicht sein, dass sie sich von ein paar Schlägen so beeindrucken ließ. Knapp schüttelte sie den Kopf und blinzelte ungehalten gegen die alles verwaschenden Tränen an. Wirklich, eine solche Behandlung war mehr als überfällig gewesen. Sie musste abgehärtet werden, sonst würde sie bald ächzen und humpeln gleich dem alten Krüppel, den ein einfältiges Schicksal ihr als Herr zugespielt hatte.
    "Die Schläge waren.. vollkommen unregelmäßig.. Anfang und Ende waren... viel heftiger als die mittig gelegenen.. so ein Dilettantismus...", stieß Asny zunächst zwischen immer noch zusammengebissenen Zähnen hervor. Mit jedem unangemessen japsenden Atemzug wuchs die Wut auf sich selbst mehr an. Ihre zitternden Lippen formten ein grimmiges Lächeln, ehe sie mit einem trockenen Anflug unerbittlichen Zynismus' fortfuhr:
    "Aristides... was hat dir das hier gebracht? Kam deine Tochter strahlend angelaufen.. um dich von aller Schuld freizusprechen?" Sie hustete trocken und schüttelte neuerlich den Kopf. Nichts behinderte augenblicklich ihre Atemwege, was ein solch peinliches Röcheln begründen konnte. Natürlich durfte sie den Blutverlust nicht vergessen. Die Wärme des Tages würde die Gefäße nicht so rasch zusammenziehen, wie Kälte es vollbrächte, andererseits könnte sie die Wundverkrustung eher unterstützen. So ein Pech, dass sie ihre Wunden nicht zu sehen vermochte! Auf die Beschreibungen irgend eines anderen konnte sie sich auch nicht verlassen, kaum jemand in dieser Villa wäre in der Lage, sie ihr angemessen und objektiv genug zu beschreiben. Und die Menschen, welche dazu womöglich in der Lage wären, würden es nicht tun, aus welchen dummen Gründen auch immer. Wohl oder übel bliebe ihr nichts anderes übrig, als ihren alten Lehrmeister aufzusuchen. Dieser fahndete schließlich auch permanent nach Studienobjekten.

    Huhu!


    Ich kann vom 24.12. bis zum 29.12. leider nicht on kommen wegen irgendso eines komischen, kaum bekannten Feiertages, an dem meine Firma seltsamerweise nicht arbeiten will. *kopfschüttel* Faules Pack das...


    Montag bin ich auf jeden Fall wieder da. :)


    LG
    Asny

    Asny war schon immer unnachahmlich in der Gabe gewesen, sich Feinde zu machen, wenn sie es wirklich wollte. Selbst, wenn dieses Ziel nicht groß und farbenfroh auf ihren Bannern zu lesen war, störte sich so mancher an ihrer schwer begreiflichen Art, welche in der Regel arrogant und besserwisserisch für jemanden daherkam, der ihren Verhältnissen entstammte und auf wenig mehr hoffen durfte als einen einigermaßen respektablen Ehemann. Als Sklavin gegenüber einem Flavier hatte man also erwarten dürfen, das Verhältnis äußerst rasch äußerst tief einen Abhang herunterrollen zu sehen, um anschließend solcherart verschüttet zu werden, dass selbst der ambitionierteste Schatzgräber die Lust an der Suche einbüßen würde.
    Während Asa allerdings recht unnötigerweise die Luft anhielt und sich die Hände vor die Augen legte, allerdings nicht ohne zwischen den Fingern hindurch ausreichend Platz für eine weiterhin ungehinderte Sicht zu lassen, neigte sich der Kopf ihrer Schwester eine interessierte Winzigkeit zur Seite, während sie die Reaktion Aristides' studierte wie ein halbwegs interessantes Experiment auf dem Küchentisch. Beinahe auf eine Art und Weise, als fände sich in ihr lediglich eine völlig unbeteiligte Zuschauerin, die nicht erwarten dürfte, im nächsten unheilsschwangeren Augenblick die Tracht Prügel ihres Lebens bekommen zu können. Doch immerhin stand sie hier ihrem Herrn gegenüber, und je aufmerksamer sie jenen auch in extremen Situationen beobachtete, umso baldiger war sie imstande, ihn und sein Verhalten in Gänze erfassen und gegebenenfalls tüchtig lenken und ausnutzen zu können. Dies dürfte zudem einer der einzigen Punkte sein, die Asny an ihren Mitmenschen tatsächlich für interessant erachtete.


    Ihr Stoß war kraftvoll genug gewesen, zu diesem Ergebnis kam sie alsbald während sie registrierte, dass das leuchtende Rot das Gesicht des Flaviers bereits wieder verließ. Scheinbar war er zu einem Punkt weit jenseits bloßer Wut herübergeschleudert worden. Dass er zu den eher grobschlächtigen Exemplaren seiner Zunft gehörte, mit wildem Adergepoche und unverhohlenen Gefühlsausbrüchen, war ihr bereits zuvor aufgefallen. Auch weiterhin pflegte Aristides diesen Eindruck mit schöner Hingabe. Die Anrede 'Kleines', das dauernde Wiederholen des Begriffes 'Sklavin', das Aufplustern und Aufzählen der Heldentaten seiner Familie, Ausdrücke wie 'wurscht' oder das abhackende Verstümmeln von Worten, die ihm zu lang erschienen... alles recht eindeutig. Was den Inhalt seiner Worte betraf, so glitten diese von Asny natürlich ab wie Wassertropfen von einem frisch eingeölten Stück Leder, das lag jedoch nicht an Aristides persönlich, sondern an ihrer allgemeinen Einstellung Menschen gegenüber. Das sanfte, abwesende Lächeln verließ ihr ruhiges Gesicht nicht, breitete sich weder aus, noch löste sich voller Schreck in Wohlgefallen auf. Es war der einst von ihrem Vater als 'Lass den Alten einfach mal labern' deklarierte Ausdruck, der so zwar eigentlich nicht gemeint war, jedoch ähnlich wie Asnys sonstiges Verhalten gerne in eine negative Sparte diagnostiziert wurde. Missinterpretationen hatten schon weit größere Kriege anstacheln können.
    Asa bereitete sich indes auf eine gepfefferte Gegenrede ihrer Schwester vor, die diesen großkotzigen Flavier so ordentlich beuteln würde, dass er mit eingezogenem Schwanz und jaulend in seine Villa zurückfloh - oder so ähnlich. Die Erwähnung des Holzkreuzes rührte in ihr indes die ein oder andere Sorge. Zwar besaß sie nicht die leiseste Ahnung, was man mit diesem Kreuz gewöhnlich machte, aber es klang doch irgendwie bedrohlich. Und zwar nicht bedrohlich im Sinne von 'Das machst du jetzt sauber bis es wieder so glänzt wie neu!'.


    "Die Vorführung deinerseits wäre indes niemals dergestalt geglückt, hättest du zuvor nicht deinen Kopf so sträflich vernachlässigt. Ich möchte keine fremden Lorbeeren für mich beanspruchen." Sprachs mit ruhiger Stimme und wandte sich alsdann dem angegebenen Ziel zu, um sich dorthin in Bewegung zu setzen. Beinahe hätte man aufgrund ihrer Worte von einer Art Lob sprechen können, schließlich setzte Asny damit voraus, dass die Anlage zur Intelligenz in Aristides' Verstand eigentlich vorhanden war und er sich bei seinen Ausbildungen nur eben vermehrt auf seinen Körper denn seinen Kopf konzentriert hatte. Eine für ihre Verhältnisse recht großmütige Geste, die wohl auch nur ihr Herr erwarten konnte. Bei den meisten anderen wäre sie schlicht von einer angeborenen Einfalt ausgegangen, irreparabel und ewiglich. Allerdings war nicht davon auszugehen, dass jener Flavier ihre Worte in diesem positiven Sinne deuten würde.
    Asa allerdings hatte anderes erwartet, beispielsweise einen weitaus größeren, weitaus niederschmetternden Wortschwall ihrer kleinen Schwester, von der sie selbst nicht einmal die Hälfte verstehen würde, der aber trotzdem immer furchtbar gut klang. Überrascht und hastig huschte sie dem lebenden Zwilling hinterher, bis sie schließlich schräg vor ihm rückwärts schwebte, einen Ausdruck reinsten Unglaubens auf ihren durchscheinenden Zügen.
    Wie... was sollte denn das?! Du willst dich da doch nicht wirklich von diesem Halbaffen zanken lassen! Er ist schließlich schuld! Er und sein hohler Kopf! Und du bist ihm dreimal überlegen! In wahrscheinlich allem! Das hast du nicht verdient!
    "Nein, es ist schon gut so."
    Die Geisterschwester vergaß einen Moment jede Bewegung und sank langsam zu Boden, ehe sie sich mit einigen flinken Bewegungen wieder in die Ausgangsstellung begab, dabei allerdings quer einen Baum durchschweben musste. Nie im Leben würde Asny doch tatsächlich glauben, einen Fehler begangen zu haben und echte Reue zeigen!
    Spinnst du? Der tut dir weh! Und keiner tut meiner kleinen Schwester weh! Schon gar kein bekloppter Flavierdödel!
    "Mir ist etwas aufgefallen", unterbrach Asny die eben anbrechende, leidenschaftliche Gegenbewegung ihres toten Spiegelbildes und blickte auf ihre Hände hinab, an deren Gelenken immer noch die Trainingsgewichte gebunden waren. Prüfend öffnete und schloss sie sie zu Fäusten und betrachtete sie dabei prüfend.
    "Das eben in meinem Knie... das hat richtig wehgetan. Viel mehr, als es sollte. Ich bin absolut keinen Schmerz mehr gewohnt."
    Asas Augen weiteten sich erst überrascht und schmälerten sich gleich danach wieder nachdenklich. Nun gut, woher sollte sie auch Schmerz gewohnt sein, zwar hatten ihre Eltern sie früher gerne schon einmal geschlagen, mit zunehmendem Alter jedoch viel zu viel Furcht vor ihr bekommen, um sie zusätzlich noch auf diese Weise reizen zu wollen. Ansonsten waren ihre Reflexe mit der Zeit auch zu gut geworden, als dass eine einfache Ohrfeige sie noch hätte treffen können, diese Abneigung betraf jedoch vielmehr bloßen körperlichen Kontakt mit anderen Menschen als dem Vermeiden von Schmerz.


    "Wenn ich mich nicht daran gewöhne, Schmerzen auszuhalten und mich nicht abhärte, was nützt dann die beste Kondition? Dasselbe gilt für meine geistigen Fähigkeiten. Wenn ich mich nur unter besten Bedingungen zu konzentrieren vermag, liegt darin doch keinerlei Herausforderung. Der Zusammenstoß eben hat mich vollkommen aus dem Konzept geworfen." Wie so oft völlig in sich selbst versunken schüttelte sie den Kopf und starrte blicklos auf den Weg vor sich.
    "Das ist nicht gut. So darf es nicht sein. Man verbessert sich nur durch die Überwindung von Hindernissen und Unzulänglichkeiten, indem man eben nicht den leichtesten Weg geht. Ansonsten dreht man sich nur beständig im Kreis anstatt vorwärts zu kommen. Ich brauche einen Mentor, der mich mehr als nur hasst und es mir immer so schwer wie möglich macht, ohne Rücksicht oder Gnade..."
    Mag sein, aber wenn er dich so hasst, dann wird er dich unter Garantie auch nicht in die Bibliothek lassen.
    Asny warf ihrer Schwester einen nachdenklichen Seitenblick zu. Mit diesem Punkt hatte der Geist nicht unrecht. Allerdings existierte immer irgendwo eine Lösung und es wäre nicht das erste Mal, dass sie einen Menschen dazu brachte, etwas für sie zu tun, gegen das er sich eigentlich sträubte.
    "Kommt Zeit, kommt Rat. Nur Geduld." Asa runzelte misstrauisch die Stirn, während sie das stetige Lächeln ihrer Schwester mit einem Nicken erwiderte. Dass Asny jeden Menschen, der ihren Weg kreuzte, stets und gerne irgendwie in ihre ureigenen Dienste zwang und aus ihnen einen Nutzen für sich selbst herauswrang barg keine Ungewöhnlichkeit. Blieb nur zu hoffen, dass die ehrgeizige Sklavin diesmal nicht zuviel wagte. Und ihren 'Mentor' nicht beispielsweise durch scheinbar sinnlose Selbstgespräche mächtig irritierte.

    Tut mir leid, dass ich heute nicht mehr gepostet bekomme, aber ich habe einfach zu viel Arbeit. -.-


    Und am WE kann ich nicht on kommen. Eigentlich sieht es an Wochenenden prinzipiell eher schlecht aus.


    Also bis Montag. :)

    [SIZE=7]SimOff: Du bist wie immer viel zu lieb zu mir. -.-[/SIZE]


    Treffer und versenkt murmelte Asa überaus fachmännisch, während sie interessiert die Veränderungen begutachtete, welche die wenig sensiblen Worte ihrer Schwester in diesem Flavier hervorriefen. Vor allem die Rötung, welche wie ein Flächenbrand in seinem Gesicht aufflammte, war in den Augen des Geistes äußerst hübsch anzusehen. Er wirkte durch und durch wie ein auf seinen Ausbruch zuarbeitender Vulkan, der einem den Impuls in die Muskeln setzte, möglichst rasch das Weite zu suchen. Dies geschah des Öfteren in ihrer beider Nähe; Weiber heulten, Männer fluchten... es wurde wahrhaft nur selten langweilig.
    Das aktuelle Ziel der Boshaftigkeit hatte aber auch recht wenig Gegenwehr geleistet, um sein Innerstes geradezu aus sich herausplatzen zu lassen, als brodele es dort schon seit Jahren halb vergessen vor sich hin und wartete nur auf eine Gelegenheit, einem Geysir gleich an die Oberfläche zu sprudeln. Asa stieß einen tiefen Seufzer aus, dessen klagendes Echo über die Unterwelt heulte. Könnte dies alles bei Hannibal nur auch so schnell und knackig vonstatten gehen, sie würde im Nu über ihren verhassten Feind herrschen können wie ein grausames kleines Mädchen über seine Lieblingspuppe. Aber Didos Erzeuger war dummerweise eine harte Nuss, scheinbar mit ebenso vielen Geheimnissen in der Tunika wie sich bei dem halbtoten Geschwisterpaar fanden. Was waren dagegen schon die kleinen Wehwehchen irgendeines ungelenken Flaviers? Gut, es war ganz niedlich, ihm bei seinem weinerlichen Tobsuchtsanfall zuzuschauen, aber dennoch war sich Asa ziemlich sicher, dass es ihr deutlich besser gefiele, befände sich Hannibal an dessen Stelle. Doch was noch nicht war, konnte ja noch folgen. Viele Geheimnisse, die man nicht vorsichtig zu hüten verstand, machten schließlich umso verletzlicher. Wenn sich erst einmal die gesamte Villa in ihrer beider Hände befand, würde man gewiss auch noch mit einer kleinen, hannibalistischen Fliege fertig werden. Asa hielt sich diesbetreffend nicht mit unnötiger Zurückhaltung auf, schließlich befand sie sich ganz sicher nicht noch in dieser Welt, um tagaus, tagein denselben stupiden Arbeiten zuschauen zu dürfen. Dazu war der Ehrgeiz ihrer lebenden Schwester auch wirklich zu ausgeprägt. Wenngleich Asas eigene Zeit unter den Korporalen auch zu kurz gewesen war, so ruhte doch ihre gesamte Hoffnung auf ihrem vielversprechenden Zwilling. So wenig man sie im Allgemeinen auch verstand, sah die Gesamtentwicklung doch durchaus positiv aus.


    Er verlor also die Selbstbeherrschung. Dies passte durchaus adäquat in das Mosaik, welches Asny nach und nach von ihrem Gegenüber aus vielen bunten Kleinigkeiten zusammenlegte. Zu einfach, viel zu einfach. Keine solch ansprechende Herausforderung wie beispielsweise bei einem Sciurus. Adelige waren allem Anschein nach dahingehend viel zu offensichtlich, besaßen nicht die Notwendigkeit, sich und ihr Wesen zurückzuhalten und ihre Mysterien zu bewahren. Oder dieser Mensch vor ihr verfügte einfach nur über die Impulsivität eines gereizten Stieres. Asnys Augen hatten sich halb wieder geöffnet, um den glühenden Blick des Flaviers unter hellen Wimpern hervor erwidern zu können. Das sanfte, nun leicht nachsichtig wirkende Lächeln erstrahlte auch weiterhin völlig unbehelligt auf ihren jugendlichen Zügen, wie sie allgemein nicht im Geringsten so wirkte, als genieße sie nicht lediglich die warmen Sonnenstrahlen in einem friedvollen Garten, bar jeder bösen Gedanken oder Absichten. Wahrscheinlich wirkten dieser Mann und sie wie zwei Teile eines Bildes, die nicht zusammengehörten und nur aufgrund eines dummen Fehlers zufällig verbunden worden waren.
    Unter all dem überflüssigen Geschrei beschränkte sich Asnys analytischer Verstand darauf, die Fakten zusammenzutragen, abseits des überschäumenden Gefühls und der drohenden Gebärde, welche mit all dem einher ging. Schmückendes Beiwerk an der eigentlichen Botschaft, nicht mehr. Es gab im Grunde nur zwei wichtige Informationen: seine Tochter war tot und seine Identität lautete mit recht großer Wahrscheinlichkeit Marcus Flavius Aristides. Soweit Asnys Informationsfeld reichte ~ und dies war nicht eben knapp bemessen ~ hatte kein anderer Flavier der Villa am Krieg in Parthien teilgenommen. Beide so unfreiwillig freigesetzten Mitteilungen besaßen ihren Reiz. Nun wusste sie nicht nur von einer Schwäche irgendeines Flaviers, nein, es betraf gleich ihren Herrn und offenbarte dadurch eine nicht zu unterschätzende praktische Evolution. Sie hatte nicht nur mit irgendwem ihr Spielchen getrieben, mitnichten, es handelte sich um jemanden, bei dem ihre Energie nicht verschwendet worden war.
    Abgesehen davon bereitete es ihr doch eine Art stille Genugtuung, zu wissen, dass ihr Opfer an Mars nicht vergebens gewesen war.


    Ansonsten blieb zu hoffen, dass Aristides es ihr in Zukunft vielleicht auch aufgrund seiner mit irrer Geschwindigkeit auf ihn zurasenden Entehrung ein wenig schwerer machen würde. Er würde sie mit Sicherheit hassen – dies war doch schon einmal ein sehr guter Beginn ihres Verhältnisses. Womöglich steckte in ihm auch noch die ein oder andere flaviertypische verrückte Ader. Es konnte schließlich nicht sein, dass das Schicksal ihr nichts als einen alternden, grenzdebilen, emotional zerrütteten Krüppel zugeteilt hatte, den man innerhalb von zehn Herzschlägen mit kaum fünf Worten an die Grenzen der Belastbarkeit scheuchen konnte gleich einem kopflosen Huhn. Und wenn doch... so blieb abzuwarten, was aus ihm noch herauszuholen war. Selbst die ach so friedvollsten Gestalten vermochten zu wilden, furiengleichen Bestien zu werden, wenn man sie nur an der rechten Stelle zu kitzeln verstand.
    „Zweifelst du erneut an meinem Wesen, weil du fürchtest, die Götter ein zweites Mal beleidigt und erzürnt zu haben?“
    Als das empörte Tosen des flavischen Sturmes eine Pause einzulegen schien und sich erst einmal darauf beschränkte, Medusa den Blick und Achilles den gerechten Zorn zu stehlen, entzog Asny mit ruhigen, gleichmäßigen Bewegungen ihre Beine der kalten Umarmung des Wasser und änderte dafür ein Stückweit ihre Sitzposition. Mit langsamen, prüfenden Bewegungen betastete sie ihr Knie und erhob sich schließlich in einer fließenden Regung, um ihr angeschlagenes Gelenk vorsichtig wieder einer Belastung auszusetzen. Der Schmerz war wenigstens für den Augenblick angemessen betäubt, obgleich sie es vielleicht vermeiden sollte, einfach so ihr Training in gewohntem Maße wieder aufzunehmen. Noch einmal beugte sie den Oberkörper und ließ ihre Fingerspitzen über die kalte, feuchtrinnende Haut des Beines streichen, ehe sie den Blick ihres Gegenübers wiederfand und sich erneut in eine aufrechte Haltung begab. Zwischenzeitlich hatte sie beinahe den Eindruck erweckt, als hätte sie den flavischen Stier völlig vergessen.


    Ruhig und sicher wirkend wie ein uralter Baum mit tief in den Boden gestoßenen Wurzeln stand Asny nun wieder auf dem leuchtenden Grün des Grases und hob die Arme über den Kopf, um sich und ihre Muskeln noch einmal angenehm zu strecken. Ihr nach wie vor lächelndes Gesicht erweckte flüchtig den Eindruck einer zufriedenen Katze, ehe sie schließlich mit leiser, weicher Stimme fortfuhr:
    „Nymphen sind alberne, sinnfreie, ständig kichernde und meist lächerlich wohltätige Sterbliche – sie leben nur länger als Menschen. Ich kann mich allerdings nicht erinnern, gekichert zu haben.“ Sie und eine Nymphe. Das einzige, was Aristides' Verstand augenblicklich rettete, war die deutliche Kürze ihrer Bekanntschaft. Doch niemand würde ihr wohl übelnehmen, wenn sie sich von derartig abstrusen Vergleichen in der Zukunft schützen wollte.
    Einen Herzschlag lang strich ein eisiges Funkeln über die wie zumeist etwas abwesend wirkenden blauen Augen, ehe sie dazu überging, ihre Armmuskulatur ein wenig zu massieren.
    „Ich bin das, welches Menschen wie du als.... wie hieß noch gleich das Wort... achja, Sklavin bezeichnen. Dein Name lautet Marcus Flavius Aristides, nehme ich an. Unser erstes Zusammentreffen verlief durchaus pläsierlich wie ich finde.“
    In jener Behauptung spiegelte sich selbstverständlich nur und ausschließlich die eigene Meinung wider, jedoch war diese in Asnys Universum auch die einzig wichtige und existente. Der Frage, wer sie wie als was bezeichnete, vielleicht selbst als nympha, stand sie ebenfalls vollkommen gleichgültig gegenüber, wenngleich ihre Worte für ungeschulte Ohren durchaus vor Ironie und schwarzer Häme zu triefen schienen.

    ooc: Es tut mir fürchterlich leid, dass es so lange gedauert hat.  [Blockierte Grafik: http://i177.photobucket.com/albums/w220/Michikotennis/purple-hikaouin.gif]


    ic:
    Anscheinend hatte Asnys Frage im Inneren des Flaviers weitere Kreise gezogen, als man in der Rolle eines Außenstehenden auf den ersten Blick hatte annehmen können. Asas blasse Augenbrauen hoben sich und eine ihrer Hände legte sich an den Hinterkopf, um im Ausdruck angestrengtesten Grübelns über den Haaransatz zu reiben. Ganz offenbar stimmte etwas nicht, das nahm selbst sie als Symbolik der ausrangierten Emotionalität ihrer Schwester wahr. Es war wirklich erstaunlich, wie schnell man einen vollkommen Unbekannten bis auf den tiefsten Kern berühren konnte. Nun gut, Asny pflegte zumeist nicht nur zu berühren, sie stach bevorzugt zu, so wie eine überspitzte Nadel sich gnadenlos in ein unschuldiges Stück Stoff bohrte, doch selbst die angebliche Nymphe konnte kaum anzweifeln, dass es sich augenblicklich um einen unverschämt guten Glückstreffer handelte... oder?
    Asa schob sich in luftig-liegender Position langsam ein wenig vor wie eine Schildkröte, die den Kopf neugierig aus dem Panzer streckte, und schenkte ihrer noch lebenden Schwester einen vorsichtigen Seitenblick. Womöglich fand sich in deren Mimik doch ein winziger Splitter der Überraschung oder ein dunkler Hauch der Irritation. Mitgefühl oder ähnlich lustige Unmöglichkeiten erwartete der Mädchengeist schon lange nicht mehr. Die Erfahrung hatte gezeigt, dass es sich mit solcherlei Gefühlsdarstellungen bei der blonden Sklavin ebenso verhielt, wie mit dem Prinzip der Gerechtigkeit. Man vernahm immer mal wieder Gerüchte aus irgendwelchen abgelegenen Ecken, aber einen unumstößlichen Beweis für die Existenz dieses Mythos hatte noch niemand vorlegen können.


    Die ebenmäßigen Züge der noch lebenden Schwester spiegelten weitesgehend unbewegte Ausdruckslosigkeit wider, wenn man vielleicht von einem innerlichen Funkeln in den eisblauen Tiefen der Augen absah. Mit dem Hauch eines Seufzers zog Asa ihren Kopf langsam wieder ein, nur um dann ganzkörperlich vorzuschnellen und den aus welchem Anlass auch immer gerade niedergeschlagenen Flavier teilnahmsvoll mit der leicht gerundeten, durchsichtigen Hand auf das dunkle Haar zu patschen. Er hatte der angeblichen nympha eine Wunde, eine Schwäche gezeigt, und wie das bei dem Fleisch gewordenen Sog der Charybdis war, zu dem ihre Schwester mit schöner Regelmäßigkeit mutierte wenn es darum ging, einen ohnehin gebeutelten, ihr aber augenscheinlich überlegenen Mitmenschen ordentlich in ein endloses Meer seelischer Grausamkeit zu stürzen, beschäftigte sich Asny in ihrem Geiste garantiert momentan damit, bildhaft gesprochen ihre Lippen auf diese Wunde zu pressen und munter drauflos zu saugen, bis kein Blut mehr kam und die ausgetrocknete, brüchige Hülle achtlos zurück in ihr trauriges Dasein geworfen werden konnte. So wie bei Solidus und seinem Aberglauben. Oder der Händlerin Cyprene und ihrer fürchterlichen Angst vor Spinnengetier. In ruhigen Nächten glaubte man die Schreie dieser fast bedauernswerten Dame noch immer über die Dächer hallen zu hören. Was womöglich sogar der Wahrheit entsprach, schließlich hinterließen derart erschütternde Ereignisse des Öfteren ihre Spuren in der Traumwelt.
    Noch einmal tatschte die inkorporale Hand des Geistes das Haupt des Flaviers angesichts seiner stetig schlechter werdenden Aussichten auf ein schönes, glückliches, gesundes Restleben. Schlechter würde es aller Voraussicht nach nur noch Asnys zukünftigen Herrn treffen. Bei diesem bedauernswerten Exemplar eines adligen Römers würde die blonde Sklavin gewiss explizit nach Haken und Vorsprüngen suchen, an denen sie ansetzen konnte, um ihn seelisch mit Schwung und ohne Erbarmen auf den Rücken zu werfen. Obgleich Asa noch nicht den kleinsten Hinweis erhalten hatte, wie dieses arme Persönchen aussah, so vermochte sie ihn sich doch schon ausgezeichnet nach einem Jahr Zusammenleben mit Asny vorzustellen. Ein zitterndes, grauhaariges, aschfahles Häuflein Angstzustand, dessen Seele sich bereits beim Anblick des eigenen Schattens quietschend davonmachte und in Plutos schützende Arme floh.
    Ja, das würde gewiss eine lustige Zeit werden. Asa hätte ja Mitleid mit der armen Seele gehabt, aber aufgrund ihrer eigenen Existenzgrundlage sammelte sich stattdessen Neugier als ihr Hauptempfinden an. Was würde dieses schreckhafte Seelchen wohl machen, wenn es das Spiegelbild seiner Todesursache selbst im Jenseits noch vor sich sähe? Die tote Schwester unterdrückte mühsam das aufsteigende, infernalische Gelächter, das am Ende doch nur irgendeinen Boten aus der Unterwelt auf sie aufmerksam gemacht hätte. Stattdessen hüstelte sie leise, zog ihre Hand vom Kopf des Flaviers zurück und zischte ihm stattdessen scharf und zart wie eine Königspython ins Ohr:
    Ich weiß nicht, wer du bist, aber du kannst froh sein, dass du nicht der bist, der du sein könntest, wenn du nicht du wärst.
    Wie gesagt, Asa war eher für das Emotionale zuständig, durch die Intelligenz des Schwesternpaares floß noch warmes, lebendiges Blut.


    Wenngleich es derzeit ganz und gar nicht den Anschein hatte, als gäbe es in Asnys Körper auch nur noch irgendein vergessenes Fleckchen Wärme. Das Korporale war derzeit auch auf eine bloße Nebensächlichkeit beschränkt. Stattdessen arbeitete ihr Verstand so intensiv und schnell, dass sie möglicherweise unter anderen Umständen einfach zur Seite gekippt wäre, säße sie nicht bereits stabil und sicher. Doch Nebensächlichkeiten wie das zunehmend kalte Wasser um ihre Beine, das muntere Gezwitscher der Vögel oder sonstige Freuden der Natur bei gutem Wetter schrumpften zu nicht mehr als zweidimensionalen, schattenbehafteten Kulissen zusammen.
    Botschaften, Möglichkeiten zischten durch ihren Kopf, flüsterten ihre verheißungsvollen Botschaften und verschlangen einander gegenseitig, vermischten sich, teilten sich und erwachten zum Leben, um zwei Herzschläge später in der völligen Bedeutungslosigkeit abzusterben. Ein Wolf mit einem Hauch metallisch süßen Blutduftes in der Nase konnte nicht aufmerksamer sein. Dies stellte in der Tat eine interessante Entwicklung dar. Einmal abgesehen davon, dass Asny durch diese offensichtliche Präsentation tiefster Gefühle erneut darin bestätigt wurde, in diesem Flavier kaum das intelligenteste Exemplar seiner Familie erblicken zu dürfen. Die geachtete wie gefürchtete Gens Flavia stünde wohl kaum noch im Ansehen irgendeines machthabenden Bewohner Roms, wenn sie allgemein so auftreten würden, wie man der jungen Sklavin gerade formvollendet präsentierte.
    Dennoch, selbst unter der Voraussetzung geistiger Umnachtung existierte kein offensichtlicher Grund wegen einer Tochter beinahe in Tränen auszubrechen. Einer Tochter, die er selbst doch kurz zuvor erwähnt hatte. Oder stellte es eine so grausame Strafe dar, zwischen zwei Kindern dasjenige auszuwählen, welches er bevorzugte? Sollte die bessere, wenn auch verlogene Antwort eines Vaters auf diese Frage nicht ohnehin lauten ‚Beide, oh ich liebe beide mehr als mein Leben und... blablabla.‘ Wenigstens ersparte er Asny die Zeitverschwendung elterlicher Heuchelei. Und entgegen üblicher Traditionen pflegte die gebürtige Römerin es zu genießen, wenn sie jemandem gegenüber saß, der so überdeutlich mit inneren Dämonen rang. In solchen Momenten war sie stets auf Seiten der dämonischen Fratzen.


    Da sie allerdings in die Rolle einer Najade gedrängt worden war und auch erst einmal nichts zu unternehmen gedachte, um den hübsch geflochtenen Knoten reißen zu lassen, musste sie ein Stückweit von ihrer üblichen Vorgehensweise abrücken. Dies bedeutete, etwas weniger geradeheraus zu sein und ein wenig mehr ihre ohnehin immer stärker oder schwächer existente, latent unheimliche Ausstrahlung auszuspielen. Bislang schien sie bei jenem Einfaltspinsel schließlich auch recht gut gewirkt zu haben, wenngleich Asny sich erneut dazu ermahnte, bloss nicht übermütig und unvorsichtig zu werden. Obwohl ihr spontan kein Grund einfiel, der ihr zur Vorsicht riet. Wie zumeist interessierten sie die für sie negativen Konsequenzen ihrer Taten eher verschwindend gering. Das, was man gewann, zählte ohnehin weitaus mehr. Und wenn man nur die richtige Sichtweise anwandte, gewann man in jedem Fall.
    Das vergängliche, stärkere Leuchten im Blassblau ihrer Augen wich schon bald wieder dem für ihre Verhältnisse üblichen, verträumten Schimmer, der wie klebriger Blütenstaub über allem lag, was sich in den Tiefen der jungen Sklavin abspielte.
    „Deine Tochter also“, wiederholte sie mit einem schwachen, bestätigenden Nicken und daunenweichen Worten. Eine schwammige, langgewachsene Wasserpflanze spielte um ihre weiterhin unter der Teichoberfläche tastenden Finger wie eine verlorene Feder, ehe man sie mit einem kurzen, kräftigen Ziehen aus dem Bodenkies zog. Schon früher hätte sie eigentlich darauf kommen können, dass es interessant sein dürfte, diesem Teich und seinem Innenleben mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
    „Und welchem Mysterium hat deine Tochter diesen väterlichen Vorteil zu verdanken? Unter Umständen nur deinem schlechten Gewissen?“
    Bei all dem Schmerz und der Verzweiflung, die von diesem Flavier zu ihr herüberwehte, war es recht wahrscheinlich, dass nicht eben wenige Selbstvorwürfe dabei waren, welche die Gedanken noch arger mit Leid erfüllten und beharrlich an der Seele nagten wie ein Rudel hungriger Ratten.
    Kurz schlossen sich Asnys Augen, so dass es einen Herzschlag lang wirkte, als würde die vermeintliche nympha nur entspannt lächelnd die Sonnenstrahlen genießen. Einen lautlosen Seufzer lang schwieg sie, um danach mit fast provozierend streichelnder, sanfter Stimme zu ergänzen:
    „Menschen wie du bestehen beinahe zur Gänze aus reiner Selbstsucht... ein trauriges Bild, fürwahr...“

    Ihr ‚Hinweis‘ bezüglich dessen, worauf sie eigentlich hinaus wollte, strotzte nicht gerade vor Informationen und Eindeutigkeit, obgleich sie sehr wohl wusste, dass der Fremde wahrscheinlich nur dann auf die Antwort ihrer Absicht käme, wenn sie sie ihm in aller Deutlichkeit vor die Füße werfen würde. Allerdings tat sie es gerade aus jenem Grunde. Schließlich wollte sie diese Situation auskosten und sie so lange wie möglich ausweiten, bis an die Grenzen stoßen, so dies möglich war. Zudem konnte der Spaß sehr rasch vorbei sein, also wollte sie dieses besondere, seltene Vergnügen ausführlich genießen. Sie würde ihn zappeln lassen wie einen langsam erstickenden Fisch an Land.
    Trotz dieses emotionalen Höhenfluges blieb Asny jedoch äußerlich vollkommen unbewegt, ihre Mimik ein angedeutetes Lächeln, das ihre Augen nicht im Geringsten erwärmte. Mitleid hatte sie keines, ein Gefühl der Reue erst recht nicht. Sie sah sich nicht als sadistische Schuldige, es war der Verstand dieses Römers, dem die gesamte Verantwortung für diese hochgradig peinliche Situation, in welche er hier geraten war, zufiel. Und sein Stolz würde dafür sorgen, dass das Ende seiner jetzigen Lage um keinen Deut angenehmer würde.
    Asa unterdessen kugelte sich um sich selbst in der Luft und schien kurz davor, um Erbarmen zu winseln. Ihr war es unbegreiflich, wie ihre Schwester es schaffte, dabei so unbewegt wie eine Statue zu bleiben. Wie so oft reagierten sie auf eine Situation vollkommen unterschiedlich, obgleich sich der tote Zwilling recht sicher war, dass sich Asny nicht weniger darüber amüsierte. Allerdings neigte diese vielmehr zur reinsten Introvertiertheit und konnte ihrer Umgebung wirklich all ihre Empfindungen und Gedanken vorenthalten, wenn sie es darauf anlegte. Sich imaginäre Tränen aus den silbernen Augen wischend beschloss Asa, dass sie ihre Schwester niemals zum Feind haben wollte.


    Die hellblonde Sklavin war sich inzwischen sicher, tatsächlich einen Flavier vor sich zu haben. Seinem Verhalten lag etwas zugrunde, das bestimmte Grenzen noch nie überschritten gesehen hatte, das sich nicht ausmalen konnte, dass etwas seine heile, gesicherte Welt tatsächlich einmal zerstören konnte. Zumindest nicht innerhalb eines gewissen Rahmens. Außerdem wäre er in seinem physischen Zustand ein jämmerlich schlechter Gartenwächter gewesen. Asny ließ ihn während seiner erbarmungswürdigen Vorstellung, während der er einfach nur aufstand, keinen Bruchteil eines Herzschlages lang aus den Augen. Seine Kinder zum Dienst an der Göttin... welchen Schaden würde er persönlich bei so einer Lösung davontragen? Diese Reichen stellten sich das Wohlwollen der Götter in der Tat sehr einfach zu erlangen vor.
    Der herbeigerufene Sklave, dem Asny nur einen flüchtigen Seitenblick schenkte, ehe sich ihre gesammelte Aufmerksamkeit wieder ungehindert auf ihr Opfer entlud, hob den Vorhang dieser Inszenierung ebenfalls nicht. Der servus hatte sich ohnehin vielmehr auf seinen Herrn als auf sie konzentriert und sich dadurch um die Prachtrolle gebracht, die seinen Herrn als leichtgläubigen Idioten entlarvt hätte. Bedauerlich, es war wohl nicht sein Glückstag.


    Asnys Beine bewegten sich langsam und anmutig durch das kühle Wasser, weiche, lange Wasserpflanzen strichen zart über ihre Haut. Den Schmerz in ihrem Knie spürte sie so gut wie gar nicht mehr, das quälende Pulsieren war einem dumpfen Kribbeln gewichen. Nichtsdestotrotz würde sie sich der Berührung der kalten Flüssigkeit langsam entziehen müssen, wollte sie nicht eine ernste Beeinträchtigung ihres Kreislaufes riskieren. Mit ein wenig Glück war diese interessante Farce auch bald beendet, obgleich sie nicht glaubte, dass dieser Flavier alleine dazu in der Lage wäre.
    „Ich bin nicht die Gnadenvollste und Barmherzigste unter meinen Schwestern“, dämpfte Asny auch gleich mit seidig kühler Stimme alle Hoffnung, dass das Geflehe in ihre Richtung irgendein großartiges Ergebnis zutage fördern würde. Ihre schlanken Finger tauchten erneut unter die schillernde Oberfläche des Sees und schöpften ein wenig des klaren Nass.
    „Mein Wesen ist kalt und tief wie dieser See. Dein Flehen wird den Grund niemals erreichen.“
    Asa überlegte zwischen zwei neuerlichen Kicheranfällen, ob ihre Schwester unter Umständen zuviel Zeit in der Gesellschaft einer Toten verbracht hatte.
    „So sage mir, Flavier, welches deiner Kinder liebst du mehr?“

    Die Mimik des Römers war das Abbild der reinsten, verunsicherten Demut, voller Zweifel und erschüttert bis in die Tiefen seiner Seele. Asny empfand sein Äußeres in diesen Momenten als durchaus attraktiv, wobei sie Nebensächlichkeiten wie Augen- und Haarfarbe oder den Körperbau vollkommen außer acht ließ. Die Schönheit, die dieser Römer gerade ausstrahlte, lag ganz allein in seiner gänzlichen Unterwerfung gegenüber ihres Geistes. Ein wahrlich wundervoller Anblick, der das Herz der blonden Sklavin zum Klingen brachte, was vermutlich das Äusserste an Gefühl darstellte, das sie einem anderen Menschen entgegenhielt, und es besaß seinen Ursprung vollständig in ihrem Verstand. Dieser besondere Moment wog beinahe sogar den ungeschickten Zusammenprall auf, der ihr Training für den gesamten Tag zunichte gemacht hatte. Der Ausdruck in den Augen dieses Mannes, die glimmende Furcht in den Schatten des Haders – unvergleichlich. Um dies zu erleben musste sie also in die Ränge einer Sagengestalt aufsteigen, was kein allzu großes Problem darstellte, wenn der Geist des Gegenübers nur einfältig genug war.


    Ein tiefes, ein angenehmes Gefühl bemächtigte sich ihrer, legte sich als Gänsehaut auf ihre schlanken Arme, trotz der gnadenlosen Glut der Sonne, die von oben auf sie niederbrannte. Asny blieb die Identität dieser Empfindung nicht lange verborgen, sie kannte sich gut genug und hatte sich genügend mit sich selbst auseinandergesetzt in dieser Welt voller Narren. Sie gehörte nicht zu den Leuten, die Schwierigkeiten hatten, ihr eigenes Ich richtig zu erkennen. Ihre Selbstkontrolle war perfekt und nichts spielte sich in ihrem Inneren ab, das einem unbekannten Geist oder einem verborgenen Schatten glich. Insofern wusste sie, dass sie das euphorische Gefühl der Macht über jemanden beherrschte, der ihr vom sozialen Standpunkt her theoretisch überlegen war. Dennoch kroch er da in seinem eigenen Staub und wand sich, weil sein minderer Verstand ihn dazu zwang. Das blonde Mädchen wusste zudem von der Gefahr dieses Gefühls, das sich wie so vieles zu einer Droge wandeln konnte, nach der es einen immer stärker verlangte. Vorerst konnte sie sich jedoch vollauf damit besänftigen, dass ihrem Ego noch eine weitere süße Mahlzeit bevorstünde, wenn nämlich dieser bedauernswerte Tropf seinen Fehler bemerkte und die Schmach und Schande seiner eigenen tumben Beschränktheit wie eine himmlische Faust über ihn hereinbrach. Sie musste an sich halten, sich nicht bereits vor lauter Vorfreude über die Lippen zu lecken wie eine Katze, die frische Milch erschnuppert hatte. Hoffentlich hatte sie tatsächlich einen Flavier vor sich, einen besonders stolzen, ehrwürdigen, arroganten. Er würde schon merken, wer es sich hier leisten konnte, arrogant zu sein.


    Er rafft’s nicht. warf Asa fachmännisch ein, während sie mit verschränkten Armen schräg vor dem Römer in der Luft schwebte und ihn gründlich betrachtete. Dieser hatte gerade begonnen, von seinen Kindern zu berichten und damit preisgegeben, dass er Asnys Wink entweder nicht verstanden hatte oder nicht verstehen wollte. Das Mädchen entschied sich kurzerhand für eine Mischung aus beidem, irgendein schützender Eingriff des väterlichen Unterbewußtseins, gewürzt mit der üblichen Prise Begriffsstutzigkeit.
    Dennoch lauschte sie aufmerksam den eintreffenden Informationen, schließlich wusste man nie, wann man jene einmal gebrauchen konnte. Das kurze Stutzen bei der Erwähnung seiner Tochter entging ihr ebensowenig wie die reizende Formulierung ‚die Kultur und das Wissen und sowas‘. ‚Und sowas‘, ahja.
    In Asnys blassblaue Augen war schon zuvor ein seltsames Glitzern getreten, das den Eindruck eines Eiskristalls noch verstärkte und ihrem Lächeln jegliche Wärme und Freundlichkeit entzog und ihr etwas Bedrohliches verlieh.
    „‘Warum‘ fragst du mich? Nun, welches Thema behandelten wir denn gerade? Soweit ich mich erinnere lautete meine Frage an dich nicht: ‚Hast du Kinder und was treiben diese gerade?‘“
    Asny fand es amüsanter, wenn sich der Gedanke im eigenen Schädel des Römers herauskristallisierte, wenngleich sie dazu etwas mehr Geduld benötigte. Langsam bewegte sie ihr verletztes Bein prüfend im kalten Wasser, entließ ihr Opfer aber keinen Herzschlag lang aus ihrem durchdringenden Blick, der sich in seiner gnadenlosen Intensität immer tiefer in die Seelenspiegel des Mannes zu versenken schien.

    Zugegeben, normalerweise bevorzugte Asny harte Fakten und gegebenenfalls noch härtere Wahrheiten im Umgang mit den Menschen in ihrer Umgebung und so mag es – wenn man nicht das Glück hat, die Identität einer toten Zwillingsschwester zu besitzen – an dieser Stelle verwunderlich scheinen, dem ihr Unbekannten sogleich mit einer derart infamen, ja gotteslästerlichen Lüge zu kommen. Aber die Welt gesehen durch Asnys eisblaue Augen hob sich bisweilen sehr ungeniert von der tatsächlichen Welt ab, bereicherte oder entfremdete sie, ergänzte, kürzte oder drehte sie schlicht ins genaue Gegenteil. Insofern schätzte das Häuflein schamloser Debilität neben ihr das beiderseitige Verhältnis zwischen ihnen im Grunde stimmig ein, dadurch, dass er sie als Nymphe bezeichnete. Im Vergleich mit ihm sah sie sich durchaus als ein ‚Überwesen‘, allerdings nicht nur, weil sie so überlegen, sondern weil er selbst sich so fürchterlich unterirdisch in Dingen wie Nachdenken und Analysieren gab.
    Darüber hinaus wollte sie diesem Mann überdeutlich seine eigene Insuffizienz in alle Grenzen sprengender Intensität vor Augen führen, beziehungsweise diese für ihre eigenen Interessen ausnutzen, wie es doch schon so gut an anderer Stelle funktioniert hatte. War dies nicht das einzig Schöne an den Menschen, ihre Schwächen, ihre Fehler und Mängel? Erhielten sie nicht dadurch erst einen Sinn? Und wenn jemand wie jener Strohkopf seine Schwächen auch noch so offen präsentierte wie eine ungeschützte Kehle, flehte er doch geradezu darum, ausgenutzt zu werden. Manche Lektionen konnte man nun einmal nur auf die schmerzhafte Art und Weise lernen, indem man schamlos ausgenutzt wurde. Dazu kam nach wie vor sein unverzeihlicher Frevel, ihre heiligen sportlichen Betätigungen blockiert und für unbestimmte Zeit schmerzlich beeinträchtigt zu haben. Nein, welche Widrigkeiten auch immer aus diesem Possenspiel noch erblühen mochten, Asny war sich darüber völlig im Klaren, dass jenes Stück geistiger Beschränktheit jede einzelne Blüte mehr als verdient hatte. Vielleicht reagierte die lebende Schwester diesbezüglich sogar noch etwas strikter als Asa, der es mehr um reine Schadenfreude und Unruhestifterei ging, und die gerade ihren zweiten Tod aufgrund eines nicht enden wollenden Lachanfalls starb.


    Wieder knirschte die zähe, widerspenstige Tür des männlichen Verstandes, scheuerte schwerfällig über allerlei Unrat wie es schien, der sich aufgrund des kaum benutzten Einganges in geistige Leistungen häuslich niedergelassen hatte und zu bequem war, um jetzt einfach aufzustehen und sich hinfortzubewegen. Asny glaubte das Ächzen und Schaben förmlich durch den Sommergesang der Vögel zu vernehmen, welches träge und unzufrieden davon kündete, dass etwas lange Verschollenes wieder aktiviert wurde. Nein, dieses Theaterstück bestand wahrlich nicht nur aus Annehmlichkeiten.
    Die folgenden Laute der Überraschung, des anfänglichen Unglaubens, vor allem aber der düster dämmernden Erkenntnis zerrten nicht unerheblich an Asnys Geduld, spiegelten sich letztendlich aber nur in einer Verschärfung und Vereisung ihres Blickes in seine Augen wider, während sie mit ‚lebendigen‘ Dingen wie Blinzeln oder Zucken erneut beängstigend sparsam umging. Wie konnte man nur derart langsam in den Verstandesvorgängen sein? Oder mehr noch, wie konnte man es sich leisten, so behäbig zu sein, und ein solch hohes Alter damit erreichen? Vielleicht hatte sie es auch mit einem ehemaligen Soldaten zu tun, den das viele Befolgen von Befehlen und das Tragen von sperrigen, schweren Helmen mit der Zeit auch den letzten Rest geistiger Beweglichkeit gelähmt und verstümmelt hatten. Asny empfand Kriegsführung als irgendwie unsinnig, einzig die Taktiken fanden ein wenig ihr Interesse. Doch diese ganze Eroberei setzte ihrer Meinung nach bestimmte Werte und Ansichten in eine Höhe, die diese nicht verdienten. Weswegen sollte man roher Körperkraft eine solche Wichtigkeit beimessen, wenn der Verstand doch etwas wesentlich Wichtigeres und Erstrebenswerteres war? Was fing man mit sich an, war man alt, gebrechlich und verkrüppelt und hatte sich bis dahin nur auf seinen Körper verlassen? Nicht mehr viel, mochte man meinen.


    Ihrerseits ließ die Sklavin ihren schwer zu deutenden, hintergründigen Blick auf dem anscheinend doch schwerer verletzten Mann ruhen, der sich vom Teich fort und zu der steinernen Bank schleppte, während sie mit keinem Lidschlag Kenntnis davon gab, ob sein Verdacht, sie gehöre der Göttin Diana an, wahrlich gerechtfertigt wäre. Soso, sie wirkte also wie eine Dienerin der Mond- und Jagdgöttin. Eine interessante Offenbarung, wenngleich sie den Vergleich zu einer Najade immer noch nicht recht für sich erkennen wollte. Nicht einmal ihre Haare trug sie heute offen wegen des Laufes, und was die Gewichte an Hand- und Fußgelenken betraf --- nun denn. Wenn dieser geistige Tiefschlag es so sah, war dies im Grunde nicht ihr Problem und sollte es auch nicht werden. Schließlich beging er gerade den dummen Fehler. Zudem war es nicht langweilig zu ergründen, wie solch ein Mensch beim Anblick eines mystischen Wesens reagierte.
    Offensichtlich plagte ihn arg das schlechte Gewissen, vermischt mit sicherlich nicht unbegründeter Sorge um sein Schicksal. Mit Diana hatte er sich nicht gerade eine zimperliche, nachsichtige Göttin ausgesucht. Da er ihr jedoch – angeblich – bereits viele Opfer gebracht hatte, wie er gleich zu Anfang in den Raum warf, schien er entweder eine Schwäche für den Mond oder die Jagd zu haben. Die Jagd lag wahrscheinlicher. Umso mehr Furcht musste er also zwangsläufig haben, gerade seinem Jagdglück auf ewig den Todesstoß versetzt zu haben. Die Jagd – eine weitere eher lächerliche Zeitverschwendung, ganz besonders wenn man seine Zeit lieber mit Dingen füllen sollte, die den ungeheuren Mangel an Intelligenz etwas weniger rasch offenlegten. Die Jagd nach Wissen war ohnehin abwechslungsreicher und effektiver, als seine überschüssige Energie an in diesem Fall schlaueren Tieren auszulassen.


    Ein Opfer wollte er ihr also bringen. Nur würde das weder ihre Verletzung schneller heilen lassen, noch sah Asny dadurch seine Schuld abgetragen. Zumal es ihm, sollte er denn tatsächlich der Besitzer des Gartens sein, wie er eben verkündet hatte, nur allzu leicht fallen würde, irgendwo irgendein Opfertier herbringen zu lassen, ganz im Gegensatz zu ihr, für die die Beschaffung des Mars-Opfers auch alles andere als leicht gewesen war. Nein, so simpel würde sie es dem Wächter oder Flavier oder was auch immer da vor ihr hockte garantiert nicht machen.
    Weiterhin ruhte ein samtiges Lächeln auf ihren Lippen, das irgendwie doch nicht die Wirkung erzielte, die ein Lächeln für gewöhnlich haben sollte.
    „Ein Opfer willst du mir bringen, römischer Jäger? Du hast mich verletzt, mich beschimpft, und nun glaubst du, ein Opfer wäre ein einfaches Mittel, um meinen Furor von dir abfallen zu lassen? Du verlierst ein paar Geldstücke, überläßt einem Priester die Arbeit und wiegst dich dann in Sicherheit, dass die große Göttin Diana auch bei der nächsten Jagd deine Pfeile ihr Ziel finden lässt? So wisse denn, dass mir an derlei Opfern nichts liegt. Es fiele dir zu leicht, deine Reue wäre nicht mehr als ein Herbstblatt in einem Wirbelsturm. Rasch und spurlos vergangen.
    Kurz senkte sich ihr Blick auf die Fingerspitzen, welche beinahe zärtlich die glitzernde Oberfläche des Sees liebkosten. Danach hoben sich ihre Lider wieder, als sie leise fragend ergänzte:
    „Wie steht es um deine Nachkommenschaft, machtvoller Römer?“
    Blieb zu hoffen, dass das Wissen dieses Mannes Diana betreffend ausreichend war, um sich zu erinnern, dass die Göttin auch menschlichen Opfern durchaus nicht abgeneigt war. Andererseits konnte man jene Frage auch ebenso unschuldig deuten, wie sie denn klang. Dies war indes abhängig davon, wie der Unbekannte sie aufzunehmen gedachte.

    Natürlich war es nicht dermassen einfach. Natürlich erhob sich dieses wandelnde Hindernis nicht sofort und eilte davon, oder verflüchtigte sich einfach mit einer sommerlichen Brise. Das taten in der Regel auch die wenigsten, die sich gerade von einer kleinen arroganten Göre schwerstens auf den Arm genommen fühlten. Meistens ging es mit durch Entrüstung angefachter Wut dann erst richtig los. In diesem aktuellen Fall hätte es Asny auch überhaupt nicht überrascht, wenn ihr Gegenüber sehr schnell sehr handgreiflich geworden wäre, um seine geistigen Unzulänglichkeiten dadurch zu kompensieren. Zerbrechlich und schwach wirkte er zumindest nicht und vermutlich prügelte er gemeinhin seine Meinung durch, da ordentliche Argumentationen ihn in Bereichen überlasteten, die er bislang leider sträflich vernachlässigt hatte. Solcherlei Spielereien der Natur fühlten sich zudem in der Regel höchst ungern unterlegen und hofften, im starken Gegensatz zu ihrem sonstigen Gebaren, erstaunlicherweise auf die Höflichkeiten (oder die Furcht) ihrer Umwelt, die sie ihre geistigen Diskrepanzen freundlicherweise nicht spüren lassen sollten. Dass Asny weder um Höflichkeit noch um Furcht großes Aufsehen machte, brachte einen derart eingestellten Menschen bisweilen gerne außer Fassung, besonders da es zusätzlich wenig gewinnträchtig und befriedigend wirkte, ein kleines schwaches Mädchen zu verprügeln. So sehr einem die Finger danach auch jucken mochten.


    Die Sklavin hatte diesen groben Haufen Platzverschwendung neben sich bereits derart tief in die Sparte ‚zurückgebliebener Schläger‘ mit all den daraus resultierenden Konsequenzen geworfen, dass jener bedauernswerte Mensch sich nicht mehr aus diesem Abgrund hätte hinausarbeiten können, selbst wenn er eintausend Jahre alt würde. Während ihre eigenen Schmerzen von der Kälte des Wasser mehr und mehr erstickt wurden, glaubte Asny förmlich zu hören, dass es im Gehirn ihres Teichnachbarn knirschte wie eine steinerne Tür über Sandkörner während er versuchte, ihren Worten zu folgen. Eben aus diesem Grunde hatte sie auch jene zweifelsfrei eindeutige Titulierung einfließen lassen, damit man den Grundgedanken ihrer Erläuterungen selbst als kleines Licht zu erkennen vermochte. Und ganz offensichtlich hatte er es erkannt.
    Sein Gestammel ließ durchscheinen, dass ihre Worte seinen herzlich unbegründeten aber deswegen meist nur umso ausgeprägteren Stolz ordentlich verletzt hatten. Beinahe konnte man angesichts seiner verzweifelten Suche nach den richtigen Worten oder gar Sätzen einen Anflug von Mitleid verspüren, doch Asny bediente sich dieses Gewürzes überaus sparsam und nach dem unangenehmen Zwischenfall vorhin blieb jenes Gefäß fest versiegelt im Regal. Im Gegenteil besaß die junge Sklavin die Absicht, ihre Dankbarkeit ob der Unterbrechung des vorgesehenen Tagesablaufes so tief und unerbittlich in des Tors lachhaft aufgeblasenen Stolz zu treiben, als handele es sich dabei um einen gerade harpunierten, um sein erbärmliches Leben zappelnden, dürren Hering.


    Hui., ich glaub‘, der ist ganz schön sauer... Asas Gesicht klebte kurz vor dem des Mannes und ihre silberblassen Augen musterten interessiert die Farbveränderungen der Haut und die Entwicklung einiger wütend pulsierenden, hervortretenden Adern an Hals und Schläfen.
    Wäre er ein Kater, hätte er jetzt soooo einen Schwanz! ergänzte der Schwesterngeist kichernd und deutete mit den Armen das Ausmaß eines ordentlichen Weinfasses an. Tatsächlich besaß dieser Vergleich zu tierischem Imponierverhalten eine gewisse Wahrheit. Die Drohgebärde des Aufrichtens, um größer und beeindruckender zu wirken, beispielsweise. Allerdings besaßen Tiere irgendwo noch etwas Possierliches und Lehrhaftes, woran es diesem Exemplar jedoch ganz gehörig mangelte.
    Dann folgte auch schon der sich im Voraus bereits anbahnende Ausbruch, der, oh Wunder, tatsächlich in ganzen Sätzen daherkam. Asa huschte sicherheitshalber wie unnötig zwei Schritte zurück und schlug einen kleinen Purzelbaum in der Luft, während dem ihr köstlich amüsiertes Kichern jedoch keinen Augenblick abzubrechen vermochte.
    Die Frau des Kaisers! Herabgestiegene Diana! Sein Garten! Herrlich! --- Hö? SEIN Garten? Mitten in einem tollkühnen Wirbel hielt Asa inne und blickte ein wenig unschlüssig erst zu dem angeblichen Gartenbesitzer und dann zu ihrer Schwester hinüber. Die sah dies jedoch weit weniger erschreckend, schließlich tendierten Männer im Angesicht eines schmerzenden Egos gerne einmal zu Verallgemeinerungen oder Übertreibungen, etwa ‚Mich lieben alle Frauen‘ oder ‚Ich habe drei tollwütige Löwen auf einer brüchigen Hängebrücke über einem reißenden Lavastrom mit zwei gebrochenen Beinen, einem gefesselten Arm und nur mithilfe einer Steinschleuder besiegt – ohne Frühstück!‘ Vermutlich handelte es sich um eine Art Wächter, der auf die Gartenanlage zu achten hatte und Eindringlinge fernhalten sollte. Und offenbar war er auf dem Markt der Preiswerteste im Angebot gewesen.


    Andererseits, selbst wenn es sich bei ihm wirklich um einen Flavier handeln sollte – als etwas exzentrisch und ‚anders‘ war die Familie schließlich allenthalben verschrieen -, so hatte auch er Asny übel im Weg gestanden und dies rechtfertigte in ihrer Welt vollkommen die Behandlung des Unbekannten. Seltsam eigentlich, dass er ihr immer noch unbekannt war, Männer seines Schlages wählten gerne auch die Phrase ‚Weißt du eigentlich, wer ich bin?!‘ in solchen Situationen. Vielmehr schien diesem Exemplar jedoch daran gelegen zu sein, ihre Identität herauszufinden.
    Eine Nymphe. Besäße Asny normale Reaktionen hätte sie wohl sarkastisch aufgelacht. Zwar hatte man sie bereits mit einigem Mythologischen verglichen, doch eine nympha war bislang nicht darunter gewesen. Wahrscheinlich verband man mit diesem zarten Geschöpf zu viele gute Eigenschaften. Asny pflegte für gewöhnlich auch nicht völlig sinnfrei und blümchenstreuend in der Gegend herumzufrohlocken oder sich mit kleinen Ziegenböcken zu paaren. Allem Anschein nach saß sie hier einem sehr gläubigen Mann gegenüber, der ihr vermutlich sogar geglaubt hätte, wenn sie ihn darauf aufmerksam machte, gerade von einem Geist ausgelacht zu werden. Wenn er sie also für eine Najade hielt, die gar jenen Fischteich ihr Eigen nannte – nun, wäre es so gewesen, hätte er sich als Erstes von seinen das heilige Wasser verunzierenden Beinen verabschieden können.
    Andererseits war es viel zu amüsant mitanzusehen, wie das menschliche Hindernis sich in seinen eigenen geistigen Unzulänglichkeiten wälzte. Wenigstens eine stille Genugtuung für die katastrophale Unterbrechung ihres Trainings.


    Sacht tupfte sie sich mit dem zweckentfremdeten Stück Moos noch einmal über die Stirn und schloß dabei langsam die Augen, obgleich die letzte Frage des Mannes schon seit einer kleinen Weile verklungen war. Sie hatte es nicht eilig zu antworten und die Ungeduld würde möglicherweise auch noch den letzten Rest Verstand aus seinem leeren Kopf hinausjagen. Nachdem die vielleicht nicht ganz angenehme Pause sich zog und zog und sie gerade hörte, wie ihr ‚Gesprächsopfer‘ die Luft einsog, öffnete sie ihre Augen zu einem ansonsten fast regungslosen wie durchdringenden Seitenblick, um die einzige auf eine solche Frage mögliche Antwort hauchzart in die warmen Sommerwinde zu flüstern.
    „Ja.“

    Irgendein Gekrächze wohl menschlichen Ursprungs kämpfte hinter Asny um Aufmerksamkeit, kassierte diesbezüglich jedoch eine jämmerliche Niederlage. Hatte die junge Sklavin unter normalen Umständen bereits mehr mit sich selbst denn mit ihren Mitmenschen zu schaffen, so hatten ihre Verletzung diese Einstellung noch einmal hundertfach verschärft. Ganz zu schweigen davon, dass es sich auch noch um den Grund ihrer Blessuren handelte, der sich hinter ihr wand und anscheinend versuchte, das soeben Erlebte für sein eigenes, stark begrenzt wirkendes Gehirn in handliche Portiönchen zu unterteilen.
    Asny ignorierte das furchtbar sinnlose Gestammel und ließ sich stattdessen an einer geeigneten Stelle am Teichufer nieder, um ihr leicht zuckendes Bein behutsam in die nasse Kühle des Wassers zu tauchen. Ihr Kreislauf würde sich freuen. Andererseits sollten abrupte Temperaturwechsel gut für Stoffwechsel und Körperstärkung sein. Ein wenig beruhigte sie der Gedanke, allerdings nur solange, bis ihr wieder einfiel, dass die plötzliche Ruhe nach der Anstrengung kein geeigneter Übergang war, ganz zu schweigen von dem völlig verlorenen Rhythmus. Und weswegen? Nur wegen diesem nichtswürdigen, unnützen Stück lebenden, atmenden Fleisches, das sich anscheinend gerade keuchend zu ihr an den See schleppte. Asny hoffte, dass er mindestens ebenso stark in Mitleidenschaft gezogen worden war wie sie, obgleich seine Schmerzen schon von titanischen Ausmaßen sein mussten, um die ihren auch nur ansatzweise ausgleichen zu können. Von den Folgebeschwerden und Einschränkungen gänzlich abgesehen.


    Mit aus mehreren Gründen zusammengepressten Kiefern löste Asny eine Lage Sternmoos von einem der den Teich umsäumenden Steine, tauchte es ins Wasser und legte es anschließend auf ihre dumpf schmerzende Stirn. Mit einigen tiefen Atemzügen versuchte sie ihren Herzschlag etwas weniger plötzlich zu beruhigen und schloß dabei die Augen, welche aufgrund der hinabrinnenden Wassertropfen ohnehin nicht wirklich viel hätten erblicken können. Das Gestöhne und Geächze von diesem anscheinend doch sehr mitgenommenen ‚Ding‘ nahm sie auch so leider nur zu gut wahr, wie es sich zum See schleppte und dieselbe Kur wie sie anstrebte.
    Asny sog die sommerlich flirrende Luft tief ein und presste das Moos noch etwas stärker an ihre erhitzte Stirn, wodurch weitere dünne Bäche Teichwasser über ihre geröteten Züge flossen. Als wäre dieses dämliche Missgeschick nicht schon störend und nervtötend genug, nein, jetzt musste die noch viel störendere und nervtötendere Ursache der ganzen Misere auch noch groß und breit darüber reden und dumme Fragen stellen!


    Zwischen kleinen grünen Pflanzensternen blinzelte eines von Asnys blassblauen Augen flüchtig wie desinteressiert zu der abgerissenen Erscheinung in ihrer Nähe, und schloss sich gleich darauf mit einem geringschätzigen Hochziehen der Augenbrauen wieder. Wäre sie doch in eine der vielen Statuen hineingelaufen, aber nein, die Moiren hatten sich offenbar etwas viel Begriffsstutzigeres und Hinderlicheres als behauenen Stein ausgesucht. Er sah aus wie ein Söldner, dem man, egal um wieviel Geld es sich auch handelte, definitiv zu viel bezahlte. Dafür, dass er im Garten nur im Weg stand und Menschen von ihren deutlich wichtigeren Tätigkeiten abhielt. Große Töne spucken und das Maul aufreißen, als besäße er irgendeinen Wert - diese Kunst beherrschte er jedoch anscheinend nur zu gut.


    Asnys Mundwinkel zogen sich eine zynische Spur nach oben und repräsentierten eine Eiseskälte, welche die über die schmalen Lippen rinnenden Wassertropfen angenehm warm erscheinen ließen. Wenigstens in diesem Bereich hatte die Sklavin ihre Beherrschung wiedererlangt. Sie war zu ihrer altbekannten Mimik zurückgekehrt und hielt dieses ganz spezielle, sanfte Lächeln für ihre finstersten Gedanken bereit.
    „Wer ich bin?“ Leise, seidige Worte floßen über ihre Lippen, während sie die Augen kurz auf das Wasser senkte, in welchem sie das Moos erneut kühlte und befeuchtete.
    „Es hat den Anschein, als wäre ich das komplette Korrelat zu dir. Fähig, intelligent, begabt, lernfähig und voll beschäftigt mit etwas Sinnvollem. Deswegen solltest du nicht noch mehr meiner wertvollen Zeit mit dummen Fragereien verschwenden, du magst dir müßiges Herumstehen leisten können, andere geben ihrem Leben bevorzugt einen Sinn. Wenn du die Fische also genug von deinen behaarten Waden hast kosten lassen, wäre ich dir sehr dankbar, wenn du diese stupide, fruchtlose Zusammenkunft beendet würdest, homo stultissimus. Danke.“
    Vermutlich waren Beleidigungen bislang kaum derart höflich und sanft vorgetragen worden, wodurch sich allerdings der schneidende Sarkasmus darin bis in ungeahnte Höhen verstärkte. Ihre Fingerspitzen schoben zunächst den blonden, geflochtenen Zopf über die Schulter nach hinten und tasteten anschließend erneut über das malträtierte Knie unter Wasser.
    „Ach, und bitte spare dir ausnahmsweise all deine maskulin-pseudostolzen Attitüden. Wir weilen hier nicht in einer heruntergekommenen Taverne.“
    Obwohl seine raue, brüchige Stimme durchaus auf einen wiederholten Alkoholkonsum hinzuweisen schien.

    Dieser Tag wollte und wollte nicht die von Asny so sehr angestrebte Perfektion erkennen lassen. Zwar war es ordentlich heiß, es herrschte wenig anderes menschliches Leben innerhalb des grün-bunten Villengartens und ihr Puls hatte sich den selbstauferlegten Strapazen recht gut angepasst, aber nach dem Vorfall mit den Gewichten und deren immer noch nicht ordentlich sitzenden Befestigungen hatte sich die Laune der Sklavin kaum gehoben. Sie hatte um die verlorene Zeit auszugleichen und die unfreiwillige Pause wieder wettzumachen noch an Geschwindigkeit zugelegt, und, eigentlich noch recht früh in ihrem üblichen Programm, bereits ab und an Elemente wie Sprünge und Räder einfließen lassen. Möglichst ohne in den Rosensträuchern zu landen oder gegen eine Zypresse zu prallen. In jener Hinsicht konnte der üppige Garten zu dieser Jahreszeit unglaublich vollgepflanzt und hinderlich sein. In manch einer Ecke artete es beinahe mehr in einen Hindernislauf aus denn in einem geradlinigen Training. Gerade die Gegenden, in denen man Platz und Länge für mehrere Überschläge fand, waren in wirklich gutem Zustand nur an einigen besonderen Stellen zu entdecken. Inzwischen kannte Asny ihre übliche Laufstrecke allerdings ausreichend um zu wissen, an welchem Ort sie welche Übungen wagen konnte, ohne Gefahr zu laufen, sich in einem künstlichen Teich oder den stacheligen Armen einer Hecke wiederzufinden.


    Von Asa war nichts zu hören, auch wenn ihre Anwesenheit nach wie vor spürbar war. Doch die tote Schwester wusste, bei welchen Gelegenheiten selbst sie ihren Plappermund zu halten hatte. Angesichts der steinernen Konzentration des lebenden Zwillings hätte allerdings ohnehin höchstens Pluto und seine blutleeren Untergebenen ihre Kommentare gehört, und dieses seelengierige Pack sollte ihr nach wie vor möglichst von ihrer unsichtbaren Haut bleiben. Es mochte langweilig und öde sein, die immergleichen Runden hinter einer trainierenden Schwester herzuschweben, aber als Geist durfte man wohl eben kein allzu aufregendes Dasein mehr erwarten.
    Seit einiger Zeit waren sie schon keinem anderen Gartenbesucher mehr begegnet, da es den Herrschaften vermutlich zu sonnenintensiv hier draußen war und die Sklaven ihren Pflichten innerhalb der Villa nachgingen. Wie man gehört hatte, erhielt eine sorgfältige Auswahl von ihnen nun speziellen Hausunterricht. Selbstredend war auch Asny angesprochen worden, hatte jedoch sehr schnell deutlich werden lassen, dass allgemeine Grundlagen von Sprache und Wissen bei ihr keiner Lehrstunde mehr bedurften. Speziellere Wissensgebiete lockten sie, doch der bedauernswerte Lehrer würde wohl kaum Zeit und Muße finden, um sich bei all den Lücken in der Bildung seiner Schäfchen noch angemessen um jemanden wie Asny zu kümmern, die sich viel lieber die gesamte Zeit allein mit ihm beschäftigt hätte, als sich die dummen, gestammelten Antworten irgendwelcher Sklaven anzuhören und zu spüren, wie die Furie der Zeitverschwendung an ihr nagte - die allerschlimmste dieser Rachegöttinnen.
    Gemeinschaftslernen musste sie also gar nicht erst ausprobieren um zu wissen, dass es für sie nicht taugte. Trotzdem hätte sie eigentlich gern einmal diesen Neuzugang von Lehrer getroffen, allerdings hatte sie das Glück bislang dank geschlechtergetrennter Schlafräumlichkeiten und zu unterschiedlicher Arbeitsgebiete noch nicht gehabt. Am Ende würde sie doch einmal bei diesen fragwürdigen Unterrichtseinheiten vorbeischauen und wertvolle Stunden ihrer Lebenszeit zum Fenster hinauswerfen müssen, nur um die Qualitäten und selbstredend den Nutzen für sich selbst, den dieser Lehrer besaß, näher in Augenschein nehmen zu können.


    Ebenso im nachtschwarzen Schatten lag bislang das Ausmaß der Herrlichkeit ihres Herrn - der durch seine Sklavin allein ja schon unglaublich großartig sein musste. Nicht, dass sich Asny danach verzehrte, diesem Flavier ihre Trainingszeit zu opfern, und der beste Herr war schließlich der, von dem man nichts sah und hörte. Was andere Menschen über sie dachten und von ihr hielten, war ihr nach wie vor herzlich egal und sie würde ihren Wert sicherlich nicht von der Meinung ihres Besitzers abhängig machen. Abgesehen von einer dezenten Neugier auf den dank ihr sicherlich glücklichsten Römer des gesamten Imperiums war ihr diese Angelegenheit also überaus einerlei. Asa sah das etwas anders, aber Asa war nun mal nicht der Zwilling, welcher noch lebte und besaß insofern offiziell keinerlei Mitspracherecht.


    Wann der werte Schwesterngeist allerdings durchaus etwas hätte sagen können war bei unerwartet auftauchendem Gegenverkehr. Zwar kannte Asny nach einiger Erfahrung bereits die perfekte Bahn zwischen der Statue und dem in der Nähe befindlichen See hindurch, allerdings hatte sich an diesem grünen Fleck bislang noch kein scheinbar unschlüssig in der Gegend herumstehender Römer befunden, der den schwungvollen Übergang zwischen Flick-Flack und wiederaufgenommenem Lauf mehr als nur leicht behinderte. Wenigstens war es keine aus dem Nichts emporgewachsene, neue Statue, wie sie noch nicht wirklich wach aus ihren inneren Lehrstunden für den Bruchteil eines Augenblickes dachte. Doch auch wenn die junge Sklavin nicht gegen massiven Marmor prallte, so war dieses Hindernis doch nicht wirklich 'weich' zu nennen. Für irgendwelche schnellen Reflexe besaß sie zuviel Schwung und schaffte es nur eben noch den Kopf einzuziehen, bevor dieser auch schon Bekanntschaft mit Stoff {kein Problem}, Haut {auszuhalten, auch wenn derart enger Kontakt zu anderen Menschen keine von Asnys Lieblingsbeschäftigungen darstellte} und schließlich etwas sehr unbequem Hartes, das erst nach dem Kontakt mit ihrem blondhaarigen Schädel nachgab und sich irgendwann später als männliches Brustbein entpuppen sollte. Auch ihr Knie schlug gegen etwas Widerstandsfähigeres und sie konnte nur knapp hoffen, dass das begleitende Knirschen vom menschlichen Hindernis und nicht von ihr selbst kommen möge. Kurz danach kam der Boden erst rasant näher und fing sie anschließend wenig polsternd auf.
    Asny fluchte in Gedanken schneller, als ihre Nervenenden brauchten, um ihr schmerzhaften Bericht über geschundene Körperpartien zu erstatten. Das fehlte ihr wirklich gerade noch, irgendeine lästige wie unnötige Verletzung, die sie einschränken und stören würde, die ihre Konzentration und Bewegungsfreiheit beeinträchtigte und Tage, vielleicht Wochen bräuchte, um gänzlich abzuklingen. Brennendes Pochen in der Stirn und eine dumpfe Schmerzexplosion im Knie presste zunächst ihre Zähne zusammen, um sie dann umso nachhaltiger zu öffnen.


    "Bei den blutigen Wassern des Erebos, kannst du nicht aufpassen, wo du herumstehst und in die Gegend starrst?! Das ist ein Garten und nicht dein privates rosa Wolkentraumland, hier können sich auch noch andere Leute herumtreiben!" Asnys sonst so perfekte Gesichtsfassade zerbrach schellend an der unglaublichen Dämlichkeit jener Person, die in diesem Moment nichts war als einfach nur eine Stolperfalle, ein unnötiges Hindernis, das Asnys Pläne auf höchst ärgerliche Weise zerstörte. Und das mochte die unerschütterliche Planerin und Kalkulatorin in ihr überhaupt nicht. Entweder Menschen waren ihr von Nutzen oder sie waren und hatten ein Problem.
    Zunächst einmal nicht weiter auf der Hindernis achtend rappelte sie sich langsam aus dem Gras und einigen Heckenausläufern hoch und prüfte nach und nach die verbliebene Einsatzfähigkeit ihres Körpers. Zu ihrer stillen Erleichterung blutete das Knie wenigstens nicht, allerdings schien sich dort ein ordentlicher Bluterguss unterhalb der Haut zu bilden. Diese Erkenntnis trieb ihre Stimmung noch tiefer in die Schatten, während sie das beschädigte Gelenk probehalber beugte um den Schmerzgrad abschätzen zu können. Diesen durfte sie dann wahrscheinlich für den kommenden Morgen nach der Nachtruhe gleich noch einmal verfünffachen. Immerhin war der Teich in der Nähe, wo sie ihre Blessuren gleich so gut wie möglich kühlen konnte. Eine richtig üble Schwellung war wirklich das letzte, was sie nun besitzen wollte. Der bis dato unbekannte Mann - diese Information hatte sich ihr doch irgendwie zugeschlichen, obwohl es sie nach wie vor überhaupt nicht interessierte - hätte in diesen Momenten auch in seinem eigenen Blut liegen können, Asny hätte sich deswegen nicht mehr um ihn gekümmert. Stattdessen beschäftigten sie weiterhin die Spuren des Zusammenstoßes an ihrem eigenen Körper, die sie mit raschem, gezieltem Abtasten und Untersuchen in ihrer Gänze und dem schmerzlichen Ausmaß aufzuspüren versuchte.

    Es scheuert.
    „Wenn es scheuert ist es nicht fest genug gebunden.“
    Klar, bind’s fester und schnür‘ dir flott das Blut ab.
    „Es ist nicht optimal. Grauenhaft.“
    Inmitten der frühlingshaften Kolossstadt Rom herrschte eine kleine, aber ordentlich abgegrenzte Blase grauenhafter Inoptimalität. Für die Allgemeinheit ebenso unsichtbar, wie die Allgemeinheit in diesem Augenblick unsichtbar innerhalb der Grenzen dieser Blase war. In jener abgesicherten Zone prüfte die Alleinherrscherin mit nach außen hin wie gewohnt nicht klar zu deutenden Gesichtszügen den Sitz ihrer aus Eigenproduktion stammenden Fußgelenkgewichte, bestehend aus einer erlesenen Auswahl flussströmungsgeglätteter Buntkiesel, mehrerer Lagen unterschiedlicher Stoffe und fixiert mit dünnen Lederbändern. Ihren gewichtigen Gegenpart fanden diese Konstruktionen an den Handgelenken und an genau diesem auf den ersten Blick unschuldigen Ort lauerte der Corpus delicti. Sie saßen zu locker. Die alteingesessene Stoffverbindung hatte dem stetigen und rücksichtslosen Nagen des Zahns der Zeit nicht standhalten können und ernüchtert wie fädenziehend die Waffen gestreckt. Das ‚optimal‘ war für’s Erste dahin und einem verlotterten ‚semi-optimal‘ gewichen, das Asnys gesammelten Unmut auf sich spüren konnte, dadurch aber keinen Deut besser wurde.


    Mit Asnys Laune sah es ähnlich aus, schließlich hatten ihr die fädenspinnenden Schicksalsgöttinnen mitten in ihrem Konditions- und Aufwärmungstraining, das sie so kreuz wie quer durch den Villengarten führte, böse in die fein angerichtete Suppe gespuckt. Unterbrechungen dieser Art brachten die Sklavin aus ihren gründlich geschmiedeten Plänen und stahlen ihr wertvolle Zeit. Würde sie nicht während der Reparaturarbeiten gleichzeitig noch griechische Verben konjugieren und die römischen Provinzen aufzählen, befände sich innerhalb der verschlossenen Blase ein Zustand reinster Zeitverschwendung. Da sie diese und andere geistige Übungen ansonsten aber während ihres täglichen Laufs und diverser Dehnungs- und Sprungakrobatik durchführte, glaubte ihr Ehrgeiz förmlich zu sehen, wie die Elastizität aus ihren Muskeln schwand. Wenn sie nicht höllisch aufpasste, gehörte sie alsbald der trägen, antriebslosen, grauen, strunzdummen Masse aller Sklaven an, eine Vorstellung, die gleich noch einen fruchtigen griechischen Fluch in der Mitte der konjugierten Verben einschlagen ließ, den sie höchstwahrscheinlich irgendwann einmal von Milios gehört und für Fälle wie diesen memoriert und aufgespart hatte. Wenngleich die weite Welt vermutlich auch diesen Teil ihres Wesens niemals würde miterleben dürfen und ihre Schwester kein Griechisch verstand, so ergab sich doch die erhoffte Wirkung einer zumindest temporären Erleichterung und eines schnelleren Flußes römischer Provinzen in alphabetischer Reihenfolge.


    Asa über ihr schwebend genoß wie üblich die sonnigen Frühlingsstrahlen, kratzte sich dann und wann träge am Kopf und betrachtete die Umgebung, für die ihre lebende Schwester derzeit absolut keinen Sinn hatte. Selbstredend mochte auch Asny den prachtvollen Garten, der zu dieser Jahreszeit geradezu obszön bunt und lebendig wirkte, aber man konnte sich eben nicht immer um Regenwürmer und Blumen kümmern, besonders dann nicht, wenn im geistigen Tagesplan aktuell andere Schwerpunkte notiert waren als blühende Gärten. Schwerpunkte, die gerade übelst blockiert wurden.
    Nach einer kleinen Weile Fummelei und Flechterei erhob sich Asny schließlich mit einem energischen Ruck, warf die ausnahmsweise zu einem langen Zopf geflochtenen weißblonden Haare zurück und sprang federnd einige Male auf der Stelle, um den nun hoffentlich wieder gewährleisteten Sitz ihres reparierten Gewichtsbandes zu prüfen. Sandalen oder sonstiges Schuhwerk trug sie nicht, da es ähnlich wie auch ihre ansonsten so heißgeliebte Haarpracht bei derartigen sportlichen Betätigungen stören würden, und auch ihre dunkelrote, ärmellose Tunika endete bereits auf Kniehöhe, um höchstmögliche Bewegungsfreiheit zu verschaffen. Ob sich an diesem Anblick irgendwer störte war Asny im Wahn ihres Trainings ebenso einerlei wie die gesamte Bewohnerschaft der Villa, solange sie ihr nicht auf irgendeine Weise gerade von Nutzen sein konnte. Und die alteingesessene Angabe, dass sie dies alles ja nur zum Wohle ihres Herren anstellte, würde wohl noch eine ganze Weile ihre Ziele erreichen: Frieden, Einsamkeit und Handlungsfreiheit.


    Während sie ihre Laufroute derart plötzlich und geradlinig wieder aufnahm, dass ihre tote Schwester erst einige Zeit später davon Notiz nahm und ihr eilig hinterherflog, holte ein wesentlich unerfreulicher Gedanke die weißblonde Sklavin noch um einiges schneller ein. Nämlich die Aussicht auf fehlenden Nachschub an Lernmaterial. Früher oder später würde sie Mittel und Wege finden müssen, in die Bibliothek zu gelangen und sich dort ebenso ungehindert austoben zu können wie ansonsten in ihrer freien Zeit. Wenn möglich natürlich noch mehr, denn ‚mehr‘ war immer gut. Am Besten stellte sie diese Station auf ihrem Weg gleich in allernächster Nähe auf, bevor noch (schauderhaft) Langeweile aufkam. Menschen boten im Großen und Ganzen doch nicht dieselbe Herausforderung wie eine ordentlich strukturierte Bibliothek und angenehmes Eigenstudium dies vermochten. Vor allem war Eigeninitiative wesentlich zeitsparender und direkter, als eine nervtötend umständliche Unterhaltung. Asny unterbrach ihre gleichmäßig tiefe Atmung für einen kurzen Seufzer. Andererseits, war eine zu schnelle und zu einfache Strecke zum Erfolg nicht auch langweilig, waren die Herausforderungen durch die umständliche Art mancher Menschen, die ihr einfach nicht so rasch und problemlos als Informationsspender dienen wollten, nicht vielmehr stimulierend und antreibend? Vermutlich lag die Antwort wieder einmal irgendwo im Schoß der goldenen Mitte.
    Unter einem neuerlichen Seufzer ließ die Sklavin diesen Gedanken erst einmal los und beschleunigte ihren Lauf, um die verlorene Zeit wieder einzuholen.


    Naja, Macht über die Männer ist eigentlich nicht mein primäres Spielziel...^^

    Den Gang durch das Rom der Nacht ließ Asny für sich untermalen von ihrem eigenen leisen, gleichmäßigen Herzschlag, auf den sie sich gleichsam konzentrierte wie auch von ihm geleitet wurde, als läge in ihm der Rhythmus verborgen, nach welchem sie sich bis zum Aufgang der Sonne richten wollte. Darin gründete auch die schon unnatürliche Ruhe, mit welcher sie der Welt dort draußen entgegen trat. Als hätten sie und ihre Schwester kurzzeitig ihre Plätze im Rad des Schicksals getauscht, so herrschte ein eigentümlich gelassener Friede in ihr, wie wenn sie selbst nur ein stiller Beobachter der gegenwärtigen und folgenden Szenerien wäre. Und obwohl sie doch voller Fokussierung war auf sich selbst, ihr Innerstes und ihr Ziel, so nahm sie doch die Außenwelt um einiges klarer und deutlicher zur Kenntnis, als gewöhnlich. Ihr eigener Geist, losgelöst von dem ihrer Schwester, schien eingefangen in noch höheren Sphären, als er sich für gewöhnlich ohnehin befand, unterstützt von grenzenlosem Selbstvertrauen und nicht minder mächtiger Arroganz, gänzlich ungeachtet des Urteils anderer und nur sich selbst verbunden. Als wäre sie nicht ein Teil der Welt, der Nacht, sondern als spüre sie ihren Einfluss, ihre Stimme, mit jedem ruhigen Herzschlag wachsen und sich auf das vorbereiten, was ihr außerhalb Roms noch bevorstand. Für jene Tat, die sie wie alles nicht zum Wohle eines anderen vollbrachte, sondern allein aus dem Grunde, weil sie es schlicht tun wollte. Der Ausgang dieser fleischgewordenen, lästerlichen Anmaßung baute lediglich auf ein einziges Grundprinzip des Kosmos': dass die Arroganz einer Gottheit die eines Menschen stets und immer überstrahlen würde.


    Tief in sich selbst ruhend spielte sich das Leben um Asny herum ab wie eine mäßig gut inszenierte Theateraufführung. Die eigenen gleichmäßigen Schritte, die weitaus unruhigeren der Männer und das nervöse Hufgeklapper des Stierkalbes vor einem gedämpften Lautteppich aus fernen Stimmen und nahen Zwischensequenzen von Holz auf Stein oder Metall auf Stein. Milios, der vor sich hinpfiff. Milios, der ihr erklärte, wie man einem Gegner am besten die Augen ausdrückte, weil er ganz offenbar der Meinung war, dass seine Begleiterin einige Lektionen in Selbstverteidigung gebrauchen konnte, so sie offenbar derart gerne alleine, mit Hannibal oder mit Kälbern des nächtens durch Rom lief. Der Stier, den Asas Anwesenheit immer wieder erschreckte und der die Muskeln der beiden Männer bis zum Äußersten anspannte. Die Berührung kalten klammen Windes. Der heiße Atem des Tieres, der in nebligen Wölkchen den Nüstern entstob und sogleich zerrissen wurde. Die Anwesenheit von im Verborgenen lauernden Gestalten, die mit zusammengebissenen Zähnen überlegten, ob sich ein Übergriff lohnte und deren Anzahl deutlich zunahm, als Hannibal sie den Tiber überqueren ließ. Asny bemerkte einen neuerlichen, fast greifbaren Wandel in der Luft, eine sich verstärkende Spannung in der Dunkelheit, das Gefühl zahlloser Augen und angriffsbereiter Hände. Selbst Milios' Pfeifen erstarb, was nicht nur darin seinen Grund fand, dass er plötzlich beide Enden des Seils in seiner Verantwortung fand. Asny achtete nicht auf ihn, nicht auf das Kalb und nicht einmal auf Hannibal, sondern ließ letzteren in seiner heldenmütigen Rolle mit der Offenbarung seiner Waffe. Nur ganz am Rande ihrer Aufmerksamkeit registrierte sie das Tun ihres älteren Mitsklaven, mit dem er die Hindernisse aus dem Weg räumte und ihre Weiterreise gewährleistete. Milios stieß wieder einen seiner nervösen, kehligen Kicheranfälle aus, in den er ein amüsiertes "Chrysantha, wa'? Isch han doch jesät, der si't us wie e' Mädsche!"
    Er hätte sich aber zumindest einen weniger peinlichen Namen aussuchen können. Chrysantha klingt dermaßen nach billiger Tavernenschlampe, dass man den miesen Wein schon riechen kann! gab nun auch Asa ihre fachgeisterhafte Meinung ab und nutzte den Moment somit angemessen, um sich selbst von ihrer juckenden Unruhe abzulenken, die sie seit Anbruch ihrer 'Reise' überkommen hatte und stets stärker geworden war, ganz besonders, als sie den Tiber überquert hatten.


    Man ließ die Stadt wie beabsichtigt hinter sich und nur Milios wandte ab und an noch seinen unauffälligen Blick zurück, als fühlte er sich von irgendetwas verfolgt. Dem Geist über ihnen schien es nicht viel anders zu gehen, nur das dessen silbertrübe Aufmerksamkeit die gesamte unbekannte Umgebung betraf und noch flinker von einem Fleck zum nächsten hetzte als ein aufgescheuchtes Eichhörnchen. Asa gefiel die von Hannibal bestimmte Richtung immer weniger und mit ihrer zunehmenden Unzufriedenheit wuchsen die Beleidigungstiraden, welche sie den Flaviersklaven als Ziel wie Stürme zu entfesseln verstand, die sie jedoch mit Annäherung an das Ziel eher leiser werdend hervorpresste.
    Von Hannibal also anscheinend unbemerkt rief die wechselnde Landschaft wie auch das kommende Ziel einigen Unmut in seiner kleinen Truppe hervor, natürlich mit Asny als bislang einzige, unnatürliche Ausnahme, die zwar recht viel registrierte, es jedoch nicht so nahe an sich heran ließ, als dass es sie ernsthaft beeinflußen konnte. Zudem hatte Milios zunehmend Schwierigkeiten, das Kalb im Zaum zu halten und schaffte diese Herausforderung des öfteren nur, indem er den Strick schnell um einen der schmalen Bäume wand und wartete, bis der kleine Stier sich ein wenig ausgetobt hatte, um ihm anschließend über das im Mondlicht inzwischen schweißnass glänzende Fell zu streichen.
    "Der is' janz schön bockisch, wa'?" warf er mit schrägem Grinsen ein, dabei nicht ganz die heitere Lockerheit widerspiegelnd, für die er gemeinhin bekannt war.
    "Der wittert sischerlisch dat ahle Bloot... ode' su", erklärte er schließlich mehr oder weniger überzeugt, als sie den Ort des Geschehens endlich erreicht hatten und er sich zum wiederholten Male gegen die aufgebrachte Kraft des Opfertieres stemmte, wieder unter Zuhilfename eines kräftigen Baumstammes, um welchen er den Strick auch so schnell wie irgend möglich zu befestigen versuchte.
    Ich... ich hasse Hannibal! Da...das macht er doch mit.... mit Absicht! Asas aufgebrachte wie panische Stimme schien von weit, weit fort zu ihrer Schwester zu dringen, ging unter im gezeitenartigen Flüstern, Beben und Raunen derer, die wie der tote Zwilling waren und doch ganz anders, festgebannt an diesen so alten, so blutigen Ort, fern von dem, was sie kannten, denen, die sie liebten und gefesselt in eine Zeit, die ihnen fremd war und sie mit Hass erfüllte.


    Asny war ebenfalls stehen geblieben und schien starr den Schrein vor ihnen zu betrachten, nur ihre Augen zeigten kleine, fast unscheinbare Bewegungen über ihre Umgebung, während ihr Haar durch den kleinsten Mondstrahl, der seinen Weg zu ihr fand, vollkommen farblos zu leuchten schien und das herrschende Unlicht ihre Gesichtszüge auf seltsame, fremde Art hervorhob.
    Siehst du sie?! Kannst du sie sehen?! Es sind viele... so viele....
    Für Asny waren sie nur wie losgelöste Schatten oder ein flüchtiges Blitzen in den Augenwinkeln oder wie ein schweres, bedrückendes Gefühl der Trauer oder der Wut, das sich ohne ersichtlichen Grund über sie legte und nicht zu ihr zu gehören schien. Sie fühlte, dass sich der Anflug einer Gänsehaut auf ihren unbedeckten Armen zu bilden begann. Ja, dieser Ort war alt und es existierten Gründe sowohl für seinen abgelegenen Standort als auch dafür, dass dieser Opferplatz immer noch genutzt wurde. Die weißblonde Sklavin spürte Hannibals Blick auf sich ruhen, als sie sich in Bewegung setzte und den Altar langsamen, gemessenen Schrittes zu umrunden begann, doch die Augen der Männer schienen wie Blütenblätter in einem Orkan verglichen mit dem, was hier möglicherweise sonst noch lauerte und wartete. Ihre Fingerspitzen spürten den kalten, grob behauenen Stein unter sich und fuhren die dunkelroten Spuren nach, bis die Schreie in ihrem Kopf unerträglich wurden und sich ihr Blick kurz senkte, ehe sie die Hand zurückzog.
    Es ist Wahnsinn, sag ihm das! Es ist zu alt, es ist nicht einmal römisch! Niemand von euch ist ein Priester oder auch nur ein halbwegs erfahrener Gläubiger! Mars wird diesem Schandfleck hier sowieso keine Beachtung schenken! Sag ihm das!
    In Kombination mit dem silbernen Mondlicht fast wie dünner Nebel gefärbte Augen fanden endlich wieder in die reale Welt zurück und richteten sich langsam auf die dunklen Seelenspiegel des Sklaven und, wie es schien, noch ein Stück weit in sie hinein, ohne das Asny mehr bewegte als die Lippen, umrahmt von fahlem, glattem Haar, das sich träge im schwachen Wind bewegte. Mit sachlicher wie leiser und abwesender Stimme, die sich nicht wesentlich von ihrer normalen abhob, erklärte sie:
    "Es ist gewiss, dass wir an diesem Ort Aufmerksamkeit erlangen werden. Fraglich ist allerdings, wessen. Vieles hat sich hier im Laufe der Jahrhunderte ereignet und vieles ist von der Zeit vergessen hier geblieben. Vieles, das nichts mit unseren Göttern zu tun hat. Das Kalb hier zu opfern ist entweder unsagbar mutig oder grenzenlos dumm. Aufgrund meiner natürlichen Aversion gegen alles Dumme tendiere ich zwar zu der Beschreibung 'mutig', fühle mich aber dennoch gezwungen zu betonen, dass Abgelegenheit kein Punkt sein muss, der für die Nutzung etwas so Außergewöhnlichem und Wichtigem wie einer Opferstätte sprechen muss - ganz im Gegenteil. Wir alle mögen Sklaven und unser Leben nichts wert sein, aber ich kann mir ein wahrhaft ansprechenderes Ableben vorstellen als dem zu unterliegen, was wir an diesem Ort unter Umständen treffen und erzürnen könnten."
    Derart normal und nüchtern sprach sie über alles andere als natürliche Dinge, dass man glauben mochte, sie wolle Hannibal lediglich über Marktpreise informieren und ihm vor Augen führen, dass die Portion Hammelfleisch nächste Woche gewiss billiger ausfallen würde als noch gegenwärtig, weswegen er seinen Spontankauf noch einmal überdenken sollte.