Beiträge von Asny

    Und warum soll es mehr Frauen-Rollen geben? Damit die Männer heiraten können oder damit es ausgewogener ist? ;)

    Zitat

    Original von Publius Decimus Lucidus


    Die Frage, weshalb so viele Spielerinnen als Sklaven beginnen, hat mich schon immer interessiert. Daher muß ich kurz 2 Worte dazu sagen:
    Als ich im IR angefangen habe, wusste ich so wenig über Rom, daß ich mich glatt dazu verstieg, die Gens Tiberia zu gründen. Damals war mir noch nichtmal klar, daß Tiberius ein praenomen, aber kein nomen gentile ist... Es wird auch dir niemand übel nehmen, wenn du nicht so viel weißt wie z.B. Lucilla oder Medeia, und dementsprechend die Rolle als bürgerliche Frau nicht in einem historisch belegten Rahmen ausfüllen kannst. Einzig den Willen, auch mal etwas dazuzulernen, solltest du mitbringen. :)



    Ich habe durchaus den Willen, etwas dazuzulernen, das ist im Laufe des Spiels auch bereits geschehen, dort, wo ich es eben benötigte. Ich hab mir auch Bücher geholt und hab mich im Netz informiert, aber ehrlich gesagt möchte ich das nicht bei jedem Post, den ich schreiben muss, tun, nur damit ich die Atmosphäre angemessen hinbekomme und ich (ICH!) damit zufrieden bin. Denn wenn ich so einen Char spiele, muss ich der Rolle auch gerecht werden, sonst sehe ich darin weder Spaß noch Glaubwürdigkeit. Mein Anspruch an mich selbst steht mir da im Wege. Immerhin will ich meine Familie ja auch nicht 'entehren'. Wie ich auch schrieb, vielleicht halte ich mich irgendwann für fähig genug, aber aktuell ganz und gar nicht.
    Sklaven eignen sich eben hervorragend für einen Einstieg in ein neues Board und - für mich - eine neue Kultur, um erste Schritte zu machen und reinzuschnuppern. Und wie ich ebenfalls bereits sagte, eine Sklaven-ID sehe ich als freier an, was den Hintergrund und das Spiel betrifft, besonders für jene, die sich um allgemeines Char-Prestige und allzuviele Ingame-Regeln nicht sehr scheren.

    Ich kann jetzt nur für mich sprechen, aber rein von meinem Wissensstand her traue ich es mir einfach aktuell noch nicht zu, mehr als eine Sklavin zu spielen. Und so kreativ ich ansonsten auch bin, mir fällt irgendwie kein brauchbares Charkonzept ein, dass ich spontan mit einer Patrizierin so umsetzen könnte, dass ich damit zufrieden wäre (gut, mit meiner Sklaven-ID bin ich auch nicht zufrieden, aber aus anderen Gründen^^). Ich würde nicht in die Politik wollen, bei den Göttern, und auch was die Wi-Sim betrifft wäre ich vermutlich rettungslos überfordert. Wahrscheinlich liegt es an mir und womöglich ändert sich das noch. Aber derzeit sehe ich im Spiel einer Sklavin deutlich mehr Freiheiten als bei einer 'Freien'. Aber ich bin eh nicht der Typ für Ehevermittlungen durch die Eltern zum Wohle der Familie. ;) Und wenn der einzige Anreiz für eine Patrizierin darin liegt, dass den Männern die heiratsfähigen Damen fehlen - danke, nein. ;)

    Asnys Mimik hatte nach Hannibals wenig beeindrucktem Blick auf das Dokument nicht die kleinste Veränderung gezeigt, denn ob er die Schenkung für echt hielt oder nicht, war ihr gänzlich einerlei, solange er weiter seine Rolle in ihrer Absicht erfüllte und ihr bei der bevorstehenden Opferung half. Obgleich besonders Asa nach wie vor alles andere als angetan von der Aussicht war, ausgerechnet von ihrem Heimsuchungsziel einen solchen Dienst zu bekommen. Womöglich wollte er nur sein Stück vom Kuchen oder, noch schlimmer, er verpatzte absichtlich die - zugegeben etwas fragwürdigen - Absichten ihrer kleinen Schwester. Aus purer Freundlichkeit tat dieser Kerl dies laut Meinung des Geistes ganz bestimmt nicht, denn niemand, und ganz sicher kein Flaviersklave, half einer wildfremden und noch dazu nicht gerade unverdächtigen Sechzehnjährigen in einem solchen Ausmaß, ohne dass er sich irgendeinen Vorteil davon erhoffte. Oder bei Gelegenheit seinen 'Gefallen' wiedereinforderte.
    So misstrauisch die tote Schwester Hannibal beäugte, so gänzlich bar jedes schlechten Gedankens wirkte die lebende auch weiterhin. Warum dieser Mann ihr half würde sie gewiss erst erfahren, wenn dieser es für richtig empfand, und erst dann würde sie sich dieser neuen Wendung widmen. Allerdings nicht sonderlich lange. Ansprüche der Außenwelt an sie pflegten sie niemals allzu lange zu beschäftigen, wenn sie nicht selbst irgendeinen Nutzen daraus ziehen konnte, und so spontan fiel ihr nichts ein, das Hannibal von ihr einfordern könnte und das gleichsam ihr Interesse erweckt, außer vielleicht, er wollte ihre Hilfe bei der Buchhaltung. Insofern wäre ein 'Eine Hand wäscht die andere'-Denken an dieser Stelle nichts als eine naive, phantasievolle Illusion.
    Insofern besaß die junge Sklavin auch bei jedem Herzschlag, der das Leben erneut durch ihren Körper fließen ließ, die Vorbereitung auf einen abrupten Stimmungswechsel von Didos Erzeuger als stetigen Begleiter bei sich. Schön, wenn dieser Wechsel nie stattfand, doch sollte er plötzlich in Erscheinung treten, so wäre sie darauf vorbereitet. Es existierten keine Probleme, lediglich neue, sie fordernde Herausforderungen, die sie stärker machen würden. Sich langsam aber sicher realisierende Pläne waren angenehm, allerdings nicht permanent. Es wäre nicht das erste Mal, dass Asny persönlich einen Fehler in ihr Netz einwob, nur um ihn mit Aufwand und Anstrengung anschließend wieder zu beseitigen. Nur so lernte man, abseits der selbstverständlich vorhandenen Notfallpläne und Zweit-, Dritt- oder Viertlösungen. Kurz gesprochen, das Kalb hätte in dieser Nacht vermutlich auch dann noch sein blutiges Ende gefunden, wenn Neptun das gesamte Römische Reich verschlungen und in Fischfutter verwandelt hätte. Ein kleiner Hannibal-Streik wäre da noch der harmlosere Zwischenfall gewesen.


    Aber nein, Hannibal schien weiterhin an dem von ihm vorgeschlagenen Plan seiner Unterstützung festhalten zu wollen, wie Asny äußerlich mit der üblichen verträumten Teilnahmslosigkeit zur Kenntnis nahm. Kein Jubel, kein Aufatmen, keine mäßig unterdrückte Nervosität. Beinahe wirkte es, als habe sie schon tausende Male mit einem hart an der Grenze des Gesetzes entlangschrammenden Opfereinkauf vor der flavischen Villa gestanden und auf ihren Helfer gewartet, der weder seine eigenen Pläne für diese Nacht hegen noch andere Einwände von sich geben konnte. Weil.... weil halt.
    Ruhig ließ die weißblonde Sklavin den Älteren passieren, damit jener einen der beiden Stricke - selbstredend Anthus', der die Verantwortung gar nicht rasch und weit genug von sich werfen konnte - an sich nehmen und seine Anweisungen geben konnte. Weiterhin hörte sie ihm zu, ohne sich groß zu rühren oder ihn gar zu unterbrechen. Während Anthus jedoch keiner weiteren Anweisung bedurfte, um bereits einige Schritte gen sehnlichst herbeigeführter Heimat zu machen, verharrte Milios mit seliger Gelassenheit an seinem Platz auf der anderen Seite des schnaubenden, weiterhin blinden Kalbes, ähnlich wie Asny an der Porta, bis auf sein nach wie vor amüsiertes Grinsen, das nur kurz wich, als er sich ein im flackernden Zwielicht nicht näher zu definierendes Etwas zwischen die Zähne schob und darauf herumzukauen begann.
    Erst nach Hannibals letzter Frage erklang Asnys Stimme leise und mit einem Klang, welcher der ganzen ohnehin schon bizarren Situation vielleicht einen noch etwas beunruhigenderen Charakter verlieh.
    "Nein, noch nicht. Ich bin gleich zurück."
    Schon verschwand ihre schmale Gestalt - nach neuerlichem Anklopfen an die wieder geschlossene Tür - in der Villa und zurück blieben drei Männer und ein Kalb. Allerdings herrschte die Stille zwischen ihnen nicht lange vor. Milios spuckte das gut durchgekaute Stück Wasauchimmer in lässigem Bogen auf die Straße, klopfte dem Stierkalb wohlwollend auf den Rücken und wandte sich dann mit schiefem Grinsen Hannibal zu, um jenem in sowohl lockerem wie auch aufklärend wohlwollendem Tonfall mal kurz die Tatsachen zu präsentieren. Gemächlich und deutlich, damit unwissender Allgemeinverbraucher Hannibal auch hinter eines der wohlgehüteten Geheimnisse der Viehzucht stieg.


    "Also, Meister... eins mal jleich vornewech. Der Kleine hier bringt etwa vier Mal dein Kampfjewicht auffe Waaje. Normalerweise müssten wir den mit vier bis fünf Mann führen oder hinter 'nen Karren spannen, um ihn wirklisch zu kontrollieren. Dat wir den zu zweit überhaupt hierher jeschafft ha'n bei dem sein Temperament und der Unruhe, sacht schon, dass der Mars das Viech wirklisch will. Dat war Jlück, nix weiter. Isch will ja net behaupt'n, dat du enne Hänefling bis'... aber dat jute Tier krischst du allein im Leben net jebändigt, mein Freund. Dat is' mit dem Solidus, meinem Herrn, alles scho' abjeklärt, mach dir kinn Sorsch. Bis zu dere Opferung bleib isch bei dir und der Kleinen, weil sons' könnta dat wohl sofort verjesse. Der Solidus weess Bescheid."
    "Ach... weiß er das?" Anthus' Mimik war zwar nicht wolkenlos klar zu erkennen, allerdings mangelte es seinen Worten doch ganz erheblich an Begeisterung für die Sache. Inzwischen hatte er die paar bereits fortstrebenden Schritte auch alle wieder zurückgemacht und sich neben seinem Mitsklaven aufgebaut, wodurch die beiden irgendwie den Eindruck von 'Vor und nach der erziehenden Folter' darzustellen schienen. Milios hing scheinbar halb auf das Rind gestützt derart 'kühl' herum wie ein rückgratloser Schluck Wasser in der Kurve, während Anthus derart gerade stand, dass man ihn glatt als Architekteninstrument gebrauchen könnte. Ähnlich sah es auch mit Stimme, Wortwahl und Mimik aus.
    "Davon weiß ich nichts. Wann soll das bitte abgesprochen worden sein?"
    Ein leises Lachen war zu hören, das wie eine befremdliche Mischung aus Krächzen und Zischen klang und von einer über dichtes, nun dunkelbraun wirkendes Fell streichender Handbewegung begleitet wurde.
    "Als du dir dinge Schurz wechsele wars', weil du disch bepiss' häss vor Schiss vor de' dunkele Stroß’. Nä, du wars' em Stall, de Brunge holle. Äver wenn disch dat su stürt, kannste jern och mitkumme, dä Hannibal hier würd sisch sischerlisch freue – oder? Hannibal? Bei Iunos prallen Eutern, an die isch misch verdammt jern hänge' würd', wat bis' du jlatt rasiert! Iehrlisch, als du zu de' Düür raus kamst, isch hätt' disch fas' für en jung' Frau jehale... du net och, Anus? Nä, AnTHus heess der Jung', un' isch bin de' Milios. Halev Jriesche, halev Jermane und halev röm'sche Jung'. Vonne 'ner all nur dat Beste, sach isch imme'."
    Ein weiteres Kichern folgte, das lebhaft an den verzweifelten Überlebenskampf einer strangulierten Krähe erinnerte, für dessen Umsetzung Anthus in diesem Augenblick vermutlich am Allerliebsten höchst persönlich gesorgt hätte. Nicht nur, weil er den Akzent hasste, der bei jedem geäußerten Satz Milios' stärker durchzuschlagen schien. Allerdings würde es seinem würdevollen Auftreten ganz erheblich schaden, wenn er nun darauf einginge oder sich gar noch mit seinem Kollegen herumzanken würde wie die Waschweiber. Ausgerechnet vor der Bruthöhle der Flavier. In der Nacht. Umringt von Ausnahmen, Besonderheiten und Seltsamkeiten. Jaa, gibs mir, Schicksal, was hast du sonst noch drauf?
    "Tu, was du willst", erwiderte Anthus schließlich überaus eisig, allerdings die Beherrschung ordentlich aufrecht erhaltend.
    "Einen angenehmen Abend noch", ergänzte er mit einer leichten wie steifen Verneigung in Hannibals Richtung, ehe er sich auf dem Absatz umdrehte. Beinahe im selben Augenblick öffnete sich auch wieder die Porta und entließ Asny erneut in die mysteriöse Nacht. Rein äußerlich schien sich bei ihr nicht allzu viel verändert zu haben, vermutlich hatte sie auch nur den Inhalt ihres obligatorischen Gepäcks ausgetauscht.
    "Ich bin fertig", gab sie zusätzlich noch leise bekannt und ließ ihren Blick kurz und ruhig über die geringere Zahl Anwesender schweifen, ehe sie fortfuhr "Begleitet Milios uns?"

    Geduldig und beinahe bewegungslos wartete Asny auf eine Regung aus dem gewaltigen Bauch der Flaviervilla, in welchen ihre Anfrage soeben vorgedrungen war. Das milde Lächeln hatte bereits seit dem ersten Kontakt mit der Porta seinen alteingesessenen Platz wiedergefunden und der verträumte Blick wollte nicht recht zu der Geradlinigkeit passen, mit der sie den Eingang vor sich fixierte. Hinter ihr kündete sich ihre Ware mit unruhigen Rufen und nervösem Hufscharren schon beinahe selbst an und auch die beschwichtigende, leicht gedämpfte Stimme von Anthus drang ab und an zu ihr durch.
    Sie hoffte wirklich, dass Hannibal nicht gerade anderweitig beschäftigt wäre und sie auf den nächsten Tag oder dergleichen vertröstete – oder derzeit überhaupt nicht in der Villa weilte. Dies wäre ein unschöner Knick in ihrem bislang so perfekt verlaufenden Abend gewesen. Gut, das Stierkalb würde sie schon irgendwo unterstellen können, doch irgendwie war es ihr weitaus lieber, es bis zu seiner Opferung stets in ihrer Nähe und am besten noch im Auge zu halten. Der flavische Haushalt stand im allgemeinen unter einem zweifelhaften Ruf und sie war sich nicht sicher, ob nicht die ein oder andere darin hausende Gestalt eine diebische Ader unter ihren Gewändern verbarg. Vermutlich wäre es jenen Menschen dabei auch herzlich einerlei, ob es sich um ein Geschenk für den Kriegsgott handelte, das sie da gerade entführten und anderweitig verwendeten. Noch schlimmer wäre es jedoch, wenn sie das Opfer in ihrem Namen durchführten. Asnys Lächeln verstärkte sich abwesend unter jenem Gedankengang.


    Asas gehauchte Bemerkung, dass sich Schritte nähern würden, ließ ihre Schwester wieder zurück in die Gegenwart finden und nur wenig später streifte ihr sanftes Lächeln Hannibals Antlitz, jenes gezeichnet von reinster Verblüffung. Asnys Kopf neigte sich sacht zur Seite. Sie hatte eigentlich erwartet, dass er sie doch recht gut einschätzen könne und nicht mehr erwartet hätte, sie hier mit einem mickrigen Kaninchen auf dem Arm anzutreffen.
    Ruhig gab sie ihm Zeit und rührte nicht einen Muskel, während der Mann vor ihr seine ungläubigen Fragen stellte, von mehr oder weniger Intelligenz berührt.
    Nee, kein Kalb, ein rosagestreifter Elefant natürlich! Siehste doch! brummte Asa ziemlich genervt nach Hannibals erster Bemerkung und verdrehte derart die Augen, dass für einen kurzen Moment nichts als zwei weiße, leicht gerundete Flächen zwischen ihren Lidern hervorlugten, die allerdings wirklich überaus gruselig wirkten.
    Die nächste kritische Frage ließ allerdings sowohl Geist wie auch Lebende eine helle Augenbraue hochziehen. Asny hatte sich zwar gegen solcherlei Verdächtigungen abgesichert, dennoch befand sie es als ein wenig lächerlich, wirklich anzunehmen, dass man unauffällig einen kleinen bockigen Stier quer durch Rom stehlen könne, ohne dass es jemandem auffiele.


    Statt einer verbalen Antwort hob sie also nur in einer leichten Bewegung die Hand und hielt Hannibal das offizielle Schenkungsdokument entgegen, was wohl nur deswegen womöglich etwas von der Norm abwich, weil der Schreiber Derartiges bislang noch nie in seinem langen, knauserigen Leben ausgestellt hatte. Solidus‘ heiliges, unantastbares Siegel war darauf, und dies sollte die Hauptsache sein.
    Die beiden Männer hatten einen Gruß nur sehr knapp durch ein Nicken angedeutet und besonders Anthus wartete auf die erlösenden Worte, dass er sich nun entfernen könne. Angesichts der Mimik dieses Hannibals befürchtete er jedoch, dass jene Angelegenheit hier wesentlich komplizierter lag, als gedacht. Andererseits, was durfte er schon erwarten nach all diesen abendlichen Seltsamkeiten?

    Hätte sich irgendeine der beiden eigentlich sehr ungleichen und doch im Grunde überaus ähnlich gesinnten Zwillingsschwestern etwas aus der Atmosphäre eines vorfrühlingshaften, harmonischen Sonnentages gemacht, aus dem fröhlichen und doch nur zweckdienlichen Zwitschern der Vögel, dem zaghaft ausschlagenden Grün, welches sie umgab oder dem warmduftenden Wandel in der Luft, so hätte sie es vermutlich bedauert, dass dieser kleine Ausflug in die elysischen Gefilde ein derart abruptes wie kaltes Ende fand. Allerdings gab keine von beiden sonderlich viel um Dinge wie den Genuß der Natur oder ein entspannendes Ambiente. Asas Charakter war zu materialistisch; etwas, das ihr keinen direkten Nutzen brachte, interessierte sie selten. Sich faul in der Sonne zu räkeln war ab und an ganz schön, aber viel tiefsinniger dachte sie gewiss nicht über die glühende Himmelsscheibe, Frühlingserwachen hin oder her. Asny bemerkte da schon mehr, was sie jedoch hauptsächlich insofern von ihrem Zwilling unterschied, als dass sie diese wahrgenommene Stimmung einfangen und gegebenenfalls ausnutzen konnte, indem sie sie in hübsche Worte fasste oder durch Beschreibungen und Lieder eben jene Situation ihren Zuhörern vor deren inneres Auge zu spiegeln verstand. Abgesehen von diesem (Aus)Nutzen war ihr persönlich Wetter wie Umgebung zumeist herzlich einerlei.
    Insofern trauerte also keine der beiden dem Verlorenen hinterher, das durch Sciurus‘ Intervention vermutlich erst einmal völlig wie nachhaltig vernichtet worden war. Asa als die größere Schwester zeigte lediglich einen Hauch Besorgnis sowohl über die Identität des Störenfriedes, als auch über dessen ‚Ruf‘ – oder Didos Meinung über diesen ‚Ruf‘ -, in der unglücklichen Verbindung zu ihrer in gewissen Belangen noch gänzlich unausgereizten Schwester. Wenn dieser Sklave wirklich so beinhart in gottesähnlichem Status schwebte, wie Dido meinte, konnte es durchaus passieren, dass man Angst um den einzigen Zwilling haben musste, obgleich einem bekannt war, dass jener eigentlich recht gut auf sich acht geben konnte. Vielleicht wurde es ja auch gar nicht so tragisch, wie sie befürchtete, denn dieser Sciurus schien doch recht...


    Hu, der hat seine Emotionen für diese Woche aber auch schon alle aufgebraucht, was? murmelte die Geisterschwester vor sich hin, während sie langsam einmal um diesen flachsblonden Sklaven herumglitt und sich auch nicht daran störte, dass ein Regenwurm einmal quer durch ihren Bauch flog, um kurz dahinter eine Landung auf kühler Erde zu machen, die ihm vermutlich wenig besser gefiel, als auf einer Handfläche herumzuwuseln. Nachdenklich strich Asa sich mit dem nebligen Zeigefinger über das ebenso durchlässige Kinn. Einen Minotaurus hatte sie ganz zweifelsfrei nicht vor sich, allerdings auch aus nächster Nähe eigentlich niemanden, der ihrer Wiedergeburt Dido solch hochlobende Worte in den Mund zu platzieren verstand. Möglicherweise lag es auch daran, dass man als Asnys ständige Begleitung reine Ausdruckslosigkeit als normalen Zustand anerkannte und sich aufgrund dessen nicht mehr zwangsläufig nervös und unsicher fühlte. Gut, dieser Kerl wirkte weder sympathisch noch freundlich und als er so plötzlich hinter ihrer Schwester aufragte, hatte Asa sich... nun, erschrocken wäre übertrieben gewesen, ganz besonders bei einem so draufgängerischen Geist, der das Spuken und Heimsuchen gerade für sich selbst entdeckte, aber es hatte eben doch eine Überraschung dargestellt.
    Und da dieser Sklave der vorschnellen Anrede nicht widersprach, schien es sich bei ihm sogar tatsächlich um Sciurus zu handeln, eine dieser tollen kleinen Widerwärtigkeiten des Lebens. Sie hätten Dido noch etwas weiter bezüglich ihres Vorbildes befragen sollen, immerhin musste man laut ‚Ich habe die römischen Straßen (beinahe) überlebt - Asa‘ seinen Gegner besser kennen als seine Verbündeten. Und dass Sciurus, wenn er nicht auch innerlich kalt und tot war wie sein äußerer Anschein, früher oder später irgendwie über den ein oder anderen Umweg in die Sparte ‚Gegner‘ rutschen würde, war eigentlich vorauszusehen. Hier und dort einige brauchbare Verbündete anzusammeln war zwar gut und schön und nützlich, aber ähnlich wie Harmonie, Glück und Nettigkeit auf Dauer und in Reinform für Asny kein erstrebenswerter Zustand. Feinde und einfach Leute, die sie nicht leiden konnten – die Leute Asny, umgekehrt lag meistens weitesgehend interessenlose Neutralität vor – waren einfach quasi die Würze in den Speisen, ein Anreiz, sich stetig weiter zu verbessern und weder faul noch träge oder gar überheblich zu werden. Falls Asny also zu wählen hätte zwischen einem Freund und einem Feind, so würde sie sehr wahrscheinlich den Feind bevorzugen. Außer natürlich, der Freund brachte einen so unverschämten Vorteil mit sich, dass selbst die weißblonde Sklavin nicht widerstehen konnte. Asa beschloß, erst einmal still abzuwarten und zu beobachten, wie ihr Zwilling reagieren würde, während sie innerlich mit sich selbst über den Ausgang wettete.


    Selbstverständlich hatte Asny Sciurus‘ Worten ruhig gelauscht, wie zumeist ihre Aufmerksamkeit gänzlich hinter einem verträumten Schleier verbergend. Das sanfte Lächeln verharrte ebenso konstant auf seinem Platz wie die ernste Miene ihres Gegenüber und auch ihr Blick blieb völlig ruhig, obgleich die Sonne von ihrem Standpunkt aus immer noch ein wenig nachteilig schien und den größten Teil der auf sie hinab blickenden Gesichtszüge in Schatten tauchte. Doch im Grunde war es der jungen Sklavin fürchterlich einerlei, wie dieser Mann nun aussah. Seine an sie gerichteten Worte bargen weitaus größere Wichtigkeit für sie, neben dem Vorfall ihres abhanden gekommenen Regenwurmes, dessen Flugbahn ihre Augen kurz gefolgt waren. Ihre nun leere Hand war ruhig wieder gesunken und hatte sich neben die zweite auf ihren Oberschenkel gelegt. Ansonsten strahlte sie gewohnte gelassene Freundlichkeit auf den ersten Blick aus, neben der wie so oft kein Platz war für Stimmungen wie Demut, Schuldgefühle oder Unruhe. Selbst wenn der Platz gegeben wäre, hätte Asny ihn jedoch wahrscheinlich ungenutzt gelassen.
    Aber da Sciurus so überaus direkt in seinen Anordnungen gewesen war, wollte sie die Situation nicht dadurch in ihrem Wert verringern, dass sie sich allzu lange mit verbalen Ausschmückungen abgab, die hübsch wirkten, ohne die sie aber ebenso gut auskommen konnte. So gerne sie ansonsten auch an ihrer Ausdrucksweise herumschliff und –übte, so war ihr in gewissen Momenten eine direkte Erwiderung selbst um einiges lieber. Während ihre linke Hand bereits wieder die Tätigkeit des Unkrautjätens aufnahm, indem ihre Fingerspitzen sachte die Form des zu entfernenden Grüns ertasteten, ehe sie es mit einem kurzen, kontrollierten Ruck entfernten, war ihre übliche mild-sanfte Stimme leise und sicher zu hören.


    „Dein Standpunkt ist korrekt. Doch für ein adäquates Urteil fehlen dir so glaube ich noch einige Informationen mehr. Alpha: Meine Fragen drehten sich allesamt um die mir zugewiesene Aufgabe und waren vonnöten, um sie gut und richtig ausführen zu können. Beta: Ihre Zahl wäre durchaus geringer und der daraus resultierende Zeitaufwand schmäler gewesen, hätte man sie mir beim ersten Mal direkt beantwortet. Gamma: Arbeiten von den Herrschaften unbemerkt ablaufen zu lassen ist gewiss ein ausgezeichnetes Ziel, ich ziehe als mein persönliches Optimum im Umgang mit meinem Herrn jedoch positives Wahrnehmen dem Unbemerkten vor. Delta: Meine Taten zielen nicht auf einen Platz am Esstisch, inwiefern sich Unterernährung auf meine Arbeitsqualität auswirken wird, darf man wenn man möchte gerne an mir erforschen, doch mir persönlich ist dies relativ gleichgültig, schließlich gehört mein Körper meinem Herrn, ergo schadet eine mangelhafte Versorgung auch nicht mir sondern meinem Herrn. Und schließlich Epsilon: deine Sorge ehrt dich und den dir auferlegten Posten, doch sei versichert, dass ich nie etwas tue, ohne dass es einen Zweck für meinen Herrn erfüllt. Angefangen von diesem Regenwurm, den du mir leider fortgenommen hast, bis natürlich hin zu meinen täglichen Übungen, die auch jetzt parallel zu meiner Arbeit verlaufen. Du kannst mich jedoch gerne weiterhin im Rahmen deiner Aufgabe im flavischen Haushalt zurechtweisen, es hilft mir dabei, meine Aufgaben noch einmal zu überdenken und zu hinterfragen. Also hab vielen Dank.“

    Man hatte die Villa, sprich das Auslieferungsziel, erreicht. Endlich. Anthus war sich sehr sicher, dass die kleine Wanderung sich deutlich länger angefühlt hatte, als sie in Wirklichkeit vonstatten gegangen war. Die dunklen Gassen hatten kein Ende nehmen wollen und die Bockigkeiten des Stierkalbes hatten ein schnelles Vorankommen auch nicht gerade gefördert. Dafür sah der Sklave an sich die ersten Anzeichen einer frisch ausgesäten Paranoia in sich wachsen, denn ständig drehte er den Kopf in dem zum Scheitern verurteilten Versuch, möglichst seine gesamte Umgebung auf einmal im Blickfeld zu wissen. Wirklich, er begann schon dieselben abergläubischen Ideen wie sein Herr zu zeigen. Als würde er damit rechnen, hinter jeder windschiefen Straßenecke eine Monstrosität winken zu sehen, freigelassen aus Alpträumen und größtenteils griechischer Mythologie. Trotz der winterlichen, sonnenlosen Kühle hatten sich kleine, verräterische Tröpfchen auf seiner Stirn gebildet, was er jedoch auf die Anstrengungen mit dem Kalb zurückführte. Ein klein wenig Stolz sammelte sich selbst in seinem Sklavenherzen noch.


    Allerdings kam er nicht umhin, allen Göttern die gerade zuhörten zu danken, dass seine Qualen ein absehbares Ende zeigten. Beruhigend klopfte er dem Tier neben sich auf den Rücken und sah zu, wie die zur Villa gehörende Sklavin an der Porta klopfte, da sie offenbar nicht wusste, wohin nun mit ihrem ‚Geschenk‘. Anthus‘ Blick zuckte kurz zu Milios hinüber, dessen breites Grinsen nach wie vor selbst in der Nacht zu leuchten schien, und worüber sein Sklavenkollege mißbilligend die Augenbrauen zusammenzog.
    „Hör auf so dämlich zu grinsen!“ zischte er ihm deswegen auch scharf zu, damit den Beweis antretend, dass es mit seiner Geduld rapide zur Neige ging. Ihm antwortete nur ein müdes Schulterzucken, das ihn nicht weniger provozierte und nach welchem er nur darum nicht noch weitaus aggressiver antwortete, weil er zeitgleich hörte, wie die junge Sklavin vor ihnen an der Porta nach irgendeinem Hannibal fragte, den sie wohl bezüglich des Opfers ansprechen sollte. Zwar würden ihnen nicht sofort die Herrschaften persönlich gegenüber treten, aber trotzdem sollte man um einen guten Eindruck bemüht sein, schließlich repräsentierten sie auch einen angesehenen (und nicht gerade billigen) Viehhändler.
    Also richtete sich Anthus ein wenig gerader auf, beschränkte sich auf einen letzten, mahnenden Blick zu seinem Begleiter und widmete sich ansonsten ruhigem und demütigem Warten.

    Ein weiterer Sieg der Nacht über den Tag hatte sich zwischenzeitlich zugetragen und empfing jene, die sich noch nicht in heimischen Mauern befanden, mit einem dichten Mantel aus Schatten, bestickt mit dem winzigen Leuchten entfernter und naher Lichter, welche abwechselnd erblühten und verlöschten. Die vollkommene Wandlung vom Rom des Tages war begangen worden und ein tiefschwarzer Nachtfalter hatte sich nach und nach aus dem Kokon der Abenddämmerung geschält. Abseits der breiteren Straßen lag ein Netzwerk aus Düsternis, ein Adergeflecht gefüllt mit lichtlosem Blut, das selbst die daraus klingenden Laute und Stimmen verzerrte und die meisten davon abhielt, freiwillig die darin liegenden Orte aufzusuchen, so sie nicht zufällig selbst dort wohnten.
    Anthus fand an seiner Heimatstadt bei Nacht wenig Anziehendes. Schon zweimal hatte man ihn während Botengängen für seinen Herrn niedergeschlagen und bestohlen, wovon auch noch eine schmale aber deutlich sichtbare Narbe auf seiner Stirn zeugte. Dabei war er weder ein ängstlicher, noch ein sonderlich schwacher Mann, das Problem lag vielmehr darin, dass er sich nach Sonnenuntergang quasi in einem fremden Territorium befand, abseits von allem Vertrauten des Tages. Zum Glück hatte Solidus nicht den Wunsch besessen, noch ein drittes Mal sein Schicksal und das seines Sklaven herauszufordern und stellte sämtliche spätabendlichen und nächtlichen Auslieferungen weitesgehend ein, von Anlieferungen einmal abgesehen. Zumindest jene, die er noch nicht mit seinem guten Geld bezahlt hatte.
    Und nun befand sich Anthus also doch wieder auf einem dieser ungeliebten Liefergänge, bei dem es sein einziger Trost war, dass sich das Ziel in einer deutlich bessergestellten und häufiger patroullierten Gegend befand. Und er war nicht alleine unterwegs, obgleich er sich seine Begleiter betreffend nicht unbedingt sicherer fühlte.


    Da war zum einen natürlich seine Ware. Seine Ware von gut zehn Talenten Lebendgewicht. Immerhin gelang es dieser Ware recht ordentlich, ihn von Firlefanzereien wie seiner Umgebung, der einbrechenden und sich ausbreitenden Dunkelheit und Erinnerungen an allerlei ungemütliche Überfälle abzulenken, denn dieses Stierkalb auf dem besten Wege zum Erwachsenendasein hatte zwar bereits die Augen verbunden, um sich im finsteren Rom leichter gen blutiger Hinrichtung führen zu lassen, dennoch besaß es ab und an wie die meisten seiner Brüder einen ‚dezenten‘ Hang zur Bockigkeit und bedurfte liebevoller Klapse und sanfter Ermahnungen, um sich angemessen in Bewegung zu halten – oder sich nicht gar so weit in Bewegung zu setzen. Also hieß es wachsam zu bleiben und sich ebenfalls nicht mit der berechtigten Frage aufzuhalten, weshalb sein Herr gleich dreimal gegen seine ansonsten eisenerzhaltigen Prinzipien verstieß und nach Sonnenuntergang Ware an eine kaum erwachsene Sklavin auslieferte – umsonst! Anthus hatte dreimal nachgefragt und sich bei jedem Male lauter und aggressiver werdende Bestätigungen abholen müssen, um das wirklich zu glauben.
    Zum Zweiten begleitete sie ein weiterer Sklave Solidus‘, Milios mit Namen und ein Halb-Grieche, ausgerechnet. Anthus wurde nicht schlau aus seinem Charakter, was nicht unbedingt an den griechischen Wurzeln lag. Aber auch jetzt zum Beispiel schien Milios trotz des unruhigen Stierkalbes und der wenig vertrauenerweckenden Umgebung aus einem einzigen, breiten Grinsen zu bestehen. Einem keineswegs netten, sondern vielmehr überaus schadenfrohen Grinsen, das er nur mit Mühe einem ausgewachsenen Lachanfall vorschieben konnte. Entweder, dieser Kerl hatte seine Nase mal wieder in Dämpfe gehängt, die ihm zu gut bekamen oder er wusste mehr als Anthus, was diesen nicht gerade fröhlich stimmte. Denn wenn einer der Sklaven Mist baute, würde Solidus Anthus selbst zur Verantwortung ziehen. Womöglich müsste er sich auf dem Heimweg noch einmal mit diesem Thema und der etwaigen Verbindung zwischen dieser nächtlichen Merkwürdigkeit und Milios auseinandersetzen.
    Zum Dritten und Letzten bestand seine Begleitung natürlich aus der ‚Beschenkten‘ selbst, die allerdings vorneweg ging, um ihnen den Weg zu ihrem Ziel zu weisen, und von der er kaum mehr als die langen glatten Haare sah, welche sogar – oder gerade - in dem wenigen Licht ihrer Fackeln kalkweiß und vollkommen farblos wirkten. Anthus wüsste zu gerne, wie es den Flaviern gelungen war, seinen Herrn von einer Schenkung zu überzeugen und deren Abwicklung einer einzigen blutjungen Sklavin zu überlassen. Dem Sklaven war vollkommen unbekannt, dass Solidus irgendeine auch nur leichte Sympathie für die Gens Flavia hegte, wie er allgemein mit Sympathie ebenso sparsam umging wie mit seinem Geld. Ob irgendein flavisches Familienmitglied gesund und munter aus dem Krieg zurückkehrte sollte den alten, zähen Händler nicht mehr interessieren, als ein flohzerbissener Straßenhund. Vermutlich sogar noch weitaus weniger. Es brachte ihm nichts, also wandelte es sich zur Zeitverschwendung.
    Anthus kratzte sich unschlüssig am Hinterkopf, unruhig und unzufrieden über sein Nichtwissen.


    Dass der römische Sklave eigentlich noch einen weiteren Begleiter in seiner mysteriösen Auslieferung besaß, konnte er natürlich nicht wissen, in ruheloser, nervöser Stimmung befand er sich ohnehin schon und vermutlich war sein Gemüt auch nicht empfänglich genug für über- (oder eher unter-) irdische Schwingungen. Womöglich ging aber auf Asas Anwesenheit manches nicht direkt nachvollziehbare Zucken und Zaudern des Stierkalbes zurück, dem es unbewusst nicht behagte, dass der Geist eines Mädchens über seinem breiten, rotbraunen Kreuz schwebte. Und auf ihm zu reiten versuchte, wenn ihr der Gedanke gerade durch den nebeldurchwaberten Kopf zog.
    Im Gegensatz zu dem sehr ahnungslosen Anthus wusste der Geist über ihnen auch um Asnys Frontansicht. Diese hätte dem Sklaven zwar auch nicht wirklich weitergeholfen, da er das dazugehörige Gesicht einfach zu wenig kannte, doch der Schwester verriet dies eine ganze Menge. Denn Asny lächelte nicht. Nun musste man die junge Dame wahrlich ausgezeichnet kennen um zu wissen, was dies tatsächlich bedeutete, oder ob das Fehlen jenes ansonsten unersetzlichen Accessoires nicht nur auf ein flüchtiges Vergessen zurückzuführen war oder die Tatsache, dass sie momentan schlicht mit niemandem sprach und niemand sie richtig erkennen konnte. Doch nein, es waren tatsächlich die überaus erfolgreichen Umstände, die das ewige Lächeln erfolgreich zum Versiegen gebracht hatten, obgleich sie es doch eigentlich erst hervorlocken sollten. Nur gehörte dieser Bereich der Mimik eben zu Asny und deren Verhalten, was wiederum bedeutete, dass man nicht von allgemein üblichem Gebaren ausgehen konnte. Ja, sie war zufrieden mit sich und dem neuerlichen Durchsetzen ihres Willens, aber (nur wirklich, wirklich große) Freude drückte sie nun einmal mit einem ernsten Gesicht aus. Das Gegenstück dazu war ein so charmantes, herzliches und anziehendes Lächeln, dass man beinahe glaubte, die Welt um sich herum in zarte Pastelltöne und Sternenglimmen getaucht zu sehen. Allerdings sollten sich alle Empfänger tunlichst vor einem solchen Ausdruck von Anmut und Galanterie in acht nehmen, denn dann empfand Asny im Allgemeinen derartig Wut und Hass, wie man es von einem so zerbrechlichen Geschöpf nicht erwarten würde. Allzu oft war dieses ‚spezielle‘ Lächeln freilich noch nicht in Erscheinung getreten und befand sich auch eher im rückläufigen Zustand, viel zu wenig Einfluß vermochte die Umgebung noch auf die weißblonde Sklavin auszuüben. Zudem besaßen ihre Pläne und Absichten immer öfter die erfrischende Angewohnheit, aufzugehen.


    Asa stieß einen tiefen, unnötigen Seufzer aus und brachte das stolze Rind unter sich dazu, nervös zu schnauben und an den Seilen zu zerren, welche zu den Händen der beiden männlichen Sklaven führten und deren ohnehin schon festen Griff noch einmal zusätzlich verstärkten. Anthus entwich ein derber, gezischter Fluch und wohl zum zwanzigsten Mal fragte er sich, weshalb Solidus ihm nicht wenigstens noch einen Mann mehr mitgegeben hatte, um dieses nicht gerade schwächliche Tier den ganzen weiten Weg zur Villa Flavia zu bringen. Fast hatte es den irrwitzigen Anschein, als wollte der grantige Händler, dass das Kalb mit ihnen durchging und sich im Labyrinth der dunklen Straßen verlor wie ein zu seinen Wurzeln zurückgekehrter Minotaurus. Einen wirklichen Sinn machte dies alles jedenfalls immer noch nicht.
    Dem Sklaven wurde immer unbehaglicher, je weiter sie sich ihrem Ziel, eben der Villa Flavia, näherten. Eigentlich hätte er bei dieser Aussicht nichts als Erleichterung und Freude empfinden sollen, denn die Ankunft brachte schließlich das Ende des Auftrages mit sich. Nur behagten ihm die Flavier viel zu wenig, um deswegen in Jubel auszubrechen. Zwar würde man sie vermutlich nicht gleich an der Porta mit Blutfontänen begrüßen, aber sein Herzschlag beschwichtige sich durch das Wissen um den Endkunden trotzdem nicht. Befänden sie sich doch nur schon wieder bei Solidus. Zwar konnte Anthus nicht das Gefühl abschütteln, dann für die nächsten vier Wochen konstante miese Laune von seinem Herrn über sich ergehen lassen zu müssen, aber dies war er wenigstens gewohnt. Hier herrschte derzeit nichts als ein Heer von Fragen und Unstimmigkeiten, welches er so rasch wie möglich loswerden wollte.



    Finis
    ~> Porta Villa Flavia

    Auch Asny hatte ihr Gegenüber ruhig und geduldig aussprechen lassen, ohnehin pflegte sie für gewöhnlich mehr von ihrer Umgebung zu absorbieren, als von sich selbst preiszugeben. Zumeist gab sie lediglich kleine, unauffällige Anstöße in bestimmte Richtungen, die sich für sie als interessant erweisen könnten, und beobachtete und lauschte anschließend dem Weg, welche die rollende Kugel nahm. Obgleich die junge Sklavin eigentlich recht wortgewandt war und dies auch gerne in Konversationen unter Beweis stellte, doch in den letzten Jahren hatten sie äußere Umstände und die darin befindlichen Menschen in eine eher passive Rolle gedrängt. Oder, noch schlimmer, man ließ sie nur bestimmte verbale Schablonen ausfüllen und verbot ihr alles, was darüber hinaus ging. Und dieses 'darüber hinaus' stellte eine ordentliche Menge unausgesprochener Worte dar.
    Aufgrund dessen hatte sie mehr zwangsläufig als gewünscht die Rolle einer Zecke eingenommen, die alles, was sie zum Leben brauchte, aus der Außenwelt in sich aufsog und ansonsten meistens unauffällig und still blieb, während sie auf das nächste Opfer lauerte, das als Wirt herhalten konnte. Keine sehr schmeichelhafte Darstellung ihrer selbst, doch wie eine Zecke besaß sie eben auch einen hartnäckigen Selbsterhaltungstrieb, ganz gleich, wie widerwärtig und abstoßend ihre Umwelt sie auch fand. Anpassen würde sie sich nicht, also schwieg sie eben. Meistens.
    Inzwischen besaß Asny wohl dank eines gewissen Alters die Einsicht, dass ihr das bloße passive Beobachten längst nicht als einzige alternative Möglichkeit zur Verfügung stand. Zumindest nicht bei Menschen, die außerhalb ihrer engsten Familie existierten. Sie selbst war imstande, zu beeinflussen und den Gesprächspartner zu lenken, wenn sie es nur klug und vorausschauend genug anstellte. Die meisten Leute mochten jene Art von Kontrolle nicht, also galt es, dieses Mittel so dezent und harmlos wie möglich einzuschätzen, ohne dass der behutsam Geführte wirklich bemerkte, dass man ihn führte. Selbstverständlich war das fortwährende Beobachten und Beurteilen immer noch erforderlich, doch der daraus gewonnene Eindruck musste nicht länger in irgendeinem staubigen Regal im Keller der Erinnerung vor sich hinmodern. Man konnte ihn anwenden und einen Gewinn daraus ziehen. Ihn mit ein wenig Provokation feiner abstimmen, durch die Vermischung mit anderem im Endeffekt klären und verstärken. Und die Lehre daraus ziehen, sich niemals auf den ersten, oberflächlichen Anblick zu verlassen.


    Denn obgleich Asa mit ihrer Meinung beispielsweise über Hannibal wie öfters überaus schnell gewesen war und auch ihre Schwester sich nicht scheute, gnadenlos unbarmherzige Urteile zu fällen, so nahm diese dem Sklaven mittleren Alters seine im Umgang mit ihr bereits begangenen kleinen Fehler mitnichten übel. Ganz im Gegenteil. Fehleinschätzungen und -deutungen ließen brauchbare Rückschlüsse zu, denn die Wenigsten begingen Fehler aus einer willentlich herbeigeführten Absicht heraus. Die meisten wollten perfekt wirken und sich keine Schwäche geben, interessanterweise ganz besonders nicht vor ihr. Geschah es doch war es spannend zu sehen, in welchem Bereich dieser Fehltritt vonstatten lief. Es war ein Blick hinter die Fassade der alltäglichen Maske und immer wert, sich ausführlicher damit auseinanderzusetzen.
    Zudem schien sie gerade Hannibal betreffend noch längst nicht alles erblickt zu haben, was sich in den Untiefen seines Seelenwesens tummelte. Das merkte sie spätestens, als sich mit einem Male seine Wortwahl drastisch veränderte. Hatte er sie etwa prüfen wollen? Den Grad ihrer Bildung, ihres Verständnisses, ihres Wertes? Auszuschließen war es nicht, immerhin musste er sich ebenso langsam an sie und ihre Art heranpirschen, wie umgekehrt. Zumindest so nahe, wie sie ihm gestattete, sich an ihre Wirklichkeit heranzutasten. Ihre Bildung und ihren Willen zu lernen konnte sie ihm getrost preisgeben, musste sie sogar, wenn sie erwarten wollte, nicht wie ein dummes Kind behandelt zu werden. Die Anrede ‚Kind‘, welche ihr Käufer noch auf dem Sklavenmarkt verwendet hätte, schien er sich indes bereits abgewöhnt zu haben, auch sehr zur Genugtuung der verstorbenen Schwester.
    War sie ehrlich zu sich selbst, so wusste Asny noch nicht recht die Frage zu beantworten, wie viel sie den Bewohnern der Villa Flavier von sich und ihrem seelischen Innenleben offenbaren wollte. Mitnichten weil sie fürchtete, dadurch in irgendeiner Weise Vergangenes zu wiederholen und Strafen erwarten zu müssen. Die Reaktionen der Welt auf sie beeinflussten sie nach wie vor in keiner Weise. Es verlangte sie weder nach Anerkennung, noch störten sie Drohungen und Beschimpfungen - an sich. Was sie durchaus zum Nachdenken verlockte war vielmehr das, was hinter diesem Verhalten ihrer Mitmenschen steckte, was sie eben dazu brachte, so und nicht anders zu reagieren, abgesehen einmal von Asnys eigenen, vorangegangenen Taten. Darum richtete sich der innere Blick der jungen Sklavin nicht deswegen intensiver und beharrlicher auf Hannibal, weil er sie derart lobte und ihren geistigen Leistungen Beifall zollte, sondern weil er gar so schnell zu dieser positiven Meinung gefunden hatte und sie scheinbar konsequent beizubehalten beabsichtigte. Da war kein Misstrauen, keine Suche nach dem 'Aber', dass es immer geben MUSSTE, eines der ehernen Gesetze des Lebens. Permanente positive Erfahrungen, das Leben als ein einziges Honigschlecken, war nichts als reine Illusion. Nichts und niemand, ganz besonders kein Mensch, bestand aus puren Vorteilen, brachte nichts als gute Eigenschaften mit sich, ohne, dass sie eine frischgebackene Sklavin in einem unter recht schlechtem Ruf stehenden Haushalt zu sein brauchte.


    Er hat dich gekauft. Er lobt nicht dich, sondern sich selbst. Für seine ach so weise Entscheidung und das kluge Geschäft, das er seinem Herrn beschert hat.
    Asny musste ihrer Schwester stumm beipflichten und ging dazu über, Hannibals Worte anhand dieser Ausgangsposition zu analysieren. Ihr Blick in seine Augen forcierte sich mit wachsender Konzentration und erweckte dadurch das ungute Gefühl, dass sich jenseits des blassblauen Nebels ihrer Augen etwas befand, dem man viel lieber offen entgegenzutreten wünschte, weil man sich instinktiv vor diesem Etwas in acht nehmen wollte. Es stellte definitiv die Art von Aufmerksamkeit dar, die man nicht auf sich spüren wollte; etwa wie die eines Schülers der Medizin, der am lebenden, tierischen Objekt unter Anwesenheit sämtlicher seiner Mitstudenten herumexperimentierte. Unangenehm, harmlos ausgedrückt, und wie die meisten, in deren Unterbewusstsein sich dieses Gefühl der unbekannten Beobachtung schlich, wich auch Hannibal alsbald dem Blick seines Gegenübers aus, begleitet von Asas Triumphgeheule.
    Ruhig und mit dem üblichen milden Lächeln bewaffnet folgte Asny den weiteren Anweisungen und Erklärungen bezüglich ihres neuen Lebens im Hause und der Einteilung ihres Tages. Es barg wirklich eine atemberaubende Aussicht, den Abend für sich zu besitzen, ohne sich um kleinere Geschwister kümmern oder beunruhigten Eltern in einem kleinen Haus aus dem Weg gehen zu müssen oder für lächerliche Botengänge und Arbeiten fortgeschickt zu werden oder stets aus den Augenwinkeln heraus misstrauisch beobachtet zu werden. Ausnahmsweise hatten ihre Eltern mit ihrem Verkauf tatsächlich einmal gut und sinnvoll gehandelt.
    Ohne Hinzuschauen und Hannibal die kurze Erleichterung ihres gesenkten Blickes zu gestatten - vielmehr schien es so, als bräuchte sie sogar kaum noch zu blinzeln - bewegten sich ihre Finger langsam unter den huschenden, unruhigen Schritten der roten Spinne.
    "Ich verstehe, hab Dank für deine Instruktionen. Was meine erforderlichen Übungen und Weiterbildungen betrifft, so sei versichert, dass ich damit gewiss auch die Zeiten verbringen werde, die du als 'Freizeit' tituliertest. Zudem gelingen mir geistige Übungen auch bei körperlichen Arbeiten, mich lediglich auf eine Sache zu konzentrieren empfinde ich meistens als nicht optimal genutzte Zeit. Doch mach dir keine Sorgen, ich achte darauf, dass meine Arbeit nicht darunter leidet."
    Das oberflächlich entrückt wirkende Lächeln blitzte so flüchtig ein wenig stärker auf, dass man sich anschließend fragen musste, ob man nicht nur einer Sinnestäuschung erlag.
    "Und ich muss dir völlig recht geben, was das Verlernen von untrainierten Fähigkeiten anbelangt. Ich bin stets bemüht, dem vorzubeugen."
    Ihre Schwester, die sich gerade wieder einmal kräftig streckte und gen Himmel gähnte, gab ein undefiniertes, aber zustimmendes Gegrummel von sich. Ohja, Vergessen, eines von Asnys größten und gewaltigsten Widersachern. Neben solchen wie Langeweile, Müßiggang und Dummheit.


    "Aus diesem Grunde drücke ich mich auch manchmal etwas umständlich aus. Den Gebrauch gewisser Begrifflichkeiten möchte ich nicht verlernen."
    Eine sehr knappe, überaus dezente Angabe zu einem weitaus größeren Thema, doch nach wie vor war Asny noch nicht bereit, gegenüber Hannibal allzu viel von sich preiszugeben, ganz gleich, wie seine Einschätzung ihrerseits aussah. Außerdem hatte er seinerseits die Beantwortung ihrer Fragen angeboten, eine Verlockung, die man der weißblonden Sklavin nicht zweimal offerieren musste.
    "Nun, ich trage stets eine große Menge an Fragen und ungelösten Problemen mit mir herum, doch wahrscheinlich würde dich die Beantwortung bis zum nächsten Aufbruch in kriegerischer Absicht unseres Herrn beschäftigen, also beschränke ich mich erst einmal auf die Drängendsten", begann sie und entließ die rote Spinne endlich auf den Boden, indem sie sich in einer geschmeidigen Bewegung bis zu eben jenem hinabbeugte. Nach einem knappen Ordnen und Zurückstreichen einiger Haarsträhnen fuhr sie in demselben, höflich-sachten Tonfall fort:
    "Bezüglich der Opferung und dem folgenden Gebet beschäftigen mich noch einige Unklarheiten, besonders hinsichtlich des Ortes. Ich möchte niemanden stören und ich möchte ebenfalls nicht gestört werden. Ich brauche einen gewissen Freiraum dafür, unter freiem Himmel würde ich bevorzugen. Muss jemand anderes dabei anwesend sein, und wenn ja, wer? Ich habe Priestern zwar schon bei dieser Tätigkeit zugesehen, sie jedoch selbst noch niemals durchgeführt. Ist es mir überhaupt erlaubt, alles eigenständig und persönlich zu vollbringen? Stehen mir die üblichen Opferungswerkzeuge zur Verfügung? Sollte ich ein besonderes Gewand tragen? Etwas Spezielles tun oder aussprechen, weil es sich um einen Flavier handelt?"
    Sicher, Worte wie 'trotzdem', 'dennoch' und 'ich weiß, aber' wollen die Götter hinsichtlich der Flavier garantiertest hören. warf Asa trocken dazwischen und versenkte ihren kleinen Finger dabei wiederum in ihrem rechten Ohr.
    Auch wegen dem Einwurf ihrer Schwester hielt Asny kurz inne, zunächst hatte es den Anschein, als wolle sie ihren Gesprächspartner, an den sie sich trotz gewisser selbstgesprächiger Tendenzen durchaus noch erinnern konnte, zu Wort kommen lassen. Tatsächlich war ihr gerade eine weitere Möglichkeit eingefallen, weswegen Hannibal derart optimistisch und gutgläubig ihrem Leben in der Villa entgegenschaute. Sicherlich mochte der tote Zwilling recht haben mit der Ansicht, dass er als der Käufer ebenfalls gut dastünde, wenn sie sich brav und strebsam verhielte, aber trotzdem wäre es doch noch natürlich gewesen, nachzuhorchen, ob bei ihr nicht noch irgend etwas verborgen läge, das seinem Herrn eben nicht gefiele, und das vor dessen Rückkehr dringend noch korrigiert werden müsste. Dies stellte in Asnys Augen das logische Verhalten eines Sklaven dar, der eine Sklavin für seinen Herrn besorgt hatte. Ware musste geprüft werden. Ganz besonders die Sorte Ware, die dem Herrn aus einer wahnsinnigen Intention heraus eine Nadel in die Kehle rammen konnte, nur als eines von vielen ungemütlichen Beispielen. Das hatte sie zwar eigentlich nicht vor, doch dies konnte er nicht wissen.


    Nein, irgend etwas stimmte da nicht. Möglicherweise war Asny selbst an zuviel Misstrauen gewöhnt, um dessen völliges Ausbleiben bereits als Seltsamkeit zu empfinden. Oder hinter dem Abbruch des Blickkontaktes schlummerte einfach mehr, als nur das übliche mulmige Gefühl, welches andere in ihrer Gegenwart oft und gerne empfanden. Aber wenn er sie so hoch lobte, während er gleichzeitig nicht ihrem Blick standhalten konnte, musste der Grund für dieses Verhalten theoretisch doch bei ihm liegen. Entweder das, oder er wollte sie zum Bleiben überreden, obgleich er wusste, dass sein Herr in Wirklichkeit gerne blonde Mädchen bei lebendigem Leibe verspeiste, was Hannibal ein schlechtes Gewissen bereitete. Doch unter diesen Voraussetzungen wäre es derzeit wohl nicht Didos einziges Problem, die angestrebte Summmelodie zu halten.
    "Noch eine Frage habe ich, Hannibal", erhob die junge Sklavin schließlich erneut ihre leise, etwas abwesend klingende Stimme und neigte weiterhin lächelnd den Kopf eine Winzigkeit zur Seite, ehe sie fortfuhr, als interessiere sie sich für die Herkunft des in der Villa für die Böden benutzten Marmors.
    "Ist es aus deiner Sicht meine Aufgabe, dich vor unserem Herrn gut dastehen zu lassen, oder soll ich einfach nur von etwas ablenken, das während seiner langen, fernen Abwesenheit in der Villa vorgefallen ist, und wofür du die Verantwortung trägst? Denn so sehr ich auch glauben möchte, dass du mich ehrlich für den größten Glücksfall des gesamten Sklavenmarktes hältst, so belehrt mich dein Verhalten doch eines Besseren. Ich habe kein Problem damit, benutzt zu werden, ich wüsste nur gerne, wofür. Dabei bin ich mir noch uneins, auf welche Art ich lieber die Wahrheit erfahren würde - jetzt durch dich, oder später durch meine eigenen Nachforschungen."
    Die Kugel war angestossen, welchen Weg sie entlangrollen würde, blieb abzuwarten.

    [Blockierte Grafik: http://i177.photobucket.com/albums/w220/Michikotennis/solidus2.jpg]
    Solidus


    Davon kann man übrigens draufgehen.
    Asas Blick glitt trotz des kurzfristigen Ausflugs in die mahnende Wirklichkeit durchaus wohlwollend über den malerisch am Boden liegenden Corpus, dessen Hautfarbe problemlos mit einigen im Raum befindlichen Götterfiguren mithalten konnte. Dann hörte die Ähnlichkeit mit in überirdischer Schönheit eingefangener, immerjunger Mythengestalten allerdings auch schon rapide auf. Einige mehr oder weniger gleichmäßige Bewegungen des schmalen Brustkorbes sowie ein schwaches, kehliges Krächzen deuteten darauf hin, dass der renommierte Viehhändler zumindest gegenwärtig noch nicht vor Schreck in Plutos Reich hinabgefahren war. Was natürlich keinen Zufall darstellte.
    „Hätte sein Geist dich gesehen und für mich gehalten wäre er ohnehin stehenden Fußes zurück in seine trockene Hülle geeilt und hätte sich in seinen Falten verkrochen."
    Dass nur eine leichte Abweichung dieser perfekt berechneten Entwicklung sehr einseitige Geschäftsverhandlungen zur Folge hätte, schien in Asnys Kosmos wieder einmal einfach keine Existenzberechtigung zu besitzen und ihre Schwester sah es als müßig und ergebnislos an, weiterhin darauf herumzureiten. Obwohl es doch ein wenig an ihr nagte, dass ihr Zwilling als Lebende tatsächlich der bessere weil effektreichere Rachegeist sein sollte.
    Sich weiterhin überaus unbeeindruckt von den äußeren Umständen gebend ließ Asny ihre Finger, die aufgrund der abgebundenen Spitzen beinahe schon so gefühllos wie kalt waren, durch das lange hellblonde Haar gleiten. Dessen schlohblasse Strähnen schwebten teilweise noch immer wie vom Himmel angezogen in der Luft, was bewies, dass die Behandlung mit der Wolldecke weiterhin überaus einwandfrei funktionierte. Irgendwann würde sie sich mit diesem Phänomen einmal eingehender beschäftigen, welches ihr Aussehen so überaus erfolgreich dem einer keltischen Klagefee anglich. Zudem war ihr auch bei dieser Gelegenheit ein fast schmerzhafter Peitschenschlag verpasst worden, als sie den Hals von Solidus berührte, was jedoch, sollte er umgekehrt diesen Kontakt ebenfalls gespürt haben, sicherlich keinen Nachteil darstellte.
    Alles in allem war ihre Planung bislang konsequent und erfolgversprechend umgesetzt worden, gerade so, wie es der neuen Sklavin der Flaviervilla am Besten gefiel. Andererseits versuchte sie auch stets, für alle Eventualitäten gewappnet zu sein oder zumindest die Wahrscheinlichkeit zu berechnen, wie ihr Gegenüber vermutlich am Ehesten reagieren würde. Solidus war nun einmal so stur wie stolz, misstrauisch und abergläubisch; ein Mann, der die Dinge lieber höchstpersönlich in die Hand nahm, als sich Unterstützung zu suchen und einen dadurch vielleicht sichereren Weg einzuschlagen. Allerdings war nicht damit zu rechnen, dass die Dinge auch weiterhin derart glatt liefen. Außer einem kleinen, brennenden Fleck Lampenöl auf dem Boden, den man relativ rasch hatte ersticken können mit irgendeinem sicherlich sehr heiligen Teppich, war zumindest von Seiten der Eindringlinge noch kein Grund zur Beunruhigung gegeben. Trotz des kleinen Schocks hatte sich die als Ziegenkopf verkleidete Lampe wacker geschlagen und eine ebensolche Zähigkeit an den Tag gelegt, wie ihr Besitzer. Nach wie vor beleuchtete sie tapfer flackernd den schauerlich gestalteten Raum, beziehungsweise die zahlreichen göttlichen Rücken und Hinterköpfe, sowie die von lebenden Wesen gebildete Szene recht mittig gelegen.


    Asa fühlte sich zwar nicht sonderlich wohl in dieser Umgebung voller Götzen und Opfergaben, aber die Spannung der Situation hielt sie fest wie eine am Honig klebende Fliege. Aufmerksam achtete sie auf kleinste Anzeichen dafür, dass der Viehhändler in das Reich der Wirklichkeit zurückfände, während ihre Schwester sich mit behutsamen, leisen Bewegungen zum Kopf des Bewusstlosen begab und sich dort niederkniete, so dass sich ihr Gesicht vornübergebeugt genau über dem seinen befand, nur eben umgedreht und für den Erwachenden mit Sicherheit noch verwirrender wirkend. Langsam glitt ihr auch weiterhin verträumt-abwesender Blick über die sie umgebene Szenerie. Sollte sie außerdem noch etwas vorbereiten? Irgend etwas mit dem frischen Eimer Schweineblut, der in einer Ecke stand und dessen Duft den Raum mit der bekannten, leicht metallischen Süße schwängerte, ein Geruch, der wie kein zweiter dafür bekannt vor, alles Überirdische anzuziehen, sei es von Neid oder Interesse gelockt. Andererseits war zuviel des Guten womöglich eher schädlich und so beließ es die junge Sklavin letztendlich bei den bereits gefassten Absichten.
    Schließlich ging ihre stimmungsvolle Geduld auch zu Ende und ihr eiserne Wille meldete sich, endlich das zu Ende zu bringen, wonach es sie verlangte. Mit hauchzarten Berührungen und sehr vorsichtig drehte sie den Kopf vor sich derart, dass die lange gebogene Nase daran gerade zu ihr hinauf zeigte und sie das leichte Beben der Flügel sehen konnte. Die Pupillen unter den pergamentdünnen Augenlidern bewegten sich zuckend, ebenso wie die schmalen, trockenen Lippen. Noch einmal musterte Asny mit leichtem, sanftmütigem Lächeln die alternden, von Sorge und Geschäftigkeit gezeichneten Züge, ehe sie mit der rechten Hand knapp ausholte und Solidus eine derart schnelle, scharfe Ohrfeige verpasste, dass sie den Charakter eines Peitschenschlages besaß. Schmerzerfülltes Stöhnen antwortete ihr und die hohe Stirn bekam noch einige zusätzliche Furchen mehr, während das sicherlich peinerfüllte Haupt sich langsam von einer Seite auf die andere rollte. Vollkommen ruhig beobachtete die ehemalige Bürgerin Roms dieses Schauspiel und das abwartende, friedvolle Lächeln verschwand nicht einmal, als der Händler blinzelnd und ächzend versuchte, die flatternden Lider zu öffnen und ein paar Fetzen Erinnerung aus seinem malträtierten Kurzzeitgedächtnis zusammenzukratzen.
    Erst genau in dem Moment, als seine dunklen, blutunterlaufenen Augen sich weiter öffneten, sie genau ansahen und ein erkennender Funke in ihnen aufglomm, kam erneut Bewegung in Asnys bis dahin völlig starre Haltung. Solidus' Muskelfunktion war zugegebenermaßen noch nicht völlig wiederhergestellt, weswegen es auch nicht sonderlich schwierig war, ein rascheres Reaktionsvermögen zu besitzen als der alte Mann. Die Spitzen von Zeige- und Mittelfinger beider Hände legten sich gleichzeitig auf die pochenden Schläfen des Händlers, was sich für jenen aufgrund des schnell ansteigenden Drucks sowie der immer noch andauernden Kälte anfühlte, als triebe man ihm zwei entweder sehr heiße oder sehr kalte Nägel in den Schädel. Vermutlich würde er dieses unangenehme Gefühl auch noch behalten, wenn Asny schon längst wieder in die Villa Flavia zurückgefunden hatte - zusammen mit ihrem wohlgeratenen Opfertier, wie sie sich selbst ehrenvoll versprach. So konstant wie gnadenlos presste sie ihre Fingerknochen gegen die Schläfen und nahm sich erst wieder etwas zurück, als sie sicher war, dass ihr Gastgeber inzwischen vermutlich verstanden hatte, wie unangenehm diese Lage für ihn werden konnte, wenn er noch einmal versuchte, sich aufzurichten. Solidus war schließlich keineswegs einfältig, man benötigte bei ihm lediglich ein klein wenig Überredungskunst, um den alten Ziegenbock von seiner störenden Sturheit zu kurieren. Angesichts seines schmerzverzerrten Gesichtes glaubte Asny, sich gerade durchaus auf dem richtigen Pfad zu befinden.


    „Salve, Solidus - zum zweiten Male."
    So unruhig wie protestierend flackernde Augen öffneten sich nun wieder und begegneten ihrem wie stets sanft und ausdruckslosen Blick. Der Händler antwortete nicht sofort und Asny glaubte förmlich zu hören, wie es in ihm arbeitete. Tatsächlich hatte sich der Hauseigentümer bislang noch nicht richtig entscheiden können, wie er auf dieses.... Ding reagieren sollte, das ihm vom ersten Tag des Aufeinandertreffens an äußerst suspekt erschienen war. Mochte auch sein alter Freund Fabianus sie geschickt haben, weil sie die Tochter von dessen freigelassenen Sklaven war, so war dies für den von Natur aus misstrauischen und Zufällen gegenüber blinden Solidus doch noch lange kein Zeichen dafür, diesem seltsamen Gör uneingeschränktes Vertrauen entgegenzubringen. Ganz besonders, da die Kleine bereits in Zeiten fern von derartigen Überfällen immer wie aus dem Nichts hinter ihm aufgetaucht war und ihn alleine deswegen schon mehrere Jahre seines kostbaren Lebens gekostet hatte. Man wusste nie, was sie dachte und dieses immerwährende milde Lächeln ging einem deutlich impulsiven, ungeduldigen und geradlinigen Charakter wie dem des Händlers sehr schnell gehörig auf die Nerven. Schon oft hatte er sich retten wollen, indem er sie innerlich schlicht für schwachsinnig erklärte, dann aber gab sie wieder Dinge von sich, die in dieses Mosaik nicht recht passen wollten. Die ihm jedoch, wenn er ehrlich zu sich war, alleine in der Erinnerung prickelnd kühle Schauer die Wirbelsäule hinabregnen ließen. Man konnte in ihrer Gegenwart wirklich zum Paranoiden werden, ohne bereits die Veranlagung des starken Aberglaubens mitzubringen. Nie wurde er das beunruhigende Gefühl los, dass sie ihn pausenlos beobachtete, ihn vielleicht sogar beeinflußte - nicht 'vielleicht', sondern vielmehr ganz bestimmt. Eines schönen, ahnungslosen Tages war sie angekommen und hatte behauptet, ein Fluch würde auf ihm liegen. Sie sähe, nein, viel besser noch, ihre tote Schwester sähe es ganz deutlich, denn auf der Ebene der Geister wäre sein Kopf von dunklen Nebeln umhüllt und seine Gesichtszüge sähen völlig verzerrt und verschwommen aus. Dem gläubigen Menschen in ihm wäre beinahe der Käfig mit den jungen Küken aus den Händen gefallen angesichts dieser Überzeugung und Direktheit, mit denen diese kleine Hexe ihm jene Tatsache unterbreitet hatte, so wie es Pluto vermutlich auch bei den verstorbenen Seelen tat, über deren Ewigkeit er urteilte. Es hatte ihn ordentliche Portionen Selbstbeherrschung gekostet so zu tun, als interessiere er sich überhaupt nicht für derartigen Blödsinn, dennoch war er das sichere Gefühl nicht losgeworden, dass sie ihn problemlos hatte durchschauen können. Das hatte ihm ganz und gar nicht gefallen, ebensowenig wie den darauffolgenden Zwang, sich für teures Geld eine zusätzliche Ladung Göttergunst und Schutzzeichen zu holen, nur, um überhaupt wieder einmal eine Nacht einigermaßen auf seinem Lager zubringen zu können. Dann, bei ihrem nächsten, ungebetenen wie unerwünschten Besuch hatte sie behauptet, ihn von eben diesem Fluch befreit zu haben und ihm eine kleine, dumme Lumpenpuppe entgegengehalten, bei deren eingesticktem, hinterlistigem Grinsen Solidus erneut eisige Finger in seiner Nacken- und Rückengegend wahrzunehmen glaubte. Der Fluch wäre nun auf dieses Ebenbild übergegangen und er bräuchte sich keine Sorgen mehr zu machen, denn auch sein fortwährendes Unglück fände nun ein Ende. Tatsächlich war ihm damals derart viel Pech widerfahren, dass der heutige Tag dagegen wie ein lustiger Urlaub wirkte. Kaum etwas hatte ihm noch gelingen wollen, er suchte permanent verlegte Gegenstände, warf Termine durcheinander, verspürte unbekannte Schmerzen, stand geradezu neben sich sowie kurz davor, sein stolzes Händlerdasein an den Nagel zu hängen. Hinterher hatte er dies alles natürlich als Einbildung abgetan. Zumindest solange sich diese kleine Unruhestifterin ordentlich weit fort von ihm befunden hatte.


    Im Nachhinein schalt er sich einen Narren, nicht schon bei den ersten Anzeichen merkwürdiger Vorgänge in seinem Heim auf das Ding gekommen zu sein, was nun wie eine blonde Harpyie über ihm aufragte und ihre Klauen in seinen Kopf trieb. Zugegeben, derart handgreiflich und gewalttätig war sie bislang noch nie geworden, doch Solidus schwor bei sämtlichen, ihm gerade ihre Kehrseite zuwendenden Göttern, dass sie diese Vorgehensweise noch bitter bereuen würde. Allerdings sollte man ihr davor vermutlich keine Gelegenheit mehr geben, mit düsteren Gedanken um sich zu werfen.
    „Was willst du?" krächzte er mit entschieden leiserer Stimme, als er diese für das ‚Gespräch‘ mit diesem Gör am Liebsten ausgewählt hätte. Sein Kopf fühlte sich an wie in einen Schraubstock gezwängt und es fiel ihm nach all der Aufregung schwer, sich angemessen zu konzentrieren. Und irgendwie schmerzte seine rechte Wange, als hätte sie sich zu nahe an einem Feuer befunden. Hatte diese Irre ihn etwa geschlagen?? IHN???
    Das folgende, von seinem Sichtfeld aus auf den Kopf gestellte Lächeln ließ seine Kiefer angespannt aufeinander mahlen.
    „Ich interessiere mich für eines deiner Tiere. Du hast ein hübsches, rotbraunes Kalb in deinen Ställen. Es wäre schön, wenn..."
    „Hast... hast du jetzt völlig den Verstand verloren?!" presste der Händler in einer sonderbaren, sich verstärkenden Mischung aus Wut und Unruhe hervor, "Du kommst hierher, dringst in mein Haus ein, wendest Gewalt gegen mich an und erwartest dann noch allen Ernstes, dass ich dir ein Kalb verkaufe??"
    „Oh nein, keine Sorge..."
    „Da wäre auch die Wahrscheinlichkeit größer, dass du der neue Kaiser wirst, meine Liebe!"
    „... ich habe kein Geld, ich möchte das Kalb gerne umsonst von dir haben."
    Einige Herzschläge lang war die angespannte Luft durchsetzt von fassungslosem Schweigen, ehe sich Solidus' trockener Kehle ein heiseres, ganz und gar humorloses Kichern entwand und leider relativ erfolglos an Asnys freundlich-mildem Lächeln abprallte, um schließlich zu Staub zu zerfallen.
    „Ach, möchtest du das?! Nun, ich habe eine Neuigkeit für dich: ICH VERSCHENK...." Der zunehmende Schmerz in seinen Schläfen zwang ihn sanft dazu, seine Lautstärke ein wenig zu dämpfen.
    „Ich verschenke nichts an Einbrecher, Erpresser und Geisteskranke! Solcher Dreck hat in meinem Haus nichts verloren! Ich bin Händler, nicht der Circus Maximus! Wie... wie kommst du nur auf solch einen Irrsinn? Wieso gerade ich?!"


    Wieder folgte ein Lächeln, das ihm unwillkürlich die Innereien zusammenzog, als würde er sich nicht so bereits hundeelend genug fühlen. Der Aufprall auf dem Holzboden hatte seine Spuren an einigen Körperteilen hinterlassen, die er noch nicht gewillt war, verkrüppelt hinter sich her zu ziehen für den kümmerlichen Rest seines Lebens. Ohnehin schien es einem Wunder gleich, dass sein Herz überhaupt noch schlug.
    „Du bist ein gefühlskalter, sadistischer, geiziger, egozentrischer, alter Mann, der seine Sklaven wie den letzten Dreck behandelt", erklärte Asny mit derart sanfter Stimme, als erläutere sie einem kleinen Kind gerade das Alphabet. Oder vielmehr einem älteren, schwachsinnigen Kind.
    „Im Namen aller Sklaven ist es meine Pflicht, dir eine Lektion zu erteilen..."
    „WAS?! ICH... ich behandele meine Sklaven überhaupt nicht schlecht! Ich lasse ihnen ordentliches Essen zukommen und bringe sie zum Medicus! Ich schlage sie nicht einmal! Also warum...?!"
    „Nun ja, falls mein Leben irgendwann einmal literarisch nacherzählt werden sollte, brauche ich als die Heldin doch wenigstens einen heldenhaften Zug. Sonst sind all die Leser immer auf Seiten meiner Gegenspieler. Und dies wäre wohl kaum der Sinn einer Heldin.“
    Sowohl ein Geister- wie auch ein Menschenblick trafen sie mit grenzenlosem Unverständnis, woraufhin die ‚Heldin‘ schließlich mit den Schultern zuckte und sich eine leichte Wüstenwind-Trockenheit in ihre Verhandlungsstimme mischte.
    „Schon gut, Menschenfreundlichkeit und Selbstlosigkeit passen ohnehin nicht gut in mein Profil. Und wenn man sieht, was heutzutage alles als Held angesehen wird....“
    Heutzutage wärst du schon deswegen keine Heldin, weil dein Opfer noch keinen einzigen Tropfen Blut vergossen hat. Hach, ich liebe diese Welt...
    Asny spielte kurz mit dem Gedanken, noch ein wenig stärker an der schrumpeligen Haut unter ihren Fingern herumzukratzen, entschied sich dann jedoch aus hygienischen Gründen dazu, dies zu unterlassen. Statt dessen ließ sie die übliche Sanftheit in ihre Worte zurückkehren und erklärte im Tonfall eines allwissenden Mentors:
    „Wie du vielleicht schon gehört und mit deinem dir eigenen Triumphgebaren gefeiert hast, gehöre ich nun zu den Sklaven Roms. Mein neuer Herr Marcus Flavius Aristides weilt derzeit in Parthia im Krieg und ich möchte dein Kalb opfern, um bei Mars um seine gesunde und sichere Rückkehr zu beten. Deswegen auch der etwas unkonventionelle Weg über die Gewalt. Damit Mars auch sieht, dass ich würdig bin. Ach, und... ich bräuchte natürlich ein offizielles Schenkungsdokument von dir, damit deine großzügige Spende auch weiterhin von allen als solche anerkannt wird.“
    Diesmal mahlten Solidus‘ Kiefer sogar hörbar aufeinander und ein leises Knurren erfüllte den Raum. Ja, er hatte sehr wohl vernommen, dass man diese widernatürliche kleine Schlange verkauft hatte und zugegeben, er hatte sich daraufhin den Luxus eines edlen Vinum austerum gegönnt, was sich im Nachhinein – also in diesem Augenblick – als pure Verschwendung offenbart hatte. Da hatte er allerdings auch noch nicht gewusst, dass man den Dämon quasi in die Höllenfeste verkauft hatte. Kaum ein anderes Haus würde solch ein Ding wie Asny auch allein durch Rom stromern lassen.
    „Warum sollte ich daran interessiert sein, dass ein Flavier gesund und munter nach Hause zurückkehren kann? HÄ? Wenn Mars aus einer Laune heraus vorhat, einen massiven, ungemütlichen Felsen auf diesen Aristides fallen zu lassen, werde ich garantiert keinen Finger rühren, um ihn daran zu hindern! So! Und jetzt raus aus meinem Haus, bevor ich persönlich deine Hinrichtung herbeiführe!!
    Ein tiefer, bedauernder Seufzer folgte und Solidus versuchte sich einzureden, dass jener seinen Ursprung im zerschlagenen Plan seiner Besitzerin hatte. Inzwischen dröhnte sein Schädel als hätte eine ganze Elefantenherde einen dieser seltsamen keltischen Trippel-Tänze darauf aufgeführt, die ganze Aufregung vermischt noch mit dem in der Luft klebenden Blutgeruch – er wusste schon, weswegen er einen Handel mit lebenden Gütern einer Schlachterei vorzog – war ihm übelst auf den immer noch schmerzenden Magen geschlagen, und die persönliche Beleidigung seiner Person störte seinen Händlerstolz ebenfalls ganz ungemein. Alles in allem ein gelungener Abschluß eines tollen Tages.


    „Ich habe sie noch.“
    „Was hast du noch?“ blaffte er zurück und presste kurz die Augen zu, da sein Blick auf die Zimmerdecke unschärfer zu werden begann. Wenn ihn diese Hexe noch länger so malträtierte, würde er anschließend erst einmal zu seinem Bett kriechen und den Rest des Tages mit Faulenzen verbringen müssen, was im Folgenden seine gesamte Planung durcheinanderbrächte. Wie er das hasste! Und nur wegen...
    „Die Puppe.“
    Der Händler schluckte und die roten Flecken auf seinem ansonsten nach wie vor recht blassen Gesicht bekamen Zuwachs. Flüchtig ließ der Druck auf eine seiner Schläfen nach und er wollte bereits erleichtert aufatmen, als sein Kopf auch schon mit einem Ruck in Richtung der dünn flackernden Öllampe gedreht und gegen den Boden gedrückt wurde. Eine ihm leider nur zu bekannte, kleine Lumpengestalt hing dort von nur zwei Fingern gehalten über dem gierigen Flämmchen, das sich bereits das gefräßig glühende Maul nach den trockenen Stoffen und dem darin enthaltenen Stroh leckte. Über allem schwebte Asnys Stimme wie die Reinkarnation einer erklärenden wie sanft mahnenden Schicksalsgöttin.
    „Wenn ich sie vernichte, wird der Fluch unweigerlich wieder auf dich übergehen. Ich bin mir sicher, du weißt noch recht genau, was dies heißen kann. War es nicht damals, als du diese seltsamen Krankheiten in deinem Viehbestand hattest? Als deine Sklaven plötzlich meuterten? Als dein Sohn ohne Vorwarnung zur Schauspielerei wollte?“
    Ohja, auch wenn er diese Zeit nur zu gerne verdrängte, so erinnerte Solidus sich nur zu gut an die Kette von Katastrophen, von der sich eine so unglaublich wie desaströse Perle an die andere reihte. Wiederum zuckte seine Zunge hervor, um sich nervös die ausgetrockneten Lippen zu befeuchten.
    „Solidus, das ist kein Versuch, dich zu erpressen. Lediglich eine Berufung darauf, dass du gewiss weise, erfahren und vorausschauend genug bist, um für dich und deinen Handel die richtige Entscheidung zu treffen. Und du weißt: es geschieht alles nur für einen guten Zweck.“



    tbc~

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    Solidus


    "Oh ihr Götter, wie stets bin ich euch zu unendlichem Dank verpflichtet für diesen Tag, den ich noch erleben durfte, um euch zu preisen, nehmt's mir aber nicht übel, dass ich trotzdem froh bin, ihn endlich enden zu sehen!"
    Solidus' eilige Schritte flogen wie zumeist sandalenklappernd die steinernen Stufen hinauf, fort von zahlreichen Tier- und Menschenstimmen unterschiedlichster Klangformen und hinauf in den ersten Stock, dessen Räumlichkeiten etwas weniger einem mitten in Rom angelegten Bauernhof glichen. Die ihn begleitende Öllampe in Form eines tönernen Ziegenkopfes, aus dessen Schnauze das erhellende Flämmchen eine leuchtende Spur in der dämmerig dunklen Luft zog, warf einen flackernden Schein auf zusammengezogene, schwarze Augenbrauen, welche über einem ähnlich verbissenen Gesicht lagen, das jeder Maskenschnitzer mit Freuden für die Darstellung eines besonders schlechtgelaunten Charon kopiert hätte. Zu viele Wachstafeln und Pergamentrollen, als dass es noch elegant hätte wirken können, mit der anderen Hand an die knochige Brust drückend, nahm der Viehhändler die letzten Stufen in Angriff, dabei knapp den Kopf schüttelnd. Einen solch widerlichen Tag wie den heutigen konnte man seiner Meinung nach getrost aus dem Kalender streichen. Dabei hätte er es schon gleich in den frühen Morgenstunden wissen müssen, als er sich von seinem einfachen Lager geschwungen und den großen Zeh an einem Stuhlbein gestoßen hatte, wohl weil einer seiner Bediensteten es lustig fand, des nachts an seinem Mobiliar herumzurücken. Wie sich im Folgenden herausstellte, fielen zudem noch zwei Sklaven aus, weil sich einer von ihnen von einem Fohlen hatte treten lassen und ein weiterer von einer ganz üblen Art der Grippe geplagt wurde, was eine doppelte Medicus-Rechnung einforderte. Als dann auch noch die zugesicherte, bereits verkaufte und sogar schon angezahlte Lieferung Ferkel ausblieb, spürte Solidus wieder dieses unangenehme Brennen in der Magengegend, das sich auch nicht besserte, als plötzlich und natürlich unangekündigt die Aedilen vor seiner Tür standen, um Waren sowie Maße und Gewichte zu kontrollieren. Es stellte fast schon eine Pflicht dar, diesen hochangesehenen Beamten eine kleine Aufwandsentschädigung zuzustecken und sie mit einer ebenso kleinen aber feinen Mahlzeit zu bewirten, was zusätzlich zu der gezwungenen, fortwährenden Freundlichkeit die verräterische Ader auf Solidus' Stirn zum unruhigen Pochen brachte. Er hatte eigentlich weder die Zeit und ganz besonders nicht das Geld, sich um diese dämlichen Prüflinge zu kümmern. Bei einem so miesen Tag hätte er zum Tempel laufen und dort das opfern sollen, was er nun an jene gierigen Herrschaften verschwenden musste. Wobei sein bevorzugter Augur bereits angedroht hatte, dass der Flug der Schwalben und Amseln auf Komplikationen hindeutete, was den Händler bereits seit mehreren Nächten kaum schlafen ließ, obgleich er ohnehin selten viele Stunden in Morpheus' Reich verweilte.


    Begleitet von einem leisen Schnauben und noch leiseren Flüchen in mehreren Sprachen, die hoffentlich zu gedämpft erklangen, als dass ein göttliches Ohr sie noch hätte vernehmen können, hastete Solidus im ersten Stock seines Händlerhauses angekommen zu seinem von organisiertem Chaos geprägten Arbeitsbereich, zu welchem kaum einmal ein Sklave Zugang hatte. Ganz einfach, weil der energische Mann kein Vertrauen in unfreie Menschen besaß und er am Allerliebsten seine ganzen Geschäfte vollkommen alleine und ohne fremde Hilfe abgewickelt hätte. Was selbstverständlich nicht möglich war, auch dank seiner so reizenden, wohlgeratenen Familie. Seine Frau wähnte sich wie so oft außerhalb Roms und genoss das faule Landleben in einer Pracht, die das sparsame, trockene Herz ihres werten Gemahls alleine bei dem Gedanken an diese unglaubliche Dekadenz leise knisternd erschaudern ließ. Der ältere Sohn hatte sich für den glorreichen Dienst am Vaterland in der römischen Armee entschieden, also dort, wo sich laut Papas Meinung sämtliche für alle anderen Tätigkeit zu beschränkten Dummköpfe früher oder später wiederfanden, und der jüngere war auf die sogar noch hirnverletzendere Idee gekommen, sein zukünftiges Glück in der Schauspielerei zu suchen, wofür er sich jedoch eine väterliche Predigt hatte anhören müssen, die ihresgleichen in keiner noch so aufwendig inszenierten Ödipus-Aufführung fand. Nicht einmal mit nützlichen Enkeln konnte gerechnet werden, da der eine Herr Sohn seine Freiheit hochlobend auf Barbarenschlachtfeldern auszutoben pflegte und allenfalls aus Versehen eine Hure schwängerte, und dem anderen bereits fürchterlich übel wurde, wenn er eine nackte Frau nur ansehen musste.
    Insofern barg es kein Wunder, dass Solidus nach dem strengen Kanon lebte, alles in die eigenen Hände nehmen zu müssen, wenn er ein brauchbares Ergebnis erzielen wollte.


    Die einzige Hilfe, nach der es ihn verlangte und welche vielleicht einen kleinen Makel in seinem sonst so geschäftstüchtigen, geschäftsmännisch-rationalen Denken darstellte, war der Segen aller Gottheiten und Schutzgeister; oder anders formuliert, der gute Mann befand sich permanent in einem Zustand höchsten Aberglaubens. Von jeder Religion, welcher man sich in Rom mit mehr als fünf Personen unterwarf, besaß er mindestens ein heiliges Symbol als Amulett, kannte er wenigstens ein Schutz- oder Segensgebet auswendig und wusste grob, für welche gegenwärtige Situation sich deren Anbetung am wahrscheinlichsten lohnte. Jenes Geld, das er sich von Mund und Einrichtung seines Heims absparte, wurde fast ausschließlich für den Kauf von Opfergaben und Kultgegenstände verwendet, die er auf Altären und Schreinen darbrachte, und wofür er sich einen gesamten Raum hergerichtet hatte. Womöglich war es des Guten manches Mal doch ein wenig zu viel, doch der alte Händler hatte stets nach dem Vorsatz der vermehrten Sicherheit gelebt und er wollte Schutz, ganz gleich aus welcher Richtung Gefahr drohte.
    Selbstredend war ihm bewusst, dass es für einen Mann seiner Profession nicht unbedingt ein Vorteil war, wenn man sich öffentlich als derart gläubig auch Kleinigkeiten gegenüber gab. So mancher nicht ganz ehrenhafte Geschäftspartner würde in diesem Umstand garantiert eine Schwäche wittern und diese gnadenlos ausnutzen. Deswegen wusste kaum jemand außerhalb der enttäuschenden Familie, wie tief die Furcht vor allem Überirdischen und Mystischen des Hausherrn wirklich ging. Die Sklaven hatten jenen heiligen Raum ebenso wenig wie das Arbeitszimmer zu betreten, wenn sie nicht selbst den Opferdolch im Rücken spüren wollten, und den Priestern und Orakeldeutern, denen Solidus regelmäßige Besuche abstattete, war ebenfalls unbekannt, zu welchen konkurrierenden Stellen es den Gläubigen sonst noch zog. Es war schon schwer genug zu verhindern, dass die Gottheiten und Geisterwesen untereinander nicht neidisch wurden und ihn gar nur noch mit schlimmem Pech straften.


    Obgleich dieser Tag mit dem heutigen bereits gekommen zu sein schien, denn eine andere Erklärung für all das Pech konnte es beinahe schon nicht mehr geben. An seinem mit unzähligem Pergament übersäten Schreibtisch Platz nehmend genehmigte sich der Händler einen großen Schluck Wasser und setzte die Öllampe in die dafür vorgesehene, schützende Halterung. Hoffentlich geschah bei der momentan laufenden Fütterung der Tiere unten nicht noch irgendein weiteres dummes Unglück, doch als er etwas konzentrierter lauschte, schien seine Ware in gefräßiges Schweigen verfallen zu sein, was ihn einigermaßen beruhigt durchatmen ließ. Das Licht des Tages schmolz nun rasch in sich zusammen, als wäre dem Sonnengott das Lampenöl ausgegangen und schon bald stellte der Ziegenkopf die einzige Lichtquelle dar, abgesehen von einem schwachen Schein, der aus dem Erdgeschoss nach oben drang. Mit der Dunkelheit hielt auch der auffrischende Nachtwind Einzug, so dass Solidus sich mit leisem Ächzen und lauterem Fluch auf den Lippen bald wieder von seinem Stuhl hochstemmen musste, um die hölzernen Fensterläden zu schließen, und sich einen dicken Umhang über die dürren Schultern zu hängen. Dann kratzte der bronzene Stylus wiederum leise über die wächserne Tafel, auf welche sich die verengten Augen des Schreibers richteten, um überhaupt inmitten des diffusen Lichtes noch erkennen zu können, was man dort eigentlich gerade anfertigte. Womöglich sollte er so langsam doch einmal ernsthaft über die Investition in einen Schreibsklaven nachdenken, doch erneut sträubten sich Solidus' Prinzipien hartnäckig dagegen, einem Fremden seine Geschäftsunterlagen anzuvertrauen, solange er nicht völlig blind war und seine Hände nicht zitterten wie Lämmerschwänze. Nein, es steckte wahrhaftig noch genug Gesundheit und Energie in diesen alten Knochen, die so manchen jüngeren Kollegen durchaus das Fürchten lernen ließen!


    Das beunruhigende, hartnäckige Gefühl, dass etwas nicht stimmte, schlich sich auf so vorsichtigen Samtpfoten in sein Herz, dass er es erst bewusst wahrnahm, als sein Pulsschlag bereits spürbar angeschwollen war. Alarmiert zuckte sein Blick zur gegenüberliegenden, offen stehenden Tür, hinter welcher sich nichts als gähnende Schwärze erstreckte und ihm noch frech ins Gesicht zu grinsen schien, weil er zu geizig gewesen war, mehr als eine Öllampe zu entzünden. Grimmig versuchte sich Solidus mit leichtfertigen Begründungen wie Sklavenschritte und Einbildung abzuspeisen, trank noch einen weiteren Schluck und versuchte sich wiederum auf seine Zahlen zu konzentrieren. Allerdings wollte dieses dumme Gefühl, sich nicht alleine in jenem Stockwerk zu befinden, nicht weichen und zog die dunklen Augen des Händlers immer öfter zur Tür hinüber, bis er endlich mit einem lauten
    "Anthus!!" nach seinem Sklaven schrie und unter solchem Schwung von seinem Stuhl hochfuhr, dass jener klappernd nach hinten umfiel. Sowohl durch dieses Missgeschick, als auch aufgrund des ganz schwachen Zitterns in seiner Stimme, schwoll seine Verärgerung noch stärker an und verlagerte sich selbstredend auf den gleich danach eintreffenden Sklaven, der sich aber keiner Schuld bewusst war und seinen Kollegen, sobald man ihn wieder ins Erdgeschoss zurückgejagt hatte, mitteilte, dass der Alte anscheinend doch langsam irre würde.
    Solidus indes hatte dieser kleine Ausbruch gut getan, ebenso wie das Hören der eigenen, lauten Stimme, die das Haus erzittern ließ und sämtliche bösen Geister hoffentlich ein für alle Mal vertrieben hatte. Zufrieden mit sich selbst setzte er die Stylusspitze wieder an das Bienenwachs.
    Dann vernahm er das Knarren. Es war leise, doch es erschien umso lauter, wenn man seine Existenz als unmöglich erachtete. Wiederum verließ der Blick des Händlers seine Arbeit und irrte zu der Dunkelheit jenseits der Türe. Warum verdammt hatte er Anthus nicht beauftragt, die Lichter dort zu entzünden? Nichts als Stille hallte ihm entgegen, bis just zu dem Augenblick, da seine Aufmerksamkeit wieder auf die Tafeln abzusinken drohte. Erneut ein Knarren, ein wenig lauter diesmal, wie ein Schritt, unter welchem die alten Bodendielen ächzten. Nervös musste Solidus sich eingestehen, dass er das Eindringen eines kleinen Tieres, einer Katze etwa, angesichts dieses Geräuschs wohl würde ausschließen müssen. Der Eindringling musste zweifellos schwerer sein, als so ein kleines, geschmeidiges Fellknäuel. Unruhig befeuchtete er die trockenen Lippen mit der Zungenspitze und versuchte, seine aufgebrachten Gedanken durch das rauschende Blut in seinen Ohren, welches aufgrund des angestrengten Lauschens aufgewühlt wurde, überhaupt wahrzunehmen. Vermutlich war es nur einer dieser dummen Sklaven, der ihm einen üblen Streich spielte! Bestärkt durch diesen Gedanken griff er sich mit einem energischen Ruck die einzige Lichtquelle und erhob sich, um diesem angeblichen Scherz ein rasches Ende zu bereiten. Was bildeten sich diese Kerle ein? Hatte dieser Tag noch nicht genug Arbeit für sie bereitgehalten? Schön, dann würden sie morgen und übermorgen und die gesamte nächste Woche sehen, was wirklich harte Arbeit wäre! Er hatte sie allesamt viel zu sehr verwöhnt, das bekam ihnen nicht, dann wurden sie übermütig und verbrachten ihre überflüssige Freizeit damit, sich Blödsinn auszudenken!


    Angereichert mit einer vielleicht etwas überzogen lebendigen Wut in seinem schon wieder schmerzenden Bauch stampfte der Hausbesitzer in den Flur hinaus und wollte sich zügig in die Richtung wenden, aus welcher das Knarren und damit auch die Schritte zu ihm gedrungen waren, als er sich unvermittelt mit einer abgeschlossenen Tür konfrontiert sah, welche eben in sein heiliges Altarzimmer führte. Solidus spürte förmlich, wie ihm alle Farbe aus dem Gesicht wich und sich kleine kalte Tröpfchen auf seiner hohen Stirn zu bilden begannen. Mühsam schluckte er und stützte sich sicherheitshalber mit einer Hand an der weiß getünchten Wand neben ihm ab. Das konnte doch nicht sein! Niemand kam dort hinein ohne den passenden Schlüssel, und diesen trug er stets an einem Schlüsselbund bei sich, welches auch in diesem Moment seinen schmalen Ledergürtel zierte. Seine Lippen öffneten sich, um einen ungewöhnlich tiefen, zitternden Atemzug einzulassen, doch während er noch versuchte, Temperaturumschwünge und lebendes Holz für dieses Erlebnis verantwortlich zu machen, hörte er trotz des dröhnenden Herzschlages in seinem Körper, wie etwas von der anderen Seite an der Tür entlangkratzte, genau in Höhe seines Kopfes. Instinktiv und von einer ordentlichen Portion heißem Adrenalin getrieben machte der alte Händler einen zu Tode erschreckten Satz vom Zimmereingang fort, als habe ihn eine unsichtbare Macht mit Gewalt fortgestossen. Seine zitternde Hand presste sich inzwischen förmlich gegen die stützende Wand, während er mit aufgerissenen Augen darauf wartete, dass etwas durch das so dünne schützende Holz gebrochen käme und ihn verfluchte. Erst, als die Momente verstrichen, und er von unten das irgendwie beruhigende Pfeifen eines der Sklaven hörte, erwachte er aus seinem kurzfristigen Schockzustand und holte sich ins Gedächtnis zurück, wer bei den Göttern er eigentlich war, und dass er in seinem eigenen Hause nun wirklich nichts zu befürchten hätte. Der Tag war fürchterlich gewesen und in ähnlichen Bahnen verlief nun auch seine Laune.
    Ehe er sich dessen selbst völlig bewusst war, hatte er schon den richtigen Schlüssel von seinem Schlüsselbund geschoben, das metallene Ende ins Schloss getrieben und vernahm das deutliche Klicken, was die Entriegelung bekanntgab. Kurz durchströmte ihn noch einmal ein eisiger Schauder als er sich in Erinnerung rief, dass er tatsächlich jenseits eines abgeschlossenen Raumes Schritte und Kratzgeräusche gehört hatte, doch im nächsten Moment stieß er auch schon ärgerlich die Tür auf, welche sich mit einem herzerweichenden Quietschen öffnete, was seine ohnehin schon zum Zerreißen angespannten Nerven noch zusätzlich erbeben ließ.


    "Raus aus meinem Heiligtum, du dreckiger Bastard", knurrte er mit vielleicht etwas höherer Stimmlage als gewöhnlich und versuchte, fest mit beiden Füßen auf dem Boden stehend einen imposanten Anblick zu bieten. Viel zu spät bemerkte er dabei, dass es womöglich auch nicht falsch gewesen wäre, eine Waffe mitzunehmen, und sei es nur ein kleiner Zierdolch gewesen. So musste er sich notgedrungen tatsächlich auf seine heldenhafte Erscheinung verlassen.
    Stille schlug ihm entgegen, zusammen mit... Solidus' ausgeprägtes Riechorgan kräuselte sich leicht, als er zunächst ungläubig, dann mit aufsteigender Panik schnupperte. War das etwa... der Geruch von Blut? Die fast schon auf dem Rückweg befindliche Gesichtsfarbe machte noch einmal zackig kehrt marsch, bis der Teint des Händlers ebenso blass war wie die Wand hinter ihm.
    Ein Scherz... das konnte alles nur ein ganz ganz fieser Scherz sein und wenn er den Übeltäter erwischte, würde er ihm bei lebendigem Leibe die Haut vom Körper schälen!
    "Raus, sage ich!!" Auch weil er mit vor der Tür bleibendem Licht kaum etwas vom Inneren des Raumes erkennen konnte, kratzte er seinen letzten Rest Mut, durchmischt mit einer ordentlichen Portion Trotz, zusammen und machte einige wagemutige Schritte in den ihm doch eigentlich so bekannten Raum hinein, die Finger der freien Hand gekrümmt, als wäre er jederzeit bereit, dem Spaßvogel den Hals umzudrehen. Schon drei hektische Herzschläge später bereute er sein impulsives Vorgehen zutiefst und schalt sich einen dummen Narren, nicht einfach nach Anthus gebrüllt und ihn statt seiner hier hinein geschickt zu haben. Seine Lungen schienen kaum noch imstande, den Atem tiefer als bis zu einem heiseren Krächzen einzusaugen und es schien bereits zu viel, sich überhaupt in der Senkrechten zu halten, von heldenhafter Haltung ganz zu schweigen. Alle Figuren, alle Bilder, alle Darstellungen der zahlreichen Göttervielfalt, die sich an diesem Ort fanden und gläubig angebetet wurden, hatten sich von ihm fort und der Wand zugedreht, als würden sie verdeutlichen wollen, diesem kleinen Wurm auf ewige Zeit alle Gunst und jedweden Schutz zu verweigern. Mehr noch, der sich mitten im Raum noch verstärkende Blutgeruch wies darauf hin, dass sie ihn förmlich verflucht hatten, dass er womöglich schon sein eigenes Blut roch, das sich ohne die Hilfe der höheren Wesenheiten bald nicht mehr in seinem Körper befände, ebenso wenig wie sein Geist, der gewiss für alle Zeiten unendlichen Qualen ausgeliefert zwischen den Welten würde schweben und klagen müssen....
    Solidus' fassungsloser Blick zuckte von Figur zu Figur, von Bild zu Bild und fand nicht ein Augenpaar, das noch auf ihn gerichtet war. Schon drohte er, entweder auf die Knie zu fallen oder aus dem Raum zu stürzen, als er hinter sich einem Todesurteil gleich die Tür zuschlagen hörte, was ihm vermutlich endgültig den Schock seines Lebens verpasste und ihn herumfahren ließ, als erwartete er bereits gleich hinter ihm sein grauenvolles Ende aufragen.
    "Salve... Solidus...." Die unwirkliche Gestalt, welche bereits genau hinter ihm stand, deren schlohweiße Haare von unsichtbaren, unfühlbaren Winden getragen in der Luft schwebten, deren einziges, lebloses Auge sich in die seinen bohrte, interpretierte das überstrapazierte Nervenkostüm des Händlers innerhalb eines einzigen Herzschlags als das Grauenerregendste, was er jemals gesehen hatte. Als sich auch noch eiskalte Finger um seinen Hals legten, wie sie nur die eisigsten Untiefen des Totenreiches hervorbrachten und er seinen Namen wie mit Knochen geschrieben, heiser und kratzend vernahm, versagte sein altes Herz erst einmal endgültig seinen Dienst. Den Mund zum Schrei geöffnet, der nicht mehr über ein kaum hörbares Wimmern hinauskam, sank er in sich zusammen und wurde in eine gnädige Schwärze gezogen, die lautlos über ihm zusammenschlug und ihn mit Stille erfüllte.



    tbc~

    Das ewige Sonnenrad hatte unlängst das letzte Drittel seiner täglichen Pflicht erfüllt und die blassgoldene Scheibe begann bereits orangerötliche Feuerspuren auf die wenigen Schleierwolken zu malen, die sie wie dunklere Schemen umschwärmten, sich bewusst, dass sie letztendlich siegreich sein und das Licht des Lebens mit sich in den Abgrund des Horizonts reißen würden, nur damit der immerwährende Reigen von Neuem beginnen konnte. Die unzähligen Ecken, Winkel und kleinen Schluchten Roms wandelten sich zu tiefen, schwarzen Abgründen, die in vollstem Gegensatz standen zu den wie strahlende Fackeln erleuchteten Spitzen, Dächern und Höhen, die der letzte Kuss der niedersinkenden Strahlen stets besonders feurig traf. Mit dem sich stetig dichter verwebenden Netz schwarzer Gespenster, die aus der Enge und Lichtlosigkeit hervorkrochen und sich ausbreiteten, schien sich der ohnehin zu jeder Zeit wirre, ineinander vermengte Strom von Menschen, Tieren und Gefährten noch einmal einem anderen, schnelleren Rhythmus zu unterwerfen, als pflanzte sich eine ansteckende Krankheit durch die Luft von einem Lebewesen zum nächsten fort, verbreitete Unruhe und legte sich über schlagende Herzen, um sie noch stärker vorwärtszutreiben, dem Ziel entgegen und fort von der Welt jenseits des Lichtes. Bewusst wurde dieses mysteriöse Leiden von kaum einem Geschöpf wahrgenommen, war es doch schon zu allumfassend im inneren Reich eines jeden verknüpft und verkettet. Motten gleich suchten sie das Helle, züchteten es, umwarben und pflegten, wohl wissend, was außerhalb des kleinen, imaginären Schutzkreises lauerte. Dabei hatten sie die dort lauernden Gestalten oft genug selbst geboren, trugen Schuld an durchbohrenden Augen, gefletschten Zähnen und blutgierigen Gedanken, die dort schweigsam und geduldig warteten, abgehalten nur von überzogenem Gelächter, zu lauter Musik und erzwungener Geselligkeit. Und doch waren sie bereits in deren Mitte, in den verschlossenen Abgründen ihrer Gedanken, den verschwommenen Gestalten in weiter Ferne, deren Entfernung so trügerisch war. Nur ein kurzes Aufflackern, ein Wort, eine Erinnerung war nötig, um sie anzulocken und ihren Griff zu spüren, dort, wo es am meisten schmerzte. Das Gewissen war vielleicht der ärgste, der grausamste Feind; nicht zu töten, nicht zu bekämpfen, nicht zu verlassen.
    Jener deutende Zeigefinger, lähmender Stich im Herzen, erstarrende Atemlosigkeit - und die Einsamkeit, die trennende, unerklimmbare Mauer des Geheimnisses, die umschließt. Ausschließt, vereinsamen lässt, isoliert, selbst in die Umarmung ganz gleich wie vieler Körper. Die Abendstunden bilden eine triste, mahnende Melodie, welche die ersten Schauder herabregnen lässt auf jene, die in Unwissen schlecht gekleidetes Wissen in sich tragen. Und welche die sich ankündigende Nacht bereits kennen durch die Bekanntschaft ihrer verstorbener dunkler Schwestern, deren unerträglicher Stille, einzig durchdrungen von eigenem, anschwellendem Herzpochen, dem man ebenso wenig entfliehen kann wie den sich niedersenkenden Gedanken, den verräterischen, quälenden, die stechende Bilder unter die zugepressten Lider schieben und bekannte Stimmen in zermürbender Kakophonie in den Ohren hallen lässt, gleich wie sehr man sie zu überhören versucht. Die Geister der Schuld lauern im Nächtlichen und nehmen den Platz der Welt ein, wenn jene in nebliger Schwärze versunken ist.


    ~~~


    Bei Mars, sie hatte nicht vor, zu fliehen. Mochten sie manche Blicke erfüllt mit Misstrauen getroffen haben, so hatte man ihr endlich doch Glauben geschenkt, weil ihr Betragen bislang tadellos gewesen war. Und womöglich auch, weil sie die Option tatsächlich keinen Augenblick lang in Erwägung gezogen hatte. Eine Flucht wäre langweilig und sinnlos angesichts dessen, was sie erlebte und lernen konnte, wenn sie dort bliebe, wo das Schicksal sie angeschwemmt hatte. Sie besaß große Pläne in und mit ihrer neuen Unterkunft, die weit jenseits dessen lagen, was ihr das Leben in Freiheit anzubieten hatte.
    Weitaus zielgerichteter als es den äußeren Anschein hatte durchlief Asny abwechselnd gegen und mit dem Strom wandernd kleinere Gässchen und breitere Straßen Roms, mit ruhigen Schritten und geschmeidigen Reflexen, wenn ein Zusammenstoß mit einem anderen Menschen drohte. Ihre gelassene Aufmerksamkeit glitt über die geschäftigen Konturen derjenigen, die sie passierte und die an ihr vorbeieilten, ohne allzu lange auf einem Punkt zu verharren. Die leise Melodie, die ihren Lippen entfloh, erklang lediglich in ihrem Kopf, die aufgescheuchte Geräuschkulisse der Umgebung vermochte eine so zarte Tonfolge nicht zu bemerken. Schon den ganzen Tag wiederholte sie diese Klangfolge, prägte sie sich mit jedem Male tiefer ein und hatte längst jenen Punkt passiert, der das Vergessen verhinderte. Diese war es, diese und keine andere war geeignet, um sie Mars an jenem wichtigen Tage vorzutragen und verflochten mit anderen Ritualen für die gefahrlose Rückkehr ihres Herrn zu beten. Langsam, behutsam mochte sie beginnen, doch sie entwickelte sich, wuchs und spross, begann zu leben und erfüllte umgekehrt mit Leben, pulsierend, leidenschaftlich und dem Rhythmus von Kampfeslärm, Kriegstrommeln und Herzschlägen folgend, vermischt zu einer reinen, überwältigenden Erregung. Mochte es auch noch ein kleines Kind in den Gedanken einer einzelnen Sklavin sein, so schmeckte ihre Zunge doch bereits die Kraft und Energie, die darin strömte und ruhte, bis man sie erweckte und befreite.


    Der nächste Schritt würde die Beschaffung des Opfertieres sein und eben dorthin trieb es das weißblonde Mädchen just in diesem Moment, in welchem sich der Abend auf die Ewige Stadt herniedersinken ließ. Allzu viel Zeit würde sie mit ihrem Vorhaben nicht verlieren dürfen, sonst drohte ihr vermutlich eine Bestrafung, doch an derartige Entwicklungen verschenkte Asny augenblicklich nicht einen flüchtigen Gedanken. Ebenso wenig wie ihre tote Schwester, die ein kleines Stück über ihr schwebte, um nicht ständig durch irgendwelche Körper gleiten zu müssen, was sie als nicht sonderlich angenehm empfand. Allerdings stand Asa der Absicht des lebenden Zwillings doch ein wenig kritischer gegenüber, als dieser selbst.
    Was immer du auch anschleppst, wer sagt dir, dass die Flavier es dir nicht wegnehmen, weil sie glauben, du hättest es geklaut? Obwohl das noch ein sehr edler Gedanke ist verglichen mit dem, was wir vorhaben... Die letzte Bemerkung war zu einem leisen, beifälligen Murmeln hinabgesackt und anhand des Tonfalles war schwierig zu entscheiden, ob Asa nun besorgt oder stolz war. Ihr silbriger Nebelblick fand von den wuselnden Menschen zu ihrer weiter unten schlendernden Schwester, genauer gesagt zu deren Fingern, deren oberste Glieder einzeln mit einem dünnen Faden abgebunden waren, und welche wieder einmal ein mittelgroßes Bündel durch die Gegend schleppten, dessen Inhalt man nicht einmal ansatzweise erraten konnte. Allerdings ließ sich bereits anhand der durchgeführten Vorbereitungen erkennen, dass Asny keineswegs plante, mit einem Hamster oder einer Wachtel zurückzukehren - einmal abgesehen davon, dass der freundliche, bislang völlig ahnungslose 'Spender' weder das eine noch das andere in seinem Bestand führte. Wie Asa ihre willensstarke Schwester kannte, wusste diese bereits sehr genau, mit welchem tierischen Opfer sie letztendlich in die Villa zurückkehren würde und womöglich war es das, was sie so beunruhigte. Oder, besser ausgedrückt, der Weg, den Asny für ihr Ziel zu gehen beabsichtigte, glänzte nicht gerade durch Sicherheit und leichte Begehbarkeit. Dieser alte Händler neigte nicht dazu, freizügig sein Tagesangebot an frischen Tieren zu verschenken und soweit Asa wusste plante ihre Schwester auch keinen Diebstahl - jene Taktik wäre indes deutlich mehr nach dem Geschmack der Verstorbenen gewesen. Und vermutlich wäre es ebenfalls menschenfreundlicher gewesen.


    "Du kennst mich doch. Ich sorge vor. Einmal abgesehen davon, dass sie sich hoffentlich hüten werden, eine Opfergabe für Marcus Flavius Aristides zu beschlagnahmen und selbst zu verspeisen."
    Asa beließ es jedoch nicht bei diesem einen Einwand, ganz einfach, weil sie prinzipiell etwas gegen Gaben und Rituale für irgendwelche Gottheiten hatte, die sich letzten Endes doch nicht an ihren Teil des Handels hielten, sondern sich garantiert irgendwo schmausend und lachend über die einfältigen Sterblichen und besonderes deren Verstorbene lustig machten.
    Zwar wartete sie noch einen gerade vorbeiklappernden Eselskarren ab, zischte ihrer Schwester allerdings bereits Augenblicke später ins Ohr:
    Aber es ist doch den ganzen Aufwand nicht wert! Es gibt keine Garantie, dass deine Mühen irgendwie was bringen! Noch dazu kennst du diesen Aristides gar nicht! Was, wenn er ein ganz fieser, ordinärer, beschränkter, fetter, alter Eberschwanz ist? Hm? Lass mich dieses Mosaik nur kurz zu Ende legen. Er verschüttet beim Essen die Hälfte des verdünnten Weines auf seine fette Wampe, deren Ausmaße schon fast gereichen, um eigene Bürgerrechte zu beantragen. Er ist einer dieser vielumschrienen Patrizier, die mit dem Gold um sich schmeißen und sich alles kaufen, was Spaß macht, deren Bildung aber katastrophal ist, weil sie sich alle möglichen toll klingenden Titel und Diploma nur mit ihrem vielen Geld gekauft haben! Er schlägt und betatscht Frauen und Sklaven und ist einfach nur eine zufällig im Körper eines Menschen geborene Drecksau. Was dann, Schwesterlein?!
    "Es ist unnötig, über so etwas nachzudenken, weil es nicht den Tatsachen entspricht." Asnys leise Stimme erklang mit einer Gelassenheit, wie nur tiefstverwurzelte Sicherheit sie hervorbringen konnte und die sogar Asa einen Herzschlag lang überlegen ließ, ob ihr lebender Zwilling diesen Mann nicht doch schon einmal kennengelernt hatte. Aber dies war schlichtweg unmöglich! Zweifellos würde sie davon wissen! Schon öffneten sich die blassgrauen Lippen wieder, um die nächste Legion Überredungskunst angreifen zu lassen, als ihre Schwester ihr zurvorkam.
    "Und selbst gesetzt den Fall, dass dein Mosaik den Tatsachen entsprechen sollte: wenn er nicht zurückkehrt, gehe ich laut Dido womöglich in den Besitz von Serenus' Großmutter über und muss nach Baiae. Dann lieber ein etwas korpulenter, eingekaufter Kriegsheld mit mangelhaften Manieren als eine alte Medusa außerhalb Roms. Doch wie ich schon sagte: Flavius Aristides wird keinen deiner vulgären Ausdrücke verdient haben."
    Dido mag ihn aber nicht und findet ihn blöd.
    Asas Augen glühten in triumphierend schwarzem Feuer bei diesem letzten, alles entscheidenden Argument. Wenngleich die kleine Sklavin keine wirklichen Gründe für ihre Meinung genannt hatte, so war diese angesichts dessen, dass sie Aristides' Sohn so gerne mochte, doch recht hart und deutlich ausgefallen. Wenigstens in den Augen des Geistermädchens. Natürlich hätte sie sich eigentlich denken können, dass ihre Schwester wiederum ein Gegenargument lieferte, das dem ihren einen unangekündigten, regelwidrigen und äußerst schmerzhaften Schlag in den Unterleib verpasste, doch manchmal fühlte sie sich einfach irgendwie doch für ihren jüngeren Zwilling verantwortlich. Was deren Schlag jedoch in keiner Weise dämpfte.
    "Ja, aber mich fand Dido ebenfalls blöd. Und wenn Aristides nur halb so 'blöd' ist wie ich, übertrifft er deine reizende Beschreibung bereits um die Größe Roms, nicht wahr?"
    Der tote Zwilling fügte sich klaglos in sein Schicksal der Verliererin und stieß lediglich einen tiefen Seufzer aus, der sein Echo in einer nachtdunklen Schlucht der Unterwelt fand. Derart vor Leben strotzendem Selbstbewußtsein hatte eine Verstorbene nicht viel entgegenzusetzen.
    Also schön. Tun wir einfach mal so, als wäre er jede deiner folgenden Schandtaten wert. Und wenn er nur halb so blöd ist wie du wird er den vielgerühmten Schutz der Götter spätestens dann brauchen, wenn er siegreich wieder in seine Villa einzieht und denkt, alles wäre dort noch so, wie bei seiner Abreise.




    tbc~

    Eingebettet in die noch eher scheue Berührung winterlich verschreckter Sonnenstrahlen, deren wärmende Rufe an die reinkarnierenden Kräfte Gaias nur die erwartungsvollsten und mutigsten Saaten und Samen bereits anzulocken vermochten, schien in der abgeschiedenen Stille des atemlosen Wartens, des bald anbrechenden und alles verschlingenden Frühlings die Zeit nicht nur nebensächlich, vielmehr wirkte jener stetige Fluss verwandelt und gezähmt zu einem alten Greis, nach dessen Lebenslicht niemand mehr sah und der alle einstige Wichtigkeit restlos eingebüßt hatte. Verwelkt und abseits allen Lebens blickte er voll Neid auf die törichten Narren, die glaubten, ihre Empfindungen würden genügen, das Sonnenrad zum Stillstand zu zwingen, den Sand in der hohlen Hand aufzufangen und alles in jenem sphärischen Atemzug verharren zu lassen, als würde die Dämmerung zwischen den Jahreszeiten für alle Ewigkeit bestehen. Dieser Greis war nicht zu töten, totzuschweigen, eine Illusion lag vor den Augen derjenigen, die annahmen, sich einen Tag, auch nur eine Stunde von ihm stehlen zu können, weil Stille oder Abgeschiedenheit oder Gefühle dies vermittelten. Oder weil Helios' Stern nach dem Raub seiner Kräfte durch den eisigen Atem des Winters lediglich ebenso schwache Schatten herbeizaubern konnte, mit trüben Rändern versehen und aus grau-bleicher Haut. Nur an Kälte besaßen sie reichlich, wie jeder Winkel, den die flach atmenden Strahlen nicht erreichten. Unter einer dünnen Humusschicht war Gaias Fleisch unangenehm kühl, wie auch die schillernden Spiegelungen der Fischteiche darüber hinfort täuschten, dass auf deren Grund empfindliche Frostigkeit regierte.


    Geistig mit ganz anderen Pfaden verschlungen fand Asny sich zu jenem zeitlos wirkenden Augenblick mit der Reinigung und Umsorgung eines kleinen, rundgeformten Beetes jener hochverehrten Winterrosen konfrontiert, was sie mit einem gänzlich innerlich getragenen, sanft flackernden Licht temporärer Zufriedenheit erfüllte. Das gleichmäßige Unkrautzupfen, das sie abwechselnd mit der linken und der rechten Hand durchführte, war anspruchsvoll genug, um die motorischen Fähigkeiten beider Hände zu trainieren, gleichzeitig jedoch auch ausreichend monoton, um ihre Gedanken heimatlosen Schmetterlingen ähnlich durch Luft, Ort und Kosmos schwirren zu lassen, lediglich hier und dort an einer einladenden Blüte innehaltend und ein wenig länger verweilend. Auf ihre Arbeit waren bereits sämtliche notwendigen Überlegungen verschwendet worden; alle ihr bekannten Pflanzen, die sie aus dem dunklen Boden herauszupfte, waren bei ihrem offiziellen Namen genannt worden, der optimale Pflückrhythmus ward gefunden und auch die Erde hatte sie einem kritischen Test unterzogen, indem sie sie fachmännisch zwischen den Fingern zerrieben hatte. Mit vollster Aufmerksamkeit eines halben Ohres lauschte sie zusätzlich dem Geplauder ihrer Schwester, die mit hinter dem Kopf verschränkten Armen über den Rosenspitzen in der Luft hing und so tat, als genieße sie die durch sie hindurchfallenden Sonnenstrahlen.
    Relativ einsam lag dieser Bereich des Gartens, in welchen man sie schlussendlich geschickt hatte, vermutlich weil sie zu viele Fragen gestellt und die anderen Sklaven damit vom Arbeiten abgehalten hatte. Doch obwohl sie ihre verordnete Tätigkeit genoss, war die junge Sklavin eben noch lange keine Expertin auf diesem Gebiet, was wiederum bedeutete, dass es sie nach vertiefenden Informationen verlangte, die ihr bedauerlicherweise wieder einmal niemand freiwillig zu geben gedachte. Die meisten Mitgärtner hatten sich in ein genervtes oder grummliges 'Keine Ahnung' gerettet oder sie zu ignorieren versucht, unwissend, dass dieser Trick bei Asny nicht zog, wenn sie unbedingt eine Frage beantwortet haben wollte. Also hatte sie sich schlussendlich in diesem abgelegenen Teil des Gartens wiedergefunden, was sie jedoch ebenfalls nicht als Tragödie einordnete, denn so konnte sie sich leise und ungestört mit ihrer Geisterschwester auseinandersetzen, ohne befürchten zu müssen, von irgendeinem dummen Kommentar in einem wichtigen Disput mit sich selbst gestört zu werden.


    ... und dann geschah es! Du wirst es nicht glauben, aber.... er hat gehustet!! Im Schlaf!! Hannibal hat gehustet! Und ich musste mich nur eine Nacht lang darauf konzentrieren, ihm die Luftröhre abzudrücken! Ist das nicht phantastisch?!
    Äußerst zufrieden mit ihren nächtlichen Vergnügungen blinzelte Asa in den von zarten Schleierwolken bedeckten Himmel und wiegte sich einmal zufrieden mit ihrer vollbrachten Leistung hin und her, erfüllt von einem Triumph, als hätte sie Didos Erzeuger mit einer lapidaren Handbewegung dazu getrieben, sich einen Dolch in die Eingeweide zu rammen. Ihre Schwester, die am Rand des Rosenbeetes kniete und einen unerwünschten Setzling nach dem anderen entwurzelte, dabei überaus bemüht, den harten, teils dornenbesetzten Rosenstielen nicht zu nahe zu kommen, nickte erwartungsgemäß, während eine leise gesummte Melodie von ihren geschlossenen, sacht lächelnden Lippen strömte. Die Flut ihrer Haare war mit einem einfachen Stoffband ein wenig eingedämmt würden, damit ihr die mit der blassen Sonne um die Wette leuchtenden Strähnen nicht vorwitzig bei der Arbeit ins Gesicht fielen, und ihr weltentrückter Blick strich über Rosenknospen und aufgelockerte Erde.
    Der Geist über ihr sonnte sich noch einen Moment im Glanze seines Erfolges, ehe er den Kopf zur Seite neigte und hinunterblickte.
    Eigentlich ist es ja ganz nett hier. Ich meine, es könnte schlimmer sein. Oder was meinst du?
    Asnys Augen schlossen sich für einen kurzen Moment, währenddessen ihre Finger beiläufig ihre nächsten Opfer ertasteten und um ihr Leben brachten.
    "Zaudern gleich schmilzt trüb zu hell
    verlaufen altbekannte Farben
    umgleiten zart, windflügelschnell
    vertraute Schatten, sehnend' Darben.
    Boreas' Spur, in Haut gehaucht
    klammernd, zitternd, schaudernd, klar
    umschmiegt noch wie von Schlaf getauft
    stilltraumgeküsste Erbenschar."


    Stille.


    Ich hab das böse Wort gesagt, oder?
    "Du hast das böse Wort gesagt."
    Verdammt.
    Nach einem kurzen aber energischen Kopfschütteln, das die fahlen Haarsträhnen nur so zum Fliegen brachte, hob Asa immer noch in der Wiege der Luft liegend die Arme über den Kopf und drückte den Rücken durch, um sich so ausgiebig zu strecken wie eine träge Katze in der Mittagssonne. Ein ähnlich herzhaftes Gähnen folgte, das anscheinend ein weiteres Vermächtnis aus ihrer Zeit als Lebende darstellte.
    Wie lange hast'n du dafür gebraucht?
    Etwas behutsamer, um die tief ins Erdreich verwachsene Wurzel nicht abzureißen, rückte Asny einem weiteren zickigen grünen Parasiten zuleibe und warf schließlich die Beute in den geflochtenen Korb. Interessiert beugte sie sich über den zurückgebliebenen, narbenartigen, kleinen Krater im Beet, aus dem erbost ob der Störung ein rosaglänzender Regenwurm hervorlugte.
    "Um meinen liebenswürdigen alten Mentoren zu zitieren als der Anteil billigen Weines in seinem Blut wieder einmal jeden Taverneninhaber vor Neid erblassen ließ: 'Über wirklich auchergewöhnliche Lyrik darf man nicht länger nachdenken, alch der die Gedanken berauchende Musenkuss benötigt, um glühend und kraftvoll deine Zchunge zu berühren und durch deine Lippen geboren chu werden'. Außerdem hinkt es etwas, 'gehaucht' und 'getauft' reimt sich nicht richtig."
    Asa kratzte sich nachdenklich am Kinn und blinzelte mit verengten Augen in den wiederauferstandenen Sonnenschein hinein. Sie hatte für dieses ganze Wortgefummele nicht sonderlich viel übrig und auch jener leicht hinkende Reim konnte über den Gesamteindruck nicht hinfort täuschen, welcher größtenteils durchsetzt war mit Verständnisschwierigkeiten. Sie pflegte die Dinge deutlich und oftmals gar etwas rüde auszudrücken, was aber laut ihrer Schwester ebenfalls eine Art spezielle Kunst für sich war. Zumindest solange sie nicht bestimmte Reizbegriffe verwendete, wie eben 'nett'. Außerdem hatte man sich in dieser Geist-Mensch-Konstellation zwangsläufig arrangieren müssen und Asa musste gestehen, sich jene ganz ganz ordinären Ausdrücke inzwischen weitesgehend abgewöhnt zu haben, außer in besonderen Fällen. Oder bei Hannibal.
    Der lebende Zwilling grub gerade vorsichtig die Handvoll kühler Erde aus, welche den aktuellen Lebensraum des aufgeschreckten Wurmes darstellte, hob das knochenlose Tierchen vor ihre blassblauen Augen und drehte es leicht, um es von allen Seiten zu betrachten.
    "Regenwürmer deuten auf einen guten Boden hin, hast du den Gärtner vorhin gehört? Wir sollten sie zählen, wenn wir ihnen begegnen, um die Qualität der Erde daran zu berechnen."
    Ein hämisches, heiseres Kichern antwortete von weiter oben, das entfernte Ähnlichkeit mit einer asthmakranken Krähe aufwies.
    Wenn ich früher Würmer fand, habe ich die reichen Patrizierinnen auf die Hochsteckfrisuren geworfen, in die sie sich dann eingegraben haben. Zu dumm, dass ich nie dabei sein konnte, wenn sie am Abend ihre Perücken aufdröselten. Die Alternative 'Händlerware' funktionierte aber auch einwandfrei.
    Wieder folgte ein in Erinnerungen schwelgendes Lachen, ehe sich Asa leicht über die nackten Oberarme strich.
    Hm, komisch. Wüsste ich nicht, dass die Vorstellung total idiotisch ist, würde ich behaupten, dass es irgendwie kälter hier wird...


    Mit Daumen und Zeigefinger zog Asny indessen vorsichtig den Wurm aus den letzten Erdresten und legte ihn sich wie ein sich windendes Juwel auf die Handfläche, wodurch sie sich spontan aller Aufmerksamkeit in der Nähe befindlicher Vögel und eines fleischfressenden Eichhörnchens versichern konnte. Hätten die Götter ihm eine Stimme geschenkt, würde der fleißige Erdenbewohner sich zweifelsfrei erkundigen, wie seine Entdeckerin sich wohl fühle wenn sie sich nackt und ohne ihre schönen langen Haare auf einer riesigen Hand befände. Wie stets mit verträumtem Blick und abwesend zarter Stimme ausgerüstet begann sich die junge Sklavin indes über ihre Entdeckung auszulassen.
    "Zweifellos ist dies ein prachtvolles Exemplar. Ich glaube mich zu erinnern, dass, wenn man Regenwürmer in zwei Teile trennt, beide Teile sich unglaublich schnell regenerieren und transformieren können und unabhängig voneinander weiterleben."
    Ähm... Asny...?
    "ich finde das bei einer vergleichsweise niederen Kreatur außerordentlich faszinierend. Sind sie Menschen nun also wirklich unter- oder vielmehr überlegen? Denk dir nur die Vorteile, bestünde die römische Armee aus Regenwurm-Mensch-Hybriden."
    A... Asny...!
    "Zugegeben, vermutlich hauchen die wenigsten Soldaten dadurch ihren Odem aus, dass ihr Gegner sie durch den Brustpanzer in der Mitte durchtrennt. Aber rein hypothetisch betrachtet..."
    ASNY!!
    "Hm?"
    Da steht ein wenig vertrauenerweckender Kerl hinter dir! Und bedenke, dass ICH ihn wenig vertrauenerweckend finde!
    "Oh, ich weiß. Ich sehe schon ein Weilchen seinen Schatten. Aber wenn er lediglich vorhat, mich stumm von hinten zu beobachten, darf ich doch nicht seine Absichten zerstören und seinen Eindruck von mir verfälschen, indem ich mich meinem Wissen entsprechend verhalte."
    Asas Handfläche traf mit überraschend lautem Klatschen auf ihre Stirn und ihr Mund öffnete sich zu einem Schrei, den wohl nur die tiefsten Abgründe der Unterwelt gellend und hallend vernehmen konnten. Manches Mal schien es tatsächlich verlockender, einfach endgültig zu sterben. Ihre Schwester jedoch stützte sich mit der wurmfreien Hand und den Zehenspitzen auf dem Boden ab um sich die Knie nur leicht anhebend etwa neunzig Grad zu drehen, so dass sie zu dem Unbekannten hochblinzeln konnte, obwohl sie gegen die flimmernd-lichten Sonnenstrahlen kaum mehr als einen dunkleren, hoch aufragenden männlichen Umriss mit hellem blondem Haar ausmachen konnte, zu dem sie dennoch ihr übliches, von ruhigem Interesse durchsetztes Lächeln hinaufschickte
    Ganz toll. Bei Fortunas immer so unglaublich breitem Grinsen, das sie uns zuwirft, bevor sie uns lachend ins Gesicht spuckt, ist das auch noch dieser Sciurus. Du erinnerst dich sicher; der, vor dem du dich in acht nehmen sollst, der ALLERWICHTIGSTE Sklave im Haus, der, mit dem du's dir auf gar keinen verdammten Fall verscherzen darfst, wenn du nicht unglücklich.... Dreck!! Vergiss, was ich gesagt habe, das ist sicher Straton oder Severus oder sonst ein zufälliger Zufallssklave, der nur zufällig...!
    Die geisterhafte Schwester musste nicht erst das irrlichterne Flackern im Winterhimmelsblau der Augen ihrer Schwester erspähen, den veränderten Zug um ihre lächelnden Lippen sehen, es genügte irgendwie völlig zu beobachten, dass sich ihr Kopf ein apartes Stückchen zur Seite neigte, um zu wissen, dass Asny das Schlüsselwort selbstverständlich nicht überhört hatte. Schließlich war 'glücklich' auf einer Ebene mit 'nett' zu suchen.
    "Salve... Sciurus, nicht wahr? Ich heiße Asny, wie dir sicherlich bewusst ist. Überaus erfreulich, dich zu sehen. Kann ich etwas für dich tun?"