Beiträge von Asny

    Zumindest schien er nicht einen weiteren seiner Lachanfälle zu bekommen, von denen man kleinen, unfolgsamen Kindern vermutlich immer erzählte, wenn man sie ins Bett bekommen wollte. 'Wenn du nicht schlafen gehst, hol' ich den irren Flavier und der lacht dir die Ohren blutig'. Wirksamer als jeder Mythos aus der Unterwelt. Vor allem, wenn man dann auch noch von seinem Lyraspiel berichtete. Oder seinem Sinn für messerscharfe Ironie. Aber wahrscheinlich versuchte sich dieser arme Mensch nur gegen ihre fiese, gemeine Art zu verteidigen, etwas, das er schlicht nicht gewöhnt war zu tun. Wenngleich Asny das nicht ganz verstehen konnte. Mit diesen Fähigkeiten und den dazu passenden Charakterzügen musste er doch sein halbes Leben lang seine Umwelt dazu provoziert haben, ihm auf verschiedenen, lustigen Wegen wehzutun. Die einzigen Voraussetzungen, welche ihn möglicherweise gerettet hatten, waren sein Stand, sein Name und sein Geld. Vielleicht befand sie sich hier auch einem verwöhnten, verhätschelten Söhnchen gegenüber, das stets in seiner regenbogenbunten Seifenblase gelebt und sich nie gegenüber irgendwem hatte verteidigen müssen, ganz einfach weil ihn niemand jemals angegriffen hatte. Selbstverständlich wusste Asny um ihre Fertigkeiten wenn es darum ging, bei ihren Gesprächspartner rasch negative Emotionen zu wecken, was für die meisten gänzlich unerwartet war, doch das Überraschungsmoment dürfte dennoch langsam verflogen sein. Trotzdem schien er noch nicht ganz eine sinnvolle Taktik für den Gegenangriff gefunden zu haben. Er suchte, ohja, sogar recht weitflächig. Möglicherweise war dies das Problem, mit diesem Breitband-Rückschlag verstreute er sich zu sehr, anstatt auf einen direkten, konzentrierten Angriff zu setzen, hinter den er seine volle Überzeugung setzte. Selbstverständlich hätte sich Asny ihm in eigentlich allen Manövern überlegen gefühlt, doch momentan wurde sie von dem entspannten Gefühl heimgesucht, einem verletzten Schmetterling, welcher hilflos auf dem Boden herumkrabbelte, beim Sterben zuzuschauen.


    Nun ging er also wieder zur Ironie über. Dies war immerhin besser, als wenn er kurz davor stünde, sich selbst zu vergessen und sich auf den unkontrollierten Schlag seiner Hand zu verlassen. Nicht, dass dies unverdient geschähe. Asny wusste genau, was für ein insensibles Scheusal sie in den Augen anderer sein konnte, schon oft genug hatte man ihr diese und ähnliche Titel verliehen. Aber die anderen Leute waren nicht besser. Und sie besaß zumindest keine schmutzigen kleinen Geheimnisse, tratschte nicht heimlich hinter den Rücken anderer, verbreitete Gerüchte und brachte Konkurrenten in Misskredit, ließ Feinde in dunklen Gassen ermorden oder trieb es mit dem Bruder ihres Mannes. Dennoch schienen solche geheimen Aktionen immer noch ehrenvoller und freundlicher zu sein, als wenn man dem Problem in aller Öffentlichkeit und ohne jedwede Verschleierung auf den Fuß trat. Menschen waren ein verlogenes Volk, das nichts weniger ausstehen konnte, als eine direkte Wahrheit in ihrer Mitte. Dabei war es nicht so, dass Asny niemals log. Gelangte sie dadurch leichter an ein Ziel, wollte sie erst einmal ungestört eine Lage sondieren, wie nach ihrer Ankunft in der Villa, war sie eine formvollendete Schauspielerin. Doch dies änderte sich. In den seltensten Fällen erreichte sie ihre Absichten mit blanker Höflichkeit.
    "Ich verzeihe dir. Irren ist schließlich nur allzu menschlich, nicht wahr? Was nun die herrschaftliche Meinung und das 'voll nehmen' anbelangt - kein Sklave nimmt die Meinung seiner Herren 'für voll'. Sie geben dies lediglich vor. Und ich tue das nicht. Ich halte nichts davon, derart noble Herren wie dich freiheraus anzulügen. Aber nein, mein Wurf, welcher keinen tätlichen Angriff darstellte, weil er nicht traf, erfolgte nicht rein freundschaftlich. Ich plante, die offensichtlich schwer kranke, schreiende Katze damit zu erlösen, welche sich den Indizien folgend im Garten gerade fürchterlich quälte. Dann fand ich dich und habe den Stein anderweitig entsorgt. So du dies wünschst kann ich jedoch gerne zum direkten Vergleich einmal einen tätlichen Angriff auf dich mit besagtem Stein simulieren. Unterschreibe jedoch bitte zuvor eine Einverständniserklärung, tote Flavier im hortus bedeuten in der Regel Komplikationen, wie ich bereits zuvor erwähnte. Einen guten Rosendünger, gewiss, leider jedoch eben auch Komplikationen."


    Es wäre zudem einmal eine interessante Überprüfung seines Status' innerhalb der Villa gewesen, hätte sie die Botschaft über die schwere Verletzung zu seiner Familie getragen. Vermutlich hätte der zweifelhafte Mechanismus namens 'heilige Familienbande' gnadenlos gegriffen, welcher besagte, dass nicht einmal allzu mangelhafte Exemplare dieser gens aussortiert und stillschweigend entsorgt werden durften, bevor sich die Kunde ihrer Taten und Worte noch verbreitete wie Unkraut und das gesamte Beet in Verruf brächte. Asny besaß Aristides' Meinung zu dem Thema noch ausgesprochen gut in Erinnerung. Andererseits hatte sich zum damaligen Zeitpunkt auch noch kein Piso häuslich eingerichtet und die Möglichkeiten des Gebrauchs von Moos in Richtungen gelenkt, die eine effektivere Lösung des Problems brächten als es in die Ohren der Zuhörer zu drücken.
    "Dein Lachen klang in etwa so ehrlich wie deine Entschuldigung. Und was du als 'kernig' bezeichnest würden andere eher mit 'degoutant' in Einklang bringen. Mir ist bewusst, dass du nun wie viele andere auch konsequent meine Meinung herabwürdigst, weswegen ich mich auch meist nicht als Ratgeberin eigne. Nicht, weil es mir an Intelligenz mangelt, sondern weil ich am entzündeten Stolz der Ratsuchenden zwingend scheitern muss. Ein schweres Schicksal, fürwahr, doch ich trage es mit Fassung."
    Aha, die Mutter also. Ein Schwachpunkt, jedoch wahrscheinlich nicht der einzige. Die Flavier schienen tatsächlich stark auf familiäre Bande fixiert zu sein. Möglicherweise weil sie diese Blutsverbindungen brauchten, um gegen die Welt dort draußen bestehen zu können. In Asnys Blick legte sich ein flüchtiger, dunkler Schatten, der stark verdeutlichte, was sie bei der Entdeckung dieser Achillesferse empfand. Es war weniger der Sachbestand an sich als die Art und Weise, wie empfindsam und wie bloß Piso hier eine Angriffsfläche präsentierte, und das auch noch vor jemandem, welcher bei ihm sicherlich längst in eine eher feindliche Kategorie driftete als in die einer Vertrauensperson. Und die weißblonde Sklavin pflegte in derartigen Wunden ohne den Anflug eines Gewissens herumzutasten, mit Salz und Essig an den Fingern. Besonders dann wenn man glaubte, sie hätte diesen Umstand bereits längst vergessen.


    Seine Reaktion war wirklich recht interessant. Ihre Ehre angegriffen... glaubte er, sie hätte einen konkreten, bösartigen Angriff auf ihn ausgeführt? Und im Gegensatz zu ihm war ihr bewusst, dass die Ehre ihrer Familie oder gar ihres Volkes einen Dreck wert waren. An dieser Stelle würde man bei ihr garantiert keine Angriffsfläche finden.
    Gelassen und desinteressiert zuckte sie mit den Schultern, während ihr Blick so kalt und weich wie die Berührung einer Schneeflocke auf nackter Haut wurde.
    "Ich habe nicht vor, irgendeinen Ödipus-Komplex aufzuschneiden gleich einem eitrigen Geschwür. Und da du derart empfindlich reagiert hast, muss dieses Geschwür äußerst schmerzhaft sein. Geradezu entstellend. Aber es ist deine Seele, welche Wucherungen du darauf züchtest, kann mir einerlei sein. Und wahrscheinlich hast du schlicht recht. Davon auszugehen, dass deine Mutter jemanden wie dich lieb haben könnte, greift ganz gewiss massiv ihre Ehre an." Ihr Lächeln mochte weniger ausdrucksstark als das seinige ausfallen, doch in seiner eigentlich sanftmütigen Unschuld wirkte es um einiges boshafter angesichts der zuvor gesprochenen Worte.
    Asny nahm sich innerlich vor, derzeit wieder vermehrt auf mögliche physische Angriffe von seiner Seite zu achten.
    "Kann ich dir denn noch einen Wunsch erfüllen, Herr? Mir ist es selbstverständlich erst erlaubt zu gehen, wenn du mich entlässt und fortschickst." Jetzt, da sie den Auslöser für ihren gestörten Morgen in Händen hielt, vermochte sie eigentlich wieder ihren ursprünglichen Plänen nachzugehen, falls ihr nicht doch noch etwas einfiele, wobei ihr dieser Flavier behilflich sein könnte. Schließlich bestand er ja nicht nur aus Verstand und Zunge, er besaß zudem noch einen Körper, mit welchem sich auch einiges anfangen ließe, wenn man wusste, wonach es einen verlangte.

    Dir ist schon klar, dass du an diesem Kalb locker drei Stündchen zupfen kannst und er dennoch nicht einmal annähernd ansprechend aussehen wird? Asa beäugte mit zweifelnder Miene das Familienoberhaupt der Flavier und verschränkte mürrisch die Arme vor der Brust. Ihre Unfähigkeit zu stehlen inmitten einer wahren Pracht von zur Schau gestelltem Diebesgut schleuderte ihre Laune weit über alle Abgründe hinaus. Die drohenden Opferungen zu Ehren der Götter taten ihr Übriges. Schon jetzt verspürte sie einen wahnsinnig machenden Juckreiz auf ihrer eigentlich inkorporalen Haut und nur der Wille, ihre kleine Schwester nicht völlig inmitten dieses blasierten Pöbels alleine zu lassen, hielt sie davon ab, schleunigst die Flucht zu ergreifen.
    "Schadensbegrenzung", lautete die kaum hörbar gehauchte Antwort Asnys mit der Gewissheit, dass sie umgeben von einer vielschichtigen Geräuschkulisse aufgrund der Ankunft der Braut - Oder war es doch das Opfertier? Unter diesen roten Schleiern sahen irgendwie alle gleich aus. - vermutlich auch in normaler Lautstärke mit einem Geist hätte plaudern können, ohne dass es irgendjemandem aufgefallen wäre. Abgesehen von eben jenem edlen Grund verspürte die Sklavin einfach kein Interesse, sich wie die meisten anderen den Hals nach einem Schreckgespenst von Braut zu verrenken. Selbstständig hätte sie keinen Herzschlag lang verharrt, um etwas so unerträglich Trivialem wie einer Vermählung beizuwohnen. Nur eine Hinrichtung dürfte noch dröger sein, denn hier wie da war das Endergebnis doch immer dasselbe. Bei der Hinrichtung jedoch wurde man zumindest von allen irdischen Leiden befreit, bei einer Hochzeit tippte den Betroffenden etwas sehr viel Grausigeres als Plutos Abgesandter auf die Schulter. Nämlich der werte, frischgebackene Ehepartner. Wohl dem, der sich in diesem Augenblick der Panik an Namen und Wohnort eines guten, diskreten Giftmischers erinnern konnte.


    Asny versetzte einer hartnäckigen Falte in der prächtigen toga noch einen abschließenden, glättenden Klaps und beschränkte ihr Sichtfeld auf wenig mehr als jenen Bereich, welchen Aristides lockerleicht ausfüllte. Natürlich befand sich außer vielleicht dem Brautpaar niemand an diesem Ort nur um dieser ollen Hochzeit willen. Jeder spielte hier sein eigenes, blasiertes Theaterspielchen und versuchte, mit aufwendigem Äußeren und ansprechendem Verhalten möglichst viele Zuschauer um sich zu versammeln. Kein Wunder, dass man der Braut einen derart gefärbten Schleier angezogen hatte, ansonsten wäre sie wahrscheinlich in all dem zur Schau gestellten Pomp gnadenlos untergegangen. So jedoch hing ein permanent gebrülltes 'Hier bin ich! Ich bin wichtig!' über ihrem Kopf, welches sich bei zu langer Betrachtung mit Sicherheit in die Netzhaut brannte.
    Hey, vielleicht sagt diese Trine ja 'Nein!' und kickt den Kerl über Bord! DAS wäre doch einmal etwas Besonderes! Asa stieß ein schauderhaftes Kichern aus und warf einen prüfenden Seitenblick auf das nach wie vor still lächelnde Profil ihrer Schwester, von der sie ganz genau wusste, wie sehr sie die augenblickliche Nutzlosigkeit der Welt anödete. Da man ohnehin gerade an mit dem allgemeinen Strom an Bord des Schiffes floß, vermochte Asny ihren Teil der Unterhaltung ein weiteres Mal unbemerkt vorzubringen.
    "Wenn sie klug ist, tut sie das. Aber wir sprechen von einer Patrizierin, wann tut dieser Menschenschlag jemals etwas Kluges? Vergiss nicht, sie müssen sich den Wünschen der Männer unterordnen. Also besitzen sie nicht die geringste Gelegenheit, jemals etwas zu tun, das über den Standard von Weben und Gebären hinausgeht."
    Asa nickte schicksalsergeben und stieß einen tiefen Seufzer aus, welcher wie ein eiskalter Windhauch über einem Gräberfeld klang.
    Mein einziger Trost ist, dass sie es nicht besser verdienen. Diese... Celerina begeht doch gerade schon zum zweiten Mal denselben blöden Fehler, oder? Echt, wie beschränkt kann man sein?


    Ihre lebende Schwester zuckte in einer flüchtigen Bewegung mit eine ihrer Schultern und bewegte in dem Versuch der Entspannung den Kopf langsam in beide Richtungen. Sie gäbe einiges dafür, wenn die Zeit einen unerwarteten, aber dafür umso stärkeren Sprung machen und zum Ende dieser Festivität eilen würde. Die Rolle des nomenclator unterforderte sie hemmungslos und solange weder das Schiff sank oder sich Auftragsmörder an Bord schlichen oder Iuno Pech und Schwefel vom Himmel regnen ließe würde dieser Zustand auch noch ein gutes Weilchen anhalten. Was für ein verschenkter Tag. Kurz beschäftigte sich ihr Geist mit der arg deprimierenden Beschäftigung all das aufzuzählen, mit dem sie sich stattdessen weitaus gewinnträchtiger hätte beschäftigen können, doch ihr flavischer Herr forderte einmal mehr ungeteilte Aufmerksamkeit und machte dem traurigen Spuk zumindest für einige Augenblicke ein Ende. Beinahe wäre sie ihm zu Dank für diese unbewusst heldenhafte Tat verpflichtet gewesen.
    Wiederum folgte Asnys sich für wenige Momente schärfende Aufmerksamkeit der des Römers, während ihr Verstand gewohnt zügig die angeforderten Informationen lieferte. Ein wenig in Mitleidenschaft gezogen wurde ihre Konzentration lediglich von dem schwesterlichen Geist, welcher im Erkennen einer bestimmten Person in schallendes Gruftgelächter ausbrach.
    Da, schau mal, unser Prinzesschen bei der Balz! Hat sie am Ende doch noch eine Frau gefunden, die auch auf Frauen steht? Preiset die Götter, endlich haben die durchheulten Nächte ein Ende!
    Einzig Asnys' Willen nach gnadenlos disziplinierter Professionalität war zur Verantwortung zu ziehen, dass sie sich trotz der seitlich aus dem Totenreich an ihr Ohr klingenden Worte noch auf Piso als Piso und nicht als 'Prinzesschen' zu fokussieren vermochte, zumal Aristides sich nach der Gesellschaft seines Verwandten erkundigt hatte und nicht nach besagtem Piso selbst. Womöglich erzählte man ihm mit einer Anspielung auf die 'sensible' Seite dieses Teils der Familie auch nichts Neues.
    "Tiberius Prudentius Balbus ist procurator a libellis, zudem der pater familias der plebeischen gens Prudentia. Seine Ehe mit Aelia Vespa blieb bislang kinderlos, doch er besitzt einen Adoptivsohn, Publius Prudentius Scipio. Er wurde als zweiter Sohn von Gaius Prudentius Commodus und Prudentia Sabina in Rom geboren, trat in Tarraco in die Legion ein und ist derzeit Student des Examen Tertium an der Academia Militaris Ulpia Divina. Herr Piso unterhält sich augenblicklich mit Titus Decimus Verus und seiner Tochter Decima Serrana, dominus.“
    Natürlich kursierten noch eine gewaltige Menge Gerüchte, doch davon hielt Asny rein gar nichts.

    Stille.
    Herrliche, allumfassende Stille.
    War es ihr endlich doch gelungen, diesen unleidlichen Plauderer zum Schweigen zu bringen? Selbstverständlich hatte er seinen Nutzen halbwegs ordentlich erfüllt. Ansonsten wäre Asny schon zu einem viel früheren Zeitpunkt dazu übergegangen, ihn schlicht zu ignorieren, so wie sie es mit allen Menschen zu tun pflegte, deren Anwesenheit ihr nichts vermitteln konnte, dem sie irgendeinen Wert beimaß. Solcherlei sinnfreie Subjekte hielten sich in der Regel unter ihren Verwandten auf. Jene vermochte man sich eben nicht auszusuchen, wenigstens bis vor Kurzem. Diese römische Gesellschaft besaß nicht die geringste Ahnung, wie man Freiheit eigentlich definierte wenn sie denn jeden, der den Stempel der Sklaverei trug, instinktiv als unfrei deklarierte. Sie selbst wenigstens bereute ihre Entscheidung keinen einzigen Augenblick und falls sie es doch eines Tages täte, so hätte sie die Gründe für dieses Bedauern ausschließlich bei sich selbst zu suchen, dort, wo jeder intelligente Mensch die Schuld an einer Misere als Erstes suchen sollte. All dieses Gejammer und Gewinsel von alltäglichen Sorgen und Ängsten und Problemchen... ihre Familie konnte dafür als hervorragendes Paradebeispiel genannt werden. Selbstverständlich war es leichter, alle Beweggründe für die schlechte Atmosphäre allgemein und im Besonderen bei einem einzigen Menschen zu suchen, anstatt einmal in sich zu gehen und zu überlegen, was man selbst denn fleißig angetragen hatte, um diesen aktuellen Zustand zu erreichen. Bei allen Göttern der Unterwelt, waren dies traurige Zeiten gewesen, in denen man sie mit sämtlichen hässlichen Unzulänglichkeiten und Schwächen der Sterblichen von früh bis spät konfrontiert hatte. Dagegen war dies trotz einiger Abzüge hier und dort das reinste Freudenfest der Selbstverwirklichung. An diesem Ort hasste man sie einfach und fühlte sich nicht hervorgerufen durch ein nagendes Gewissen der Verwandtschaft dazu genötigt, in unregelmäßigen Abständen zu versuchen, 'alles wieder in Ordnung zu bringen'. Wie auch immer sich ein solch wonniger Zustand im Detail definierte. In dieser villa würde man sie weder mit der unwahrscheinlich stupiden Frage 'Wie geht es dir?' belangen, noch sonstige Anfälle von zwischenmenschlichen Interferenzen ausleben, welche sich in ihrer Sinnentleertheit gegenseitig laut kichernd übertrafen. Ihr Herr würde in nächster Zeit ausreichend damit beschäftigt sein, seine Leibesfülle zu expandieren und bei jedweder honigtriefenden Freundlichkeit ihr gegenüber seinen peitschenschwingenden Sklaven mit der Sehbehinderung herbei ordern dürfen, und was das restliche Haus anbelangte so würde sie ihm je nach Verwendungszweck Aufmerksamkeit zollen. Der große Rest der übrigen Zeit, oder üblicherweise alle Zeit, gehörte ganz allein ihr. Niemandem würde sie gestatten, sich dorthingehend einzumischen, wenn kein außerordentlich guter Anlass dafür vorlag.


    Am Besten begann sie sogleich mit der Umsetzung dieser Absichten und entzog Aristides ihre Aufmerksamkeit, als zöge man einen Vorhang zu, hinter welchem sich der Sklave bereits seit ihrer Ankunft an diesem Ort befand. Aus welchen Gründen auch immer sie sich nach wie vor in ihrer Nähe aufhielten, ihr war es gleich, solange sie dabei nur den Mund hielten.
    Mit einem tiefen, lungenöffnenden Atemzug begrüßte Asny diese willkommene Abwechslung, die zwar ihren Geist munter gehalten hatte, bei der folgenden Konzentration auf ihren Körper beim Gang zurück in ihre Unterkunft jedoch mehr als störend gewesen wäre. Sie war gespannt, wie weit sie sich ihrem eigentlichen Ziel anzunähern vermochte, bevor sie das Bewusstsein zum ersten Mal verlöre. Mit etwas Glück fände sie niemand und sie würde nach dem Aufwachen ihren Weg auch selbständig fortsetzen können. Diese beiden infantilen Gestalten hätten doch hoffentlich Besseres zu tun, als ihr wie dumme Hunde hinterherzuwuseln. Sie hatte nicht vor, Kraft darauf verschwenden zu müssen, die um sie kreisenden Aaskrähen zu verscheuchen.


    Sicherheitshalber schloss sie die Augen, während sie sich vom Lager hochstemmte und in eine aufrecht stehende Position zwang, zu welcher ihr Körper nicht die geringste Lust zu verspüren schien. Jeder einzelne Muskel in ihr schien danach zu schreien, sich zurückfallen zu lassen und die nächsten Tage nicht einmal mehr den Versuch zu starten, auch nur eine Hand zu heben. Ein großer Teil der Schmerzen lag zweifelsfrei nur an diesem verfluchten Durst. Sie hatte einmal gehört, dass sämtliche körperlichen Leiden durch Flüssigkeitsmangel um einiges stärker spürbar wurden, als sie unter normalen Umständen eigentlich waren. Peitschenhiebe blieben zwar auch mit genügend Wasser immer noch Peitschenhiebe, aber die Schmerzen wurden irgendwie anders wahrgenommen. Eine interessante Theorie, die sie in den nächsten Tagen mit Sicherheit ausreichend würde prüfen können. Für ihre jetzigen Bemühungen blieb festzuhalten, dass die Bedingungen ihres Versuchs dadurch noch erschwert wurden. Dadurch, aufgrund der Trainingsgewichte und wegen einem fettleibigen Hindernis in der Tür. Im Grunde durfte sie bereits Stolz auf ihre Leistung verspüren, wenn sie sich überhaupt erheben und zwei Herzschläge lang in der Senkrechten zu bleiben vermochte. Doch Asny fühlte niemals wirkliche Befriedigung bezüglich ihrer Leistung, dafür lebte ein zu gewaltiger Ehrgeiz in ihrer Brust, welcher ein gesundes Maß wahrscheinlich bereits vor langer Zeit hinter sich gelassen hatte, und der kontinuierlich danach brannte, alle möglichen und unmöglichen Grenzen zu überwinden. Zufriedenheit stünde dem nur im Weg und selbst wenn sie sich für jeden Schritt erst ein gutes Weilchen innerlich antreiben und anschreien müsste, so wäre doch jedes winzige Stück auch ein kleiner Triumph, einer, der sie näher an ihr Ziel brächte und den man ihr wahrscheinlich kaum noch zugetraut hätte. Jeder andere wäre jammernd liegen geblieben. Jeder andere war eben auch nicht gut genug.


    Langsame Fortschritte waren nicht schlimm, solange es sich überhaupt um Fortschritte handelte. Zudem hatte sie sich vorgenommen, das kurze Stück bis zur Tür ohne die Hilfe einer stützenden Wand oder sonst eines Hilfsmittels zu überwinden. Im Gang dahinter gab es genug Wand, die ihr den Weg erleichtern würde.
    Nachdem sie verschiedene, allesamt protestierende Muskeln ihres Körpers probehalber an- und entspannt hatte und ihre Atmung unter sicherer Kontrolle glaubte, öffnete sie langsam ihre Augen auf der Suche nach der Tür. Viel größer war ihr Sichtfeld derzeit auch nicht, wie in einer schraffierten Kohlezeichnung wirkte alles geschwärzt und verschwommen. Dies brachte durchaus auch Vorteile mit sich, wie sie sich schmunzelnd eingestehen musste. Ihr Herzschlag war beschleunigt, aber nicht panisch und bis auf gelegentliches Zittern wirkte ihr Körper belastbar. Die Schmerzen waren erträglich. Einer anderen Meinung wäre Asny wahrscheinlich auch dann nicht gewesen, wären die Qualen doppelt so schrecklich.
    Gut, sie sah die Tür und ihren eigenen Standort innerhalb des Raumes vermochte sie zumindest zu erahnen. Die Übelkeit stellte nichts als eine lausige Taktik ihres Körpers dar, denn in ihrem Magen konnte sich nichts mehr befinden, die letzte Mahlzeit lag zu lange zurück. Gallenflüssigkeit zu spucken ergab keinen Sinn. Der Raum bewegte sich nicht, weil das nicht möglich war. Klare, feste Strukturen. Klare, feste Regeln. Ihr Körper gehorchte nur ihr und nicht sich selbst.


    Nach einem neuerlichen Atemzug und einem leichten Senken des Kopfes begann sich die blonde Sklavin mit starrem, wenngleich verschwommenem Blick auf die vermaledeite Türöffnung zu zu bewegen, welche bei den ersten Schritten die Dreistigkeit besaß, von ihr fort zu driften. Einbildung, alles nur ihre eigenen, funktionsgestörten Sinne! Unzufrieden presste Asny die Kiefer aufeinander und gab das ewige Lächeln zugunsten einer höheren Sache vorerst auf. Unter anderen Umständen hätte sie sich zwecks Sinnesschärfe eine Ohrfeige verpasst, doch sie fürchtete um ihr labiles Gleichgewicht wenn sie auch nur einen ihrer Arme zu sehr bewegte. Sie konnte es nicht einmal riskieren, sich die ihr inzwischen wieder teils vor den Augen hängenden Haarsträhnen zurückzustreichen, solange sie sich an nichts lehnen konnte. Nur ihre verklebten Wimpern hielten die fast farblos wirkenden Strähnen noch einigermaßen zurück, aber das musste eben reichen.
    Schweißbedeckt und mit der beunruhigenden Entdeckung einer unregelmäßig beschleunigten Atmung drang irgendwann auf dem langen, langen Weg zur Tür die Erkenntnis in ihr Bewusstsein, dass sie einen leichten Luftzug spürte. Es konnte nicht mehr weit sein. Sie steuerte nicht einmal mehr auf eine klar erkennbare Tür zu, es war mehr ein aufgerissenes, gezacktes und um sich selbst wirbelndes Loch in der Wand, die nicht mehr als solche existierte. Aber es war gut, es näherte sich. Wenn sie vornüber fiele, würde sie sich garantiert die Stirn schon am Türrahmen anschlagen. Trotz aller Anstrengung brachte dieser Gedanke erneut ein müdes Lächeln auf ihre Lippen, welches sich allerdings nur sehr flüchtig hielt. Ihr Kopf fühlte sich mit jedem kleinen Schritt schwerer an, als wäre es nicht vorstellbar, dass jener sich jemals am oberen Ende eines menschlichen Körpers befunden hätte. Scheinbar verabschiedete sich ihr Verstand gerade nach und nach gleich einem bröckelnden Mosaik in die Unterwelt. Hoffentlich würde sie jedes Steinchen wieder von dort retten können. Wenn sie...


    Asny fuhr wie unter einem ungleich stärkeren Peitschenhieb wie den zuvor erlebten zusammen und kippte nur deswegen nicht um, weil sie instinktiv den Türrahmen zu fassen bekam und sich mit einem ungesunden Ruck an diese Stütze zu ziehen vermochte, an die sie sich nun presste, um Aristides bloß nicht zu berühren. Bravo, jetzt begann sie auch noch zu halluzinieren. Geisterhafte Fratzen zu sehen, die sie aus hervorquellenden Augen angierten und aus dem voluminösen Flavierkörper herauswuchsen wie Pilze an einem Baum. Genau das, was sie jetzt brauchen konnte, einen rasenden Herzschlag und ein ordentliches Fieber. Und wahrscheinlich hatte sie ihren werten dominus noch angestarrt wie Pluto persönlich.
    "Herrje... dich von Nahem zu... evalu...ieren... gereicht dir... ganz und gar nicht... zu einem... Vorteil..." Ihre raue Stimme erschien ihr abwechselnd zu laut und aus weiter Ferne dumpf zu ihr dringend und selbst das folgende Lächeln schmerzte, doch es kämpfte erfolgreich gegen die gerade durch ihre Adern peitschende Furcht an. Zudem sollte dieser Flavier nicht glauben, dass sie mit einem Male eine komplette Charakterverschiebung durchlebte, nur weil sie gerade die elendigste Zeit ihrer Existenz bewanderte. Ohja, diese Erfahrung würde sie ganz gewiss stärken, wenn sie erst die folgende Nacht überlebt hätte.
    Genug pausiert, sie musste weiter, solange sie sich noch zu schleppen vermochte. Die erste Etappe war geschafft, blieben noch... sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie weit es bis zu ihrem Lager wäre, doch hier herumzustehen brächte sie dem keinesfalls näher. Und nun durfte sie sich selbst noch die Unterstützung der Wände zugestehen. Solange ihre Beine nicht nachgaben, würde sie nicht mehr Gefahr laufen, umzukippen. Sie besäße den beruhigenden Kontakt zu etwas Festem, was der wirbelnden Umgebung nur zum Nachteil werden konnte. Und sie wüsste diesen störenden Flavier in ihrem Rücken, was es ihr ersparte, auf ihn zustreben zu müssen. Doch, es ging aufwärts.


    Fünf, sechs Schritte weiter an der Wand entlang wagte Asny die Vermutung, dass sie womöglich sogar tatsächlich bis zu ihrem Lager gelangen könnte, wenn sie bloß stur weiterliefe, alle anderen Tätigkeiten auf ein absolutes Minimum beschränkte und nur bis zur nächsten Ecke dachte. An welcher sie dann die schwierige Entscheidung nach der korrekten Richtung zu fällen hätte. Später, eines nach dem anderen. Atmen und gehen, dies war vorerst das Wichtigste.
    Ich bringe ihn um. Ich schwöre dir, ich presse auch den letzten Rest Leben noch aus ihm raus!
    Nein, das war nicht gut. So gern sie ihre Schwester auch mochte und so sehr sie ihr in den letzten Stunden gefehlt hatte, derzeit war ein ganz schlechter Augenblick für ihre Rückkehr. Zumal Asa sich in einem Zustand derartiger Wut und Hassgelüste befand, dass man wirklich das Schlimmste fürchten musste. Gleich einer nebligen Furie stieg sie aus dem Steinboden links neben ihrem Zwilling empor und obgleich Asny sich nicht umdrehte um die Bestätigung zu finden, wohin der Geist da gerade mit grausam glühenden Augen starrte, so war es doch nicht schwer zu erraten, von wem derzeit die Rede war. Unter einem gepressten Laut sank Asny um ihre stützende Konzentration gebracht auf ein Knie an der Wand herab und bemühte sich, nicht noch tiefer zu fallen. Wahrscheinlich hielt sie einmal mehr lediglich ihre Verärgerung aufrecht. Die jedoch mit dem destruktiven Hass ihrer Schwester nicht im Geringsten zu vergleichen war.
    "Asa...", hauchte die Sklavin zwar zitternd und rau, aber doch mit einem deutlich mahnenden Unterton. Sie hatte in der Regel nichts gegen die üblichen Aktionen ihres toten Zwillings, doch augenblicklich liefen sie ihr extrem gegen den Strich. Die Fingerspitzen hart gegen die Wand gepresst versuchte sie langsam, den Geist in ihren Blick zu fassen.
    Niemand macht das mit meiner kleinen Schwester! Erst recht nicht so ein fetter Patrizier! Ich werde ihn verfluchen. Nicht einen glücklichen Augenblick soll er mehr erleben! Er soll von innen verfaulen, er soll...


    "Asa!" Asny blinzelte ungehalten gegen den diesmal sehr hartnäckigen Schwindel an. Vermutlich halluzinierte sie gerade wieder. Womöglich war ihre Schwester überhaupt nicht wirklich hier. So groß und furchterregend hatte sie sie gar nicht in Erinnerung gehabt. Und auch nicht in Gesellschaft so vieler kichernder Schattenfreunde, die aus den Wänden und der Decke drangen und scheinbar nur auf eine Gelegenheit warteten, einem bedauernswerten Opfer eine Zeit voller Qualen und Ängste zuzufügen. Es war äußerst wahrscheinlich, dass sie alle nur Ausgeburten ihres Fiebers und des Blutverlustes waren. Dummerweise wirkten sie ziemlich real. Die Lufttemperatur sank derart drastisch herab, dass sich eine Gänsehaut auf Asnys Armen und Beinen bildete und ihre Zähne zu klappern drohten, sobald sie ihre Kiefer entspannte.
    "Hör auf damit. Er i-ist nur e-ein W-Werkzeug. M-mach dich n-nicht lächer...lich..." Großartig, jetzt stotterte sie auch noch. Weswegen war es hier nur so verdammt eisig?
    "W-wenn du ihn verf-fluchst, wird er n-nutzlos! Und er bef-findet sich ohnehin b-bereits an der G-grenze..."
    DAS IST MIR EGAL!
    Asny fuhr derart zusammen, dass sie kurz um ihr wankendes Gleichgewicht ringen musste. In einem derartigen Zustand hatte sie ihre Schwester selbst zu Lebzeiten nicht gesehen. Ein amüsiertes, rasselndes Raunen durchlief die Reihen der humanoiden Schatten, welche für diese wahnsinnige, menschenfeindliche Kälte verantwortlich sein mussten. Wo hatte Asa die nur allesamt hergeholt? Aus der Unterwelt in keinem Falle, in die würde sie sich selbst aufgrund eines Marcus Flavius Aristides nicht hinabwagen aus Furcht, niemals mehr von dort zurückkehren zu können.
    Er ist nichts als ein sadistischer, kleiner Bastard, der das Privileg genießt, noch zu leben. Aber das kann man ihm ganz schnell abgewöhnen. Ohja, er wird noch darum betteln, endlich sterben zu dürfen, in der falschen Hoffnung, damit von allen Schmerzen befreit zu sein! Dabei werden sie dann erst richtig anfangen.
    "Asa, nein." Die Sklavin versuchte sich ein wenig zu drehen, um mehr von diesem entsetzlich schlecht beleuchteten Gang im stark beengten Blickfeld zu haben. Ihr Herzschlag und ihre Atmung entbehrten mittlerweile jedweder gleichmäßigen Kontrolle, als wäre sie drei Stunden ununterbrochen gerannt.
    Weswegen 'nein'? Nenn mir einen guten Grund! Weswegen willst du, dass er lebt, während ich tot sein muss? Glaubst du, das wäre spaßig? Ich habe fürchterlichen Hunger, Asny! Wir haben alle Hunger!
    Das glaubte sie ihnen aufs Wort. Inzwischen zitterte ihr erschöpfter Körper nicht mehr nur, er erbebte und krampfte förmlich, umso mehr, als ein grauenhaft langgezogenes Heulen den Gang durchlief und ihr gleich eisigen Metalls in die Knochen fuhr. Trotzdem. Sie war Asny, verdammt nochmal! Ihre Absichten übertrafen an Wichtigkeit die aller anderen, gleich ob lebend oder tot!
    Ein zynisches Lächeln umspielte ihre zuckenden Lippen, während sie von den Knien langsam tiefer sackte.
    "Weswegen? W-weil ich es s-sage. Es ist in Ordnung, w-wenn man H-halluzinationen hat. Wenn s-sie allerdings die O-oberhand gewinnen, m-muss man sich w-wirklich Sorgen machen. Aber ihr k-könnt es gerne versuchen. F-fresst ihn. Mal sehen w-wer schneller ist. Ich o-oder ihr."
    Sie musste nicht wirklich viel tun. Nur nachgeben. Umfallen, liegenbleiben. Vielleicht noch durch ein schwach geöffnetes Lid erkennen, wie sich die auf Aristides zustürzenden Schatten kreischend aufzulösen begannen, zusammen mit der eigenen Wahrnehmung.
    Lächeln.


    Schwärze.



    Und Stille.

    Es war nicht schwer festzustellen, dass die Lyra anscheinend wesentlich größeres Interesse in Asny erweckte, als deren menschlicher Anhang. Stets bevorzugte sie die Arbeit mit leblosen Objekten, oder, wenn es schon Leben in sich tragen musste, Pflanzen, Tieren, Insekten, Würmern. Alles, worüber der Mensch angeblich unangetastet herrschte, war ihr willkommener, als sich mit der Krone der Schöpfung persönlich auseinandersetzen zu müssen. Und dieser Mann, jener angebliche Flavier, ließ in ihr einmal mehr die Erinnerung aufsteigen, weswegen sie genau so dachte. Es hätte sie auch ernsthaft überrascht, wenn er tatsächlich ernsthafte und nützliche Informationen zu seinem Musikinstrument hätte darbringen können. Freiwillige Kooperation brachte man Asny auch nur sehr selten entgegen, nicht einmal dann, wenn es zum Gewinn eines anderes durchaus angebracht und wertvoll gewesen wäre. Anscheinend ging es den Menschen doch immer noch viel zu gut. Es verlangte sie nicht bloß nach Hilfe, sie sollte auch noch respektvoll und freundlich daherkommen, als könnte man sich glücklich schätzen, sie unterstützen zu dürfen. Nur bedauerlicherweise war sie trotz aller Gegenargumente keine Göttin, die in die Herzen der Sterblichen zu blicken vermochte und dort etwas gab, das man respektieren konnte, wenngleich auch alles andere in eine völlig andere Richtung deutete. Die blonde Sklavin war nur imstande mit dem Material zu arbeiten, das man ihr vorlegte.
    Was sich ihr bei Piso da gerade offenbarte waren eine massive Portion Unfähigkeit, geistiger Rückstand, schlechte Prinzipienwahl, mangelnde Menschenkenntnis, miserables Urteilsvermögen, Unmusikalität, ein starker Hang zur Blamage, hinderliche Sturheit und eine katastrophale weil vollständig unbegründete Selbstüberschätzung. Wenig später kamen noch Ordinarität und das Benehmen eines Kleinkindes hinzu. Ohja, die Familie der Flavier durfte sich wirklich glücklich schätzen, diesen Segen der Götter eingefangen zu haben. Jeder wirkliche Komödiant hätte sich angewidert abgewendet angesichts dieser völlig humorlosen Scherze. Zum ersten Mal wurde Asny bewusst, dass es sie bezüglich ihres Herrn doch durchaus härter hätte treffen können. Sie hätte die Leibsklavin dieses gehenden, grölenden Beweises dafür werden können, dass Menschen auch ohne direkten Einsatzes ihres Gehirns lebensfähig waren. Minderwertig, aber lebensfähig.


    Wahrscheinlich war er als Kind - was er ja irgendwie immer noch war - ganz oft von bösen, großen Jungs verprügelt worden. Und dann immer auf den Kopf. Er lebte in seiner eigenen, lustigen, bunten Welt, ähnlich wie sie, nur tanzten bei ihr keine knuddeligen Fantasiewesen Ringelrei und versicherten ihr mit blöde dreinschauenden Knopfaugen, dass sie ihr bester Freund wäre. Der König von Flauschipuh-Land hier würde schon bald mittels recht ungemütlicher Weckrufe aus seinem kuscheligen Bettchen gerissen. Er befand sich dafür genau an der richtigen Stelle. Alles, was noch fehlte, war ein Nutzen für Asny. Ansonsten durfte er ihretwegen sehr gerne gackernd und kichernd im Fischteich absaufen.
    Inzwischen hatte die Sklavin die Lyra wieder sinken lassen und den überaus ausdrucksstarken Blick des Flaviers mit gleichbleibend sanftmütiger Miene erwidert. Wie es schien probierte er sich nun an einer anderen Taktik, der wohl billigsten überhaupt. Der langweiligsten und vor allem der für ihn blamabelsten überhaupt. Wenn wenigstens seine Rhetorik dem zerbrechlichen Argument ein wenig Auftrieb gegeben hätte. Bekam dieser Mann eigentlich noch Unterricht? Plante man, ihm Unterricht zu erteilen? Am Besten sie brachte diesen Vorschlag bei Gelegenheit einmal in einem Gespräch mit Aristides ein, sie hoffte, dass der Ruf der Familie dem gegenwärtigen Oberhaupt nicht vollkommen gleichgültig wäre.


    "Du bist dir schon des Effekts bewusst, wenn du jemanden, der dir so eindeutig überlegen ist, derart tief herabwürdigst, oder? Wenn du den Fakt, dass ich eine Sklavin bin, in solch einer Weise herausstellst, verdeutlichst du damit gleichzeitig deine Unfähigkeit, neben einer Sklavin zu bestehen. Vergleiche uns nicht. Du zeichnest damit ein sehr unvorteilhaftes Bild von dir. Und deine Meinung ist mir völlig einerlei."
    Inzwischen hatte sie die Hände langsam auf den Rücken genommen und damit ebenso die Lyra, denn sie plante keineswegs, diese ihrem Besitzer zurückzugeben. Inzwischen hatte sie eigene Überlegungen dazu angestellt, insofern war die Diagnose und Reparatur nun zu ihrer Aufgabe geworden.
    "Im Übrigen habe ich dir niemals derart profane Titulierungen angedeihen lassen, aus dem schlichten Grunde, dass ich sie für niveaulos und vulgär halte und solcherlei Begriffe aus meinem Wortschatz verbannen möchte. Umso mehr überrascht es mich, sie nun aus dem Munde eines Flaviers hören zu müssen. In diesem Zusammenhang würde ich dir gerne auch den gut gemeinten Ratschlag geben, niemals mehr ein derartig obszönes Lachen wie gerade eben anzustimmen, nicht einmal in deinen persönlichen Räumlichkeiten. Ich bin mir sicher, du wolltest damit etwas wie Überlegenheit, Stärke und Macht demonstrieren, leider ist ein deutlich anderer Eindruck entstanden. Es zeigte Ähnlichkeit mit den Lauten einer Krähe, der aufgrund eines Parasitenbefalls langsam die Lungenflügel aufgefressen werden."
    Nun gut, auch Aristides' gröhlende Lachanfälle drangen ihr durch Mark und Bein und irgendwann würde sie ihm ganz gewiss einen rotbackigen Apfel zwischen die abstoßend aufgerissenen Kiefer pressen, doch wenigstens sprach dieses Verhalten von derber, wenngleich ehrlicher Freude und stellte kein gekünsteltes Möchtegern-Imponiergehabe dar, als wäre er der prunkvolle Darsteller seiner eigenen Theaterbühne.


    Asnys Lächeln verstärkte sich um eine daunenweiche Winzigkeit.
    "Aber wahrscheinlich hat deine Mutter dich einfach zu lieb gehabt, um dir in erzieherischen Maßnahmen die Mundhöhle auszuwaschen, wenn du solch schmutzige Wörter benutzt hast. Und ehrlich, wer könnte jemanden wie dich nicht auf Anhieb ganz furchtbar lieb haben? Du bist mir in der kurzen Zeit, die wir miteinander verbracht haben, auch gleich dermaßen an mein kaltes, totes, freiheitsloses Sklavinnenherz gewachsen, dass ich dir eine solch würdelose Lyra niemals überreichen würde. Ich trage persönlich Sorge für die umgehende Reparatur, mir ist ein ausgezeichneter Instrumentenbauer bekannt. Dadurch lerne ich zudem dieses schöne, wohlklingende Instrument viel besser kennen und vermag dir bei deiner nächsten verzweifelten Künstlerphase gleich angemessen behilflich zu sein. Stell' dir nur vor, das eben Erlebte geschähe mit einer reparierten oder völlig neuen Lyra erneut! Nachher käme noch jemand auf die Idee, du selbst trügest die Schuld an diesen grausigen Klängen!"
    Sie verspürte große Lust, sich ihren Verdacht von einem Fachmann bestätigen zu lassen. Vermutlich hatte sich das ganze Ding aufgrund nicht sachgemäßer Behandlung verzogen und verzerrt. Es käme nicht überraschend zu hören, dass selbst ein Genie auf dem Gebiet der Instrumentenreparatur nur noch fassungslos und bedauernd den Kopf schüttelte und zum Kauf einer ganz neuen Lyra riet. Falls er einem derartig misshandelnden Spieler überhaupt noch eine solche Kostbarkeit anvertrauen wollte.
    "Bei einem derart leidenschaftlichen Spieler gehe ich davon aus, dass du weder Mühen und ganz besonders nicht Kosten scheuen wirst, um dich endlich wieder mithilfe elegant schwingender Seiten und zarten Klängen ausdrücken zu können, nicht wahr?" Auf diese Weise vermochte Asny auch gleich zu prüfen, wie es gegenwärtig mit seinen finanziellen Möglichkeiten bestellt war. Wenngleich Aristides ihr diese Prüfung auch mit keinem Wort aufgetragen hatte, doch dessen Vorstellung einer 'perfekten' Sklavin glich sich eben nicht in allen Punkten mit der ihren der 'besten Sklavin der Welt'.

    Ahoihoi!


    Öhm... Karneval.^^
    Na gut, reicht vermutlich noch nicht ganz. ;)


    Ich werde also die nächsten drei Tage mal schauen, wie sich Antibiotika mit Alkohol vertragen. Falls ichs überlebe, bin ich Dienstag wieder da.^^


    LG
    Asny

    Vermutlich vergeudete sie hier doch nur ihre Zeit. Alles, was dieser frischgelieferte Flavierzuwachs ihr bieten könnte, wäre eine Bestrafung, wenn sie sich weiter mit ihm unterhielt. So gerne Asny auch ihre Grenzen ausweitete, es musste sich in mehr als nur einer Art und Weise lohnen. Sollte sie wiederum für mehrere Tage, womöglich Wochen ausfallen, weil ein medicus ihr strikte Ruhe verordnete, dann musste der Lohn den Aufwand in mehrerer Hinsicht wettmachen. Mit Aristides hatte sie auf diese Art gleich vielerlei Grundsätze klären können, Angelegenheiten, die auf Piso nicht zutrafen, schließlich war er nicht ihr Herr. Er war eine zweifelhaft nützliche Abzweigung am Straßenrand, die erst noch beweisen musste, dass sie den Umweg wert sein würde. Die junge Sklavin besaß nicht die geringste Intention, sich auf diesen Weg zwingen zu lassen, wenn sie sich nicht willentlich dafür entschied. In den letzten Jahren hatte sich nichts in ihrem Leben ereignet, das sie nicht genau so persönlich herbeigeführt hätte. Und im Gegensatz zu den wirklich großen, weitreichenden Erfahrungen war diese Abzweigung nichts als ein kleiner, verwachsener Trampelpfad, den man ebenso gut im Gebüsch hätte übersehen können. Sie konnte ihn ignorieren und hinter sich lassen, so wie sie diesen Vergewaltiger von Musikinstrumenten ohne ein weiteres Wort stehenzulassen vermochte, trotz seines Geplärrs und Gebrülls. Es gab nichts, was sie einem fremden Flavier beweisen müsste. Man konnte an ihm die Manipulation anderer Menschen testen, doch reicher Adel machte es einem in diesem Punkt immer zu einfach. Zwei Tritte in den Stolz, einen Haken auf das Selbstwertgefühl, und schon begannen Adern zu pochen und das Blut zu brodeln. Da war keine Herausforderung, keine Besonderheit, nichts Interessantes. Es war amüsant, aber am Ende doch nur jämmerlich und enervierend.
    Da man sie gerade musterte gleich einer soeben geangelten Meerbarbe intensivierte sich auch ihr Blick kurzfristig zu einer durchdringenden, in längerer Dauer vermutlich unangenehmen Beobachtung. Was sollte sie mit diesem Kerl anfangen? Ihm, der vermutlich gerade dachte, sie trüge persönlichen, aufgestauten Groll gegen ihn. Dabei war er nichts als ein grob geformtes Gesicht auf einer Tonpuppe. Austauschbar, wenig nützlich. Menschen neigten dazu, erst dann einen wirklichen Sinn zu erhalten, wenn Asny einen solchen sorgsam auswählte und ihn mehr oder weniger feierlich verlieh. Ansonsten... Menschen eben. Dieser Begriff sollte bereits alles hinlänglich klären.


    So, er versuchte also, ihr mit Eigenironie den Wind aus den Segeln zu nehmen. Angesichts seiner extremen Darstellung musste er unter der freundlichen Oberfläche tief beleidigt sein. Und dieser kleinen, erdigen Dusche folgend verbarg er sein aufbrausendes Temperament recht mühsam. Natürlich war es auch immer noch möglich, dass er als kleines Kind von einem hohen Punkt auf eine harte Fläche aufgeschlagen war oder ein Produkt flavischer Inzucht darstellte. Mutmaßungen, welche das Ergebnis nicht großartig beeinflussten. Nachdem er sich solche Mühe gegeben hatte, sollte sie dies wohl auch kurz kommentieren. Während ihr Blick flüchtig Zweifel erweckte, ob sie ihm überhaupt zugehört hatte oder zwischenzeitlich in weit entfernte Sphären entschwebt war, zuckte sie endlich doch knapp eine ihrer schmalen Schultern und antwortete gewohnt zart, gewohnt freundlich, doch eher ungewohnt knapp:
    "So kann man es auch ausdrücken. Aber ich wollte nicht unverschämt sein." Hatte er erwartet, dass sie rot anlief und ihm eilig widersprach? Wenn er es gerne so sah und sich selbst erniedrigte, würde sie sich da garantiert nicht zwischen werfen. Ihr Lächeln verstärkte sich eine Nuance, als sie sich in geheuchelter Vertraulichkeit ein wenig zu ihm vorbeugte und ihm zuhauchte:
    "Zudem ist es doch viel spannender, wenn sich das wahre Bild seines Gegenübers erst nach und nach formt." Gleichmütig lächelnd richtete sie sich wieder auf und spielte kurz mit der Überlegung, ob man eine kleine Sucht nach Zynismus entwickeln konnte, doch nur kurz danach kam sie zu dem Ergebnis, dass ihr abgesehen von einem schwachen Vergnügen dorthingehend die Herausforderung und der Sinn fehlten. Was brachte es, einen Säugling anzuspucken?


    Anscheinend hielt er an seiner Taktik fest, sie durch ironische Zustimmung und überzogene Freundlichkeit zu... ja, was sollte ihm dies bringen? Wollte er ihr die Abzweigung pflastern, damit sie auch wirklich abbog? Versuchte er, ihr eine kleine Falle auszulegen, in die sie aufgrund ihres übersteigerten Stolzes blind tappen sollte? Oder wollte er einfach nur seine dämliche Lyra gestimmt haben? Als ob sie daran ihren Wert bemaß. Es hätte ihr tatsächlich mehr imponiert, wenn er nicht so kleingeistig auf seine eigene Würde versessen selbst noch einmal eine Untersuchung durchgeführt hätte, anstatt ihr jetzt um jeden Preis eine Wolke vor die Sonne zerren zu wollen. Aber scheinbar funktionierte ihre Manipulation in diese eine Richtung schlicht zu gut. Der Stier preschte bereits vorwärts und trampelte alles nieder, was ihm vor die Hufe geriet. Und dann war nicht einmal die Aussicht auf einen selbstgeschaffenen Erfolg wichtiger, als die persönliche kleine Rache. Warum wunderten sich dann noch alle, dass sie ihr so hoffnungslos unterlegen waren?
    "Schlau? Das war nicht schlau. Jeder mit einem halbwegs funktionierenden Verstand vermag schließlich eins und eins zusammenzuzählen. Ich hoffe zudem, dass du nicht allzu sehr an deiner hübschen Lyra hängst, die du gerade nur aufgrund deines heulenden Stolzes mir aushändigst, anstatt sie zu einem qualifiziert ausgebildeten Handwerker zu bringen. Doch nun ja, man sagt schließlich, dass auch das Eingeständnis einer Niederlage ein Zeichen für innere Größe wäre. Vielleicht sollte man dabei aber nicht außer acht lassen, dass solche Verlierer-Sprüche in der Regel von... tja, Verlierern benutzt werden."
    Wahrscheinlich sollte sie nun langsam wirklich aufpassen, was seine Hände oder am Besten gleich sein gesamter Körper so anstellten. Würde sie ihn zu nahe an den Abgrund drängen, käme er womöglich überwältigt von Hilflosigkeit auf die Idee, gleich persönlich auf sie einzuschlagen. Und ihr dämmerte gerade, dass dies womöglich Bereiche treffen könnte, welche Aristides gerne unverletzt sehen würde. Zudem durfte sie es ihm nicht zu einfach machen. Je mehr Möglichkeiten sie ihm bot, seine Wut frühzeitig abzubauen, umso kürzer stünde sie im 'Genuss' seiner rissigen Selbstbeherrschung.


    Zur Not konnte sie noch die gerade nicht sehr feierlich übergebene Lyra als einen Schild benutzen, am Besten mit den Zwirbeln voran, die taten bei übereiltem Körperkontakt bestimmt am meisten weh. Sollte er sich ruhig das Ding selbst kaputtschlagen, augenscheinlich arbeitete er bereits etwas länger an dieser Mission. Ruhig senkte sie den Blick auf das Instrument, achtete jedoch darauf, dass sie Bewegungen vonseiten des Besitzers aus den Augenwinkeln noch wahrzunehmen vermochte. Langsam drehte sie die Ursache allerlei Ohrenschmerzen und strich mit dem Zeigefinger behutsam über die Saiten. Zusammengenommen durfte man ruhigen Gewissens behaupten, sie behandele das edle Stück durchaus ehrfurchtsvoll, oder wenigstens sehr viel besser als denjenigen, der für gewöhnlich daran zupfte. Nachdem ihre Fingerknöchel leicht den Klangkörper abgeklopft hatten, bemerkte Asny ohne den Blick von dem derzeitigen Ziel ihrer Untersuchung zu nehmen:
    "Wie lange hast du sie schon? Hatte sie einen 'Unfall' abseits deiner Finger? Hat sie jemals gut geklungen? Hast du jemals auf irgendeiner Lyra gut gespielt?" Der Spieler stellte schließlich ebenfalls einen nicht zu unterschätzenden Faktor dar, welcher ausführlich überprüft werden sollte. Allerdings bezweifelte die weißblonde Sklavin, dass dieser Faktor so bereitwillig kooperieren würde, wie alle anderen, die man eigentlich nur testen und beobachten musste.

    Womöglich benötigte sie gar keine großartige Taktik mehr, um erneut die Grenzen ihres Körpers zu prüfen. Womöglich brachte dieser frischgesprossene Flavier sie ein weiteres Mal in den Carcer oder ans Kreuz oder dachte sich sonst irgendeine 'Strafe' aus, welche ihre Konstitution und Ausdauer verbesserte. Mitunter galten Flavier da als äußerst erfinderisch. Beinahe ein Jammer, dass nur so wenige von ihnen auch in anderen Bereichen Erfindungsreichtum und beachtliches Können zeigten. Doch ihre einzelnen Charakterschwächen durften Asny eigentlich vollkommen einerlei sein, solange sie von deren Bibliothek und Schwächen ausreichend zu profitieren vermochte. Die Bibliothek und ihre eigenen Wochenpläne würden sie noch ein gutes Weilchen in Atem halten, ohne dass sie auf weitere Einfälle vonseiten der Villenbewohner angewiesen wäre. Bis auf eine Kleinigkeit vielleicht, doch darüber würde sie demnächst mit ihrem Herrn ein persönliches Gespräch führen. Sehr wahrscheinlich endete es in langen, zähen und aufbrausenden Verhandlungen, doch nur die Dinge waren wirklich wertvoll, um welche man tatsächlich kämpfen musste.
    Aus jenen Gründen jedenfalls befand sich Asny in der glücklichen Situation, den Kontakt mit Flaviern und natürlich anderen Sklaven auf ein gesundes, akzeptables Maß herabsenken zu können. Zwar wusste sie nicht, wie ihr allgemeiner Ruf unter den höheren Herrschaft gerade war, im besten Falle konnten sie sich kaum an ihren Namen erinnern, doch bis dato hatte sie mit niemandem von ihnen ein längeres Gespräch oder eine zu gewichtige Aufgabe erfüllen müssen. Oder, in passenderen Worten formuliert, niemand hatte ihren Tagesablauf bislang derart durcheinander gebracht, dass er ihren persönlichen Unmut auf sich gezogen hätte. Und auch jener Mann hier war eigentlich noch ein gutes Stück davon entfernt. Trotz seines desaströsen Lyraspiels würde er keinen derart gewichtigen Eindruck bei ihr hinterlassen, um ihr die Konzentration für ihre kommende Aufgabe zu rauben. Wenn er sie strafte, tat er ihr und ihren Absichten im Grunde nur einen angenehmen Gefallen. Man durfte mit Fug und Recht behaupten, dass Asny geradezu unbezwingbar war und sich mit diesem Gefühl auch durchaus wohlfühlte.


    Es war ein interessantes Schauspiel, wie dieser Flavier sich zur Seite warf, obgleich sie den fliegenden Stein einen Bogen formen ließ, als meide selbst das leblose Ding den direkten Kontakt mit ihm. Sie vermutete hinter diesem plötzlich in der villa eingekehrten Neuankömmling einen finanzschwachen kleinen Parasiten, doch natürlich kannte sie ihn bei Weitem nicht genug, um diese Hypothese entweder zu bestätigen oder zu widerlegen. Allerdings war sie niemals schlecht damit gefahren, bei ihren Mitmenschen selbstsüchtige, niedere Absichten zu vermuten und es drängte sie auch nicht danach, in die Abgründe dieses Mannes einzudringen auf der Suche nach der einzig richtigen Wahrheit. Hätte er sie nicht mit einem akustischen Speer in die Seite gestochen, wäre an dieser Stelle niemals irgendein Kontakt geknüpft worden. Womöglich wünschte sie sich recht bald, ihre Verärgerung überwunden und sich einfach mit Bienenwachs die Gehörgänge versiegelt zu haben.
    Ob sie ihm sagen sollte, dass es eine eher kontraproduktive Geste darstellte, mit einer Hand, welche eben noch den erdigen Boden und die verschmutzte Tunika berührt hatte, über sein Haupthaar zu streichen? Asnys blassblaue Augen verließen die seinen und wanderten kurz ein wenig höher, ehe sie sich dazu entschloss, diesbezüglich den Mund zu halten. Wahrscheinlich würde es ohnehin gleich eine Standpauke hageln, denn der Stoff seiner nun dezent ruinierten Gewänder wirkte nicht gerade billig. Entweder jemand hatte ihm eine großzügige Spende aus dem Familienschatz zukommen lassen, oder er war doch keine abgebrannte Zecke, die sich am flavischen Wohlstand festsaugte wie an einem räudigen Straßenköter.
    Schließlich ergriff Piso seinerseits das Wort, in einem überraschend zivilisierten Umgangston wenn man bedachte, dass er gerade am Boden und im Dreck kauerte, wohin ihn eine Sklavin und ein Stein befördert hatten. Entweder er disziplinierte seinen Zorn für einen späteren Zeitpunkt, an dem er umso schmerzhafter über sie hereinbrechen würde, oder die Unfassbarkeit ihrer Tat wirkte noch ein entzückendes Weilchen länger. Dem Inhalt seiner Worte nach zu urteilen, versuchte er seinen tatsächlichen Gemütszustand mit gelassener Ironie zu überspielen. Zumindest blieb das zu hoffen, denn die Alternative wäre, dass er diese Aussage wirklich ernst meinte. Ruhig und mit unbewegt sanftmütiger Miene lauschte Asny erst einmal seinen Äußerungen und ließ lediglich ihre Pupillen folgen anstatt den gesamten Kopf leicht zu heben, als er sich zu voller Größe erhob und auf sie zutrat. Da sie ihn nun unter ihren hellen Brauen hervor anschaute, bekam ihr Blick trotz aller unbeeindruckten Verträumtheit etwas Dunkles, Lauerndes, wobei es sich natürlich um eine Täuschung handeln musste.


    So, nun versuchte er die volle Verantwortung für diesen Auswurf einer Sirene in den Wechseljahren also ihr aufzubürden. Doch seine weiterhin herrschende Ruhe und Freundlichkeit waren währenddessen durchaus interessant. Kein anderer Flavier, wahrscheinlich nicht einmal ein angeheirateter, wäre dazu in der Lage gewesen. Entweder hier regierte eine unglaubliche Beherrschung oder ein durchweg fehlender Familienstolz. Erst einmal verschob Asny diese Überlegung zurück in einen Wartestatus, als er ihr demonstrativ den Ursprung all ihrer aktuellen Probleme entgegenhielt. Flüchtig juckte es sie in den Finger, das Ding zu nehmen und gegen eine der hübschen Marmorsäulen zu schleudern, um hier wieder die benötigten Favoriten 'Ruhe' und 'Frieden' einkehren zu lassen, doch wahrscheinlich wäre all seine Selbstkontrolle dann wie von einem Sturzbach abgewaschen. Und Männer vermochten durchaus ebenfalls ein Geheule und Gekreische anzustimmen, das selbst die Furien vor Schreck verstummen ließ.
    "Oh, es mangelt mir keineswegs an Treffsicherheit. Doch so erfreut man in jedweder anderen villa dieser schönen Stadt auch auf das Ableben eines Flaviers reagieren würde, ich fürchte, ausgerechnet an diesem Ort brächte eine solche Tat eher unangenehme Folgen mit sich. Natürlich könnte ich mich diesbezüglich auch irren, mir ist nicht bekannt, welchen Status du genau innerhalb der Familie bekleidest." Wahrscheinlich hatte es seinem Ansehen hier außerordentlichen Gewinn gebracht, dass Asny ihn bei der Lyraprobe vor beispielsweise Aristides erwischt hatte. So liebenswürdig wie die Worte ihre Lippen verlassen hatten, neigte sich nun ihr Kopf leicht seitlich, ehe sie mit sehr weichem Klang in der Stimme fortfuhr:
    "Auf den Gedanken, dass es nach deinen zahlreichen Einkäufen unmöglich weiterhin an den Saiten liegen kann, bist du also noch nicht gekommen? Die Wahrscheinlichkeit, dass man dir fünfmal mangelhafte Ware verkauft, läuft gegen Null. Nun gut, inzwischen könnte der Händler auch gemerkt haben, dass er dir all seinen billigsten Ramsch zu überteuerten Preisen andrehen kann, du aber trotzdem wieder vor dem Ladentisch erscheinst. Doch bevor ich zum wiederholten Male denselben Faktor kritisiere, schaue ich mir für gewöhnlich erst einmal die übrigen Faktoren auf ihre Tauglichkeit an. Eine Lyra besteht meines Wissens nicht nur aus Saiten. Möchtest du anhand dieser Information ergo selbst noch einmal dein Instrument untersuchen oder gestehst du dir deine Niederlage bereits zu diesem Zeitpunkt ein und überreichst den Staffelstab nun feierlich mir?"
    Lächelnd hob die Sklavin in einer betont langsamen Bewegung ihre Hand, als wolle sie Piso in absehbarer Zeit und natürlich von reinster Hilfsbereitschaft beseelt die Lyra abnehmen.

    Natürlich wäre es ein sehr, sehr langer Weg zurück zu ihrer Unterkunft. Und selbst, wenn sie dort ankäme, würde sie kaum selbständig ihre Wunden versorgen können. Diese einfache Tatsache störte sie an der gesamten Bestrafung wohl am meisten. Der Umstand, dass es ihren Rücken betraf, den sie weder richtig betrachten, noch gänzlich eigenmächtig behandeln konnte. Welcher namenlose Idiot hatte sich nur gerade diesen Punkt als allgemein gültige Körperstelle für allerlei Peitschenstrafen ausgedacht?! Es existierten andere Bereiche, an denen der Schmerz noch um ein Vielfaches gewaltiger ausfallen würde. Aber wahrscheinlich waren die Ausführenden dieser Aktionen in der Regel kurzsichtige Hirnlose, die eine dementsprechend leicht zu treffende Zielfläche benötigten. Allein der Gedanke, sich auf irgendeinen miserablen medicus oder noch schlimmer, einen Sklaven verlassen zu müssen, zog Asnys Magen mehr zusammen, als jeder Kreislaufkollaps. Selbstverständlich würden die Flavier vermutlich keinen unfähigen Scharlatan zu Heilzwecken beschäftigen, sondern hoffentlich einen Meister seines Fach - möglicherweise gar einen Griechen! Die kurzfristig stark abgesunkene Stimmung der jungen Sklavin hob sich schlagartig wieder, wenngleich man beides ihren permanent erschöpft lächelnden Zügen nicht angemerkt hatte. Ein Grieche als medicus wäre formidabel, dadurch könnte sie während der Behandlung ihre Kenntnisse dieser Sprache verbessern. Neben einem ungeschlachten, impulsiven Herrn und einer ausgezeichnet ausgestatteten Bibliothek wäre das bereits der dritte, großartige Pluspunkt, welchen die Villa Flavia bei ihr zu verbuchen vermochte. Vielleicht verschmerzte sie bei einer solchen Wende sogar halbwegs den Umstand, kaum selbst etwas hinsichtlich der Wundheilung durchführen zu können. Obgleich sie es selbstverständlich versuchen würde. Ihr Misstrauen anderen Menschen gegenüber war beinahe so kolossal wie ihre Arroganz, da sich beides recht gut aneinander nährte. Anders konnte man sich ihre Meinung bezüglich der lebenden Umgebung, welche auch gut und gern zu einem alternden, verbitterten Soldaten gepasst hätte, kaum erklären.


    Trotz aller logischen Komplikationen bezüglich des weiteren Abends hielt Asny jedoch nach wie vor daran fest, sich ihren Zustand und dessen Auswirkungen nicht nach außen hin anmerken zu lassen, außer ihr Körper entschlüpfte kurzfristig der Macht des Willens und entzog sich jeder Kontrolle. Doch so unerbittlich und hart die Sklavin auch zu anderen war, gegenüber sich selbst steigerte sich diese Erwartung noch um ein fast schon wahnsinniges Vielfaches. Menschen begingen Fehler, weil sie eben eine angeborene Unfähigkeit besaßen, diese 'Ausrede' vermochte bei ihr allerdings nicht zu wirken. Dafür arbeitete sie zu hart an sich, verkörperte zu viel Disziplin und zu wenig Selbstmitleid. Ohne jede Gnade würde sie ihren Körper weiter voranpeitschen, bis er sie umgekehrt vermutlich ihres Bewusstseins beraubte. Natürlich teilte die Vernunft Asny ihre Grenzen mit, diese Nachricht nahm sie auch zur Kenntnis. Und dann überschritt sie jene angeblichen Grenzen, in reinster Absicht. Ihr war bekannt, dass sie ihre Räumlichkeiten niemals selbständig erreichen würde, ganz bestimmt nicht mit hasserfüllten Sklaven in ihrer Umgebung. Doch sie wollte erkennen, wie weit sie trotz dieser Prognose tatsächlich käme. Im Voraus bereits aufzugeben war für sie keine Alternative. Dies taten nicht einmal Babys, die trotz dessen sie noch nie gelaufen waren, dennoch um jeden Schritt kämpften. Wie also konnte ein wesentlich stärkeres, wesentlich intelligenteres Wesen anders darüber denken und dann noch behaupten, es hätte vorausschauender und weiser gehandelt?


    Aber wahrscheinlich stellte dies nur eine ihrer ureigenen Prinzipien und Philosophien dar, die außer ihr niemand verstehen wollte. Erst recht nicht so ein fauler Kerl wie Aristides. Im Grunde hätte er ihr Mitgefühl verdient, wäre Asny tatsächlich noch zu einer solchen Empfindung fähig. In früheren Jahren hatte er womöglich einmal wirklich durchtrainiert und athletisch ausgesehen, zumindest bezweifelte sie, dass sich in der heutigen 'Moppeligkeit' noch Reste von Babyspeck fanden. Nein, vermutlich genoss er einfach zu sehr die Vorteile seines Reichtums, nach dem Krieg und möglichen Entbehrungen, welche ihn als Flavier garantiert nicht so getroffen hatten wie den normalen Soldaten, unter Umständen sogar noch mehr als zuvor. Ergo würde man sich darauf einstellen können, dass seine Figur sich im Laufe der nächsten durchschlemmten Monate noch mehr einem Sack Getreide angleichen würde. Seine bedauernswerte Gemahlin. Man konnte nur hoffen, dass sie auf den Charakter eines Menschen mehr Wert legte als auf Äußerlichkeiten, wenngleich sie auch mit dieser Einstellung zweifelsfrei eine herbe Enttäuschung würde erleben müssen. Anscheinend glichen auch Aristides' innere Werte mehr und mehr einer weichen, teigigen Masse. Dass er sich überhaupt erneut auf eine derartige Diskussion mit ihr einließ, ihr anscheinend das letzte Wort gestattete, zeugte von wenig Charakterfestigkeit und Rückgrat. Oder war sie immer noch zu nett und harmlos gewesen?


    "Natürlich habe ich recht. Ich habe grundsätzlich immer recht. Ein ehernes Gesetz, so wie der Regen auf die Erde fällt und Flüsse gen Meer streben." Sie räusperte sich leise, ehe sie ihren Herrn, den sie aufgrund des größeren Abstandes, der nun zwischen ihnen herrschte, ohnehin nicht mehr klar hatte sehen können, zur Gänze aus ihrer Aufmerksamkeit entließ und sich langsam in eine senkrechte Körperhaltung hocharbeitete. Am Ziel ihrer Bemühungen nahm sie noch einmal einen tieferen Atemzug, ehe sie sich langsam an eine Drehung machte und dabei versuchte, ihre Beine über die Kante des Lagers rutschen zu lassen, um wieder festen Boden unter den Füßen zu finden. Solange ihr Kopf in einigermaßen gleicher Höhe bleiben konnte, schien alles halbwegs passabel zu funktionieren, wenngleich jede Bewegung sie Überwindung und eigentlich nicht mehr vorhandene Kräfte kostete. Entgegen ihrer Absicht amüsierten sie Aristides' Worte selbst jetzt noch derart, dass sie leise keuchend lachen musste.
    "Selbst wenn ich an Armen und Beinen gelähmt wäre, im direkten Vergleich mit den anderen Sklaven hier könntest du von mir nicht als 'defekt' reden, ohne dem Rest damit jedwede Lebensfähigkeit abzusprechen. Im Übrigen ist deine Menschenkenntnis eine Katastrophe. Glaubst du wirklich, ich - ich! - wäre bereits dreimal das Risiko eingegangen, mir von einem minderwertigen Mann auf verschiedene Weise die Gesundheit ruinieren zu lassen? Es gab drei, die es versuchten, und die ich von ihrem offensichtlichen Leiden erlösen konnte. Ich habe sie entmannt. Insofern wärest du an dieser Stelle die Nummer vier geworden. Doch es ist erfreulich, dass wir uns gegenseitig abstoßend genug finden, um dem vorzubeugen. Es stellte stets eine recht unästhetische, wenngleich auch lehrreiche Operation dar."
    Von irgendwelchen anderen Sklaven in den Schatten des Ganges vor der Tür hatte Asny rein gar nichts mitbekommen, obgleich es nicht zu erwarten gewesen wäre, dass sie sich mit diesem Wissen in besonderer Weise anders verhalten hätte. Inzwischen hatte sie es tatsächlich schwer atmend, aber glücklich in eine sitzende Position geschafft und verknotete die Reste ihrer Tunika um die Hüfte, weniger aus Schamgefühl, als um tatsächlich zu testen, inwiefern ihre Hand-Augen-Koordination noch vorhanden war. Wahrscheinlich war es mehr der schon lange bestehende Instinkt, einen einfachen Knoten zu machen, als dass die Augen den Fingern noch jede Schlaufe und jedes Ziehen zu erklären brauchten.

    Huhu!


    Mein lieber Onkel Doc hat mich heute bis einschließlich kommenden Mittwoch aufgrund grippalen 'Defektes' krankgeschrieben.
    Ich werde aber jeden Tag nachmittags on kommen, nur eben nicht so lange.^^ Ich schreibe dann wie gewohnt zu Hause, erwartet nur keine Rosamunde-Pilcher-Romane. ;)


    Bitte bei meinen beiden Herrn vielmals um Entschuldigung.


    LG
    Asny

    Wenngleich auch das komplette Naturpanorama Asnys Aufmerksamkeit nur schwerlich von ihrem Herrn, den man sicherheitshalber eigentlich kontinuierlich im Blick behalten sollte, zu verscheuchen vermochte, so gelang Asa diese Herausforderung bedeutend einfacher. Deren inkorporaler Körper flatterte ungeduldig von einer mit Schmuck reichbehangenen Patrizierin zur nächsten, um bei jeder zunehmend frustriert den Versuch zu beginnen, ihr die Juwelen von Hals und Kopf zu stehlen. Natürlich fuhren ihre blassen, doch deswegen mitnichten weniger gierigen Hände durch alles hindurch, was sie zu greifen versuchte, dementsprechend hoch war ihr Frust inzwischen gestiegen. Dermaßen viele wunderbare Möglichkeiten und sie musste gerade jetzt so fürchterlich tot sein! Welch ein grausames Schicksal für eine so begabte junge Diebin! Ihre Schwester fiel als Notlösung schon allein wegen dem nervtötenden Geklimpere an ihren Armen aus. Man hätte ihre Bemühungen bereits fünf Meter vom eigentlichen Ziel entfernt bemerkt. Asa verzog die silbernen Lippen zu einer trotzigen Schnute und schwebte schließlich mit vor der Brust verschränkten Armen zu ihrer Schwester zurück, die immer noch diesen verdammten Flavier bewachte gleich einem hungrigen Kerberus. Die Laune des toten Zwillings gefror um weitere Grade. Als ob man diesen fetten Kerl in seiner knalligen Warnfarbe jemals übersehen könnte! Eher übersah man das gesamte Schiff!


    Asny bedachte ihre Schwester, gerade der Inbegriff des Schmollens, mit einem kurzen Blick, ehe sie sich wieder ihrem Herrn zuwandte und instinktiv einigen eilig vorbeidrängelnden Menschen auswich, bevor sie noch einen spitzen Ellbogen abbekam. Als sie bemerkte, wie Aristides suchend den Kopf wandte, näherte sie sich ihm zur Sicherheit noch zwei Schritte, wodurch sie nun unmittelbar hinter ihm aufragte und in seinem Schatten darauf wartete, womöglich entdeckt und angesprochen zu werden. Ihre größte heute zufallende Aufgabe, die des nomenclators, hatte zumindest ihr Gedächtnis ein wenig trainiert. Sollten sich jedoch die Hälfte der Namen auf der Gästeliste heute entschuldigen, würde sie ihr sorgsam gestapeltes Wissen nicht einmal anwenden können. Nicht, dass sie die Bestätigung ihres Herrn bezüglich ihrer Fähigkeiten benötigte, doch sie verschwendete ihre kostbare Zeit nur äußerst ungern mit nutzlosen Tätigkeiten. Ihr persönlich brachte es schließlich rein gar nichts, wenn sie die Namen einiger Mitglieder der Oberschicht Roms im Schlaf herunterbeten konnte.
    Tatsächlich schien Aristides' Blick nach ihr gesucht zu haben und an dem lächerlich gutmütigen Grinsen in seinen Mundwinkeln war deutlich abzulesen, dass ihm ihr heutiger Aufzug zusagte.
    Natürlich gefällt ihm das, dein Anblick erinnert ihn an deftigen Schinken und würzige Würstchen. warf Asa hämisch ein und streckte dem Flavier mit einem feucht-prustenden Geräusch die Zunge heraus. Asny verneigte sich entsprechend der wohlwollenden Aufmerksamkeit ihres Herrn und behielt ihr sanftmütiges Lächeln ansonsten bei. Inzwischen war das Verhältnis zu ihrem dominus viel zu harmonisch. Wahrscheinlich begann er die Demütigungen ihres ersten Aufeinandertreffens bereits zu vergessen. Daran musste sie schleunigst etwas ändern. Natürlich nicht in aller Öffentlichkeit, wenn sie ihn hier auf die Knochen blamierte, fiele das am Ende nur auf sie selbst zurück. Aber da die Berührungspunkte zwischen ihnen in sehr kleinen Zeitfenstern lagen und ihr das Lernen dann immer wichtiger gewesen war, blieb die passende Gelegenheit bislang aus. Doch die ließe sich herbeiführen. Er sollte bloß nicht glauben, das zwischen ihnen plötzlich der ultimative Frieden ausgebrochen wäre.


    Sie beugte sich leicht zu ihm und ließ ihre Augen seinem Blick folgen, wodurch sie trotz ihrer weniger überragenden Größe recht schnell das bewusste Paar ausfindig machte. Notgedrungen musste sie sich zwei Herzschläge lang so unsichtbar wie möglich auf die Zehenspitzen stellen, um zwischen den Köpfen und Schultern hindurch das Gesicht des Mannes einwandfrei erkennen zu können. Ihre unmittelbare Nähe brachte den flüchtigen Duft nach sommerlichen Rosen mit sich, wodurch sich ihre Unzufriedenheit mit dieser Aufmachung womöglich auch noch erklärte, ehe sie sich nach der Benennung der Namen wieder etwas von ihrem Herrn zurückzog.
    "Dabei handelt es sich um Tiberius Prudentius Balbus und seine Gemahlin Aelia Vespa." Natürlich hatte sie noch weitere Informationen über dieses Paar memoriert, die sie falls benötigt offerieren konnte, doch meistens genügte bereits die Äußerung eines Namens, um den Verstand ihres Herrn in Bewegung zu setzen. Damit sie die gewohnte Trägheit dieses 'Wagens' nicht noch unterstützte, sollte Aristides sein Kopfgefährt so oft wie möglich immer noch selbst benutzen, anstatt durch ihre Hilfe bereits an den Endpunkt der Reise gesetzt zu werden.
    Da sich kurz danach bereits durch Kindergeschrei die Ankunft der Braut abzeichnete, konnte Asny nur hoffen, dass er über Zusammenhänge des Paares mit seiner Person zumindest noch kurz hatte nachsinnen können. Abgelenkt wäre er nun auf jeden Fall, ebenso wie der Rest der Menge, und so wurde die Gelegenheit unauffällig genutzt und der Faltenwurf seiner toga mit einigen raschen, aber präzisen Handgriffen korrigiert.

    Er sagt, er kommt aus dem Jahr Zweitauuseeend,
    kaum anders als hier, doch lebt man dann im Meeeer.
    Und deine Groß-, Groß-, Groß-, Großtochteeeer,
    ist mächtig hübsch, ja mächtig hübsch!

    Ja, Asa hatte gute Laune, derart, dass sie nicht einmal die mahnenden Blicke der noch lebenden Schwester in ihrem inbrünstigen Schmettern irgendeines Gassenhauers störte, der einmal vor sieben Jahren oder mehr in bedenklichen Bevölkerungsschichten beliebt gewesen war. Vornehmlich den in billigen Fuselwein getränkten Schichten. Sowie bei allem, was zwangsläufig damit in Berührung kam. Nicht einmal die Ermahnung, dass man dieses Geplärr mit Sicherheit selbst in den tiefsten Abgründen der Unterwelt würde vernehmen können, hatte Asas Inspiration Einhalt geboten. Sie feierte ihren erklärten, persönlichen Sieg über Hannibal, der bei Aristides außerordentlich schmerzhaft in Ungnade gesackt, und dessen gehobenerer Posten als 'Buchhalter' inzwischen Asny zugefallen war. Also ein Triumph auf ganzer Ebene.
    Natürlich war diese Erhöhung schon vor einigen Wochen vollzogen worden, doch wann immer man Hannibal begegnete oder seinen Namen hörte oder einen Stein sah, der Hannibal ähnelte, wurde der untote Zwilling an diese fantastische Entwicklung erinnert und lebte die frohlockende Schadenfreude aus, als wäre diese am morgigen Tage für alle Ewigkeiten schon ausverkauft. Wenngleich die wahren Gründe für diesen unerwarteten Vertrauensumschwung der lebenden Hälfte des Schwesternpaares nicht bekannt waren und man auch kein Interesse für dieses Geheimnis hegte, so wussten die bereits verstorbenen fünfzig Prozent doch ganz genau, wo der Hase sich die Ohren kraulte. Ihrer negativen Energie vermochte sich auf lange Sicht eben niemand zu entziehen. Nicht umsonst hatte sie mehrmals im Monat den schlafenden Hannibal mit albdruckhafter Anwesenheit aus seinen Träumen gerissen und ihm das Leben zunehmend vergrämt. Gut, eigentlich hatte der Plan gelautet, dass er sich auf möglichst peinliche Weise in einer der steinernen Vogeltränken im Villengarten ertränkte, doch was nicht war, konnte ja noch werden. Ohja, der Stern dieses Perverslings sank stetig gen Horizont, und sein Aufprall an demselben würde nicht angenehm werden.


    Während Asas Gesang von einem irren Grabesgelächter abgelöst wurde, was sie bedauerlicherweise falsch abbiegen ließ und damit kurzzeitig der Gesellschaft ihrer Schwester beraubte, folgte Asny unbeirrt weiter dem Gang, der sie auf lange Sicht in den Garten hinausführen würde. Sie hatte den gesamten Morgen, welcher bei ihr stets äußerst früh einsetzte, in der Bibliothek verlebt, zu der sie, ganz im Rahmen ihrer neuen Aufgaben, jetzt Zutritt hatte, und aus der man sie in den ersten Tagen nur mittels Gewalt hatte wieder entfernen können. Volltrunken von diesen unerschöpflichen Quellen des Wissens hatte sie gelesen und gelesen, lästige Nebensächlichkeiten wie Schlafen, Essen und Trinken völlig vergessen und war überhaupt nicht mehr ansprechbar gewesen. Inzwischen zwang sie sich zur Mäßigung, auch wenn es ihr schmerzhaft schwer fiel. Doch sie durfte nicht alles andere vernachlässigen, nur weil man ihr Zugang ins gelobte Land gewährte. Nach der Auspeitschung hatte sie aufgrund der Wundheilung lange genug auf regelmäßiges Konditions- und Bewegungstraining verzichten müssen, obgleich sie niemals nur still und regungslos herumgelegen hatte. Aber es brachte nichts, kaum verheilte Wunden durch Überanstrengung immer und immer wieder aufreißen zu lassen.


    Und nun, nach langen und anstrengenden Überlegungen, hatte sie endlich einen Wochenplan erstellt, der sie all ihre bislang auferlegten Arbeiten zügig erledigen ließ und der vor allem ihre Freizeit in einer Art regelte, dass sie alle ausbaufähigen Bereiche sowohl ihres Körpers als auch ihres Geistes abdecken und bestmöglichst fördern konnte. Es war ein Meisterwerk. Glücklicherweise ließ Aristides sie weitgehend in Ruhe, ebenso wie der größte Teil der übrigen Villenbewohner, so dass selten etwas Unvorhersehbares dazwischen kam. Zusätzlich zu den gewohnten Übungen war 'Innere Andacht' hinzugekommen, jenes faszinierende Exerzitium, das sie zum ersten Mal und zufällig im Carcer hatte erleben können. Eigentlich gefiele ihr ein abgeschiedenes, stilles, dunkles Loch auch jetzt noch besser als beispielsweise der Garten, doch bereits zweimal hatten Mitglieder dieser elenden Sklavenschaft versucht, sie dort unten einzusperren und zu vergessen. Bei ihrem Ruf war letztendlich das Risiko, diesen wunderbar friedlichen Ort zu benutzen, zu hoch gewesen. Ihre werten Kollegen ließ sie daraufhin allerdings nur noch mehr spüren, wie sehr sie sie verachtete. Vermutlich hatte Fettbäckchen Aristides sie unwissentlich dank seines Postens schon des Öfteren vor etwas gerettet, das man im Fachjargon als 'Abreibung' diagnostizierte.


    Inzwischen war sie ja auch schon siebzehn Jahre alt. Kein Springen mehr zwischen sechzehn oder siebzehn, nein, endlich. Natürlich kannte jemand wie sie ihr Alter ganz genau. Sie war im Ianuarius geboren. Nur mochte sie die geraden Lebensjahre nicht und tendierte bei eben jenen stets zur nächsthöheren Zahl. Nächstes Jahr wäre sie dann achtzehn oder neunzehn Jahre alt. Aber eher neunzehn. Womöglich hing das mit ihrem Zwilling zusammen, dem gerade Zahlen immer besser gefallen hatten, weil sie angeblich erwachsener klangen. Jedenfalls fühlte sich diese Ordnung irgendwie richtiger an. Und es war schließlich ihr Alter, damit konnte sie machen, was sie wollte.


    Der Hortus hatte sich neben dem Carcer und der Bibliothek zu einem von Asnys Lieblingsorten entwickelt. Nicht nur wegen der Trainingseinheiten und der Geräumigkeit, und ganz bestimmt nicht wegen Blumen, Sonne, lauen Brisen und Vogelgezwitscher. Natürlich tummelten sich auch hier Sklaven und Herren gleichermaßen, doch man fand eher einen abgelegenen, verborgenen Winkel als in der Villa. Diese Winkel waren selbstverständlich nicht versehentlich angelegt worden und gerade im Sommer hatte die weißblonde Sklavin in so manchem ihrer favorisierten Ecken ein Pärchen (oder mehrere) aufgespürt, denen Blumen und Vogelgezwitscher ähnlich gründlich den Rücken hinunterrutschten wie Asny. Eigentlich aus der Not heraus hatte sie mehrere Taktiken entwickeln müssen, um die unerwünschten Störenfriede möglichst schnell voneinander zu lösen und das Weite suchen zu lassen. Mit der Zeit hatte sie immer kreativer werden müssen, denn wo am Anfang noch ein 'Ich dachte, du hättest diesen komischen, juckenden Ausschlag da unten, tut das nicht weh?' oder ein 'Schadet das nicht dem Kind von Marcus Aristides?' genügt hatte, musste nach und nach dank doch erstaunlich lernfähiger Opfer ein von seiner Kette losgerissener Haushund oder ein alarmierter Flavier herhalten, um die gewünschte Wirkung immer noch zu erzeugen. Auf der Suche nach ein wenig Abgeschiedenheit hatte man es in Rom wirklich nicht leicht.


    Scheinbar waren ihr die Götter auch heute nicht gerade hold. Asny seufzte enerviert, als sie, kaum dass sie einen Fuß auf den weißen Kiesweg gesetzt hatte, schon die untrüglichen akkustischen Signale zweier mehr oder weniger paarungswilliger Katzen hörte, die in der Nähe offenbar gerade ihr Tänzchen abhielten, welches trotz allen albernen Sträubens doch nur ein Ende finden konnte. Kurz entschlossen hob die Sklavin einen kinderfaustgroßen Stein vom Rand des Weges auf und wog ihn probehalber in der Hand, ehe sie ihren Weg fortsetzte, dabei auf die Quelle dieses furienhaften Jammerns zielend. Sie würde sich ihre kostbare Freizeit garantiert nicht von rolligen Aushilfstigern ruinieren lassen.
    Je näher sie kam, um so schmäler verengten sich ihre Augen. Diese Katzen mussten sich irgendeine ganz üble Krankheit geholt haben. Hoffentlich traf sie gut und konnte dadurch wenigstens eine von ihnen von ihrem Leid erlösen.
    Wie sich herausstellte, hätte sie am Ende auch nur einen einzigen Stein benötigt. Nicht, dass es ihre Laune sonderlich emporwirbelte zu sehen, dass sie es hier offenbar mit einem hörbehinderten Menschen zu tun hatte. Katzen waren wesentlich einfacher zu vertreiben. Da sie sich ihm von schräg hinten näherte, hätte sie es zwar bequem mit einem glücklichen Wurf versuchen können, doch dieses lärmende Etwas entpuppte sich bei näherer Betrachtung unglücklicherweise als Flavier. Als dieser kürzlich eingetroffene Neuzugang, um genau zu sein. Aulus Flavius Piso. Flavier schossen heutzutage wohl aus dem Boden wie Schneeglöckchen im Frühling. Wobei jenes Schneeglöckchen hier anscheinend beim fröhlichen Sprießen aus dem Erdreich direkt mit dem Kopf gegen einen Granitfelsen gestoßen war.


    Kurz legten sich Asnys Finger noch etwas fester um den Stein, ehe sie ihn im hohen Bogen über den sitzenden Flavier warf, so dass er einige Schritte von ihm entfernt unter einem harten Poltern auf den Boden schlug.
    "Weil auch Götter im Besitz von Ohren sind", beantwortete sie in ihrer üblichen hilfsbereiten Art die rhetorische Frage, während sie langsam näher trat, wie immer ausgestattet mit einem sanften Lächeln und einem träumerisch schimmernden Ausdruck in den zartblauen Augen. Sie war gekleidet in eine einfache, doch saubere hellblaue Tunika, um die Hüfte mit einem schmalen Band umgürtet, und trug ihr langes Haar glatt und offen, wie sie es am Liebsten tat. Nichts in ihrem Aussehen deutete darauf hin, dass sie vorhin noch mit dem Gedanken gespielt hatte, auf dem dunkelschopfigen Hinterkopf dieses Mannes eine passable Platzwunde zu züchten. Obgleich ihre Stimme ähnlich weich klang, so war die Botschaft, die sie mit sich brachte, doch eine gänzlich gegensätzliche.
    "Wenn du so weitermachst, wird Apoll bald seine Lyra mit dir stimmen."

    Zusammen mit dem übrigen Sklaventross war auch Asny inzwischen eingetroffen, hielt sich aber dezent im Hintergrund während sie versuchte, der Spur ihres Herrn zu folgen, welche eigentlich nicht allzu schwer aufzuspüren sein dürfte. Während ihr blassblauer, wie stets unterschwellig verträumt wirkender Blick über das prachtvolle Aufgebot an Gästen und deren Anhang schweifte, sah sie sich nicht zum ersten Male in ihrer Meinung bestätigt, dass diese Hochzeit wohl zum Sinnfreisten zählte, was sich bislang in ihrem Leben ereignet hatte. Und schließlich befand sie sich inzwischen bereits ein Jahr in der Villa Flavia, insofern fiel die Konkurrenz nicht eben mager aus. Aber nun ja, wenn zwei Menschen den Entschluss gefasst hatten, ihre jeweiligen Lebensflammen zu einem großen Scheiterhaufen zu vereinigen, bekamen sie wohl genau das, was sie verdienten. Jemanden, dem sie ruhigen Gewissens die Schuld an all ihren Problemen zuschieben konnten.
    Einen Vorteil besaßen solcherlei Eheschließungen in diesen durchlauchten Kreisen: jeder wusste bereits von Anfang an, dass jenes, was sich hier abspielte, in keinster Weise etwas mit Liebe zu tun hatte. Insofern war man den gefühlsseligen Realitätsverzerrern überlegen, die erst noch den beschwerlichen Weg aus den Wolken herab zum steinharten Boden der Erkenntnis steigen mussten um endlich festzustellen, dass sie sich gerade gegenseitig die Würde aufknackten wie eine alte Walnuss. Nein, hier ging es um wesentlich existentiellere Dinge. Hier lief man nicht Gefahr, seine Würde zum Abendessen hübsch knusprig durchgebraten serviert zu bekommen, hier pflegte man ohnehin jedwede Ehre an der Villenpforte als Wegzoll abzugeben.


    Asny leckte sich den salzigen Meergeschmack von den lächelnden Lippen, die wie stets keinerlei Anzeichen für das boten, was sich im dahinterliegenden Kopf abspielte. Zudem brachte es ihr nichts, großartig weiter über die Nutzlosigkeit ihres Aufenthaltes an diesem Ort zu lamentieren. Die Vorbereitungen dafür waren bereits schier unerträglich aufwendig und langwierig gewesen; das Einkleiden, das Frisieren... das neuerliche Frisieren ohne diese angeblich helfenden, doch vielmehr störenden Hände anderer Sklavinnen, die Auswahl des Schmuckes, das Schminken, das Abschminken und natürlich das finale Bemühen, dem Endergebnis einen Hauch weniger 'Hafenprostituierte nach dem Villeneinbruch und vor der Hinrichtung' zu verleihen. Immerhin durfte sie sich in der Ahnung wieder einmal bestätigt fühlen, dass der Großteil ihrer werten unfreien Kollegen ihr am Liebsten jede übertrieben aufgedrehte Locke einzeln vom Kopf reißen würden. Umso weniger Gelegenheit hatte die blonde Sklavin ihnen zur Umsetzung dieses Planes gegeben und sich weitestgehend selbständig in diese viel zu dekadente Aufmachung geschält. Ihre tunica war von einem sehr zarten Rosé, die palla darüber nur einen Hauch dunkler. In beide Gewandungsteile waren feine, silberne Fäden verwoben, welche sich zum Rand hin verdichteten und in einer schmalen, gestickten Borte mündeten. Die eingefärbten Sandalen schimmerten neuwertig in dunklerem Altrosa. Asas erster Kommentar zu dieser Gewandung hatte gelautet: Du siehst aus wie ein kleines Schweinchen.
    Ihr Gelächter war allerdings recht schnell verstummt als sie bemerkte, dass zu dieser 'Verkleidung' auch eine kleine Menge an Schmuck gehörte, vornehmlich bestehend aus in Silber eingefasstem Rosenquarzen, welche sich im Halsschmuck und den Ohrringen wiederfanden. Der Stein der Liebe und des Herzens – ausgerechnet an ihr! Schon vor einer Woche hatte sich Asny genötigt gesehen, ihre Ohren zu durchstechen, da sie derartige Operationen an sich selbst doch lieber persönlich durchführte und der Schmerz sich im Vergleich zu ihrer Auspeitschung als geradezu lächerlich entpuppte. Die Heilung war gut und relativ schnell erfolgt und abgesehen von einem gelegentlichen Ziepen nahm sie davon gegenwärtig rein gar nichts mehr wahr.
    Schmale, gedrehte Silberreifen schmückten ihre Arme und klimperten nervtötend bei jeder Bewegung, was jedoch wenigstens Asas Gesicht zu einem Abbild reinster Verzückung werden ließ. Selbst in die leicht gewellten und teilweise aufwändig verschlungenen und hochgesteckten weißblonden Haare hatten noch Silberfäden eingearbeitet werden müssen. Zu welchem Nutzen auch immer. Vielleicht fand man dadurch einfacher ihre ertrunkene Leiche, nachdem dieser Hochzeitskahn gesunken war.


    Die Götter mochten behüten, dass das Schiff auf die dumme Idee kam, dies tatsächlich zu tun. Nach ihrem Codex der besten Sklavin der Welt würde sie ihren Herrn zweifellos vor einem grausamen Tod durch eine unzulässig hohe Menge Wasser in den Lungen bewahren müssen, eine Aufgabe, die selbst für einen brachialen Gladiatoren noch knifflig geworden wäre. Besonders in Rosa und mit Metall behangen. Rosa brachte in lebensbedrohlichen Situationen sicherlich besonderes Unglück, darum trugen Soldaten und Gladiatoren es so überaus selten.
    Sich in puncto Auffälligkeit weitestgehend am Vorbild ihrer geisterhaften Zwillingsschwester orientierend huschte Asny zwischen den ähnlich aufgetakelten Gestalten hindurch, bis ihre wie beinahe immer gemütlich über ihr schwebende Navigatorin mit den angesichts all dieser Kostbarkeiten schon fast aus den Höhlen kullernden Augen endlich die... 'gewichtige' Gestalt des Ziel-Flaviers erspäht hatte und damit der Suche einen Sinn verlieh. Mehr oder weniger erfreutes Klingeln von Silber, das an Silber schlug, antwortete von weiter unten und die blonde Sklavin schob sich dezent in die ausgewählte Richtung voran. Sie trug definitiv zu viele Silberarmreifen. Am Liebsten hätte sie gar keine getragen, doch aufgrund des inzwischen beinahe ständigen Nutzens von Trainingsgewichten an den Handgelenken befand sich die Haut an diesen Stellen trotz der bestmöglichen Pflege in einem eher aufgerauten Zustand und sollte von Beobachtern nur schwerlich zu erblicken sein. Womöglich zog das Gebimmel auch nur noch mehr Aufmerksamkeit auf diese Punkte. Herrje, die Leute sollten die Braut betrachten und kein rosa Sklavenschweinchen!
    Ihre Arme so ruhig wie möglich haltend positionierte sich Asny in respektable Nähe zu Marcus Aristides, den man im Rahmen eines solch üppigen Festes vermutlich besser gar nicht kennen sollte. Wahrscheinlich würde er grölen und bechern und speisen wie ein ausgehungerter Bulle, welchen man seit Monaten auf gnadenlosester Diät hielt.

    Wenngleich die Gedankengänge und deren Umsetzung in auch für diesen Flavier verständliche Worte für ihre Verhältnisse noch einigermaßen brauchbar vonstatten gingen, so strengte das Sprechen, das pure Formen von Silben mit Lippen und Zunge, Asny doch inzwischen bedenklich an. Immer wieder musste sie gegen die unangenehme Trockenheit in Hals und Mundraum ankämpfen, um mehr als ein kränkliches Krächzen hervorzuwürgen und obendrein noch einen angemessenen Eindruck zu erwecken. Doch zum einen ließen sich Grenzen der Belastung nur dann ausweiten, wenn man sie bereits berührte, und zum anderen bot die gegenwärtige Situation sich schlicht zu sehr an, um sie ungenutzt verstreichen zu lassen. Aristides sollte in möglichst kurzer Zeit einen möglichst schlechten Eindruck von ihr bekommen, deswegen reihte sie munter und überdeutlich Standpunkt an Philosophie ohne sich groß Zeit dazwischen einzuräumen. Je rascher das Kapitel 'Kennenlernen' beendet werden konnte, umso baldiger würde sie wieder zu den wirklich ausschlaggebenden Dingen und Tätigkeiten zurückkehren können. Für nutzlose Plaudereien mit diesem Flavier war ihr ihre Zeit entschieden zu kostbar, also musste jedes beleidigende Wort, jede provozierende Bemerkung sitzen und bei ihm ein negatives Gefühl hervorrufen. Gleich ob Hass, Hohn, Kränkung oder verletzter Stolz, solange es nur nichts Positives zum Inhalt trug. Und Asny beherrschte diese Kunst. Für gewöhnlich ließ sie ihr 'Anderssein' nur langsam und in wohlportionierten Dosen ab, doch bei Aristides sollte direkt zu Beginn ihres Aufeinandertreffens ein wahres Feuerwerk an Tiefschlägen stehen, welches ihn weit fort vom Neutralen in die tiefste Grube der schlimmsten Aversionen schleuderte, zu denen er fähig war. Das würde ihr später viel Arbeit ersparen. Und da sie augenblicklich ohnehin nicht zu mehr in Selbständigkeit fähig war, als relativ nutzlos herumzuliegen, war die Gelegenheit günstig, zumindest in dieser Richtung gleich einmal die Fronten zu klären.
    Darüberhinaus waren seine allzu offenkundigen Reaktionen interessant zu verfolgen, wenngleich sie derzeit nicht seine Gesichtsmimik verfolgen konnte. Dennoch bekam sie dank seiner Waschung noch ausgezeichnet mit, an welchem Thema er sich besonders störte, dann nämlich, wenn er ihr förmlich die ohnehin beschwerlich eingesogene Luft aus den Lungen presste. Bei seiner Familie beispielsweise. Hätte Asny zu diesem Zeitpunkt nicht mit einem Schwarm schwärzlich flackernder Explosionen vor ihren Augen zu kämpfen gehabt, wäre ihr immerwährendes Lächeln zweifellos noch um eine Nuance stärker geworden. Von Selbstbeherrschung bei ihm keine Spur. Dabei hatte sie ihm doch gerade eben selbst offenbart, welche Taktik man in einer Flut derartiger Beleidigungen am Klügsten anwandte. Man ignorierte sie, weil das Gegenüber nicht einmal eine Reaktion wert war. Sobald man emotional reagierte, in welcher Weise auch immer, verlieh man dem anderen Macht über sich, und dies wollte Aristides doch gewiss vermeiden. Von einem langjährigen Soldaten wäre eigentlich etwas mehr Disziplin zu erwarten gewesen. Aber wahrscheinlich hatte er schon immer zu den Cholerikern gezählt, der lieber mit dem Kopf durch die Steinwand donnerte, anstatt die offene Tür gleich daneben zu benutzen. So machte er es seinen Mitmenschen nur noch einfacher, wenn man keine Furcht vor aufbrausendem Talent besaß.


    Asnys Kopf war inzwischen mit dem Wangenknochen voraus auf den Rücken der gesunden Hand gesunken. Die Augen waren zugefallen und hatten erneut zu tränen begonnen, ansonsten blieb sie nahezu regungslos. Wenigstens die Waschung gelang ihrem Herrn adäquat, doch schließlich hatte sie ihn zuvor auch ordentlich angetrieben wie einen lahmen Ackergaul. Vordergründig rief sie sich nun wieder den Schmerz statt seiner Worte in ihr Bewusstsein, wenngleich beides auf seine Art Qualen bereitete. Doch ihren Gehörnerv würde jener klobige Klotz noch oft genug strapazieren können, diese Verletzungen indes mussten völlig ausgekostet werden, so lange und so intensiv wie möglich. Eine Gänsehaut hatte sich auf ihren Armen gebildet und sie biss im Gegensatz zu ihrem fast entspannt wirkenden Äußeren die Zähne festaufeinander, um jede eventuelle Zuckung ihres Körpers, jedes Stöhnen und Ächzen bereits im Keim zu ersticken. Glaubte sie den Botschaften ihrer Nerven, so lag ihr kompletter Rücken vollkommen offen da, müsste Aristides ihr Herz durch die Rippen schlagen sehen, während er gerade mit einem stumpfen Messer das Mark aus ihrer Wirbelsäule schabte. Nerven waren amüsant, und so leicht zu beeindrucken. Andererseits waren es vielleicht auch nur Aristides' mangelnde Kenntnisse in der Medizin, die sie so leiden ließen. Natürlich würde der ganze Spaß jetzt wieder so stark bluten wie zu Anfang, so viel Wirkung würde das kalte Wasser nicht hervorgerufen haben, um irgendeine Wunde tatsächlich zusammenzuziehen.
    Doch eines nach dem anderen. Ihr Kreislauf benötigte momentan jedwede Hilfe, die sie ihm geben konnte. Um einen Rest an Körperspannung bemüht hob sie ihre Füße ein wenig über die Oberfläche des Lagers, wenngleich diese Aktion mit Unterstützung einer Unterlage wesentlich leichter gefallen wäre. Mit aller ihr zur Verfügung stehenden Konzentration kämpfte sie wiederum gegen Übelkeit und Schwärze an und versuchte, zumindest in geringem Maße etwas von dem zurückzuholen, was ihr im Carcer so geholfen hatte. Natürlich hatte da kein solcher Quasselkopf neben ihr gestanden und ihr die Haut vom Rücken geschrubbt. Andererseits war es natürlich vorteilhafter, wenn er die fransige Haut an den Rändern der Wunden abriss und damit glättete, so würde die Heilung vermutlich gründlicher und besser vonstatten gehen können. Ihr Körper könnte sich voll und ganz auf die Regeneration konzentrieren, ohne lästige Fremdkörper in Form längst abgestorbener Hautfetzen. Wäre also dieser unerwünschte Salbader - und dessen Echo - nicht gewesen, hätte sie ihrem werten Herrn durchaus ein Lob aussprechen können.


    Sie schwebte ein nicht näher einzuordnendes Weilchen in einer Art Zwischenwelt mit kühlendem Schatten auf der einen und quasselndem Licht auf der anderen Seite, bis die Sklavin spürte, dass der feindliche Körperkontakt auf ihrem Rücken aufgehört hatte - das Gerede zum Glück ebenfalls. Jetzt musste sie nur noch in ihren teils etwas wirren Erinnerungen wühlen und Wahrheit von Einbildung trennen, schon befände sie sich wieder auf dem neuesten Stand. Doch vielleicht sollte sie eines gleich zu Beginn klarstellen.
    "H'r..." Stumm seufzend hielt sie inne, schluckte und räusperte sich kurz hintereinander, befeuchtete ihre Lippen mit der Zungenspitze und hob erneut mit leiser Stimme an, die Augen noch geschlossen haltend:
    "Herr, der Raum hier dreht sich schon genug, ohne dass du und ich uns in der Argumentationskette zusätzlich noch in einem nicht enden wollenden Kreis verirren. Ich habe bereits verdeutlicht, dass deine Meinung bezüglich einer perfekten Sklavin für meine Ansprüche nicht ausreicht, denn deine Darstellung ist mir immer noch zu gewöhnlich. Eine tote Sklavin ist wertlos, und wenn sie noch so großartig für ihren Herrn gestorben ist. Damit hat sie das hart verdiente Geld ihres Herrn zum Fenster hinausgeworfen. Was ist an diesem Verhalten bitte so perfekt? Ich war zu teuer um dein Gift zu trinken. Und eine Sklavin, die ihren Herrn blind in sein Verderben laufen lässt, ist einfach nur nutzlos. Dafür brauchst du nicht die beste Sklavin der Welt, dafür genügt irgendein dummes Gör von der nächsten Straßenecke. Und davon gibt es in dieser villa schon mehr als genug." Gerade wenn der Herr so fehlerhaft war wie dieser hier.


    Langsam öffneten sich ihre nebelblauen Augen wieder und blinzelten einmal, um den Schleier, welcher über ihnen schwebte, zu zerreißen. Ebenso vorsichtig hob sie den Kopf, was zur Folge hatte, dass ihre Füße sich nun endgültig wieder senkten, und ihre Handflächen glitten langsam über den groben Stoff ihres Lagers nach außen. Hatte er noch irgendetwas von Soldaten erzählt? Von Soldaten, die ihre Zungen herausrissen? Schwach runzelte die Sklavin die Stirn. Da schien ein kleines oder auch größeres Loch in ihrer Decke aus Erinnerungen zu klaffen. Nun ja, womöglich füllte sich dieses zu einem späteren Zeitpunkt noch. Vielleicht war es erst einmal klüger, derart schwierige Rekonstruierungsprozesse zu beenden, denn schließlich versuchte sie gerade, sich zunächst wieder auf die Ellbogen und dann auf die Hände zu stützen, um irgendwann einmal auf dem Lager knien zu können. Sicherheitshalber hielt sie die Luft an, während sie den ungleich schwerer gewordenen Oberkörper hochstemmte und die Knie langsam anzog. Dieser dadurch entstehende Wölbungsbuckel gefiel ihrem Rücken überhaupt nicht. Und er war auch gar nicht zurückhaltend in dem Bemühen, seiner Besitzerin das mitzuteilen. Sogar ein halb unterdrücktes Stöhnen konnte er ihr in einem schwachen Moment entlocken, allerdings durfte er anschließend auch mit keiner Schonung mehr rechnen. Denn dann stieß sich Asny mit einem entschlossenen Ruck in die gewünschte Position, die zwar noch entfernt war von einer geraden Senkrechten, bei der man jedoch wenigstens nicht mehr von Liegen sprechen konnte. Ihre Hände krallten nach Halt suchend in den Strohsack unter ihr in dem Bemühen um eine ausreichende Stabilisierung der gesamten Konstruktion, und auch ihr Kopf hob sich nur äußerst mühsam. Doch immerhin verbargen die aus dem Griff des Bandes entkommenen, blonden Haarsträhnen ihre Gesichtszüge ausreichend, bis sie jene wieder vollkommen im Griff hatte und die zuvor in schwerem Atmen geöffneten Lippen sich erneut zu einem sanften Lächeln verschlossen.
    Dass sie aufgrund der durch die Wundbehandlung arg zerrissenen Tunika nun gerade bis zur Hüfte und abgesehen von ihren in Stoffbändern eingewickelten Gewichten an den Handgelenken nackt war, lockte nicht im Entferntesten ihr Interesse. Sie hatte bereits zu Hause kein Problem damit besessen, sich vor anderen Leuten umzuziehen - ganz im Gegensatz zu ihrer Familie. Doch da ihre Umgebung und die dort lebenden Menschen und deren Meinungen für sie absolut nicht von Belang waren, herrschte in ihrem Universum weder Raum für Scham noch für Privatsphäre, denn beides sah sie durch solch nichtswürdige Gestalten überhaupt nicht beeinträchtigt. Zwischen Männern und Frauen machte sie da keine Unterschiede, beide waren irgendwie neutrale, graue 'Dinge', die von ihr nicht beachtet wurden. Sollten sie denken, was sie wollten.


    "Mir ist bewusst, dass sich Männer, welche sich einer Frau in irgendeiner Weise unterlegen fühlen, eine solche Empfindung gerne dadurch zu kompensieren und zu nivellieren versuchen, indem sie sich bewusste Frau mittels des geschlechtlichen Aktes 'unterwerfen'. Aufgrund dessen fühlen sie sich in ihrem primitiv-männlichen Stolz wieder authentisiert. Dennoch bezweifle ich immer noch ernsthaft, dass du meine Nummer vier werden möchtest, Herr."
    Nach und nach nahm Asny die Spannung aus ihrem Körper und erlaubte sich einige tiefere, freiere Atemzüge, dem Protest in ihrem Rücken erst einmal keine Beachtung schenkend. Stattdessen wanderte ihr Augenmerk suchend durch den kleinen, zwielichtigen Raum um zu prüfen, ob in den dort herrschenden Schatten ein noch zu heftiges Schwindelgefühl lauerte. Allem Anschein nach war sie zufrieden mit dem, was sie wahrnahm, denn kurz danach erwiderte ihr im Lampenschein etwas unwirklich glänzender Blick wieder den ihres dominus.
    "Herr, erlaubst du mir zu meiner Unterkunft zurückzukehren, damit ich etwas Wasser zu mir nehmen kann?" Zugegeben, ihre Unterkunft lag nicht gerade rasch um die Ecke. Doch wenn es auch vielleicht ein wenig dauerte, so würde ihr Wille sie schon früher oder später zu ihrem Ziel führen. Asny war da durchaus optimistisch gestimmt. Trotz dessen der Körper gerade dem Willen vollkommen gegenläufig zu zittern begonnen hatte.

    Es war nicht im Mindesten abzusehen, inwieweit Aristides diese große Menge an Worten und kaum getarnten Forderungen allesamt verstand. Asny war sich nicht einmal sicher, ob sein weinvernebeltes Hirn nun, einen Herzschlag nachdem sie geendet hatte, überhaupt zu allem eine Erinnerung angelegt hatte. Vermutlich waren nur wenige Schlagworte haften geblieben, der deutlich größere Rest wurde hinfortgeschwemmt vom Fluss der Ignoranz und der hoffnungslosen Beschränktheit, welcher im Kopf dieses Flaviers unter ständigem Hochwasser litt. Diese hohlen, leeren Fratzen, in die sie nach einer solchen deutlichen Rede immer blicken musste. Jeder verlauste Straßenhund besaß ausdrucksstärkere Züge. Manche versuchten wenigstens, eine halbwegs unbeeindruckte Maske aufrechtzuerhalten, auch wenn dahinter ein nicht weniger ernüchternder Abgrund geistiger Umnachtung herrschte. Wie leicht die Menschen doch aus ihren heimeligen Gefügen der Gewohnheit zu reißen waren. Anscheinend machte es ihnen merklich weniger aus, an Gestalten wie die Götter zu glauben, als dass jemand mitten unter ihnen sich von der gewöhnlichen Norm abweichende Taten und Worte leisten durfte, ohne dass ihre Welt Kopf stand. Dabei befanden sie sich doch innerhalb der hochherrlichen Mauern Roms, in denen man alles entdecken und alles sehen konnte, in denen es alles gab und noch mehr zu verlieren. Doch scheinbar bemühte man selbst an diesem haltlosen Ort befestigende Seile des Normalen, des Verständlichen und des Gewohnten. Wie nah 'gewohnt' und 'gewöhnlich' zusammenlagen, schienen sie dorthin gehend gerne zu ignorieren.
    Als wäre sie die erste Freie, die lieber den Weg einer Sklavin wählte. Ihre Familie hatte nicht hungern müssen und sich einen Wohlstand leisten können, den man beinahe als angenehm betiteln durfte, trotz der hohen Kinderzahl und mit großzügiger Unterstützung ihres ehemaligen Herrn. Dennoch wusste Asny ausgezeichnet um die weniger gut beleuchteten Ecken Roms, wo sich der breite Fuß dieses Flaviers garantiert noch nie hinverirrt hatte. Wenn man wenig zu essen und nur Fetzen zum Bedecken der schlimmsten Blöße besaß, klang ein Sklavendasein mit geregelter Nahrungsversorgung und tragbarer Kleidung gar nicht mal so schlecht. Was brachte es, in Freiheit zu verhungern? Wenn die Kinder zu viel Essen zum Sterben, doch zu wenig zum Leben bekamen? Zwar sah ihre eigene Vergangenheit nicht nach diesem Vorbild aus, doch auch für sie bedeutete der Sklavenstatus eine reichhaltige Fülle neuer Möglichkeiten. Zudem war die Aufteilung in den Herren- und Sklavenstand das Werk ihrer Mitmenschen - und was ihre Mitmenschen sagten, dachten oder taten interessierte sie nicht, wenn es für sie keinen Vorteil brachte. Was sollte es sie beeindrucken, wenn die Masse glaubte, Sklaventum wäre ein Abstieg und weniger wert? Asnys eigene Meinung war es, die hier zählte und nach der sie sich orientierte. Nicht nach der Einteilung und Titulierung der übrigen Welt.


    Aristides' Gesichtshaut schien so durchsichtig zu sein wie eine frische Frühlingsbö. Von seinen Zügen ließ sich bequem noch die kleinste Regung seines Innersten ablesen, ohne, dass es noch eines Kommentars oder einer Erläuterung bedurfte. Es war schon beinahe erheiternd, wenn es nicht so lästig in seiner Offensichtlichkeit gewesen wäre. Er ließ nicht den kleinsten Raum für eigene Überlegungen. Als erführe man von einer Geschichte als Erstes das Ende. Die Reaktion auf ihre Worte erfolgte derart unmittelbar und ausdrucksstark, dass die Sklavin sich an einigen Stellen beinahe schon wie eine Puppenspielerin fühlte, die jede Bewegung ihres Spielzeugs genau führen und bewirken konnte. Die Konfusion überragte weitestgehend alles übrige, wiederum so bedrückend wie vorhersehbar. Dieser Mann war doch ein Mitglied der gefürchteten Gens Flavia, oder war er doch nur ein adoptierter Bastard? Wollte er nicht einmal den Anschein von etwas machen, dem man zwar mühsam, aber immerhin ein wenig Respekt entgegenzubringen vermochte? Eine versteinerte Maske statt eines Gesichtes würde den Gesamteindruck gleich um einiges anheben. Doch er hier gab offen zu, dass seine Grenzen bereits vor einiger Zeit mühelos überwunden wurden und er irgendwo auf dem Weg zurückgeblieben war. Was würde er erst offenbaren, wenn er denn tatsächlich zu einer verbalen Antwort ansetzte und auch den letzten Rest gnädiger Schminke tollpatschig abwusch?


    Bei den Göttern, warum verlor sie nur nicht endlich das Bewusstsein?!


    Wurde sie etwa noch getrieben von der Hoffnung, in diesem fülligen Berg aus Sand einen Rubin heraussieben zu können? Natürlich war es schwer, von etwas in ihrem Besitz - und nicht anders sah sie diesen Flavier - als einen rettungslosen Fehlschlag der Götter zu denken. Natürlich hätte es sie auch weitaus schlimmer treffen können - vermutete sie. Immerhin blieb ihr die Villa, die Bibliothek, die damit einhergehenden Möglichkeiten. Es wäre ein Leichtes für sie, Aristides genügend Anreiz zu bieten, um sie möglichst in eine andere Ecke des Anwesens zu befehligen und damit so weit weg wie irgend möglich von seinem eigenen Aufenthaltsort. Wahrscheinlich verbot es sein Stolz, sich die Niederlage einer Überforderung durch sie einzugestehen und sie umgehend zu verkaufen, doch sie jeden Tag vor Augen zu haben ertrug er ebenso wenig. Möglicherweise dachte er genau darüber in den langen, stillen Momenten nach, in denen er es vorzog, sie einfach nur anzustarren und den lahmen Esel, der seine Gedankengänge durch die Gehirnwindungen zerrte, gemütlich anzupeitschen. So gelang es Asny, obgleich sie seinen Blick weiterhin mit dem leichten Schimmer eines Lächelns und einem ähnlichen Hauch Nebel über den Augen statuengleich erwiderte, sich wiederum eine kleine Zeit auf sich selbst und ihren Körper zu konzentrieren; vornehmlich nach wie vor auf die Atmung und das wütende Pochen in ihrem Rücken, welcher gerade das Laken ruinierte, bis sie sich wiederum langsam auf die Ellbogen schob und die Berührung minderte. Wer wusste schon zu sagen, was alles in diesen Tüchern darauf wartete, ihr eine nette Infektion oder Schlimmeres zu verursachen. Dies würde nur den Verlauf der Wundheilung beeinflussen und ihre Beobachtungen hinfällig machen.


    Dann schien Aristides doch zu irgendeinem Entschluss gekommen zu sein, gerade als sie den Sklaven am Rande ihres Sichtfeldes entdeckt und die Überlegung begonnen hatte, wie lange dieser Kerl wohl schon in ihrer Nähe herumlungerte und lauschte. Gegen die Vernunft blinzelte Asny um eine klarere Sicht, während Konzentration sich von selbst wiederum bei ihrem Gegenüber sammelte.
    Zumindest hielt sich ihr irritierendes Lächeln in der Gegenwart dieses Mannes erstaunlich gut, verstärkte sich meist sogar noch zu einem wahren Glanz aus missgedeuteter Belustigung. Immerhin schien er trotz des Weinkonsums noch halbwegs nüchtern. Ihm gelangen ganze Sätze, die in den Augen der meisten Menschen auch noch einen Sinn enthielten. Sie wich nicht zurück, als er sich vorlehnte und seine Körpersprache ihr damit entgegenschrie, dass er noch mehr Aufmerksamkeit von ihr verlangte gleich einem Säugling, der nach der Mutterbrust brüllte. Was er wohl täte, wenn sie ihn schlicht ignorierte? Dies war er mit Sicherheit nicht gewohnt. Doch gleich wie seine Worte und seine Bewegungen sich auch entwickelten, Asnys gewohnt freundlich-ausdruckslose Miene war so fest auf ihren jugendlichen Zügen verankert wie eh und je. Und wirkten dadurch noch befremdlicher, schließlich schien der Rahmen dieses unbewegten Bildes wie zu einer Kriegsüberlebenden gehörend. Sie blutete längst nicht nur auf dem Rücken, dank einiger Eigeninitiative war die Haut über ihren Fingerknöcheln der rechten Hand aufgeplatzt und auf ihrer Stirn entwickelte sich eine zwar nicht offene, aber dunkel verfärbte Schwellung, aus einem zu plötzlichen Kontakt mit dem Holzkreuz entstanden. Die Trainingsgewichte lagen nach wie vor um Hand- und Fußgelenke und der Carcer hatte sein Bestes gegeben, dem Ganzen noch eine schmutzig-verwahrloste Note zu verleihen, die sich dank willensstarker Disziplin aber hauptsächlich auf die Beine beschränkte. Vom Rücken sah man in ihrer derzeitigen Position nicht allzu viel und glücklicherweise war ihr Haar noch derart frisiert, dass es die meisten Wunden nicht berührte. Ihre Haut glänzte im schwachen Lichtschein von der vergangenen und gegenwärtigen Anstrengung, die halbgetrockneten Tränenspuren ließen sich gut über den Verlauf der ungesund blassen Wangen verfolgen und ein leichtes Zittern durchfuhr ab und an ihren Körper, als erführe dieser immer noch die Schläge einer Peitsche.
    Und dazu lächelte sie so verträumt und friedlich wie ein Kind, welches von seiner Mutter gerade zu Bett gebracht wurde.


    Vielleicht zu Aristides' Erstaunen gehorchte seine Sklavin überaus prompt dessen Befehl, sich auf den Bauch zu drehen und damit das blutige und offene Schlachtfeld zu enthüllen, das einmal ihr Rücken gewesen war. Durch das teils frische, teils schon getrocknete Blut wirkte dieses Panorama vermutlich noch weitaus schrecklicher, als es nach einer gründlichen Reinigung sein würde und ein abgehärteter Kriegsveteran wie Aristides hatte gewiss schon tausendmal Schlimmeres erblicken müssen. Asny allerdings war selbst bei der etwas mühsamen Bewegung des Umdrehens darum bemüht, weder zu stöhnen noch zu stutzen noch die Balance zu verlieren. Sie versuchte nach Kräften, diesen Prozess so fließend und gleichmäßig wie möglich zu halten, wenngleich sie, als sie endlich mit dem Bauch auf dem Lager lag und ihre Ellbogen wiederum den Oberkörper stützten, von einem übelkeiterregenden Schwindelgefühl heimgesucht wurde, das sie erst einmal niederkämpfen und den Boden wieder nach unten zerren musste, ehe sie es sich leisten konnte, erneut an den Flavier auf seinem kleinen Hocker zu denken.
    Die Begründung für ihre anscheinend so unerwartete Gefügigkeit war einfach. Er würde keinesfalls sanft mit ihr umspringen, doch sicherheitshalber spielte sie zusätzlich mit der Überlegung, das Feuer in ihm noch ein wenig anzufachen. Zudem war sie, wie sie unlängst erwähnt hatte, nicht um Halsstarrigkeit bis zur Einfalt bemüht. Ein kindischer Einwand wie 'Das kann ich selbst!' besaß in ihrer Welt keinen Sinn. Dennoch konnte sich Aristides auf einen Fortgang der 'Unterhaltung' einstellen, sobald ihre Lungen wieder ein wenig Luft bekämen, der Raum darin nachließe, wie eine irrwitzige Schaukel hin und her zu wirbeln und die Gallenflüssigkeit, welche sie bereits auf der Zunge zu schmecken glaubte, brav zurück nach unten wanderte, wo sie hingehörte. Sicherheitshalber hielt sie die Augen erst einmal geschlossen und sich somit in reizloser Dunkelheit, ehe sie sich räusperte und vielleicht mit etwas rau klingender, aber ansonsten gewohnt ruhiger Stimme den Disput wieder aufnahm.


    "Wurdest du kürzlich zum besten Herrn der Welt ernannt und ich habe es nicht mitbekommen? Das wäre bedauerlich, dann hätte ich nämlich meinen kompletten Wetteinsatz verloren." Es war wirklich erstaunlich, wie sehr ihr Sarkasmus erblühte, wenn sie eine solch üble Art von Schmerzen verspürte. Vermutlich war diese Entwicklung dem Gesprächsverlauf nicht zuträglich, der ironische Wink bezüglich ihres Augenaufschlags schien schließlich auch komplett an seinem Verständnis vorbei gelaufen zu sein.
    "Ernsthaft: deine vollkommene Zufriedenheit ist kein brauchbarer Indikator für meine Entwicklung zur 'perfekten Sklavin', wie du es ausdrückst. Ebensowenig wie deine genannten Erkennungsmerkmale. Wenn du sagst 'Ich reite jetzt im gestreckten Galopp in diese Richtung!" und ich widerspreche dir nicht, obgleich ich weiß, dass in dieser Richtung ein enorm tiefer, extrem spitzsteiniger und unerhört tödlicher Abgrund lauert, dann, mein Herr, bist du der Allererste, der seine Prinzipien über den Haufen wirft. Oder wenn ich sehe, wie jemand unbemerkt Gift in deinen Kelch gießt und du mir anschließend befiehlst, ihn dir zum Essen zu reichen, würdest du dir dann nicht auch wünschen, während deine Gliedmaßen sich versteifen, deine Innereien zu allen Körperöffnungen herausdrängen und man bereits nach Münzen für den Fährmann zu suchen beginnt, dass ich deinem Befehl nicht gehorcht hätte? Möchtest du, dass ich dieses Bild erfülle? Also fange gar nicht erst an mit ordinären Allerweltsregeln. Letzten Endes liegen die wirklich wichtigen Entscheidungen bei mir, also muss meine Sichtweise korrekt und adäquat sein. In dieser Villa lauern eine Menge zwielichtiger Gestalten und ich spreche ausnahmsweise nicht von deiner geschätzten Familie."
    Dies war ohnehin ein Punkt, die sie an den reichen Sklavenhaltern nie so ganz nachvollziehen konnte. Dieses gierige Umgeben mit Sklaven, also zumeist mit fremden, unzufriedenen, hasserfüllten, verrückten, unberechenbaren Gestalten, die ewig in unmittelbarer Nähe lauerten, sich um alles kümmerten, zu allem Zugriff besaßen und ohne die man in den meisten Fällen bitter aufgeschmissen wäre. Was war daran so erhaben? Es war dumm und gefährlich und irgendwann wäre ein sehr kritischer Punkt erreicht, schließlich befanden sich die Sklaven immer in der Überzahl. Aber war das ihr Problem? Nun, um ehrlich zu sein war sie sich diesbezüglich noch nicht völlig sicher.


    "Und was die von dir erstellte Aussicht auf eine großartige Belohnung meiner Dienste anbelangt, so ist es zwar sehr lieb und freundlich, dass du dem Elefanten das Ziel in Aussicht stellst, einmal über den Ameisen stehen zu können, aber weißt du - es zeigt so fürchte ich nicht die gewünschte Wirkung wenn du mir vor Augen führst, einen höheren Rang als die übrigen Sklaven innehalten zu können. Lass es mich so ausdrücken: falls du auf der Straße einmal die Bemerkung hörst: 'Bitte, führt mich zu einem Tempel, damit ich endlich mit meinesgleichen sprechen kann', so hat sich jemand dreisterweise an meinem Wortlaut bedient. Da meine Eltern jedoch nachdem ich diesen Satz zum ersten Mal habe verlauten lassen sämtliche Ersparnisse für Opfergaben verschiedener Götter ausgegeben haben, glaube ich eigentlich nicht, dass allzu viele Menschen ihn benutzen. Doch es ergibt sich dadurch ein schönes Bild von meiner 'Arroganz, die in ihrem Ausmaß bereits die Götterlästerung berührt', wie es meine Mutter in ähnlicher Weise ausdrückte. Ich muss nicht offiziell über die übrigen Sklaven erhoben sein um zu wissen, dass ich mich genau dort oben befinde. Derart diffizil und armselig bin ich nicht."
    Die anderen Sklaven mieden sie sicherlich nicht versehentlich, nach der Eingewöhnungsphase hatte sie rasch gemerkt, dass das Plaudern und Beobachten ihrer 'Kollegen' ihr nichts brachte abgesehen von einer grausamen Verschwendung der eng bemessenen Zeit. Inzwischen besaß sie den wohltuenden Außenseiterruf einer hochnäsigen, verrückten Einzelgängerin, die davon überzeugt war, etwas weitaus Besseres darzustellen als alle anderen. Endlich durfte sie sich wieder ohne störende Ablenkungen mit sich selbst beschäftigen.


    Sinnierend betrachtete Asny ihre in Mitleidenschaft gezogene Hand und stellte fest, dass diese neben dem Schmerz im Rücken überhaupt nicht zu spüren war.
    "Und du nimmst mich garantiert niemals in dein Bett. Erstens weil ich nicht deinem Bild einer anziehenden Frau entspreche. Zweitens weil du bald heiratest und es kein akzeptables Geschenk für deine Zukünftige wäre, wenn deine Sklavin gerade ein Kind von dir trägt. Drittens weil perfekte Sklavinnen ihren Herren keine Bastarde vor die Tür legen und viertens, weil du nicht möchtest, dass neben deinem Körper und deinem Verstand auch noch deine Manneskraft hinken muss. Und das würde sie alleine aufgrund eines bloßen Versuchs. Man möchte gar nicht meinen, wie viel bei diesem doch eigentlich physischen Vorgang einer Erektion auch von der Psyche abhängt. Ich habe ohnehin nie verstanden, weswegen sich Männer als das starke Geschlecht bezeichnen, wo sie doch ihre Geschlechtsteile derart offen und ungeschützt nach außen tragen."

    Kannte der Wortschwall dieses Mannes denn gar kein Ende? Seine Stimme schien sich mit einem nervtötend brummenden Geräusch über die Schläfen gleich in ihr Gehirn zu bohren. Wie hielten es andere Menschen nur mit ihm aus? Wenn er so weiterschwadronierte, würde sie sich am Ende doch noch aus freiem Willen in die Arme einer angenehm dunklen und vor allem geräuschlosen Ohnmacht fallen lassen, nur um diesem ständig anschwellenden Dröhnen in ihrem Schädel zu entkommen. Hoffentlich wählte Aristides niemals den Pfad der Politik und musste lange, dröge Reden halten, so wie er es gerade tat. Stattdessen sollte er lieber ein priesterliches Amt ergreifen, jedes Opfer würde mit Freuden in den Opferdolch springen sobald er den Mund öffnete. Wie sie diesen Palaver anderer Menschen und deren Meinung über sie langweilte. Auch wenn sie es nicht laut aussprach, so bewegten sich ihre Lippen dennoch in einem stummen 'Warum sollte mich das interessieren?'. Doch ihr Geist war eisern auf das genaue Zuhören und Analysieren fixiert und kam dieser wichtigen Aufgabe sogar dann noch nach, wenn es eigentlich gegen ihren Willen geschah. Dabei hätte sie gerade am Allerliebsten so getan, als mache der enorme Blutverlust ein entsprechendes Verfolgen seiner großartigen Ansprache vollkommen untragbar. Auf diese Möglichkeit hätte er eigentlich auch von ganz alleine kommen können. Nun, vielleicht war er es einfach gewohnt, dass seinen Zuhörern langsam aber sicher die Augen zufielen, ihr Atem schwerer wurde, und sie allgemein ein eher blasses und kränkliches Aussehen an den Tag legten.
    Gut, ein gewisses Amüsement konnten seine Worte nicht verhehlen, weil er wiederum redete und wichtige Vorschläge machte, ohne sie wirklich zu kennen. Oder sich nur auf das berufend, was andere Sklaven ihm von ihr erzählt hatten. Und dass diese nichts Genaues von ihr wussten, dafür hatte sie höchstselbst gesorgt.


    Zusammen mit einem tiefen, aber lautlosen Seufzer gaben ihre Ellbogen das Abstützen auf und ihr Rücken sackte auf das Lager hinab, dessen Berührung sich anfühlte wie ein Berg der allerspitzesten Kieselsteine, die man auftreiben und aufschütten konnte. Ihre eisig blauen, glänzenden Augen öffneten sich etwas weiter, während sie die Decke über sich fokussierte und den Adrenalinschub, welcher mit dem aufpeitschenden Schmerz durch ihre Adern jagte, nach Möglichkeit auszukosten versuchte. Allzu oft würde sie diese Taktik nicht mehr ausführen können, doch zumindest gewöhnte sie sich langsam aber sicher an den Grad des Schmerzes. Er wurde nicht mehr wirklich stärker, es war lediglich ein Auf- und Abschwellen. Und es war auszuhalten.
    Vorsichtig sog sie die Luft etwas tiefer in ihre Lungen und bemühte sich, die zwischenzeitlich in die Laken verkrallten Finger nach und nach wieder zu lösen und zu bewegen. Nun mussten nur noch die Ränder ihres Sichtfeldes von den dort flackernden Schatten befreit werden und schon wäre alles wieder in Ordnung. Blinzelnd ließ sie ihren Blick über die Umgebung wandern. Oder waren diese Schatten echt und nur Ausgeburten der hereinbrechenden Nacht? Unter einem leisen, kehligen und eher freudlosen Lachen fand das nun dunkler wirkende Blau ihrer Augen zu Aristides' Gestalt zurück.
    "Hat dein ungleich intelligenterer Vetter Gracchus dir neben der Ausrichtung seiner berühmten Löwungen einmal erklärt, was man unter dem Begriff 'Misanthrop' versteht?" Das Lächeln verstärkte sich leicht, ansonsten blieb ihr blasses Gesicht wie gewohnt weitgehend unbewegt. Der Brustkorb hob und senkte sich beinahe schon zu gleichmäßig, so als halte sie ihre Atmung immer noch bewusst kontrolliert.


    "Ein Misanthrop ist jemand, der Menschen hasst. Nicht bestimmte, einfach... alle. In einem sehr gerechten Sinne. Er hegt keinen besonderen Groll gegen einzelne unter ihnen. Sie sind einfach nur Menschen. Das genügt bereits." Asny zuckte leicht mit einer Schulter und befeuchtete ihre Lippen mit der Zungenspitze, ehe sie ihre Rede leise wieder aufnahm.
    "Nachdem das geklärt wurde, werde ich deine 'Angebote' einmal systematisch und sorgsam durchgehen, wie es sich gehört. Ich benötige dafür keine Bedenkzeit, mein Verstand ist es gewohnt, schnell arbeiten und Entscheidungen treffen zu müssen. Egal unter welchen Bedingungen. Dank dir ist mir das gerade bewiesen worden." Ein leichtes Nicken in Aristides' Richtung folgte, das man entweder als dankbare Geste oder als neuerlichen Spott deuten konnte.
    "Was du über mich denkst interessiert mich nicht. Warum sollte es? Du kennst mich nicht einmal. Also werde ich das trockene Moos abdecken und mich nur auf das Wesentliche konzentrieren. Metaphorisch gesprochen. Es ist unglaublich human, dass du mir die Freiheit in Aussicht stellst als Belohnung für eine gute... 'Zusammenarbeit'. Nur komme ich gerade von dort. Ich habe meine Familie solange in den Wahnsinn getrieben, bis sie in ihrer Verzweiflung keinen anderen Weg mehr sahen, als mich einem Halsabschneider von Sklavenhändler zu überlassen. Zweifellos werden sie unter dieser Entscheidung für den Rest ihres kleinen, dummen Lebens leiden, aber das ist mir gleich. Ich wollte verkauft werden und es ist so geschehen. Du verstehst sicher, dass deswegen ein Rückgewinn der sogenannten 'Freiheit' keine akzeptable Option für mich ist. Den Steinbruch und die Löwung werte ich als dein Bemühen, mir einen gehörigen Schrecken einzujagen, damit es mir leichter fällt, die erste Alternative zu wählen. Was den Verkauf anbelangt - Herren sind austauschbar und im Grunde alle homogen, ob ich nun bei dir bin oder woanders läuft sehr wahrscheinlich auf sehr analoge Beziehungen hinaus. So bleibt also - oh Wunder - dein erstes Angebot."


    Ein kurzer und trockener Husten zwang Asny zu einer kleinen Pause, ehe sie weitersprechen und den Blickkontakt wiederaufnehmen konnte.
    "Du bist ein erwachsener, reifer und für römische Verhältnisse sogar gebildeter Mann. Wäre das nicht so, würde ich nicht mit dir sprechen. Auf meine Art respektiere ich dich durchaus. Doch gerade weil du ein erwachsener Mann bist musst du nicht mehr verhätschelt werden wie ein kleiner Junge, der Liebe und Anerkennung von allem, was ihn umgibt, spüren muss. Ich habe dich behandelt, wie ich behandelt werden möchte - und glaube mir, das ist eine wahre Auszeichnung. Ich will gefordert werden. In jeglicher Hinsicht. Du etwa nicht? Möchtest du behandelt werden wie ein alter Greis, beladen mit vergangenem Ruhm und der Ehre von gestern, der geachtet und respektiert wird, weil er etwas war? Oder ist es vielmehr dein Wunsch geehrt zu werden, weil du etwas bist? Und ich spreche nicht von dem Zufall, der dich in die Villa der Flavier gebracht hat. Weißt du, ich kann durchaus den leichten Weg gehen. Und dir einfach nur zu gehorchen wäre der leichteste Weg von allen. An jemandem wie dir mache ich nicht meinen Stolz fest. Ich bin keine heißblütige, impulsive, ungezähmte Sklavin, die ihren Kopf hochmütig und ungebrochen in den Nacken wirft und sich nicht unterwerfen will. So etwas empfinde ich als äußerst lächerlich. Aber ich suche nicht den leichtesten Weg. Du bist doch ein Krieger, nicht wahr? Was geschieht, wenn Muskeln nicht bewegt werden? Wenn Grenzen nicht überwunden werden? Man lässt nach. Lieber werde ich ausgepeitscht und lerne mit dem Schmerz umzugehen, als dass ich jeder kleinen Wunde aus dem Weg flüchte. Deine Bestrafung heute war das Intensivste, was mir bislang in dieser Villa zugestoßen ist, und es fühlte sich gut an. Es schmerzt wie die Ströme der Unterwelt, ohne Zweifel, aber es nützt mir sehr viel mehr als Streicheleinheiten. Genau wie es dir mehr nützt, auf deine Tochter angesprochen zu werden, als wenn man dir die Hand mitleidvoll tätschelt. Ganz einfach weil du dich damit beschäftigen musst, anstatt davor zu fliehen und dich in Wein zu ertränken. Ich werde keine gute Sklavin werden. 'Gut' ist genauso scheußlich wie 'nett'. Ich werde die beste Sklavin der gesamten Welt. Das gelingt mir aber nicht mit der Formel zur Erschaffung einer guten' Sklavin. Wenn du dich jedoch nicht würdig genug fühlst für die beste Sklavin der gesamten Welt, kannst du mich entweder verkaufen oder warten, bis du würdig genug bist. Allerdings verlange ich dann auch mehr als ein 'passables' Leben. So viele fürchterliche Ausdrücke! Ich benötige Zugriff zur Bibliothek sowie zu anderen Wissensquellen und ich wünsche von dir einen kompromisslosen, harten, strafenden und disziplinierenden Umgang mit mir. Du wirst nicht weich, du gibst nicht nach und du fängst nicht aus irgendwelchen sentimentalen Gründen plötzlich damit an, mich zu mögen. Das kommt ab und an schon mal vor, ich habe diesen entzückenden Augenaufschlag. Sollte ich merken, dass du nachlässt, muss ich dich zwangsläufig provozieren. Und wie du weißt, beherrsche ich dieses Handwerk in respektablen Zügen. Also - möchtest du darüber nachdenken oder hast du dich schon entschieden?"

    Womöglich hätte sie ihm im Voraus mitteilen sollen, dass es ihr außerordentlich einerlei war, wie er sie behandelte. Ob er sie nun auspeitschen ließ oder sie relativ freundlich umsorgte, für Asny bestand da kein Unterschied. Schließlich war sie kein Tier, das auf Lob und Strafe reagierte und sich dadurch lenken ließ. Menschliche Einflüsse von außen, gleich welcher Art, berührten bei ihr lediglich die Oberfläche, bewegten jedoch rein gar nichts in ihrer Gefühlswelt. Für einen solchen Erfolg gestaltete sich deren Wert bei weitem zu gering. Es war schon tragisch genug, dass sie den Kontakt zu anderen Menschen zwangsläufig immer wieder herstellen musste. Da würde sie ihnen ganz gewiss nicht noch gestatten, irgend etwas in ihrem präzise aufgebauten Inneren mit unfähigen Fingern anzutatschen. Schließlich war es nicht so, als hätte ihre Familie nicht während der zunehmenden Entfremdung ihrer ältesten Tochter mit Liebe und Verständnis versucht, dagegen anzugehen. Sie hatte kein schlechtes Elternhaus gehabt, weder einen prügelnden Vater noch eine schwache Mutter. Mit zunehmendem Alter war Asny einfach nur deren Beschränktheit und Inkompetenz aufgefallen und dementsprechend hatte sie sie mehr und mehr behandelt. Seltsamerweise schienen diese es nicht erwartet zu haben, dass ihre Tochter das hübsch kaschierende Tuch der kindlichen Liebe von ihren Gesichtern zerrte und ihnen direkt mitteilte, wie sie über die beiden dachte, denen sie ihr Leben verdankte. Und obgleich es vollkommen natürlich und verständlich hätte sein müssen, dass sie solche minderwertigen Menschen fortan weitestgehend ignorierte oder bestenfalls überdeutlich auf deren Unzulänglichkeiten hinwies, überraschte dies jedes Mal aufs Neue die gesamte Runde. Als wären lapidare Zärtlichkeiten eine respektable Währung, als würde davon einer von ihnen auch nur im Geringsten intelligenter.
    Zum Glück entfernten sie sich zunehmend aus Asnys Blickfeld und hörten irgendwann mit der lästigen Angewohnheit auf, 'darüber sprechen zu wollen', obgleich sie es eigentlich gar nicht wollten. Wenn ihre Tochter dann tatsächlich mit ihnen plauschte, gab es doch nur wieder Gezetere und Geheule. Als sie anfing, ihnen tüchtig Angst einzujagen, wurde die Angelegenheit deutlich leichter.


    Ebenso sah es inzwischen auch mit diesem Flavier aus, dieser Verschwendung von Knochen und Fett. Sein Lachen barg keine neue Reaktion für Asny, ausgelacht hatte man sie bereits des Öfteren. Doch wenn man wusste, aus wessen Kehle dieses Gelächter herausquoll, erübrigte sich jedwede daraus folgende Konsequenz. Womöglich lag in seinem Gekollere aber dennoch ein wahrer Kern. Vielleicht stand er einfach viel zu weit unter ihr, als dass es sich lohnte, ihn als ihren Herrn anzuerkennen. Man konnte keinem Regenbogen die Fingernägel feilen. Wie viel Mühe, Arbeit und Nerven würde es kosten, diesen wandernden Hirnausfall auf eine in ihren Augen annehmbare Stufe zu erhöhen? Dadurch würde sie zweifelsohne Zeit verlieren, die sie mit ihrer eigenen Ausbildung zubringen sollte. Mochten die Moiren ihr das Ding, welches sich gerade zu ihr hinabbeugte, auch zugespielt haben, seit wann konnten solche Hirngespinste über ihr Leben bestimmen? Sie war auf ihren Wunsch hin hier gelandet, ebenso gut würde sie jederzeit woanders hingehen können. Wer sollte sie abhalten? Aristides Hinkefuß, der glaubte, gerade eine amüsante Bemerkung gemacht zu haben?
    Ja, Trottel waren lustig. Kein Wunder, dass jedes Dorf einen haben wollte.


    Sie hatte ihre Aufmerksamkeit längst wieder von ihm abgezogen, als er sie aus welchen albernen Gründen auch immer hochhob und fort brachte. Weswegen hätte sie sich dagegen wehren sollen, sie war schließlich keine kleine, verbohrte Göre. Solange er jetzt nicht Dankbarkeit oder etwas ähnlich Unterhaltsames erwartete. Hätte sie seine Tat nicht gebilligt, wäre er gar nicht erst dazu gekommen, sie anzurühren.
    Dann wurde es wirklich albern. Wie alt war dieser Mensch, zwölf, dreizehn? Oder einfach nur durchtränkt von weichbäuchigem Glauben an das Gute? Asny stützte sich mit den Händen auf dem Bett ab, um mit ihrem immer noch blutenden Rücken nicht dieses dämliche Lager zu berühren. Kurz presste sie die Lippen aufeinander und erstickte den aufsteigenden Fluch in ihrem Hals. Er sollte nicht ein einziges Keuchen mehr von ihr hören, dies würde ihre Selbstbeherrschung ausreichend schulen, so dass dieser 'Ausflug' zumindest einen geringen Sinn erhielt. Von den Sklaven hatte sie rein gar nichts mitbekommen und ihre Erinnerung über den Weg von ihrem erholsamen kleinen Loch zurück in das Elend der Gesellschaft wies ebenfalls einige mysteriöse Lücken auf. Wahrlich interessant. Ebenso wie die Frage, ob diese Unterbrechungen mit dem Heilungsprozess wieder geschlossen würden. Langsam schluckte sie einige Male, um ihren trockenen Hals ausreichend für eine angemessene Antwort zu befeuchten. Ihre Augen blieben zunächst halb geschlossen, doch das Lächeln weilte nach wie vor auf den blassen Lippen, während sie mit leiser, aber vernehmlicher Stimme erwiderte:
    "Lebensmüde? Nur weil ich gerade mein Blut anfeuere, doch noch etwas schneller aus meinem Körper zu schießen, damit mir die vernebelten Sinne vielleicht deinen blamablen Sermon ersparen?"
    Dann, in scheinbar plötzlicher Erkenntnis, öffneten sich ihre Lider etwas weiter und die blonden Augenbrauen hoben sich verblüfft. "Oh bei den Göttern, du hast recht! Ich bin lebensmüde! Da parliere ich unter höchstem Zeitaufwand mit intelligenten, weisen Menschen um mich herum, dabei hätte ich die ganze Zeit nur dich zu fragen brauchen!"
    Schmerz hatte durchaus sein Gutes, ihr Sarkasmus triumphierte selbst ohne jede körperliche Kraft nach wie vor, wenn nicht sogar noch etwas besser. Zudem beruhigte sie dieses Wissen auch im Hinblick auf ihre Todesstunde. Eine ihrer größten Sorgen war es gewesen, am Ende vielleicht doch noch rührselig und sentimental zu werden.

    Mein inkompetenter, unfähiger, schwächlicher Herr hat sein Postfach voll und ich mach das ganz sicher nicht sauber. :P

    Sie konnte unmöglich sagen, wie viel Zeit vergangen war, seit man ihr diese beste Behandlung seit ihrer Ankunft hatte angedeihen lassen. Vielleicht herrschte draußen schon Nacht, vielleicht war auch bereits der nächste Morgen angebrochen. Ihr Zeitgefühl schien ebenso mit kühler Taubheit geschlagen wie die Muskeln ihres Körpers, und beide Aspekte fanden bei ihr das gleiche Desinteresse. Wen kümmerte schon das Draußen? In ihr gab es mehr zu erleben, zu entdecken, als alles jenseits ihrer Gedanken, ihres Daseins. Schon immer hatte sie dies gewusst oder zumindest geahnt, inzwischen war sie bei fester Gewissheit angekommen. Natürlich hatte ihr Körper gelitten und tat es immer noch, aber er würde es überleben. Er war stark, sie durfte es sich erlauben, ihn eine Weile sich selbst zu überlassen und sich auf ihren Geist zu fokussieren. Womöglich half sie ihrer Physis dadurch nicht weniger.
    Ihr Herzschlag war langsamer geworden, beinahe wie bei einer Schlafenden. Asny wusste, dass der Schmerz noch irgendwo lauerte und nur darauf wartete, sie erneut in Besitz zu nehmen, doch augenblicklich schien er nicht mehr als ein weit entferntes, leeres Gefühl. Nie hatte die Sklavin zu Leidenschaftlichkeiten geneigt, doch ein solch tiefer Punkt der Ruhe und Gelassenheit war ihr bislang verschlossen geblieben. Schließlich hatte sie selbst immer ausreichend dafür gesorgt, dass ihre Gedanken beschäftigt waren, griechische Vokabeln wiederholten oder irgendeinen anderen Stoff rezitierten, damit sie bloß nichts vergaß. Vergessen wäre die größte Katastrophe, die sie sich auszumalen vermochte. Der Tod war dagegen nichts, ein farbloser Geist, eine niedrige Schwelle. Lieber starb sie im Wissen um ihre Existenz, als ohne Gedächtnis, ohne ihre Brillanz weiterzuvegetieren wie ein Tier. Oder der Großteil der Menschen, die sie umgaben.
    Dass sie diese Stille in sich zuließ, war also neu und es fühlte sich ebenso fremd an. Dank ihrer körperlichen Schwäche war es ihr indes leichter gefallen, die wie üblich aufkeimenden Gedankenströme allesamt von sich fortzuschieben und Raum für etwas anderes zu schaffen.


    Doch irgendwann wurde die Welt dort draußen wieder auf sie aufmerksam. Es war so typisch. So leicht war es für sie, alles um sich herum auszublenden, dass sie kaum einmal von sich aus wieder nach Kontakt suchte. Immer wurde sie gestört. Dabei existierte dort doch eigentlich niemand mehr, der ihre Gegenwart vermissen könnte. Bei den Sklaven hatte sie ganze Arbeit geleistet, wovon sie sich kürzlich erst wunderbar überzeugen konnte. Aristides würde vielleicht irgendwann wissen wollen, ob seine ‚Strafe‘ die erhofften Früchte getragen hatte. ‚Strafe‘, als das sah er diesen Ort zweifellos. Dabei würde ihm ein längerer Aufenthalt hier unten auch gewiss nicht schaden. Wenngleich sie bezweifelte, dass er denselben Frieden wie sie hier finden könnte. Vielmehr würde er aufgrund der innerlich tobenden Dämonen schreien und sich die Fingernägel abbrechen bei dem Versuch, zu entkommen.


    Das Knirschen des Riegels glich einer ohrenbetäubenden Kakophonie. Unwillkürlich öffneten sich ihre Augen, nur um sich einen Herzschlag später wieder zu schließen angesichts der plötzlichen Helligkeit durch eine ansonsten doch so harmlose Lampe. Aristides, natürlich. Wem sonst lag so verzweifelt daran, sich bei ihr unbeliebt zu machen? Mit immer noch geschlossenen Augen atmete Asny ein paar Mal durch, um auf angemessenerem Wege ihre Rückkehr zu gestalten. Brachiale und strunzdumme Flavier besaßen dafür natürlich kein Verständnis. Als er anfing, an ihr zu zerren, musste zwangsläufig eine schnellere Lösung her, gleich alle Sinne auf einmal wieder aufzuwecken. Bevor also diese dicken Finger noch weiter nach ihr greifen konnte, stieß sie ihre angewinkelten Ellbogen mit einem harten Ruck nach hinten, um ihre Rückenpartie aus dem Tiefschlaf zu holen. Der folgende, sicherlich direkt aus dem Tartarus aufgestiegene Schmerz ließ sie atemlos keuchen, doch trotz einiger flirrender Punkte, die nun vor ihren Augen explodierten, spürte sie den Großteil der alten Lebendigkeit zurückkehren. Ebenso fühlte sie das Aufbrechen der gerade verschorften Wunden und erneuten Blutfluss über ihre Haut.
    Dank der neuen, etwas zweifelhaften Energie gelang es ihr nun mit zusammengebissenen Zähnen, die Hände ihres Herrn zurückzuschlagen, derart, dass das Metallgewicht an ihrem Handgelenk ihn traf. Für einen normalen Angriff besaß sie noch nicht genügend Präzision in ihren Bewegungen. Mit zusammengebissenen Zähnen und unter leisem Keuchen stieß sie hervor:
    „Hör auf damit! Wenn ich zu schwach bin, mich zu bewegen, ist das mein Problem!“ Ihre eigene Stimme erschien ihr seltsam entfernt und hätte sie sich in einem Spiegel betrachten können, wäre sie sich aufgrund der blassen Haut und dem verbissenen Gesichtsausdruck kaum bekannter erschienen.


    Dann, während einer ihrer immer noch unregelmäßigen Atemzüge, nahm sie etwas wahr, das selbst den Schmerz in den Hintergrund drängte. Weingeruch. Verärgerung kroch in ihr empor wie eine dank des Schmerzes noch stärker angepeitschte Schlange. Erstaunlicherweise senkte sich dies jedoch auf sie wie eine eisige Decke, erstickte das Keuchen, ließ ihren unruhigen Blick nahezu erstarren und das sonst allgegenwärtige, ruhige Lächeln auf ihre bläulich schimmernden Lippen zurückkehren. Im verzerrenden Lichterspiel der Lampe sah sie aus wie ein leibhaftiger Dämon, die heisere, leicht im Gang nachhallende Stimme tat ihr Übriges.
    „Musst du dich noch um die letzten, jämmerlichen Reste deines Verstandes saufen? Ich habe bereits mitbekommen, wie tief ich dich getroffen habe, du musst es mir nicht wieder und wieder beweisen.“ Da Asny zwangsläufig die Luft angehalten hatte um zu sprechen, füllte sie ihre Lungen nun mit einem tieferen Atemzug, entließ ihr Gegenüber jedoch nicht aus den Augen. Wenn er ihren Namen kannte, hatte er sich umgehört. Und wenn er sich umgehört hatte, wusste er gewiss auch schon die ganze Wahrheit. Wenigstens in diesem Punkt hatte er sich ausnahmsweise intelligent verhalten. Sie schluckte und unterdrückte damit den aufsteigenden Drang, zu husten. Als sie ihre kurz verschlossenen Augen wieder öffnete, lag ihnen ein fast fiebrig anmutender Glanz inne.
    „Ich lasse nicht zu, dass du dich weiterhin derart gehen lässt. Du bist mein Herr.“ Es war unglaublich, wie besitzergreifend diese Worte klingen konnten, die doch eigentlich das Gegenteil davon ausdrücken sollten. Man konnte sich aufgrund dieser heiser geflüsterten Silben entweder etwas einbilden oder richtiggehend Angst bekommen. Da ihr Blickfeld stetig kleiner zu werden drohte, intensivierte sich ihr Blick zu einer bohrenden, fast spürbaren Präsenz. Ein knapp gezischtes Wort auf Germanisch, von dem sie gar nicht gewusst hatte, dass sie es noch kannte, verließ ihre Lippen und ihre Faust schlug gegen die Steinwand rechts neben ihr, wo sie auch stützend verharrte. Sie würde nicht bewusstlos werden, ebenso wenig wie sie es am Kreuz geworden war. Ihre Augen hingen an den seinen fest als wären sie die einzige Verbindung zum Hier und Jetzt, der einzige Felsvorsprung über dem gähnend schwarzen Abgrund. Ihr Kreislauf war am Ende, so sehr er sich zuvor auch erholt haben mochte. Das plötzliche Aufwachen und der Schmerz vertrugen sich überhaupt nicht. Trotzdem gelang es ihr noch einmal, ein Lächeln zu retten und auch ihr langsam verschwimmender Blick behielt einen entschlossenen, fast bedrohlich anmutenden Ausdruck.