Nachdem sie tatsächlich die Kunst fertiggebracht hatte, selbst als Tote fast noch einmal an einem ausgewachsenen Erstickungsanfall zu sterben, kehrte auch Asa auf die kurzfristig verlassene Bühne der Sklavenunterkunft zurück, nachdem sie für einige Augenblicke etwas unkontrolliert in das Mauerwerk darunter abgedriftet war. Hätte sie gewusst, dass es etwas nutzen würde, wäre sie wohl so frei gewesen, ihre gemütlich plaudernde Schwester auf anwesende Kinder aufmerksam zu machen. Aber es stellte nichts anderes als Naivität dar, anzunehmen, dass Asny bei ihren Ausführungen auf irgendwelche Anwesende Rücksicht nähme, schließlich wusste sie sich gewählt auszudrücken. Und dass Dinge existieren, für die Dido womöglich noch zu jung wäre - nun, mit dieser Meinung stand Asa wohl recht alleine da. So hoch, wie der lebende Zwilling das reine Wissen an sich schätzte, stellte gewollte Unwissenheit einen Frevel höchsten Ausmaßes dar. Doch mit ein wenig Glück interessierte sich Dido herzlich wenig für derartigen Kram. Und mit noch wesentlich mehr Glück beließ Asny es bei dieser einmaligen Bemerkung.
Dass die weißblonde Sklavin auch weiterhin so versessen darauf war, für einen vollkommen Unbekannten zu beten, mochte noch seltsamer anmuten wenn man wusste, dass ihr älterer Bruder ebenfalls der römischen Armee als einfacher Fußsoldat beigetreten war - wenn man denn freundlich war, und es auf diese Weise ausdrücken wollte. Bereits vor einigen Wochen, inzwischen Monaten, hatte seine Legion Rom verlassen und kämpfte... irgendwo. Asnys Wissensdurst hatte leider nicht ausgereicht, um sich dafür zu interessieren, wo denn ihr älterer Bruder möglicherweise gerade sein Leben aushauchte. Asa, die trotz aller Geisterqualitäten recht eng mit dem Kopf ihrer Schwester verbunden war, wusste es natürlich ebenso wenig, obgleich es sie erheblich mehr interessiert hätte. Doch der lebende Zwilling hatte sich bereits vor einigen Jahren eine bestimmte Meinung von jenem Familienmitglied gebildet, aufgrund von verschiedenen Taten und Worten seinerseits. Diese Meinung hatte sie, diesmal den wohlmeinenden Worten ihres ehemaligen Mentors voll und ganz folgend, sogar recht kurz und knapp auf einen einzigen Begriff zusammengestaucht.
'Säufer'?
'Schläger'?
'Krimineller'?
'Mörder'?
'Vergewaltiger'?
'Erpresser'?
'Betrüger'?
'Untergrundherrscher'?
Nicht doch.
'Dummkopf'.
Damit war das Thema 'älterer Bruder' für Asny vom Tisch, obgleich Kjartan nicht wirklich zu blöd war, um einen Löffel richtig herum zu halten. Er besaß eine sachte Neigung zur Einfachheit, zur Einfalt, machte diesen Hang jedoch meistens mit optimistischer, selbstbewusster Ader wieder wett und wurschtelte sich so dennoch irgendwie durch sein Leben, dabei nicht wirklich ein Ziel vor Augen. Asny wechselte das letzte Wort mit ihm vor ungefähr zwei Jahren. Von diesem Zeitpunkt an gestalteten sich die Unterhaltungen ältester Bruder/älteste Schwester durchweg wie Selbstgespräche. Denn Kjartan hing an seiner Schwester und füllte die ansonsten zwischen ihnen herrschende, nicht wirklich bösartige, aber auch nicht gerade angenehme Stille weiterhin mit fröhlichem Geplaudere in der Hoffnung, dass seine Lieblingsschwester irgendwann doch noch einmal reagieren würde. Ebenso gut hätte er sich mit einer Steinwand unterhalten können. Wäre er zu jenem Zeitpunkt zu Hause gewesen, hätte er zweifellos niemals zugelassen, dass ihre Eltern Asny in die Sklaverei verkauften, deren verdächtiges Verhalten er stets überaus ehrenhaft verteidigt hatte. Nicht, dass er seiner Schwester damit in irgendeiner Weise eine Freude gemacht hätte. Kjartan hatte sich irgendwann nach einem etwas ungeschickten Spruch *poff* in Luft aufgelöst und wahrscheinlich wäre Asny eher über ihn gestolpert, als nur noch ein Wort mit ihm zu wechseln. Und was sein Schicksal in der Armee anbelangte - herrje, die menschliche Lebensspanne war zu kurz, um über Nichtigkeiten nachzudenken.
Jenes Geschwisterkind, das Asny sehr wohl wahrnahm, auch wenn der Rest der Welt nicht dazu in der Lage war, sah nach einem kurzen Ausflug in schwesterliche Grausamkeiten wenigstens ihre vormalige Wette als gewonnen an, denn Dido etwas Süßes hinzuschieben bot eine größere Vernichtungsgarantie als die gesamte römische Armee. Und natürlich wurde nicht geteilt, alles andere hätte vermutlich auch eherne sklavische Grundsätze erschüttert. Immerhin schien der Honig auch die letzten Tränen zum Versiegen gebracht zu haben, wie Asa zufrieden feststellte. Dido als ihre mögliche Wiedergeburt sollte auch wahrhaftig nicht allzuviel heulen, erst recht nicht vor Hannibal, der nach wie vor streng beäugt wurde. Nicht, dass ein Geist im Notfall allzu viel hätte ausrichten können, doch vielleicht sollte sie wenigstens versuchen, in der kommenden Nacht ein wenig Albdruck zu spielen und Hannibals Brust ein klitzekleinwenig zu beschweren. Die Nächte, in denen Asny schlief, waren langweilig und in einen fremden Kopf zu schlüpfen war eine verlockende Vorstellung für einen Plagegeist in Ausbildung.
Die lebende Schwester indes war derzeit sowohl von Dido wie natürlich noch viel weiter von ihrem unnützen Bruder entfernt. Ihre konzentrierte Aufmerksamkeit galt einzig Hannibal, oder vielmehr dessen Worten, denen sogar das Kunststück gelang, Asnys Herz ein wenig schneller schlagen zu lassen. Eine Lyra... ein Wettstreit mit Apollon... ein Lehrer... Asnys Ehrgeiz stand so lichterloh in Flammen, dass selbst durch die Nebelschleier ihrer Augen fahles Sonnenlicht zu blinzeln schien. Keinen angepeitschten Pulsschlag lang gab sie sich auch nur mit dem Gedanken ab, dass die Kunst des Lyraspiels womöglich nicht für sie geeignet wäre. Jeder, der sie schon einmal bei innerlich völlig auf ihr Tun fokussierten, die Umgebung, die Zeit, die Welt vergessenden Übungen von was auch immer gesehen hatte, wusste zumindest zu sagen, dass ihr Erfolg gewiss nicht an Dingen wie Willen, Faulheit oder Ablenkungen scheitern würde. Ihr alter Mentor hatte einmal direkt neben ihr einen aufgrund leichter Herzstörungen auftretenden Schwächeanfall bekommen, ohne dass Asny es völlig vertieft in ihr Studium griechischer Vokabeln überhaupt bemerkt hatte. Ebenso gut hätte er schreiend und gurgelnd abgeschlachtet werden können, solange keine Blutspritzer ihren Weg aus herausgerissenen Gedärmen durch die Luft und auf vokabelhaltiges Pergament fänden, wäre von seiner übereifrigen Schülerin keinerlei Hilfe zu erwarten gewesen.
"Ich werde härter trainieren denn je um bei Marcus Aristides' Rückkehr bereits Ergebnisse vorweisen zu können", erwiderte sie an jener Stelle überaus schlicht und ruhig, mit keinem Laut ihren inneren Tumult andeutend, der seine Kraft zwar aus freudigem Chaos schöpfte, jedoch sehr schnell in sinnvolle, strebsame Bahnen gelenkt wurde, um Verschwendungen von Energie vorzubeugen.
Was das Christentum betraf, so besaß Asny zwar einen groben Überblick über das Wie und Warum, da es ihrer Meinung nach irgendwie zur Allgemeinbildung gehörte, sich auch Andersgläubigen zu widmen, doch für sie selbst kam eine einzelne Gottheit einfach nicht in Frage, schon allein aufgrund ihres teilweise nach Gottheit geordneten Repertoires an Tänzen, Liedern und Gedichten. Wäre es indes anders gewesen, hätte sie dies nach Hannibals Frage mit großer Gewissheit rundheraus zugegeben, da sie sich in Fragen ihre Meinung und Einstellung betreffen betont offen und ehrlich gab. Es existierten viele Themen, bei denen sie aufgrund vorangegangener Auseinandersetzungen und Meinungsbildungen mitdiskutieren und -argumentieren konnte, weit jenseits des üblichen seichten Konservationsgeplauders junger Frauen, deren verzweifelte Eltern einen brauchbaren Ehemann suchten. Das Problem bestand vielmehr darin, einen brauchbaren Diskussionspartner zu finden, der bestechend logisch vorgebrachten Elementen nicht mit einem simplen 'Find' ich aber doof irgendwie' gegenübertrat. Äußerst frustrierend.
Hannibals gutmütiges Lachen forderte bei Asny in keinster Weise eine Reaktion heraus, während der Geist neben ihr von einer Schwester zu einem grollenden Kampfhund transformierte und mit schwärzesten Zornesblitzen die Atmosphäre auflud - wenigstens für jene, die ein Gespür für das Übersinnliche besaßen. Das warnende Knurren nahm konstant an Lautstärke zu, ebenso wie die Anzahl von albträumerischer Misshandlungen, die Asa anstrebte, sobald Didos Erzeuger sich in der Hoffnung auf ein wenig Ruhe, Frieden und Vergessen in Morpheus' Arme warf. Um zwanzig Jahre gealtert würde er am nächsten Morgen aus dem Bett kriechen, mit weißem Haar, zitternden Händen, und für alle Zeiten der Lust auf fleischliche Vergnügungen beraubt. Verdammt, wenigstens einen simplen Schluckauf könnte er bekommen bei derartigen Mengen schadhafter Impulse!
Asnys Gedanken freilich drehten sich vielmehr um das Erlernen der Buchführung durch eben jenen Mann, den sie aufgrund der negativen Energiewolken, die ihn inzwischen umgaben, nach längerer Blinzelpause kaum noch erkennen konnte. Sicherlich würde es nicht schaden, wenn zwei Sklaven des Marcus Aristides die Buchführung beherrschten, sollte Hannibal wider Erwarten einmal unpässlich sein, um dieser wichtigen Aufgabe nachzukommen. Beispielsweise weil ihn unsichtbare Hände von hinten zu erwürgen versuchten. Die neue Sklavin nahm sich vor, jene überaus eigennützige Überlegung bei Gelegenheit vorzutragen, empfand es jedoch als höflicher, ihr vorgebeugtes Gegenüber erst einmal seine Ausführungen zu Ende bringen zu lassen.
Zugegeben, nach den Klängen rechts von ihr, die inzwischen an eine ganze Horde tollwütiger Wölfe erinnerten, drangen Hannibals Worte bezüglich körperlicher Dienste ein wenig verzerrt zu ihr, dennoch wich der Ausdruck ruhigen Interesses nicht einen Herzschlag lang aus ihren Augen. Ebenso gut hätte man ihr etwas über die Heizsysteme der örtlichen Thermen erzählen können. Ihr Verständnis mit einem Nicken bekundend verriet sie zunächst keinen ihrer Gedanken, die jedoch wie so oft in guter Anzahl vorhanden waren. Doch sie ließ auch das Thema der Götterwahl zunächst noch folgen, wobei Asa Didos Vorschlag nur triumphierend nickend zustimmen konnte. Asny indes blieb ein wenig länger bei der Erwähnung der Salier hängen, von denen sie sehr wohl bereits etwas gehört hatte, bedauerlicherweise nur im unzufriedenen Klatsch der schlechtbehandelten Bevölkerung. ' 'ne neue Ausrede dieses reichen Gesocks, um sich in die Waagerechte zu saufen und 'rumzuhuren und teures Essen in sich 'reinzustopfen, diesmal mit dem Grund, den Göttern zu huldigen! Ich sach's ja immer, gib' Dreck 'nen hübschen Namen und alle fressen ihn!' Ja, so in etwa mochte der meistgehörte Wortlaut gewesen sein, doch zweifellos würde sie hier eine andere Definition derselben Sache hören und lernen. An sich klang dies mit dem Tanz und den Kriegsgöttern doch auch recht überzeugend, weswegen Asny wiederum sacht nickte. Allerdings kannte sie sich auf diesem Gebiet bedauerlicherweise nicht ausreichend aus. Womöglich gab es festgelegte Tanzschritte, Figuren, Darstellungen, die sie zunächst lernen sollte. Sie würde zweifelsohne nachfragen müssen. Und wollen.
Ihr Instruktor und sein Spross hatten geendet und Asas blutrünstiges Geknurre war auf vertretbare Lautstärke abgesunken.
"Die Tänze zu Ehren der Kriegsgötter klingen vielversprechend, sofern ich diese verwenden darf. Falls es vorgeschriebene Schritte gibt, müsste ich die natürlich zuvor erlernen, ansonsten wäre es mir eine Ehre. Wie Dido schon vorschlug", ein kurzes, dankbares Lächeln in Richtung der kleinen Sklavin folgte, "wäre Mars vermutlich doch eine sinnvolle Wahl. Womöglich wäre ein Tieropfer auch eine Überlegung wert, um überhaupt die rechte Aufmerksamkeit des Kriegsgottes zu bekommen...." Nicht, dass es ihr für einen guten Zweck etwas ausgemacht hätte, einem Tierleben ein rasches, blutiges Ende zu bereiten, vielmehr beunruhigte sie ihr Mangel an Erfahrung auf diesem Gebiet ein wenig, doch auch dies betreffend würde sie sicherlich jemanden finden, nach dessen Anordnungen sie handeln könnte.
Diesbezüglich noch uneinig mit sich selbst wechselte sie erst einmal zum nächsten angesprochenen Thema und begann sogleich mit ebenfalls typischem, leichtem Schulterzucken, um einem weiteren mystisch umwölkten Gebiet mit vernichtender Sachlichkeit und Logik zuleibe zu rücken. Selbstredend mit höflichstem, zartem Lächeln.
"Derart romantisch verklärt, um meine Jungfernschaft zu bangen, bin ich nicht. Man sollte nur einfach wissen, wo die eigenen Grenzen liegen. Was nutzt es so zu tun, als besäße man Erfahrungen auf einem Gebiet, die nicht vorhanden sind? Eigentlich vertrete ich ohnehin die Meinung, dass die Jungfräulichkeit und deren Ende allgemein ein wenig zu hochgeschätzt wird."
Sagt die Jungfrau, die eben noch unbedingt zu Vesta beten wollte.
"Von den Vestalinnen vielleicht abgesehen. Wie ich gelernt habe, liegt das ganze hochgelobte Geheimnis in einem dünnen, schmalen, mäßig durchbluteten Stückchen Haut, das den gesamten Vorgang vielleicht etwas unangenehm macht, welches im Grunde jedoch kaum eine Erwähnung wert ist und einzig durch zuviel Symbolisierung jenen Status erhielt, von dem es nun nicht mehr weichen will. Die gesamten darum schwirrenden Begrifflichkeiten wie 'opfern', 'schenken' oder 'rauben' sind eigentlich nichts als imaginäre, inhaltslose Übertreibungen und könnten ebenso für das Durchstechen eines Ohrläppchens oder das Schneiden der Haare gelten, wo sie dem normalen Menschen überraschenderweise jedoch vollkommen banal erscheinen, außer natürlich sie unterliegen einem kultischen Ritus. Eine Jungfräulichkeit ist kein Päckchen, das man bei sich hat und verlieren kann, sondern ein einfacher körperlicher Zustand, in dem man sich entweder befindet, oder eben nicht mehr. Entweder, das Ohr wurde durchbohrt, oder es ist noch ganz. Es ist, wie es ist, kaum ein Grund, das Firmament auf den Kopf gestellt zu sehen. Oh, aber ich bilde mir keineswegs ein, alles über dieses Thema zu wissen und ich möchte auch keinesfalls deine besondere Einstellung dazu Lügen strafen. Es ist nur meine persönliche Meinung."
Während Asa noch leise wimmernd anmerkte, dass sich weiterhin ein Kind in der Mitte jener unglücklichen Debatte befand, ergänzte ihre Schwester mit gleichbleibend ruhiger und gelassener, fast entspannt wirkender Stimme:
"Kann ich dann durch den Satzteil 'die Sklaven musst Du nicht an Dich heran lassen' aber davon ausgehen, für die Sklavenzucht der Flavier nicht in Frage zu kommen?"