(Io, des Inachos Tochter, kommt gestürmt; Hörner bezeichnen ihre Verwandlung zur Kuh)
IO:
Welch Land? Welch Volk? Wen seh ich da hoch
In die Fesseln gebannt an dem hohen Geklüft,
Wie den Wettern zum Spiel? Um welch Unrecht
Sollst so du vergehn? Tu kund mir, wohin
Ich Heimatlose geirrt bin!
Weh mir! weh mir!
Es sticht mich Arme, mich die Bremse wieder!
Gespenst, des Argos Riesenbild,
Wehrt ihm! Huh! Entsetzen!
Den Tausendäugigen, meinen Hüter seh ich!
Und er umschleicht mich schon, tückischen Haß im Blick,
Den auch erschlagen nicht der Erde Gruft birgt!
Nein, von den Tiefen aufwärts wider mich Arme steigt er
Und scheucht mich, jagt mich Lechzende fort über den sandigen Strand einsam;
Zu mir herüber trägt der wachsgefügten Rohrflöte Schall
Sein Schlaflied so süß!
Weh, weh! wohin, wohin schweif ich, irr ich fern in die Ferne fort?
Was denn an mir, o Kronos' Sohn, was denn an mir
Hast du Ursach erkannt, daß du so schwerer Qual Joch mir auflegst? Oh!
Mit dieser wahnsinngeißelnden Angst mich Angstzerrüttete also marterst?
Gib mir der Flammen Tod, birg in ein Grab mich tief, tief ins Meer
Wirf mich dem Hai zum Raub!
Nein, versag nicht, Herr, mir diesen einen Wunsch!
Mein Schweifen fern in die Ferne hat
Mich gnug gequält, nicht weiß ich mehr, auf welchem Pfad
Dieser Qual ich fliehn soll!
CHOR:
Du hörst der stierhörngen Jungfrau Gesang?
PROMETHEUS:
Wohl schallt der wahnsinnschweifenden Jungfrau Ruf herauf,
Des Inachoskindes, welche Zeus' Herz einst getränkt
Mit süßer Liebe, jetzt in endlos irrem Lauf
Von Heras bittrem Haß verfolget und gequält!
IO:
Wie denn erfuhrst du meines Vaters Namen schon, sag es mir,
Mir, der Gequälten? Wer,
Dulder, wer bist du selbst,
Daß du so gar zu wahr mich Dulderin schon begrüßest
Und mir den gotträchenden Jammer benennst,
Der mich aufzehrt in Glut, der mich aufpeitscht in schmerzglühndem Wahnsinn! Oh! -
Rastlosen Schweifens stürmt ich daher ohn Trank und Speise, gescheucht von Hera,
In der Verfolgung Hast so überwältigt! Wer ist gottverstoßen wie ich? Wehe! wehe!
Wer wie ich gemartert? Offenbar' du mir,
Was fürder mir zu erdulden bleibt,
Was fürder nicht mehr, wo ein Balsam meinem Schmerz?
Sag mir's, wenn du's weißest.
CHOR:
O sag's, tu's der irrselgen Jungfrau zulieb!
PROMETHEUS:
Ich will dir alles sagen, was du hören willst,
Nicht rätseleingeschleiert, nein, mit schlichtem Wort,
Wie recht den Freunden sich des Freundes Mund erschließt:
Der den Menschen Licht gab, 's ist Prometheus, den du siehst.
IO:
O du, den Menschen allgemeinsam teurer Hort,
Sag an, Prometheus, wessenwegen duldest du?
PROMETHEUS:
Kaum hört ich auf zu klagen meinen ganzen Gram.
IO:
Und du, gewährtest diese kleine Gunst mir nicht?
PROMETHEUS:
So sprich, was meinst du? Sagen will ich alles dir.
IO:
So sag mir, wer dich an den Fels geschlagen hat?
PROMETHEUS:
Des Zeus Gebot war's, durch Hephaistos' Hand geschah's.
IO:
Doch welches Frevels Strafen sollst du leiden hier?
PROMETHEUS:
O laß genug sein, daß ich dies dir nur gesagt.
IO:
Dann aber weiter: meiner Irrfahrt Ende, sprich,
Wann wird es jemals nahn mir Unglückseligen?
PROMETHEUS:
Daß du es nicht weißt, frommt dir mehr, als daß du weißt.
IO:
Verbirg mir nicht mehr, was ich doch ertragen muß.
PROMETHEUS:
Ich, glaub es mir, mißgönne dir nicht diese Gunst.
IO:
Was säumst du dennoch, alles das mir kundzutun?
PROMETHEUS:
Mißdeut es nicht; dein Herz zu betrüben säum ich gern.
IO:
Nicht sorge du mein weiter, als mir selbst erwünscht.
PROMETHEUS:
Weil du es wünschest, muß ich sprechen; höre denn.
CHOR:
Noch nicht! Des Wunsches gönnet mir auch einen Teil;
Zuvor erfahren laß mich dieses Mädchens Leid,
So daß sie selbst nennt ihr verderbenreich Geschick
Und dann von dir hört ihrer Mühsal andren Teil.
PROMETHEUS:
Recht wär es, Io, daß du ihnen schon zulieb
Dies tust, die dann auch deines Vaters Schwestern sind.
Und da zu klagen, auszuweinen seinen Gram,
Wo man des Mitleids Träne von den Hörenden
Sich darf erwarten, das ist wohl des Weilens wert.
IO:
Auch weiß ich nicht, warum ich euch es weigern soll;
In klaren Worten sollt ihr alles, was ihr wünscht,
Vernehmen. Freilich auch zu sagen schäm ich mich,
Von wannen dieses gottverhängte Wetter mir,
Der einstgen Schönheit grauser Tausch mir Armen kam.
Denn immer schwebten nächtige Traumgestalten still
Herein in meine Kammer und liebkosten mich
Mit leisen Worten: "O du vielglückselge Maid,
Was bleibst du jetzt noch Mädchen, da dir werden kann
Die höchste Brautschaft? Zeus erglüht in Liebe dir
Vom Pfeil der Sehnsucht; nach der Kypris süßem Kampf
Verlangt's ihn; du, Kind, weise von dir nicht den Kuß
Kronions; geh nun nach der tiefen Wiesenau,
Gen Lerna, nach des Vaters Herden und Gehöft,
Daß seiner Sehnsucht ruhn des Gottes Auge mag."
Und solche Träume kamen mir Vieltraurigen
In allen Nächten, bis dem Vater ich zuletzt
Zu sagen wagte meine Träume, meinen Gram.
Der sandte nun gen Pytho, gen Dodonas Wald
Vielfache Frage, zu erkunden, was er tun,
Was sagen müßte, das die Götter gerne sähn.
Bald kamen seine Boten mit vieldeutigen,
Mit unerklärlich rätselhaften Sprüchen heim;
Dann aber endlich kam an Inachos ein Spruch,
Der unverkennbar uns gebot und anbefahl,
Mich auszustoßen aus dem Haus, dem Vaterland,
Verstoßen fern zu schweifen bis zum Saum der Welt;
Und wollt er nicht, glutzückend fahre dann des Zeus
Blitzstrahl herab, all sein Geschlecht hinwegzutun.
Von diesen Sprüchen so belehrt des Loxias,
Stieß er mich von sich, schloß des Vaterhauses Tor
Mir Zögernden zögernd; doch es zwang allmächtig ja
Ihn wider Willen Zeus' Gebot zu solchem Tun.
Und alsobald war Leib und Seele mir verkehrt;
Die Stirn, ihr seht es, stiergehörnt, endlos gequält
Vom Stich der Bremse, irren Sprungs, wahnsinnverwirrt,
So floh ich rastlos gen Kechreias klarem Quell,
Zum Hügel Lerna. Und ein Riesenhirte kam,
Der erdgeborne, wilde Argos hinter mir,
Zahllosen Auges spähend, hütend meine Spur;
Doch unerwartet, eines schnellen Todes Raub
Sank hin der Leib des Riesen. Wahnsinnaufgepeitscht
Jagt nun der Göttin Geißel mich von Land zu Land. -
Du hast vernommen, wie's geschehn; doch so du weißt,
Was mein noch wartet, sag es mir, versüße nicht
Mitleidig mir mit falschem Wort, was doch mich trifft.
Denn kluggewandte Worte sind das schlimmste Gift.
CHOR:
O laß! o laß! halt ein! wehe!
Nimmer, nimmer drang, so ins Ohr mir drang
Noch nie fremdes Klagewort,
Nie mir so unerträgliche, so unsägliche
Marter und Qualen und Angst mit zweischneidger Wunde
Eiskalt ins tiefste Herz!
Weh, Moira, Moira!
Ein Graun faßt mich, Ios Qual zu schauen!
PROMETHEUS:
Du klagst im voraus, dich erfüllt Bekümmernis;
Halt ein, bis du vernommen, was noch übrig ist.
CHOR:
Sprich, sag ihr alles; allen Kranken ist es Trost,
Was übrig noch des Leides, klar vorauszusehn.
PROMETHEUS:
Was ihr vorher euch wünschtet, habt ihr leicht von mir
Erreicht; denn hören wolltet ihr zunächst sie selbst
Von ihrer Trübsal sprechen, ihrer Seele Gram.
Nun aber höret, welche Leiden weiter noch
Das arme Mägdlein dulden muß von Heras Zorn;
Du aber, Kind des Inachos, schließ treu ins Herz
Mein Wort, damit du wissest deines Weges Ziel.
Zuerst von hier aus mußt du wenden deinen Fuß
Gen Sonnenaufgang, über ungepflügt Gefild.
Du kommst zu Skythenhorden, die in geflochtenen
Korbhütten wohnen hoch auf Rädern, wagengleich,
Ferntreffende Bogen ihren Schultern umgehängt;
Nicht nah dich ihnen, sondern scheu den Fuß gewandt
Zum meerumrauschten Klippenstrand, durcheil ihr Land.
Landein zur Linken wohnen dann die Chalyber,
Die Eisenschmiede; hüte dich vor ihnen, sie
Sind wild und roh; kein Fremdling kehrt zu ihnen ein.
Und weiter kommst du an des Hybristes wilde Flut;
Geh nicht hinüber, denn er bietet keine Furt,
Bevor du Kaukasus' höchsten Gipfel siehst und dort
Ankommst, wo brausend aus des Felsens dunkler Schlucht
Der Strom hervorstürzt. Diese sterngenahten Höhn
Dann überschreitend, mußt du mittagswärts den Weg
Hinuntersteigen, wo du der Amazonen Volk,
Die männerfeindlichen, triffst, die Themiskyra einst
Bewohnen werden beim Thermodon, wo im Meer
Die salmydessische Klippenbai die Schiffenden
Ungastlich aufnimmt, allem Schiff stiefmütterlich;
Sie werden selbst dir freundlich zeigen deinen Weg;
Zum kimmrichen Isthmos dicht am engen Tor des Sees
Gelangst du so; getrosten Mutes mögest du
Den Ort verlassen, durch Maiotis' Sund zu gehn;
Dort soll den Menschen großes Zeugnis immerdar
Von deiner Wandrung bleiben, Bosporos der Sund
Nach dir genannt sein. Scheidend aus Europas Flur,
Kommst du zum Festland Asia. - Wahrlich, scheinet euch
Nicht aller Orten dieser Fürst der Götter gleich
Grausam? Denn weil, ein Gott, er diese Sterbliche
Umarmen wollte, gab er solcher Qual sie preis.
Dir, armes Mädchen, ward ein arger Bräutigam;
Denn sieh, die Kunde, welche du bis jetzt gehört,
Mag kaum ein Vorspiel dir erscheinen deines Grams.
IO:
Weh mir! weh mir!
PROMETHEUS:
Du jammerst laut und weinest! Was gar wirst du tun,
Wenn du die andern Leiden alle noch erfährst!
CHOR:
So willst du mehr noch kund ihr tun von ihrem Leid?
PROMETHEUS:
Ein sturmgepeitschtes, ödes Meer graunhafter Qual!
IO:
Was soll das Dasein mir noch? Warum stürz ich nicht
Mich schnell von diesem jähen Felsgeländ hinab,
Daß ich zerschmettert drunten los sei aller Qual?
Denn besser wäre so mit einemmal der Tod,
Als aller Tage dulden meine Qual und Not!
PROMETHEUS:
Dir müßte trostlos mein Geschick zu tragen sein,
Dem auch der Tod nicht vom Verhängnis ward gegönnt;
Es wäre das doch noch Erlösung meiner Qual;
Nun aber tagt kein Ende mir zu keiner Zeit,
Es stürze Zeus denn selbst hinab von seinem Thron.
IO:
Geschieht es je? Sprich, stürzet Zeus von seinen Höhn?
PROMETHEUS:
Froh, glaub ich, wärst du, sähst du selbst einst seinen Sturz!
IO:
Wie könnt ich anders, ich, die von Zeus Verstoßene?
PROMETHEUS:
Daß dies in Wahrheit so geschehen wird, glaub es mir.
IO:
Wer wird der Herrschaft Zepter ihm entreißen, sprich?
PROMETHEUS:
Er selbst sich selbst durch seines Rats Leichtsinnigkeit.
IO:
Auf welche Weise? Sag es mir, wenn du es kannst!
PROMETHEUS:
Ein Ehebündnis schließt er, das ihn wird gereun.
IO:
Mit einer Göttin, einem Weib? Sprich, so du kannst!
PROMETHEUS:
Was fragst du? Noch darf's nicht geoffenbaret sein!
IO:
Und ist's die Gattin, die ihn vom Throne stürzen wird?
PROMETHEUS:
Sie zeugt ein Knäblein, mächtiger als der Vater selbst.
IO:
Wird keine Rettung ihm vor diesem Lose sein?
PROMETHEUS:
Nein, keine, ich sei meiner Banden denn erlöst!
IO:
Wer aber wird dich lösen wider Zeus' Gebot?
PROMETHEUS:
Von deinem Schoß wird stammen, der es enden muß.
IO:
Wie sagst du, mein Kind wird dich deiner Qual befrein?
PROMETHEUS:
Dein Enkel nach zehn Gliedern selbst das dritte Glied.
IO:
Noch wird mir nicht verständlich, was du prophezeist.