Beiträge von Cassim

    Zitat

    Original von Cimon


    Wie konnte der Parther nur glauben, der Nubier wüsste den Familienamen des anderen Parthers. In der Sklaverei spielten Familiennamen und Herkunft keine entscheidende Rolle mehr. Seit er in Gefangenschaft geraten war, hatte sich auch keiner um den Namen seiner Familie geschert. Warum sollte es hier anders sein? Die Römer sahen in ihnen nur Dinge, bestenfalls Wesen mit einem menschlichen Antlitz. Mehr aber auch nicht. Drum nickte Cassim nur bedächtig. Doch aus Cimons Worten konnte er entnehmen, dass jener Phraates einst einen höhergestellten Rang inne hatte. Vielleicht war er sogar Kataphrakt gewesen, so wie er selbst. Wenn das der Fall war, dann entstammte Phraates einer der edlen Familien Parthiens, denn nur den Söhnen aus adeligem Hause stand der Weg zu den Kataphrakten offen. Welch ein Jammer, dass Phraates nicht zugegen war! Er hätte ihn nur zu gerne getroffen. Blieb also doch nur noch die Möglichkeit, sich ein weiteres Mal Zugang zu dieser Villa zu verschaffen, um den anderen Parther zu sehen. Cassim war sich gewiss, wie schwierig dieses Unterfangen werden konnte, doch es musste eine Möglichkeit geben!
    Wieder glaubte er, die Narbe seiner Brandmarkung stäche ihn, einfach um ihn in seine Schranken zu weisen. Wie er das alles hasste!
    Zum Überdruss, glaubte er nun auch noch zu ahnen, der Nubier habe sein Schandmal im Nacken gesehen, was ihm ein unangenehmes Bauchgefühl bescherte. Tröstlich war es nur, er erwähnte es nicht.Nun begann er von diesem anderen Landsmann zu berichten, Bashir, den der Nubier kennengelernt hatte. In Mantua lebte jener. Also noch unerreichbarer für Cassim. Doch als Cimon dann beiläufig berichtete, wie er mit dem parthischen Freund in Kontakt bleiben konnte, verschlug dies Cassim glatt den Atem!
    "Du, du schreibst ihm? Bei Ahura Mazda, wie machst du das? Ich meine, wer befördert deine Briefe?" Die Vorstellung, einander Briefe schreiben zu können, faszinierte Cassim so sehr, dass er die letzte Frage des Nubiers beinahe überhört hätte. Cimon hatte noch etwas Wein in den Becher des Parthers nachgegossen. Den konnte er jetzt gut gebrauchen, um seinen ersten Zorn hinunterzuspülen. Natürlich könnte er es dem Nubier nicht übel nehmen, zumal war aus der Formulierung seiner Frage zu entnehmen, dass man auch ihn gebrandmarkt hatte, wofür auch immer.
    "Das Zeichen? Trägst du es auch?", fragte er mit ernster Miene. Bislang hatte er es dem Nubier nicht zugetraut, dass dieser jemals gegen seinen Herrn gestellt hatte. Vielleicht aber war das genau der Grund, weshalb er so unterwürfig erschien. Die Römer kannten viele Möglichkeiten, einen Mann zu brechen. "Nach meiner Flucht hat mich der verdammte Flavier brandmarken lassen, wie ein Stück Vieh. Verdammt soll er sein und all seine Nachkommen!", zischte er leise, damit ihn keiner der Römer hören konnte. Aristides jedoch galt sein ganzer Hass. Bedauerlich nur, dass jener Rom verlassen hatte und er ihm so keinen Überraschungsbesuch des Nachts abstatten konnte.

    Cassim war sich natürlich nicht bewusst gewesen, den Nubier in eine tiefe Verwirrung gestürzt zu haben. Für ihn war der Name Phraates ein ganz typisch parthischer Name, den bereits in der Vergangenheit schon vier Könige getragen hatten und der auch jetzt immer noch ein ehrenvoller Name war. Was lag da näher seinem Sohn einen solch prächtigen Namen zu geben?
    "Es ist nur der Name, der vertraut in meinen Ohren klingt. Der Mann, der sich dahinter verbirgt, ist mir unbekannt. Phraates ist ein Name, den bereits schon Könige trugen. Du weißt nicht ztufällig, welcher Familie er angehört oder womit er vorher betraut war, bevor er... Du weißt schon." Der Parther sprach es nicht aus. Die Schmach, die nicht nur über ihn, auch über Phraates und jeden anderen parthischen Kriegsgefangenen gekommen war, den man einem Stück Vieh gleich als Sklave verkauft hatte. Cimon hielt Ausschau nach Cassims Landsmann, joch konnte er ihn nicht finden. Sehr bedauerlich, wie der Parther fand. Jedoch hatte Cimons Vorschlag etwas für sich. Wenn es Cassim gelang, zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal hierher zu kommen, um Phraates kennenzulernen, dann hätte dies gleich mehrere Vorteile gehabt. Allerdings war es für den Parther derzeit sehr schwierig, sich unter einem Vorwand aus der Villa Flavia davonzustehlen, wenn er nicht gerade mit einem Auftrag los geschickt wurde.
    "Ja", sagte er nachdenklich. "Ich werde sehen, was sich machen läßt!" Ihm war, als würde sich genau jetzt wieder die Narbe seiner Brandmarkung im Nacken unangenehm bemerkbar. Automatisch fuhr er mit seiner Hand darüber. Sie war immer noch da. Sichtbar für alle Zeiten.
    "Was ist eigentlich mit dem anderen Parther, den du noch kennst? Lebt er auch hier in Rom?", fragte Cassim, um mehr sich selbst von den trübsinnigen Gedanken abzulenken.

    Zitat

    Original von Cimon


    Der Parther sah dem Nubier überrascht nach, als dieser plötzlich unvermittelt davon eilte. Damit hatte er ihn vollkommen überrumpelt. Auch einen triftigen Grund für sein plötzliches Verschwinden konnte er nicht erkennen. Seufzend kehrte er seinen Blick wieder in die Richtung, in der er zum letzten Mal den Flavier gesehen hatte. Wenn doch nur endlich dieses Fest zu Ende war und er wieder zurück konnte! So sehr er sich auch darüber gefreut hatte, endlich wieder einmal die Villa Flavia verlassen zu können, umso enttäuschender war es nun hier. Weder Chimerion noch die kleine Germanin waren hier. Jedenfalls sah er sie nicht.
    Hätte der Nubier ihn nur noch mehr über seine versklavten Landsleute berichten können! Aber dies sollte eben einfach nicht sein. So ergab er sich weiterhin der Langeweile, die dieses Fest mit sich brachte.
    So überraschend wie der Nubier verschwunden war, kehrte er auch wieder zurück, was Cassim durchaus zupass war. Knüpfte er doch an das Gespräch an, welches sie vor Cimons Verschwinden führten. Die Augen des Parthers weiteten sich, als Cimon davon sprach, dass einer der Parther in diesem Haus diente.
    "Phraates?", fragte Cassim und sprach dabei den wohlvertraut klingenden Namen korrekt aus. "Er ist hier?" Der Parther hatte Mühe, sich zu zügeln um nicht zu laut zu sprechen. "In diesem Haus? Könntest du es einrichten, dass wir uns kennenlernen?" , fügte er etwas leiser hinzu, obwohl es ihm schwer fiel, seine Vorfreude darüber im Zaun zu halten.

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    Sohn? Lebensgefährtin? Acanthus verstand nichts von alledem. Der Fremde, der doch eigentlich gar keiner war, stürzte den Ianitor in tiefe Konfusion. Einen Zustand also, der seinem Auftrag nicht sonderlich zuträglich war. Dies durfte er dem Fremden ( wie war doch noch gleich sein Name?)nicht merken lassen! So vollbrachte der Ianitor eine Glanzleistung! Er stellte sein Grübeln in den Hintergrund, was sich durchaus als schwierig gestaltete und versuchte sich ganz darauf zu konzentrieren, was der Fremde ihm mitteilte. Acanthus legte seine Stirn in Falten. Ein Knabe von sechs Jahren, etwa so groß. Er beachtete die Handbewegung des Fremden. Immer noch versuchte sein Gedächtnis eine Antwort auf die Frage zu finden, woher er den Mann kannte, jedoch blieb die Offenbarung aus. Stattdessen konnte er sich an den Pimpf erinnern, den er vor einigen Stunden eingelassen hatte. Angeblich hatte der seinen Ball über die Mauer des Anwesens geschossen. Eigenartigerweise hatte er bis dato den Garten und somit das Anwesen nicht wieder verlassen. Die Ballsuche gestaltete sich hartnäckiger als zu Anfang gedacht!
    "Ja, ein solcher Junge war hier und da er noch nicht wieder gegangen ist, müsste er sich weiterhin hier aufhalten." Mit einem prüfenden Blick besah er sich noch einmal den Fremden. "Falls du dich auf die Suche nach ihm machen möchtest, gebe ich dir einen Sklaven mit auf den Weg!" Dieser sollte nicht nur unterstützen, vor allem sollte er den Fremden nicht aus den Augen lassen.

    Cassims Befürchtungen schienen ungerechtfertigt gewesen zu sein. Niemand hatte Cimon vor dem parthischen Sklaven gewarnt, der es gewagt hatte zu fliehen und dabei sogar auch noch Hand an die Mitglieder der Familie seines Herrn zu legen. Unmerklich atmete der Parther erleichtert auf. Cimons Gründe, weshalb er sich zögerlich verhielt, waren anders einzuordnen.
    Der Nubier begann von seiner Herkunft zu sprechen. Ganz offensichtlich gehörte Cimon zu der Sorte Sklaven, die bereits in Gefangenschaft geboren worden waren. Ein solches Leben war für den Parther nicht nachvollziehbar. Ein Leben lang ohne eigenen Willen. Doch selbst bei diesen Menschen brach von Zeit zu Zeit die Sehnsucht nach Freiheit durch. Hannibal war das beste Beispiel dafür gewesen. Wie sehr schmerzten ihn immer noch die Erinnerungen an den Gefährten, der so jämmerlich sein Ende am Kreuz gefunden hatte!
    Doch die weiteren Worte des Nubiers ließen den Atem des Parthers stocken. Er glaubte, sich erst verhört zu haben. Doch nein, der Nubier hatte es gesagt, ob dies nun im Scherz geschah oder er es ernst gemeint hatte, er hatte geglaubt, in ihm einen Parther zu erkennen.
    Seitdem er in den Besitz der Flavier gegangen war, hatte Cassim keine Gelegenheit mehr gehabt, einen Landsmann zu treffen, obwohl er davon gehört hatte, wie sehr die römischen Sklavenmärkte nach dem Parthienfeldzug von Parthern überschwemmt worden war.
    "Ich bin Parther!", antwortete er prompt. "Du hast zwei Freunde, sagst du, die mir ähneln?", fragte er vorsichtig. Dies wäre zu schön, um wahr zu sein. Er malte sich bereits aus, auf seine Landsleute zu treffen. Das war, wie ein Stück Heimat, inmitten der Fremde.
    "Du kennst zwei Parther, Cimon? Bitte, erzähl mir von ihnen!" Eine verhaltene Freude keimte in Cassim auf. Wenn Cimons Freunde tatsächlich Parther waren, so wollte er alles daran setzen, diese kennenzulernen. In diesem Augenblick taten sich ihm völlig neue Möglichkeiten auf. Dies konnte von Grund auf sein ganzes zukünftiges Leben verändern.

    Es hatte einige Stunden in Anspruch genommen, bis Cassim sich der neuen Lage seines Daseins in vollem Umfang bewusst geworden war. Er glaubte, alles schlechte, was ihm die letzten Wochen widerfahren war, hinter sich gelassen zu haben. Und dies einzig allein mit der einen Unterredung seines neuen Herrn.
    Er hatte das erquickende Bad in vollen Zügen genossen, auch wenn die räumlichen Umstände im Bad der Sklaven nicht gerade einladend gewesen waren. Nun, da er frisch rasiert und in sauberer Kleidung steckte, fühlte er sich wieder wie ein Mensch.
    Er ließ es sich nicht nehmen, sofort die Bibliothek aufzusuchen, um den dort verborgenen Schätzen auf den Grund zu gehen. Bereits als er eintrat, war es, als sei er an einem paradiesischen Ort angelangt. Hohe Regale, gefüllt mit unzähligen Schriftrollen und Pergamenten. Zufrieden sog er tief den Geruch der alten Papyri ein, bevor er sich den Schriften näherte und stöberte. Es begegneten ihm zahllose Werke großer Meister und darüber hinaus eine schier unendliche Auswahl von Texten, die er nicht kannte. Gelegentlich zog er eine der Schriftrollen heraus und öffnete sie mit größter Vorsicht, damit auch ja nichts zu Schaden kam. Wenn dies seine Zukunft im Dienste der Flavier sein sollte, dann war es zwar keine rosige aber dennoch eine versöhnliche, mit der er leben konnte. Das Makel der Sklaverei erschien ihm angesichts dieser literarischen Schätze, nahezu unwichtig.
    Besonders genoss er die Ruhe und Ungestörtheit in diesem Raum. Niemand war da, der ihn beaufsichtigte oder in zur Arbeit antrieb. Von nun an war dies, das stöbern und entdecken literarischer Texte sein Hauptwerk. Er konnte es noch immer nicht fassen!
    Beim erkunden immer neuerer Schätze vergas er komplett die Zeit. Jedoch als es unerlässlich wurde, eine Lampe zu entzünden, besann er sich wieder der Aufgabe, die ihm Gracchus gestellt hatte. Es war an ihm, den ersten Text auszuwählen, den er dem Flavier vortragen sollte. Angesichts der großen Auswahl an Texten, war er anfangs ratlos, wie er seine Auswahl treffen sollte. Mit größter Wahrscheinlichkeit würde der Flavier hinsichtlich des ausgewählten Textes darüber befinden, ob Cassim auch tatsächlich als Vorleser geeignet war. Darum versuchte er sich in den Römer hineinzuversetzen, was der gerne mochte.
    Sollte es ein historisches Werk sein, etwa wie die Aeneis von Vergil oder ein griechisches Epos wie Homers Odyssee? Oder eher eine Komödie? Je länger er darüber nachdachte, was dem Flavier gefallen könnte, desto unsicherer wurde er sich, wozu er tatsächlich entscheiden sollte. Am Ende besann er sich darauf, dass der Text, den er erwählte, seinem Gusto entsprechen sollte, was unter Umständen die Sache erleichtern konnte. Im Grunde ging es ja auch um den Stil, wie er den Text letztlich vortrug.
    Es war schließlich Abend geworden, als er eine Schriftrolle fand, die er sorgsam öffnete und die ersten Zeilen zu lesen begann. Seine Augen waren bereits ermüdet, aber dennoch hielt ihn dies nicht davon ab, weiter zu lesen. Es war ein Text, den er als Heranwachsender bereits schon einmal gelesen hatte. Sein damaliger Lehrer, ein griechischer Sklave, hatte ihn dazu ermutigt. Cassim erwägte ernsthaft, genau diesen Text auszuwählen.

    Die Strahlen der Herbstsonne blendeten Cassim, als er wieder hinaus in den Hof getreten war. Blinzelnd blieb er stehen, atmete tief durch. Sciurus hatte ihn entlassen, nachdem er ihn aus dem Arbeitszimmer seines neuen Herrn katapultiert hatte. Alleine setzte dann seinen Weg fort. Nicht wieder an die mühselige Arbeit in den Stall führte er ihn. Er schritt an den anderen Sklaven, die dort schufteten, wortlos vorbei und bedachte sie keines Blickes mehr. Die Zeit, in der er den Unrat mit bloßen Händen hatte entsorgen müssen, war zu Ende.
    Er packte eilig seine wenige Habe zusammen, um keine Minute länger als nötig in diesem Dreckloch verbringen zu müssen. Mit erhobenem Haupt und einem Anflug von Freude schritt er zurück, dem balneum servorum entgegen, um dort sein langersehntes Bad zu nehmen und sich wieder herzurichten, so dass er als Mensch erkennbar wurde

    Das Zögern des Nubiers, rief bei dem Parther ein seltsames Behagen hervor. Unmöglich konnte sein übler Ruf bereits die Schwellen fremder Häuser überschritten haben. Es musste ein anderer Grund vorliegen, weshalb er sich ihm erst dann widmete, nachdem er sich umgesehen hatte. Im Augenblick waren sie Ungestört. Die ganze Gesellschaft war mit der Opferzeremonie und der Deutung der Innereien des Opfertieres beschäftigt. Um zu gewehrleisten, dass weder die beiden Sklaven bei ihrer Unterhaltung, noch die Hochzeitsgesellschaft gestört wurde, traten beide etwas in den Hintergrund.
    Nur pro forma schien der Nubier ihn zu fragen, ob er ihm etwas anbieten konnte, denn im gleichen Atemzug reichte er ihm bereits einen Becher mit verdünntem Wein, welcher der Parther dankend annahm. Cassim erwiderte das Lächeln des anderen Sklaven und nahm einen Schluck. Zwar handelte es sich um einen stark verdünnten Trank, dennoch mundete er dem Parther. Der Nubier mutete eher zurückhaltend an. Er trank nicht. Er war lediglich darauf bedacht, selbst einem anderen Sklaven zu Diensten zu sein, was den Parther doch sehr beeindruckte. Dies lag allenfalls daran, dass er selbst nur eine sehr kurze Zeitspanne seines Lebens Sklave war.
    Der Nubier stellte sich vor und verriet im gleichen Atemzug auch den Namen seines Herrn, welcher ein gewisses Maß an Stolz in ihm hervorrief. Cassim hatte offensichtlich Schwierigkeiten damit es Cimon gleich zu tun. Nicht mit diesem Anflug von Stolz. Nach dem Scheitern seiner Flucht hatte er es sich eingestehen müssen, dass der stolze parthische Gefangene tot war. Er war nur noch ein Sklave, mehr nicht!
    "Mein Name ist Cassim. Ich bin Sklave des Flavius Gracchus." Cassim hatte sich zwingen müssen. Es wollte nur widerstrebend über seine Lippen kommen. Er sah sich kurz um, in die Richtung, in der er den Flavier vermutet hatte. Allerdings hatte er gehofft, mit dem Nubier nicht um die Wichtigkeit des eigenen Herrn wetteifern zu müssen. Im Grunde wollte er nur einige Worte wechseln, die ihm auf andere Gedanken bringen sollten. Gedanken, die nichts mit seinem Schicksal und noch weniger mit dem Flavier zu tun hatten.
    "Cimon! Es freut mich, dich kennenzulernen. Du bist Nubier, nicht wahr?", erkundigte er sich und wollte das Gespräch in eine andere Richtung führen.

    Konsterniert richtete der Parther erneut sein Augenmerk auf den Flavier, dessen freudiger Ausruf Cassim eher noch mehr verwirrte. Statt teilzuhaben an der sichgtlichen Freude des Gracchus, verharrte er reglos. Sein Gesicht mutete versteinert an. Selbst dann, als der Römer ihm offenbarte, was von nun seine neue Aufgabe war, bedurfte es einen Atemzug, bis ihm bewusst wurde, was dies zu bedeuten hatte. Endlich wieder eine reinliche Umgebung, in der er sich aufhalten konnte, keine der niedrigsten und schwersten Arebeiten mehr und was noch viel wichtiger war, ein Betätigungsfeld, welches seine persönlichen Neigungern mit einschloss. Zögernd durchströmte ihn ein Gefühl der Freude. Jedoch versuchte er dies nicht zu offensichtlich werden zu lassen. Lediglich zu einem überraschendem Lächeln ließ er sich hinreißen.
    Ahura Mazda musste sich seines ergebenen Dieners wieder erinnert haben. Eine andere Erklärung bot sich dem Parther in diesem Augenblick nicht. Aber nicht nur das! Es hatte den Anschein, als habe der Eine beschlossen, ihm wieder wohlgesonnen zu sein.
    Cassims Herz begann schneller zu schlagen, als Gracchus ihm weiter mitteilte, er habe zukünftig Zutritt zur Bibliothek. Nur der, der den Parther besser kannte, konnte sich vergegenwärtigen, was dies für ihn bedeutete.
    "Danke Herr, ich werde dich nicht enttäuschen, Herr!", rief er erfreut aus. Jedoch kaum hatte er das getan, spürte er den festen Zugriff Sciurus auf seiner Schulter, welcher sich aus dem Hintergrund unbemerkt nach vorne bewegt hatte und ihn bestimmt zur Tür hinaus beförderte. Noch einen Blick zurück auf Gracchus gerichtet, war Cassim vergönnt. Dann schloß sich die Tür hinter ihm. Zurück blieb nur jenes unstete Gefühl, welches für den Parther auch noch nach Stunden nicht richtig greifbar wurde.

    Die Ansprache des stattlichen Mannes, der sich als Bräutigam entpuppte, erhöhte wieder den Grad seiner Aufmerksamkeit, die der Parther auf das Geschehen lenkter. Gespannt verfolgte er, wie zwei Sklaven ein Lamm herbei zerrten, welches wohl als Opfertier gedacht war. Und er irrte nicht, denn mit einiger Bestürzung wurde er Zeuge, auf welch dilettantische Art und Weise man das Tier tötete. Angewidert wandte er seinen Blick ab. Er würde sich wohl nie mit den barbarischen Rieten dieser Menschen anfreunden können.
    Stattdessen wurde er auf einen anderen Genossen seines Standes aufmerksam, welcher ihm freundlich zunickte. Der Geste des fremden Sklaven, seiner Hautfarbe nach musste es sich um einen Nubier handeln, hatte eine wohltuende Wirkung auf Cassim. In der Villa der Flavier genoss er zwar seit neuestem eine weitaus bessere Stellung, als die, die Aristides ihm kurz nach dem Scheitern seiner Flucht aufgebürdet hatte. Jedoch wurde er weiterhin von den meisten seiner Standesgenossen gemieden. Noch immer schwebte das Schwert der Angst vor einer Bestrafung über den meisten Sklaven, die ihnen nach Aristides Worten drohte, sofern sie sich mit ihm einließen.

    "Salve!", flüsterte er leise dem Nubier entgegen, in der Hoffnung, er könne nach Wochen der Absenz, endlich wieder einmal ein zwangloses Gespräch mit einem anderen Individuum führen.

    Einem Schatten gleich, war Cassim seinem neuen Herrn gefolgt. Im Tross einer Schar begleitender Sklaven war er der flavischen Sänfte gefolgt, auf ihrem sehr kurzen Weg zur Villa der Aurelier. Und auch jetzt, da sich Flavius Gracchus, samt seiner Familie in das Innere der Villa begab, folgte er ihm, immer darauf bedacht, ein wenig Abstand zu halten. Für den Parther stellte dies ein Novum dar, denn dies war das erste Mal, seit seiner Flucht, da man ihm gestattet hattr die Villa verlassen zu dürfen. Zweifelsohne war dies wohl als Bewährungsprobe gedacht, war doch Sciurus ständig in seiner Nähe und hatte ein wachsames Auge auf den Sklaven.
    Aus früheren Zeiten waren ihm einige der aurelieschen Sklaven bekannt. Besonders die süße Blonde aus Germanien, die einst zum Sprachunterricht in der Villa Flavia erschienen war, hatte sich tief in sein Gedächtnis eingeprägt. Aber auch Chimerion, der nach der gescheiterten Flucht und der daraus resultierenden Bestrafung an diesen Ort gebracht worden war. Doch zweifellos rechnete er nicht damit, diesen auf der Hochzeit anzutreffen, da doch auch er in Ungnade gefallen war und nun allfällig für die Reinerhaltung der aurelischen Latrinen zuständig sein konnte.
    Äußerlich recht emotionslos, beobachtete er still das bunte Treiben um ihn herum. Er hatte wenig Erfahrung mit römischen Feierlichkeiten oder religiösen Rieten. Sein Wissen stammte nur aus Büchern oder aus Erzählungen. Diesmal hatte er nun Gelegenheit ganz nah dabei zu sein und selbst Zeuge zu werden. Doch bis es dazu kam, nutzte er die Gelegenheit um weiter zu beobachten und vielleicht doch noch ein bekanntes Gesicht in der Menge zu entdecken.

    Wie der Flavier das ungefragte erheben der parthischen Stimme bewertete, war für Cassim nicht sofort klar ersichtlich. Möglicherweise hatte er sich damit bereits alles wieder verbaut. War er doch ein nichts in den Augen des Römers. Doch dieser schien ernsthaft über die gestellte Frage nachzudenken, wenn der Parther die Resonanz darauf richtig gedeutet hatte. Cassim aus Parthien, so wie sich der Flavier noch vor wenigen Minuten auszudrücken pflegte, konnte eine ganze Menge. Nur hing es letztlich davon ab, für was für eine Art Sklaven Gracchus Verwendung hatte. Dies konnte nun tatsächlich alles beinhalten, da er jenen Mann, der sich nun sein Eigentümer nannte so gut wie kaum kannte. Wohl weniger würde er es in Zukunft mit der Aufzucht und der Haltung von Jagdfalken zu tun haben, da er den Römer dafür als zu anfällig einschätzte. Also wofür nur sollte er sich als geeignet erweisen?
    Cassim war keineswegs nur ein Mann gewesen, der es liebte, sich der Jagd und des Kampfes hinzugeben. Nein, auch er hatte schon seit seiner frühesten Jugend eine Neigung für die schönen Künste entwickelt. Nicht etwa, weil seine Lehrer ihm mit griechischer und römischer Literatur zu Leibe gerückt waren. Er hatte aus freien Stücken seinen Weg dorthin gefunden und hatte für sich somit eine wundervolle neue Welt entdeckt, die sich scheinbar ständig neu erfinden konnte.
    Und ob er der hellenistischen wie auch der lateinischen Schrift mächtig war! Er der er aus einer Familie stammte, deren Ahnen einst mit Alexander selbst gen Osten geritten waren, um die Welt zu erobern, hatte selbstverständlich auf eine umfassende Bildung zurückgreifen können, die ihm sein Vater, wie auch dessen Vater zuvor, angedeihen ließ. Nicht zuletzt war es seinem römischen Sklaven zu verdanken, dass er auch die lateinischen Lettern sicher beherrschte.
    "Ich beherrsche beides, Herr." Er beantwortete die Frage des Römers, ohne dabei auch nur die Spur von Stolz oder gar Überheblichkeit aufkommen zu lassen. Cassim erwartete sich nichts davon, dass allein diese Tatsache Ursache dafür sein konnte, seine desaströse Lage zu verändern oder gar verbessern konnte.

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    Bereits nachdem kaum das letzte Klopfzeichen verhallt war, öffnete sich die Tür. Ein mürrisch dreinblickender Sklave, Acanthus war sein Name, trat hervor, bedachte den Besucher mit einem abschätzigen Blick, doch bevor er seine übliche Liternei von sich geben konnte, gemahnte ihn sein Gedächtnis daran, dass er diesen Mann bereits schon einmal an dieser Tür gesehen hatte, was durchaus nichts unübliches war.
    "Dich kenne ich doch! Was willst du?"

    Die Erinnerung drohte ihn zu übermannen, ihm das Herz noch schwerer werden zu lassen, als es eh schon war, seit Ravenna. Das Wissen, alles verloren zu haben, war wieder so real wie am ersten Tag im flavischen Carcer. Doch dem Römer dies wissen zu lassen, konnte nicht Cassims Bestreben sein. Aller Wahrscheinlichkeit nach, tangierte dies den Flavier sowieso in keinster Weise. Warum sollte es auch? Ein Sklave wie er, der am Boden kroch und von den Almosen lebte, die man ihm vorwarf, als sei er ein Hund, konnte sich nur befleißigen, um seinem Herrn zu gefallen, damit er darauf hoffen konnte, eines Tages vielleicht doch noch in den Genuss von Vergünstigungen zu kommen. Dies machte das Los des Parthers noch schwerer, noch unerträglicher, als es schon war.
    Die Aufforderung, aufzustehen und zurückzutreten, die mit einem energisch wirkenden Wink einherging, kam überraschend für den Parther. Der Römer hatte wohl schon genug von seinem neuen Spielzeug, welches in einer sehr unqualifizierten Verpackung dahergekommen war. Der Stallgeruch und die Ausdünstungen des parthischen Schweißes waren auf Dauer nichts für empfindliche römische Nasen. Cassim rechnete fest damit, wieder zurück an seine Arbeit geschickt zu werden, wo er dann bis zum Ende seiner Tage verrotten konnte.
    Wenigstens aber konnte er sich aus dieser unangenehmen Stellung des kniens befreien. Dabei fiel ihm der prüfende Blick des Römers auf, was ihn aber nicht weiter beschäftigte. Nun, da der Flavier wusste, dass er einen Edlen seines Landes zum Sklaven hatte, sah er diesen gar mit anderen Augen an. Dies bestätigte er letztendlich auch mit seiner Bemerkung. Genau dies war der Punkt, an dem Cassim aufhorchte. Es sollte ihm zum Vorteile gereichen, denn er mochte den Parther um sich herum wissen. Dies konnte alles Mögliche bedeuten. So zum Beispiel konnte er ihm als Schreiber oder Vorleser dienen, als derjenige, der ihn allmorgendlich ankleidete, ihm jeden Wunsch erfüllte, den er zu äußern gewillt war. Doch darüber, wie er ihn in Zukunft zu nutzen gedachte, verlor er kaum Worte.
    Dem Sklaven, der bewegungslos im Hintergrund verharrte, erteilte er indes Anweisungen, wie mit dem Parther zu verfahren sei. Dabei wurde ihm selbst gar keine Beachtung mehr geschenkt, obwohl er doch nur unwesentlich seine Position geändert hatte. Dadurch jedoch erhielt Cassim einen Einblick, welch wunderbare Geschenke auf ihn warteten. Die Gelegenheit, sich einmal wieder richtig waschen zu können und frische saubere Kleidung tragen zu können, sich wieder satt essen zu dürfen und mit niemandem teilen zu müssen. Dies alles ließ ihn erstaunt aufblicken. Er traute kaum seinen Ohren. Und so erwuchs auch gleich sein Misstrauen. Hüte dich vor Griechen, die mit Geschenken kommen!
    Flavius Gracchus war zwar kein Grieche, doch aus reiner Menschenfreundlichkeit handelte er gewiss nicht. Diese Sache musste irgendwo einen Haken haben. Warum hätte er sonst ausgerechnet ihn, der doch jedes Recht auf ein Entgegenkommen verloren hatte, aus einer großen Anzahl von Sklaven herauspicken sollen?
    "Darf ich erfahren, wie ich dir in Zukunft dienlich sein kann, Herr?" Er hatte gewagt, das Wort zu ergreifen und zu fragen, kaum dass der Flavier seine Anweisungen an Sciurus weitergegeben hatte.

    Die Zeit, die Cassim in dieser Haltung zubrachte, kam ihm wie bleiern vor. Wie tief konnte ein Mensch nur sinken? Auf den Knien rutschend vor einem Römer! Einem von der verweichlichten Sorte auch noch, wie es sie zu Hauf gab in dieser Stadt. Aristides hatte wenigstens gewusst, was es hieß zu kämpfen. Er war ein würdiger Gegner gewesen, gegen den er letztlich doch gescheitert war. Nun fand sich der Parther in den Händen dieses vermeintlich Schwachen wieder.
    Er zuckte zusammen, als er das leichte Antippen des römischen Fingers in seinem Nacken spürte. Cassim, der Verlierer kniete vor seinem Meister, der für ihn trotz seiner Beobachtungsgabe nicht richtig greifbar werden wollte. Plötzlich spürte er Gracchus´ Hand unter seinem Kinn. Er zwang den Parther in sein Antlitz zu blicken. Und Cassim starrte ihn an, ohne seinen Emotionen freien Lauf zu lassen. Selbst dann nicht, als der Römer ihm jede Hoffnung nahm, dieser könne ihm weniger feindselig gesonnen sein. Genau wie damals, Gracchus hatte ebensowenig wie Aristides keinen Zweifel darüber offen gelassen, was geschah, würde der Parther es noch einmal wagen, zu rebellieren. Für einen Augenblick wanderten Cassims Augen zu Sciurus hinüber, der sich völlig bewegungslos, einer Staue gleich, im Hintergrund hielt.
    Die Drohungen, die der Flavier ihm in feingewählten Worten und in einer gleichförmig ruhigen Stimmlage auf eine sehr bedrückende Weise nahelegte, die bis ins Detail beschriebenen Grausamkeiten und Repressalien die dem Parther drohten, sollte er noch einmal ein Fehlverhalten dieses Ausmaßes an den Tag legen, perlten an Cassim einfach nur ab. All das hatte er bereits so oder so ähnlich schon einmal gehört und mittlerweile hatte er es am eigenen Leibe auch feststellen müssen, dass aus den Drohungen, die man ihm gegenüber im Hause der Flavier aussprach auch meist Fakten wurden. Die Flavier liebten es zu quälen, einen Menschen bis auf die Knochen zu schinden und es ihn darüber hinaus tagtäglich spüren zu lassen, dass er nicht mehr wert war, als der Dreck unter ihren Schuhen. Den Tataros auf Erden hatte er bereits schon erlebt.
    Cassims Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an. Was nicht nur an dem eben gehörten lag. Vielmehr war es ihm unangenehm, weiterhin kniend zu verharren. Lieber hatte er aufrecht vor dem Römer gestanden. Er schluckte mehrmals und brachte dann ein einziges Gekrächzte hervor.
    "Ich werde dir keinen Ärger mehr bereiten, Herr. Das verspreche ich! Bei meiner.." Ehre. Er verstummte. Ehre? Er besaß keine Ehre mehr. Wie der Römer es bereits so treffend formuliert hatte, er trug das Zeichen der Felonie. Seine Kenntnisse, die Sprache der Römer betreffend, reichten aus, um zu verstehen, was er damit gemeint hatte. Er war ein Verräter und er hatte das Vertrauen gebrochen zwischen Herrn und Sklaven. Dies alles hatte nichts mehr mit Ehre zu tun. Einem Sklaven glaubte man nicht. Erst recht nicht, wenn er bereits einmal geflohen war und die Frau seines Herren entführt hatte. Er war ehrlos.
    Dabei hatte er Epicharis gar nicht entführen wollen. Sie war einfach plötzlich da gewesen. Hatte sich ihnen aufgedrängt. Sie hätte sie verraten, das stand fest, noch ehe sie die Stadt verlassen hatten. Statt ihr die Kehle zu durchschneiden, hatte er sie notgedrungen mitgenommen und er war heilfroh gewesen, als er sie wieder los geworden war.
    Umso mehr erschütternd empfand der Sklave schließlich die doch recht einfach anmutende Frage des Gracchus nach seinem Vorleben, die Zeit, bevor er in den Krieg gezogen war, bevor er verwundet und anschließend gefangengenommen wurde und Monate später wie ein Stück Vieh auf dem Markt verkauft wurde. Seit er in Ketten gelegt, wieder die Schwelle der Villa Flavia überschritten hatte, hatte er es nicht mehr gewagt, an die Seinen in der Heimat zu denken. Er hatte jegliche Chancen, jemals wieder sein Zuhause zu sehen, verspielt. Die Bilder seiner Frauen, seiner Kinder, die Schönheit Yasminas, die Sanftheit ihrer Finger und die Geschmeidigkeit ihres Körpers waren wie Rauch vergangen. Was geblieben war, war die Leere in seinem Herzen, die es ihm auf eine gewisse Art auch erträglicher machte, die Repressalien gegen ihn besser zu ertragen.
    "Nein, nicht nur, Herr. Ich entstamme einer alten angesehenen Familie, die bereits seit Generationen die Geschicke Dura Europos mitbestimmte. Als mein Vater vor einigen Jahren starb, war es mir bestimmt, mich um das Wohl meiner Familie und um unsere Besitzungen zu kümmern. Der Tradition entsprechend zog ich in den Krieg, als der Shah in Shah zur Verteidigung unseres Landes aufrief. Ich diente bei den Kataphrakten, der gepanzerten Reiterei."
    Cassim vermied es, dem Römer einen Einblick in sein familiäres Leben zu gewähren. Er vermied es Namen zu nennen, von seinen Frauen und seiner Kinder zu sprechen. Merals dunkle Augen, ihre liebreizende Stimme, wenn sie den Kindern ein Lied vorsang. Und Yasmina, seiner Lieblingssklavin, die ihm so manchen schönen Abend bereitet hatte. Es berichtete nichts von seinen Vorlieben. Von so machen abenteuerlichen Jagdausflügen mit seinem Falken. Sein ältester Sohn, der ihn manchmal dabei begleitet hatte. Von seinem Hang zu den schönen Künsten. Den lieblichen Klängen der Kithara, die Yasmina so formvollendet spielen konnte und deren Melodien er so schätzte. Er behielt es für sich, woran er geglaubt hatte, wie er Ahuhra Mazda gedient hatte, wofür er gebetet hatte. Nichts kam über seine Lippen von der starken Beziehung zu seinem Vater, den er über alles geliebt hatte und von dem er sich unter Tränen verabschiedet hatte, als er gestorben war. Dies alles und noch viel mehr enthielt er dem Römer vor. Dies waren seine Erinnerungen, die ihm niemand nehmen konnte, selbst jetzt nicht, da er nur noch ein Sklave war.
    Cassims Augen wurden feucht. Die Macht der Erinnerungen hielt ihn fest umschlungen. Er konnte nichts dagegen unternehmen. Dies war die ärgste Qual für ihn, schlimmer als jeder Schlag, den man ihm versetzte. Die Qual, sich erinnern zu müssen.

    Cassims Worte hatten sein Ziel erreicht. Hellwach waren seine Sinne, die jede kleinste Regung des Flaviers erfasstend, der nun aufsah, den Parther erblickte und seine ganze Körperhaltung von der entspannt versunkenen in eine halbwegs gerade aufrechte korrigierte. Einzig allein Gracchus´ unterschwellige Gedanken, blieben für den Parther nicht einsehbar. Eine Tatsache, die nicht die schlechteste war!
    Cassim war sich durchaus um seine Wirkung auf Frauen bewusst gewesen. Er hatte immer großen Wert auf die Pflege und die Ertüchtigung seines Körpers gelegt. Selbst jetzt noch, da er nicht mehr die Gelegenheit hatte, auf ein gepflegtes Äußeres zu achten gab es hin und wieder noch Sklavinnen, die sich nach ihm umschauten, obwohl sie die strikte Anweisung hatten, ihn zu meiden. Doch dass er nun diese gleiche Wirkung auch bei Männern erzielen sollte, war ihm neu. Zumindest war es ihm niemals bewusst geworden. So sollte es auch vorerst bleiben.


    Jedoch auch Cassim nutzte den Augenblick um den Flavier noch etwas besser einschätzen zu können. Gegenüber dem Parther, der hochgewachsen, kräftig und robust war, wirkte er hager, ja fast knabenhaft. Im Gegensatz zu Aristides, war er dem Anschein nach nicht beim Militär gewesen, mutmaßte Cassim. Dies konnte durchaus von Vorteil für den Sklaven sein, wenn sein neuer Herr aufgrund der mangelnden Kriegserfahrung ihm weniger feindselig eingestellt war. Doch auch er war einer der Flavier. Mitglied jener Familie, gegen die der Parther es gewagt hatte, seine Hand zu erheben. Alleine dieses Faktum war schon ausreichend, ihm gegenüber einen stetig präsenten Argwohn walten zu lassen.
    Letztendlich ergriff der Römer das Wort. Fast vollkommen makellos war diesmal seine Artikulation, wie der Parther bemerkte. Er gab sich Mühe. Und all dies nur für einen Sklaven? Cassim war nicht in der Lage, weiter darüber nachzusinnen, als er die Worte erfasste.
    "Ja, dies ist mein Name," antwortete Cassim noch selbstsicher. Doch dann griff seine Hand wie mechanisch getrieben an jene Stelle, an der sich das Schandmal befand, nachdem der Römer dies erwähnt hatte. Er meinte, einen plötzlich stechenden Schmerz in seinem Nacken zu spüren, obwohl doch die Wunde der Brandmarkung längst wieder verheilt waren. Zuerst zögerte er. Langsam ließ er wieder die Hand sinken und trat dann neben den Flavier. Ein Mix aus Unbehagen und Scham überkam ihn. Doch letztendlich gehorchte er, senkte seinen Blick und beugte sein Haupt herab. Schnell wurde ihm bewusst, dass dies anhand seiner Größe nicht ausreichend war. Was ihn schlussendlich dazu bewog, auf die Knie zu gehen.
    In dieser devoten Haltung verharrte er. Dem Betrachter eröffnete sich dadurch die Sicht auf das Brandmal, welches sich im Nacken des Parthers befand, ein ganzes Stück unterhalb des Haaransatzes, damit es für alle Welt sichtbar war und allenfalls nur durch einen Schal verborgen werden konnte. Außerdem gewährte die nicht perfekt sitzende Tunika, die an manchen Stellen bereits eingerissen und ausgefranst war, einen kleinen Einblick auf den Rücken des Parthers, der mit den Narben der Peitschenhiebe übersät war, auch einer Konsequenz seiner Flucht, die ihm für immer daran erinnern sollte, was er von nun an war.

    Cassim betrat das Arbeitszimmer. Sein erster Blick fiel auf einen Mann mittleren Alters, vielleicht etwas jünger als Aristides es gewesen war, aber älter als er selbst, der an einem massigen Schreibtisch saß und sich über einer Wachstafel dem Schreiben hingab. Von ihm aus wanderten seine Augen weiter über die Einrichtung des Zimmers, die der übrigen Ausstattung der Villa wohl in nichts nachstand aber letztendlich dieses Zimmer doch zu dem machte, was es war, ein Arbeitszimmer.
    Sein Blick fand wieder zu seinem Ausgangspunkt zurück, auf den am Schreibtisch sitzenden Mann, in dem er den Flavier erkannte, der von nun an sein neuer Herr sein sollte.
    Das Wenige, was er von Flavius Gracchus bisher wusste, trug nicht sonderlich viel dazu bei, Ehrerbietung oder Respekt ihm gegenüber zu entwickeln. Eher war es ein Gefühl der Bemitleidung gegenüber einem Schwachen und Hilflosen. Cassim hatte in ihm bislang nur den gebrechlichen Mann gesehen, der nicht einmal in der Lage war, in klaren Worten zu kommunizieren. Inwieweit Gracchus hilflos und schwach war, musste sich erst noch erweisen. Denn was, wenn ihn wohl der Schein trügen mochte und hinter der Maske des scheinbar fragilen Individuums verbarg sich ein rücksichtsloser Despot?


    In Anbetracht der Ereignisse, die das Scheitern seiner Flucht mit sich gebracht hatten, war dem Parther einiges an seinem früheren Schneid verloren gegangen. Nach Hannibals Tod hatte er sich der Desillusion hingegeben, was zur Folge hatte, dass er der Realität ins Auge blicken musste und erkannte, was er von nun an war. Die Tage des glanzvollen jungen parthischen Adligen, der aufrechten Hauptes in den Krieg gezogen war, um mit Ehre und Ruhm wieder nach Hause zurück zu kehren, waren spätestens in Ravenna endgültig verlustig gegangen. Was von ihm geblieben war, war ein Sklave, der zufällig den gleichen Namen trug und der im Grunde für seine Tätigkeit im Stall mehr als überqualifiziert war. Jedoch dieser Aspekt schien niemanden groß zu stören.
    Da offenkundig sein Erscheinen allein nicht die nötige Aufmerksamkeit erregt hatte, versuchte es Cassim auf verbalem Weg, indem er den Flavier ansprach, vermied es jedoch in irgendeiner Weise unverschämt oder aufdringlich zu wirken.
    "Du hast nach mir rufen lassen, Herr?" Selbst dieses klitzekleine Wörtchen Herr ging ihm ganz leicht über die Zunge. Noch vor Monaten hätte er sich strikt geweigert, einen Römer als Herrn zu tituliern. Wie sich die Zeiten doch änderten!

    Mit einer inbrünstigen Prägnanz hatte sich der Parther seiner Tätigkeit, der Pflege der Pferde zugetan. Sorgsam und wohlbedacht führte er den Striegel über das braune Fell des vor ihm stehenden Pferdes. Ganz in sich gekehrt, abgeschottet vom Rest der Welt tat er das. Nichts hätte ihn aus der Ruhe bringen können. Gar nichts. Selbst dann nicht, als er von fernem seinen Namen rufen hörte. Cassim hatte deswegen nicht aufgeschaut und neugierig geklotzt, wie es manch andere der im Stall beschäftigten Sklaven taten. Geduldig wartete er, bis jener vor ihm stand und ihn abermals bei seinem Namen rief. Der abgeklärte Blick des Parthers traf diesen Eindringling, der ihm auf forsche und unfreundliche Weise aus seinem Tun herauszureißen versuchte und ihm ohne viel Umschweife zu verstehen gab, was von ihm verlangt wurde. Die Drohungen des blonden Sklaven, dessen Namen ihm nicht geläufig war, perlten an Cassim ohne einen größeren Eindruck zu hinterlassen, einfach ab. Er hatte bereits erlebt, dass Drohungen in diesem Hause keine leeren Worthülsen waren. Er glaubte ihm jedes Wort, doch den Schrecken davor hatte er verloren.
    Wortlos nickte der Parther, legte den Striegel zur Seite und wusch sich Gesicht und Hände mit dem Wasser eines in der Nähe stehenden Eimers. Allerdings die herben Ausdünstungen des Stalles, die ihm zwangsläufig anhafteten, konnte er nicht beseitigen, auch nicht die schmutzige Tunika, die ein Indikator dafür war, dass er ausschließlich mit einfachen und arbeitsreichen Tätigkeiten betraut worden war.
    Schließlich folgte er dem blonden Sklaven über den Hof und verschwand mit ihm im Haus, welches er seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr betreten hatte.

    Das Dinge zur Gewohnheit wurden, lag in der Natur des Menschen. Manchmal brauchte es seine Zeit, doch dann störte das, was anfangs ungewohnt war, kaum noch. So ging es auch Cassim. Nachdem man ihn auf Befehl des Flaviers zu den niedrigsten Arbeiten herangezogen hatte, die die Villa zu bieten hatte, fand er irgendwann sogar Gefallen daran, den Tag in der Nähe der Pferde verbringen zu können. Von jeher hatte er diese Tiere gemocht. Sein Vater und er später selbst, hatten eine kleine Pferdezucht betrieben. Er liebte es auf den majestätischen Tieren zu reiten. Sie hatten ihn einst überall hingetragen, auf die Jagd und eines Tages auch in die Schlacht. Er vermied es jedoch, lange innezuhalten und über die Vergangenheit nachzugrübeln. Was war, würde nie wieder sein. Das wusste er jetzt. Aber auch um den Unmut der anderen Sklaven nicht auf sich zu ziehen, unterbrach er nur selten die Arbeit. Überhaupt war das Verhältnis zu seinen Mitsklaven ein äußerst schwieriges geworden. Alle hatten sie die Anweisung erhalten, mit ihm kein persönliches Wort mehr zu wechseln. Wer es doch tat und dabei erwischt wurde, hatte mit Repressalien zu rechnen. Der Parther selbst unterließ darum auch jegliche Kontaktaufnahme und sprach nur mit sich selbst oder den Pferden. Seitdem Hannibal tot war und Chimerion mit seiner Herrin die Villa verlassen hatte, gab es eh niemanden mehr, mit dem er einen vertrauten Umgang pflegen konnte. Selbst die Küchenhilfen, die er einst für ein ordentliches Stück Fleisch glücklich gemacht hatte, mieden ihn und würdigten ihn keines Blickes. So verging Tag um Tag und Woche um Woche.
    Nur selten erfuhr er von den Neuigkeiten, die im Haus schnell die Runde gemacht hatten. Doch eine Nachricht war selbst an ihm nicht vorbei gegangen. Die Abreise des Flaviers, seines Erzfeindes, hatte ihn tief berührt, nein, es hatte ihn gänzliche aus der Fassung gebracht. Dieser Feigling! Wie sollte er denn jetzt noch Rache nehmen? Selbst darum hatte er ihn noch gebracht! Doch Cassim beschwichtigte sich selbst damit, dass es das Schicksal eines Tages vielleicht doch noch gut mit ihm meinte und ihm die Chance bot, doch noch bittere Rache zu nehmen.
    Wer nun geglaubt hätte, nach Aristides Verschwinden hätte sich Cassims Lage deutlich gebessert, der irrte. Dessen Anweisungen lagen selbst dann noch wie eine dunkle Drohung auf jedem einzelnen Sklaven, so als könne der Flavier aus dem Nichts wieder auftauchen und diejenigen bestrafen, die zuwider gehandelt hatten. Dass jedoch Aristides vor seiner Abreise die Besitzverhältnisse des Parthers geändert hatte und Cassim nun Eigentum des Flavius Gracchus war, hatte der Parther nicht wissen können. Selbst wenn er davon erfahren hätte, so wäre es ihm sehr schwer gefallen, über seinen neuen Herrn Auskunft geben zu können. Er hatte jenen nur flüchtig an den Saturnalien gesehen und bei dieser Gelegenheit dessen Kochkünste erdulden müssen. Außerdem war ihm nicht entgangen, dass dieser Flavier nicht richtig Sprechen konnte. Jedoch mehr hätte er nicht über ihn berichten können.
    So begnügte sich der Parther, eine seltsame Art der Freude an seiner neuen Tätigkeit zu entwickeln und Stück für Stück in seine eigene Welt abzutauchen, in der es nur ihn gab und sonst niemand.

    Eine Kaskade des Schmerzes war über den parthischen Sklaven hereingebrochen. Der Flavier hatte all seine Drohungen wahrgemacht und ihn unerbittlich leiden lassen. Bis zur Bewusstlosigkeit hatte man ihn, an dem Holzkreuz hängend, geschlagen. Erst dann, als er verstummte und keine Schrei mehr kamen, hatten sie ihn abgenommen und ihn in die Sklavenunterkunft gebracht, wo man sich anschließend um seine Wunden kümmerte. Auf keinen Fall durfte der Parther sein Leben aushauchen!
    In der Nacht hatte ihn das Fieber heimgesucht. In ihm selbst war ein erbitterter Kampf ausgebrochen, um Leben und Tod. Nach einigen Tagen hatte das Leben obsiegt. Der Kampf war vorbei. Das Fieber sank und der Schleider der Bewusstlosigkeit hob sich langsam.


    Als Cassim zum ersten Mal wieder die Augen aufschlug, fand er sich in einem dunklen Raum wieder. Zuerst glaubte er, wieder im carcer zu sein. Dort, wo man ihn und Hannibal gebracht hatte, nachdem der Sklavenfänger sie wieder zurückgebracht hatte. War das Erlebte am Ende nur ein böser Traum gewesen? Der Gefährte saß wahrscheinlich in seiner Ecke und lebte noch. Cassim hielt den Atem an, um Hannibals Röcheln zu hören. Aber nur die blanke Stille schlug ihm entgegen. Gar nichts hörte er, nicht einmal das leise Rascheln der Mäuse, die sich im carcer eingenistet hatten.
    "Hannibal?", rief er mit schwacher Stimme. Casim erhielt keine Antwort. Der Gefährte war wohl doch seinen Verletzungen erlegen. Aber nein! Allmählich wurde ihm bewußt, er war nicht in einer der Zellen. Er lag nicht auf dem Boden im Stroh. Es war der Bettkasten seines Lagers im Sklavenquartier! Also war es doch kein Traum gewesen! Auch die Schmerzen, die die Wunden auf seinem Rücken verursachten, fühlten sich sehr real an.
    Plötzlich drang ein heller Lichtstrahl in den dunklen Raum. Eine weibliche Gestalt näherte sich ihm. In der einen Hand hielt sie eine Lampe, in der anderen einen tönernen Tigel. Sie leuchtete sich den Weg zu dem Sklaven hin, stellte die Lampe ab und wollte damit beginnen, Cassims Wunden zu versorgen.
    "Wer bist du?", fragte der Parther. Die Sklavin erschrak so sehr. Beinahe hätte sie den Tiegel fallen lassen. Eigentlich hatte sie gehofft, nicht in die Verlegenheit zu kommen und mit dem Sklaven sprechen zu müssen. Ihre Anweisungen waren sonnenklar. Sie durfte keinesfalls mit dem Sklaven in Kontakt treten. Wer ihn wie Dreck behandelt, der hat es gut, wer nicht, der wird leiden, wie er, hatte es geheißen.
    Cassim hatte nicht die Kraft dazu, weitere Fragen zu stellen. Es war ihm auch gleichgültig, wer sie war. Die Sklavin begann nun vorsichtig auf die Wunden des Parthers eine Salbe aufzutragen, die die Heilung fördern sollte. Dann verschwand sie wieder, genauso stumm, wie sie gekommen war.
    Cassim fiel wieder in einen Zustand des Dämmerns und schlief. Wie lange er schlief konnte er nicht sagen. Doch es mussten einige Tage vergangen sein, als einer der custodes, die ihn bewacht hatten, zu ihm ans Lager kam und ihm einen Tritt in die Seite verpasste.
    "He, du! Steh auf du faules Schwein und zieh dir die Tunika über! Du hast dich lange genug ausgeruht! Ab jetzt wird gearbeitet!" Er warf ihm eine frische, grobgewebte Tunika zu. Anschließend packten ihn seine groben Hände am Arm und rissen ihn nach oben. Cassim verzerrte sein Gesicht vor Schmerz und nicht nur das! Er hatte Schwierigkeiten, sein Gleichgewicht zu halten. Jede einzelne Bewegung war die reinste Tortur. Dem custos störte das keineswegs. Er ignorierte es einfach und schob ihn erbarmungslos hinaus aus dem Raum auf einen hellen Gang zu. Dann brachte er ihn hinaus auf den Hof. Die Augen des Parthers mussten sich erst mühevoll an die Lichtverhältnisse gewöhnen. Einzig die frische Luft hieß ihn willkommen.
    Der custos drängte ihn weiter zum Pferdestall und blieb davor stehen.
    "Ab heute wirst du hier arbeiten. Aber bilde dir bloß nicht ein, du dürftest dich um die Pferde kümmern. Du wirst hier nur den Dreck weg machen, wenn´s sein muss, auch mit deinen bloßen Händen. Und schlafen wirst du in Zukunft da drüben."
    Er deutete auf einen Schuppen, der sich neben dem Stall befand, in dem die einfachen Knechte hausten.