Bei der Diskussion zwischen Leonidas und Nikolaos warf ich beiden kurz einen ermahnenden Blick zu, sagte aber nichts weiter. Die genannten Argumente waren stichhaltig und deshalb akzeptabel. Mich hatten diese Argumente ja auch vor kurzem in der Bibliothek überzeugt.
"Eindeutig ja, aber nicht vollständig. Es fehlt nämlich noch ein Argument für die Kugelgestalt, welches von Pythagoras angeführt wurde. Es ist unstrittig, dass der Himmel an einer Sphäre angebracht ist. Ebenso ist unstrittig, dass die Erde der Mittelpunkt des Universums ist. Was wenig bekannt, aber dennoch wahr ist, ist die Tatsache, dass die Götter offenbar eine Vorliebe für symmetrische Formen haben. Wenn aber der Himmel sphärisch ist, dann muss die Erde aus Symmetriegründen ebenfalls eine sphärische Oberfläche haben und damit eine Kugel sein. Damit ist die Kugelgestalt der Erde vollständig belegt.
Jetzt müssen wir uns nur noch überlegen, was das für Folgen für das Erstellen von Landkarten hat. Eine Landkarte ist bekanntermaßen eine flache Angelegenheit. Segmente einer Kugeloberfläche hingegen sind gekrümmte Flächen. Landkarten verzerren als stets das Bild der kartographierten Landschaft.
Betrachten wir zunächst eindeutige Positionsbestimmungen auf einer Kugel. Jede Position auf einer Kugeloberfläche ist eindeutig und vollständig bestimmt durch die Angabe des Meridians und der Breite. Meridiane sind Verbindungslinien zwischen den beiden Polen einer Kugel, während Breiten, oder genauer: Breitengrade, Parallelen zum Äquator darstellen. Die Meridiane gehen von 0 bis 360 Grad, die Breiten von 0 Grad für den Äquator bis 90 Grad für den Pol, dafür muss aber bei ihnen angegeben werden, ob man nördlich oder südlichd es Äquators ist.
Wenn wir jetzt eine Karte zeichnen, haben wir zwei Möglichkeiten: Entweder sind wir entfernungskonsistent oder positionskonsistent. Anders ausgedrückt: Wenn wir die Abstände nach gemessenen Entfernungen einzeichnen, dann glätten wir die Krümmung, was zu Verzerrungen der Positionen in den Gradangaben führt. Sind wir positionskonsistent, so zeichnen wir auf der einen Achse die Meridiane ein und auf der anderen die Breiten. Dann verzerren wir aber die Abstände. Wichtig ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass die Problematik in der Nähe des Äquators am geringsten ist und in der Nähe der Pole am größten. Aber das könnt ihr euch auch selbst von einer Kugel herleiten. Kleiner Hinweis: Am Äquator formen Flächen von einem Grad mal einem Grad beinahe ein Quadrat, am Pol hingegen ein Dreieck, weil der letzte Breitengrad keine Ausdehnung hat. Dazwischen nimmt der trapezoide Charakter zu den Polen hin immer mehr zu. Ich rate euch allerdings, das einmal selbst zu überprüfen.
Für heute wäre das alles. Morgen werde ich euch dann beibringen, wie Himmelssphäre und Erde geometrisch zueinander stehen und wie an seine Position bestimmt. Wenn ihr noch Fragen habt, könnt ihr mir sie jederzeit stellen. Das gilt vor allem für diejenigen, die Probleme bei der Bestimmung des Abstandes vom Leuchtturm zum Museion hatten."
Ich sah mir die Studenten an und wartete, ob Fragen kommen würden.