Beiträge von Marcus Achilleos

    "Nun, was mich betrifft, so werde ich mich weiterhin meiner Akademie widmen. Mehr kann ich für die Polis nicht tun. Ich mag im Exil sein, aber ich bin noch immer Beamter des Reiches Ch'in und damit an gewisse Pflichten gebunden. Insbesondere darf ich mich nicht aktiv in die Politik eines anderen Staates einmischen, außer der Kaiser von Ch'in befiehlt oder erlaubt es mir. Andererseits bin ich dem Tianxia verpflichtet, so dass ich mein Möglichstes tue, um die Harmonie auf Erden zu verbessern."


    Ich hoffte, damit klar gemacht zu haben, wo ich stehe. So konnte ich von Anfang an vermeiden, jemanden vor den Kopf zu stoßen, indem ich ein Angebot zurückweisen müsste, das ich bis jetzt ja zum Glück noch nicht hatte und jetzt auch nicht mehr bekommen würde.

    "Vielleicht. Ich bin sehr wählerisch, was meine Schüler anbetrifft. Du solltest auch wissen, dass du nicht nur geistig, sondern auch körperlich trainiert würdest. Ich würde dir viel abverlangen und weder Gnade noch Mitleid kennen, wenn du dem nicht gewachsen bist. Willst du dir das wirklich antun?"

    Ich schmunzelte bei Nikolaos' offensichtlicher Neugier.


    "Nun, die bereits übersetzten und kommentierten Kapitel befinden sich in der Bibliothek und können dir jederzeit gebracht werden. Oder ich beauftrage einen Sklaven mit einer Abschrift, die er dir zukommen lässt. Da ich aber jedes Kapitel sofort kommentiere, kann ich dir leider keine weiteren Kapitel zur Verfügung stellen. Außer im Original, aber dazu müsste ich dir die Sprache beibringen - und das dauert erheblich länger. Siehe es als Übung in Geduld, werter Nikolaos."


    Ich nahm einen Schluck Posca, um ein aufkommendes Grinsen zu unerdrücken.

    "Perfektion ist wichtig. Genauer gesagt das Streben nach Perfektion, denn erreichen werden wir sie nie. Ich übe schon seit Jahren Kalligraphie, aber es gibt Kalligraphien von einigen Meistern, bei denen ich einfach nur ehrfurchtsvoll staunen kann. Ähm... sag mal, hättest du was dagegen, wenn ich dich und deine Verlobte mal zum Essen zu mir einlade? Das ist viel gemütlicher als hier im Stadion zu reden. Ich kann auch recht gut kochen. Zumindest haben sich die Kinder noch nicht beschwert."


    Ich lachte herzlich.

    Als wir an der Kochecke angekommen waren, holte ich ein Holzbrett und zwei Messer hervor und stellte alles auf einem Tisch neben der Kochecke ab. Dann holte ich noch Gemüse aus dem Vorratsgebäude.


    "Das Wichtigste beim Kochen ist immer die Vorbereitung. Das Gemüse muss in handliche Stücke geschnitten werden. Ungefähr so..."


    Ich zerschnitt eine Karotte erst in dicke Streifen und drittelte diese dann. Grinsend sah ich Cleonymus an.


    "Traust du dir das zu? Dann kan ich nämlich schon mal die Nudeln kochen. Oder möchtest du lieber die Nudeln kochen und ich schneide das Gemüse?"

    Bei der Diskussion zwischen Leonidas und Nikolaos warf ich beiden kurz einen ermahnenden Blick zu, sagte aber nichts weiter. Die genannten Argumente waren stichhaltig und deshalb akzeptabel. Mich hatten diese Argumente ja auch vor kurzem in der Bibliothek überzeugt.


    "Eindeutig ja, aber nicht vollständig. Es fehlt nämlich noch ein Argument für die Kugelgestalt, welches von Pythagoras angeführt wurde. Es ist unstrittig, dass der Himmel an einer Sphäre angebracht ist. Ebenso ist unstrittig, dass die Erde der Mittelpunkt des Universums ist. Was wenig bekannt, aber dennoch wahr ist, ist die Tatsache, dass die Götter offenbar eine Vorliebe für symmetrische Formen haben. Wenn aber der Himmel sphärisch ist, dann muss die Erde aus Symmetriegründen ebenfalls eine sphärische Oberfläche haben und damit eine Kugel sein. Damit ist die Kugelgestalt der Erde vollständig belegt.


    Jetzt müssen wir uns nur noch überlegen, was das für Folgen für das Erstellen von Landkarten hat. Eine Landkarte ist bekanntermaßen eine flache Angelegenheit. Segmente einer Kugeloberfläche hingegen sind gekrümmte Flächen. Landkarten verzerren als stets das Bild der kartographierten Landschaft.


    Betrachten wir zunächst eindeutige Positionsbestimmungen auf einer Kugel. Jede Position auf einer Kugeloberfläche ist eindeutig und vollständig bestimmt durch die Angabe des Meridians und der Breite. Meridiane sind Verbindungslinien zwischen den beiden Polen einer Kugel, während Breiten, oder genauer: Breitengrade, Parallelen zum Äquator darstellen. Die Meridiane gehen von 0 bis 360 Grad, die Breiten von 0 Grad für den Äquator bis 90 Grad für den Pol, dafür muss aber bei ihnen angegeben werden, ob man nördlich oder südlichd es Äquators ist.


    Wenn wir jetzt eine Karte zeichnen, haben wir zwei Möglichkeiten: Entweder sind wir entfernungskonsistent oder positionskonsistent. Anders ausgedrückt: Wenn wir die Abstände nach gemessenen Entfernungen einzeichnen, dann glätten wir die Krümmung, was zu Verzerrungen der Positionen in den Gradangaben führt. Sind wir positionskonsistent, so zeichnen wir auf der einen Achse die Meridiane ein und auf der anderen die Breiten. Dann verzerren wir aber die Abstände. Wichtig ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass die Problematik in der Nähe des Äquators am geringsten ist und in der Nähe der Pole am größten. Aber das könnt ihr euch auch selbst von einer Kugel herleiten. Kleiner Hinweis: Am Äquator formen Flächen von einem Grad mal einem Grad beinahe ein Quadrat, am Pol hingegen ein Dreieck, weil der letzte Breitengrad keine Ausdehnung hat. Dazwischen nimmt der trapezoide Charakter zu den Polen hin immer mehr zu. Ich rate euch allerdings, das einmal selbst zu überprüfen.


    Für heute wäre das alles. Morgen werde ich euch dann beibringen, wie Himmelssphäre und Erde geometrisch zueinander stehen und wie an seine Position bestimmt. Wenn ihr noch Fragen habt, könnt ihr mir sie jederzeit stellen. Das gilt vor allem für diejenigen, die Probleme bei der Bestimmung des Abstandes vom Leuchtturm zum Museion hatten."


    Ich sah mir die Studenten an und wartete, ob Fragen kommen würden.

    Da es allen klar zu sein schien, widmete ich mich dem nächsten Thema.


    "Nachdem wir jetzt also Entfernungen bestimmen können, müssen wir uns nunmehr der erde selbst widmen. Und da kommen wir zu einer interessanten Frage: Ist die Erde eine Scheibe oder eine Kugel? Nun, was denkt ihr? Begründet eure Meinung bitte auch, schließlich machen wir hier Wissenschaft, da gehören Argumente und Diskussionen dazu!"


    Das war mir wirklich wichtig, dass die Studenten lernen würden, ihre Meinung argumentativ zu unterlegen und Diskussionen zu führen.

    Leonidas nickte ich kurz zu, während ich bei Thimótheos die Augenbrauen fragend hochzog. Nachdem auch der letzte Schüler zurück war, konnte ich den wahren Abstand mitteilen. Obwohl insgesamt nur acht Schüler da waren, streuten die Ergebnisse doch ganz eheblich. Vier, darunter Leonidas, lagen ziemlich genau am richtigen Wert.


    "So, dann werde ich euch mal den richtigen Abstand nennen. Bei meiner eigenen Messung kamen 11,5 Stadien heraus. Das entspricht auch dem Wert, der in den Karten Alexandrias eingetragen ist.
    Da unsere Ergebnisse recht stark streuen, werden wir uns mal der Fehleranalyse widmen.
    Erste Fehlerquelle: Der Winkel. Die Winkelscheibe ist so zu halten, dass sie bei senkrechter Messung mit der 270-Grad-Marke zum Boden zeigt, idealerweise mittels einem Pendel. Bei waagerechter Messung ist sie quer zum Boden zu halten, im rechten Winkel. Sonst sind Abweichungen um ein paar Grad durchaus drin. Je nach Entfernung machen die dann schon mal recht viel aus.
    Zweite Fehlerquelle: Der rechte Winkel. Wenn euer rechter Winkel beim anpeilen des Ziels kein rechter Winkel ist, dann habt ihr natürlich einen Fehler und seid in der Regel zu lang, weil der Winkel dann meistens zu flach ist.
    Dritte Fehlerquelle: Die bekannte Seitenlänge. Wenn ihr eine falsche Seitenlänge angenommen habt, dann wird natürlich auch der Abstand falsch.
    Eine Sache ist noch recht interessant: Fehler können sich gegenseitig aufeben. Das heißt aber nicht, dass man darauf bauen sollte."


    Ich grinste kurz.


    "Jetzt, da wir wissen, wie man Abstände misst, können wir uns auch in unbekannte Gebiete vorwagen. Wir brauchen in dem Fall zuerst zwei bekannte Punkte. Da sie bekannt sind, ist auch deren Abstand bekannt. Von da aus können wir die eigene, unbekannt Position bestimmen. Idealerweise ist die auch an einem markanten Punkt. Wenn wir dann weiter ziehen, können wir diesen markanten Punkt und einen der vorherigen Punkte nehmen und den nächsten Abstand bestimmen und so weiter. Auf diese Art erhalten wir bereits eine sehr präzise Karte, in der die Abstände zwischen markanten Punkten und, wenn wir das wollen, auch alle anderen wichtigen Dinge wie Gewässer, Dörfer, Städte, Hügel, Berge, Wälder, Sümpfe und so weiter verzeichnet sind. Städte, Dörfer und Berge bilden übrigens ganz ausgezeichnete Orientierungspunkte. Auch frei stehende Bäume oder oasen sind dafür recht gut geeignet. Ist das Prinzip so weit allen klar?"

    "Wäre ja auch zu einfach, wenn man selbst seine eigenen Werke mit fremden Augen sehen könnte, nicht wahr?"


    Ich lachte.


    "Übrigens würde ich gerne mal eins deiner Werke sehen. Du kannst das sicher ziemlich gut. Jedenfalls schätze ich dich so ein, dass du erst zufrieden bist, wenn es höchsten Ansprüchen genügt."

    Ich nickte anerkennend. Die schüler hier schienen wirklich gut zu sein.


    "Genau so ist es. Damit haben wir dann auch eine erste Möglichkeit, Entfernungen zu bestimmen. Wenn ihr zwei Punkte festlegt, deren Abstand zeinander ihr kennt, dann könnt ihr durch eine einfache Winkelmessung zum Ziel dessen Abstand zu einem dieser Punkte bestimmen."


    Ich gab einem Sklaven des Museions ein Zeichen. Er nickte kurz und brachte dann eine Kiste herbei, aus der Messing glänzte.


    "In dieser Kiste sind Winkelscheiben aus Messing. Ihr nehmt euch jetzt alle je eine Winkelscheibe und bestimmt den Abstand vom Museion zum Leuchtturm. Wenn ihr einen Tipp braucht, könnt ihr mich jederzeit fragen. Den ersten Tipp gibt es direkt: Versucht, die bekannten Punkte so zu legen, dass ihr ein rechtwinklies Dreieck erhaltet. Das macht es einfacher."


    Sim-Off:

    Der Leuchtturm müsste laut Karte im Tabularium ca. 11,5 Stadien vom Museion entfernt sein.

    "Medizin. Das ist sehr löblich."


    Ich nickte anerkennend.


    "Wenn du mich fragst, dann ist das Museion nicht nur im Imperium die beste Adresse für medizinische Studien. Ich würde sogar schon beinahe sagen, dass es zumindest in dieser Hinsicht die beste Institution der Welt ist. Wobei ich selbst leider gar nichts von Medizin verstehe."


    Dann fiel mir noch etwas ein.


    "Du erinnerst dich noch an unser philosophisches Gespräch bei unserem letzten Treffen? Ich habe seitdem noch einmal die Schriften der Meister des fernen Ostens studiert und ich musste feststellen, dass ich mich in meiner Interpretation der Schriften geirrt habe. Du hast mich auf einige Widersprüche hingewiesen, die ich aber nicht in den Schriften gefunden habe. Im Gegenteil, ich hatte sogar etwas übersehen. Vor allem habe ich ein Kapitel übersehen, in dem geschrieben wird, dass man sein Herz weit machen soll für die Welt und die Menschen. Statt dessen habe ich mein Herz verschlossen. Nicht ganz zu Unrecht, aber falsch war es doch. Jedenfalls wäre ich ohne die Diskussion mit dir nie darauf gekommen. Dafür danke ich dir, auch wenn ich jetzt erstmal wieder am Anfang meiner Interpretation bin."

    Ich zog eine Augenbraue hoch. Wie schnell sich doch manche Dinge herum sprachen. Dann fiel es mir wieder ein, der andere Bantotakis war ja unter den Zuhörern gewesen.


    "Ja, ich unterrichte Geographie. Allerdings habe ich keinen Lehrstuhl. Ich bin nur Gastdozent und mache das unentgeltlich. Dadurch habe ich keine allzu große Verpflichtung gegenüber dem Museion. Das ist auch gut so, denn meine Schule in Rhakotis hat für mich Priorität."


    Bei der Erwähnung meiner Schule schlich sich ein strahlendes Lächeln auf mein Gesicht. Ja, ich war wirklich glücklich, den Kindern dort etwas Gutes tun zu können.


    "Was macht eigentlich deine Verlobte? Hat sie Stelle am Museion bekommen? Und, was möchtest du studieren?"

    Ich erschrak kurz, als ich unvermittelt angesprochen wurde.


    "Ánthimos... meine Güte, du kannst mich doch nicht einfach so aus der Konzentration reißen!" Es war scherzhaft gesprochen und ich lächelte auch erfreut. Überhaupt war ich - ohne es selbst zu merken - wesentlich lockerer und fröhlicher als beim letzten Treffen.


    "Wirklich eigenartig ist, dass ich kaum geübt habe. Ich muss wohl einen guten Lehrer gehabt haben, der es mir auf Anhieb richtig erklärt hat. Und, wie geht es dir so? Was macht dein Training?"

    Es war nun schon eine Weile her, seit ich das letzte Mal im Stadion war. Einiges hatte sich seitdem verändert, auch bei mir selbst. Und jetzt wollte ich einfach mal ein Speere werfen, um mich zu entspannen. Man könnte es macht der Gewohnheit nennen, aber ich behlielt - mal wieder - meine Kleidung an. Immerhin dachte ich an die Ankyle. Ich wickelte sie um den Schaft eines Speeres und holte Schwung. So verharrte ich eine Weile, während der ich lediglich die Balance des Speeres leicht änderte, bis sie mir optimal erschien. Dann warf ich den Speer mit aller Kraft weg. Der Wurf war gar nicht mal schlecht. Leicht nach links verrissen, aber sonst ganz gut. Ich beobachtete dn Flug des Speeres so konzentriert, dass ich gar nicht bemerkte, dass sich jemand ganz in meiner Nähe aufhielt.

    Mit einer solch präzisen Antwort hatte ich nicht gerechnet. Erfreut lächelte ich.


    "Exzellente Antwort! Genau das ist Geographie. Und weil diese Lehre nun einen solch großen Wissensbereich abdeckt, werden wir zunächst mit einem Teil beginnen müssen. Dazu bietet sich der Teil an, der uns eine Frage beantwortet, die sich ein guter Geograph immer zu stellen hat: Wo bin ich? Die Antwort lautet natürlich fast immer "Auf der Erde", aber wir wollen etwas präziser werden. Dazu können wir uns eine weitere Frage stellen: Ist der Ort in meiner Heimat bekannt?


    Lautet die Antwort auf diese Frage "Ja", dann wird es Karten geben. Diese Karten zu lesen werdet ihr hier lernen. Wesentlich interessanter ist abr die Antwort "Nein". Dann liegt es nämlich an euch, den Weg eurer Reise zu vermessen und eine Karte anzufertigen. Das führt uns sofort zu der Disziplin, die am Anfang dieser Vorlesung steht: Kartographie. Dazu gehören natürlich auch Grundlagen des Vermessungswesens.


    Dazu benötigen wir zunächst ein paar Grundlagen. Diese Grundlagen liegen in der Mathematik, genauer in der Mathematik der Dreiecke. Wir werden uns also zunächst dieser wunderbar einfachen geometrischen Figur widmen."


    Ich nahm mir das Stück Kreide und malte ein Dreieck an die Tafel.



    "Das Dreieck in seiner allgemeinen Form wird charakterisiert durch die Verbindungslinien der drei Punkte Alpha, Beta und Gamma und durch die an ihnen anliegenden gleichnamigen Winkel. Die Verbindungslinien nennt man übrigens Seiten des Dreiecks. Wenn ich ein Dreieck vollständig beschreiben möchte, wie viele Seiten und Winkel muss ich dafür kennen?"


    Ich sah die Schüler auffordernd an.

    Jetzt, da ich das Recht hatte, hier zu unterrichten, suchte ich mir einen Platz in einer Stoa nahe der Bibliothek. Im Schatten der Säulenhalle ließ ich eine Schiefertafel aufstellen und ein Stück Kreide dazu geben, um gegebenenfalls etwas aufzeichnen zu können. Ich wartete, bis sich einige interessierte versammelt hatten und begann dann mit meiner Vorlesung.


    "Mein Thema ist die Geographie. Ich werde hier keine großartigen Reden halten, wer also so etwas erwartet, kann gleich weiter gehen. Dafür werde ich mit einer Frage beginnen: Was ist eigentlich Geographie? Wer hat eine Idee?"


    Sim-Off:

    Jeder ist herzlich eingeladen :)