Ich möchte die Bühne gern verlassen, wenn auch nicht für immer und ewig.
Beiträge von Claudia Sisenna
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"Gut!" Mit nichts anderem als diesem einen Wort quittierte sie die Rückgabe des Geldes. Warum sollte sie auch überschwenglich sein oder lächeln? Diebstahl war eine Straftat und wer als Kind nicht den Weg zurück zur Redlichkeit fand, würde es später sicherlich erst recht nicht schaffen.
Sie reichte den Beutel an Sofian weiter, bevor sie sich wieder dem Jungen zuwandte. "Ich gehe jetzt Tiere kaufen. Wenn du mir hilfst, sie zu mir nach Hause zu bringen, hast du dir ein Essen für dich, deine Mutter und deine Geschwister verdient. Hast du Zeit?" Sisenna würde das Essen nicht einmal bezahlen müssen, sondern der Köchin in Auftrag geben. In der Villa konnte dann der Onkel weitere Aufgaben festlegen und Sisenna zweifelte nicht daran, dass er das tat."Mein Onkel ist der Praefectus Urbi." Vermutlich würde der Junge wissen, wie gefährlich nahe er ausgerechnet der Institution gekommen war, die Straftaten verfolgte.
"Ich weiß nicht, wie wir das mit den Geschwistern machen sollen", gestand Sisenna, während sie Sofians Blick suchte. Paullus meinte, er könne sie nicht alleine lassen.Als die Aussage erklang, Pallus würde nicht ihr Sklave werden wollen, wandte sich Sisenna wieder dem Jungen zu. Sie legte den Kopf schief, stemmte die Arme in die Hüften und setzte ein Grinsen auf. "Denkst du im Ernst, ich könnte einen so winzigen Sklaven gebrauchen?" Sie schüttelte den Kopf. "Du kannst mich nicht beschützen, du kannst... Ja, weiß nicht. Vielleicht kannst du ja doch etwas, von dem ich nichts weiß." Vielleicht konnte er singen oder zeichnen, aber dafür brauchte Sisenna keinen Sklaven. Sie besaß bereits den schönsten, liebsten, aufregendsten aller ... sie mochte die Bezeichnung nicht und vermied sie so gut es ging. Heimlich linste sie zu Sofian. Hoffentlich erriet er nicht ihre Gedanken.
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Sie fühlte sich beruhigt, als Sofian bestätigte, dass sie trotz all der Verwicklungen heute noch Tiere kaufen würden. Ein erlösendes Ausatmen gab ihr Befreiung und ermöglichte es, sich auf den Jungen zu konzentrieren. Als er vom Betteln sprach, ruckte ihr Kopf nach hinten. Eine Verhaltensweise, die weder gut hieß noch nachvollziehen konnte.
"Du sollst nicht betteln, sondern dir das Geld verdienen. Hab ich doch grade gesagt." Vorwurf klang aus ihrer Stimme. Sie sah nicht ein, warum das trotz der kranken Familienmitgliedern nicht möglich sein sollte. Dann passte eben jemand anderer auf, dass es ihnen in der Zwischenzeit nicht schlechter ging. "Sie werden schon nicht gleich sterben", fügte sie leiser an und wollte beruhigen. Wissen konnte sie es nicht, aber man könnte es herausfinden.
"Gib mir jetzt das Geld, dann verspreche ich dir, unseren Medicus vorbeizuschicken", bot sie an und hielt Paullus die geöffnete Handfläche entgegen. "Vielleicht gibt dir mein Onkel auch eine Aufgabe, womit du Geld verdienen kannst. Geschenkt gibt es jedenfalls nichts, für niemand." Dessen war sie sich ganz sicher. Ihre Familie besaß erhebliches Vermögen, aber Faulheit unterstützte der Onkel nicht. Vielleicht konnte sich Paullus nicht vorstellen, welcher Art, wie schwer und wie langwierig diese Aufgabe sein könnte und vermutlich würde er sich täuschen, denn es galt in aller erster Linie, Einsatz zu zeigen und nicht sich zu Tode zuschuften. -
Als Sisenna eintraf, stand die Antwort des kleines Diebes aus. Sofians Frage hatte sie nicht verstanden, aber sie war nicht schwierig zu erraten. Die Claudia zwängte sich zwischen Sofian und einem anderen Sklaven hindurch, während sie noch heftig atmete. Ihre Hand suchte Halt an Sofians Tunika, während die andere für etwas mehr Platz sorgte. Sie mochte es nicht, wenn andere Personen ihr auf den Pelz rückten. Sie ließ nur einige wenige an sich heran. Bei Tieren verspürte sie nie den Wunsch nach Sicherheitsabstand. Tiere besaßen ein reines Herz im Gegensatz zu Menschen und der Dieb musste ein ganz besonders schwarzes in sich tragen. Besäße er nicht ihr Geld, würde sie ihn vielleicht sogar niedlich finden, so aber blitzte sie ihn an. Seine Antwort ließ sie nach Luft japsen.
"Hast du das gehört?", fragte sie Sofian entrüstet und zog dabei an dessen Tunika. "Das ist dreist!" Diesen Ausdruck hatte sie irgendwann aufgeschnappt und wendete ihn häufiger an, wenn sie sich ärgerte. "Gib mir sofort mein Geld! Ich will Tiere kaufen!"Sie folgte Sofian, als der auf den Jungen zutrat, weil sie dessen Tunika nicht loslassen wollte. Ein kleiner Teil in ihr bemerkte, wie der Widerstand des Jungen schmolz, aber der größere ärgerte sich immer noch. Sofians Blick traf sie und sie hob den Kopf. Etwas wie Ratlosigkeit stand in ihren Augen.
"Ich möchte Tiere kaufen!", wiederholte sie in gemäßigtem Tonfall. Ihre erste Wut und Enttäuschung waren verflogen. Sie senkte die Lider und erfasste anschließend erneut den kleinen Dieb."Du weißt schon, dass du nicht fremdes Geld nehmen darfst?" Sie zeigte einen strengen Gesichtsausdruck. "Ich brauche auch manchmal Geld und kann es nicht einfach meinem Onkel stehlen. Da fragt man oder man verdient es sich." Ja, das musste selbst eine Claudia, wenn auch nicht durch harte Arbeit.
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Sofian rannte los und Sisenna natürlich hinterher. Sie konnte nicht mir ihm Schritt halten, war aber für ihr Alter flink. Irgendwann rief Sofian, man solle auf sie achten. Das wiederum interessierte Sisenna wenig, weil ihr einzige Gedanke beim verlorenen Geld weilte. Sie fand es unverschämt, fremdes Eigentum zu entwenden. "Wenn ich dich in die Finger bekomme", drohte sie keuchend, weil sie vor Wut schäumte und die Hatz ihr den Atem raubte. Sie wollte heute noch Tiere freikaufen und das gestaltete sich schwierig ohne Geld.
"Fangt ihn!", schrie sie und mit jedem Laufschritt wuchs ihre Wut. Sie achtete nicht auf die Umgebung, sondern nur darauf, Sofians Kopf nicht aus den Augen zu verlieren. Mal wurde er verdeckt, dann tauchte er wieder auf und das, obwohl er eine Schneiße hinter sich ließ. Einzelne Fußgänger wollten diese durchqueren, stießen mit claudischen Sklaven zusammen und wurden zur Seite gestoßen. Sisenna rannte fast unbehelligt hindurch. Endlich kam sie in Sofians Nähe.
"Wo ist er? Schnapp ihn dir?" Sie ging davon aus, dass es sich um einen Jungen handeln musste, Mädchen würden sich das gewiss nicht trauen. "Er muss außerdem bestraft werden!" Nichts stand mehr fest als diese Tatsache. Fast hatte Sisenna Sofian erreicht.
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Sie stemmte sich ein wenig auf der Tischkante hoch, um noch besser zu sehen. Nicht zu viel, denn der Stand sollte nicht kippeln. Ihr Blick schweifte über die Figuren, während sie antwortete. "Dann ist es abgemacht: Wir kaufen im Anschluss Schafe und Ziegen." Pferde mussten demnach nicht beschützt werden.
Schließlich begann Sofians Aussage darüber, welche Figur er sich als Frau wünschen würde. Sisenna legte ihr Gewicht wieder auf beide Füße und stand fest auf dem Boden, bevor sie Sofian anblickte und aufmerksam zuhörte. Einen Löwen fand sie seltsam und zeigte das auch, indem ihr Kopf abwehrend nach hinten ruckte, die Lippen sich kräuselten und die Brauen nach oben fuhren. Vorschlag zwei gefiel ihr da schon besser.
"Das gefällt mir!"Sie folgte seinem Fingerzeig und entdeckte das steigende Pferd. Sofort erhellte sich ihr Gesicht, sie lächelte und wies auf die Figur, bevor sie den Händler anblickte.
"Das da, was kostet das?" Sie verstand nicht, warum Sofian unmittelbar danach noch einen Hinweis auf das Geld machte. Sie fand, sie hatte sich klar und deutlich ausgedrückt und außerdem wurde sie bisher auch ohne Sofians Unterstützung ernst genommen. Sie wollte sich schon verärgert umwenden, als Sofian laut anfügte: 'Ein Dieb!'"Was? Unser Geld?" Sie folgte Sofians Blick, erkannte aber nichts. "Was meinst du?" Mittlerweile schauten auch andere Marktbesucher in die Richtung, da sich aber keiner außer Sofian aufregte, kombinierte sie schnell. "Dann müssen wir uns das zurückholen. Wir oder die Stadtordner. Na, los!" Sie fand, Sofian musste sich zuerst bewegen, denn er hatte den Dieb noch gesehen.
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Sie überlegte kurz nach der Frage zum Zwinkern, dann lächelte sie: "Nein, blinzeln mein ich." Beim tiefen Einatmen, hob sich ihr Brustkorb, während sie die Hände in die Hüften stemmte. "Holz kann nicht zwinkern." Wollte Sofian sie etwa necken? Sie dachte nach, als sie weitergingen und erst die Versicherung, dass sie anschließend nach lebenden Tieren suchen würden, lenkte sie ab.
"Lämmer, Zicklein, Fohlen", murmelte sie. Lämmer und Zicklein wurden oft geopfert, das wusste sie. Auch auf dem Esstisch fanden sie sich wieder. "Weißt du, ob auch Fohlen geopfert werden?" Gegessen hatte sie noch keins, glaubte sie.
Schließlich konzentrierte sie sich auf die Figuren am Stand, als sie ihn erreichten. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, obwohl sie auch auf flachen Füßen bequem die Fläche des Verkaufsstandes begutachten konnte. Immerhin wirkte sie dadurch größer und wurde noch schneller bemerkt. Aufsehen hatte sie allerdings bereits im Vorfeld erregt.Sie blickte zu Sofian hoch. "Elefanten und Giraffen?" Sie kannte leider nicht den Geschmack der zukünftig Beschenkten, daher verzog sie den Mund und runzelte die Stirn. "Was würde dir gefallen, wenn du eine Frau wärst?" Ein Lächeln erschien, weil sie sich Sofian in einer Frauentunika vorstellte.
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Während Sisenna zuhörte, hoben sich ihre Brauen. "Ach so. Keine echten." Die Enttäuschung war ihr anzusehen. Sie wollte keine Tiere aus Holz und Keramik, erinnerte sich aber wieder an das benötigte Geschenk.
"Tiere für mich müssen warm sein und sie sollen zwinkern können." Ein letzter Versuch, Sofians Verständnis zu erlangen, dann entschied sie, erst das Geschenk und anschließend Tiere zu kaufen."Also gut, gucken wir uns die Figuren an." Sie strebte in die Richtung, in die Sofian gewiesen hatte. Begleiter schufen Platz für sie. Sofian brauchte sie zum reden, er sollte bei ihr bleiben. "Ich würde niemals Tiere verschenken." Energisch schüttelte sie den Kopf, dann sah sie zu ihm und flüsterte, während sie mit einer Hand am Mund die Wörter nur zu ihm leitete. "Ganz viele schlachten die einfach." Ihre Augen wurden groß und sie nickte einmal.
"Versprich, dass wir anschließend echte Tiere suchen werden." Sie verhielt den Schritt und würde sich erst von der Stelle bewegen, wenn Sofian das Versprechen abgab.
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Der Plan am heutigen Tag lautete, ein Geschenk zu kaufen. Es musste einer jungen Frau gefallen, leider hatte Sisenna bisher keine Idee. Sie wollte sich inspirieren lassen. Ihr Sklave Sofian, der für sie mehr Schützling als Beschützer war, begleitete sie. Kurz vor Erreichen des Marktes, entstieg Sisenna der Sänfte und machte sich zu Fuß auf den weiteren Weg. Auf diese Weise konnte sie die Waren näher betrachten.
Als sie an den Garküchen vorbeikamen, bereute sie die Entscheidung. Kein Vorhang schützte sie. Der Geruch kroch ungehindert und unbarmherzig in ihre Nase. Sie hielt sich die Nase mit Daumen und Zeigefinger zu und beschleunigte den Schritt. "Es stinkt", behauptete sie, damit Sofian Bescheid wusste.Auch wenn die nachfolgenden Gerüche nur wenig besser ausfielen, tat sie so, als roch es gut. Sie atmete einmal befreit durch, bevor sie den Stand suchte, auf den Sofian sie aufmerksam machen wollte. Große Menschen nahmen ihr die Sicht, also konzentrierte sie sich auf das, was Sofian sagte. Den Hinweis auf Figuren überhörte sie dabei.
"Oh ja! Wir kaufen Ponys, Ziegen und Schafe. Ich hab mehr als nur ein Grundstück und kann Tiere retten. Das hätte mir auch selbst einfallen können." Sie schlug sich vor die Stirn. "Wo ist der Tiermarkt?" Da Umsehen nichts brachte, sah sie Sofian erwartungsvoll an. -
Zum Ende des Jahres wollte Sisenna noch einmal ihre fromme Seite zeigen, nachdem sie sich seit längerem weigerte, einer familiären oder öffentlichen Opferung beizuwohnen. Die an sie gestellte Erwartung diesbezüglich konnte sie nicht dazu veranlassen, über das Leid der Opfertiere hinwegzusehen und da sie zuletzt die Opferungen mehr störte als bereicherte, ließ man sie gewähren. Der heutige Tag barg wenig Gefahr, einer blutigen Opferung beiwohnen zu müssen, daher betrat Sisenna unbeschwert den Vorplatz des Tempels und blickte sich um. Sie wurde von Sklaven begleitet und die Tradition besagte, dass in diesen Tagen die Rollen vertauscht sein müssten. Viel wurde von ihr diesbezüglich bisher nicht abverlangt und falls doch, würde sich zeigen, ob sie mitspielte.
"Wie kann man nur ein kleines unschuldiges Ferkel essen!", schimpfte sie vor sich hin, als sie den Stand mit den Spanferkeln passierte. Sie vergaß ihre Manieren und spuckte aus. Anschließend strebte sie dem Gebäckanbieter entgegen.
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Sisenna freute sich bereits, als der Onkel eine Überraschung ankündigte. Sie blickte mit aufgerissenen Augen und einem geöffneten Mund zu Sassia nach oben, bevor sie wieder zum Onkel sah. Die Überraschung fiel allerdings anders als erwartet aus. Deswegen blieb ihr Mund kurze Zeit offen stehen.
"Eine Kleintierzucht?", fragte sie nach, um sich zu vergewissern, richtig gehört zu haben. Sie fand Tierkinder süß, besonders kleine Ziegen und Schweinchen, aber an wen sollte sie die verkaufen können? Wer hielt sich Schweine nur zum Spaß? Alle wollten doch Schweine essen und Ziegen landeten auch nur allzu oft auf einem Altar.
"Ich weiß nicht", gestand sie. Ihre Schultern sanken nach unten und ihr Blick wurde traurig. All die armen Tiere. Sie konnte unmöglich alle retten. Andererseits müssten die nicht sterben, die sie für die Zucht aufkaufte. Sie fasste einen Entschluss, der dem Onkel vielleicht nicht gefallen würde. Der tat ihr zwar leid, aber irgendjemand musste ja ausbaden, was dieses Gesetz angerichtet hatte."Bedingung: Alle Zuchtschweine und Zuchtziegen kaufen wir vom Schlachter und du musst mich begleiten, damit ich auch die bekomme, die ich haben will. Oder mindestens schreibst du mir einen Brief, der mir hilft, alles einzukaufen, was ich haben will." Sisenna fand das Vorhaben immer sympathischer, je länger sie es erwog. Sie konnte sich denken, dass der Onkel bestenfalls widerwillig mitkommen, aber insgesamt zustimmen würde. Aufgeregt zupfte sie an Sassias Hand.
"Der neue Betrieb heißt: Sisennas Kleintierzucht." -
Wie es schien, stellte der Onkel keine größere Klippe dar. Außerdem begriff Sisenna, dass sie nicht um diese Neuregelung herum kam, ganz gleich, wie stark sie protestierte. Sie hielt Sassia umklammert und hob den Zeigefinger der anderen Hand.
"Du verkaufst kein Pony an einen Händler oder Schlachter oder Pferdefleischesser oder Opferdings.
Du prüfst alle Käufer auf Redlichkeit.
Du darfst nicht bestimmen, welche Stute mit welchem Hengst ein Fohlen bekommen darf.
Du verkauft keinen einzigen Fisch an jemand, der Fische isst.
Jeder Fischkäufer muss ein Wasserbasin oder einen Teich haben und versichern, dass die Fische dort leben.
Du darfst keine Bienenkönigin abgeben.
Du musst für alle Jungköniginnen bei UNS ein neues Zuhause suchen."Über die Abgabe dieser Pflicht freute sich Sisenna sogar, denn sie erinnerte sich noch daran, wie sie einmal einer entflogenen Jungkönigin durch ganz Rom hinterher gelaufen war. Nun musste der Onkel ein Grundstück nach dem anderen hergeben, wenn es neue Jungköniginnen gab.
"Ach, und du darfst kein Pony an diese Wagenrennenmenschen verkaufen. Dort stürzen die armen Pferde und verletzten sich."
Sie überlegte, während ihr Blick hin und herwanderte.
"Und du musst dir auch zukünftig meine Bedingungen anhören und alle umsetzen!"
Das ersparte ihr heute, an alles zu denken."Versprichst du das?" Sie setzte ihren drohenden Blick auf, der ankündigte, sie würde schreien und toben, wenn er mit 'Nein' antwortete.
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Sisenna hatte alle anderen vergessen und nahm nur noch Sassia wahr. Ihr Körper wurde wiederholt geschüttelt - begleitete von einem hörbaren Einziehen der Luft, auch wenn die Tränen weniger rollten. Das Wiegen beruhigte sie tatsächlich. Sie griff nach einer von Sassias roten Haarsträhnen und drehte sie zwischen den Fingern. Ihr Hirn arbeitete langsam, aber schließlich blickte sie Sassia an. Sie wusste, ihre ältere Nichte würde sie nicht anlügen. Zumindest war das bisher nie vorgekommen.
Zuerst verstand Sisenna nicht, wer mit Großvater gemeint war, aber dann dämmerte ihr, dass es niemand anderer als ihr Onkel, der ja Sassias Großvater war, sein konnte. Sie streckte sich und blickte an Sassias Arm vorbei zum Onkel. Der stand wie ein vergessenes Hündchen im Raum und fand zu keinem Wort."Blödes Gesetz", schimpfte sie, wenn auch leise, als sie sich wieder umwandte. Das Argument, dass sich der Onkel nicht trauen würde, etwas gegen ihren Willen zu entscheiden, überzeugte sie schließlich. Sie würde ihn boxen, treten und dabei kreischen, würde er es dennoch wagen.
Sisenna brauchte weitere Augenblicke, dann nickte sie zum Vorschlag, den Onkel zu fragen.
"Aber du musst ihm Strafe androhen", flüsterte sie, zog die Nase hoch und wischte sich die Tränen mit der freien Hand weg. Ihr wurde schließlich auch ständig etwas angedroht, wenn sie nicht folgte. -
Als Sisenna zur Tür rannte, verspürte sie starke Bauchschmerzen. Außerdem fühlte sich der Brustkorb an, als drückte ihn jemand von zwei Seiten zusammen. Sie weinte auf, als sie festgehalten wurde. Eigentlich wollte sie im Stillen ihren Schmerz hinausweinen, aber nun lag sie in Sassias Arm und der unerwartete Trost ließ ihre Fassung gänzlich zusammenbrechen. Ein Weinkrampf schüttelte den kleinen Körper. Sie weinte nicht besonders laut, aber intensiv, sodass binnen kürzester Zeit ein regelmäßiges Schluchzen auftrat, das sie durchschüttelte und nicht kontrollieren konnte.
Sie hörte zu, während Tränenbäche die Wangen hinunterliefen."Ich will nicht…auf dem Pap…ier bestimmen", sagte sie, von Schluchzern unterbrochen. "Ich will in Wirk…lichkeit best…immen. Ich muss aufpas…sen, dass kein Pony …zum Schlachter kommt." Sie fing erneut an zu schluchzen. Sie vertraute niemand, denn alle, die sie kannte, töteten Tiere nur zum Spaß. Offiziell behaupteten alle, sie taten es für die Götter, aber Sisenna glaubte das nicht.
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Obwohl Sisenna wusste, dass Sassia nur hier war, um dem Onkel zu helfen, konnte sie ihr nicht die kalte Schulter zeigen. Sie öffnete die Arme und umarmte ihre große Nichte. Anschließend nahm sie artig Platz. Sie mochte Sassia und freute sich, sie nach langer Zeit endlich einmal wiederzusehen. Sie lächelte sie an und realisierte erst Momente später, was ihr gesagt wurde.
Das Lächeln verschwand. "Waaas?" Sie konnte sich nicht verhört haben, weil das Nachfolgende inhaltlich zur Eröffnung passte.
Sisenna rutschte vom Stuhl, während sie mit den Tränen kämpfte.
"Warum tut ihr das? Ihr seid so gemein!", schluchzte sie und lief zur Tür. Sie wollte nicht, dass jemand anderer ihre Betriebe führte. Es fühlte sich an, als wollte ihr jemand die Tiere wegnehmen.
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Der Morgen begann schön, bis Sisenna erneut eine Anweisung erhielt, sich bei ihrem Onkel einzufinden.
"Och nö", maulte sie. Aus ihrer Sicht waren sie sich gestern einig geworden. Ihr Onkel ließ sie in Ruhe und sie hatte ihre Ruhe. Wenig mädchenhaft schlurfte sie zum Arbeitsraum, denn verweigern durfte sie sich nicht. Allerdings wollte sie ihre Lustlosigkeit zum Ausdruck bringen. Sie wusste, der Onkel mochte fläziges Auftreten nicht, also würde er ihre Botschaft verstehen. Als sie eintreten wollte, blieb sie abrupt stehen. Der Onkel hatte ein großes Aufgebot an Frauen aufgefahren. 'Jetzt erst recht nicht', schwor sich Sisenna im Stellen, verzog trotzig den Mund und trat ein. Sie verschränkte die Arme als Zeichen, dass sie hart wie ein Stein bleiben würde. Ganz gleich, was er von ihr wollte, es konnte nichts Gutes sein."Guten Morgen." Sie konnte die Frauen ja grüßen, denn die traf keine Schuld an der Misere. Den Onkel sah sie dabei nicht an.
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Sisenna verbuchte den Ausgang des Gespräches als Sieg. Sie grinste breit, knickste, drehte sich um und rannte in den Gang hinaus. Sie kicherte in sich hinein, als sie zurück auf ihr Zimmer lief.
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Er wollte also reden und sie sollte reinkommen. Sisennas Mimik sprach bei diesem Wunsch Bände. Sie legte den Kopf schief und blickte anklagend. Das Lächeln des Onkels konnte sie nicht von der Harmlosigkeit seines Anliegens überzeugen, trotzdem trat sie ein, blieb aber in der Nähe der Tür stehen.
Was er sie anschließend fragte, passte nicht im Geringsten zu ihren Erwartungen. Sie blies Luft durch die Lippen, sodass diese vibrierten."Du weißt doch gar nicht, wie oft ich spiele. Du bist doch nie hier." Wenn er schon über dieses Thema sprechen wollte, dann zu ihren Bedingungen. Sie entlastete ein Bein, stellte es etwas nach vorn und verschränkte die Arme vor der Brust. Ihre Unterlippe schob sich nach vorn, was ihrem Gesicht einen herausfordernden und anklagenden Ausdruck zugleich verlieh.
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Wenn der Onkel sie zu so später Stunde rief, bedeutete dies bestimmt nichts Gutes. Deswegen schlich Sisenna die letzten Schritte und zog ganz vorsichtig die Tür zum Arbeitszimmer auf. Sie traute sich nicht einzutreten. Stattdessen steckte sie den Kopf durch den Türspalt und blickte den Onkel mit fragenden Augen an.
"Jaaa?" Sie schaltete die Ohren vorsorglich auf Durchzug, falls sie eine Standpauke erwartete.