Beiträge von Lucius Duccius Silvanus

    Wohlgeformt an den richtigen Stellen... das war eine kreative Ausdrucksform, die Rodrik so noch nie gehört hatte, aber die Kundschaft hatte ja immer recht. Vor allem die Beschreibung des Stiels machte ihm kurz Kopfzerbrechen, doch dann...


    Ah, ich weiß genau, was du meinst. rief er aus. Errötet, erhitzt blickte er sich um, dann trat er ein paar Schritte zur Seite und griff nach unten. Er ist zwar etwas klein, aber... Nur wenige Augenblicke und ein paar Fummeleien später holte er das Gewünschte heraus. Hier. Dank dieser "Schultern" kannst du zwischen Zeige- und Mittelfinger den Stiel gut umgreifen und durch den Knopf am unteren Ende kannst du leicht den kleinen Finger darunter legen und hast so zusätzlichen Halt.


    Mit diesen Worten reichte er ihr den soeben beschriebenen Handspiegel. Extravagantere Modelle haben aber nur einen sehr geraden Stiel, sind aber um die polierte Fläche stärker verziert. Sie sind aber auch der letzte Schrei aus Lugdunum.

    Huch, da war sie wieder. Rodrik konnte sich noch gut an sein letztes Gespräch mit ihr erinnern und an den Temperaturanstieg, den außer ihm aber keiner verspürt hatte.


    Ich... ähm... ja, auch Silber. Rodrik räusperte sich und versuchte, in seinen professionellen Modus zu wechseln. Wie soll der Spiegel denn aussehen? Ganz rund oder lieber oval? Eher schlicht oder reich geschmückt? Und soll der Stiel eher schlank sein oder eher breiter, damit man ihn gut umgreifen kann?

    Wenn Rodrik gerade eine Flüssigkeit im Mund gehabt hätte, dann wäre dies ein klassischer Moment zum Losprusten gewesen. Klar, dass deswegen bei ihren Worten Rodriks Gedanken zu rotieren begannen. Erotische Darstellungen? Nicht alleine? Herrje... Hat jemand einen Mordsscheit Holz auf das Feuer gelegt oder warum wurde es gerade so warm, so heiß?


    Ähm... Nuja... Also... Er hatte gerade so ein Bedürfnis, sich zu räuspern... Ähäm. Ja. Pfuh, ganz ruhig jetzt. Ich persönlich bin kein Schnitz... Schreiner. Ich... ich nehme nur die Bestellungen entgegen und sowas. Also ich schicke einen Arbeiter vorbei, der kennt sich aus und kann alles abmessen. Also das Bett und die anderen Möbel, meine ich. Was soll er denn auch sonst meinen?

    Ein leeres Haus mit vielen Räumen, die mit Möbeln gefüllt werden möchten? Das klang nach einem großen Auftrag, den er nicht vermasseln durfte. In seinem Kopf machte es zwar nicht "Ka-Ching!", aber jeder Idiot würde merken, dass es da um viel Geld ging.


    Nuja, das kommt darauf an. Rodrik lächelte. Nämlich darauf, wie groß die Ausstattung für das Triclinium und wie aufwändig die Verarbeitung sein soll. Etwa mit Intarsien oder Schnitzereien? Oder ob irgendwelche Sonderwünsche bestehen? Und... vor allem... benötigen wir eine Größenangabe. Ich fürchte, mit der Angabe geräumig werden unsere Arbeiter nichts anfangen können. versuchte sich Rodrik an einem kleinen Scherz. Hast du dir denn schon genauere Vorstellungen gemacht über das Mobiliar?

    Natürlich saß Rodrik lieber an seinen Goldschmiedearbeiten, aber ab und an musste auch er bei den Ständen mithelfen und dies war auch heute der Fall. Für ihn zum Glück hatte er sich mittlerweile eine gewisse Routine angeeignet, so dass er mit einem angemessen vorgetäuschten Selbstbewusstsein sich um die Kunden kümmern konnte.


    Salve, ich bin Silvanus von den Duccia. Wie kann ich helfen? Was für Einrichtungsgegenstände werden gebraucht?

    Als Naha in sein Zimmer hineinstürmte und ihn rüttelnd und schreiend mit "FEUER! RAUS HIER!" aufweckte, wollte Rodirk nur einen ganz kurzen Augenblick etwas so in Richtung "Wus? Ja, ne, mach ich gleich..." sagen, bis er begriff, dass sie nicht wollte, dass er Feuer machte, sondern dass das Feuer schon gemacht war. Und dass das gar nicht gut war. Als er sich anzog, war Naha schon längst wieder draußen und kümmerte sich um die anderen. Dat alles ging so fix, dass er nicht mal die Nacktheit Nahas bemerkte. Als er dann aus seinem Zimmer eilte, schreckte er ob des riesigen Feuers zurück. Oh, dat war nicht gut, dat war gar nicht gut... Doch ihm blieb nicht lange Zeit für seine Starre, denn Witjons Stimme gemahnte ihn der Situation. Rasch lief er die Stufen hinunter, fiel dabei sogar fast hin. Kam es ihm nur so vor oder war das Feuer größer geworden, seit er es von oben gesehen hatte?


    Irgendwer drückte ihm einen Eimer in die Hand. Und ehe er es sichs versah, half er beim Löschen, schwitzte, hustete wie all die anderen und fragte sich, ob sie überhaupt in der Lage wären, das Feuer zu löschen...

    Der gleiche Flaum? Rodrik fasste sich an seine Wange. Also er fand schon, dass sein Bartwuchs stärker geworden ist seitdem er wegging. Auf der anderen Seite hatte er das nicht dokumentiert. Konnte man Bartwuchs eigentlich dokumentieren? Also wann man wie starken Bartwuchs hatte? Konnte man das beschreiben? Oder besser aufzeichnen? Und könnte das machen? Wer würde das machen? Wieviel Aufwand wäre das? Würde sich der Aufwand überhaupt lohnen?


    "Äh... nuja... weißte... ich bin irgendwie nicht dazu gekommen, euch zu schreiben." murmelte Rodrik verlegen. Und das klang besser als 'ich hab vergessen'. "Aber ja, gelernt hab ich schon einiges... Also, ich glaube schon."

    Rodrik musste ein wenig warten, doch nicht allzu lange, bis Albin die Tür geöffnet hatte. Er erkannte den alten Mann natürlich sofort, bemerkte aber auch die Veränderung an ihm. Albin war ja schon alt, als Rodrik Mogontiacum verliess, aber jetzt war er ja uralt! So kam es ihm vor. Und erkannte er Rodrik denn gar nicht?


    "Albin! He, Albin, altes Haus! Ich bins, Roddi!" Er räusperte sich etwas verlegen, weil er doch etwas ungestüm geantwortet hatte. "Also... ich meine, Rodrik, der Sohn von Hagen. Erkennst du mich denn nicht mehr?" Jetzt hatte er Furcht bekommen. Was, wenn Albin ihn tatsächlich nicht mehr erkannte, ihn als Lügner beschimpfte, ihm gar die Türe vor der Nase zukloppte? Das wäre sowas von unkühl...

    Der Tag war noch lange nicht zur Neige gegangen, doch die Sonne stand winterbedingt tief und ihre Strahlen blendeten den jungen Mann unangenehm, als er nach Jahren wieder in seine Heimat zurückgekommen war. Es war Rodrik, der Sohn Hagens, der junge Mattiaker, den nach seiner Ausbildung zum Goldschmied das Fernweh gepackt hatte und ein wenig von der Welt sehen wollte. Was für eine Schnapsidee! Nuja, teilweise. Teilweise wars nämlich auch eine kühle Sache. Aber das wollte er dann lieber seinen Anverwandten erzählen.


    Obwohl Mogontiacum sich ein wenig verändert hatte, die Gerüche (mancherorts Gestank) und die Geräusche waren fast dieselben geblieben. Und noch etwas Gutes: Rodrik fand sofort den Weg zur Casa Duccia wieder. Und natürlich die Casa selbst. Damals, als er das erste Mal hierherkam, war er nervös gewesen. Heute war er es wieder. Aber anders. Kurze Zeit später klopfte er an der Tür.

    Rodrik liebte Suppe. Vor allem mit Haferflocken. Vielen Haferflocken. Eigentlich hatte er es am liebsten, wenn die Haferflockensuppe ein Haferflockenbrei mit Suppengeschmack war. Nur leider machte Marga das so selten. Rodrik saß an seinem üblichen Platz am Tisch und hatte dabei sein Revier abgesteckt: die Suppenschüssel vor sich, den Becher links davon, das Schmalzbrot rechts der Schüssel und davor ein Stück Käse und der Apfel, den er als Nachtisch verspeisen wollte. Sein Essensrevier, in dem er ungehindert wildern konnte. Manchmal brockte er das Schmalzbrot in die Suppe, manchmal futterte Rodrik das Brot zur Suppe dazu. An diesem Abend machte er halbe-halbe. Und an der am Tisch verbleibenden Hälfte des Schmalzbrotes grinste ein stilisiertes Gesicht den Betrachter an, das Rodrik mit dem Stiel seines Löffels reingemalt hatte. Und Rodrik grinste fröhlich und ausnehmend kindisch zurück.


    Er hatte Naha eigentlich so gar nicht zugehört, so sehr war er mit dem Schmalzbrotgrinser beschäftigt. Er überlegte, ob er weitere Teile des Schmalzbrotes in die Suppe brocken sollte und zwar um das Gesicht herum. Ein grinsendes Schmalzbrotgesicht auf dem Tisch. Rodrik mochte diese Idee. Und machte sich gleich an die Arbeit, während Naha ihre Heiratspläne der Familie mitteilte. Ganz beschäftigt mit seinem Schmalzbrot kam ihm gar nicht in den Sinn, dass Naha für so etwas eigentlich ordentlich zu jung sei.
    "Wer ist Valgiso?" fragte er beiläufig, in einem Tonfall, als ob er nach dem Wetter fragen würde.

    Seit der Betriebsübernahme hatte Rodrik viel zu tun. Die neue Verantwortung lastete doch schwer auf ihn, auch wenn Brix als Ältester das meiste tat. Aber Rodrik machte sich viele Gedanken - wahrscheinlich oder gar sicher zu viele - und das lastete auf ihm.


    War dies alles? Nein, denn ein paar Wochen vor den Saturnalien begann die "Saison". Da kamen die Römer Mogontiacums und der Gegend um Mogo herum zu den einzelnen (Gold-)Schmiedebetrieben und bestellten Löffel. Und zwar noch und nöcher. Aus Gold, aus Silber, manche auch aus gewöhnlichem Eisen, aber ein jedes sollte graviert sein, meist mit dem Cognomen, manchmal auch mit dem vollen Namen des Empfängers. Warum die Römer soviele Löffel bestellten war ihm nicht wirklich eingegangen, aber sie taten es. Und damit gab er sich - vorerst - zufrieden.


    Aber an diesem Abend hatte er sein Tagwerk getan. Und bei Thors Bart! Er hatte vor, sich hemmungslos niederzusaufen! (Er war dabei billig: meist reichten zwei Halbe und weg war er.) Mit einem Becher in der Hand bewaffnet sah er sich um, vielleicht würde jemand ihm bei seinem Vorhaben helfen?

    Anders gesagt: Rodrik war entlassen. Gerade kam ihm in den Sinn, dass es schon merkwürdig war. Sie konnte so herrisch sein und man konnte es von ihrer Abstammung als Tochter eines Führers erklären. Bei ihm war es nicht viel anders (man ersetze "Tochter" durch "Enkelsohn") und trotzdem war er das ganze Gegenteil. War deswegen seine Mutter so sehr von ihm enttäuscht? Über diese Gedanken bemerkte er fast den Kuss nicht - zum Glück für beide, denn das wäre sonst sicher wieder eine peinliche Situation geworden.


    "Mach ich." antwortete er, dann verließ er ihr Zimmer.

    Wieso hatte er sich nur gedacht, dass er auf irgendeine Form von Verständnis stossen würde. In diesem Moment fühlte sich Rodrik in jüngere Tage versetzt, in sein Heimatdorf, genauer: in das Haus seiner Mutter und seines Großvaters. Elfleda erinnerte ihn gerade jetzt an seine Mutter, und genau wie bei seiner Mutter senkte er den Kopf und blickte auf seine Schuhspitzen. Nur das immer folgende "Ja, Mutter" würde Rodrik nicht aussprechen.


    Statt dessen kam ein "Ja, Elfleda."

    Rodrik hatte sich mehrere Möglichkeiten vorgestellt, wie dieses Gespräch verlaufen würde. In der schlimmsten Version würde sie ihn hochkant aus dem Zimmer werfen (wobei er sich sogar vorgestellt hat, wie er in diesem Moment sich wie bewegen musste, damit er sich nicht unnötig weh tat), in der besten Version würde sie sich über sein Geschenk freuen. Die beste Version trat sogar ein. Aber in keiner Version hielt sie ihn zurück, sondern er verließ dabei immer den Raum, nachdem er ihr die Brosche überreicht hatte.


    Dementsprechend verwirrt blickte Rodrik Elfleda an. Es dauerte ein paar Augenblicke, bis er sich gefangen hatte. Wie es ihm in der Schmiede gefiel? "Ähm... ja... gut." antwortete er. Brix brüllte ihn nicht mehr an, die anderen begneten ihn mit ein bißchen mehr Respekt und - das war sehr angenehm - er musste nicht mehr fegen. Aber gerade das mit dem Fegen konnte er Elfleda nicht sagen, das wäre schon etwas peinlich gewesen. "Es ist viel zu tun, weil Gerbod sich die Hand gebrochen hat. Es wird noch dauern, bis er wieder normal arbeiten kann." Er stockte kurz. "Ich möchte mir auch eine Gemmenwerkstatt ansehen, aber..." Wieder stockte er kurz. "Du weisst ja, ich kann nicht so gut mit Menschen. Und einfach in eine Werkstatt reingehen und sagen 'Salve, ich möchte mir ansehen, wie ihr das macht' kommt dann vermutlich nicht so gut an, nicht wahr?"

    Rodrik musste innerlich zugeben, dass er kurz die Befürchtung hatte, Elfleda würde sich nicht mehr an die Geschichte im Garten erinnern. Aber so wie sie über die Gravur strich, war er sich sicher, dass sie genau wusste, wovon er sprach.


    "Schön, dass es dir gefällt." Etwas verlegen kratzte er sich am Hinterkopf. Und da war sie wieder dahin, der seltene Moment der Selbstsicherheit. "Öhm... nuja... das wars eigentlich schon. Äh... ja... wir sehen uns... denke ich." Wie eigentlich verliess man einen Raum, ohne sich wie ein kompletter Idiot zu verhalten?

    Puh, die erste Hürde war geschafft. Rodrik schob sich selbst in ihr Zimmer und schloss die Tür. Dann ging er die paar Schritte zu Elfleda hin.


    "Nuja, also..." In seiner rechten Hand hielt er etwas noch verborgen. "Eigentlich wollte ich dir das hier geben." Rodrik öffnete seine Hand und hielt es ihr hin. Es war eine goldene Brosche. "Ich habe das zum Abschluss meiner Ausbildung angefertigt." erklärte er. "Sieh mal, ich habe auch etwas eingraviert. Da oben ein kleines Kind und hier unten sind Wasserwellen." Sichtlich stolz war er auf seine Arbeit. "Es ist nicht perfekt." fügte er entschuldigend hinzu. "Aber weisst du, als das im Garten passierte musste ich es einfach als Vorlage verwenden."

    Natürlich war sie da, Rodrik hatte das gewusst. Also nicht mit absoluter Sicherheit, aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Doch jetzt, wo er nun die letzte Gewissheit hatte (selbst er ging in diesem Moment nicht von Paralleluniversen und schwarzen Löchern aus oder von Doppelgängern und dergleichen, obwohl in seinem Kopf solche Gedanken nicht unwahrscheinlich wären), verliess ihn fast der Mut. "Was für ein Blödsinn... Geh rein!" schalt er sich selbst in Gedanken, denn es war ja nun wirklich lächerlich, so zaudernd zu sein, das wusste er sogar selbst.


    Also kam er in ihr Zimmer, nicht forsch, sondern - trotz seiner Überlegungen - zaghaft, wie es seine Art war. Eigentlich steckte er nur seinen Kopf hinein. "Ähm... Heilsa. Du... äh... störe ich?" fragte er mit einem schüchternen und schiefen Grinsen.

    Mehrere Tage schon wollte er es tun, doch es kam immer irgendwas dazwischen. Mal war so viel Arbeit zu tun, mal brüllte das Kleinkind, mal war Elfleda schlecht drauf und dann traute Rodrik sich einfach nicht. Wenn Frauen schlecht drauf waren, war man als Mann lieber ganz wo anders, das hatte er schon bei seiner Mutter gemerkt.


    Aber an diesem Abend nahm er sich ein Herz und klopfte an. "Elfi? Biste da?"