Die Via Ostiensis war länger, als Gracchus dies erinnerte und ob des Umstandes, dass noch immer die Restanten seiner Detoxifikation ihm Fatigue und Blümeranz bescherten, was durch das Holpern des Wagens auf dem gepflasterten Weg mitnichten gemindert wurde, geradehin unerträglich. Cornelia Philonica blickte ihn sorgenvoll an, wann immer er heftiger zu atmen begann und Patrokolos das Schüsselchen anreichte, um ihm eventuell beim Vomitieren zu assistieren. Dessenungeachtet folgte sie dem in der vergangenen Zeit erworbenen Habitus, ihn schweigend lediglich zu betrachten und jedwede Konversation zu ersparen, was einerseits eine eigentümliche Atmosphäre zwischen den beiden Eheleuten evozierte, andererseits Manius Minor nicht unrecht war, da ihm ohnehin kein Sujet in den Sinn kam, welches zu debattieren er mit seiner Gattin geneigt gewesen wäre.
Stattdessen hing er neuerlich seinen Gedanken nach, welche in den vergangenen Tagen und Wochen ihn hatten befähigt, dem Opium aufs Neue den Rücken zu kehren (selbstredend stets assistiert von seinem geliebten Patrokolos, welcher auch in schwachen Momenten seinem Zürnen widerstanden und ihm den Becher der Träume vorenthalten hatte): Seinem Vater waren neue Erben geboren worden! Inzwischen mochten die beiden Sprösslinge der aurelischen Natter schon ihre ersten Schritte getan haben, mochten seine wahren, ursprünglichen Nachkommen gänzlich dem Sinne Manius Maiors entfleucht sein, weil Manius Minor seine Pflicht aufs Neue hatte vergessen! Mochten all jene Emporkömmlinge und Habenichtse, welche die Straßen Roms zu Tausenden bevölkerten, vermeinen, eine Geburt ins Haus eines Patriziers impliziere ein sorgenfreies, privilegiertes Leben, so vermochten sie doch nicht einmal zu ahnen, mit welchen Bürden und Pflichten jene Existenzen waren verbunden, ja dass die Imagines Maiorum im Atrium der patrizischen Häuser mitnichten ein Recht waren, das seinen Stand von anderen abhob, sondern eine Mahnung, jenen höchsten Maßstäben der eigenen Ahnen gerecht zu werden und die Fahne der Familie empor zu halten, mochte einem der Sinn danach stehen oder nicht!
Obschon diese Last somit groß genug war, so torquierte ihn die Inkommodität dieser Reise noch vielmehr, sodass unwillig er letztendlich formulierte:
"Mehercle, wie lange mag es noch dauern?"
"Gedulde dich, Domine! Wir sind schon auf Höhe der Aquae Salviae!"
, erwiderte Patrokolos geduldig, doch deplorablerweise wusste Gracchus Minor jene als tröstlich intendierte Information nicht recht zu kontextualisieren, da ihm jener Ort, obschon er sein ganzes Leben in Latium hatte verbracht, nicht bekannt war, sodass letztlich ihm nichts als ein desillusioniertes Seufzen entfleuchte und er wieder aus dem Fenster des Wagens blickte, wo lediglich Fuhrleute ihrem geschäftigen Treiben nachgingen und weniges von Interesse präsentierten.
Schließlich schweiften seine Gedanken zu dem, was an diesem Abend ihn in der Villa Flavia Felix mochte erwarten, welche zweifelsohne erst nach Anbruch der Dämmerung sie würden erreichen. Wie sollte er seinem Vater begegnen? Wie der flavischen Natter und insonderheit wie ihrer Brut, die doch gewisslich unschuldig waren an ihrem für die Flavia erschröcklichen Schicksal? Als Sohn mochte es ihm nicht anstehen, seinen Vater freiheraus zu kritisieren, zumal es einem wiederverheirateten Manne offiziell ja durchaus wohl anstand, der Res Publica wie der eigenen Gens neuerlich Kinder zu zeugen, selbst wenn damit Manius Maior in jene Direktion sich bewegte, deren Zielpunkt der legendäre und nicht unumstrittene Matinius Agrippa, jener hispanische Stier, mit seinen zahllosen Kindern und Kindeskindern repräsentierte. Und doch würde er etwas unternehmen müssen, um den sinistren Machenschaften Priscas Einhalt zu gebieten. Doch was?
"Patrokolos, möchtest du uns nicht noch ein Gedicht vorlesen?"
, disturbierte Cornelia Philonica sein Nachsinnen, woraufhin der Genannte aufs Neue den Tornister mit der Lyrik hervorholte, um eine Weise auszuwählen, mit welcher er seine Herrschaft zu unterhalten vermochte. Einen Augenschlag erwog Manius Minor, enerviert seiner Gattin den Mund zu verbieten und jenem unschuldigen Versuch, ihm Zerstreuung zu gewähren, zu zerschlagen. Doch als Patrokolos anhob, die Verse des Kallimachos zu rezitieren, verflog jener Vorsatz sogleich und er beschloss, die weiteren strategischen Erwägungen besser zu prokrastinieren, da doch bald schon seine Aufgabe jeden Tag (und womöglich jede Nacht, wenn die Schreie der Nattern-Brut zu jedweder Stunde durch die Villa gellten) ihm vor Augen würde sein und somit ihm womöglich wenig Raum mehr wäre, sich den schönen Dingen des Lebens zu widmen, die zwar ihn in der vergangenen Zeit von seinen Pflichten hatten abgehalten, die dennoch zweifelsohne zu genießen eine Freude blieben.