Beiträge von Manius Flavius Gracchus Minor

    Er blickte zu dem Tischchen neben seinem Bett, auf welchem noch immer der silberne Opiumbecher thronte, welchen augenscheinlich er am Abend zu einem Schlummertrunke mit in das Cubiculum hatte genommen. Seit geraumer Spanne nun fröhnte er wieder dem Morpheustrunke, obschon er diesem doch einst hatte abgeschworen. Selbst in der Not jener freudlosen Ehe hatte lange er dem Verlangen widerstanden, doch als in jener misslichen Lage Titus Ovidius Pullo, ein Parvenü aus der Nachbarschaft (ein Eques, welcher über dubiose Krämergeschäfte zu Reichtum war gekommen und auf einem Landgut wenige Stadien entfernt seinen Lebensabend zubrachte), den neuen Nachbarn seine Referenz hatte erwiesen und zum Gastmahle Gracchus ein bauchiges Kännlein cypriotischen Opiums verehrt hatte, war es um ihn geschehen gewesen. Cornelia selbst, die nichts von seinen ultramarinen Eskapaden wusste, hatte den Vorschlag unterbreitet, die Substanz unverzüglich zu kosten, was Gracchus Minor trotz seiner Furcht vor einem Rückfall nicht recht abzuwehren vermocht hatte, weshalb er nach Jahren der Abstinenz aufs Neue in das wohlige Gefühl des Rausches war hinabgesunken, das aufs Neue die Leiden des Alltages verfliegen und nichts denn eine amorphe, präsentische Glückseligkeit hinterließ. Mit einem Male waren sämtliche Zänkereien mit seiner Gattin, die Furcht vor dem Spott der Gesellschaft ob des ausbleibenden Nachwuchses, ja selbst das Erbeben vor dem Zorn der Unsterblichen angesichts seines Versagens, die flavische Ehre zu defendieren, annihiliert in einem süßen Nichts!


    Hatte Gracchus Minor anfänglich noch dafürgehalten, dass es sich hierbei um eine singuläre Abirrung mochte handeln, war rasch erkenntlich geworden, dass jenes undiminuiert anhaltende Leiden im Ehehafen die Versuchung allzu groß machte, sich stets aufs Neue in die Welt des Rausches zu fliehen, sodass aller Ermahnungen seitens Patrokolos zum Trotze er recht bald anschicken ließ, in der Stadt mehr von jenem Morpheustrunke erwerben zu lassen, um das sich rasch sich lehrende Opiumgefäß zu replatzieren. Doch mitnichten war es bei diesem zweiten Kännlein geblieben, inzwischen mochte jene Menge an erworbenen Gefäßen womöglich das ganze Cubiculum erfüllen, würde das emsige Gesinde sie nicht schleunigst entsorgen, sobald ihr Herr sie bis zur Neige leerte. Selbst die immer häufigeren Ausflüge seiner Gattin zu ihrem Onkel nach Roma, respektive auf dessen Landsitze, evozierten nunmehr ein Motiv, sich des Opiums zu enthalten, obschon die dadurch ersichtliche Minderung seines Leidens seinen Konsum ein wenig dämpfte. Gleich jenem tumben Biest in seinem Traume, das gleichmütig die Irrungen und Gefahren der Welt um ihn herum ignorierte, hatte die Droge nicht nur seine Sinne, sondern auch seinen Geist, seinen Willen und seine Appetenz umnebelt und umnächtigt.


    Der Flavius seufzte und schob langsam seine geschwollenen Beine über den Rand seiner Schlafstätte, um endlich tastend den Mosaikboden unter seinen Füßen zu erspüren. Neuerlich entsann er sich dieses Traumes, der grässlichen Natter und ihres Gebrüts. Weder die drohende Attacke, noch ihre Niederkunft hatte ihn bekümmert, er hatte all dies schlicht geschehen lassen. Und als Resultat war nicht nur er selbst, sondern auch sein Vater ihrem tödlichen Gift zum Opfer gefallen.
    War dies ein Zeichen? Eine neuerliche Botschaft des Mercurius, ja seiner Mutter?
    Dass sein aktueller Wandel, seine Flucht aufs Land und vor der familiären Pflicht nicht seinem Vermächtnis entsprach, dass mitnichten jene sporadischen Besuche in Rom, für die Patrokolos ihn halbwegs gesellschaftsfähig präparierte, dem genügten, was man von einem Senator Roms mochte erwarten, lag auf der Hand. Selbst wenn er auch dieses schlechte Gewissen, die lange Zeit so präsente Furcht vor dem Verdikt der Unsterblichen, durch das Opium war betäubt und beiseite geschoben worden, so schien jene fabelgleiche Nachtmär ihm doch zu offenbaren, was ein weiteres Resultat seines pflichtvergessenen Daseins war: Er hatte zugelassen, dass die aurelische Natter nicht allein seinen Vater weiter umgarnt, sondern sogar dazu hatte bewegt, dass er zu ihr ins Lager war gestiegen und ihr nun gar nicht nur eines, sondern gleich zwei Kinder hatte geschenkt. Niemals hatte Minor erwogen, dass Manius Maior in jenem fortgeschrittenen Alter, gesegnet mit bereits zwei gesunden Söhnen aus erster Ehe, sich nochmalig in die Niederungen des ehelichen Verkehres würde herablassen. Doch nun, da es so weit war gekommen, würde Prisca leichtes Spiel haben, sich über ihre Wechselbälger des flavischen Erbes zu bemächtigen, ja nicht nur ihn, sondern auch ihren Ehemann aus dem Weg zu räumen und der wahrhaft flavischen Stirps ein Ende zu bereiten!


    Welch tapsiger Narr war er gewesen! Aufs Neue hatte ihn die geradehin epikureisch anmutende Nabelschau dazu bewogen, seine Pflicht zu ignorieren, sondern gänzlich sich seinem eigenen Leiden zu widmen und dabei das drohende Leiden all jener Werte, die sein Vater ihn hatte gelehrt, zu ignorieren: Würde nicht auch die Wahrheit leiden, wenn die trügerische Natter ihre Fäden undisturbiert zu spannen vermochte, ihren Vater zur willenlosen Marionette degradierte und im Klandestinen ihre egoistischen Interessen verfolgte? Würde nicht auch die Res Publica Schaden nehmen, wenn ein derart verdientes und edles Geschlecht wie die Flavia der Gier jener patrizischen Emporkömmlinge des Hauses Aurelia zum Opfer fiel?
    Ihm selbst war dieses Versagen zuzuschreiben, er selbst hatte es geschehen lassen, als er nicht vor langer Zeit bereits nach Roma war zurückgekehrt, um seinem Vater beizustehen! Er hatte es vorgezogen seine eigene Unzulänglichkeit zu betrauern, anstatt das Unabänderliche zu akzeptieren und sich jenen Dingen zuzuwenden, die zu ändern er imstande war! Sein Versagen würde es sein, wenn das Geblüt der Flavia Graccha am Boden lag, wenn Priscas Spross das flavische Erbe einheimste und dann klammheimlich sich der Aurelia würde zuwenden!


    Dies durfte nicht geschehen!

    ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich* ~~~


    Brausendes Toben erklang von den Rängen des Amphitheatrum, als mit tapsendem Schritt er langsam seinen massigen Leib in die Arena manövrierte. Er vermeinte beinahe, als schwebten seine Tatzen über den Sand, doch das Knirschen der Körner unter seinen Klauen offenbarten ihm, dass lediglich der Rausch des Opiums seine Sinne vernebelte und ihm jene Gleichmut gewährte, welche selbst das Tosen der Menge verschlang und gar ihm heitere Gelassenheit angesichts dieses Kampfes hinterließ. Mitnichten empfand er Interesse für die aufgepeitschte Meute auf den Rängen, welche voll Mordlust und Blutgier der Tierhatz entgegenblickte. Mitnichten bekümmerte ihn sein Kontrahent wie der Umstand, dass keine Option ihm war gegeben, dieser Szenerie zu entrinnen.


    Desorientiert blickte er um sich, vernahm das Getrappel von Hufen hinter sich, wandte sich um und erblickte einen der Custodes, hoch zu Ross und mit einer Lanze versehen, bereit zu intervenieren, sollte eine der Bestien sich dem Publikum zuwenden. Doch auch ihm schenkte er keine Achtung, verkniff vielmehr die Augen vor dem gleißenden Sonnenlicht und ließ zuletzt, begleitet von gellenden Pfiffen auf den Rängen, seinen massigen Leib in den Staub plumpsen. Sein Mund war versiegt, sehnlichst wünschte er sich ein Gefäß mit kühlendem Nass herbei, um seinen Durst zu stillen, doch weder die Custodes, noch die gaffende Menge waren willig, ihn vor getanem Dienste mit einem Trunk zu erquicken.


    "Die Schlange! Die Schlange!"
    , gellte vielmehr es von allen Seiten, als seine Kontrahentin in die Arena wurde gefordert und in der Tat öffnete sich eine den Blicken bis dahin verborgene Falltür und mit einer gleitenden, blitzartigen Bewegung schoss eine gewaltige Natter aus dem Boden, stieß geradehin in die Höhe und formte sodann einen grazilen Bogen, um ihren schuppigen Leib auf dem erhitzten Sand der Arena zu platzieren, von wo aus sie mit geschickten Windungen ihres schimmernden Leibes sogleich ihren Weg in seine Direktion bahnte. Ein Fauchen entfleuchte ihrem gierig aufgerissenen Maul, sodass zwei steil errichtete Fangzähne sich entblößten, von welchen bereits grün leuchtendes Gift herabtroff.


    Doch selbst nun, da seine Nemesis unaufhaltsam heranglitt, verspürte er weder Furcht, noch hinreichend Erregung, um auch nur seinen Leib vom erhitzten, unter seinem monströsen Gesäß indessen bereits zu wohliger Wärme erkalteten Sand zu erheben, um sich für jenen Kampf auf Leben und Tod zu präparieren.


    Schon hatte die Natter ihn erreicht, türmte erneut einer Cobra gleich ihren Leib auf, zog ihr Haupt zurück und eröffnete neuerlich ihren Rachen, umrahmt von den aufgerichteten Giftzähnen, als lechzten sie geradehin danach, voller Lust sich in ihn zu versenken und ihr letales Extrakt zu verströmen, ihn zu lähmen und zu töten. Anstatt diesem zweifellos existenten, reptiliösen Trieb nachzugeben, schloss die Natter wiederum ihr Maul und neigte ihren Kopf, sodass die starren Augen ihre Beute besser zu fixieren vermochten, während die leicht nach oben gezogenen Winkel ihres Maules von beachtlicher Ausdehnung nahehin den Anschein erweckten, als lächelten sie höhnisch.
    Ihr Erstarren währte indessen nur kurz, sodann wandte sie sich ab und umtänzelte abschätzig ihre potentielle, bisherig weiterhin passive Beute und schien sodann ihren seidigen Leib zu einem gordischen Knoten zu verknoten, welcher jedoch beständig in Bewegung verblieb, was geradehin den Anschein erweckte, als zöge sich der Wust aus Schuppen immer enger und enger.


    Ein Schaudern durchzog das Vieh schließlich, dann ein weiteres und schließlich ein geradezu regelmäßiges Pulsieren. Schon erwog er, ob das Tier sich selbst mit ihrem letalen Kauwerkzeug traktiert habe und nun an ihrem eigenen Gift krepierte, doch dann öffnete sich an einer augenscheinlich willkürlichen Stelle des Schlangenleibes langsam, doch bedächtig eine Öffnung, als geruhe das Tier zu defäkieren. Anstatt bräunlich-schwarzer Exkremente erblickte er jedoch eine weiße Substanz, welche wenige Zuckungen später sich als eine gewaltige, ins Ovale gepresste weiße Kugel erwies, die angesichts der grazilen, schlanken Natter beachtliches Ausmaß annahm, das Licht der Welt. Das ovale, von garstigem Schleim umfangene Objekt löste Fäden ziehend schlussendlich sich von seinem Produzenten und plumpste geräuschlos in den Sand der Arena. Doch mitnichten war damit die mirakulöse Darbietung vollendet, denn die Natter förderte, diesmalig mit weitaus weniger Kontraktionen ihres Leibes, noch eine weitere, weiße Kugel zutage.


    Und während er noch erwog, worum bei diesem seltsamen Spektakel es sich mochte handeln, erbrachen die Hüllen der Kugeln, als sei sie lediglich eine dünne Membran, und offenbarten zunächst hastig hervorschnellende, spitze Zünglein, sodann die schuppigen Schnauzen und schließlich zwei vollständige Schlangenleiber, die denen ihrer Mutter aufs Haar genau glichen. Und sogleich setzten die Schlänglein an, mit größter Emsigkeit in den Knoten ihres maternalen Leibes schlängelnd sich zu integrieren.
    Fasziniert von jenem Schauspiel der Geburt, deren Zeuge er skurrilerweise inmitten eines Amphitheatrum war geworden, blickte er auf die recht vergnügt tollenden Schlänglein, deren Leiber zwar signifikant kleiner als ihre Mutter erschienen, deren Ausstaffage bis hin zu den kleinen, leuchtend weißen Giftzähnen denen ihrer Mutter glichen. Für eine Weile schien in der Tat die tödliche Situation der Arena sich in dieses geradehin lebensspendende Spektakel aufzulösen und er vermeinte bereits, jene unerregte Gleichmut habe zurecht ihn ergriffen.


    Schlagartig jedoch erstarrte der Knoten aus den drei Schlangenleibern mit einem Male und drei Natternhäupter erhoben sich daraus, fixierten mit ihrem starren Blick ihn, der er noch immer auf dem Boden ruhte, und dann sich gegenseitig. Aufs Neue wurde er der seltsam hochgezogenen Mundwinkel der damit zu einem beständigen Lächeln geformten Mäuler gewahr, die nun wechselnd sich weit öffneten, als dehnten die drei Tiere sie in Erwartung einer kommenden Speise.


    Ein jähes Ende fanden diese Präparationen, als sodann der gordische Knoten sich zerschlug und jede Schlange in windenden Bewegungen in eine andere Direktion sich bewegte. Die Mutter selbst, mit einem Fauchen neuerlich ihre Fangzähne präsentierend, hielt strikt auf ihn zu. Er wusste, dass diesmalig sie nicht sich würde abwenden, dass sie kam, um sich im Kampfe um ihn zu winden und ihn zu töten. Verdutzt rappelte er sich auf, streckte seine Tatzen ihr entgegen und ließ ein mehr perturbiertes denn erschröckliches Brummen vernehmen.
    Dann war sie bereits bei ihm, ließ ihren Natternkopf hervorschnellen und nach seiner Pranke schnappen, um sogleich wieder zurückzuziehen und einem ungelenken Hieb seinerseits auszuweichen und mit einem eleganten Schwung ihres Leibes die Position zu wechseln. Eine neue Attacke folgte, den er bereits zu parieren außerstande war, sodass die giftigen Zähne sich in sein Fell und die darunter liegende Haut bohrten. Sogleich verspürte er, wie die Natter ihr Gift in ihm verströmte, ein Brennen verbreitete sich in seinem Arm und nötigte ihn, seinem Schmerz durch ein klagendes Brummen Ausdruck zu verleihen, doch gelang es zumindest ihm, mit einem Schütteln seiner Pranke das Vieh zum Ablassen zu nötigen.
    Indessen verbreitete rasch sich das brennende Gift sich in seinem Leibe, durchkroch seine Venen und entfachte in ihm ein Feuer, welches seine Sinne noch zusätzlich zum Morpheustrunk lähmte. Dahin war seine Gleichmut, gewichen einer panischen Furcht, jener Natter zu erliegen, die bereits zur nächsten Attacke sich rüstete.


    "Minimus!"
    Ein Ruf durchbrach jenen Strom der Konzentration, der ihn mit seiner Opponentin verband, und intuitiv wandte sich zur Quelle jenes Rufes. Ein skurriles Bild bot sich ihm dar: Die beiden jungen Nattern hatten beachtlich an Größe gewonnen und traktierten nun einen der Custodes zu Pferde. Schon war das Reittier erklommen und einer der Schlangenleiber hatte sich um den kräftigen Hals des Rosses gelegt, während das andere geradehin im Damensitz auf dem Pferderücken hinter dem Custos Platz genommen hatte. Dessenungeachtet ließen die erhobenen Schlangenhäupter mit ihren fauchend aufgerissenen Mäulern, in welchen die Giftzähne blitzten, es indubitabel erscheinen, dass sie gedachten, den Reiter in ihrer Mitte hinzuschlachten.


    Doch warum rief der Custos just in dieser Situation nach der Bestie, welche in Schach zu halten ihm aufgetragen war? Und war nicht die Stimme, welche er vernahm, ihm sonderbar vertraut?


    Auch das Antlitz, welches nun in panischer Furcht vor dem Gebrüt der Natter nicht wusste, wohin es blicken, wem mit seiner Lanze, einer für diese Zwecke gänzlich inadäquate Waffe, nun zuzusetzen sei, hatte vertraute Züge!
    "Minimus, zu Hilfe!"
    , erklang der Ruf eindringlicher und nun war er sicher, dass die Stimme jene seines Vaters war, welcher dessenungeachtet nunmehr ein Opfer der jungen Nattern wurde, als eine von ihnen ihre Zähne in seine Kehle versenkte und die paternale Stimme in einem Gurgeln ersticken ließ.


    ~ ~ ~


    "Neiiiiin!"
    , rief Manius Minor und sprang ruckartig in seiner Liegestatt auf. Panisch blickte er um sich, insekur, ob die ausstehende Attacke der Natternmutter oder das Resultat des Werkes ihrer Zöglinge mehr sollte fürchten.
    Doch erstorben war das Licht der gleisenden Sonne, verstummt das Johlen des Publikums und verschwunden jene ganze Szenerie des Amphitheatrums, der überdimensionierten Nattern und ihrer Beute. Lediglich sein finsteres Cubiculum umgab ihn, durch die verschlossenen Läden drang nur wenig Licht auf seine Decken, die seine zitternden Hände und nicht die behaarten Pranken aus seinem Traume krampfhaft umklammerten.


    Er blickte hinüber zum Lager seines Patrokolos, welches jedoch verwaist im Halbdunkel lag, da augenscheinlich der Sklave sich wie so oft nächtens hatte hinfortgeschlichen. Für gewöhnlich mochte sein Herr dies akzeptieren, nun indessen beraubte es ihn eines Gesprächspartners.


    Langsam und bedächtig ließ Manius Minor daher seinen wuchtigen Leib wieder in seine Kissen sinken und zog sorgsam die Decke über seinen noch immer fröstelnden Leib. Welch obskurer Traum war dies gewesen! Und doch war es offenbar, in welcher Weise er war hinsichtlich seiner Situation zu interpretieren: Gestern erst hatte ihn ein Brief Manius Maiors aus Roma erreicht, in welchem dieser ihm die Kunde hatte gebracht, dass Aurelia Prisca ihm nicht eines, sondern gleich zwei Kinder hatte geboren. Mochte es nicht genügen, dass Manius Maior selbst als Geminus war geboren, war nun auch noch erst selbst mit einem Zwillingspaar gesegnet worden. Quintus Flavius Gracchus und Flavia Prisca. Abscheu erfüllte den jungen Gracchen selbst beim Gedanken an Namen jener beiden Persönchen, welche sein Traum so trefflich als Natterngebrüt hatte repräsentiert!


    In der Tat hatte diese Novität ihn in noch tiefere Depression geworfen, obschon ja bereits einige Monate zuvor sein Vater ihm hatte eröffnet, dass Aurelia guter Hoffnung war. Doch obschon dies hatte genügt, ihn derart zu verärgern, dass er nicht nur seine bis dahin ohnehin spärlichen Visiten in Roma gänzlich eingestellt, sondern auch jedwede briefliche Korrespenz seiner Familia unerwidert gelassen hatte, so hatte er insgeheim doch verhofft, dass seiner Stiefmutter ein Malheur würde unterfangen, dass womöglich nicht nur ihre Brut und damit zugleich ihre Gunst bei seinem Vater würde verlustig gehen, sondern gar sie selbst den Strapazen der Schwangerschaft oder zumindest der Geburt würde erliegen und damit auf einen Streich (nahezu) sämtliche seiner familiären Dyssonanzen aus der Welt schaffte. Die gemeinhin als freudige Kunde ponderierte Information, dass Kinder und Mutter wohlauf waren, hatte indessen jede dieser Hoffnungen zunichte gemacht und aufs Neue konfirmiert, dass nicht er, sondern die aurelische Natter im Kampf um die Gunst seines Vaters und mit um das flavische Erbe würde obsiegen. Ein heftiger Opiumrausch, assistiert von nicht geringen Mengen Weines waren das Resultat dieser Einsicht gewesen, sodass er kaum wusste zu sagen, wann und in welchem Zustand er am gestrigen Abend seine Kammer hatte aufgesucht.


    Zweifelsohne war Cornelia jedoch nicht mit ihm gewesen. Und dies war zweifelsohne nicht darin begründet gewesen, dass er stark berauscht und vermutlich in weinerlicher Facon war gewesen, denn niemals hatte das nunmehr geraume Zeit verheiratete Paar das gemeinsame Bett geteilt. Dabei war insgeheim dies das Ziel des jungen Flavius gewesen, als sie wenige Zeit nach ihrer Hochzeit hierher waren verzogen, um vorgeblich die Vollendung ihrer Villa Urbana zu überwachen, zugleich jedoch jene Abgeschiedenheit privater Ländlichkeit zu nutzen, um sich als Paar undisturbiert von Anverwandten und den Lasten des aristokratischen Alltags ein wenig aneinander zu gewöhnen und zugleich eben jenen Erben zu zeugen, den die Hautevolée Romas und insonderheit ihre beiden Familiae von ihnen erwarteten.


    Zwar war recht bald schon der Bau vollendet worden, sodass mit großer Beflissenheit Manius Minor daran sich machen konnte, die Parkanlage des Anwesens mit allerlei Leben zu füllen, beginnend mit der Umsetzung diverser Bäume, über die Anlage von Wegen und Beeten bis hin zu kleinen Baulichkeiten, Statuen und Refugien, doch hinsichtlich jenes weitaus bedeutsameren Werkes ihrer Ehe war lediglich minimaler Fortschritt zu verzeichnen gewesen. Erstlich hatte Gracchus Minor seinem Vorsatz entsprechend redliche Mühe gezeigt, über die mangelnden Vorzüge seiner angetrauten Gattin hinfortzusehen und seine Pflichten als Gatte ritterlich zu erfüllen, doch hatte jene diese lediglich mit einer gewissen Retorsion erwidert und sich, wann immer die Gelegenheit sich ergab ein Stelldichein zu konstruieren, mit einem Vorwand exkulpiert. Dies, ebenso jedoch das nicht recht harmonierende Eheleben insgemein, begonnen bei dem Gebrechen an Themen, welche beide Eheleute mit Freude in längere Gespräche hätte verwickeln können, über differente Vorstellungen hinsichtlich der Gestaltung der neu erworbenen Räumlichkeiten wie des umliegenden Terrains bis hin zu dem Auseinandergehen der gustatorischen Präferenzen evozierte binnen kürzester Zeit eine merkliche Frustration bei Manius Minor, welche diesen zunehmend deprimiert hatte.

    VILLA FLAVIA GRACCHA OSTIENSIS


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    Unweit der Aula Oestrus, einer nicht unbekannten Pferdezucht, befindet sich das Anwesen des Manius Flavius Gracchus Minor, welches er auf jenem Grunde hatte errichtet, das sein damaliger Mentor Herius Claudius Menecrates sowie der Imperator Caesar Augustus ihm zum Geschenk gemacht hatten. In der Zeit nach seiner Eheschließung ließ er hier eine Residenz errichten, welche in der Zusammenschau mit den übrigen flavischen Anwesen, insonderheit der großen Residenz zu Baiae, durchaus bescheiden sich ausnimmt, ohne indessen jene Annehmlichkeiten missen zu lassen, welcher ein Patrizier zum täglichen Leben dringlich bedarf. Folglich verfügt es über diverse Triclinia für die entsprechenden Jahreszeiten, Räumlichkeiten für jedwede Form der Muse, der Notdürftigkeiten sowie selbstredend Wirtschaftsräume für jenes Personal, das für den Betrieb einer dergestalten Wohnstatt unerlässlich ist. Als Juwel mag dessenungeachtet eine weitläufige Gartenanlage gelten, welche, von einer kalkweißen Mauer umgeben, den Bewohnern ein ausgedehntes Privatissimum gewährt, sodass beinahe es erscheint, als vermöge man darin sogar Jagdpartien abzuhalten. In der Tat zählen dazu nicht lediglich säuberlich gestutzte, von dekorativen Büschen und Beeten durchbrochene Wiesen, sondern ebenso ein kleines Wäldchen, das insonderheit in der sommerlichen Mittagshitze einige naturale Kühlung verheißt, zu seinen attraktivsten Örtlichkeiten.



    Foto: "Grande Foresteria" (after 1820) of Villa Rosebery in Naples - Architects Stefano and Luigi Gasse by Carlo Raso, auf Flickr

    Obschon meine offiziöse Abmeldung in diesem Thread mir entfallen war, als einst vor zwei Jahren ich dem IR RL-genötigtermaßen den Rücken kehrte, so will ich doch jene Chance nicht verstreichen lassen, hiesig einen Neuanfang zu wagen.


    "Omnium enim rerum principia parva sunt.", wie der große Arpinate zu sagen pflegte, insofern werde ich mir eine gewisse Zeit zu genehmigen haben, um die vergangenen Ereignisse zu rekapitulieren, ehe in medias res zu gehen ich imstande sein werde, doch sodann gedenke ich, nach Rom zurückzukehren und dependierend von meinen RL-Ressourcen wieder an diesem erquicklichen Spiel zu partizipieren, welches, wie manch Abstinenter nachvollziehen wird, in den vergangenen 24 Monaten mir durchaus fehlte!


    Wie mir scheint, ist es deplorablerweise noch ein wenig ruhiger geworden in diesen Gestaden, doch verhoffe ich, dass noch hinreichend Leben in diesem Forum ist verblieben, um weiterhin mit Freuden sich in die Tage des gloriosen Imperators Aquilius zurückzuversetzen!

    Censor Imperator Caesar Tib Aquilius Severus Augustus
    Palatium Augusti
    Roma


    M' Flavius Gracchus Minor Censori suo s.p.d.


    Ich möchte dir, auch im Namen der Familie meiner Braut und meiner eigenen, nochmals meinen verbindlichsten Dank aussprechen für deine Teilnahme an der Confarreatio zwischen meiner Gattin Cornelia Philonica und mir.


    Der Tradition meiner Familie entsprechend ist mir nach dem Abschluss dieser Festivitäten nun daran gelegen, meinen Pflichten als Patrizier und Spross eines senatorischen Geschlechtes gerecht zu werden, weshalb ich dich, ebenfalls mit Fürsprache meines Vaters und der Empfehlung durch zahlreiche senatorische Anverwandte, ersuche mich in den Stand eines Senators zu erheben, um mir die Möglichkeit einzuräumen, die Geschicke unseres Staatswesens mitzuleiten und mich dadurch umso mehr dessen Dienst zu verpflichten.


    Vale bene!

    http://www.niome.de/netstuff/IR/SiegelCaduceus100.png


    [Blockierte Grafik: http://s1.directupload.net/images/131110/noakoh4f.png]

    Höchst unkonventionell musste es erscheinen, sich erst zum Ende der Festivitäten, nach dem Brautzuge, auf eine Hochzeit zu begeben, weshalb Manius Minor, zumal Menecrates ihm hatte enthüllt, dass seine Enkelinnen Rom den Rücken hatten gekehrt, mitnichten mit der Präsenz der jungen Claudia mehr rechnete. Dennoch, als sie ins Atrium zurückkehrten, wo die rituelle Entjungferung der Braut mittels des Fascinum des Mutinus Titinus, dessen gewaltiger Phallus-Sitz schon unzähligen flavischen Bräuten als letzter Sitz vor dem Ehebett hatte gedient, wartete, erblickte der Bräutigam hinter dem frisch erkorenen Träger der Hochzeitsfackel den Fokus seiner stillen Begierden, welche zu annihilieren er sich doch so fest hatte vorgenommen. Während Cornelia Philonica, assistiert von ihrer Pronuba Sestia Rebila, ihre Tunica recta lüpfte, um breitbeinig sich über jenes gewaltige Gemächt sich zu setzen und die Menge jubilierte, um der Braut Scham und Furcht vor dem kommenden Akt zu nehmen, waren indessen seine Augen wieder gebannt auf Silana, die so unbefangen sich unter die Menge hatte gemischt. Warum war sie erst jetzt erschienen? Warum hatte ihr Onkel sie exkulpiert, obschon augenscheinlich sie hier war?
    Zahllose Fragen kamen dem flavischen Jüngling in den Sinn, während seine Braut sich auf jenem erigierten Holzschaft niederließ, dessen Standfestigkeit der abzuschätzenden Inkapabilität des Bräutigams ebenmäßig zu spotten schien wie die Hohngedichte vor dem Hause.

    Sim-Off:

    Verzeihung, derzeitig ist es mir nur äußerst limitiert möglich, im IR aktiv zu sein, indessen werde ich mich mühen, diese Festivität würdig zu einem Ende zu führen!

    Zitat

    Original von Herius Claudius Menecrates
    Menecrates gehörte als Gast der Feier natürlich auch zu den Teilnehmern des Brautzugs und da er zuvor das Wetter schöngeredet hatte, konnte er unmöglich jetzt klagen, obwohl die Toga immer schwerer wurde und jeder Schritt einem Fußbad glich. Er ging mechanisch, seine Gedanken weilten an einem idyllischeren Ort. Plötzlich drang ein Schrei an sein Ohr. Sein Kopf ruckte hoch und er musste abbremsen, weil der Zug ins Stocken kam.
    Schnell sprach es sich herum, dass Braut und Bräutigam gestürzt waren. Menecrates konnte sich kaum ausmalen, wie es in den jungen Leuten aussah. Zwar konnte es nach dieser Hochzeit zukünftig nur besser werden, aber wer wünschte sich schon einen derart schlechten Start. Er suchte den Blickkontakt zu seinem Nachbarn, liftete kurz die Schultern und wartete ab, bis sich der Zug wieder in Bewegung setzte.
    Der nachfolgende Spottvers amüsierte ihn dann wieder. Spott gelang nur, wenn der Inhalt stimmte und in diesem Fall traf keineswegs Haus Flavia auf Haus Claudia, auch wenn Menecrates nichts dagegen gehabt hätte, eine seiner Enkelinnen dem jungen Flavier anzuvertrauen.Das Wetter schien geeignet zu sein, die Aufmerksamkeit der meisten Gäste in andere Richtungen zu lenken, sodass sich niemand über den Fehler im Reim äußerte. Menecrates würde ihn zu Hause zum Besten geben, vorerst richtete sich sein Augenmerk auf die nahende Porta der Villa Flavia.


    Da die Gäste im Regen verharren mussten, hoffte wohl jeder auf einen baldigen Fackelwurf. Diese Hoffnung des Claudiers musste von den Göttern falsch verstanden worden sein, denn die Fackel hielt direkt auf ihn zu und obwohl er sie von allen Gästen vermutlich am wenigsten fangen wollte, blieb ihm nichts anderes übrig, als zuzugreifen, nachdem sie vor seine Brust knallte. Zweimal musste er nachgreifen, dann hielt er sie in der Hand.


    "Bei den Göttern! Was für ein Tag!", rutschte ihm heraus, dann bemühte er sich um ein Lächeln.


    "Dir ist augenscheinlich noch weiteres Glück beschieden!"
    , kommentierte der Bräutigam, als sein Mentor Menecrates die Hochzeitsfackel erhob, wobei er auf das Consulat des Claudius anspielte, einen Augenblick jedoch darüber nachsann, ob nicht auch neues Eheglück ihm mochte beschieden sein, nachdem bisherig er in diesem Felde wenige Triumphe hatte vermelden können, wie er in ihrem letzten Arbeitsgespräch hatte angedeutet.

    Um die Festgemeinschaft, von welchen einige sich direkt in das Vestibulum begaben, um nicht im Regen der kommenden Dinge harren zu müssen, nicht weiter warten zu lassen, begann Philonica sodann mit der Salbung der Türpfosten mit Öl und Wolle, welche trotz der Verwahrung in einem Leinenbeutel ein wenig Humidität hatte abbekommen.
    Nun kam aufs Neue dem jungen Gracchen die sprichwörtlich tragende Rolle zu, seine Braut auf Händen über die Schwelle zu hieven, was insofern wenig problematisch war, da Cornelia Philonica ob ihrer dürren Figur kaum von größerem Gewicht war, sodass selbst der seit seinem Tribunat kaum mehr sportlich aktive Bräutigam imstande sein durfte, die wenigen Schritte mit jener Last zu vollführen. Als somit er den Arm unter ihre Achseln legte und sich beugte, um mit dem freien Arm ihre Beine zu umfassen, war es eher die infamiliare Nähe, die ihn irritierte. Obschon sie bereits diverse Begrüßungs- und Lebewohl-Küsse hatten ausgetauscht, hatten ihre Körper niemals sich enger touchiert und nun, da ihre knochige Hüfte gegen sein Bäuchlein drückte, und sie auch noch furchtsam quiekte, als er sie anhob und mahnte:
    "Gib Acht, dass ich nicht falle!"
    , verstärkte sich aufs Neue seine Abscheu gegen über diesem ihm gänzlich konträren Wesen. Jene unattraktive Körperform, die geradehin eine Antithese zu seiner fülligen Gestalt darstellte, war lediglich der äußere Ausweis einer gegenteiligen Person, die weder für Politik, noch für Philosophie sich mochte begeistern, die augenscheinlich gänzlich unreflektiert und doch nahezu zur Perfektion in ihre Rolle sich fügte und doch eine Insekurität an den Tag legte, welche ihr Umfeld nur belästigen konnte. Der Gedanke, in wenigen Minuten auf jenen knochigen Hüften zu ruhen, ihren flachen Brustkorb wie jetzt vor sich zu fühlen, in sie einzudringen und ihre furchtsamen Laute zu vernehmen, während er die Ehe vollziehen sollte, erweckte mitnichten auch nur irgendeine Form von Lust.
    Er eilte sich also, ihren insektengleichen Körper über die Schwelle zu heben und sie möglichst sanft wieder im Vestibulum abzustellen und zog sich, als sie zum Dank ihm einen Kuss auf die Wange hauchte, rasch zurück, um von Patrokolos ein Öllämplein und ein Schälchen mit Wasser anzunehmen, mit welchem er seine Braut im Hause zu begrüßen hatte. Fortunablerweise entging ihm ob seiner Fehlsicht der irritierte Blick Cornelias, doch ihr Schweigen, als sie die beiden Gefäße entgegen nahm, um sie ihrerseits ihrer Leibsklavin zu reichen, ließ auch den jungen Flavius erkennen, dass er seine Abscheu zu sehr hatte gezeigt, was wiederum seine Schuldgefühle neu entfachte.
    Die Münze, welche Philonica ihm nun reichte, erinnerte ihn daran, dass diese Ehe der Preis für sein gottloses Verhalten war, die Buße für eine Beleidigung der Maiores und Unsterblichen gleichermaßen und eine Sühne, welche zu bewältigen ihm zwar nahezu impossibel erschien, die er jedoch dennoch auf sich zu nehmen und zu meistern hatte. Die Festgemeinde im Schlepptau zogen sie nun zur Cucina, wo das emsige Heer der Köche bereits Kleinigkeiten für das Mitternachtsmahl der Festgemeinde präparierte und innehielt, als die neue Hausherrin den Raum betrat. Immerhin schien die Wärme des Herdes die Feuchtigkeit der Kleidung und Haare ein wenig erträglicher zu machen, was indes umso unannehmlicher es machte, danach aufs Neue in den Regen zurückzukehren, um das dritte As auf dem Altar der Lares compitales unweit der Porta zu platzieren.

    "Das alte Haus der Claudia
    trifft altes Haus der Flavia -
    bei so viel Alter, Ehemann,
    hoff' ich, dass er noch stehen kann!"

    Unter Absingen jenes Spottverses erreichten sie die Villa Flavia Felix. Seit dem Sturz hatte Manius Minor es nicht mehr gewagt, das Wort an seine Gattin oder irgendeinen der Gäste zu verlieren, zumal mehrere Male war zu befürchten gewesen, dass auch die Hochzeitsfackel unter den dicken Tropfen vom Himmel erlosch. Mochten seine priesterlichen Gäste das wütende Gewitter noch relativiert haben, der Sturz auf dem Weg als simpler Fehltritt abzutun gewesen sein, so hätte das Verlöschen der Fackel zweifelsohne als böses Omen erkannt werden müssen, welches womöglich zum Abbruch der gesamten Festivität hätte geführt. Indessen erwog der Bräutigam ohnehin, am kommenden Morgen ein besonders üppiges Sühne-Opfer darzubringen, um jene sich offenbarende, potentielle Ira deorum zu stillen.


    Zuvor jedoch waren die finalen Zeremonien zu vollziehen, wozu erstlich die Tradition des Kampfes um die Hochzeitsfackel zählte. Fortunablerweise hatte der findige Sciurus die ungünstigen Wetterverhältnisse (noch immer regnete es, wenn auch nicht mehr in jener Intensität wie zuvor) antizipiert und eine Art Baldachin vor der Porta errichtet, unter welche das Brautpaar sich nunmehr flüchtete. Manius Minor nahm dem Jüngling die Hochzeitsfackel ab und entlohnte ihn dafür mit einem Säcklein kandierter Nüsse, ehe er die Fackel Cornelia reichte - weder warf er selbst sonderlich gut, noch wollte er den Göttern Raum geben, auch diese Zeremonie noch ihm zur Strafe mit einem Fluch zu belegen. Augenscheinlich hatte Philonica zumindest ihre Haltung zurückgewonnen und präsentierte, den feucht gewordenen Schleier gelüpft, mit einem Lächeln die Lücke zwischen ihren Schneidezähnen.
    "Wer will die Fackel?"
    , rief sie sodann und warf sie aus der Trockenheit unter dem Baldachin in die Menge der durchnässten Hochzeitsgäste, unter welchen nun sich ein eher bescheidener Kampf entspann, wer die beliebte Trophäe mit nach Hause würde nehmen dürfen. Der junge Flavius indessen vermochte kaum zu erkennen, wer sich bei dieser Posse durchsetzte, weshalb er eher sich seiner eigenen Person zuwandte, sich das nasse Haar aus dem Gesicht strich (seine sorgsam gelegte Frisur vom Morgen war selbstredend ruiniert) und Patrokolos ersuchte, eine neue, nicht von Regen durchtränkte Toga herbeizuschaffen.

    Gleich einem Retter in der Nacht erschien Manius Maior im Gesichtsfeld Manius Minors, als dieser im Schmutze liegend nach Orientierung rang. Behände half er Philonica auf, während sein Sohn allein genötigt war sich vom Boden zu erheben und neuerlich einen sicheren Stand zu finden. Für einen Augenschlag fragte der Jüngling sich, ob nicht er ein wenig zu sehr dem Weine zugesprochen hatte und deshalb ob seines Fehltrittes den Stand hatte verloren, doch währenddessen war seine Braut bereits wieder in die Vertikale verbracht und erklärte ihrem Schwiegervater lakonisch:
    "Ich bin unverletzt."
    Ihr Ricinium war nicht lediglich durchnässt, sondern ebenso mit dem gewässerten Schmutz der Straße bespritzt, was sich ebenso auf ihre Tunica recta bezog, welche darunter in vormals makellosem Weiß hervorgespitzt hatte. Selbst ein weniger exerziertes Gehör als das des jungen Gracchen mochte erkennen, dass jenes Missgeschick der Cornelia durchaus zusetzte.
    "Ein kleiner Fehltritt, nichts weiter. Ich danke dir, Vater."
    , fügte er den Worten Philonicas an und bot ihr neuerlich seinen Arm, welchen sie artig aufs Neue ergriff, obschon bereits jene Stütze sich als tückisch hatte erwiesen, gleichwie der Jüngling generell zu argwöhnen begann, welche Ungerechtigkeit es doch mochte sein, dass die arme Cornelia vom Schicksal dazu verdammt war worden, einen Ehemann zu haben, welcher sie weder liebte, noch schätzte und nicht einmal imstande war, ihr jenes zuckersüße Hochzeitsfest zu bescheren, welches jede Jungfrau von patrizischem Geblüt sich ersehnte.
    Indessen konnte auch sein Vater diese Last, welche sie beide nun zu tragen hatten, nicht mindern, sodass er Gracchus Maior nochmalig zunickte und sodann seinen Weg fortsetzte in der Erwartung, dass jener sich zurück auf seinen Platz begab und der verbleibende Brautzug ohne Komplikationen verlief.

    Ein Bote überbrachte einen Brief an die Ehe-Registratur:

    Eheregistratur des Cultus Deorum
    Regia, Roma


    M' Flavius Gracchus Minor s.d.


    Hiermit ersuche ich um die Registratur meiner Confarreatio mit Cornelia Philonica, Tochter des verstorbenen Caius Cornelius Scapula, welche ANTE DIEM XI KAL IUL DCCCLXVIII A.U.C. (21.6.2018/115 n.Chr.) gemäß den Riten der Maiores unter Teilnahme des Pontifex Maximus sowie des Flamen Dialis stattfand. Unsere Verlobung liegt bereits viele Jahre zurück und wurde nun gemäß den Absprachen meines Vaters und Cornelias Onkel eingelöst.


    Vale bene!

    http://www.niome.de/netstuff/IR/SiegelCaduceus100.png


    [Blockierte Grafik: http://s1.directupload.net/images/131110/noakoh4f.png]

    Nachdem nun die Braut ihren Platz an der Seite ihres Gatten hatte gefunden, formierte sich der Brautzug. Als die drei Knaben, welche aus der Verwandtschaft der Cornelii stammten und somit Manius Minor weithin unbekannt waren, ihren Platz einnahmen, dachte er zurück an seinen eigenen Dienst auf jenem Posten, welcher Jahrzehnte zurück lag. Noch trefflich vermochte er den heiligen Ernst zu memorieren, mit dem er die Hochzeitsfackel getragen hatte und die Unkenntnis über jene Dinge, welche die Spottverse auf dem Zuge thematisierten. Inzwischen war jene infantile Unschuld von ihm gewichen, das vorwitzige Unwissen war durch eine allzu genaue Kenntnis der Geschehnisse ersetzt worden, die in jenem vor ihm liegenden Tête-a-tête die Gefahr des Versagens identifzierte. Schon bei seinem ersten Mal mit einer überaus ansehnlichen Lupa, jener mysteriösen Morrigan, deren Weg sich kürzlich wieder mit dem seinen hatte gekreuzt, hatte seine Virilität ihn für eine ganze Weile im Stich gelassen und seither war derartiges mit mancher Sklavin selbst in seinen sorgenfreien alexandrinischen Tagen geschehen, weshalb er geradehin gewiss war, dass dies bei der unattraktiven Cornelia neuerlich der Fall würde sein. Er wusste von Giftmischern, welche Mittel zur Hebung der Potenz vertrieben, doch hatte er bisher nicht gewagt, derartiges zu erwerben, zumal die Medici überaus kontrovers über deren Wirksamkeit disputierten.


    Womöglich ließ der Vollzug der Ehe jedoch sich ohnehin prokrastinieren, wie der junge Gracche beim Betreten der Straße sich dachte, als der unvermindert prasselnde Regen ihn schlagartig aus den Gedanken riss. Sogleich eilte Patrokolos herbei und hielt über das Brautpaar einen Sonnenschirm. Dennoch befahl Philonica sogleich:
    "Einen Mantel!"
    Zweifelsohne wollte sie ihr sorgsam gewirktes Kleid und ihre aufwändig geordnete Staffage vor dem Verlaufen bewahren, während Manius Minor mitnichten bemüßigt sich fühlte, dem Regen weiter Resistenz zu leisten. Mochten die Temperaturen durch die permanente Humidität dieses Tages abgekühlt sein, so fröstelte ihn kein bisschen ob der externen Umstände.
    Dennoch würden sie sich eilen müssen, um nicht allzu durchnässt die Villa Flavia Felix zu erreichen.

    In strömendem Regen also machte die Festgesellschaft sich von der Domus Cornelia aus auf den Weg durch die Gassen Roms, um zeitig die Villa Flavia Felix zu erreichen, wo das Fest würde ausklingen, während das Brautpaar sich in seine Gemächer zurückzog. Nicht allein der Regen drang jedoch auf das Brautpaar ein, sondern ebenso jene anzüglichen Reime, die zu diesem Anlass gesungen zu werden pflegten, wobei Lucretius Carus, der Jugendfreund des Bräutigams, den Anfang machte:
    "Wo Hermesstab die Wölfin findet,
    wo Gänserich die Gans sich bindet,
    zieh'n Hitze, Glut und Wollust ein
    und zeugen viele Kinderlein!"

    Sehr wohl erkannte der junge Flavius die Anspielung auf jenes kleine Gedichtlein, mit welchem die Hochzeitseinladungen waren eingeleitet worden, was womöglich in anderen Umständen seine Admiration hätte evoziert. Doch stattdessen erschien es ihm als Mahnung, dass der Vollzug der Ehe keineswegs ewiglich zu prokrastinieren war, sondern dass nicht allein die Gesellschaft Roms, sondern ebenso seine Ahnen und die Götter erwarteten, dass ihrer Ehe auch Kinder entsprangen. Gewiss war es möglich, einen Erben zu adoptieren, doch würde auch dies einen Schatten der mangelnden Frugalität auf ihr Haus werfen. Im Grunde würde ein einziges, erfolgreiches Mal genügen, doch wusste Manius Minor von diversen Gesprächen mit Patrokolos und anderen, dass ein Zeugungsakt allein regulär keineswegs genügte, sondern dass es, einer Lotterie gleich, für gewöhnlich mehrerer Anläufe bedurfte, um den Hauptgewinn zu erringen, wobei manche Gynäkologen argwöhnten, dass die Lust der Frau sich dabei als dienlich erwies.


    Als hätte er die Gedanken des Bräutigams gelesen, meldete in jenem Augenblick ein weiterer Gast mit einem Spottvers zu Worte, welches lautstark er durch die Gassen krakeelte:
    "Statt Rosen regnet's Wassermassen -
    die Braut kann doch ihr Glück kaum fassen:
    Denn nass wird heut' nicht nur das Dach -
    sonst gibt's am Hochzeitsmorgen Krach!"

    Die weibliche Lust mochte ein Tabu darstellen, da doch ihr Leib nicht mehr war denn eine Ackerfurche, in welche der Mann seinen Samen legte, doch waren auch Manius Minor die Differenzen einer lustvollen Vereinigung und einer egoistischen Triebbefriedigung dessen, der das Weib bestieg, wohlbekannt, zumal in seinem Myrmidonenkreis einige Jünglinge waren gewesen, welche sich auf die Befriedigung ihrer Partnerinnen geradezu kapriziert und dies bei ihren regelmäßigen Gastmählern wortreich hatten erörtert. Bei einer wunderschönen, aufreizenden Gespielin, von welchen er als finanzkräftiger Aristokrat sowohl in Alexandria, als auch in Roma er mit zahlreichen hatte das Bett geteilt, war auch bei ihm bisweilen eine diesbezügliche Motivation erwacht, doch würde es ihm bereits genügen, wenn ihm bei der tropfnassen Gestalt zu seiner Rechten, welche in ihre Gewänder und den Mantel gehüllt mehr einem Gespenst als einer Person aus Fleisch und Blut glich, zumindest die Insemination gelingen würde.


    "Talassio!"
    , rief aufs Neue die Versammlung und Philonica hielt an, um einem passierenden, augenscheinlich bereits ein wenig alkoholisierten Mann eine Nuss zu reichen. Als sie neuerlich sich in Bewegung setzten, geschah endlich das Erwartete: Der Calceus des jungen Flavius stieß gegen einen falsch eingeschätzten Stein auf dem Boden, er verlor das Gleichgewicht, griff panisch um sich und bekam den Mantel der Cornelia zu fassen, glitt auf dem nassen Boden aus und stürzte mit einem Ruck zu Boden, wobei er auch die Braut, welche einen spitzen Schrei ausstieß, mit sich riss. Sogleich eilten Sklaven herbei, doch das Paar lag bereits in einer Pfütze.
    "Muss denn alles schiefgehen an diesem verfluchten Tag?"
    , zeterte Philonica mit weinerlichem Timbre, als sie beide wieder auf ihren Füßen standen und den Schmutz auf der erlesenen Toga und dem feinen Mantel sowie der darunter vorscheinenden Tunica recta inspizierten, welchen selbst Manius Minor bei Dunkelheit zu identifizieren imstande war.
    "Du musst sie ja nicht mehr tragen heute."
    , mühte sich der junge Flavius sie zu trösten, obschon neuerlich die Imagination, dem entblößten Körper des Mädchens gegenüber zu stehen, ihm Gänsehaut bereitete. Dennoch fragte auch er sich, ob all jene Missgeschicke nicht waren als böse Omen zu ponderieren, welche eine eiligste Scheidung forderten. So oder so hatte er versagt, seiner unschuldigen Gattin einen erquicklichen Tag zu bereiten, obschon die größte Desillusion sie noch erwartete.
    "Im Freien schon liegt Frau auf Mann,
    weil er es nicht erwarten kann!"

    , erfolgte prompt der wenig erbauliche, scherzend intendierte Kommentar eines Hochzeitsgastes.

    Das Dessert war soeben abgetragen worden, als der Herold hereintrat, sich vor der festierenden Gemeinschaft verneigte und mit klarer Stimme erklärte:
    "Die Venus ist aufgegangen!"
    Dies war das Zeichen für den finalen Schritt des Rituals: der Domum Deductio der Braut. Nichts an diesem Tage fürchtete Manius Minor mehr als diesen Schritt, implizierte er doch diverse Probleme, welche zu extinguieren auch seinem getreuen Patrokolos impossibel waren: So würden einerseits sie durch das nächtliche Rom schreiten müssen, was für den fehlsichtigen Gracchen die Gefahr zu stolpern oder zu stürzen und sich damit zum Gespött der gesamten Gesellschaft zu machen, mit sich brachte. Hinzu kamen die Spottverse, welche zu diesem Anlass zu singen gepflogen wurden und in dem Jüngling die Furcht erweckten, man würde die augenscheinliche Hässlichkeit seiner Angetrauten offen thematisieren, was zweifelsohne sie noch scheuer und furchtsamer würde erscheinen lassen. Schließlich symbolisierte dieser Zug jedoch die letzte Station vor dem Vollzug der Ehe selbst, welche ihm am meisten Bedenken bereitete, da er sich außerstande sah, Begehren für Cornelia zu erwecken, sodass die Hochzeitsnacht zwangsläufig würde desaströs enden müssen.


    Hatte das Gastmahl mit der erquicklichen Konversation seinen Trübsinn ein wenig gemindert (insonderheit ob des Umstandes, dass Cornelia Philonica kaum sich hatte beteiligt), kehrten Melancholie und Furcht somit rasch zurück, als er sich erhob und die jüngeren Gäste sich um ihn scharten, um die Braut ihrer nächsten Verwandten, der Gattin Scapulas, zu entreißen.
    "Auf, Flavius, holen wir uns deine Braut!"
    , rief Lucretius Carus vergnügt und schob den jungen Gracchen vorwärts, sodass er mäßig lustvoll den Arm seiner Gattin ergriff und sie nach kurzem Widerstand zu sich zog, woraufhin scherzhaft die Braut rief:
    "Zu Hilfe, Onkel Scapula!"
    Dem jungen Flavius erschien dieser Raub indessen als ein ridikulöser Brauch, welchen zwar manch volkstümlicher Narr lustvoll zelebrierte, doch insonderheit in seinem Falle ihm als groteske Verkehrung der Wahrheit sich darbot, da doch jener inszenierte Raub einer ungestüme, zweifelsohne erotisch konnotierte Begierde Ausdruck verlieh, derer er gänzlich entbehrte. Vielmehr hätte er noch Stunden und Tage sich in den vergnüglichen Gesprächen des Brautmahles ergehen können, um jene Stunde zu prokrastinieren, in welcher er allein mit seiner Gattin würde sein müssen.
    "Talassio!"
    , rief bereits Cornelius Philonicus, der Bruder der Braut und klopfte seinem Schwager auf die Schulter.

    Die Erwähnung des germanischen Waldes erweckte in dem jungen Flavius Reminiszenzen an zahllose Märsche durch die Dickichte jener Vegetation, entsann sich jenes Duftes nasser Bäume, welchen der Claudius lobte, jedoch ebenso der Unannehmlichkeit durchtränkter Kleidung bei kühlen Temperaturen.
    "Durchaus!"
    , konfirmierte er somit und fügte an
    "In Sommertagen durchaus erquicklich, doch im Herbst, Lenz und Winter kreucht der Regen bis unter die Haut und scheint geradehin von innen heraus zu kühlen."
    Er blickte hinauf zum Gebälk, wo noch immer das monotone Klopfen der Regentropfen war zu vernehmen.
    "Wie gut, dass wir die Hochzeit nicht in den Winter gelegt haben."

    Die vitalisierende Funktion des Regens hatte der Bräutigam überhaupt nicht bedacht und das einhellige Credo einer glückverheißenden Qualität der Wetterverhältnisse kalmierten ihn doch ein wenig. Dass der Aurelius hingegen schwieg, notierte er kaum.
    "Nun, dies beruhigt mich."
    , konfirmierte er daher und lächelte seiner Braut aufmunternd zu.


    Unterdessen wurde der folgende Gang gereicht, eine Variation von Wildtieren, pikantiert mit einer scharfen Sauce. Dass just der greise Claudius den Regen schätzte, bemüßigte den jungen Flavius indessen zu einer weiteren Assoziation:
    "Wie man hört, entschieden die Wetterverhältnisse ja manche Schlacht. Aus einer günstigen Stellung mag durch ein wenig Regen rasch ein unmanövrierbares Morast entstehen, nicht wahr?"
    Nicht wenige der bei Tische liegenden Gäste waren kriegserprobt und auch Manius Minor schätzte seit seiner Kur von den epikureischen Flausen das Soldatenfach wieder wie in Kindheitstagen.

    Nachdem die Reihe der Gratulanten abgearbeitet war, führten Sklaven die Festgemeinschaft ins Triclinium, welches ebenfalls prächtig war präpariert. Mehrere Klinengruppen sollten sämtlichen Gästen Platz bieten, doch selbstredend waren die exquisitesten Gäste, darunter selbstredend der Princeps, der Flamen Dialis, der Haruspex Primus sowie Consular Claudius Menecrates an den Tisch des Brautpaares und der Brauteltern gelegt worden.


    Exhaustiert von der Pflicht, jener Schar an Gratulanten ein Lächeln zu schenken und den glücklichen Bräutigam zu geben, gab der Jüngling sich anfänglich ein wenig wortkarg, doch während des zweiten Ganges, welcher aus einem Potpourri an Seefischen, die in hellenischer Manier lediglich mit Kräutern und Brot serviert wurden, sich zusammensetzte, hob er doch zu ein wenig Konversation an:
    "Nun, ich hoffe, dass sich der Regen ein wenig legt bis zum Brautzug."
    , stellte er fest und blickte zur Kassettendecke, über der man dumpf das Prasseln des Regens auf die Ziegel vernahm.
    "Wenn es in dieser Jahreszeit regnet, dann richtig."
    , fügte Cornelius Scapula an, woraufhin der junge Gracchus mit Blick auf die zahlreichen präsenten Pontifices, Haruspices und erfahrenen Convivianten bemerkte:
    "Ich hoffe, dies ist kein übles Omen."
    Womöglich würde einer der Gäste diesbezüglich einige kalmierende Bemerkungen offerieren können.

    Nachdem schließlich die Zeremonie war vollzogen, folgte nunmehr der weniger ritualisierte Teil der Feierlichkeiten, welcher sich in einem heiteren Gastmahl im Haus der Brauteltern, respektive ihres Oheims, sowie dem vergnüglichen Brautzug sollte ergehen. Deplorablerweise schien just in diesem Augenblick das Gewitter sein Zentrum über die Domus Cornelia verlegt zu haben, sodass nicht lediglich endlose Fäden von Regen die Oberfläche des Impluvium aufwühlten, sondern auch das uralte Dachgebälk des Hauses unter dem Aufschlag der Tropfen auf die ebenso uralten Ziegel rasselte.


    Nachdem der Flamen Dialis seine Hände gereinigt und zuerst Cornelia Philonica, sodann dem jungen Gracchen seine Referenz hatte erwiesen, nutzte dieser die Okkasion, noch vor der endlosen Schlange der Gratulanten einige Worte an die versammelte Festgemeinde zu richten:
    "Werte Gäste!"
    , begann er mit erhobener Stimme und nötigte sich zu einer freundlichen Miene.
    "Ehe wir alle uns in den Schlemmereien ergehen, welche mein geschätzter Schwiegeronkel und väterlicher Freund Cornelius Scapula für uns hat präparieren lassen, möchte ich einige Worte an euch richten."
    Das Gemurmel, welches nach dem Ende des Opfers hatte angehoben (zweifelsohne nicht selten bezugnehmend auf das missliche Wetter, welches manchem zweifelsohne als bedrohliches Omen mochte erscheinen), erstarb langsam.
    "Er ist es auch, dem ich als erstem an diesem Tage danken möchte. Schon vor vielen Jahren, als Cornelia Philonica und ich noch arglose Kinder waren, hat er diese Verbindung mit meinem Vater besiegelt, um das Fortleben unserer beiden Häuser zu sichern. Um in den Metaphern meiner bisherigen Wahlkampfreden zu bleiben: Er hat die Saat gelegt, welche heute endlich aufgeht und hoffentlich noch reiche Früchte wird tragen."
    Er lächelte genant, als mancher im Publikum ebenfalls seinem Amusement Ausdruck verlieh, da jener floralen Metaphorik, welche in seinen Wahlreden und Res Gestae manchem mochte als stringentes Mittel, manchem als ennuyante Spielerei erscheinen, selbst hier nicht zu entrinnen war.
    "Ich danke indessen ebenso meiner eigenen Familie, besonders meinem geschätzten Vater Manius Flavius Gracchus, der nicht lediglich mich zu dem Manne heranzog, der ich heute bin und mir nahezu alles vermittelte, was ich weiß und vermag, sondern ebenso zu dieser Festivität seinen Beitrag leistete, indem er seine Beziehungen spielen ließ, um uns heute Morgen von niemand geringerem als dem Haruspex Primus Sextus Aurelius Lupus die Zukunft deuten zu lassen, ebenso jedoch unseren Flamen Dialis Ovius Lyso und sogar unseren allseits verehrten Pontifex Maximus höchstpersönlich für diese Zeremonie zu gewinnen."
    Nachdem mit offener Dankbarkeit er seinen Vater eines liebevollen Blickes hatte bedacht, suchten seine Augen sodann in der Schar der Gäste auch die erwähnten Priester, was trotz seiner Fehlsicht sich nicht sonderlich schwierig gestaltete, da Ovius und Augustus in vorderster Reihe standen und auch der Aurelius sich nicht gerade inmitten der Menge verbargen.
    "Dies verleiht mir die Gelegenheit, auch ihnen für den Vollzug unserer Confarreatio zu danken. Cornelia und mir war es ein Bedürfnis, diese Ehe nach jenem alten Ritus zu vollziehen, den unsere Väter und Ahnen bereits seit Jahrhunderten favorisieren, um Mann und Frau aneinander zu binden und sind dankbar, dass diese Ehre nun auch uns zuteil wird. Aurelius Lupus weissagte uns heute Morgen doppelte Freude und doppeltes Leid für unsere Ehe. Ich hoffe, dass eines jener Leiden bereits das Wetter des heutigen Tages ist, doch hoffe ich ebenso, dass unsere und eure Freude über den heutigen Bund dieses Leid überwindet!"
    Ein Sklave passierte soeben mit einem Tablett voller Weinbechern das Brautpaar, sodass der Bräutigam eilig nach einem von ihnen griff.
    "Zuletzt danke ich all unseren lieben Freunden und Anverwandten, die heute gekommen sind, um mit uns zu feiern. Ich trinke auf euch und auf meine geliebte Mutter und meine Schwester, die zweifelsohne gern Zeugen dieses Festes geworden wären. Ich hoffe, dass wir einst im Elysium Gelegenheit werden, auch mit ihnen diese Feier nachzuholen!"
    Rasch hob er seinen Becher und nahm einen tiefen Schluck, um auch die neuerliche Melancholie zu verbergen, welche ihn befiel, als er, einer spontanen Eingebung folgend, seine verstorbenen Anverwandten thematisiert hatte. Seiner Mutter fühlte er sich noch immer verbunden, in der Tat. Doch auch Flavia Flamma fehlten ihm nun, da er an sie dachte, und ebenso sein lieber Titus, der noch immer mit Serenus im Orient weilte und womöglich erst die Einladung zu dieser Festivität würde erhalten, wenn Philonica in die Villa Flavia Felix war eingezogen. Manius Maior war mit ihm, durchaus, doch von seinen über sein Leben liebgewonnenen weiteren Anverwandten war kaum einer gekommen: Weder Onkel Aristides, noch sein Vetter Serenus oder selbst sein Bruder hatten den Weg hierher gefunden. Flamma hingegen war tot, womöglich tatsächlich ermordet von der aurelischen Natter, die heute geradezu an ihrer Stelle an dieser Festivität partizipierte. Scato war hier, doch dessen Bruder Iullus, zu dem stets er eine weitaus cordialere Relation hatte gepflegt, war ebenso verschieden wie sein Kamerad aus Kindertagen Caius Flavianus Aquilius. Würde einst auch sein Vater das Zeitliche segnen, würde er gänzlich allein sein in dieser Welt...


    Verborgen hinter dem Rand des Bechers gewährte der Bräutigam sich einen trübsinnigen Blick, als plötzlich er vor sich Lucretius Carus erkannte, was seine Melancholie prompt vertrieb.
    "Flavius, ich gratuliere dir noch einmal! Bist du endlich auch in den Hafen der Ehe eingelaufen!"
    , gratulierte er sichtlich erfreut und herzte seinen Freund sogleich, was der junge Gracche von Herzen erwiderte. Angeschmiegt an den Körper seines alten Freundes, der am Morgen bereits als Zeuge in den Ehevertrag war aufgenommen worden, erschien es doch gewiss, dass er nicht gänzlich allein war, dass er trotz seines eingezogenen Wesens zumindest einen Getreuen in seiner Alterkohorte hatte.
    "Lucretius, ich danke dir! Dass du mit deinem guten Namen dich für mich verbürgt hast und für deine Freundschaft!"
    , erklärte er, als sie sich wieder gelöst hatten, mit einem ein wenig gläsernen Blick, was den stets heiteren Lucretius selbstredend ein wenig amüsierte.
    "Da überschlagen sich die Emotionen wohl ein wenig! Ich habe zu danken! Und jetzt kümmere dich um deine Gäste!"
    Nochmals lächelte Carus und klopfte den Bräutigam zum Abschluss aufmunternd auf den Arm, um sodann seinen Platz für die übrigen Gratulanten zu räumen.

    Dem Opfer auf dem Fuße folgte die eigentliche Zeremonie der Confarreatio, wofür bereits die emsigen Opferhelfer die Zeit der Eingeweideschau hatten genutzt, um das Lämmlein nicht lediglich seiner Vitalia zu berauben, sondern ihm ebenso das Fell abzuziehen, welches nun als Sitzpolster für das Brautpaar mochte dienen. Ein wenig barbarisch erschien es dem jungen Flavius schon, als man das zwangsläufig blutige Fell auf den Stühlen drapierte, auf welchen sie nun würden Platz nehmen, doch mehr noch okkupierte ihn die Frage, ob Cornelia Philonica auch in der Lage war, ihm bisweilen das Fell über die Ohren zu ziehen, ja sie jene Stärke und Tapferkeit würde aufweisen, welche auch seine geliebte Mutter einst hatte besessen. Bisherig war sie ihm stets als eine recht stille, ob ihrer mäßigen Attraktivität geradehin unscheinbare junge Dame erschienen, deren mangelndes Selbstbewusstsein wohl ebenfalls ein Grund mochte sein, warum er sie wenig schätzte. Die Perspektive indessen, tagein tagaus mit einer notorischen Ja-Sagerin verbunden zu sein, vermochte seine Stimmung kaum zu heben.


    Als Pronuba für die heutige Zeremonie diente ihre Schwägerin Sestia Rebila, deren zentraler Auftritt nun erfolgte. Mit der Grazie, welche lediglich eine Patrizierin in jener Formvollendung mochte präsentieren, baute sie sich vor den beiden Stühlen auf und winkte das Paar herbei. Manius Minor und die Braut traten sodann vor sie und während Philonica prompt ihre sorgsam manikürte Hand erhob, zögerte der junge Flavius einen Augenschlag, ehe auch er seine Hand zur Verbindung öffnete. Doch die Sestia griff sogleich beherzt nach ihrer Schwägerin Hand und legte sie in die seine, um sodann mit ihren eigenen Händen jene Verbindung zu umschließen.
    "Vor allen Göttern und Menschen erkläre ich euch hiermit zu Mann und Frau. Mögen die Götter diese Ehe segnen!"
    , explizierte sie sodann die symbolische Geste und schenkte beiden Brautleuten ein Lächeln. Sodann trat sie beiseite und wies mit einer Hand auf die beiden Stühle, auf welche die Diener das blutige Fell legten. Einige blutige Flecken waren darauf zu erkennen und für einen Augenschlag fürchtete der junge Gracche, dass seine makellose Toga würde Schaden nehmen, doch da vor jenem Ritual zu flüchten ebenso außer Frage war wie sich dieser Ehe zu entziehen, welche nun ohnehin war begründet, setzte sodann er sich doch mit einem kaum vernehmlichen Seufzen und ergriff aufs Neue die von seiner Braut dargebotene Hand. Mochte diese erneute Berührung nicht im Ritual vorgesehen sein, über welches der Flamen Dialis die beiden am Vortage nochmals intensiv informiert hatte, so konnte er den genanten, insekuren Blick Philonicas unter ihrem Schleier beinahe spüren und lenkte ein. Womöglich würde sie ihn nicht mit scharfen Worten und hitzigen Streitigkeiten, sondern weitaus hinterlistiger mit Mitleid und Demut dominieren.


    Der Flamen Dialis reichte ihnen nun unter Formulierung der altehrwürdigen Worte das Farreum libum, das der junge Flavius als zukünftiges Familienoberhaupt nun teilte. Intuitiv brach er die Speise in der Mitte und reichte der Cornelia willkürlich eines der Stücke, obschon er sich fragte, wer zukünftig von dieser Verbindung wohl stärker würde profitieren und sogleich argwöhnte, dass nicht er selbst es würde sein. Ein wenig bitter erschien ihm die Speise daher, als er von seinem Anteil ein weiteres kleines Stück abbrach und es andächtig zerkaute. Zukünftig würden sie unzählige Mahlzeiten gemeinsam einnehm, selbst wenn wohl kaum sie mehr derart grob gemahlenes Brot würden aufgetischt erhalten. Zu Tisch liegend würden sie indessen nicht mehr Brot, sondern das Leben teilen, würden sich von ihrem Tagewerk berichten und verhoffentlich eines Tages auch an den Abenteuern ihrer Kinder sich ergötzen, selbst wenn er noch immer nicht auch nur imaginieren wollte, mit diesem unattraktiven Mädchen solche zu zeugen.


    Ovius Lyso streckte neuerlich die Hände aus, was Manius Minor erinnerte, dass der Speltkuchen in seiner Majorität den Göttern als Opfer würde dienen. So würde es letztlich auch mit ihrem zu teilenden Leben sein: Sein Leben war ein Opfer für die Götter, er hatte keinen Anspruch darauf, es zu genießen, selbst wenn sie einen Teil der Gabe ihm gleich dem Opferfleisch der Staatsopfer zum Verzehr würden übereignen. Ja, er würde demütig das verzehren, was sie ihm hinterließen gleich einer Löwin, die erst zu fressen wagte, nachdem ihr majestätisches Männchen sich an der von ihr erjagten Beute hatte gütlich getan.
    Neuerlich intonierte der Flamen ein langes, uraltes Gebet und bot nun auch das Farreum libum sowie einige Früchte den Schutzmächten der Ehe dar, was dem flavischen Jüngling keine Zeit ließ, weiterhin sich in trübsinnige Gedanken zu ergehen, denn während jenes finale Opfer seinen Lauf nahm, hatte er gemeinsam mit seiner Braut den Altar zu umschreiten, was schicksalsergeben er unternahm. Als indessen Ovius Lyso einige Trauben gen Himmel reckte, rollte neuerlicher Donner über Roms Himmel und zugleich erhellte ein Blitz das dunkle Atrium, als wolle Iuppiter selbst eine Replik auf die Intonationen seines Priesters geben. Auch Cornelia Philonica zuckte zusammen, sodass das Paar zum Stehen kam, ehe es, ein wenig beklommen ob der Frage, was jene himmlischen Aktivitäten für ihre Ehe mochten bedeuten, ihre Runde fortsetzten.