~~~ Gefangen in Morpheus' Reich* ~~~
Brausendes Toben erklang von den Rängen des Amphitheatrum, als mit tapsendem Schritt er langsam seinen massigen Leib in die Arena manövrierte. Er vermeinte beinahe, als schwebten seine Tatzen über den Sand, doch das Knirschen der Körner unter seinen Klauen offenbarten ihm, dass lediglich der Rausch des Opiums seine Sinne vernebelte und ihm jene Gleichmut gewährte, welche selbst das Tosen der Menge verschlang und gar ihm heitere Gelassenheit angesichts dieses Kampfes hinterließ. Mitnichten empfand er Interesse für die aufgepeitschte Meute auf den Rängen, welche voll Mordlust und Blutgier der Tierhatz entgegenblickte. Mitnichten bekümmerte ihn sein Kontrahent wie der Umstand, dass keine Option ihm war gegeben, dieser Szenerie zu entrinnen.
Desorientiert blickte er um sich, vernahm das Getrappel von Hufen hinter sich, wandte sich um und erblickte einen der Custodes, hoch zu Ross und mit einer Lanze versehen, bereit zu intervenieren, sollte eine der Bestien sich dem Publikum zuwenden. Doch auch ihm schenkte er keine Achtung, verkniff vielmehr die Augen vor dem gleißenden Sonnenlicht und ließ zuletzt, begleitet von gellenden Pfiffen auf den Rängen, seinen massigen Leib in den Staub plumpsen. Sein Mund war versiegt, sehnlichst wünschte er sich ein Gefäß mit kühlendem Nass herbei, um seinen Durst zu stillen, doch weder die Custodes, noch die gaffende Menge waren willig, ihn vor getanem Dienste mit einem Trunk zu erquicken.
"Die Schlange! Die Schlange!"
, gellte vielmehr es von allen Seiten, als seine Kontrahentin in die Arena wurde gefordert und in der Tat öffnete sich eine den Blicken bis dahin verborgene Falltür und mit einer gleitenden, blitzartigen Bewegung schoss eine gewaltige Natter aus dem Boden, stieß geradehin in die Höhe und formte sodann einen grazilen Bogen, um ihren schuppigen Leib auf dem erhitzten Sand der Arena zu platzieren, von wo aus sie mit geschickten Windungen ihres schimmernden Leibes sogleich ihren Weg in seine Direktion bahnte. Ein Fauchen entfleuchte ihrem gierig aufgerissenen Maul, sodass zwei steil errichtete Fangzähne sich entblößten, von welchen bereits grün leuchtendes Gift herabtroff.
Doch selbst nun, da seine Nemesis unaufhaltsam heranglitt, verspürte er weder Furcht, noch hinreichend Erregung, um auch nur seinen Leib vom erhitzten, unter seinem monströsen Gesäß indessen bereits zu wohliger Wärme erkalteten Sand zu erheben, um sich für jenen Kampf auf Leben und Tod zu präparieren.
Schon hatte die Natter ihn erreicht, türmte erneut einer Cobra gleich ihren Leib auf, zog ihr Haupt zurück und eröffnete neuerlich ihren Rachen, umrahmt von den aufgerichteten Giftzähnen, als lechzten sie geradehin danach, voller Lust sich in ihn zu versenken und ihr letales Extrakt zu verströmen, ihn zu lähmen und zu töten. Anstatt diesem zweifellos existenten, reptiliösen Trieb nachzugeben, schloss die Natter wiederum ihr Maul und neigte ihren Kopf, sodass die starren Augen ihre Beute besser zu fixieren vermochten, während die leicht nach oben gezogenen Winkel ihres Maules von beachtlicher Ausdehnung nahehin den Anschein erweckten, als lächelten sie höhnisch.
Ihr Erstarren währte indessen nur kurz, sodann wandte sie sich ab und umtänzelte abschätzig ihre potentielle, bisherig weiterhin passive Beute und schien sodann ihren seidigen Leib zu einem gordischen Knoten zu verknoten, welcher jedoch beständig in Bewegung verblieb, was geradehin den Anschein erweckte, als zöge sich der Wust aus Schuppen immer enger und enger.
Ein Schaudern durchzog das Vieh schließlich, dann ein weiteres und schließlich ein geradezu regelmäßiges Pulsieren. Schon erwog er, ob das Tier sich selbst mit ihrem letalen Kauwerkzeug traktiert habe und nun an ihrem eigenen Gift krepierte, doch dann öffnete sich an einer augenscheinlich willkürlichen Stelle des Schlangenleibes langsam, doch bedächtig eine Öffnung, als geruhe das Tier zu defäkieren. Anstatt bräunlich-schwarzer Exkremente erblickte er jedoch eine weiße Substanz, welche wenige Zuckungen später sich als eine gewaltige, ins Ovale gepresste weiße Kugel erwies, die angesichts der grazilen, schlanken Natter beachtliches Ausmaß annahm, das Licht der Welt. Das ovale, von garstigem Schleim umfangene Objekt löste Fäden ziehend schlussendlich sich von seinem Produzenten und plumpste geräuschlos in den Sand der Arena. Doch mitnichten war damit die mirakulöse Darbietung vollendet, denn die Natter förderte, diesmalig mit weitaus weniger Kontraktionen ihres Leibes, noch eine weitere, weiße Kugel zutage.
Und während er noch erwog, worum bei diesem seltsamen Spektakel es sich mochte handeln, erbrachen die Hüllen der Kugeln, als sei sie lediglich eine dünne Membran, und offenbarten zunächst hastig hervorschnellende, spitze Zünglein, sodann die schuppigen Schnauzen und schließlich zwei vollständige Schlangenleiber, die denen ihrer Mutter aufs Haar genau glichen. Und sogleich setzten die Schlänglein an, mit größter Emsigkeit in den Knoten ihres maternalen Leibes schlängelnd sich zu integrieren.
Fasziniert von jenem Schauspiel der Geburt, deren Zeuge er skurrilerweise inmitten eines Amphitheatrum war geworden, blickte er auf die recht vergnügt tollenden Schlänglein, deren Leiber zwar signifikant kleiner als ihre Mutter erschienen, deren Ausstaffage bis hin zu den kleinen, leuchtend weißen Giftzähnen denen ihrer Mutter glichen. Für eine Weile schien in der Tat die tödliche Situation der Arena sich in dieses geradehin lebensspendende Spektakel aufzulösen und er vermeinte bereits, jene unerregte Gleichmut habe zurecht ihn ergriffen.
Schlagartig jedoch erstarrte der Knoten aus den drei Schlangenleibern mit einem Male und drei Natternhäupter erhoben sich daraus, fixierten mit ihrem starren Blick ihn, der er noch immer auf dem Boden ruhte, und dann sich gegenseitig. Aufs Neue wurde er der seltsam hochgezogenen Mundwinkel der damit zu einem beständigen Lächeln geformten Mäuler gewahr, die nun wechselnd sich weit öffneten, als dehnten die drei Tiere sie in Erwartung einer kommenden Speise.
Ein jähes Ende fanden diese Präparationen, als sodann der gordische Knoten sich zerschlug und jede Schlange in windenden Bewegungen in eine andere Direktion sich bewegte. Die Mutter selbst, mit einem Fauchen neuerlich ihre Fangzähne präsentierend, hielt strikt auf ihn zu. Er wusste, dass diesmalig sie nicht sich würde abwenden, dass sie kam, um sich im Kampfe um ihn zu winden und ihn zu töten. Verdutzt rappelte er sich auf, streckte seine Tatzen ihr entgegen und ließ ein mehr perturbiertes denn erschröckliches Brummen vernehmen.
Dann war sie bereits bei ihm, ließ ihren Natternkopf hervorschnellen und nach seiner Pranke schnappen, um sogleich wieder zurückzuziehen und einem ungelenken Hieb seinerseits auszuweichen und mit einem eleganten Schwung ihres Leibes die Position zu wechseln. Eine neue Attacke folgte, den er bereits zu parieren außerstande war, sodass die giftigen Zähne sich in sein Fell und die darunter liegende Haut bohrten. Sogleich verspürte er, wie die Natter ihr Gift in ihm verströmte, ein Brennen verbreitete sich in seinem Arm und nötigte ihn, seinem Schmerz durch ein klagendes Brummen Ausdruck zu verleihen, doch gelang es zumindest ihm, mit einem Schütteln seiner Pranke das Vieh zum Ablassen zu nötigen.
Indessen verbreitete rasch sich das brennende Gift sich in seinem Leibe, durchkroch seine Venen und entfachte in ihm ein Feuer, welches seine Sinne noch zusätzlich zum Morpheustrunk lähmte. Dahin war seine Gleichmut, gewichen einer panischen Furcht, jener Natter zu erliegen, die bereits zur nächsten Attacke sich rüstete.
"Minimus!"
Ein Ruf durchbrach jenen Strom der Konzentration, der ihn mit seiner Opponentin verband, und intuitiv wandte sich zur Quelle jenes Rufes. Ein skurriles Bild bot sich ihm dar: Die beiden jungen Nattern hatten beachtlich an Größe gewonnen und traktierten nun einen der Custodes zu Pferde. Schon war das Reittier erklommen und einer der Schlangenleiber hatte sich um den kräftigen Hals des Rosses gelegt, während das andere geradehin im Damensitz auf dem Pferderücken hinter dem Custos Platz genommen hatte. Dessenungeachtet ließen die erhobenen Schlangenhäupter mit ihren fauchend aufgerissenen Mäulern, in welchen die Giftzähne blitzten, es indubitabel erscheinen, dass sie gedachten, den Reiter in ihrer Mitte hinzuschlachten.
Doch warum rief der Custos just in dieser Situation nach der Bestie, welche in Schach zu halten ihm aufgetragen war? Und war nicht die Stimme, welche er vernahm, ihm sonderbar vertraut?
Auch das Antlitz, welches nun in panischer Furcht vor dem Gebrüt der Natter nicht wusste, wohin es blicken, wem mit seiner Lanze, einer für diese Zwecke gänzlich inadäquate Waffe, nun zuzusetzen sei, hatte vertraute Züge!
"Minimus, zu Hilfe!"
, erklang der Ruf eindringlicher und nun war er sicher, dass die Stimme jene seines Vaters war, welcher dessenungeachtet nunmehr ein Opfer der jungen Nattern wurde, als eine von ihnen ihre Zähne in seine Kehle versenkte und die paternale Stimme in einem Gurgeln ersticken ließ.
"Neiiiiin!"
, rief Manius Minor und sprang ruckartig in seiner Liegestatt auf. Panisch blickte er um sich, insekur, ob die ausstehende Attacke der Natternmutter oder das Resultat des Werkes ihrer Zöglinge mehr sollte fürchten.
Doch erstorben war das Licht der gleisenden Sonne, verstummt das Johlen des Publikums und verschwunden jene ganze Szenerie des Amphitheatrums, der überdimensionierten Nattern und ihrer Beute. Lediglich sein finsteres Cubiculum umgab ihn, durch die verschlossenen Läden drang nur wenig Licht auf seine Decken, die seine zitternden Hände und nicht die behaarten Pranken aus seinem Traume krampfhaft umklammerten.
Er blickte hinüber zum Lager seines Patrokolos, welches jedoch verwaist im Halbdunkel lag, da augenscheinlich der Sklave sich wie so oft nächtens hatte hinfortgeschlichen. Für gewöhnlich mochte sein Herr dies akzeptieren, nun indessen beraubte es ihn eines Gesprächspartners.
Langsam und bedächtig ließ Manius Minor daher seinen wuchtigen Leib wieder in seine Kissen sinken und zog sorgsam die Decke über seinen noch immer fröstelnden Leib. Welch obskurer Traum war dies gewesen! Und doch war es offenbar, in welcher Weise er war hinsichtlich seiner Situation zu interpretieren: Gestern erst hatte ihn ein Brief Manius Maiors aus Roma erreicht, in welchem dieser ihm die Kunde hatte gebracht, dass Aurelia Prisca ihm nicht eines, sondern gleich zwei Kinder hatte geboren. Mochte es nicht genügen, dass Manius Maior selbst als Geminus war geboren, war nun auch noch erst selbst mit einem Zwillingspaar gesegnet worden. Quintus Flavius Gracchus und Flavia Prisca. Abscheu erfüllte den jungen Gracchen selbst beim Gedanken an Namen jener beiden Persönchen, welche sein Traum so trefflich als Natterngebrüt hatte repräsentiert!
In der Tat hatte diese Novität ihn in noch tiefere Depression geworfen, obschon ja bereits einige Monate zuvor sein Vater ihm hatte eröffnet, dass Aurelia guter Hoffnung war. Doch obschon dies hatte genügt, ihn derart zu verärgern, dass er nicht nur seine bis dahin ohnehin spärlichen Visiten in Roma gänzlich eingestellt, sondern auch jedwede briefliche Korrespenz seiner Familia unerwidert gelassen hatte, so hatte er insgeheim doch verhofft, dass seiner Stiefmutter ein Malheur würde unterfangen, dass womöglich nicht nur ihre Brut und damit zugleich ihre Gunst bei seinem Vater würde verlustig gehen, sondern gar sie selbst den Strapazen der Schwangerschaft oder zumindest der Geburt würde erliegen und damit auf einen Streich (nahezu) sämtliche seiner familiären Dyssonanzen aus der Welt schaffte. Die gemeinhin als freudige Kunde ponderierte Information, dass Kinder und Mutter wohlauf waren, hatte indessen jede dieser Hoffnungen zunichte gemacht und aufs Neue konfirmiert, dass nicht er, sondern die aurelische Natter im Kampf um die Gunst seines Vaters und mit um das flavische Erbe würde obsiegen. Ein heftiger Opiumrausch, assistiert von nicht geringen Mengen Weines waren das Resultat dieser Einsicht gewesen, sodass er kaum wusste zu sagen, wann und in welchem Zustand er am gestrigen Abend seine Kammer hatte aufgesucht.
Zweifelsohne war Cornelia jedoch nicht mit ihm gewesen. Und dies war zweifelsohne nicht darin begründet gewesen, dass er stark berauscht und vermutlich in weinerlicher Facon war gewesen, denn niemals hatte das nunmehr geraume Zeit verheiratete Paar das gemeinsame Bett geteilt. Dabei war insgeheim dies das Ziel des jungen Flavius gewesen, als sie wenige Zeit nach ihrer Hochzeit hierher waren verzogen, um vorgeblich die Vollendung ihrer Villa Urbana zu überwachen, zugleich jedoch jene Abgeschiedenheit privater Ländlichkeit zu nutzen, um sich als Paar undisturbiert von Anverwandten und den Lasten des aristokratischen Alltags ein wenig aneinander zu gewöhnen und zugleich eben jenen Erben zu zeugen, den die Hautevolée Romas und insonderheit ihre beiden Familiae von ihnen erwarteten.
Zwar war recht bald schon der Bau vollendet worden, sodass mit großer Beflissenheit Manius Minor daran sich machen konnte, die Parkanlage des Anwesens mit allerlei Leben zu füllen, beginnend mit der Umsetzung diverser Bäume, über die Anlage von Wegen und Beeten bis hin zu kleinen Baulichkeiten, Statuen und Refugien, doch hinsichtlich jenes weitaus bedeutsameren Werkes ihrer Ehe war lediglich minimaler Fortschritt zu verzeichnen gewesen. Erstlich hatte Gracchus Minor seinem Vorsatz entsprechend redliche Mühe gezeigt, über die mangelnden Vorzüge seiner angetrauten Gattin hinfortzusehen und seine Pflichten als Gatte ritterlich zu erfüllen, doch hatte jene diese lediglich mit einer gewissen Retorsion erwidert und sich, wann immer die Gelegenheit sich ergab ein Stelldichein zu konstruieren, mit einem Vorwand exkulpiert. Dies, ebenso jedoch das nicht recht harmonierende Eheleben insgemein, begonnen bei dem Gebrechen an Themen, welche beide Eheleute mit Freude in längere Gespräche hätte verwickeln können, über differente Vorstellungen hinsichtlich der Gestaltung der neu erworbenen Räumlichkeiten wie des umliegenden Terrains bis hin zu dem Auseinandergehen der gustatorischen Präferenzen evozierte binnen kürzester Zeit eine merkliche Frustration bei Manius Minor, welche diesen zunehmend deprimiert hatte.