"Ubi tu Gaius, ego Gaia!"
, beendete Claudia Silana die Zeremonie und blickte ihn mit jenen geisterfüllten Augen an, welche ihm bereits seit ihrer ersten Disputation über die Determiniertheiten des Lebens den Sinn hatten geraubt.
"Ubi tu Gaia, ibi ego Gaius!"
, erwiderte er und fühlte sich genötigt, jenen zarten, unter dem Schleier noch immer verborgenen Lippen einen Kuss als Insigel ihrer Verbindung aufzudrücken. Umsichtig schützte er also die Lippen und neigte sich vor.
Doch anstatt ihr liebliches Antlitz ihm entgegenzustrecken, hob schlagartig sie ihren Spiegel, welchen noch immer sie an ihrer Hand trug, und hielt ihn gleich einem Schild defendierend vor sich, sodass seine Lippen statt des warmen Mundes das kalte Silber des Spiegels touchierten.
Derangiert ließ er ab und blickte zwangsläufig in das Konterfei seiner selbst. Doch was als milchige Reflexion seines Antlitzes ihm entgegenblickte, ließ voll Schrecken ihn zurückweichen: Mitnichten war es das kraftvolle Angesicht eines jungen Senators, noch immer ein wenig gestählt von den Unbillen des Tribunates! Vielmehr traf ihn ein trüber Blick aus in ägyptischer Manier geschminkten Augen, welche inmitten dem feisten Antlitz eines dem Weine ergebenen Jünglings ruhten, trunken vom Konsum des Opiums, umrahmt von wallendem, weibisch drapiertem Haar.
Voller Schrecken blickte er nun an sich herab, doch statt in Toga und Tunica laticlava war er, wie nunmehr er erkannte, in ein transparentes Weiberkleid gehüllt, unter welchem sich sein dicklicher Leib deutlich abzeichnete.
"Du bist kein Flavius!"
, vernahm er plötzlich eine Stimme von oben, und als er aufsah zu den wächsernen Imagines der verblichenen Flavii, die oberhalb des Lararium in ihren Schreinen ruhten, entdeckte er, dass sie zum Leben erweckt zornige Grimassen schnitten und voll Verachtung auf ihn, der zweifelsohne nicht Manius Flavius Gracchus Minor, Spross ihres edlen Geschlechtes, sondern der närrische Achilleus, verfluchter Jünger des Epikur, war, herabblickten.
"In den Tartaros mit dir!"
, sprach das Abbild seines Großvaters Flavius Vespasianus, und Diva Flavia Nyreti, seine Gattin fügte zischend hinzu:
"Eidbrecher!"
"Verfluchter Götterleugner!"
, rief das greise Konterfei seines Onkels Furianus und
"Selbstverliebter Narr!"
, das jugendliche Imago des Titus Flavius Milo.
In Panik wandte nun er sich aufs Neue an die Festgemeinde, doch während die Tibicines und Fidicines nun einen Trauermarsch intonierten, erkannte er seinen Vater an der Seite des Cornelius Scapula, umgeben von einer Schar zerlumpter, blasser Leiber, welche mit leerem Blick ihn fixierten.
"Du bringst Philonica den Tod!"
, rief Scapula und wandte erzürnt sich ab.
"Du raubst mir meinen einzgen Freund!"
, fügte Manius Maior hinzu und schloss sich dem Cornelius an, während die Menge jener Leichen, angeführt von einem fahlen, hageren Ehepaar und einem Hühnen mit blutverkrustetem Bart, sich langsam ihm approximierten.
"Komm zu uns! Komm mit in den Tartaros!"
Furchtsam suchte sein Blick nun seine Braut, jene singuläre Bastion der Liebe, doch noch immer bittersüß lächelnd präsentierte sie, die Inkarnation der Sapientia, ihm weiterhin den Spiegel mit dem Abbild des trostlosen, inkapablen und verfluchten Achilleus.
"Neiiii-"
"-iin!"
, schrie er aus voller Kehle und krallte seine Faust hilflos in die Decken. Er war aufgesprungen in seiner Bettstatt und blickte benommen in die Schwärze seines Cubiculum. Sie so häufig war er genötigt, um sich zu blicken und sich den Schweiß vom Antlitz zu wischen.
Es war ein Traum, ein grässlicher Traum. Keine untoten Leiber bedrängten ihn, keine Ahnenreihe schalt ihn und keine Hochzeitsgesellschaft hob dazu an, ihn in die Unterwelt zu zerren. Ein Traum also? Oder war dies eine neue Botschaft der Götter?
"Domine, was ist los?"
, drang wie von Ferne die Stimme seines getreuen Patrokolos an sein Ohr, nicht hasserfüllt und zürnend wie jene Maiores in seinem Traume, sondern sorgenvoll und voller Empathie. Selbstredend hatte sein Leibsklave wie jede Nacht in seinem Cubiculum auf seiner simplen Bettstatt genächtigt und war von den furchtsamen Schreien seines Herrn aus dem Schlafe gerissen worden.
"Ein grässlicher Traum. Schon wieder."
, informierte der Jüngling seinen Diener über das Augenscheinliche, woraufhin dieser lediglich seufzte.
"Worum ging es diesmal?"
, fragte er sodann und Manius Minor erwiderte ohne großes Bedenken:
"Ich träumte von meiner Hochzeit."
Ein Schnauben war aus der Dunkelheit von jener Stelle zu vernehmen, wo Patrokolos sich zu lagern pflegte.
"Ein grässlicher Traum von deiner Hochzeit?"
Selbstredend hatte der junge Flavius sich seinem Diener, welcher zugleich sein intimster Freund war, bezüglich seiner mangelnden Gefühle gegenüber seiner projektierten Gattin anvertraut, doch hatte er es niemals gewagt, seine diffusen, ihm selbst mitnichten fassbaren Gefühle gegenüber Claudia Silana zu verbalisieren, selbst wenn der Sklave es leichtlich aus seinen bisweilen überschwänglichen Worten über die Enkelin des Menecrates derivieren mochte.
Doch was auch hätte er Patrokolos sagen mögen? Sollte er die Pein jener Akkusation aus seinem Traum repetieren, um seine Schuldgefühle zu intensivieren, für deren Ursache er sich kaum die Schuld zu geben wusste? Hatte er denn jemals böswillig seine Neigung zu der Claudia entfacht, um die Cornelia zu brüskieren? Hatte er nicht vielmehr beständig sich gemüht, sich mit dem Faktischen zu arrangieren und jener unmöglichen Person, mit welcher er kein einziges Interesse zu teilen glaubte und die ihm als die unerstreblichste Gattin auf dem Erdenrund erschien, zumindest keine Ablehnung zu zeigen, ja gar freundliches Verbundenheit zu heucheln? Nicht einmal vermochte er zu sagen, was ihn an Claudia Silana faszinierte, deren Attraktivität zwar selbst dem Fehlsichtigen offenbar war, die sich damit jedoch nur mäßig von den zahllosen Grazien der römischen Aristokratie unterschied, die ebenfalls nicht prompt das Begehren des jungen Flavius erweckten. Auch ihr Interesse an Philosophie mochte keineswegs similär sein, zumal ihre philosophischen Gedankengänge ihm mehr Furcht den Freude bereiteten, da sie ihn doch zurückzuziehen schienen in jene verfluchte Welt des Epikur, die den gerechten Zorn seiner Ahnen im Traum zweifelsohne evoziert hatte.
Es stand fest: Er musste besser auf sich Acht geben und vermeiden, sich jenen Einflüssen auszusetzen, die geneigt waren ihm von jenem rechten, doch überaus schmalen Weg abzubringen, der eines Tages ihn ins Elysium und in die Arme seiner Mutter würde noch führen können. Mochte dieser Traum eine Botschaft der Unsterblichen oder eine Gaukelei des Morpheus sein, seine Warnung schien ihm nun doch klärlich vor Augen: Er hatte seine Regungen im Zaum zu halten und sich auf sein Schicksal zu konzentieren!
"Alles gut?"
, interrumpierte neuerlich Patrokolos' sanfte Stimme sein Spintisieren und er verwarf jene peinvollen Gedanken, deren Bedenken doch in der Schwärze der Nacht kaum fruchtbar sich mochten erweisen.
"Schlafen wir weiter."
, beschied er somit und senkte sich auf sein Kissen. Doch während Patrokolos' Atem rasch sich vergleichmäßigte und so von seinem sanften Schlummer kündete, lag Manius Minor noch lange wach.