~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~
Lauernd saß er hinter einigen prall gefüllten Säcken voll Getreide, verborgen unter einem ebensolchen, bereits entleerten Säcken und somit inidentifikabel für die Knechte und Mägde, welche den Tross der Legio I Traiana geleiteten. Er war ein Knabe, inkapabel der Fechtkunst, unwissend über die realen Umstände des zeitgenössischen Kriegswesens, doch immerhin ein Patricius Romanorum von edelstem Geblüte, Spross des flavischen Hauses und folglich befähigt mit jenem militärischen Talent, welches nicht allein das prächtige Hierosolyma, sondern gar die trutzige Festung Masada niedergeworfen hatte. Freilich lag noch er verborgen wie ein Dieb im hintersten Winkel eines Ochsenkarren, der Tag und Tag sich in behäbigem Tempo vorwärts schob, seine Fracht und somit auch ihn selbst bisweilen bei der Fahrt über Stock und Stein hin- und herwog, dabei indessen sie beständig jenem Kriegsschauplatze entgegenbringend, auf welcher die Ehre des römischen Staatswesens gegen die gierigen Klauen des Usurpators Salinator zu defendieren war. Er selbst war jenem Horatius Cocles gleich, der alleinig Roma vor den feindlichen Heerscharen bewahrt hatte, obschon er selbst zwar nicht allein für die ganze Stadt, doch immerhin für seine Gens in die Arena zu steigen hatte, da alle seine Familiaren, selbst sein einst so geschätzter Vater, zurückgewichen waren und ihr Heil in der Flucht gesucht hatten. So musste er, selbst jung an Jahren, die Kontribution seines Hauses auf dem Altar der quiritischen Freiheit darbringen und war genötigt, sich, um einer Exklusion ob seiner mangelnden Lebensjahre zu entgehen, heimlich auf das Schlachtfeld zu schleichen.
Deplorablerweise bot die Reise in einem Ochsenkarren, verborgen unter groben Stoffen, prallen Säcken und harten Amphoren, indessen keineswegs jene Kommoditäten, welche er als junger Aristokrat zu genießen gewohnt war, insonderheit gebrach es ihm der Nahrung und besonders des Trankes, sodass die Tage über er darbend laborierte, ehe nächtens es ihm möglich war, an den Feuern der Soldaten sich an Posca aus fremden Feldflaschen, kühlendem Wasser aus kleinen Rinnsalen, erkaltetem Puls von niedergebrannten Lagerfeuern und allerlei Resten gütlich zu tun. Dessenungeachtet plagten ihn die schroffen Planken, aus denen sein Gefährt gezimmert war, drückte ihn das grob behauene Holz in den Rücken, wenn kauernd er sich gegen die Wagenwand lehnte, drückten ihn die Kanten einzelnder Latten und triezten ihn einzelne Späne, die sich durch das Reiben bisweilen lösten. Und doch umfing jeden Tag ihn irgendwann die Macht des Morpheus, sank er hinab in Träume voller heroischer Taten und triumphaler Schlachten, ehe des Abends ihn das Signal der Hörner zum Aufschlag des Lagers wieder erweckte.
*TÄTERÄTÄTÄ TÄTERÄTÄTÄ*
, erscholl es mit blechernem Tönen über den Plan. Wie so häufig schreckte er hoch, eingenickt in embryonaler Haltung, und musste sich gemahnen, nicht durch heftige Bewegungen sein Versteck auffliegen zu lassen, senkte bewusst sein Haupt und mühte sich, noch immer ermattet von den Entbehrungen des Tages, erneut in den Schlaf zu verfallen.
*TÄTERÄTÄTÄ TÄTERÄTÄTÄ*
Aufs Neue schlug Manius Minor die Augen auf und erkannte, dass mitnichten er unter Kornsäcken verborgen er auf einem zum Halt gekommenem Ochsenkarren kauerte, sondern vielmehr sich an eine weiche Wolldecke sich schmiegte, zweifelsohne in Embryonalhaltung sich wiederfindend, doch nicht an hartes Holz gelehnt, sondern auf einer weichen Matratze ruhend in einem Bett, über sich die hölzerne Decke seines tribunischen Casa, durch deren Fensterläden das laue Licht des germanischen Morgens fiel.
"Ich möchte noch nicht aufstehen!"
, lamentierte er und zog sich das Kissen übers Haupt, um dem ohrenbetäubenden Krähen der Cornicen zu entfleuchen, welche Morgen für Morgen zum Appell riefen und selbiges altem Gebrauche gemäß vor den Toren der Principia taten, an welche das Haus des jungen Flavius unmittelbar grenzte.
Wie schön war doch sein Traum gewesen, jenes unschuldige, von juvenilem Leichtsinn eingegebene Heldenmut, jenes gleichsam naturelle Streben zur Pflicht, zu welcher seit Kindesbeinen er berufen war. Zweifelsohne verbrämte er in der Retrospektive manches Leid seiner heimlichen Exkursion aus Mantua, nicht immer hatte er Freude empfunden auf seiner verborgenen Lauer, letztlich war er gar gescheitert. Und doch träumte er sich zurück in jene Tage des Knabenalters, als sein Schicksal ihm nicht eine saure Bürde, sondern ein güldener Apfel war gewesen, als er vor Tatendrang gestrotzt und zum Heldentum gestrebt hatte, zumal in seinen Träumen er bisherig nie zum beschämenden Ende seines Abenteuers war gelangt. Bisweilen träumte er gar von jenem freundlichen Soldaten, dessen Name ihm deplorablerweise entfallen war, welcher ihm aber damalig an seinem ersten Abend von seinem Nachtmahl gereicht hatte. Niemals zuvor hatte ihm ein rustikales Gericht wie Brot und Käse derart gemundet!
Das wahre Soldatenleben war hingegen weitaus desillusionierender. Allmorgendlich riss ihn das unbarmherzige Schmettern der Hörner aus dem Schlaf, allmorgendlich hatte er seine Uniform anzulegen, um, noch ehe die Sonne den Horizont verlassen hatte, hinüber in die Principia zu eilen, um halb schlafend, halb wachend den zumeist überaus ennuyanten Rapport seines Cornicularius zu empfangen, die Posten zu kontrollieren, welche ohnehin mental in weitaus besserer Konstitution waren als er selbst zu jener Tageszeit, hatte sich dann tagein tagaus mit jenen zähen Obliegenheiten militärischer Bürokratie abzugeben, Proviantlisten und Wachberichte zu prüfen, Einheiten ein- und Anweisungen zu erteilen. Nie war ihm bei der Erfüllung seiner Schuldigkeiten Willkür oder Kreativität gestattet, beständig waren Regularien befolgen, die militärische Expertise altgedienter Veteranen zu konsultieren und darauf zu achten, die soldatischen Abläufe nicht im geringsten zu disturbieren.
Hinzu traten die chaotischen Zustände innerhalb seines Haushaltes, denn nachdem er nun drei Sklaven hatte erworben, welche seine Casa unterhielten, musste er erkennen, dass ihm die lenkende Hand eines Sciurus durchaus abging, da die Dienstboten keineswegs automatisch im Sinne der Herrschaft harmonierten und ihre Obliegenheiten nur dann zu erledigen gewillt waren, wenn beständig ihnen ihr Herr, respektive Patrokolos nachstellte und sie zur Sorgfalt trieb.
Insonderheit des Morgens war ihm all dies bereits jetzt überaus lästig und nicht selten träumte er sich zurück in die behagliche Ordnung der Villa Flavia Felix, wo bisweilen es ihm war erschienen, als erfüllten seine Diener ihm selbst jene Wünsche präventiv, welche ihm selbst noch gar nicht in den Sinn gekommen waren.
Patrokolos trat in das Cubiculum, seine Tunica laticlava sorgsam über den Arm drapiert, um ein Knittern des erlesenen Stoffes zu vermeiden.
"Guten Morgen, Domine! Hast du gut geschlafen?"
Zur Replik entfleuchte dem Jüngling lediglich ein gedehntes Seufzen und er zog das Kissen ein wenig fester übers Haupt. Mochte süß und ehrenvoll es sein, fürs Vaterland zu sterben, so war es selbiges doch nicht, für jenes tagein tagaus zu dienen!