Beiträge von Manius Flavius Gracchus Minor

    ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~


    Er erwachte von gleißendem Licht, welches das gesamte Cubiculum erhellte. Sich aufrichtend blickte er dem unirdischen Gast, der sie geöffnet hatte, in das Gesicht: Es war eine sonderbare Gestalt, gleich einem Kind, aber doch eigentlich nicht gleich einem Kind, sondern mehr wie ein Greis, der durch einen wunderbaren Zauber erschien, als sei er dem Auge entrückt und auf diese Weise so klein geworden wie ein Kind. Sein Haar, das in langen Locken auf seine Schultern herabwallte, war weiß, wie vom Alter, und dennoch hatte das Gesicht keine einzige Runzel, und um das Kinn bemerkte man den zartesten Flaum. Die Arme waren lang und muskulös, die Hände ebenso, als läge in ihnen eine ungeheure Kraft. Seine Füße, zart und fein geformt, waren entblößt, gleich den Armen. Der Geist trug eine Tunica vom reinsten Weiß; um seinen Leib schlang sich ein Gürtel von wunderbarem Glanz. Er hielt einen frisch-grünen Palmenzweig in der Hand; aber in seltsamem Widerspruch mit diesem Zeichen des Winters war das Kleid mit Sommerblumen verziert. Das Wunderbarste aber war, daß von seinem Scheitel ein heller Lichtstrahl in die Höhe schoß, der alles ringsum erleuchtete.
    Aber selbst dies war nicht seine seltsamste Eigenschaft. Denn wie der Gürtel des Geistes bald an dieser Stelle glänzte und funkelte und bald an jener, und wie das, was im Augenblick hell gewesen war, plötzlich dunkel wurde, so verwandelte sich auch die Gestalt selbst, man wußte nicht wie: bald war es ein Ding mit einem Arm, bald mit einem Bein, bald mit zwanzig Beinen, bald sah man nur zwei Füße ohne Kopf, bald einen Kopf ohne Leib; und wie einer dieser Teile verschwand, blieb keine Spur von ihm in dem dichten Dunkel zurück, das ihn verschlang. Und das größte Wunder dabei war: die Gestalt blieb immer dieselbe.
    "Bist du der Geist, dessen Erscheinung mir vorhergesagt wurde?"
    , fragte er.
    "Ich bin es."
    Die Stimme war sanft und wohlklingend und so leise, als käme sie nicht aus dichtester Nähe, sondern aus einiger Entfernung.
    "Wer und was bist du?"
    , fragte er, schon etwas mehr Mut fassend.
    "Ich bin der Geist der vergangenen Saturnalia."
    "Einer lange vergangenen?"
    , fragte er, seiner zwerghaften Gestalt gedenkend.
    "Nein, einer deiner vergangenen."
    Der Geist streckte seine starke Hand aus, als er dies sprach, und ergriff sanft seinen Arm.
    "Steh auf und folge mir."
    Vergebens würde er eingewendet haben, Wetter und Stunde seien schlecht geeignet zum Spazierengehen, das Bett sei warm, er sei nur leicht in seine Nachttunica gekleidet und habe gerade jetzt den Schnupfen. Dem Griff, war er auch sanft wie der einer Frauenhand, war nicht zu widerstehen. Er stand auf; aber als er sah, daß der Geist nach dem Fenster schwebte, faßte er ihn flehend bei dem Gewand.
    "Ich bin ein Sterblicher"
    , sagte er,
    "und könnte fallen."
    "Lass meine Hand dich hier berühren"
    , sagte der Geist, indem er die Hand auf das Herz legte,
    "und du wirst größere Gefahren überwinden, als diese hier."


    ~~~

    Die Irritation des jungen Flavius wandelte sich in Schrecken, als Peticus nicht lediglich verbal, sondern nun auch körperlich sich gegen den kaiserlichen Procurator und den Publicanus wandte. Sogleich eilten sämtliche Aufseher herbei und umringten den Miles, welcher seinerseits das Schwert erneut ergriff und furchtlos sie fixierte.
    Den Worten des Germanicus indessen war zu entnehmen, dass er einem Missverständnis war erlegen und vermeinte, Carbonius und Aquilianus hätten seinen Herrn und nicht ihn selbst angesprochen. Als der junge Flavius diesen tragischen Irrtum erkannte, fühlte er eine gewisse Verantwortung für jenen folgsamen Miles, welcher nicht duldete, dass sein Herr (respektive sein Schützling) respektlos wurde behandelt.
    "Genug!"
    , rief er darum an die Adresse des Germanicus und hob mahnend die Hand, ehe dieser ein neuerliches Blutbad evozierte.


    Doch während zwei Aufseher dem nunmehr sichtlich indignierten, doch noch viel zu perplexen Procurator soeben noch auf die Füße halfen, war Carbonius bereits wieder auf die Füße gesprungen, das kahle Haupt zornesrot:
    "Was willst du mit Flavius Gracchus? Wir haben dich gemeint, du Idiot!"
    Der Publicanus fixierte den Miles nun unzweideutig.
    "Wir werden ja sehen, wer hier noch vor Gericht steht! Ich werde mich bei deinem Centurio für diese Unverschämtheit beschweren! Wir werden ja sehen, wer hier noch in Rom vor Gericht stehen wird!"
    Die Aufseher hatten nun ihrerseits ihre Knüppel fester gegriffen und schienen bereit, ihren Arbeitgeber gegen den irrsinnigen Soldaten jederzeit zu verteidigen.


    Manius Minor erschien es somit, als müsse er unverzüglich intervenieren, um jenes gefürchtete neue Blutvergießen zu verhindern und insonderheit den Procurator Aquilianus rechtzeitig zu besänftigen, da dieser zwar unter den kaiserlichen Offizialen lediglich von mittlerem Rang, doch weit über einem gemeinen Miles einzuordnen war und somit eine derartige Impertinenz niemals dulden konnte:
    "Stecke dein Schwert in die Scheide, Germanicus!"
    Der junge Flavius mühte sich, sämtliche Autorität in diese Worte zu legen, die ihm als einem Jüngling von zwanzig Jahren zur Verfügung standen.
    "Du wirst weder deinem Hause, noch deinem Centurio Ehre bereiten, wenn du einem Beamten des Kaisers und einem Publicanus des Fiscus Caesaris ungebührlich gegenüber trittst!"
    Schon jetzt vermochte der Jüngling kaum zu imaginieren, welche Strafen der impertinente Miles sich aufs Haupt hatte geladen, welcher Optionen er sich durch jenes impulsive Verhalten er verlustig war gegangen. Im Grunde bot auch er ein famoses Exempel für die Wahrheit von Epikurs Worten: Berühmt und angesehen wollten manche Menschen werden, weil sie meinten, dass sie sich so die Sicherheit vor den Menschen verschaffen könnten. Auch Peticus strebte nach Macht und Ehre, wie er noch vortrefflich memorierte, doch würde es auch ihm auf lange Sicht und insonderheit an dieser Stelle nichts als Schmerz bereiten.

    Die inferiore Sehkraft Manius Minors verschloss ihm jenen irritierten Blick, mit welchem Manius Maior auf seine provozierlichen Fragen reagierte, sodass gar, da erstlich keine direkte Replik erfolgte, ihn ihm bereits die Satisfaktion jenes Triumphes aufkeimte, seinen Vater aus der Reserve gelockt und zur Reflexion angeregt zu haben.


    Doch war der ältere Gracchus keinesfalls so leichtlich in die Schranken zu weisen, wie dies womöglich der Wunsch des jüngeren wäre gewesen, denn sogleich erfolgte die Retoure, similär in klimatisch sich amplifizierende Fragen gepackt und similär in der assoziativen Kontextualität den Opponenten irritierend, doch mit weitaus größerer Vehemenz vorgetragen und somit gleichsam Furcht und juvenilen Protest evozierend:
    'Etwa in dem Augenblicke als ich meine Integrität opferte, um meinen Kindern eine Zukunft unter einem indifferenten Schatten und seinem tyrannischen Despoten zu ersparen?'
    So bedurfte der berauschte Geist des Jünglings einigen Spintisierens, ehe er erkannte, dass Manius Maior den Beginn seiner kritischen Entscheidungen weitaus früher ansetzte, als er selbst dies jemals hatte unterstellt: Augenscheinlich bezog er sich auf jene Verschwörung, welche in Mantua er hatte seinem Sohne gestanden und welche doch niemals Anlass zu dessen Kritik war gewesen! Noch okkupiert von jener Einsicht fiel die folgende Frage auf gänzliches Unverständnis:
    'Oder allfällig in jenem Augenblicke, da ich aberwitzig mein Leben riskierte in der bloßen Hoffnung den Bürgerkrieg auf schnellere Art und Weise beenden zu können als dabei zuzusehen wie die Si'herheit, das Heim und die Lebensgrundlage meiner Familie zerstört wird?'
    Wo hatte Manius Maior jemalig sein Leben riskiert? In jenem Moment, als er feige aus Rom war geflohen? Oder in jenem, als er sich, die Götter wussten wo (so sie wider Erwarten Interesse an derart sterblichen Belangen jemals entwickelten) hatte verborgen, um der Gefahr des Bürgerkrieges zu entfleuchen?
    Das Crescendo jenes flavischen Wahnes, der sich mit jeder Silbe amplifizierte und selbstredend als der Zorn des in die Enge Getriebenen war zu identifizieren, dem es an Argumenten gebrach, sodass durch blechernes Tönen er seinen Worten Evidenz zu verleihen suchte, hingegen verschloss jene Frage weiterer empathischer Reflexion bei dem flavischen Jüngling, zumal sein Vater nun endlich zu jenen Episoden gelangte, die er selbst hatte angesprochen:
    'Oder aber als ich neuerli'h die Last einer Ehe auf mich nahm, um die Wahrheit, welche diese Familie - mich, dich und deinen Bruder - innerhalb kürzester Dauer diskreditieren und zu Fall würde bringen, um diese Wahrheit durch mehr zu binden als durch bloße Worte?'
    Welche Wahrheit? Hatte sein Vater nicht selbst ihm offenbart, dass eitle Ruhmsucht und die leeren Meinungen der Maiores ihn dazu hatten gedrängt, neuerlich den Ehebund einzugehen?
    Manius Minor presste empört die Lippen aufeinander, während Manius Maior augenscheinlich fortfuhr zu fabulieren:
    'Glaubst du etwa, ich hätte dies freiwillig noch einmal auf mich genommen!?'
    Durchaus tat er dies! Wer sollte ihn denn genötigt haben? Selbst ein Liebestrank, den Aurelia Prisca womöglich ihm hatte verabreicht, wäre doch letztlich in seiner Naivität begründet gewesen!
    In den Ohren des Jünglings erklangen jene selbstmitleidigen Fragen nur als Konfirmation jener Feigheit, in der sein Vater sich selbst aus der Verantwortung seiner jüngsten Entscheidungen zu stehlen suchte!


    Auch die nun folgende Ausschüttung seines Herzens, zu welcher der ältere Gracche nun ansetzte, vermochte in jenem Kontext zu keinerlei Erhellung beizutragen: Wer war Hephaistion? Womöglich ein Eromenos, welchen sein Vater auf dessen langen Aufenthalten in Achaia hatte geliebt? Niemals hatte der junge Flavius erwogen, dass sein Vater womöglich eine dergestalte sexuelle Präferenz pflegte, welche ihm im Rahmen seines Myrmidonenkreises zwar durchaus war bekannt geworden, die jedoch bei seinem eigenen Vater doch ihm eine leichte Abscheu bereitete.
    Denoch war er geneigt, all jenem Lamentieren die Worte Epikurs entgegenzusetzen und ihm schlicht zu raten, sich von all jenen augenscheinlich brennenden Quellen des Schmerzes zu befreien, indem er eben dies tat, was er als Quelle seiner individuellen Lust erachtete: Warum sollte er nicht der beständig Schmerz evozierenden Politik den Rücken kehren? Warum nicht seiner parasitären Gattin die Scheidungsurkunde ausstellen? Sich ins ferne Achaia retirieren?
    Für die Zukunft seines Sohnes hatte er all dies zweifelsohne nicht zu ertragen!


    Die Situation offerierte indessen nicht jene vernünftige Replik, denn ehe Manius Minor auch nur ein Wort zu sprechen vermochte, sprang Manius Maior, erregt von gleißendem Selbsthass auf und griff nach dem Dolch, mit welchem seine Mutter sich den Tod hatte gegeben, sodass der Jüngling furchtsam sich gegen die Lehne seines Stuhles presste und bereits erwog, sich den geschwungenen ägyptischen Dolch Minervinas zu greifen, um den erwarteten Angriff seines rasenden Vaters zu parieren.
    Doch anstatt die Klinge gegen ihn zu richten, bot sein Vater ihm die Waffe gleich einem Kapitulanten dar, was jener endlosen Kette der Irritationen jenes Zwiegespräches eine weitere addierte, verbunden mit einer überaus diffizilen Frage:
    'Ist dies die beste Entscheidung gegen das meine und für das Wohl der Familie!?'
    In jenem Wahn, welcher seinen Vater hatte erfasst, erschien die Option des Selbstmordes überaus realistisch, welche augenscheinlich nun von der Replik des Sohnes abhing.
    Manius Minor stutzte. Wollte er seinen Vater, jene armselige Kreatur, die sich durch leere Meinungen und selbstgeschaffene Konstriktionen Tag um Tag aufs Neue torquierte und dazu seinem Umfeld similäre Lasten aufbürdete, unter den Toten wissen? Hatte er nicht schon vor einigen Jahren bereits jenen Tod für sich erklärt? Machte das Verscheiden seines Vaters nicht den Weg frei für die Manumissio seines geliebten Patrokolos, welche in Alexandreia er hatte geschworen? Wäre es nicht somit langfristig die größte Minimierung seiner eigenen Schmerzen wie der seines Vaters?
    Alles schien ein dergestaltes Todesurteil als weiseste Entscheidung zu empfehlen.
    Und doch vermochte der Jüngling nicht, die Worte zu sprechen und seinen eigenen Vater in den Tod zu schicken; abhorreszierte er vor der Perspektive, mit eigenen Augen anzuschauen, wie sein Vater sich den Dolch in den Leib rammte und gleich jenem miserablen Sklaven, dessen Todes Zeuge er kürzlich noch in Populonia geworden war, elendiglich seinen Geist aushauchte.
    Sichtlich rang er mit sich, öffnete mehrfach den Mund, um das Verdikt zu sprechen.
    Doch versagte ihm die Stimme, schlossen sich seine Lippen stets aufs Neue stumm. War er selbst ein similärer Feigling wie sein Vater? Brachte auch er den Mut nicht auf, das Beste für sich und seine Anverwandten zu wählen und Titus vor den Klauen der aurelischen Natter zu retten?
    Ärger keimte in ihm auf ob jener Inkapabilität, welche Manius Maior durch seine maliziöse Offerte so schonungslos offenbarte. Warum vermochte er den finalen Schritt nicht zu gehen? Warum iterierte sich jene Niederlage, welche schon vor einem Jahr sich hatte ereignet? Warum gelang es seinem Vater stets aufs Neue, ihm die Grenzen seiner Überzeugungen aufzuzeigen? Waren dies nicht überaus ungerechte Alternativen, vor die er gestellt wurde? Gänzlicher Ausstoß oder völlige Unterwerfung. Leben oder Tod. Vater oder Familie. Waren dies nicht melodramatische Hyperbeln ohne Bezug zu den realen Optionen des Lebens? Zielten dergestalte Worte nicht lediglich darauf, den jungen Flavius bei der Stange zu halten und ihm jene Furcht zu bereiten, die ihn vor allzu konsequentem Handeln zurückschrecken ließ?
    Dies war ungerecht!
    "Was wünscht du zu hören? Dass dein treuloser Sohn seinem eigenen Vater den Tod empfiehlt und dein Selbstmitleid konfirmiert? Dass er um dein Leben fleht und seine Rückkehr auf den Weg der leeren Meinungen offeriert?"
    Heftiger Zorn ergriff nun auch den jungen Gracchen, da er mehr und mehr zu der Einsicht gelangte, dass all dies nichts war als eine perfide Strategie, ihn aufs Neue zum Gehorsam zu bewegen. Er beugte sich vor und schlug seinem Vater mit einer raschen Bewegung den Dolch aus der Hand, nicht ohne sich an der pointierten Spitze der Waffe den Digitus salutaris aufzureißen.
    Doch verspürte er dank Opium und Erregung kaum einen Schmerz, während die Waffe klirrend auf den Mosaikboden fiel.
    "Mir ist es gleich, ob du in den Tod fliehst oder nicht! Erstich dich, stürze dich in dein Schwert oder suhle dich weiter in deinen selbstgewählten Leiden!"

    Ein wenig unschlüssig erschienen Aquilianus und Carbonius, als Peticus so despektierliche Worte an sie richtete, deren Spruchrichtung eher dem kaiserlichen Procurator zuneigte, während der Inhalt augenscheinlich sich eher auf die Position des Minenbesitzers bezog. Letzterer und somit Carbonius war es auch, der sich endlich entschied, sich als Objekt jener Schmähungen zu verstehen, was seinen Zorn lediglich aggravierte. Obschon er mit seiner defizitären Rasur und dem Schmerbauch nämlich keinen sonderlich aristokratischen Anblick bot, so war er es doch gewohnt, als Herr über ein Heer von Sklaven und reputierlicher Geschäftsmann geachtet zu werden, sodass er von einem jungen Miles keineswegs er sich coram publico dem Spotte ergeben wollte:
    "Was sagst du da?"
    Sein Gesicht rötete sich vor Zorn, als der Germanicus sich schlicht abwandte und das Pferd bestieg, das der Sklave soeben noch zu entführen sich gemüht hatte.
    Manius Minor hingegen observierte die Szenerie mit wachsender Konfusion, da niemals er eine derart prätentiöse Gestalt hatte betrachtet, die erstlich einen Sklaven niederstreckte, als sei er ein lästiges Insekt, und sodann einem kaiserlichen Publicanus sein Ableben nahelegte, weil diesem ein einzelner Sklave war entschlüpft. Die Klimax jener Unverfrorenheiten war es hingegen, als Peticus hoch zu Ross, sodass der Flavius zu Fuß ob seiner mäßigen Körpergröße den Kopf in den Nacken zu legen genötigt war, den kaiserlichen Procurator Metallarum als Trottel titulierte, während selbiger nur einige Schritte entfernt stand. Im selben Atemzug hingegen deklarierte er sämtliche Sklaven als obsolet, was den Jüngling einen vielsagenden Blick mit seinem geliebten Leibsklaven Patrokolos ließ tauschen.
    "Du-"
    Noch immer perturbierte ihn die Vielzahl jener Impressionen, begonnen bei den zermalmten Kadavern in der Leichengrube über jenen erschröcklichen Fluchtversuch bis hin zur Ignoranz dieses impertinenten Soldaten.
    "Du kannst absteigen. Unser Programm wird sich lediglich hier zutragen."
    , erklärte er endlich in der Hoffnung, jener Situation zumindest dadurch die Schärfe ein wenig zu nehmen, dass der Germanicus nicht ihre beiden honorablen Gastgeber auch im physischen Sinne von oben herab ansprach.


    Carbonius hatte sich hingegen augenscheinlich zu einer Reaktion entschieden (oder hatte das Schmähwort "Trottel" ihm den Rest gegeben?) und war neuerlich an den jungen Flavius und seinen berittenen Trabanten herangetreten.
    "Hör mal, Bürschchen! Du wirst mir den Sklaven ersetzen!"
    "Und du wirst dich bei Carbonius hier sofort entschuldigen."
    , fügte Aquilianus, der kaiserliche Procurator, hinzu. Auch er schien nicht sonderlich angetan von dem insubordinativen Verhalten jenes Eskorten-Soldaten, dessen Offizier augenscheinlich absent war.

    Mitnichten war dem jungen Flavius jener Aufschrei entfleucht, den Peticus hatte vernommen, obschon jener Augenschlag des Schreckens zweifelsohne auch ihm einen solchen hätte entlocken können. Gebannt verfolgte der Jüngling, wie die zwei der Aufseher zu Fuß die Verfolgung seines Rosses aufnahmen und, horribile dictu, selbiges in der Tat einholten, was zweifelsohne den miserablen equestrischen Qualitäten des flüchtigen Sklaven war geschuldet, dessen Kapazitäten, wie nicht viel später darauf würde zu erkennen sein, auf anderem Felde lagen.


    Indessen gelang es den Aufsehern nicht lediglich, den Flüchtigen zu stellen, sondern ihn gar, beständig seinen Hieben und hektischen Tritten ausweichend, aus dem Sattel rissen, sodass er im hohen Bogen in einen am Wegesrand befindlichen Heuhaufen, welcher dort zur Speisung der Zugochsen war positioniert, stürzte. Deplorablerweise fand sich inmitten von diesem auch eine Heugabel, nach welcher der Sklave nunmehrig griff, um dem Schicksal neuerlicher Gefangenschaft doch noch zu entgehen.


    Nun erst registrierte Manius Minor den Germanicus, welcher seinerseits sich der Szenerie näherte, ja geradezu gleich einer unaufhaltsamen Lawine heranrollte. Und gleich seinem metaphorischen Bilde stieß er achtlos jene lauernden Supervisoren beiseite, welche ihren Fang soeben noch ein wenig unschlüssig belagert hatten. Der Miles hingegen präsentierte sich als Mann der Tat statt des Wortes und initiierte ein Gefecht größter Vehemenz. Obschon der Sklave einiges Geschick zum Besten und kundig zahllose Schläge des germanicischen Gladius parierte, so erwies doch spätestens die inferiore Qualität seiner zweifelsohne morschen Waffe ihn als den Unterlegenen, als die Klinge des Schwertes nicht lediglich einen jener sich verjüngenden Zinken, sondern zuletzt gar den Schaft entzwei hackte.
    Gebannt verfolgte der junge Flavius jenes Duell, welches allzu große Parallelen mit einem Gladiatorenkampf aufwies, zumal die Bewaffnung des Gladiusträger gegen die Stange exakt der klassischen Paarung eines Murmillo gegen einen Retiarius entsprach (obschon der Sklave selbstredend kein Netz, ja noch nicht einmal einen Dreizack sein Eigen nennen konnte). Jene Similität indessen ließ Manius Minor rasch die Unterlegenheit des überaus defensiv und unbeweglich fechtenden Sklaven erkennen, welchen zuletzt sein Schicksal ereilte: Bar jeder Gnade rammte der Germanicus sein Schwert in den Leib des nackten Sklaven, um sodann voller Kaltblütigkeit sich abzuwenden.


    Nun erst löste sich der Stupor des Publikums und alles strömte zu jenem Heuhaufen, in dem jener Sklave lag, der soeben noch einen Tropfen des Trunkes der Freiheit hatte gekostet und nunmehr gurgelnd an seinem eigenen Blut erstickte. Auch Manius Minor schritt mechanisch auf die Szenerie zu, den Blick starr auf den von scharlachrotem Blut gezierten, im Todeskampf zuckenden Leib gerichtet, dessen gräueliches Dahinscheiden keine philosophische Theorie von Ataraxie und Atomismus zu beschönigen vermochte. Erst Peticus' Anrede richtete seine Appetenz somit weg von jenem degoutierlichen Anblick und hin auf den augenscheinlich unbeeindruckten Miles vor ihm. Das soeben Erlebte hatte ihn erblassen lassen und noch immer waren Schreck und Abscheu ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, als er erwiderte:
    "Mir scheint, ich war zu keinem Zeitpunkt in Gefahr."
    Nicht selten eskortierten Custodes Corporis die flavischen Herrschaften durch die insonderheit nächtens überaus gefährlichen Straßen Roms. Dennoch war der Jüngling niemals Zeuge eines Kampfes geworden, hatte der Kampf auf Leben und Tod nur in der Ferne der Arena sich abgespielt, wo er seltsam distanziert, ja geradehin irreal erschien. Jener Germanicus war der erste, welcher für ihn die Klinge hatte gekreuzt, obschon es ihm keineswegs notwenig war erschienen, da der Sklave ja nicht den Tod seiner Herren, sondern unzweideutig die Freiheit im Sinne gehabt hatte, was die Gefühle des Manius Minors gegen den Germanicus zwischen Anerkennung ob jenes Mutes und Abscheu ob jener mörderischen Routiniertheit ließ schwanken.
    Ehe er hingegen ein weiteres Wort zu sprechen vermochte, traten auch Carbonius, der Besitzer der Mine, und Aquilianus, der kaiserliche Procurator, hinzu.:
    "Blitzschnell reagiert! Ein guter Kampf!"
    , kommentierte Aquilianus, während Carbonius verärgert dreinblickte:
    "Meine Jungs hatten alles im Griff? Was hast du meinen Sklaven abgestochen?"

    Jenes offendierte Gehabe, mit welchem Manius Maior auf seine Frage reagierte, vermochte das Misstrauen Manius Minors kaum zu beschwichtigen, zumal seine Worte unfreiwilliger Komik nicht entbehrten: 'nicht im selben Maße gefördert und geliebt habe wie dich'! Mitnichten erschien es dem jungen Flavius imaginabel, vom eigenen Vater mit größerer Distanz, ja Ignoranz gestraft zu werden. Mitnichten ließ sich ein schändlicheres Zeugnis paternaler Liebe ausstellen, als wenn ein Vater seine Primogenitur, einen hilflosen Knaben inmitten des Krieges zurückließ, formal im Schutze einer ganzen Legion, doch real in sozialer Isolation und torquierlicher Furcht, welche die Präsenz eines fieberkrank halluzinierenden Oheims keineswegs milderte! Mitnichten war indessen auch von einer Förderung zu sprechen, wenn jener ferne, lieblose Vater seinen Sohn bar jedweder diesbezüglichen, wahrhaften Äußerung von Interesse zu einem Jungpolitiker ließ dressieren, um endlich ihn aus Furcht vor der Konfrontation mit seiner neuen Herrin, jener aurelischen Natter, unter dem Vorwand der Bildung ans andere Ende des Imperiums zu transferieren!
    Die neuerliche Erwähnung Minervinas, jener Tante, deren Bekanntschaft weder Manius Minor, noch Flamma oder Titus jemals hatten gemacht, konfirmierte final und mit größter Klarität, dass seine Worte doch der Wahrheit entsprachen, wenn auch in einem gänzlich unintendierten Sinne: Mehr als das Verscheiden seines eigen Fleisches und Blutes, jener Grazie, deren Tod erst so wenige Monate zurücklag, grämte ihn das Hinscheiden seiner längst verblichenen Schwester, deren Leib nach nunmehr beinahe zwei Dezennien zweifelsohne bereits zur Gänze in seine Atome war zerfallen!
    Augenscheinlich hatte sein Vater Flamma mit noch größerer Missachtung gestraft, als dies bei ihm der Fall war gewesen, hatte er sie durch beständige Zurücksetzung in jenen Wahn getrieben, aus dem lediglich der Selbstmord als Fluchtweg war erschienen. Oder hatte nicht doch auch Aurelia Prisca Anteil an jener deplorablen Geschichte? Hatte sie ihn derartig okkupiert, dass weder die naive Mühe auf Aufmerksamkeit, noch ihr flehendes Bitten um Zuwendung nach dem Tode ihrer Mutter zu ihm war durchgedrungen? War es somit womöglich gar nicht vonnöten gewesen, sie ermorden zu lassen? Hatte es der Natter genügt, jenes einsame Mägdlein schlicht aus Roma zu verjagen, um ihre psychische Stabilität gänzlich zu annihilieren?


    Der flavische Jüngling sog vernehmlich Luft ein, als vermöge ein Mehr an Luft die Geister des Opiums zu vertreiben und seine schwere Zunge zu reanimieren. Behäbig lehnte er sich in seinem Sitzmöbel zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete jenes von Autocompassion zerfressene Häuflein Elend auf der anderen Seite des Tisches despektierlich:
    "Womöglich hättest du dich daran erinnern sollen, welcher Familie primär du verpflichtet bist."
    Er kniff die Augen zusammen, was seinen Blick noch hostiler ließ erscheinen, obschon jener Gestus lediglich dazu diente, seine vom Thanatos-Saft erschlafften Sehnerven zu aktivieren.
    "Womöglich hättest du bei jenen 'besten Entscheidungen für diese Familie' bei dir selbst beginnen und dir nicht jene Natter ins Haus holen sollen, welche dich augenscheinlich dergestalt okkupiert, dass du nicht einmal mehr das Leiden deiner eigenen Tochter zu bemerken imstande bist!"
    Mit beachtlicher Schnelligkeit spie der soeben noch erschlaffte Mund jene bitteren Akkusationen dem paternalen Angesicht entgegen, nachdem Morpheus den Geist des Jünglings endgültig von den Fesseln der Furcht wie der Courtoisie hatte priviert:
    "Womöglich hättest du dein eigenes Wohl nicht mit dem der gesamten Familie inklusive deiner eigenen Kinder verwechseln sollen!"
    Höchst unepikureisch mochten jene Worte zweifelsohne sein. Doch appellierte der ungezügelte Geist des Opiaten im Angesicht jener grässlichen Situation an weitaus tiefer liegende Emotionen, als jedwedes Philosophieren zu annihilieren imstande gewesen wäre!

    Der junge Flavius legte die Stirne in Falten, während aufs Neue ihn ein Schub der Wirkung des Opiums überfiel und ihm die Konzentration raubte, obschon er zutiefst sich wünschte, seine Sinne in jener verworrenen Situation zu kontrollieren. Unerwartet hatte seine Schwester der Urbs den Rücken gekehrt, augenscheinlich einen Irreales vorwendend, da doch sie in höchster Begierde war gestanden, ihren Platz in der Familia Flavia Romae endlich einzunehmen und auf diese oder jene Weise der törichten Imagination von Familienruhm zu dienen. Was also hätte sie von ihrer Pflicht abhold zu machen vermocht als ihre neue Cohabitantin, die doch just in jenem Sommer den Ehebund mit Manius Maior hatte geschlossen und wohl mit ihrer Tyrannis in der Villa Flavia Felix dem zartesten Flämmchen seiner Familia das Leben zum Orcus gemacht?
    Mit den Finger massierte er sich Nasenwurzel und Überaugenwülste, um sich von jenem unwillkommenen Schweben zu befreien und seinen Geist auf jene Situation hin zu erden, in welcher soeben er sich befand.
    Sciurus also hatte den Casus geprüft; jene sinistre Figur, welcher dem jungen Flavius stets überaus suspekt war gewesen, da er doch stets weitaus mehr Zeit mit Manius Maior hatte verbracht, als Manius Minor jemals zu hoffen hatte wagen dürfen. Niemals hatte der Jüngling Zugang zu diesem Ianitor am paternalen Officium gewonnen, der doch allzu oft in Kindertagen ihm den Zugang seinem stets überaus okkupierten Vater zu verwehren. Insofern verspürte er wenig Zuneigung zu diesem paternalen Schatten, der zweifelsohne nur zufällig diesem Dialoge nicht beiwohnte, und schon erwachte in ihm der Verdacht, dass er, welcher zweifelsohne von hoher Intelligenz und messerscharfem Sinn für die Macht begabt war, den neuen Potentaten im Hause hatte erkannt und sich seinem servilen Geist gemäß auf die Seite der Natter geschlagen!


    Doch verpufften all jene Hypothesen über Mordkomplotte und Conjurationen, als schlussendlich der ältere Gracchus höchstselbst eine Erklärung darbot, welche sämtliche Schuld ihm selbst zuwies.
    Irritiert blickte der Jüngling auf und fixierte seinen Vater voller Misstrauen:
    "Was hast du ihr angetan?"
    Hatte er sie genötigt, wie er vielmals es hatte in Aussicht gestellt, dem Ordo Vestalium beizutreten und ihr gesamtes Leben jene imaginierten Götter zu verehren, die als grausames Opfer ihrer Diener jedwede Entsagung von fleischlichen Lustbarkeiten verlangten? Überaus komprehensabel erschien es Manius Minor nun, da er die geschlechtlichen Freuden hatte entdeckt, dass ein junges Mägdlein von der Schönheit, wie seine Schwester sie hatte besessen, jene Perspektive zutiefst vergrämte! Oder hatte womöglich doch Aurelia ihrem Gatten eine alternative Diabolität eingegeben, um sie in den Tod zu treiben?

    Quintus Flavius Catus Atilianus, Villa Flavia Felix - Roma


    M' Fluvius Gracilis XXvir stlitibus iudicandis Q Flavio Catoni Atiliano s.d.


    Es ist mir eine unerquickliche Pflicht dich in Kenntnis zu setzen, dass nach deiner Mutter nun auch dein geliebter Vater Lucius Flavius Furianus ins Elysium gegangen ist. Zweifelsohne mag dies dir zu großem Schmerz gereichen, doch entspricht es den Obliegenheiten meines Amtes, dich in jener Zeit der Trauer mit den Formalitäten des Zeitlichen zu disturbieren.


    Nach dem Versterben des eingesetzten Testamentsvollstreckers Aulus Flavius Piso möchte ich dir anbieten, könnte, da du als sein Sohn nicht in dem aufgerichteten Testament erwähnt bist, die Noterbfolge einfordern und dann als Intestaterbfolge das Erbe deines Vaters antreten.
    Ich bitte dich daher, mich durch ein Schreiben an mein Officium in der Basilica Ulpia bis ANTE DIEM VIII KAL IAN DCCCLXVII A.U.C. (25.12.2016/113 n.Chr.) darüber in Kenntnis zu setzen, ob du geneigt bist dein Erbe einzufordern. Solltest du dein Erbe nicht antreten, fällt es dem Wohnsitz des Verstorbenen zu.


    In deiner schweren Stunde möge dich dessenungeachtet jene Weisheit des Philosophen Tullius Cicero aufrichten und im Angesicht des Verlustes beider Eltern binnen eines Jahres versuchen, mit ihr ein wenig Trost zu spenden:


    Der Tod ist Ruhe von Mühe und Elend.


    In großer Anteilnahme:


    M' Fluvius Gracilis Minor

    DECEMVIR LITIBUS IUDICANDIS - CURSUS HONORUM


    Die Imagination seiner Schwester, die entflammt von Thanatophilie sich selbst einen similären Dolch wie jene, welche Manius Maior ihm soeben hatte präsentiert, in den wohlgeformten Busen trieb, erschien Manius Minor überaus abwegig, zumal sie die Frage evozierte, ob solch ein zartes Wesen wie sie es gewesen war überhaupt die Kraft mochte aufbringen, sich den Brustkorb mit einer Klinge zu durchstoßen. Nun, da die Weise ihres Verscheidens war offenbar, hielt er den Tod durch Gift doch für die weitaus adäquatere feminine Todesart!


    Überaus dubios war darüber hinaus das Fehlen des Corpus Delicti ebenso wie das umstandslose Vernichten sämtlicher physischer Beweise, das der ältere Gracche freiheraus gestand, noch ehe der Jüngling diesbezüglich sich hatte erkundigt, sodass es geradehin den Anschein erweckte, jener wolle jedwede Possibilität zur Verifizierung seiner Konfessionen bereits von vornherein exkludieren, was wiederum den Verdacht nährte, sein Vater habe Kenntnis von den Irregularitäten jenes mysteriösen Todesfalles und sekundierte seiner natterngleichen Gattin bei deren Vertuschung, was jedoch eine noch größere Monströsität ankündigte als der Mord selbst. Dennoch wollte der Jüngling so weit als möglich weitere Indizien sammeln, ehe er eine Reaktion erwägen mochte:
    "Warum gab sie sich selbst den Tod?"
    Sichtlich erregten jene erschröcklichen Hypothesen und Befürchtungen, sodass seine Atemfrequenz wie seine Stimme zu beben begann:
    "Existieren Zeugen oder Assistenten jener Tat? Wann erlangtest du Kenntnis von ihr? Warum hielt keiner sie zurück?"
    Er stockte.
    "Inwiefern ist eine Fremdeinwirkung mit Gewissheit zu exkludieren?"

    Kurze Zeit darauf legte der junge Flavius seine Paenula ab, nachdem er den Produktionsraum betrat, in welchem die zahlreichen Öfen die Luft just an jener Stelle erhitzten, wo die Suppostores die Schrötlinge aus Hitze zogen und auf dem Amboss fixierten, während die Malliatores mit heftigen Schlägen das Stempelbild in das erhitzte Metall rammten. Allein der Anblick der glänzenden Leiber evozierte bei dem Jüngling wie stets ein Gefühl der Erschöpfung, doch auch gewisse Admiration angesichts der muskelgestählten Körper, trotz des Schmutzes und der Rauhheit mehr dem Anblick eines Adonis similär als der feiste, wohlgepflegte Leib des jungen Flavius. Obschon es weder im Sinne seines philosophischen Idols konnte sein, sich ob seiner Deformität zu grämen, und obschon in Relation zu den Umständen in Alexandreia in diesen Gestaden nur geringer Wert auf visuelle Makellosigkeit wurde gelegt, fühlte er sich ein wenig beschämt angesichts seiner Inkapabilität, auch nur ein wenig sich dem Athletischen zu approximieren.


    Doch ehe er kapabel war, weiter über jene Äußerlichkeiten zu philosophieren, erreichte ihn Heracles, der dem Usus gemäß ihm Bericht zu erstatten hatte:
    "Ah, Flavius, da bist du ja! Wie du gesehen hast, sind die nächsten Bronze-Lieferungen gerade eben angekommen!"
    Der junge Flavius nickte, bekümmerte sich jedoch nicht weiter mit dem Gesehenen, sondern wandte sich sogleich dem eigenen Anlass seines Besuches zu, um diesen möglichst baldig zum Abschluss bringen zu können:
    "Wie ist der Status der Produktion?"
    "Momentan prägen wir den Semis. Das müsste allerdings bald abgeschlossen sein. Es ist ja nur eine kleinere Serie."
    Der Jüngling memorierte, dass bei den Disputationen über Produktionsvolumen und -folgen der Bedarf staatlicher Expendituren eine signifikante Rolle hatte gespielt und, da der Sold der Truppen ebenso wie Entlassungsgelder und dergleichen zumeist in runden Sesterzen-Beträgen wurden extradiert, waren Dupondien, Asse und Semites lediglich in kleineren Tranchen erforderlich. Wäre er ein ambitionierterer Nachwuchspolitiker gewesen, welcher sich am Ende einer fulminanten Karriere gesehen hätte, wäre es wohl erforderlich gewesen, den flavischen Caduceus auf den Sestertius zu prägen, anstatt die Handmünze des gemeinen Pöbels mit ihr zu zieren.


    Gedankenverloren schlenderte Manius Minor zur ersten der Produktionsstationen. Kaum vermochte er die einzelnen Handgriffe, mit welchem die Sklaven in beständiger Routine ein Metall nach dem anderen prägten, zu differenzieren, so rasch holten die Zangenträger die zischende Bronze aus der Glut und verbargen sie sogleich unter dem Stempel, woraufhin auch bereits die Hämmer niedersausten und jenes heftige Klirren evozierten, welches den Jüngling mal und mal zusammenzucken ließ, ehe das fertige Produkt in einem Wassereimer wurde gekühlt und endlich in eine Kiste geworfen.
    Bedächtig beugte sich der Tresvir hinab und ergriff eine der noch warmen, frisch kreierten Münze und hielt es nach oben. Selbstredend vermochte er nicht die feinen Linien, mit welchem das imperiale Profil samt Titulatur in das kupferrote Metall war geschnitten, zu differenzieren, doch rezipierten doch seine geübten Finger in haptischer Weise das Gepräge sanft, fuhren über Buchstaben und das recht simple Bild des Caduceus auf dem Revers. Unvermittelt ertastete er mit seinem rechten Daumen den Karneol seines Siegelringes, den ein similäres Muster zierte. Diese Münzen mochten der Abschiedsgruß der Flavii Gracchi für das Staatswesen sein, da doch die Absenz seines Bruders und die erschröckliche Macht seiner Stiefmutter, jener unalteriert natternhaften Aurelia, es implausibel ließen erscheinen, dass ein Spross jenes einstmals so stolzen, arroganten Stammes, jemals wieder ein öffentliches Amt bekleidete. Ein wenig mochte es schmerzen, jene Perspektive, die seine gesamte Adoleszenz hatte bestimmt, die jedes Wort und jede Okkupation schon seit er sich auf zwei Beinen zu halten vermocht hatte prägte, schlicht hinter sich zu lassen und damit die Expektanzen sämtlicher Anverwandten, Freunde und Bekannten zu frustrieren. Selbst wenn er sich explizierte, dass jene Erwartungen und Träume nichts als leere Meinungen waren, vergiftete Donationen, die ihn lediglich in immer größere Misfortune, immer quälendere Gier und somit zwangsläufig in stets brennenderen Schmerz zu stürzen geeignet waren, so war auch der Abschied von jenen bis vor wenigen Jahren unhinterfragten Evidenzen nicht ohne ein gewisses Maß an Trauer zu akzeptieren. Denn obschon sein Intellekt gleich einem sommerlichen Himmel über Roma ihm klar vor Augen führte, dass all seine Edukatoren und Familiaren tragische Opfer jener wohltradierten Nihilitäten waren, so war doch jene emotionale Neigung hin zur Schar seiner Ammen, zu einem strahlenden Onkel Aristides, einem launigen Onkel Piso, einer ehrfurchtgebietenden Tante Agrippina, einem weisen Paedagogus Artaxias, einem beredsamen Quinctius Rhetor wie nicht zuletzt einer geliebten Mutter und selbst zu einem stets distanzierten, doch in Wahrheit ebenso verehrten Manius Flavius Gracchus Maior nicht schlichtweg hinfortzuwischen.


    Ehe ihn indessen jene Melancholie in höherem Maße erfasste, öffnete er die Hand aufs Neue, woraufhin die Münze jenem Kurs folgte, welchen das natürliche Streben der Atome ihr prädisponierte, sodass mit einem sanften Klirren die Kupfer- und Zinn-Atome, welche in der metallischen Materie durch Schlagen und Kochen in ihre Form waren gepresst worden, auf ihre Duplikate in der Kiste stießen. Diese Münzen waren nichts als akzidentielle Atomhaufen, wie auch seine eigene Materie, sein Geist und ebenso jene wunderliche Adhärenz an einem Familie, mit welcher er nichts teilte als zufällige Kommunitäten in Gestalt und Namen. Er dachte zurück an die Schar der Myrmidonen, welche ihn in weitaus höherem Maße mit Akzeptanz und echtem Interesse hatte bedacht, an die vergnüglichen Abende im Hause des Dionysios, die nichts waren als eine Antithese zu den steifen Diners in der Villa Flavia Felix, wo die eigenen Wünsche, Interessen und Bedürfnisse stets nur in jenem Maße zu verbalisieren waren gestattet, in welchem sie in das Prokrustesbett jener kontingenten aristokratischen Wohlanständigkeiten sich fügten.
    Er war kein Flavius! Er war ein Epicureicus!


    Dennoch war er genötigt, jenes Versteckspiel noch einige Tage zu prolongieren, sodass er mit einem Seufzen endlich sich umwandte und Heracles fixierte.
    "Sind die Prägungen adäquat ausgefallen?"
    "Gestern hatten wir einige Probleme mit dem Metall für Stempel mit dem Kaiserbild. Das führte zu einem leichten Stocken der Produktion."
    Für einen motivierten Beamten hätte jene Information womöglich das Interesse geweckt, genauer zu inquirieren, doch Manius Minor, soeben noch konfirmiert in seinem exitualen Vorsatz, gab es keinen Anlass, sich näher mit dergestalten Nihilitäten zu befassen, sodass er schwieg.
    Heracles holte schließlich ungefragt eine Münze hervor und reichte sie an Patrokolos weiter, der sie genauer inspizierte (augenscheinlich hatte der gewitzte Exactor bereits erkannt, dass der junge Tresvir sämtliche visuell zu prüfenden Artefakte seinem Leibsklaven überließ und sich diesbezüglich eingestellt). Dazu begann er weiter zu erklären:
    "Die Stempel haben sich sehr schnell abgenutzt, sodass manche Münzen neu gemacht wurden. Ich habe entschieden, sie bis zu diesem Zustand noch zu akzeptieren."
    Der Sklave betrachtete das Objekt in seinen Händen genau, nickte schließlich und reichte es seinem Herrn, der selbiges fahrig ertastete, dabei die geringere Tiefe der Prägungen im Kontrast zur vorherigen Münze deutlich notifizierte, sie sodann jedoch eilig an den Optio Monetalis zurückreichte.
    "Dies erscheint akzeptabel."
    Konträr zu seinen gefährlichen, emotionalen Anhänglichkeiten an die leeren Meinungen, welche er doch längst hatte überwunden!

    Nachdem die Tresviri ihre Konzepte an Münzbildern dem Princeps in Modellen hatten präsentiert, war die Produktion vorangeschritten. Deplorablerweise hatte sich hierbei indessen jene Entwürfe, welche die Enweihung des Ulpianums wie auch die Divination des Valerianus thematisierten, ihre Aktualität noch gar nicht erreicht, als die ersten Produkte waren zur Ausgabe parat. Different hingegen gestaltete sich die Lage hinsichtlich des Kupfergeldes, welche dank der Umsicht des jungen Flavius (respektive dank seines politischen Desinteresses) keinerlei konkrete Bezüge aufwiesen und somit auch allgemeiner Utilität sich erfreuten.


    In Absprache mit dem Exactor Heracles hatte man somit beschieden, die Denare und Aurei vorerst nur in allernotwendigster Menge zu prägen und stattdessen, soweit dies kommerziell noch profitabel erschien, den Buntmetallen den Vorzug zu geben. Dies hingegen hatte zur Folge, dass Manius Minor in weitaus größerem Maße als seine Amtskollegen war genötigt, die Prägungen zu kontrollieren und somit auch in regulären Intervallen persönlich die Produktion zu visitieren.


    Somit musste Manius Minor auch heute sich in das Castellum, wie er jenes Bauwerk stets nannte, begeben. Wie gewöhnlich bereitete ihm das Schließen des Tores und die intensive militärische Präsenz hinter diesem einiges Unbehagen, zumal die Düsternis jener Jahreszeit die Tristesse und Missträulichkeit jener Stätte untermauerte. Im Hof war soeben eine Ladung Schrötlinge angekommen, weshalb emsige Sklaven unter den Argusaugen einer Schar von Milites der Cohortes Urbanae Kisten von einem Karren hievten, um sie sogleich in die Schatzkammern in den Katakomben jener Einrichtung zu transportieren. Aus der Produktionshalle im Fond des Komplexes war dagegen bereits das Schallen der Hämmer zu vernehmen, die in stupender Velozität aus jenen nüchternen Bronzeklumpen, die soeben noch angeliefert wurden, eine stabile Währung, gewährt durch den Princeps, dessen Konterfrei sie fortan zierte, schufen.

    "Zweifelsohne."
    , erwiderte der Jüngling und lächelte genant und wohleingedenk seines Verrates an seinem Stand in den Augen jenes Potentaten vor ihm und ebenso jener Emporkömmlinge, die mit ihm ihren Cursus Honorum soeben hatten angetreten. Obschon ihn die leeren Meinungen jener Irrenden mitnichten hätten betrüben sollen, fühlte er sich doch nicht in der Lage, seine erschröcklichen, doch in Wahrheit weisen Pläne zu offenbaren.


    "Danke."
    , brachte endlich Baebius das Gespräch auch vonseiten der Tresviri zu einem Ende, woraufhin auch Licinius sich eilte, seiner Servilität Ausdruck zu verleihen:
    "Wir danken Dir für die Zeit, die Du erübrigen konntest."
    Manius Minor hingegen, dem es abstrus erschien, dem Imperator, dessen Münzen zu prägen ihre Obliegenheit war, dafür zu danken, ihnen ihre Entwürfe konfirmiert zu haben, vermied jene überschwänglichen Dankesbekundigungen und platzierte lediglich ein schmales:
    "Vale, Aquilius."
    Sodann retirierten sich die drei Triumvirn und eröffneten partiell (selbstredend in Enthaltung des jungen Flavius) einen lebhaften Disput, wem der Princeps durch Regungen und Kommentare nun in höherem Maße seine Gunst erwiesen hatte, kaum dass sie dem Sicht- und Hörfeld des obersten Manne im Staate waren entschwunden.

    Ein wenig erweckte jene eigenartige Halszier Remineszenzen an die Bulla, welcher Manius Minor vor Jahren bereits hatte abgelegt, obschon selbstredend die Laterne sowohl an Gewicht, als auch in ihrer Form von dem güldenen Medaillon, den Knaben in abergläubischer Attitüde zu tragen hatten differierte. Indessen erschien jener Anhänger jedoch weitaus gefährlicher, denn obschon die Flamme der Öllampe in einem hölzernen Gehäuse war fixiert, so ängstigte den Jüngling doch der Umstand, ein offenes Licht vor seiner edlen, doch zweifelsohne überaus brandfähigen Tunica zu tragen, respektive mit seinem Chlamys in jenes Feuer zu geraten und somit in Brand zu geraten.


    Jene inkommoden Gedanken wurden jedoch gestört, als mit einem Male ein Aufschrei war zu vernehmen, sodass der junge Flavius vor Schreck zusammenzuckte und panisch um sich blickte. Das Wiehern seines Pferdes, soeben noch am Zügel des Aufsehers, ließ ihn die Situation fokussieren: Auf dem Rücken des steigenden Tieres saß ein gänzlich Entblößter, augenscheinlich einer jener miserablen Sklaven, welche soeben noch Schutt aus der Mine hatten transportiert. Der Aufseher lag auf der Erde, niedergestreckt von einem blutüberströmten Stein, welcher eine Schädeldecke augenscheinlich hatte perforiert.
    "Bleib' stehen!"
    , brüllte Carbonius und hob warnend die Hände, doch selbstredend zeigte der mörderische Sklave sich kaum motiviert, von jenem augenscheinlich spontanen Plane abzulassen, dessen Umsetzung er weiter verfolgte:
    "Heia!"
    , rief er seinem Reittier mit krächzender Stimme zu, riss die Zügel herum und trieb das dickliche Tier an, seinen Weg über die Straße zu nehmen, hindurch zwischen den Baracken und den vor Erschrecken zu Salzsäulen erstarrten Arbeitern.


    Der Tresvir tat es jenen Gestalten gleich, inkapabel zu einer adäquaten Reaktion, blickte fragend in die Augen seiner Begleiter und blieb am Blick des Germanicus hängen. Zwei Aufseher eilten endlich dem Flüchtling hinterher, während das nun ebenfalls ledige Tier des Procurators nervös hin- und hertänzelte, nicht zuletzt derangiert durch den Bergwerkseigner, welcher seine Stimme wiedergefunden hatte:
    "Auf ihn!"

    Zitat

    Original von Manius Flavius Gracchus Minor
    Augenscheinlich nahm jener knappe Rapport Bezug auf frühere Vermeldungen an den Procurator, der in der Tat geschäftig nickte, doch auch der flavische Jüngling vermochte aus jenen Worten die Lage, welche inzwischen augenscheinlich weitaus besser erschien als in den Briefen in Roma, approximabel zu erfassen.
    "Also möchtest du die Mine weiter nutzen?"
    , fragte Aquilianus, woraufhin Carbonius erstarrte und damit auch das Pferd zum stehen brachte, sich zu dem Procurator umwandte und lauernd ihn fixierte.
    "Habe ich eine Wahl? Ich habe auf diese Ader gesetzt, was anderes werde ich in diesem Berg kaum finden!"
    Manius Minor gedachte der Ratschläge Epikurs: Eines Tages erwartete einen jeden, welcher den Becher der Gier ansetzte, final der bittere Grund. Carbonius' Spekulationen waren in demselben Maße gescheitert wie die Hoffnungen seines Vaters auf das Glück inmitten der Pflicht. Das öffentliche Leben bot eben doch nichts weiter als Mühsal und Frustration.


    Zitat

    Original von Nero Germanicus Peticus
    Man nährte sich der Miene, doch nichts erweckte den Anschein, als sei hier ein schrecklicher Unfall geschehen,denn noch immer war sie in Betrieb.
    Manius Minor und der Procurator ebegaben sich zur ersten Baracke, in der sich ein dicker glatzköpfiger Kerl aufhielt. Peticus folgte den beiden,zur Sicherheit.


    Ehe noch jene hochmütigen Gedanken waren vollendet, passierten sie eine Grube. In jener lagen, kreuz und quer verteilt, zahlreiche Leichen, bisweilen mit zerschmetterten Gliedern, sämtliche mit toten Augen, verklebten Bärten und ausgezehrten Leibern, deplorabel zu betrachten. Als Manius Minor sie erblickte, erweckten sie umgehend abhorreszierliche Reminiszenzen an seine Träume von jener unsäglichen Flucht, in welchen similäre Häupter zum Leben erwachten, um ihn mit sich ins Totenreich zu zerren. Rasch wandte er den Blick ab und streifte dabei den des Miles Germanicus, mit welchem er nun bereits diverse Male das Zwiegespräch gehalten hatte. Geradehin hilfesuchend fixierte er das verschwommene Antlitz jenes Jünglings, der ihn an Jahren kaum überragte, doch aus so gänzlich differentem Holz war geschnitzt als er selbst und somit ihm gewissermaßen als Schutz selbst vor den Untoten eine gewisse Hoffnung einflößte.
    Dessenungeachtet fuhr Carbonius mit seinem Bericht fort, als handele es sich bei jenen zerschlagenen Gestalten um nichts anderes als zerbrochene Werkzeuge oder geborstenes Geschirr:
    "Ich habe fast die komplette Schicht meiner Sklaven verloren. Ein Großteil wird aber auch noch vermisst. Einige Arbeiter behaupten auch, dass hinter dem Schutt noch Stimmen hört. Vielleicht sind auch ein paar verschüttet, aber ich rechne nicht mehr damit, sie lebend zu finden."
    Endlich erreichten sie den Platz vor dem Eingang der Grube, wo die Sklaven geschäftig einen Gesteinshaufen auftürmten, wie sich nun ließ erkennen, stets unter den Argusaugen von Aufsehern, welche durch das Tragen von Tunicae und das Führen von Stäben gleich denen eines centurionischen Vitis klar von den Arbeitern differierten.
    "Ich hoffe, dass nicht die gesamte Grube eingestürzt ist. Das Ding ist fast hundert Jahre alt, da würden wir eine verdammt lange Zeit graben müssen, bevor wir wieder auf die Ader stoßen."
    "Das wollen wir auch hoffen. Diese Mine war die ergiebigste in meinem gesamten Amtsbezirk."
    , fügte Aquilianus an und erwiderte den fragenden Blick des jungen Flavius.
    "Wenn ihr wollt, könnt ihr die Lage unter Tage auch direkt anschauen."
    Nach dem Anblick der zerschlagenen Leiber wankte Manius Minors Entschlossenheit, nun auch noch die Finsternis zu suchen, doch der Procurator entschied, ehe er einen Vorwand einzuwenden vermochte und nickte. Carbonius wandte sich um.
    "Lupus, komm und nimm die Pferde!"
    , rief er einen der Vorarbeiter herbei, welcher beflissen die Befehle des Publicanus befolgte, die Zügel des flavischen Rosses übernahm und damit dem Jüngling, wie gewöhnlich assistiert durch Patrokolos, den Abstieg erleichterte. Aquilianus hingegen sprang ohne Hilfe vom Pferd und so standen die drei Administratoren kurz darauf an der Pforte des Bergwerks. Carbonius griff routiniert in eine Anzahl parat stehender Lampen, illuminierte diese an einer dortig platzierten Kerze und reichte sie an Manius Minor, den Procurator und ihre Begleiter weiter. Ein wenig unschlüssig akzeptierte der junge Flavius diese, um sodann sie Patrokolos weiterzureichen.
    "Jeder sollte seine eigene Lampe nehmen! Da drin ist es ziemlich duster!"
    , intervenierte Carbonius, woraufhin er sein Leuchtmittel wieder an sich nahm, während Patrokolos sein eigenes erhielt und mit dem applizierten Lederband selbiges sich um den Hals hängte. Der Jüngling tat es ihm gleich (nun erst wurde ihm gewahr, dass auch die Arbeiter, welche den Schacht betraten, stets sich in Routine eine dergestalte Leuchte umhängten, was sie dank der Tragegestelle auf dem Rücken auch nicht sonderlich disturbierte.

    Zitat

    Original von Nero Germanicus Peticus
    Peticus , drehte leicht den Kopf und antwortete.
    "Colonia Claudia Ara Agrippinensium, wenn es beliebt, ich kenne auch Beda Victus und Augusta Treverorum."
    Nach dem er geantwortete hatte, konzentrierte er sich wieder auf den Weg und dessen Sicherung.


    "Oh, dies beliebt durchaus! Mein Onkel Flavius Aristides diente auch eine Weile in der Colonia und erlernte dort das Kriegshandwerk!"
    , erwiderte Manius Minor, der mit den übrigen Namen nichts zu verbinden vermochte.
    "Womöglich diente er sogar unter deinem Vater. Sagtest du nicht, er sei ein Offizier gewesen?
    Mein Onkel begann nämlich, dem Usus jener Zeit gemäß, als simpler Tiro und diente sodann ex caligae sich zum Offizier hinauf."

    Selbstredend memorierte er die Kriegsgeschichten seines Onkels, welche Serenus und ihn gleichermaßen während seiner Kindheit in Roma und später auf zahllosen Besuchen in Baiae in ihren Bann hatten gezogen. Und hatte ihm einstmals, als er nicht nur korporal, sondern auch philosophisch ein Knabe war gewesen, der Umstand als ein Makel gegolten, dass einer seiner Anverwandten nicht stets in führender Position dem Staate hatte gedient, so vermochte er nun, da ihm bewusst war geworden, dass lediglich leere Meinungen die Menschen nach Stand, Ordo und Rang differenzierten, dies geradezu als respektable Begebenheit zu ponderieren (obschon ihm nun ganz grundsätzlich nicht mehr einleuchtete, warum man sich dazu sollte herablassen, seine Freiheit und Lust durch Befehle oder gar die viehische Knute beschränken zu lassen).
    "Onkel Aristides focht später in Parthia."
    Nicht wenige jener hoffnungsvollen Rekruten, die sich in jene fernen Lande hatten einschiffen lassen, waren niemals zurückgekehrt, hatten den Tod oder schlimmer Verwundung und chronischen Schmerz gefunden. Dies waren die Resultate jenes giftigen Ehrgeizes, welcher einen Mann zum Krieger statt zum Philosophen machte!
    "Glaubst du, eines Tages ebenfalls an einem Feldzug partizipieren zu müssen?"

    Beinahe bis zum Ende seiner Amtszeit hatte es gedauert, bis Manius Minor doch noch war genötigt worden, einen neuen Lieferanten für die Produktion von Schrötlingen zu finden, mit welcher er heutig sich zu befassen hatte. Vor ihm saß Quintus Cocceius Vindex, welcher seinen Angaben zufolge bereits in dritter Generation eine Eisenschmelze vor den Toren Roms betrieb und dennoch sich mäßiger Latinität befleißigte, aus der überaus deutlich die gallische Deszendenz war zu erkennen:
    "Isch versische'e di', we'te' Trèsvi': Wir liefe'n stets pünktlisch und zu' vollsten Süfriden'eit unsere' Künden!"
    Dergestalte Bekundungen hatte letztlich nahezu jeder der Bewerber um die lukrativen Staatsaufträge, welche der Jüngling zu vergeben versprach (zumal sie seltenst annihiliert zu werden pflegten), weswegen sie ihm mäßig imponierten. All jene Lasten seines Amtes erschienen ihm nun, so kurz vor dem Ende seines Leidens von infiniter Schwere und Ennuyanz, sodass er neuerlich sich inständig wünschte, von jenen speichelleckeresken Zwiegesprächen so eilig als möglich priviert zu werden.
    "Wie hoch beläuft sich nun der Stückpreis?"
    "Fü' fünf'ünde't Sch'ötlingé swansig Seste'sen."
    Fragend blickte Manius Minor zu seinem Sklaven Patrokolos, welcher in ökonomischen Belangen seinem Herrn eine unersetzliche Stütze war, da selbst nach einem Jahr des Amtierens als Münzpräger dieser keinerlei Gefühl für Preise und Wertigkeiten hatte evolviert, ja nicht einmal es für notwendig hatte erachtet, sich die knappen Vorgaben, welche der Exactor Heracles ihnen hatte mitgeteilt, einzuprägen (obschon er im übrigen stets über ein exorbitant gutes Gedächtnis verfügte).
    "Dieser Preis liegt deutlich über den Preisen der laufenden Verträge. So werden wir keinesfalls einig."
    , intervenierte der Sklave nach einem langgezogenen Seufzen, da auch ihm jene Materie keinerlei Freude bereitete.
    "Isch muss auc' von etwas leben, we'te' He'!"
    "Wir vertreten die Interessen des Kaisers. Es ist eine hohe Ehre, für die kaiserliche Münze zu arbeiten! Ich schlage sieben Sesterzen für 400 As-Schrötlinge vor."
    , refutierte Patrokolos den Einwand seines Opponenten, der dennoch einen neuerlichen Versuch begann:
    "Vie'unde't? Willst dü misch verspotten? Von sö einem Lohn kann isch nischt einmal meine Sklaven finansieren!Fünfse'n Seste'sen sind mein letstes Ongebot!"
    Der junge Flavius stöhnte auf, doch erwies Patrokolos sich als unerbittlich:
    "Das wundert mich sehr. Die übrigen Verträge der Münze belaufen liegen auch deutlich niedriger."
    "Isch weiß nischt, womöglisch sind diese Böt'iebe größe' und können des'alb billischer prodüsie'en! Wi' sind ein Familienböt'ieb!"
    Manius Minor lehnte sich zurück und bestaunte die Beharrlichkeit, mit welcher sein Diener jenem Basaristen die Stirne bot:
    "Dann sollten wir möglicherweise lieber einen größeren Betrieb wählen, der uns bessere Preise bieten kann."
    Flehend erhob der Gallier die Hände.
    "Ulala, isch bitte disch! Es wird misch 'üini'en, abe' isch könnte auc' onbieten... sagen wi' swölf Seste'en?"
    Obschon der Tresvir selbst lediglich einem passiven Publikum gleich das Wortgefecht zwischen den beiden Kontrahenten verfolgte und nicht genötigt war, die Ausflüchte und Finten des Unternehmers zu parieren, welche ihm überaus absurd erschienen, da er es doch gewesen war, der einen Liefervertrag erhoffte, während Patrokolos und er keinerlei persönlichen Profit aus jenem Geschäfte zogen, ja in wenigen Tagen ohnehin jene unerfreuliche Feilscherei als Restante an ihre Amtsnachfolger übergeben mochten. Dennoch würde es womöglich jenen nobilitären Sklaven der leeren Meinungen bezüglich des unbedingten Verpflichtungscharakters politischer Obliegenheiten, die den Senat besetzten und deren Urteil Manius Maior fürchtete wie den Ratschluss seiner Götzen, zum Anlass dienen, seine Amtszeit als unvollendet zu kritisieren, weshalb er sich nicht zu entscheiden vermochte, die Verhandlungen schlicht zu prokrastinieren.


    Andererseits hingegen vermochte er kaum sich noch auf seinem Platz zu halten angesichts der Gier, in welcher jener Cocceius augenscheinlich war gefangen, stets lediglich orientiert mehr Gewinn oder Ersparnis dem unersättlichen Mammon darzubringen, um doch dadurch nur in höhere und torquierlichere Begierde nach Geld und Reichtum gezogen zu werden. Obschon sein letzter Becher Opiums nicht allzu lange zurück lag, fühlte er sich zutiefst dahin gezogen, einen weiteren Schluck von ihm zu konsumieren, anstatt sich jenem unwürdigen Schauspiel weiter auszusetzen. Indessen wäre es wohl überaus unschicklich gewesen, sich schlicht zu retirieren und diese Verhandlungen seinem Diener zu überlassen (auch dies würde ihm wohl als Pflichtvergessenheit angelastet werden). Somit blieb ihm letztlich nichts, als ihnen zügig ein Ende zu setzen:
    Stumm hob er die Hand und ließ sie, beschleunigt allein durch das natürliche Streben aller Atome gen Boden, auf den Tisch fallen, was bedingt durch das Metall seines Siegelringes einen beachtlichen Knall produzierte.
    "Wir akzeptieren deine Offerte. Zwölf Sesterzen für vierhundert Schrötlinge."
    , beschied er sodann, ehe noch Patrokolos ihn zu bremsen vermochte, obschon dieser vernehmlich Luft einsog und augenscheinlich sich zu nötigen hatte, selbige ohne die Produktion maßregelnder Worte wieder entweichen zu lassen. Das Antlitz des Galliers hingegen verzog sich zu einem Lächeln (zumindest vermutete Manius Minor, dem die Identifikation der Züge seines Opponenten in jener Distanz selbstredend verschlossen war) und mit einem gewissen Schalk in der Stimme erwiderte er:
    "Osgeseischnet! Ein fe'e' P'eis, denke isch!"
    Erst nachdem Vindex mit einem gesiegelten Liefervertrag der Villa Flavia Felix in der Tasche den Rücken kehrte, wagte es Patrokolos seinen Herrn zu ermahnen, der mit seiner Intervention eine relativ, wenn auch nicht inakzeptabel ungünstige Übereinkunft im Namen des Kaisers hatte erwirkt. Manius Minor indessen war der Tadel gleich. Denn erstlich verspürte er zu jenem Zeitpunkt bereits den vertrauten, bitteren Geschmack des Opiums auf der Zunge und zweitens würde er in wenigen Tagen ohnehin jeder Partizipation an dem ridikulösen Spiel der Macht ledig sein, sodass er weder die Ungunst des Kaisers, noch das Krakeelen eines Quaestors zu fürchten hatte.

    Schon von weitem war die Mine identifikabel, da in einem beachtlichen Radius um selbige der Pinienwald gerodet war und damit einen unverstellten Blick auf die Anlage offerierte, deren zahlreiche Baracken weitaus augenfälliger erschienen als die sinistren, von hölzernen Balken gestützten Portale in die Finsternis, in welcher für gewöhnlich ein Heer von Sklaven dem Berg das edle Metall abtrutzte.
    Doch nichts erweckte den Anschein, als sei hier ein erschröcklicher Unfall geschehen, als sei der Berg über jenem verborgenen Schatzhort zusammengebrochen und habe eine erkleckliche Zahl an Arbeitern und Sklaven unter sich begraben. Denn noch immer schleppten nackte, sehnige Gestalten Körbe und Tragen mit Material aus dem Berg, wuchteten Gesteinsbrocken auf Gesteinshügel und kehrten wieder zurück in die Finsternis.


    Als Manius Minor und der Procurator endlich an die erste Baracke gelangten, dauerte es nur einen Augenschlag, ehe ein dicklicher, mangelhaft rasierter Glatzkopf in einer schlichten Tunica herantrat, um sie zu empfangen.
    "Darf ich vorstellen? Carbonius, der Publicanus dieser Mine."
    , introduzierte ihn der Procurator.
    "Ave, Carbonius. Mein Name ist Manius Flavius Gracchus Minor, Tresvir monetalis."
    , ließ der junge Flavius vernehmen, woraufhin Aquilianus weiter explizierte:
    "Er ist hier um den Schaden an deiner Mine zu inspizieren."
    "Und das verbliebene Erz mit nach Roma zu nehmen."
    , addierte schlussendlich wieder der Jüngling und Carbonius nickte.
    "Salve, Tresvir Flavius. Willkommen in meinem Betrieb."
    Der Publicanus klang freudlos und matt, doch ergriff er beherzt die Zügel des Pferdes und übernahm bereitwillig den Strator-Dienst für den Tresvir.
    "Ich kann euch gerne die Mine zeigen. Wir haben den vorderen Teil inzwischen so weit abgestützt, dass man gefahrlos hinein gehen kann. Jetzt fangen wir an das Geröll abzutragen, um wieder an die Erzader zu kommen."
    Augenscheinlich nahm jener knappe Rapport Bezug auf frühere Vermeldungen an den Procurator, der in der Tat geschäftig nickte, doch auch der flavische Jüngling vermochte aus jenen Worten die Lage, welche inzwischen augenscheinlich weitaus besser erschien als in den Briefen in Roma, approximabel zu erfassen.
    "Also möchtest du die Mine weiter nutzen?"
    , fragte Aquilianus, woraufhin Carbonius erstarrte und damit auch das Pferd zum stehen brachte, sich zu dem Procurator umwandte und lauernd ihn fixierte.
    "Habe ich eine Wahl? Ich habe auf diese Ader gesetzt, was anderes werde ich in diesem Berg kaum finden!"
    Manius Minor gedachte der Ratschläge Epikurs: Eines Tages erwartete einen jeden, welcher den Becher der Gier ansetzte, final der bittere Grund. Carbonius' Spekulationen waren in demselben Maße gescheitert wie die Hoffnungen seines Vaters auf das Glück inmitten der Pflicht. Das öffentliche Leben bot eben doch nichts weiter als Mühsal und Frustration.

    Selbstredend hatte Manius Minor nicht erwartet, dass Manius Maior im offenbaren würde, seine Stiefmutter habe Flamma ermordet. Dennoch ponderierte er jene Information sogleich als eine Konfirmation seiner Hypothese, dass eben Aurelia die Verantwortung für jenen gräulichen Tod trug, womöglich aus weibischer Eitelkeit und Neid auf die jugendliche Grazie seiner Schwester, welche den bereits welkenden Liebreiz seiner Stiefmutter beiweitem übertraf. Denn warum hätte Flamma, die in der römischen Nobilitas mit jedwedem Vorzug aufstrahlte, den ein junges Mädchen aufzuweisen vermochte, nämlich sowohl Anmut wie Schönheit, sowohl noble Dezendenz wie wohlanständige Bildung, und sowohl einen potenten Vater wie eine zweifelsohne opulente Dos, sich das Leben nehmen sollen? Gewiss war nach dem Verscheiden seiner geliebten Mutter noch größere Last auf ihre Schultern gelegt worden, hatte sie weitaus vehementer wohl unter der Tyrannis jener Natter von Stiefmutter gelitten. Doch immerhin war sie jener nach Baiae entfleucht, hatte dort zweifelsohne die erquickliche Gesellschaft Onkel Aristides' genossen und mit den übrigen Aristokratinnen, welche dort ihre freie Zeit vor dem Eheschluss verlebten, vergnügliche Tage gehabt!
    Zweifelsohne hatte Manius Maior versäumt, auf sie zu achten, doch in einem konträren Sinne, als er in seiner geradehin närrische Obödienz seiner neuen Gattin gegenüber wohl vermeinte! Umso enervierender erschien in dieser Perspektive jedoch die infantile Superstitiosität, mit welcher er jenes Versagen fremden Mächten und irrationalen Projektionen wollte anheim stellen, anstatt den wahren Fluch der Flavia: die leeren Meinungen, welche mörderisch jeden, der sich ihnen unterwarf, früher oder später von Unlust umfingen und final hinwegrafften, zu erkennen und sich ihrer zu privieren!


    Da jene letztere paternale Narretei ihm als geübten Disputanten in epikureischen Zirkeln vertrauter erschien, begann er sarkastisch erstere zu kommentieren:
    "Sorge dich nicht: Ich werde jenen Fluch zu brechen wissen."
    Sofern er überhaupt jemals würde Nachkommen produzieren, da doch die Familie dem Epikureer wenig Lust zu bereiten vermochte und jene Agonie, welche seine eigene ihm in all den Jahren hatte bereitet, ihn ohnehin wenig motivierte, jene schmerzbeladene Tradition zu prolongieren.
    "Doch sage mir: Wie starb Flamma?"
    Durch den Schleier des Opiumrausches damalig wie heute erinnerte der Jüngling des Briefes, in welchem sein Vater die Todesumstände seiner Schwester beiläufig hatte abgetan. Nun jedoch drängte es ihn mehr zu erfahren, durch Indizien seinen Verdacht zu erhärten und sodann seine Korrektheit seinem Vater zweifelsfrei zu belegen, um ihn in Titus' Interesse von seinem Bann zu erlösen.
    "Hat sie sich ebenfalls-"
    Er stockte, als sein Geist ihm die zu jenen Worten gehörige Illustration mental materialisierte, doch würgte er die Abscheu des Bildes einer blutüberströmten Grazie hinab und fuhr fort:
    "-erdolcht? Oder nahm sie den Schierlingsbecher?"
    Er wusste nicht, welche Replik er erhoffen sollte, da doch letzteres vortrefflicher zur Hypothese des Giftmordes sich fügte, während ersteres womöglich einer perfiden Finte der Natter mochte entwachsen sein, ihren Gatten durch eine similäre Todesart wie die übrigen Flaviae in jenen Wahn zu treiben, der ihn nun tatsächlich in seinen Klauen hielt.