Beiträge von Manius Flavius Gracchus Minor

    Sim-Off:

    Zwar mag der Januar bereits geraume Zeit ins Land gegangen sein, doch nun endlich will ich doch zu meinem Gesellenstück schreiten ;)


    Der Tag war gekommen für Manius Minor, um dem Studium der Beredsamkeit den Rücken zu kehren. Mitnichten hatte er jenes Los aus freien Stücken gewählt, denn obschon er bisweilen die stilistischen Elaborationen und drögen mnemotechnischen Exerzitien als ennuyant empfand, so hatte er doch soeben erst jenen gräulichen paternalen Konflikt verwunden und ob der Destruktion seines Erbes seinen neuen Lebenssinn darin gefunden, seine Geschwister vor der Feigheit Gracchus Maiors und der Verschlagenheit seiner Stiefmutter in spe zu bewahren. Doch lediglich um nun durch ein einziges paternales Wort abserviert zu werden, um in der Peripherie des Imperiums sein Dasein zu fristen, wo ihn die Vorgänge in der Urbs mit indefiniter Dilation würden erreichen und er zu seinen einzig verbliebenen nahen Anverwandten kaum mehr würde durchdringen. Die sinistre Miene, die aus derartigen Assoziationen mit seinem Schicksal entsprang, eignete sich hingegen aufs Vortrefflichste für seine finale Präsentation in der Taberna des Quinctius Rhetor, denn ob der Aktualität des Falles hatte dieser ihm aufgetragen, eine Laudatio Funebris auf den dahingeschiedenen Princeps zu elaborieren, dessen Herrschaftszeit auf sonderbare Weise den Rahmen der Entzweiung zwischen Manius Minor und Maior bot: Sein Aufstieg im Bürgerkrieg hatte der Flucht und Exilierung aus Rom, in deren Verlauf Gracchus Maior seinen Sohn aufs Schändlichste zurückgelassen und damit den Konflikt gesät hatte, den Anlass geboten, während just zum Ende des palmanischen Lebens der endgültige Bruch war vonstatten gegangen, sodass nun der neuerlich drohende Krieg um sein Erbe geradezu prädesteniert schien, der emotionalen auch die physische Sektion als Motiv zu dienen.


    All diese deplorablen Umstände hingegen mühte sich der Jüngling beiseite zu schieben, als er, angetan mit der Toga Virilis, wie es sich für einen Adepten der Rhetorik geziemte, auf das Wort seines Magisters hin vor die versammelte Runde der Kommilitonen begab, ein letztes Mal das Arrangement seiner Rede im Geiste repetierend, um nach einem kurzen Räuspern endlich zu beginnen:
    "Ihr Söhne Roms, Freunde und Kommilitonen!
    Seit langer Zeit habe ich die Ehre, an eurer Seite die Kunst der Beredsamkeit zu studieren unter dem achtsamen Blick und dem liebenden Auge unseres geschätzten Orator Spurius Quinctius Rhetor. Aufs Vortrefflichste präpariert und kultiviert er in diesem bescheidenen Hause unsere Kompetenzen, um sie eines Tages in den Dienst unserer geliebten Res Publica zu stellen, den Cursus Honorum hinaufzueilen und zu Ruhm und Ehre zu gelangen."

    Gravitätisch blickte der junge Flavius in die versammelte Runde, welche in der Tat berufen war, in den höchsten Rängen des Imperium zu dienen, ihre Ars Oratoria auf dem Campus eines Castellum, in den Basilicae und Triclinia der Mächtigen zum Besten zu geben, wenn nicht gar, in exzeptionellem Falle wie dem seines Freundes Lucretius oder der die Schule frequentierenden Flavii die Curia Iulia mit ihren rhetorischen Effusionen zu beglücken.
    "Nun indessen finden die Tage meines Studiums ein Ende, welches deplorablerweise mit dem Ende eines großen Mannes koinzidiert, der uns allen ein strahlendes Vorbild war und sein wird, was immer wir mit unseren Qualitäten werden anstreben: Ob wir als Soldaten in den Bergen Thracias oder unter der Sonne Syrias, als Magistrate in der Curia Iulia oder als Administratoren in den Officia Roms unseren Dienst tun werden - stets werden seine Errungenschaften Maß und Vorbild unseres Handelns bleiben müssen!
    Erlaubt mir also am heutigen Tage, Euch von der Vita jener Lichtgestalt zu berichten und die Leistungen dessen zu rühmen, dem wir Frieden und Gerechtigkeit verdanken und dem Verehrung entgegen zu bringen wir schuldig sind und sein werden für seine Verdienste um die Res Publica auf ewig."

    Aufs Neue verweilte der junge Flavius einen Augenblick, bis diese Wendung seiner Rede, die nun endlich auf deren eigentliches Sujet hin führte, zugleich aber das Prooemium wie die Narratio zum Abschluss brachte, bei seinem Publikum sich gesetzt hatte, um dann aufs Neue kraftvoll einzusetzen:
    "Lasst mich euch berichten, welch eminente Anlagen und Verdienste jenen Cornelius an die Spitze unserer Res Publica brachten. Gestattet mir, jene exquisiten Tugenden und Leistungen zu erwähnen, die ihn nicht nur zum Maßstab aller Caesaren, sondern eines jeden aufrichtigen Bürgers und damit unser aller qualifizieren!"
    Eine ganze Weile hatte Manius Minor über das Arrangement seiner Rede spintisiert, hatte die diversen Partien verschoben und sich aufs Neue durch Patrokolos rezitieren lassen, ehe er endlich den Beschluss hatte gefasst, in chronologischer Weise zu verfahren, was, obschon diese Praxis nur geringe Finesse mochte belegen, einer gängigen Ordnung der Laudatio Funebris würde entsprechen und gleichsam einen natürlichen Fluss evozierte. So zumindest hoffte der junge Flavius, als er nun endlich begann:
    "Schon seine Herkunft ließ von ihm höchste Erfolge erwarten, da er doch dem ehrenwerten Geschlecht der Cornelii Lentuli entstammte, welches bereits zahllose strahlende Vorbilder hervorbrachte:"
    Emsig hatte der junge Flavius die Historie der Cornelia Gens studiert, hatte diverse Notable entdeckt und selektiert, um die vortrefflichsten unter ihnen samt ihren stupendesten Leistungen zu präsentieren, während Unrühmliches selbstredend gestrichen worden war, da einesteils dies der Intention seiner Rede zuwiderlief, andernteils aber eine Geißelung des Stammbaumes einer Kritik am verblichenen Princeps selbst gleich kam, dessen Günstlinge und Freunde noch immer an der Macht partizipierten und über das Andenken ihres Patrones mit Argusaugen wachten.
    "Man denke an Lucius Cornelius Lentulus, der das Consulat als erster seiner Ahnen errang und dessen Heldenmut im Kampf gegen die Samniten das Volk bemüßigte, ihn in höchster Not gar zum Diktator zu küren!"
    Den Umstand, dass besagter Lentulus ebenso dafür votiert hatte, im Kampf gegen die Samniten die Waffen zu strecken, verschwieg er selbstredend.
    "Ihm folgten zahllose Lentuli von similärer Qualität, welche indessen stets in den Dienst der Res Publica gestellt und rechtmäßig letztlich mit ebenso zahllosen Triumphen gewürdigt wurden: Lucius Cornelius Lentulus Caudinus bezwang die Samniten, während Rom zugleich gegen Pyrrhus focht..."
    Dass einige Jahre später ein weiterer Lucius Cornelius Lentulus genau bei jenem Caudium, welchem die Lentuli Caudini ihren Cognomen dankten, das römische Heer beschwor, unter dem samnitischen Joch hindurchzukriechen, blieb aufs neue ungenannt.
    "...sein Sohn Publius Cornelius Lentulus unterwarf die Ligurer..."
    War diesem kein Makel anzuhaften, so war der Jüngling folgend genötigt gewesen, eine ganze Reihe von Lentuli zu übergehen, da etwa der Consular Lucius Cornelius Lentulus Lupus wegen Erpressung abgeurteilt worden war, Gnaeus Cornelius Lentulus Batiatus jener deplorable Unglücksrabe gewesen war, welchem Spartacus und seine Gefährten aus der Gladiatorenschule entfleuchten, Publius Cornelius Lentulus Sura sich insonderheit als führender Kopf der Coniuratio Catilinae verdient gemacht hatte, wofür er von Cicero, dem Meister der Beredsamkeit, noch im Jahre seiner Praetur hingerichtet worden war, Publius Cornelius Lentulus Spinther schließlich im Bellum Civile nach dem Kampfe für Divus Iulius doch dem Pompeius Gefolgschaft geleistet hatte und letztlich das Exil schaute, und Lucius Cornelius Lentulus Crus endlich vornehmlich Publizität durch einen Repetundenprozess ob seiner Ausbeutung der ihm anvertrauten Provinzen gewonnen hatte.
    "...und Cossus Cornelius Lentulus die Gaetuler und Musulamier in Africa."
    , verblieb somit ein letzter Name zu nennen, obschon auch hier ein pikantes Detail, nämlich sein Übermaß an Liebe zum berauschenden Weine, keinerlei Erwähnung fand. Doch war damit wohl dem Lob der Ahnen Genüge getan, weswegen der imaginäre Manius Minor ein weiteres Gemach seiner Domus Rhetoris aufsuchte, in welchem nun endlich die Qualitäten des Princeps selbst waren verstaut:
    "Jenen Lichtgestalten erwies auch er selbst sich im höchsten Maße als würdig: Gleich einem Steinbock, der über Stock und Stein zum Gipfel des Berges hinaufspringt, so erklomm auch er flink die Höhen des Cursus Honorum, bekleidete das angesehene Amt des Quaestor Urbanus, diente als Aedilis Plebis und Praetor Peregrinus, ehe Divus Iulianus ihn der stolzen Tradition seiner Stirps gemäß mit militärischen Aufgaben betraute: An der Spitze der Legio VIII Augusta, die auch im Kampfe gegen jenen unsäglichen Usurpator Salinator fest an seiner Seite stand, warf er den Aufstand der Germanen nieder und erhielt dafür die Hasta Pura wie den Dank zahlreicher Bürger, die durch seinen Heldenmut noch heute unbescholten vom Furor Teutonicus ihrem Tagewerk nachgehen können. Doch betraute der Imperator seinen Getreuen auch mit einer weit schwierigeren Aufgabe und entsandte ihn als Legaten in die Heimat des Dionysos, des Apollon und des Orpheus. Und obschon die Thraker ein rauhes und misstrauisches Volk sind, so erfüllte er auch hier seine Obliegenheiten und leistete noch weitaus mehr, wie die große Inscriptio, welche das Volk von Thracia in der Provinzhauptstadt ihm setzte, belegt."
    Konkretionen der Leistungen in den unteren Ämtern des Cursus Honorum vermochte der Jüngling indessen nicht zu nennen, da die Res Gestae hier augenscheinlich keinerlei notable Erfolge geboten hatten, was indessen auch für seine folgende Karriere, die zwar admirabel, doch keineswegs völlig exorbitant zu bewerten war, bewies:
    "Mehr als suffizient waren seine Verdienste somit, um nach seiner Rückkehr mit dem Consulat ausgezeichnet zu werden und sofort darauf folgend als Curator Aquarum die urbane Administration zu bereichern. Auch diese Obliegenheiten im Herzen des Imperiums vollendete er mit größter Beflissenheit, sodass Divus Iulianus endlich sich entschied, ihn aufs Neue an den Rand des Imperiums zu entsenden, um dort die Grenzen Roms zu bewahren und als Legatus Augusti der Provincia Syria vorzustehen. Selbstredend bewährte er sich auch an dieser Stelle, erhielt die Hasta Pura verliehen und übertraf beinahe sämtliche Senatoren, als er im folgenden Jahr gar ein zweites Mal das höchste Amt der Res Publica bekleidete."
    Deplorablerweise hatte der Jüngling in den Annales der Res Publica kaum notable Errungenschaften aus den beiden Consulaten des Cornelius entnehmen können, sodass er sich mit diesen kargen Worten beschied, obschon selbstredend das Finale seines Cursus Honorum seine Qualitäten in nicht geringem Maße konfirmierte:
    "Zur Krönung jenes langen Laufes der Ehren endlich bestimmte der Senat ihn zuletzt als Proconsul für das reiche Asia, wohin, wie zweifelsohne jedem hier bekannt sein mag, nur die angesehensten der Consulare entsandt werden. Doch während mancher jenen Posten als Ruhesitz des Alters zu genießen pflegt und lediglich die Schätze jener Provinz sich zufließen lässt, brachte Cornelius Palma auch hier seine hervorragenden Eigenschaften zum Glänzen und mühte sich selbstlos für die ihm Anvertrauten, sodass-"
    Für einen Augenschlag war der Jüngling genötigt in seinem Redefluss innezuhalten, denn obschon er im Bauwerk seines Panegyricums zu einer neuerlichen Vase war getreten, die eine Auszeichnung symbolisierte, so vermochte doch sich nicht recht zu entsinnen, ob es sich hierbei um eine Statue oder Ehreninschrift hatte gehandelt. Schlussendlich gelangte er indessen zu der Entscheidung, im Falle des Imperators besser zu hoch als zu nieder zu schätzen, weshalb er den Satz aufs Neue antrat:
    "Zum Dank errichteten auch die Bewohnern jener Provinz ihm in ihrer Hauptstadt eine Statue von Marmor, die noch heute an dieser Stelle zu bewundern ist."

    Kurz darauf entstieg weißer Rauch dem Altar auf dem Vorplatze gen Luna, während der junge Flavius, den Duft gebratenen Huhnes in der Nase, der selbstredend sich in den abscheulichen Gestank verbrannten Fleisches hatte gewandt, wie er der Culina der Villa Flavia Felix ob ihrer vortrefflichen Köche nimmermehr, an den Garküchen in den Gassen Roms indessen mit großer Regularität vernehmlich war, die Stufen des Palatin wieder hinabstieg, wobei sein Diener assistierte, da dieser ob der vollführten Tat nun endlich seiner Obliegenheiten gedachte und bisweilen durch gemurmelte Mahnungen diesem und jenem Fehltritt zuvorkam.
    "Wo sollte jene Defixio nun angebracht werden? In der Villa Aurelia? Oder besser in der Villa Flavia Felix?"
    , spintisierte der Jüngling verbal, das blutbenetzte Blei in der Hand wiegend und dabei die letzten Weisungen des Gallus rekapitulierend, welche empfohlen hatten die Defixio nicht im Heim der Großen Mutter, sondern in unmittelbarer Vicinität zum Ziel des Fluches zu platzieren, um dessen Effizienz zu erhöhen.
    "Wie soll die Tafel in die Villa Aurelia gelangen? Und was, wenn man sie entdeckt?"
    , wandte hingegen der Sklave legitimerweise ein, woraufhin Manius Minor jene Option rasch exkludierte und fortfuhr:
    "Die Götter mögen verhüten, dass die Aurelia in den nächsten einhundert Tagen in der Villa Flavia Einzug hält."
    Angestrengt legte er seine Stirn in Falten, ehe ein finaler Einzug ihm in den Sinn gelangte:
    "Und wie wäre es, sie an der Stadtmauer zu vergraben, womöglich unweit der Straße zur Porta Quirinalis, die sie zum Betreten Roms passieren muss?"
    "Schlafe besser noch eine Nacht darüber, Domine. Wir sollten uns eilen, nach Hause zu kommen. Man wird uns sicherlich vermissen! Und gib acht, die Stufe ist ein wenig kürzer!"
    Anbetrachts der Konzentration, die das Hinabeilen der Stufen erforderte, suspendierte der junge Flavius sein Nachsinnen und steckte das Blei rasch in seinen Gürtel, uneingedenk, dass das weitgehend aride Blut des Hahnes noch immer dem glatten Metall entfleuchte und womöglich seine Tunica würde besudeln. Da er seinem Diener bereits höchsten Mut hatte abgenötigt, jenes Ritual zu vollziehen, beschied er Patrokolos für den Rest der Nacht eine gewisse Relaxation, zumal das Blei nicht würde davoneilen. Roma war immerhin ebenso nicht an einem einzigen Tage errichtet worden.

    Endlich legte der Gallus den Stylus beiseite und hob die nunmehr produzierte Defixio in die Höhe, präsentierte sie dem leblosen Steinbild des Attis und platzierte sie endlich auf dem Altar.
    "... Sie betört Manius Flavius Gracchus, weil sie lüstern wie irre ist."
    , vollendete Manius Minor die letzte Intonation und verstummte, während der Priester zu ihm sich umwandte, das Messer in der Hand. Für einen Augenschlag fühlte der junge Flavius sich genötigt, jenes Treiben zu unterbinden, da die Atmosphäre des Ortes, insonderheit jedoch die Klinge, die sogleich in sein zartes Fleisch sich würde bohren, ihn ängstigten. Doch schon ergriff der Gallus seinen Arm und zog ihn zum Altar.
    "Größter aller Götter, Attis, Herr, Gesamtheit der zwölf Götter!
    Nehmt an dieses Blut gegen das Blut der Aurelia Prisca, Tochter des Iustus! Sie sei null und nichtig!"

    , sprach der Gallus und fuhr mit dem Messer in einer Velozität über das Handgelenk des Jünglings, dass dieser nicht mehr als einen kurzes Zwacken verspürte, ehe eine dünne, dunkle Linie sich im Schein der Lampen abzeichnete. Der Gallus drückte das Handgelenk und eine Tropfen des flavischen Lebenssaftes troffen heraus und fielen auf die Pinienzapfen.
    So prompt, wie die Hand war ergriffen worden, ließ der Priester Manius Minor nunmehr fahren und wandte sich zu dem Käfig, in dem der Hahn noch immer zu schlummern schien. Doch kaum war sein Hals ergriffen worden, stieß er ohrenbetäubendes Geschrei an, flatterte hilflos und mühte sich vergebens, nach seinem Träger mit Klauen und Schnabel zu picken. Um einiges hatte der Gallus somit seine Stimme zu erheben, um das Lärmen des todgeweihten Tieres zu übertönen, als er auch dieses dem Attis weihte, indem er Wein aus einer schlanken Karaffe über den Kamm des Viehs troff:
    "Dir, Attis, Größter aller Götter, weihe ich diesen Hahn! Er sei dein Eigen!"
    Mit einigem Schwung stieß der Gallus den Hahn nun auf die Altarplatte, sodass das Federvieh mit einem Male verstummte und gleich einer Marionette, deren Fäden waren durchtrennt worden, zusammensackte.
    "Nimm an diesen Hahn! Wie wir sein Leben aushauchen, so hauche Aurelia Prisca, die Tochter des Iustus, ihr Leben aus! Innerhalb von hundert Tagen sei sie null und nichtig!"
    Mit diesen Worten griff er nach einem Culter und similär zum Handeln eines der zahlreichen Lanii auf dem Forum Boarium am Hackstock durchtrennte er mit einem einzigen Hieb den Hals des Hahnes, woraufhin gleich einer divinen Reanimation die Flügel des Tieres aufs Neue zu flattern begannen und sich scheinbar mühten, den Rumpf dem ehernen Griff des Gallus zu entwinden. Dennoch gelang es dem zweifelsohne geübten Priester leichtlich, das aus dem Rumpfe in Schüben sich ergießende Blut auf die Pinienzapfen zu lenken, wo es sich mit dem Blut des jungen Flavius vermischte. Während so langsam, doch stetig die Lebensgeister dem Federvieh entwichen, begann der Gallus neuerlich, den Fluch der Defixio zu intonieren:
    "Größter aller Götter, Attis, Herr, Gesamtheit der zwölf Götter!
    Ich überantworte den Göttinnen mein ungerechtes Schicksal, auf dass ihr meine Stirps an Aurelia Prisca, Tochter des Iustus, rächt, die den großen Fehler beging den Manius Flavius Gracchus zu betören.
    Bei Eurer Großen Göttermutter, rächt die Stirps der Flavii Gracchi!
    Aurelia soll zugrunde gehen!
    Bei der Großen Göttermutter, rächt Eure große Göttlichkeit bald, innerhalb von hundert Tagen an Aurelia Prisca! Aurelia Prisca sei null und nichtig. Sie betört Manius Flavius Gracchus, weil sie lüstern wie irr ist."

    Nach dreizehn Iterationen endlich schwieg er aufs Neue und holte sein filigranes Messer hervor, mit dem er einige Schnitte an der Keule vollführte, die Finger in das rosige Fleisch vertiefte, nochmalig schnitt und endlich einen schmalen Knochen herauspräparierte, wie er sonst nicht selten auf dem Tischen der Villa Flavia Felix beim Gastmählern zutage trat, nachdem die Herrschaften ihr Huhn al Fronto hatten genossen, obschon jenes Exemplar weder von ebenmäßiger, weißer Farbe, noch säuberlich von allem Fleisch und Sehnenmaterial war befreit, sondern eher einem blutigen, länglichen Klumpen glich. Dessenungeachtet ergriff der Gallus mit seinen blutigen Händen die Bleitafeln, drückte sie gegen den Knochen und wand das Metall so lange um ihn, bis es einer silbrigen Buchrolle glich, die an einen degoutierlichen, beinernen den hölzernen Stab war affixiert worden.
    "Wenn Aurelia Prisca, Tochter des Iustus, binnen 100 Tagen stirbt, so geloben wir dir einen weiteren Hahn wie diesen. Vollziehe unser Bitten!"
    , finalisierte der Gallus endlich das Opfer, wandte sich nach rechts und reichte die blutige Fluchtafel dem jungen Flavius, der mit großen Augen jenes sinistre Ritual hatte verfolgt, bisweilen gefangen in einem Terror ob der markerschütternden Hahnenschreie, denn obschon er hiesig keineswegs zum ersten Male der Opferung von Federvieh hatte beigewohnt, so hatte die Finsternis des Raumes, die Düsternis seines Anliegens an die Götter und die gesamte Atmosphäre nicht wenig dazu beigetragen, jenes Krähen und Winden an die geknechteten Seelen des Orcus gemahnen zu lassen, zu denen er die Aurelia sich wünschte. Nun indessen löste er sich aus der Thanatose und ergriff mit spitzen Fingern similär zum Ergreifen eines Stückleins gebratenen Hühnchens auf einem Convivium seinen materialisierten Fluch, wog das blutbeschmierte Blei in seiner Hand, an deren Gelenk er das Brennen des Schnittes noch verspürte.
    "Hiermit hat es sein Bewenden?"
    , fragte er mit gewisser Insekurität, ob weitere düstere Riten waren zu vollziehen, doch der Gallus winkte ab.
    "Der Hahn muss verbrannt werden. Vollständig."

    "Größter aller Götter, Attis, du Herrscher! O ihr Götter des Pantheon!
    Unsterbliche Gebieter über den Tod und das Leben, die ihr den Lebensfaden fortspinnt oder durchtrennt, wie es Eurem Belieben entspricht!
    Wir bringen Euch gerechte Gaben - hört auf unser Bitten! Magna Mater Agdistis, Attis und alle Götter, nehmt an diese Früchte des heiligen Baumes wie unser Gebet und erfüllt unser Bitten!"

    , intonierte der Gallus in einem admirablen Gesang, welcher die finstre Krypta durchzog und zweifelsohne auch im Tempel über ihren Häuptern vernehmlich war, sodass der Jüngling gar fürchtete, ein Passant würde seinem illegalen Treiben (eine Laune der Fortuna hatte sie erst am Vormittage bei Quinctius die Gesetze der Zwölf Tafeln disputieren lassen, die Carmina mala mit dem Tode bedrohten) Aufmerksamkeit schenken und ihn bei seinem Vater, welchem immerhin ja die Sorge um den Cultus war anvertraut, sodass zweifelsohne er auch beste Kontakte zu den Cultores dieser Gottheiten pflegte, würde anzeigen.
    Keinerlei Sorgen hegte indessen der Gallus, welcher nun die beiden Zapfen der Pinie vor dem Antlitz der Götterstatue präsentierte, um sie sogleich auf den Altar zu legen, wie Manius Minor aus zweiter Reihe recht klar vermochte zu erkennen, da für den Ritus eine ganze Schar an Lampen rund um das Kultbild war entfacht worden. Dann sprach er den Fluchtext, welchen der junge Flavius seinerseits so rasch als möglich zu kommemorieren hatte:
    "Größter aller Götter, Attis, Herr, Gesamtheit der zwölf Götter!
    Ich überantworte den Göttinnen mein ungerechtes Schicksal, auf dass ihr meine Stirps an Aurelia Prisca, Tochter des Iustus, rächt, die den großen Fehler beging den Manius Flavius Gracchus zu betören.
    Bei Eurer Großen Göttermutter, rächt die Stirps der Flavii Gracchi!
    Aurelia soll zugrunde gehen!
    Bei der Großen Göttermutter, rächt Eure große Göttlichkeit bald, innerhalb von hundert Tagen an Aurelia Prisca! Aurelia Prisca sei null und nichtig. Sie betört Manius Flavius Gracchus, weil sie lüstern wie irr ist."

    Fortunablerweise besaß Manius Minor ob seiner Fehlsicht notgedrungen eine nicht geringe Expertise im auditiven Einprägen von Texten, welche sein Rhetor Quinctius ihm im vergangenen Jahr noch hatte intensiviert, sodass nach der dritten Iteration er imstande sich fühlte, die Worte mitzusprechen, wie der Priester ihm gehießen hatte:
    "Größter aller Götter, Attis, Herr, Gesamtheit der zwölf Götter!
    Ich überantworte den Göttinnen mein ungerechtes Schicksal, auf dass ihr meine Stirps an Aurelia Prisca, Tochter des Iustus, rächt, die den großen Fehler beging den Manius Flavius Gracchus zu betören.
    Bei Eurer Großen Göttermutter, rächt die Stirps der Flavii Gracchi!
    Aurelia soll zugrunde gehen!
    Bei der Großen Göttermutter, rächt Eure große Göttlichkeit bald, innerhalb von hundert Tagen an Aurelia Prisca! Aurelia Prisca sei null und nichtig. Sie betört Manius Flavius Gracchus, weil sie lüstern wie irre ist."

    Wieder und wieder tönte der Fluch durch den Raum, ward reflektiert von den steinernen Wänden und hallte nach, während er schon aufs Neue wurde formuliert.
    Mit einem Male verstummte der Gallus und ließ einzig die dünne und jüngst ein wenig krächzende Stimme des jungen Flavius allein zurück, die indessen unbeirrt und ihrerseits in jenem Singsang gefangen, der jenem Fluchgebet ein besonderes Maß an sinistrem Charakter verlieh, fortfuhr, immer wieder den Tod auf Aurelia Prisca herabsehnend, bis selbst den fernsten Göttern jener Fluch mochte in den Ohren klingen. Konfirmiert wurde er jedoch durch einen speziellen Stylus, mit welchem der Gallus nun die dünne Bleiplatte traktierte, sodass er nicht nur Hauch blieb, sondern gleichsam in Stein, respektive Blei, gemeißelt würde bestehen, selbst wenn Manius Minor verstummte.
    Deplorablerweise bedurfte es einiger Umsicht und einer schier infiniten Zeit, bis die Worte in adäquater Weise dem Blei waren eingeprägt, weshalb der Jüngling nach einigen Iterationen den heftigen Drang verspürte, mit ein wenig Liquidem seine Zunge zu benetzen, indessen nicht wagend durch eine derartige Interruption gar das gesamte Ritual zu disturbieren. Immer wieder mühte er sich somit, zwischen den einzelnen Sentenzen durch hastiges Schlucken die Aridität seines Rachens gleichsam hinabzuwürgen, um sogleich den Fluch zu perpetuieren und ein Schweigen zu vermeiden.
    "Größter aller Götter, Attis, Herr, Gesamtheit der zwölf Götter!
    Ich überantworte den Göttinnen mein ungerechtes Schicksal, auf dass ihr meine Stirps an Aurelia Prisca,... Tochter des Iustus, rächt, die den großen Fehler beging den Manius Flavius Gracchus zu betören.
    Bei Eurer Großen Göttermutter,... rächt die Stirps der Flavii Gracchi!
    Aurelia soll zugrunde gehen!
    Bei der Großen Göttermutter, ... rächt Eure große Göttlichkeit bald, innerhalb von hundert Tagen an Aurelia Prisca!... Aurelia Prisca sei null und nichtig. ... Sie betört Manius Flavius Gracchus, weil sie lüstern wie irre ist."

    Aufs Neue rührte die explizite Erwähnung der Option einer überstürzten Flucht an jenen gräulichen Remineszenzen, die der Jüngling soeben erst unter Mühen hatte niedergerungen. Unaufhaltsam, gleich der Wellen am Meeresstrand, rollten sie nun aufs Neue in seinen Geist und forderte eine Defension, welche den jungen Flavius gänzlich okkupierte und damit eine neuerliche, trutzige Replik unterband. Stattdessen gebahrte Manius Minor sich ein wenig sonderbar, da er die Augen aufriss, zugleich hingegen vernehmlich die Luft einsog und dann in offenbarer Absenz sich dem Abgrund in seiner Seele zuwandte.
    Patrokolos, der das Wegtreten seines Herrn erkannte, stürzte daher in die Bresche, um Manius Maior zu kalmieren und dessen Sprössling somit die Ungelegenheit einer Prolongation jenes konfliktären Zwiegesprächs zu ersparen: Bestimmt legte er seine Hand auf die Schulter Manius Minors, zog ihn ein wenig zu sich heran und erwiderte:
    "Das wird nicht nötig sein."

    "Patrokolos, mir graut vor diesem Ort."
    , gestand der Jüngling prompt und fixierte seinen Diener mit ausdruckslosen Augen, in welchen der Schein der Öllampe sich widerspiegelte.
    "Wir können jederzeit gehen, Domine - wir können auch direkt verschwinden."
    Augenscheinlich gedachte der Diener die Emotionen seines Herrn sogleich sich zunutze zu machen, um doch noch jenem Gewissenskonflikte zu entgehen, welchen die Assistenz bei einem Todesfluch gegen die Angetraute des Pater Familias seines Haushaltes ihm auferlegte, doch Manius Minor wandte entschieden das Haupt, als der gerechte Zorn gegen seine Stiefmutter in spe seine Furcht umgehend retardieren ließ:
    "Niemals! Die Präsenz dieses Ortes mag mich ängstigen, doch werde ich das Grauen wohl erwecken müssen, um jener aurelischen Natter das Handwerk zu legen! Bedenke nur: Sie hat meinen Vater behext!"
    "Ich dachte, Du hättest keinen Vater mehr, Domine."
    , replizierte Patrokolos linkisch, woraufhin das Antlitz des jungen Flavius sich in Degout zerfurchte.
    "Natürlich habe ich einen Vater, nur ist er... nicht bei Sinnen!"
    In der Tat hatte in Manius Minor die Hypothese Raum gewonnen, Manius Maior sei in gewisser Weise einem geistig retardierten Manne similär zu betrachten, da es ihm doch augenscheinlich an jener Virtus mangelte, die er selbst so passionniert hatte gepredigt, insonderheit ihn indessen eine krankhafte Feigheit und Zögerlichkeit auszeichnete, welche auch zum Einfallstor der Betörungen jener Aurelia sich erwiesen musste haben. Infolgedessen war ein privater Groll gegen die Person seines Vaters selbstredend nur insoweit gestattet, als es diesem an Einsicht seines Leidens mangelte, während hingegen seine Unzulänglichkeiten im Allgemeinen in ebensolcher Weise hassenswert erschienen wie das fehlende Augenlicht Onkel Neros, die Inkapazität der Plebs für die Leitung der Res Publica oder die infantile Unvernunft jenes Narren, welcher kürzlich als Lustbarkeit auf einem Convivium der Lucretii hatte gedient.
    Jener Sinneswandel hingegen war seinem Sklaven wohlbewusst, sodass der Jüngling die Spötterei durchaus zu dechiffrieren wusste und erbost sich abwandte. Fortunablerweise suspendierte den Streit in jenem Augenblick das Hallen von Schritten, weshalb die beiden sofort enerviert und ergriffen von neuerlicher Furcht lauschten, bis endlich im flackernden Licht der Öllampe die beleibte Statur des Gallus ihnen die Sekurität bot, dass keine Larven und Lemuren, sondern lediglich der vertraute Fournisseur ihrer sinistren Gelüste durch das Heiligtum huschte. In der Rechten hielt er einen hölzernen Käfig, in welchem wiederum ein dunkles Häuflein mit Federn war auszumachen, bei welchem es zweifelsohne um den verheißenen Hahn sich handelte.
    "Da wäre ich wieder! Und ich habe gleich sämtliche Utensilien mitgebracht!"
    , deklarierte der Priester und präsentierte erstlich den Hahn, anschließend eine bleierne Tafel, die wohl bestimmt war, die Defixio zu tragen, um selbige dem jungen Flavius zu reichen.
    Der Jüngling ergriff das kühle Metall, das unter seinen Fingern hurtig sich temperierte, während der Käfig des augenscheinlich ruhenden Hahnes auf dem Boden ward platziert.
    "Nun müsstest du mir genauer berichten, wen dein Fluch treffen soll und warum."
    Die Remineszenz an die Motivation seiner Gelüste induzierte eine innotable Kühle in die Stimme des jungen Flavius, als dieser bündig seine Intentionen formulierte:
    "Es handelt sich um Aurelia Prisca, die Tochter des Aurelius Iustus und Witwe des Flavius Piso. Sie muss sterben, da sie Manius Flavius Gracchus betört, um ihn zur Ehe zu nötigen."
    Augenscheinlich bedurfte es keiner weiteren Informationen, da der Gallus lediglich ein Nicken offenbarte, ehe er fortfuhr:
    "Wir beginnen mit der Darbringung von Pinienzapfen. Danach muss die entsprechende Zauberformel in die Platte geritzt werden, was ich übernehmen werde. Du als Bittsteller musst währenddessen die Formel sprechen und zuletzt ein wenig deines Blutes auf dem Altar darbringen."
    Aus den Untiefen seiner Gewänder holte er ein winziges, gekrümmtes Messer hervor, wie es der Medicus zur Phlebotomie zu gebrauchen pflegten, weshalb der Jüngling intuitiv zurückwich, zumal die Opferung des eigenen Blutes ihn jener düstren Zeiten gewahrte, in denen Menschenopfer auch in Rom noch kultiviert worden waren.
    "Zuletzt ist dem Attis und allen Göttern ein Gelübde zu leisten, nämlich dieser Hahn und ein weiterer, wenn die Aurelia tot ist. Dann werden wir den Hahn töten und seinen Schenkelknochen herauspräparieren. Der Rest muss als Holocaustum dargebracht werden."
    Irritiert lauschte Manius Minor jenen Explikationen, die sein Engagement in weitaus größerem Maße erforderten denn erwartet und wenig von jener Simplizität besaßen, die er hatte erhofft, um eiligst in sein Heim retournieren zu können. Letztlich war jenen Erfordernissen jedoch zu gehorchen, sodass er mit fester Determination gemahnte:
    "Dann lasst uns beginnen!"

    Provokativ verschränkte der Jüngling die Arme vor der Brust und präsentierte ein trutziges Antlitz, zumal doch sein Vater augenscheinlich sich mühte, seine Einwände vor dem gegebenen Publikum der Familia Flavia Romae schlicht aufs Neue hinfortzuwischen.
    "Aber meine Studien stehen kurz vor der Vollendung!"
    , klagte er sodann, da in der Tat er wenig Appetenz verspürte, sich einem neuen Dozenten zu akkomodieren, nachdem jeder Rhetor spezifische Präferenzen hinsichtlich seiner Lehren besaß und somit der Wechsel kurz vor Finalisierung des Studiums Inkommoditäten bereitete, für die in den Augen des jungen Flavius keinerlei Necessität bestand. Von weitaus größerer Präponderanz für Manius Minors Widerborstigkeit war indessen das Dafürhalten, Manius Maior, den zu befehden auf dem Felde der Heiratspolitik bereits aufs Kläglichste war gescheitert, zumindest in diesem Felde die Pläne zu vergällen, indem er ihnen so weit als possibel Paroli bot.

    In der Tat war Flamma augenscheinlich in geringerer Gefahr als ihr älterer Bruder, wie dieser mit einiger Bitterkeit zur Kenntnis nahm und sich in seinen übelsten Assumptionen konfirmiert fühlte.


    Dennoch evozierte die letzte, scheinbar rhetorische Frage Manius Maiors bei Minor mit einem Male eine praktische Frage, welche trotz jener misslichen Lage ihm zu klarifizieren notwendig erschien, da doch seine Neffen und Freunde diesbezüglich inkludiert waren:
    "Was ist mit meinem Studium bei Quinctius? Es ist noch nicht abgeschlossen!"
    Feindselig und trutzig waren auch diese Worte ausgestoßen, sodass es den Anschein erwecken mochte, ihn gräme nicht der allgemeine Zustand seiner Relation zum Vater, sondern lediglich die Aufgabe seiner geliebten Muse, obschon er diesbezüglich bisher keine sonderliche Passion hatte an den Tag gelegt.

    Mit einiger Satisfaktion vernahm Manius Minor erstlich die Belehrungen der Aurelia durch Manius Maior, der infolge gar seine Ponderation bezüglich des aurelischen 'Präsentes' hegte und jenes Weib aufs Neue desavourierte, sodass gar die Worte ihr zu fehlen schienen.


    Indessen währte der Triumph nicht lange, denn kaum hatte Prisca die riskanten Gefilde der konkreten Spielplanung verlassen, da nahm das Gespräch immediat Kurs auf den Hafen der Ehe, welcher augenscheinlich sogleich sollte terminiert und somit zementiert werden, ehe sein Vater Gelegenheit fand jene Entwicklungen nochmalig zu reflektieren, ja auch nur die Option zu erwägen, seine Familiaren diesbezüglich zu konsultieren! Von marginalem Interesse war angesichts jenes irreparablen Schadens für die Flavia Gens die unschickliche Verbindung seiner Tante mit den Tiberii, nachdem diese eine der ihren jenem Duccius, dessen fulminabler Aufstieg vor Jahren schon im Hause war thematisiert worden, in den germanischen Schlund hatten geworfen, da doch der Jüngling sie bei nüchterner Betrachtung ohnehin nur als periphär Anverwandte kategorisieren konnte, insonderheit angesichts der Perspektive, in abrubter Weise nun diese Aurelia als Stiefmutter vorgesetzt zu erhalten!
    Als somit Gracchus Maior selbst eine Verlobung nicht in unbestimmter Zeit oder dem folgenden Monat, sondern gar in den folgenden Tagen in Aussicht stellte, übertraf jene Unverfrorenheit die Kapazitäten des jungen Flavius hinsichtlich der Erhaltung einer Maske des Anstandes, sodass er sekündlich größere Mühe hatte aufzuwenden, einen Aufschrei des Entsetzens zu unterdrücken, sodass endlich er beschloss, anstelle einer publiken Beschämung im Angesicht des imperialen Klienten und - horribile dictu - baldigen Anverwandten Aurelius Lupus besser sich zu exkulpieren, um seinen Dissens zu einem späteren Zeitpunkt dem Vater zu enthüllen.
    "Verzeiht, mir ist ein wenig... blümerant."
    , intervenierte der Jüngling somit, wobei sein Ringen, nicht sogleich mit Klagen und Schmähen loszubrechen, durchaus similär mochte erscheinen zur Abwehr des Vomitierens, zumal eine Blässe des Entsetzens ihn bereits geraume Zeit hatte ergriffen, die ebenso als Signal des leiblichen Unwohlseins mochte missgedeutet werden. Mechanisch und ohne die Erwartung einer Lizenz erhob er sich dann sogleich und eilte davon, als suche er in der Tat dringlich den Abort anstelle der weichen Kissen seines Cubiculum, die statt dem wärmenden Arm seiner geliebten Mutter seine Tränen würden an sich nehmen.

    "Die Defixiones dieses Tempels werden für gewöhnlich dem Attis gewidmet, der in diesem Bereich eine gewisse Erfahrung besitzt."
    , explizierte der Gallus, während das Triumvirat sich den Weg durch den Tempel bahnte, vorbei an diversen Votivgaben und Statuen verwandter Götter der Magna Mater, jedoch nicht direkt zu jener silbernen Statue in der Cella des Heiligtums, deren Vitalia aus einem schwarzen Stein bestanden, der vor Säkula hierher war transferiert worden, sondern zuvor eine Wende vollführend und endlich an einer unscheinbaren Pforte zum Stehen kommend, hinter welcher ein Trepplein in die Tiefe sich wand.
    "Wie ich sehe, seid ihr bereits vorbereitet. Ein Huhn ist natürlich nicht das passende Opfer für Attis, aber ich denke, wir können einen kleinen Tausch eingehen: Für einen Aufpreis von fünf Sesterzen tausche ich das Huhn gegen einen Hahn."
    , plapperte der Gallus munter weiter, während der junge Flavius in eine gemilderte Form des Storchenganges war verfallen, um in der Finsternis des Tempels nicht aufs Neue sich an Hindernissen zu stoßen. Die Perspektive nun auch noch eine Treppe zu passieren, welche, wie sich trotz seiner Fehlsicht rasch klarifizierte, miserabel illuminiert und ohne jedwede Rambarde in die Tiefe hinabstieß, induzierte dem Jüngling jedoch arge Bedrängnis.
    Ob seiner zweifelsohne profunden Übung eilte der adipöse Priester behende die Stufen hinab, während Manius Minor zaghaft die kühle Wand mit den Handflächen, die Kanten jeder singulären Stufe hingegen durch das feine Leder seiner Calcei ertastete, um sich sodann mit größter Umsicht Schritt für Schritt hinabzuschieben.


    Schlussendlich erreichten sie jedoch eine Krypta, in welcher der Gallus eine Lampe entfachte, deren Licht indessen als insuffizient sich erwies, um dem jungen Flavius eine adäquate Impression des Raumes zu bieten, weshalb Patrokolos, welcher augenscheinlich seiner Obliegenheiten sich nun endlich aufs Neue erinnerte, ihm in knappen Worten die Situation umschrieb:
    "Ein düsterer Raum mit einem Altar in der Mitte und einer Attis-Statue in einer Nische dahinter-"
    , welche er, wie es seinen Gepflogenheiten entsprach, durch einen Annex camouflierte, um den Passanten die Fehlsicht des Jünglings als den eigentlichen Anlass jener Äußerungen zu verbergen:
    "-was mag das bedeuten?"
    Der Priester hingegen schöpfte merklich Verdacht, kaschierte dies jedoch durch eine prompte Replik:
    "Hier unten werden wir die Fluchtafel herstellen, die für unsere Zwecke notwendig ist. Danach werden wir den Hahn opfern und... sollte ich vielleicht das Huhn vielleicht zuerst in Sicherheit bringen?"
    Erwartungsgeladen blickte er Patrokolos an, der in der Tat noch immer mit dem Huhn hantierte, welches ob der Dunkelheit in furchtsames Schweigen, gestört von bisweilen verhaltenem Gackern war verfallen.
    "Das wäre nett."
    , erwiderte der Sklave nach kurzem Nachsinnen und reichte dem Gallus das Federvieh, das dieser entgegennahm, um sogleich mit eilendem Schritt die Stufen der Krypta hinaufstieg, ohne sich durch die langen Gewänder disturbieren zu lassen, und somit Manius Minor und Patrokolos einsam in der Finsternis des Raumes zurückließ.

    Nicht leicht war es gewesen, der Appetenz des stets vorwitzigen Sciurius zu entgehen, um Raum zu gewinnen für das sinistre Vorhaben Manius Minors, das er sich infolge der Exilierung durch seinen Vater hatte ersonnen, um selbst in Absenz die Familia Flavia Romae noch vor jener widerwärtigen Aurelia zu bewahren und zugleich sich bei seinem Vater in adäquater Weise für seine Entthronung zu revanchieren. In der Tat bedurfte die Platzierung einer Defixio nämlich, wie Lucretius Carus ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit und mit bedeutungsschwangerer Miene anvertraut hatte, eines adäquaten Kontextes, der im Falle der Großen Mutter als Flucheshelferin lediglich in der Düsternis der Nacht war gegeben.
    Um zu jener Tages-, respektive Nachtzeit indessen in der aktuell konstringierten Lage, da die Pforten Roms ebenso verriegelt waren wie jene der Villa Flavia Felix, außer Haus zu wandeln, hatte es nicht geringer Anstrengungen bedurft, derer diffizilste sich auf einen ausgedehnten Disput mit seinem geliebten Patrokolos hatte erstreckt, dessen der junge Flavius als Komplizen selbstredend bedurfte, der ob seiner Obsequenz und Bedachtheit jedoch aufs Schärfste das Vorhaben des jungen Flavius hatte verurteilt, sodass erst nach langen Wortgefechten und Drohungen er zu überwinden war gewesen zu kooperieren und diesbezüglich kein Wort der Außenwelt anzuvertrauen. Infolge war ein Plan ersonnen worden, dessen Ausführung nun endlich erfolgte, indem erstlich Patrokolos bereits zur gewohnten Zeit vom Rhetoren war nach Hause geeilt, vorgebend, Quinctius wolle seinem Novizen ob dessen baldigen Abschieds noch eine private Lektion erteilen, sodass mit der Cena nicht auf ihn zu warten sei, anschließend der Sklave auf dem Wege zurück ein Huhn hatte erstanden, ehe beide Konspiranten sich bis zur Dämmerung in der Stadt hatten herumgetrieben, stets bedacht keinem der Familiaren der Flavia Romae zu begegnen, um zur rechten Zeit endlich den Aufstieg zum derzeitig verwaisten Palatinus Mons zu wagen, was zu guter letzt noch imprävisible Inkommoditäten hatte impliziert, da der junge Flavius ob der luminösen Umstände nicht wenige Male mit den Kanten und Lücken des Pflasters kollidierte, nachdem Patrokolos ob seiner Excitation kaum war imstande, seinen Herrn in gewohnter Manier zu leiten.


    Dennoch zeichnete sich endlich vor dem Jüngling der imposante Tempelbau gegen den trüben Abendhimmel ab. Leichtes Frösteln umfing ihn, als er zaghaft seine Schritte die Stufen hinauf lenkte und er endlich, fortunablerweise flankiert von seinem geliebten Patrokolos, der noch immer ein, bisweilen furchtsam gackerndes, Huhn in Händen hielt, die Pforte zum Heiligtum aufstieß, in dem noch größere Düsternis, unterbrochen nur vom schein diverser Öllampen, sie erwartete.
    "Willst du das wirklich tun, Domine?"
    , verbalisierte mit vernehmlicher Nervosität der Diener just jenen Gedanken, der auch den Geist des jungen Flavius durchfleuchte, und in der Tat fühlte dieser sich nur allzu sehr versucht, jenem unbehaglichen Drängen sich zu ergeben, als unverhofft eine fremde Stimme aus dem Nichts an sein Ohr drang:
    "Was sucht ihr, edle Herren?"
    Schreckhaft tressautierten Herr und Diener und blickten panisch um sich, als sei bereits einer jener malefikanten Geister, die zu beschwören sie heute gedachten, auf sie herabgekommen. Doch aus dem Schatten löste sich lediglich eine ältliche, aufgedunsene Gestalt, angetan in weibische Gewänder und mit langem Haar, was unfehlbar sie den Galloi des Heiligtums zurechenbar machte, welche sichtlich amüsiert ob der Furchtsamkeit seiner Klienten ein sublimes Lächeln darbot, ehe er seine Frage repetierte:
    "Was sucht ihr, edle Herren?"
    Obschon der Jüngling sich mühte, die Contenance zurückzugewinnen, gelang es Patrokolos als erstem, den Horror aus den Gliedern zu vertreiben, sodass er anstelle seines Herrn sich in sichtlicher Verlegenheit äußerte:
    "Wir... nun... Es geht um eine delikate Angelegenheit..."
    Keinesfalls evozierte jene nebulöse Deklaration indessen irgendeine Irritation bei dem Priester, der sittsam weiterlächelte und lediglich bemerkte:
    "Das dachte ich mir bereits. Wozu sonst solltet ihr den beschwerlichen Weg hier herauf genommen haben? Und dazu zu so später Stunde?"
    Wie zur Konfirmation jener Frage schob er den Runden Kopf hervor, um durch die Tür hindurch zum krepuskularen Himmel hinauf zu blicken, ehe er neuerlich seine Klienten fixierte und mit einer Beiläufigkeit gleich dem Geplauder über modische Frisuren oder den letzten Triumph eines Gladiatoren anfügte:
    "Ich vermute, es handelt sich um einen Fluch?"
    Jene inagitierte Rede von derartig sinistren Angelegenheiten war nicht eben geeignet, die Befangenheit des jungen Flavius zu kalmieren, doch traf ihn endlich die Einsicht, dass jene Stätte eine gewisse Famosität für derartige Dienstleistungen musste besitzen, was implizierte, dass mit gewisser Regularität Personen mit similären Wünschen auftraten, da andernfalls kaum Lucretius ihm diesen Ort hätte anempfehlen können.
    "Korrekt. Einen letalen Fluch, wenn ich bitten darf."
    , gewann Manius Minor endlich seine Stimme wieder.
    "Ein Todesfluch gleich? Das wird teuer, will ich meinen..."
    , erwiderte der Gallus und strich sich über das Kinn, das unmittelbar in den unter den wallenden Gewändern verborgenen Rumpf überzugehen schien, woraufhin der Jüngling prompt interzedierte:
    "Geld spielt keine Rolle!"
    Zweifelsohne biss Patrokolos sich ob einer derartigen Naivität hinsichtlich ökonomischer Aushandlungsprozesse auf die Zunge, doch der Gallus präsentierte nun ein breites Grinsen, ehe er mit der narbenübersähten Hand ins Dunkel des Tempels wies:
    "Wenn das so ist, tretet ein!"

    Obschon selbstredend jenes Entgegenkommen Flammas durchaus nicht suffizient erschien, seine mangelhafte Identifikationskapazität zu exkulpieren, welche der junge Flavius indessen ohnehin selbstredend seinen limitierten visuellen Fähigkeiten anlastete, so verspürte er doch eine gewisse Levation, da sie augenscheinlich nicht gedachte, derhalben offendiert sich abzuwenden, sondern vielmehr ein intensiveres Kennenlernen offerierte, welches in Anbetracht ihrer langen Trennung geradezu indispensabel erschien, weshalb der Jüngling prompt replizierte:
    "Zweifelsohne, lass uns sogleich beginnen!"
    Neben dem Vorwitz, was sein Schwesterherz in all jenen Jahren mochte getan haben, jedoch auch der Versicherung des Wohlbefinden seines wohladmirierten Onkels wie der übrigen Familiaren zu Baiae, ließ insonderheit die dröge Alternative der aktuellen Zeitgestaltung, nämlich das Studium der Lex Mercatus, einen unmittelbaren Vollzug von Flammas Intention erquicklich erscheinen.
    "...sofern du ein wenig Zeit erübrigen kannst, selbstredend."
    , fügte er indessen hinzu, um nicht unbedacht hervorzueilen und seiner Schwester ein inopportunes Zwiegespräch aufzunötigen.

    Der Name bließ mit einem Male die Schuppen von den Augen des Jünglings, obschon sie ihn selbstredend nicht von seiner Hypermetropie erlöste, sodass die Details in den Zügen der jungen Dame zu konfrontieren ihm impossibel blieb, doch zumindest ihn meinen ließ, dass die Form des Hauptes, das selbstredend nunmehr von wallendem Haar war umspielt, wie auch der gesamte Habitus dem jenes Mägdeleins glich, welches er vor Jahren in einem Weidenkorb hatte verschwinden gesehen. War dieses indessen ein kleines Kind gewesen, welches bestenfalls dem damaligen Manius Minor ennuyant war erschienen und schlimmstenfalls eine Last war gewesen, so hatte sie augenscheinlich eine Metamorphose zur stattlichen Dame vollzogen, deren Reize selbst ihrem Bruder nicht verborgen blieben, obschon es ihn nicht wenig beschämte, welche Gedanken er soeben in Unwissenheit noch hatte gehegt.
    "Oh, verzeih! Du bist... so groß geworden!"
    , stammelte er, wobei sich in die zweite Partie der Erwiderung nicht geringe Admiration legte, die der gewonnenen Attraktivität des Mädchens adäquat zu sein sich mühte. Doch die stupende Schönheit war nicht eben geeignet, die Genanz ob seiner gescheiterten Identifikation der eigenen Schwester, gar der nicht gänzlich bar sexueller Konnotationen vollzogenen ersten Interessiertheit an diesem Geschöpfe zu mindern, weshalb er sich zu weiteren exkulpierenden Worten fühlte genötigt:
    "Ich wusste nicht, dass du nach Rom... hierher kommen würdest... verzeih!"

    War die Atmosphäre zwischen Manius Maior und Minor bereits seit dem Ende des Bürgerkrieges kaum als cordial zu deskribieren gewesen, so war sie seit jenem Duell im Cubiculum der Claudia doch geradewegs im Froste erstarrt. Obschon der Jüngling nach wenigen Tagen schon die regulären familiaren Cenae frequentierte, hatte er es unterlassen, seinen Vater auch nur eines Blickes zu würdigen, sondern sich bestenfalls einsilbig im Zwiegespräch mit den übrigen Familiaren geäußert, um dann so rasch, als es der Anstand gestattete, seinem Erzeuger aus den Augen zu gehen.
    Diesmalig hingegen war es nicht zu vermeiden, seinem Vater zu lauschen, da der Grund, warum die gesamte Familia Flavia Romae im Atrium wurde versammelt, augenscheinlich allzu ardent war, um sich ob persönlicher Animositäten dem zu entziehen, zumal die Indiskretion, eventuelle Novitäten aus der Curia Iulia unmittelbar zu erfahren, den jungen Flavius drängte. Und so stand er in der Schar der Familiaren, ein wenig abseitiger, als man es von dem Stammhalter des Hausherren mochte erwarten, flankiert von seinem geliebten Patrokolos und vernahm die düstren Prognosen, die, sofern er es aus der infantilen Remineszenz der letzten Sedisvakanz zu memorieren vermochte, nur allzu sehr an das gewahrten, was damals war geschehen. Unvermittelt reaktivierten sich die traumatischen Bilder in seinem Geiste, sah er den starren Blick des Bärtigen, der auf der Flucht aus Rom stetig vor seinem Kopf hin- und hergeschaukelt war, spürte er den eisigen Fuß, an welchen er bisweilen gestoßen war, und hörte er die monotonen Bannsprüche des Libitinarius, welcher sie hatte aus der Stadt geschmuggelt. All jene Impressionen schlossen sich in pythonaler Manier um seinen Körper, drohten wie schon damals ihn in Thanatose erstarren oder Agonie aufschreien zu lassen, sodass er höchste Kraft aufzubieten genötigt war, um jene Embuskade der Panik niederzuringen, indem er im Geiste ihr die Bannformel: 'Ich bin kein furchtsames Knäblein, sondern ein erwachsener Mann!' entgegensetzte. Dies hingegen erforderte seine gesamte Appetenz, sodass ihm zur Gänze die politischen Konsequenzen des imperialen Testamentes entgingen, die zuvor doch so sehr seinen Vorwitz entbrannt hatten.


    Gerade noch zur rechten Zeit gewann er indessen die Konzentration wieder, als der ältere Gracchus lapidar sein Schicksal offenbarte: ein neuerliches Exil, fern von Rom, fern von seinem Geschwistern und fern von allem, was er Bedeutung zumaß. Mochte er soeben noch furchtsam, ja panisch sich geriert haben, entglitt ihm nun jedwede Contenance: Just wenn die Tore Roms sich wieder öffneten (und somit zweifelsohne die größte Gefahr war gebannt), sollte er fliehen? Und dies nach Aegyptus, in die Kornkammer und somit nicht weniger als den goldenen Apfel des Imperiums, den zu erbeuten jeder Usurpator genötigt würde sein?
    Noch abstruser evolvierte sich jenes Kommando mit den folgenden, denn wie unschwer zu erkennen war, blieb er der einzige, der aus der Urbs transportiert werden sollte, während selbst die unschuldige Flamma augenscheinlich zum Bleiben verdammt war, ja die Schließung der Tore hinsichtlich Domitillas Eheschließung gar lediglich eine lästige Retardierung darstellte! Als dann Scato das Vermächtnis, die Flavia Familia Romae in Absenz des Pater Familias zu leiten, aufgetragen wurde, erblickte der Jüngling mit einer Klarität, die es sein Augenlicht ihm seit Kindertagen verwehrt hatte, welch ridikulöse Komödie hier wurde dargeboten:
    Mitnichten drehte sich jenes Possenspiel um die Insekurität des Imperiums, sondern vielmehr einzig und allein um den Konflikt der Manii Gracchi! Augenscheinlich genügte es seinem Vater nicht, jenen Tag zu erwarten, bis er mit jener Natter von Aurelia einen Bastard gezeugt hatte, den er zu seinem Erben konnte einsetzen, weshalb er nun sich bemüßigt fühlte, den legitimen Erben so eilig als möglich aus dem Wege zu räumen, um undisturbiert fortan inobserviert schalten und walten zu können, wie es ihm beliebte! Doch selbst falls die Götter ihn zuvor aus dem Diesseits beriefen, war Manius Minor nunmehr von der Erbfolge exkludiert, da er doch coram publico hatte erklärt, dass nicht jener, der sein eigen Fleisch und Blut war, ja gar seinen eigenen Namen trug und mit der Übernahme der Toga Virilis durchaus die adäquate Maturität besaß, sondern ein entfernter Anverwandter die Sorge und somit auch die Privilegien der Familienleitung sollte auf sich nehmen! Zweifelsohne war dies das Werk der Aurelia, denn vermutlich hatte Manius Maior seiner Angetrauten von ihrem Disput berichtet, woraufhin diese Manius Minors Vituperation, sie hätte ebenso Scato oder Iullus ehelichen können, zu ihren Gunsten wendete, indem sie den Patriarchen gedrängt hatte, so bald als möglich einen der Milonen zu seinem Erben zu bestimmen, sodass sie, sollte dem schwächlichen Gracchus etwas zustoßen, kurzerhand über einen anderen Flavius die Kontrolle über dieses altehrwürdige Haus übernehmen konnte!


    Doch wem konnte er nun Vertrauen schenken? Die Worte Scatos waren knapp, wie es seiner Gewohnheit entsprach, doch keineswegs in jenem Timbre, welches einer Kür zum Oberhaupt der Flavii angemessen war. War er also eingeweiht und erwies sich hier als übler Akteur? Und wie stand es mit Tante Domitilla, die einerseits artig die Prokrastination ihrer Ehe akzeptierte, andererseits sich zu weibischen Interjektionen bemüßigt fühlte, die, insonderheit angesichts der augenfälligen Ruhe Onkel Furianus', völlig exageriert erschienen? Onkel Furianus immerhin schien keine Kenntnis von irgendeiner Konspiration zu haben, da er doch gänzlich konträr zum gravitätischen Gestus seines Vaters eher kalmiert und erwartungsvoll, hingegen nicht furchtsam in die Zukunft blickte.


    Doch welche Konsequenzen blieben daraus zu ziehen? Sollte er dem Drama ein retardierendes Moment hinzusetzen, indem er protestierte und coram publico, wie seine Absetzung als Stammhalter war vollzogen worden, jenen Umstand Gracchus Maior zum Vorwurf machte? Sofern Scato und Domitilla eingeweiht waren, würde dies jedoch kaum fruchten, da auch Onkel Furianus aufgrund einer derart trutzigen Reaktion ihn wohl nicht unterstützen würde, da er doch Servilität und Folgsamkeit gegen die Älteren in höchsten Maße schätzte!
    Sollte er daher jener karnevalesken Schauspieltruppe den Vertrag kündigen, indem er dem Exil zuvorkam und sich mit seinem Peculium davon machte, um verborgen in Rom und aus der Ferne über seine Geschwister zu wachen? Doch wie lange würde dies funktionieren, da seine Ersparnisse für einen gewöhnlichen Civis zwar überaus beachtlich, angesichts seines gewohnten Lebensstils hingegen bestenfalls für einen Monat genügten, sodass er als jener Bettler würde enden, welchen er bereits unmittelbar nach dem paternalen Disput in schillerndsten Farben hatte imaginiert und als welcher er weder Flamma und Titus, noch sich selbst in irgendeiner Weise würde dienlich sein können.
    Nein, was verblieb, war doch nur, die momentane Situiertheit zu akzeptieren und zu hoffen, dass seine Lage sich eines Tages bessern würde, dass man ihn im fernen Alexandria nicht vergaß, sodass der Druck seiner Anverwandten Manius Maior letztlich nötigte, ihn wieder ins Herz des Imperiums zurück zu lassen. Indessen war er zumindest nicht genötigt, gute Miene zu jenem bitterbösen Spiel zu machen, weshalb er als Replik auf die paternale Order letztlich trutzig auf seine Unterlippe biss und den Vater mit sinistrem Blick anfunkelte in der Hoffnung, dieser würde dadurch erkennen, dass sein Komplott seinem Sprössling offenbar war und er früher oder später mit gräulicher Rache würde rechnen müssen.

    Nachdem Patrokolos die Toga in Form eines chaotischen Wust empfangen hatte, um sie für den folgenden Tag den Cubicularii anzuvertrauen, streifte der Blick des jungen Flavius beiläufig durch den Raum und blieb gebannt an einer Gestalt haften, welche ihm gänzlich unfamiliar erschien: Eine schlanke Grazie mit güldenem Haar, die mit extravaganter Anmut durch aus Atrium schwebte, deren Aufmachung indessem (wie dem Jüngling ob der noch beachtlichen Distanz zu ihr vernehmlich war) sie mit größter Klarität von der Dienerschaft distingierte, womit zu kombinieren war, dass es sich um eine Domina handelte. Hingegen ließ ihre Statur erkennen, dass sie noch nicht zu voller Fraulichkeit war herangereift, obschon die unter dem seidenen Gewande zu erahnenden Kurven klar jene der ihm versprochenen Cornelia übertrafen. Geschlagen von ihrer stupenden Schönheit vermochte Manius Minor den Blick kaum abzuwenden, während zugleich sein Geist vergeblich sich mühte, jene Person zu identifizieren oder aus ihrem Alter eine anderweitig dienliche Klassifikation zu evozieren. Doch mitnichten pflegte Tante Domitilla derartigen Umgang, noch glaubte er Scato (ob seiner Arbeitsamkeit) oder Iullus (ob seines vermeintlich generellen Desinteresses am weiblichen Geschlechte) jemals feminine Visiten erhalten gesehen zu haben.
    Mitnichten war er endlich imstande zu antizipieren, dass jene divine Gestalt seine Schwester war, die am Vortage unverhofft nach Rom war zurückgekehrt, um endlich die Gesellschaft der Reichen und Schönen zu bereichern, da dies ihm war entgangen, nachdem er zum Zeitpunkt ihrer Ankunft seinen geschätzten Freund Lucretius Carus hatte visitiert und in der Konfusion des Abends von niemandem ins rechte Bild gesetzt worden war.
    Voller Vorwitz näherte er sich somit dem Mägdelein, da doch der Umstand, dass er in seinem eigenen Hause sich befand, seine gewöhnliche Xenophobie zu dämpfen vermochte und das pubertäre Interesse am anderen Geschlechte heute ausnahmsweise die Furcht vor der Konversation mit demselben übermannte.
    "Salve - wer bist du?"
    , adressierte er somit ein wenig plump und unbeholfen die Fremde, während er bereits ein wenig nervös die Hände hinter der schlaffen Ventralpartie verschränkte und begann, insekur sein beachtliches Gewicht von einem aufs andere Bein und wieder zurück zu verlagern, ehe ihm gewahr wurde, dass es überaus unartig mochte erscheinen, die eigene Person unpräsentiert zu lassen:
    "Ich bin Manius Flavius Gracchus Minor, der Sohn des Hausherrn."

    Mitnichten war es Patrokolos gelungen, seinen jungen Herrn zu kalmieren, als er diesen wenige Zeit später in unveränderter, fötengleicher Pose auf seiner Liegestatt auffand, die den jungen Flavius in ihrer habitualisierten Desperation jener Tage gewahrte, da er in Mantua von seinem Vater war verlassen worden. Und in der Tat bestanden nicht wenige Parallelen, denn hier wie dort verspürte er die Phantomschmerzen der Amputation von seinem Vater, obschon sie damals lediglich physischer, nunmehr aber psychisch-emotionaler Natur und damit von scheinbar größerer Endgültigkeit waren.


    Doch wie sehr auch die Gewissheit schmerzte, die eigene Bestimmung zur Gänze verfehlt zu haben, da doch sein Vater ihn enterben und seine Stiefmutter ihn letzten Endes hinauskomplementieren würde, so war doch Kronos keinesfalls geneigt, den Lauf der Zeiten zum Stillstand zu bringen ob der Befindlichkeiten eines kleinen, wohlbeleibten Jünglings in einer Stadt mit hunderttausenden von Bürgern. Folglich drängten schon am folgenden Tage wieder die Obliegenheiten eines jungen Aristokraten, insonderheit der Besuch des Rhetorenunterrichtes, hingegen auch der familiärer Zusammenkünfte bei Tisch oder Abendgesellschaften. Vermochte er hier sich noch zu exkulpieren, so fasste Sciurius doch am dritten Tage nach dem Streit den Beschluss, dass der junge Herr endlich wieder zur gewöhnlichen Partizipation am familiären Leben zu nötigen war, sodass Patrokolos die desagreable Mission angelastet wurde, Manius Minor diesbezüglich zu motivieren, um den familiären Skandal zumindest in einem gewissen Grade unter dem Scheffel zu halten.


    Und so kam es, dass der Sklave sich letztlich auf der Bettkante seines Herrn wiederfand, um ihm wie bereits die Tage zuvor kalmierend über den Rücken zu streichen, nachdem dieser neuerlich sein Nachtmahl verschlungen hatte, um prompt sich wieder zwischen seinen Decken zu verkriechen und mit ungerichtetem Blick die Wand neben der Pforte des Cubiculums zu fixieren.
    "Domine, so kann das nicht weitergehen!"
    , setzte er endlich zu jenem unplaisierlichen Dialoge an, doch anstelle einer Replik erntete er keinerlei Reaktion.
    "Domine, du musst zu Rhetor!"
    , mühte sich Patrokolos aufs Neue in konkreterer Weise, doch bot er hierdurch lediglich einen Angriffspunkt für die desperate Situiertheit des jungen Flavius, der ihn noch immer kleines Blickes würdigte:
    "Wozu? Mein Vater wird mich enterben und verstoßen! Wozu die Beredsamkeit studieren, wenn ich letztlich als Bettler und Taugenichts in der Gosse enden werde?"
    Patrokolos seufzte.
    "Das ist doch Unsinn, Domine. Dein Vater hat dich nicht verstoßen, er-"
    "Er sagte, es wäre besser, ich wäre niemals geboren!"
    , intervenierte Manius Minor aufs Neue mit weinerlichem Timbre, obschon er die letzten Tage bereits mehr Tränen hatte vergossen, als er durch den Konsum von Wein und Wasser vermeintlich zu reproduzieren imstande gewesen war. Patrokolos seufzte neuerlich. Unzählige Male hatte er den Inhalt des Wortwechsels zwischen den beiden Manii Gracchi in den letzten Tagen rezitiert bekommen, sodass er den Jüngling zu korrigieren imstande war, selbst wenn dies kaum dessen Laune zu heben geeignet sein würde:
    "Das hat er nicht gesagt! Und im übrigen hat er im Zorn gesprochen und es zweifellos nicht so gemeint!"
    Wie zu vermuten reagierte Manius Minor auch hierauf nicht im Geringsten, sondern nutzte sein Publikum zwischen den langen Phasen der Ignoranz vonseiten der Familia lediglich, um dieselbe Leier wie die vorigen Tage zu spielen und sich und der Welt sein Leid zu klagen:
    "Mein Vater meint, was er sagt! Diese Aurelia hat ihn behext, zweifelsohne! Sie wird die Flavii Gracchi auslöschen und durch ihre Bastarde ersetzen!"
    Auch dies war keineswegs eine Novität im Lamentieren des Jünglings, doch diesmal erkannte Patrokolos eine Option darin, die er keinesfalls ungenutzt verstreifen zu lassen duldete:
    "Dann denk an deine Geschwister! Denk an Flamma und Titus! Sie brauchen dich als ihren großen Bruder!"
    "Wie soll ich ihr Bruder sein, wenn ihr Vater nicht mehr der meine ist?"
    , fragte der junge Flavius, augenscheinlich nicht geneigt dem Meer der Autosympathie so leicht zu entsteigen.
    "Du bist ihr Bruder! Sie sind nicht nur die Kinder des Manius Flavius Gracchus, sondern genauso deiner Mutter! Glaubst du, sie würde es wollen, dass du dich hier verkriechst?"
    Der Jüngling rappelte sich auf, um seinen dicklichen Leib wie zum Mahle auf den Arm zu stützen. Seine Mutter! Seine geliebte Mutter, die sein Vater zu annihilieren im Gange war! Allein jener Umstand war schon deplorabel genug, um sich dem Reich des Pluto anvertrauen zu wollen!
    Und doch ließen die Worte seines geliebten Patrokolos keineswegs hinfortwischen wie das leere Geschwätz der übrigen Sklaven, die sich diverse Male darin versucht hatten, ihn mit schäbigen Naschereien und infantilen Beschwichtigungsanläufen und Drohungen seinem Bett zu entreißen. Seine Mutter, jene makellose Diva, hätte es zweifelsohne gemissbilligt, ihren Sohn wie einen Knaben heulen zu sehen, so sehr er sich momentan auch geneigt fühlte, die Sekurität der Liegestatt nimmermehr zu verlassen!
    Und in der Tat verspürte auch der Diener, dass jene Kerbe zu traktieren ein rettender Ast war, den weiter zu umklammern galt, so er die Mission des Villicus noch zum Ziele führen wollte.
    "Sie würde doch wollen, dass du ein Vorbild bist für Titus! Dass du Flamma beschützt! Vor..."
    Für einen Augenschlag stockte der Sklave, da ihm die Worte doch als ein Anheizen zur Revolte, gleich einem Verrat an demjenigen, der ihn nährte und kleidete, erschienen, doch wischte er jenen Vorbehalt endlich für das höhere Wohl, die Rückkehr des jungen Flavius ins Leben, beiseite:
    "...ihrer Schwiegermutter und dem, was dein Vater tut!"
    Indessen hatte Manius Minor endlich sich herabgelassen, seinen geliebten Patrokolos direkt zu fixieren und somit auch leiblich seinen Worten Beachtung zu schenken, obschon ihm aufs Neue eine, wenn auch schwächliche Ausflucht gewahr wurde, die er prompt ins Felde führte:
    "Doch Titus ist doch gar nicht hier."
    "Aber Flamma! Und glaubst du, sie werden nicht erfahren, dass ihr großer Bruder in Selbstmitleid versunken ist? Dass er seinem Vater unterlag und dies klaglos hinnahm? Ja ihm sogar noch entgegen kam, indem er sich selbst unsichtbar machte?"
    Aufs Neue mühte der Jüngling sich, jenen Einwand zu parieren, doch vermochte er keine Replik zu formulieren, da jener doch überaus persuasiv erschien, denn in der Tat war Flamma kürzlich angekommen und bedurfte in ihrer femininen Fragilität des Schutzes vor jener Natter von Aurelia, zu schweigen von Titus, der wie er seines Erbes würde betrogen werden, hingegen zu klein war, um sich persönlich zur Wehr zu setzen.
    "Doch was soll ich schon tun?"
    , brachte er endlich kraftlos hervor, was nunmehr Patrokolos nötigte, um eine Antwort zu ringen, da in jener Spontaneität des Zwiegesprächs kaum konkrete Instruktionen zu formulieren waren:
    "Nun... jedenfalls solltest du dich nicht verkriechen! Führe dein Leben fort, suche Kontakt zu deiner Familie und..."
    Da die Worte fehlten, füllte Patrokolos die entstehende Pause mit einer hilflosen Geste, ehe er einen eher schwächlichen Abschluss fand:
    "...sei ein Vorbild für sie!"
    Die Worte seines Dieners generierten durchaus Sinn im Geiste des Jünglings, doch widerstrebten ihm die Konsequenzen aufs Heftigste:
    "Wie soll ich dieses Zimmer wieder verlassen? Ich würde zweifelsohne meinem Vater aufs Neue entgegen treten müssen? Wie sollte ich reagieren, nachdem er mich so schroff von sich gewiesen hat?"
    Der Sklave seufzte wiederum, doch diesmal nicht lediglich ob der Desperation seines Herrn, sondern zugleich ob der Kompliziertheit der eigenen Mission.
    "Du musst ihm ja keine Zuneigung entgegen bringen. Sieh es als ein Theater, in dem du eine Rolle spielst. Auch Achilleus hat sich verstellt in Skyros, solange es ihm an Kraft und Macht fehlte, um offen in den Krieg zu ziehen."
    Selbstredend war dem jungen Flavius der Mythos über den heroischsten aller Heroen wohlbekannt, doch zugleich, dass der listenreiche Ulixes ihn allzu leicht hatte enttarnt. Indessen war auch Ulixes ein vortreffliches Bild, dass bisweilen List vonnöten war, um seine Ziele zu erreichen, zumal er im Grunde ja seit seiner Rückkehr aus dem Exil ein derartiges Possenspiel darbot, das zu perpetuieren womöglich durchaus im Bereich des Möglichen lag.
    "Ich weiß nicht..."
    , replizierte er, doch implizierte bereits das Timbre seiner Stimme, dass Patrokolos neuerlich ein Triumph war gelungen.
    Und in der Tat verlangte Manius Minor schon am folgenden Tage nach seiner Toga, um zum Studium bei Magister Quinctius zu gehen und zum Nachtmahl wieder brav die familiare Cena zu frequentieren. Der Jüngling funktionierte aufs Neue, selbst wenn er die ohnehin nicht geringe Introversion um ein vielfaches potenziert zur Schau trug.

    "Die Lex Mercatus lernen! Welch sinnentlehrte Aufgabe!"
    , lamentierte der junge Flavius, als er durch das Vestibulum ins Atrium trat, flankiert von seinem Sklaven Patrokolos, über die Obliegenheiten, die Quinctius ihnen am heutigen Tage aufgetragen hatte.
    "Dies mag eine Necessität für Winkeladvokaten sein, diesen arroganten Ollius oder die übrigen Studenten niederen Standes! Aber wann werde ich jemals genötigt sein, aus dem Stegreif über die Lex Mercatus zu referieren?"
    Wie für gewöhnlich wirkte der Diener indessen kalmierend, während er zugleich die Toga entgegennahm, die sein Herr im Gehen von seinem Leib schlang:
    "Man weiß nie, Domine. Womöglich musst auch du eines Tages einen Klienten vor Gericht verteidigen. Oder gar dich selbst?"

    Vom nunmehr schwindenden Gemach seiner Mutter herbeieilend stürzte Manius Minor in sein Cubiculum, wo er zielstrebig auf das Bett sich war, um seine Kissen mit bitteren Tränen zu tränken. Das Antlitz in heftigster Emotion verzerrt und unter Schluchzen und Schniefen passierte der Dialog mit Manius Maior nochmalig Revue: Wie nur konnte sein Vater die Memoria der Claudia Antonia hinfortzuwischen suchen, wie man Notizen auf einer Tabula hastig mit dem Stylus erasierte? Jenes Heiligtum stiller Andacht an jene divine Gestalt, deren Dignität zumindest für den Jüngling die der offiziös divinisierten Flavii beiweitem übertraf, abzubrechen und zu profanieren mochte bereits an sich einen Frevel darstellen, doch dies gar aus der Intention heraus zu tun, sich der neuen Matrone des Hauses anzubiedern, erschien geradezu abscheulich, ja inexkulpabel! Wie überhaupt konnte sein Vater es wagen, den Platz der ehrwürdigen Claudia durch die nichtswürdige Aurelia zu füllen? Wo jene jungfräulich in die Ehe getreten war, doch als überaus fertil sich erwiesen hatte, glich diese einem vertrockneten Brunnen, befleckt und doch kraftlos, ein fleischgewordenes böses Omen und Unglücksbringer, der nun in parasitärer Weise sich mühte auch die Flavia Graccha zu beschmutzen!


    Das größte Übel an jener schicksalhaften Situation stellte indessen der Umstand dar, dass Manius Maior all dieser Einwände durchaus bewusst war, und er dennoch sich wider all die Weisheiten, die er selbst Manius Minor einst hatte gelehrt, wandte, da doch die Wahrheit hinter der Aurelia Anbiederung nur die schnöde Gier, Anteil am strahlenden Glanz des flavischen Geschlechtes zu gewinnen, konnte sein, da die Ehelichung jener unheilvollen Natter nicht nur die Familie durch ihre Zankhaftigkeit und Arroganz schädigen, sondern implizit auch dem Staate selbst zum Nachteile würde gereichen, indem sie die Kraft der Flavii minderte und in Neid und Missgunst gegen die Sprossen der Claudia am Ende der Res Publica einige Diener versagte, deren Anlagen und Edukation sie für die Lenkung des Staatsschiffes überaus kapabel sein ließen.


    In welch hohem Maße die Dinge im Argen lagen, hatte das heutige Zwiegespräch indessen in aller Klarität erwiesen: Obschon die Natter noch nicht einmal die Pforten des Hauses hatte überschritten oder das flavische Ehebett in Besitz genommen hatte, übte sie bereits einen abscheulichen Einfluss auf das Haupt der Flavii aus und dirigierte ihn gleich einer Puppenspielerin, indem sie ihn seinem eigen Fleisch und Blut alienierte. Selbstredend war dem jungen Flavius bereits zu vor aus schmerzlichste bewusst gewesen, dass seines Vaters Tugenden der Mut und die Mannhaftigkeit nicht waren, er vielmehr dazu neigte, das Unrecht zu akzeptieren und feig zu entfleuchen, anstatt für die Mores Maiorum zu fechten. Doch dass er ohne Zögern unter das Joch einer nahezu fremden, wenn auch überaus attraktiven Frau sich beugte und, getrieben von fieberhaftem Verlangen, jener vergifteten Rose zu gefallen, all das vergaß, was er in einem laborösen und ehrenvollen Leben aufgerichtet hatte, ja die Frucht seiner eigenen Lenden hinfortzuwischen wie eine faulgewordene Traube, war mehr denn erschreckend.
    'allfällig wäre es besser, auch deine Blutlinie nicht fortzuführen, während ich mit einer anderen Gemahlin einen Stammhalter zeuge'
    Wie ein loderndes Feuer schmerzten jene Worte in seinem Herzen und schnürten seine Brust, dass jeder Atemzug zur unermesslichen Qual erwuchs. Zweifelsohne war dies das Werk der Einflüsterungen jener Natter, doch nötigten sie den Jüngling dennoch, jedwede Hoffnung auf seinen Vater fahren zu lassen, ließen jene Restanten an Zuneigung dahinschmelzen wie Eis in einem dekadenten Sommertrunk, und erteilten seinem beständigen Verlangen nach jener paternalen Zuneigung und Liebe, welche er stets insgeheim hatte ersehnt, eine schroffe Absage, die seinem Verlangen Hohn sprach. In der Tat glich dieser Schmerz in nicht geringem Maße jenem, den er bei der Nachricht vom Tode seiner Mutter hatte verspürt.
    Ja, nun war auch sein Vater für ihn verstorben und hatte ihn als Waisen zurückgelassen. Dieser Tod indessen erwies sich als weitaus schmerzlicher denn jeder Abschied zuvor, denn während die Manen der Claudia Antonia ihn wohlwollend aus den Gefilden der Seligen geleiteten, war die Relation zum Genius Manius Maiors zur Gänze destruiert und hatte gar in Feindschaft sich gekehrt.
    Wie indessen sollte er seinem Schicksal, dem Lauf der Ehren, folgen, ohne dass sein eigener Vater und damit die gesamte Familia ihn unterstützte? Welche Funktion verblieb ihm, wenn er nicht zum Stammhalter der Flavia Graccha würde werden, sondern ein enterbter Tropf? Würde Gracchus Maior ihn des Hauses verweisen, all jene Kommoditäten ihm versagen, ohne die zu existieren Gracchus Minor sich niemals zu imaginieren vermochte?
    Würde er nicht jämmerlich zugrunde gehen? Und wäre er damit nicht ohnehin zu nichts zunutze, ein fehlsichtiger Knabe ohne Kontakte, dem nichts denn der Bettelstab verblieb, der indessen ob seiner Adipositas ein derartig groteskes Bild würde präsentieren, dass niemand auch nur ein As ihm zu gewähren bereit wäre?
    Sollte er nicht besser unmittelbar dem Rat des Hegesias folgen und sich, gleich Cato Uticensis und vielen anderen, selbst den Tod geben, ehe Hunger und Schmach ohnehin sein Leben raubten?

    Die Retoure traf Manius Minor mit unverhoffter Vehemenz, denn obschon er selbst die Grenzen des Anstandes beiweitem hatte überschritten, so erschien die Äußerung Manius Maiors als neue Exorbitanz, die zu übertreffen exkludibel war. Mochte er die Entscheidung seines Vaters in ungebührlicher Weise kritisiert, ihm seinen Zorn ins Antlitz gesprochen haben, so hatte er doch nie seine unabänderliche Relation zu ihm infrage gestellt, hatte stets implizit nur das Wohl der Flavii Gracchi und somit auch das des Gracchus Maior im Sinne gehabt. Dieser indessen revanchierte sich mit dem schrecklichsten aller Verdikte! Wäre er doch bei seiner Infantilität verblieben, hätte ihn womöglich ob seiner Unansehnlichkeit, seiner Menschenfurcht oder jener übrigen, schier innumerablen Makel getadelt, die ihm kontinuierlich Leid bereiteten! Doch stattdessen hatte er im wörtlichen Sinne die Gürtellinie gleich dem Rubikon durchschritten und sprach ihm nicht weniger als den furchtbarsten aller paternalen Flüche zu, indem er ihn gewissermaßen aus der Familie exkludierte. Ihm, dem Stammhalter, seinem eigen Fleisch und Blut, der identen Namen wie er selbst trug, wünschte er ein Versiegen der Stirps!
    Für einen Augenblick glaubte er sich in einem jener sinistren Gespinste, mit welchen Morpheus ihn bisweilen torquierte, erwartete schon, dass das unscharfe Antlitz seines Vaters zu jenem wohlvertrauten, bartgesäumten Schädel mit dem leblosen Blicke mutierte. Indessen geschah nichts dergleichen. Vielmehr konfirmierten sich hier in höchst realer Weise seine schlimmsten Ängste, denn augenscheinlich hatte jene Aurelia seinen Vater bereits zur Gänze konsumiert, hatte ihm den Floh der Insuffizienz der claudisch-flavischen Brut ins Ohr gesetzt und damit das Schicksal der wahren Flavii Gracchi besiegelt.


    Voller Entsetzen starrte der Jüngling durch die tränenverquollenen Augen in jene finsteren Höhlen, die deren paternales Pendant darstellen mussten, öffnete den Mund für eine Replik, doch entfleuchte kein Wort seinen Lippen, so sehr war er verwundet, dass er keiner rhetorischen Wendung sich entsinnen mochte, weshalb er endlich nur stumm den Kiefer bewegte, ehe der Mund aufs Neue sich nutzlos verschloss.


    Indessen war keinesfalls der letzte Streich getan, denn anstatt von ihm abzulassen und ihn dem Schrecken über die Einsicht zu überlassen, dass das feminine Geschlecht von weitaus größerer Gefahr war denn jemals vermutet, versetzte Gracchus Maior ihm endlich den Todesstoß, indem er nicht nur seinen Sohn schroff von sich wies, sondern diesen gar bezichtigte, seinen einzigen verbliebenen, geliebten Anverwandten übles zu wollen. Mitnichten hatte ernstlich erwogen, jene Natter einem der Milonen anzuhängen, sondern war vielmehr im Eifer ds Gefechtes dazu hingerissen worden, jene Namen zu erwähnen, doch lediglich exemplarisch und ohne weitere Erwägung!
    Dies nun gegen ihn zu wenden war mehr denn perfide, zumal sein Vater mit jenen Worten nur konzedierte, dass er sich der Insuffizienz seiner Angetrauten in höchstem Maße bewusst war, obschon dies sein vermeintliches 'Opfer' umso absurder, ja geradehin grotesk ließ erscheinen.


    Tränen strömten über seine Wangen, die Nase versagte ihm den frischen Odem, seine Schultern hingen schlaff herab und auch das Haupt senkte sich in stummer Qual. Als ein sprichwörtliches Häufchen Elend endlich rang er sich einen Satz ab, über dessen Inimität sein deplorabler Status mitnichten hinwegtäuschte:
    "Du... du bist nicht mein Vater!"
    Sprachs ung ging ab.

    Noch ehe es ihm gelang, dem achso detestierten Manius Maior zu entfleuchen, hatte dieser ihn ergriffen und zu Manius Minors Beschämen gar auf die Beine geholfen, um ihn unverzüglich an der Flucht zu hindern. Doch noch immer war des Jünglings Ratio verschüttet unter divestesten Emotionen vehementester Art, da er vor glühendem Hass bebte und zugleich vor Scham sich grämte, weshalb er sich harsch der Hand des Vaters entwand und zurückwich, bis er das Holz des Türpfostens im Rücken verspürte. Gepresst an die Pforte und damit dem Vater im Rahmen seiner Fakultäten ausweichend vernahm er die Explikationen, die ihm in seinem rasenden Zorn indessen gänzlich uneinsichtig erschienen, ja geradezu als ridikulöse Ausflüchte bar jedweden realen Substrats sich darboten, da doch, selbst wenn er geneigt sein mochte, die Necessität einer Eheschließung zu akzeptieren, die vermeintliche Alternativlosigkeit der Aurelia nichts weiteres sein konnte denn grandioser Humbug!
    "Notwendigkeit? Dieses Weib?"
    , gab der Jüngling daher trutzig zurück und schniefte vernehmlich, ehe er dem älteren Flavius auf Giftigste entgegenspie:
    "Sie ist noch nicht einmal richtig verwandt mit Aurelius Lupus!"
    Durchaus war dem jungen Flavius bekannt, dass die Aurelia Gens sich in mehrere Stirpes sich auseinanderdividierte, wobei der der Prisca mit dem der Aurelii Lupi keineswegs kongruent war.
    "Es existieren mehr als genug Flavii, die diese 'Pflicht' in ebensolchem Maße hätten übernehmen können! Du hättest Onkel Scato mit ihr vermählen können! Oder Aulus! Doch stattdessen stürztest du dich selbst auf die erstbeste auf dem Heiratsmarkt, die dort zu haben war! Eine Witwe, die schon Onkel Piso nichts denn Unglück brachte, der jedwedes Gespür für adäquate Präsente fehlt wie der Sinn für die Mores Maiorum, welche unsere Feriae prägen! Die dafür ein Übermaß an Arroganz und Hochmut besitzt!"
    Noch immer entbehrte Manius Minor jedweder Contenance, sodass der Gedankenstrom sein Haupt unfiltriert oral verließ, womit zweifelsohne er sich selbst um selbiges wie seinen Kragen redete.