Zwar mag der Januar bereits geraume Zeit ins Land gegangen sein, doch nun endlich will ich doch zu meinem Gesellenstück schreiten
Der Tag war gekommen für Manius Minor, um dem Studium der Beredsamkeit den Rücken zu kehren. Mitnichten hatte er jenes Los aus freien Stücken gewählt, denn obschon er bisweilen die stilistischen Elaborationen und drögen mnemotechnischen Exerzitien als ennuyant empfand, so hatte er doch soeben erst jenen gräulichen paternalen Konflikt verwunden und ob der Destruktion seines Erbes seinen neuen Lebenssinn darin gefunden, seine Geschwister vor der Feigheit Gracchus Maiors und der Verschlagenheit seiner Stiefmutter in spe zu bewahren. Doch lediglich um nun durch ein einziges paternales Wort abserviert zu werden, um in der Peripherie des Imperiums sein Dasein zu fristen, wo ihn die Vorgänge in der Urbs mit indefiniter Dilation würden erreichen und er zu seinen einzig verbliebenen nahen Anverwandten kaum mehr würde durchdringen. Die sinistre Miene, die aus derartigen Assoziationen mit seinem Schicksal entsprang, eignete sich hingegen aufs Vortrefflichste für seine finale Präsentation in der Taberna des Quinctius Rhetor, denn ob der Aktualität des Falles hatte dieser ihm aufgetragen, eine Laudatio Funebris auf den dahingeschiedenen Princeps zu elaborieren, dessen Herrschaftszeit auf sonderbare Weise den Rahmen der Entzweiung zwischen Manius Minor und Maior bot: Sein Aufstieg im Bürgerkrieg hatte der Flucht und Exilierung aus Rom, in deren Verlauf Gracchus Maior seinen Sohn aufs Schändlichste zurückgelassen und damit den Konflikt gesät hatte, den Anlass geboten, während just zum Ende des palmanischen Lebens der endgültige Bruch war vonstatten gegangen, sodass nun der neuerlich drohende Krieg um sein Erbe geradezu prädesteniert schien, der emotionalen auch die physische Sektion als Motiv zu dienen.
All diese deplorablen Umstände hingegen mühte sich der Jüngling beiseite zu schieben, als er, angetan mit der Toga Virilis, wie es sich für einen Adepten der Rhetorik geziemte, auf das Wort seines Magisters hin vor die versammelte Runde der Kommilitonen begab, ein letztes Mal das Arrangement seiner Rede im Geiste repetierend, um nach einem kurzen Räuspern endlich zu beginnen:
"Ihr Söhne Roms, Freunde und Kommilitonen!
Seit langer Zeit habe ich die Ehre, an eurer Seite die Kunst der Beredsamkeit zu studieren unter dem achtsamen Blick und dem liebenden Auge unseres geschätzten Orator Spurius Quinctius Rhetor. Aufs Vortrefflichste präpariert und kultiviert er in diesem bescheidenen Hause unsere Kompetenzen, um sie eines Tages in den Dienst unserer geliebten Res Publica zu stellen, den Cursus Honorum hinaufzueilen und zu Ruhm und Ehre zu gelangen."
Gravitätisch blickte der junge Flavius in die versammelte Runde, welche in der Tat berufen war, in den höchsten Rängen des Imperium zu dienen, ihre Ars Oratoria auf dem Campus eines Castellum, in den Basilicae und Triclinia der Mächtigen zum Besten zu geben, wenn nicht gar, in exzeptionellem Falle wie dem seines Freundes Lucretius oder der die Schule frequentierenden Flavii die Curia Iulia mit ihren rhetorischen Effusionen zu beglücken.
"Nun indessen finden die Tage meines Studiums ein Ende, welches deplorablerweise mit dem Ende eines großen Mannes koinzidiert, der uns allen ein strahlendes Vorbild war und sein wird, was immer wir mit unseren Qualitäten werden anstreben: Ob wir als Soldaten in den Bergen Thracias oder unter der Sonne Syrias, als Magistrate in der Curia Iulia oder als Administratoren in den Officia Roms unseren Dienst tun werden - stets werden seine Errungenschaften Maß und Vorbild unseres Handelns bleiben müssen!
Erlaubt mir also am heutigen Tage, Euch von der Vita jener Lichtgestalt zu berichten und die Leistungen dessen zu rühmen, dem wir Frieden und Gerechtigkeit verdanken und dem Verehrung entgegen zu bringen wir schuldig sind und sein werden für seine Verdienste um die Res Publica auf ewig."
Aufs Neue verweilte der junge Flavius einen Augenblick, bis diese Wendung seiner Rede, die nun endlich auf deren eigentliches Sujet hin führte, zugleich aber das Prooemium wie die Narratio zum Abschluss brachte, bei seinem Publikum sich gesetzt hatte, um dann aufs Neue kraftvoll einzusetzen:
"Lasst mich euch berichten, welch eminente Anlagen und Verdienste jenen Cornelius an die Spitze unserer Res Publica brachten. Gestattet mir, jene exquisiten Tugenden und Leistungen zu erwähnen, die ihn nicht nur zum Maßstab aller Caesaren, sondern eines jeden aufrichtigen Bürgers und damit unser aller qualifizieren!"
Eine ganze Weile hatte Manius Minor über das Arrangement seiner Rede spintisiert, hatte die diversen Partien verschoben und sich aufs Neue durch Patrokolos rezitieren lassen, ehe er endlich den Beschluss hatte gefasst, in chronologischer Weise zu verfahren, was, obschon diese Praxis nur geringe Finesse mochte belegen, einer gängigen Ordnung der Laudatio Funebris würde entsprechen und gleichsam einen natürlichen Fluss evozierte. So zumindest hoffte der junge Flavius, als er nun endlich begann:
"Schon seine Herkunft ließ von ihm höchste Erfolge erwarten, da er doch dem ehrenwerten Geschlecht der Cornelii Lentuli entstammte, welches bereits zahllose strahlende Vorbilder hervorbrachte:"
Emsig hatte der junge Flavius die Historie der Cornelia Gens studiert, hatte diverse Notable entdeckt und selektiert, um die vortrefflichsten unter ihnen samt ihren stupendesten Leistungen zu präsentieren, während Unrühmliches selbstredend gestrichen worden war, da einesteils dies der Intention seiner Rede zuwiderlief, andernteils aber eine Geißelung des Stammbaumes einer Kritik am verblichenen Princeps selbst gleich kam, dessen Günstlinge und Freunde noch immer an der Macht partizipierten und über das Andenken ihres Patrones mit Argusaugen wachten.
"Man denke an Lucius Cornelius Lentulus, der das Consulat als erster seiner Ahnen errang und dessen Heldenmut im Kampf gegen die Samniten das Volk bemüßigte, ihn in höchster Not gar zum Diktator zu küren!"
Den Umstand, dass besagter Lentulus ebenso dafür votiert hatte, im Kampf gegen die Samniten die Waffen zu strecken, verschwieg er selbstredend.
"Ihm folgten zahllose Lentuli von similärer Qualität, welche indessen stets in den Dienst der Res Publica gestellt und rechtmäßig letztlich mit ebenso zahllosen Triumphen gewürdigt wurden: Lucius Cornelius Lentulus Caudinus bezwang die Samniten, während Rom zugleich gegen Pyrrhus focht..."
Dass einige Jahre später ein weiterer Lucius Cornelius Lentulus genau bei jenem Caudium, welchem die Lentuli Caudini ihren Cognomen dankten, das römische Heer beschwor, unter dem samnitischen Joch hindurchzukriechen, blieb aufs neue ungenannt.
"...sein Sohn Publius Cornelius Lentulus unterwarf die Ligurer..."
War diesem kein Makel anzuhaften, so war der Jüngling folgend genötigt gewesen, eine ganze Reihe von Lentuli zu übergehen, da etwa der Consular Lucius Cornelius Lentulus Lupus wegen Erpressung abgeurteilt worden war, Gnaeus Cornelius Lentulus Batiatus jener deplorable Unglücksrabe gewesen war, welchem Spartacus und seine Gefährten aus der Gladiatorenschule entfleuchten, Publius Cornelius Lentulus Sura sich insonderheit als führender Kopf der Coniuratio Catilinae verdient gemacht hatte, wofür er von Cicero, dem Meister der Beredsamkeit, noch im Jahre seiner Praetur hingerichtet worden war, Publius Cornelius Lentulus Spinther schließlich im Bellum Civile nach dem Kampfe für Divus Iulius doch dem Pompeius Gefolgschaft geleistet hatte und letztlich das Exil schaute, und Lucius Cornelius Lentulus Crus endlich vornehmlich Publizität durch einen Repetundenprozess ob seiner Ausbeutung der ihm anvertrauten Provinzen gewonnen hatte.
"...und Cossus Cornelius Lentulus die Gaetuler und Musulamier in Africa."
, verblieb somit ein letzter Name zu nennen, obschon auch hier ein pikantes Detail, nämlich sein Übermaß an Liebe zum berauschenden Weine, keinerlei Erwähnung fand. Doch war damit wohl dem Lob der Ahnen Genüge getan, weswegen der imaginäre Manius Minor ein weiteres Gemach seiner Domus Rhetoris aufsuchte, in welchem nun endlich die Qualitäten des Princeps selbst waren verstaut:
"Jenen Lichtgestalten erwies auch er selbst sich im höchsten Maße als würdig: Gleich einem Steinbock, der über Stock und Stein zum Gipfel des Berges hinaufspringt, so erklomm auch er flink die Höhen des Cursus Honorum, bekleidete das angesehene Amt des Quaestor Urbanus, diente als Aedilis Plebis und Praetor Peregrinus, ehe Divus Iulianus ihn der stolzen Tradition seiner Stirps gemäß mit militärischen Aufgaben betraute: An der Spitze der Legio VIII Augusta, die auch im Kampfe gegen jenen unsäglichen Usurpator Salinator fest an seiner Seite stand, warf er den Aufstand der Germanen nieder und erhielt dafür die Hasta Pura wie den Dank zahlreicher Bürger, die durch seinen Heldenmut noch heute unbescholten vom Furor Teutonicus ihrem Tagewerk nachgehen können. Doch betraute der Imperator seinen Getreuen auch mit einer weit schwierigeren Aufgabe und entsandte ihn als Legaten in die Heimat des Dionysos, des Apollon und des Orpheus. Und obschon die Thraker ein rauhes und misstrauisches Volk sind, so erfüllte er auch hier seine Obliegenheiten und leistete noch weitaus mehr, wie die große Inscriptio, welche das Volk von Thracia in der Provinzhauptstadt ihm setzte, belegt."
Konkretionen der Leistungen in den unteren Ämtern des Cursus Honorum vermochte der Jüngling indessen nicht zu nennen, da die Res Gestae hier augenscheinlich keinerlei notable Erfolge geboten hatten, was indessen auch für seine folgende Karriere, die zwar admirabel, doch keineswegs völlig exorbitant zu bewerten war, bewies:
"Mehr als suffizient waren seine Verdienste somit, um nach seiner Rückkehr mit dem Consulat ausgezeichnet zu werden und sofort darauf folgend als Curator Aquarum die urbane Administration zu bereichern. Auch diese Obliegenheiten im Herzen des Imperiums vollendete er mit größter Beflissenheit, sodass Divus Iulianus endlich sich entschied, ihn aufs Neue an den Rand des Imperiums zu entsenden, um dort die Grenzen Roms zu bewahren und als Legatus Augusti der Provincia Syria vorzustehen. Selbstredend bewährte er sich auch an dieser Stelle, erhielt die Hasta Pura verliehen und übertraf beinahe sämtliche Senatoren, als er im folgenden Jahr gar ein zweites Mal das höchste Amt der Res Publica bekleidete."
Deplorablerweise hatte der Jüngling in den Annales der Res Publica kaum notable Errungenschaften aus den beiden Consulaten des Cornelius entnehmen können, sodass er sich mit diesen kargen Worten beschied, obschon selbstredend das Finale seines Cursus Honorum seine Qualitäten in nicht geringem Maße konfirmierte:
"Zur Krönung jenes langen Laufes der Ehren endlich bestimmte der Senat ihn zuletzt als Proconsul für das reiche Asia, wohin, wie zweifelsohne jedem hier bekannt sein mag, nur die angesehensten der Consulare entsandt werden. Doch während mancher jenen Posten als Ruhesitz des Alters zu genießen pflegt und lediglich die Schätze jener Provinz sich zufließen lässt, brachte Cornelius Palma auch hier seine hervorragenden Eigenschaften zum Glänzen und mühte sich selbstlos für die ihm Anvertrauten, sodass-"
Für einen Augenschlag war der Jüngling genötigt in seinem Redefluss innezuhalten, denn obschon er im Bauwerk seines Panegyricums zu einer neuerlichen Vase war getreten, die eine Auszeichnung symbolisierte, so vermochte doch sich nicht recht zu entsinnen, ob es sich hierbei um eine Statue oder Ehreninschrift hatte gehandelt. Schlussendlich gelangte er indessen zu der Entscheidung, im Falle des Imperators besser zu hoch als zu nieder zu schätzen, weshalb er den Satz aufs Neue antrat:
"Zum Dank errichteten auch die Bewohnern jener Provinz ihm in ihrer Hauptstadt eine Statue von Marmor, die noch heute an dieser Stelle zu bewundern ist."