Die Ironie der Kommentierung seines Scherzes ließ den Knaben seiner Konzentration nochmalig verlustig gehen, sodass er gar vergnügt in sich hineinlachte, da doch jene Worte geradezu als typische Äußerung seines Neffen zu bezeichnen waren, welche er in eben jener Form zweifelsohne seiner Mutter hätte zugeeignet.
"Ich danke dir, mein Junge! Deine Rüstung steht dir ebenso vortrefflich!"
, replizierte er somit, gefangen in jener amüsanten Imagination eines Fusus Militaris, der zwar hinsichtlich seines Temperamentes durchaus Similitäten zu jenem Coriolanus aufzweisen mochte, doch weder in seiner Gestalt, noch seinen Neigungen komparabel zu sein schien.
Doch verwarf Manius Minor jenes vergnügliche Scherzen schließlich doch, räusperte sich, blickte in die Runde, als wären Fusus und die Sklaven eine Schar Geschworener, und nickte.
"Marcius Coriolanus, siegreicher Feldherr Roms!"
, begann Manius Minor dann endlich seine Deklamation, wobei die Anrede zugegebenermaßen die leichteste Partie jener Exerzitie darstellte, ehe der Knabe gedanklich erst in das imaginierte Haus eintrat, welches den Lehren des Quinctius gemäß als Vehikel der Kommemoration des Redetextes diente. Das Vestibulum barg hierbei wie gewohnt das Exordium, jenen Redeteil, der gleich dem Umkleideraum hinter der Porta gewissermaßen ein Präludium zum eigentlichen darstellte, in diesem Falle also der bittenden Rede der Mutter Coriolans. Durchaus fand er an den Wänden bereits ein imposantes Schlachtengemälde, welches ihm jedoch erst in den Blick geriet, als er das Lachen von Kindern vernommen hatte, die die Familie des Renegaten symbolisierten.
"Die Väter Roms, ja selbst deine greise Mutter und deine geliebte Gattin, die Mutter deiner Söhne, stehen vor dir! Vor dir sind wir erschienen, um dir den einmütigen Willen der Quiriten zu unterbreiten, die darauf brennen, dich aufs Neue in ihrer Mitte begrüßen zu dürfen. Lange hast du die Geschicke unserer Stadt geführt und viele siegreiche Schlachten geschlagen, was dich als großen Feldherrn und Strategen auszeichnet, weshalb wir nicht zweifeln, dass du klug entscheiden und unserem Bitten Gehör schenken wirst."
Für eine Captatio benevolentiae mochte dies genügen, wie der Knabe hoffte und welche er, wie er zu seiner größten Befriedigung notierte, trotz der Länge der Sätze fehlerfrei rezitiert hatte.
"Vor dir stehen wir somit heute um dich zu ersuchen, von Rom abzulassen und in dein Vaterhaus zurückzukehren, anstatt es mit Feuer und Schwert zu vernichten. Doch wie konnte es zu jener schrecklichen Lage kommen?"
Fragend blickte der Knabe um sich, als wären nicht lediglich Fusus, Patrokolos und Vulpes sein Auditorium, sondern sämtliche Bücher der Bibliotheca, die in ihren Regalen wie die Senatoren auf den Stufen der Curia ihm folgten.
"Du entstammst doch den Marcii, einem der edelsten und ältesten Geschlechtern Roms, welches gar selbst schon zu jenen Zeiten unserer Res Publica dienten, als Iunius Brutus die Könige vertrieb! Seither lenken sie mit den übrigen Patres die Geschicke des römischen Volkes, bekleiden die höchsten Ämter im Staate, brachten Consuln und Praetoren hervor und führten zahlreiche Heere unserer Stadt in die Schlacht, wo sie unsterblichen Ruhm erlangten. Doch auch du selbst musst hinter ihnen nicht zurückstehen, denn du rettetest am Lacus Regillus einem Bürger das Leben und für deine Heimatstadt warfst du die Volsker nieder-"
Für einen winzigen Augenblick stockte der junge Flavius, geistig sich bereits im Atrium bewegend, wo er von den Masken der Maiores hinab zu einigen Vasen geschritten war, deren assoziatives Pendant er nicht mehr sicher zuzuordnen wusste.
"Mit Recht darfst du dich somit deiner Ahnen rühmen und ihre Verdienste hervorheben, ja es erscheint mitnichten abwegig, dass du all jene mit Misstrauen betrachtest, die nicht auf noble Herkunft und persönlichen Ruhm, sondern durch die Plebs ihre Macht legitimieren und Mitsprache in den Angelegenheit der Res Publica beanspruchen. Doch übermannte dich auch Hochmut, als du begannst, das Volk gering zu schätzen, das doch an deiner Seite gekämpft hatte, und eine Hungersnot für deinen politischen Kampf gegen die Tribuni Plebis auszunutzen. Dies waren die Gründe, warum deine Wahl zum Consul scheitern musste, da doch der Consul das Haupt der gesamten Res Publica, bestehend aus Senat und Volk von Rom. Es mag dies eine tiefe Kränkung gewesen sein, da doch dieses Amt schon diverse Male von deinen Ahnen bekleidet wurde und dir wohl anstünde. Schlimmer noch mag das Exil dich gegen dein Volk aufgebracht haben und ich muss gestehen, dass jenes Verdikt durchaus von großer Ungerechtigkeit war, dass die Tribuni Plebis ihre Macht missbrauchten und das Volk über Gebühr gegen dich aufhetzten, den Rat der Patres in den Wind schlugen und dich aus Rom verbannten.
Das größte Unrecht begingst danach jedoch du, als du mit dem Feinde Roms paktiertest, um dich gegen dein Vaterhaus zu wenden! Als du das Heer des Feindes in das Land führtest, das deine Väter einst selbst mit ihrem Blut bezahlten, und jene dem Tode weihtest, die du einst selbst in die Schlacht führtest."
Mit größtem Engagement rezitierte Manius Minor jene Zeilen, während sein gedanklicher Rundgang hurtig voranging, er an einzelnen Objekten verharrte, welche verlorene Wahlen, militärische Siege und grässliche Frevel symbolisierten, um endlich die Narratio zu beenden und in medias res zu gehen und damit jenen Teil seines imaginierten Hauses zu betreten, der der Familie vorbehalten war. Dort im Tablinium und dem angegliederten Tabularium mochte er jene Argumente finden, welche es zuerst zu widerlegen galt:
"Du magst sagen: 'Rom hat mich verbannt! Ich bin kein römischer Bürger mehr!' Ich aber sage dir: Die Comitia haben jenes Verdikt aufgehoben und wünschen dich wieder in ihre Reihen zurück! Aus diesem einen Grunde sind gar mehrere Gesandtschaften zu dir gekommen, um dir die frohe Kunde zu bringen, dass du neuerlich jenem Volk zuzurechnen bist, das an Größe alle Italiker übertrifft! Du bist wieder ein Römer, wie auch-"
Neuerlich stockte der Knabe, da ihm beinahe ein 'ich' entfleucht wäre, da er doch die Rolle der Volumnia eingenommen hatte. Da dies indessen zweifelsohne ein weiteres komisches Moment evoziert hätte, welches zu meiden er sich anschickte, korrigierte er sich, noch ehe es ausgesprochen war:
"-deine Mutter dich geboren hat! Die Gesetze unseres Volkes und deiner Väter lassen also keinen Zweifel, dass du ein Römer bist wie ich.
Auch magst du sagen: 'Man hat mich der Schande preisgegeben, als man mir das Consulat verweigerte!' Doch auch hier musst du erkennen, dass das letzte Wort in dieser Angelegenheit nicht gesprochen ist. Jedes Jahr werden neue Consuln gewählt, jedes Jahr besteht die Option und jedes Jahr scheitern angesehene Männer in ihrer Kandidatur! Keineswegs musst du dich also ob jener vermeindlichen Schande grämen, vielmehr nach vorn blicken: Das Volk brennt auf deine Rückkehr und möchte dich in seiner Mitte wissen. Warum also sollte es Einwand erheben gegen eine neuerliche Kandidatur, die nach dieser neuerlichen Probe deiner militärischen Kapazitäten zweifelsohne von Erfolg bekrönt sein wird, aufdass du zukünftig wieder unsere Heere zum Sieg führst?
Du magst sagen: 'Warum sollte ich mich jenen Risiken stellen, wo mir Rom ohnehin offen steht, nachdem das volskische Heer die Quiriten bereits geschlagen hat?' Doch auch hier ergeht meine Warnung:"
Neuerlich stockte der Knabe, da jene Passage ihm besondere Mühen bereitet hatte, wo doch jene augenscheinlichen Triumphe Roms, namentlich jener über den über Jahre Italia durchpflügenden Hannibal, historisch nach den Lebzeiten des Coriolanus lagen und somit illegitime Argumente darstellten. Letztlich war es ihm so lediglich verblieben, einige allgemeine Annotationen zu machen:
"Die Quiriten sind ein zähes Volk, schlachtenerprobt und von unbeugsamem Willen. Iuppiter Optimus Maximus selbst hat dem Romulus die Weissagung gemacht, sein Volk, die Gens Togata, werde den Erdkreis beherrschen. Wie soll es also geschehen, dass das Volk der Volsker jenen göttlichen Spruch zunichte macht?"
Nun endlich war die Positionierung der eigentlichen Argumente an der Reihe, für welche Manius Minor sich einiger Mahnungen Manius Maiors erinnert hatte. Lagen diese bereits ein knappes Jahrzehnt zurück, war er auch unverständig und infantil noch gewesen in jenen Tagen, so hatten sich die parentalen Worte doch gewissermaßen imprägniert und wogten immer wieder durch seinen Geist: 'Deine Herkunft, dein Stand und dein Menschsein gebieten drei Intentionen, nach welchen dein persönliches Streben stets auszurichten ist: das Wohl der Familie, das Wohl des Imperium Romanum, sowie die Wahrheit - in eben dieser Reihenfolge.' Galten jene Worte für die Flavii, so mussten sie auch generalisabel sein für sämtliche Personen similärer Herkunft und similären Standes, worunter wohl auch jener Coriolanus zu subsummieren war:
"Als deine Mutter ermahne ich dich deshalb, deine Waffen zu strecken, wie es dir die Wahrheit, dein Vaterland und deine Familie gebieten:
Willst du die Wahrheit nämlich nicht verleugnen, so musst du erkennen, dass dein Groll gegen die Plebs Romana ein Irrsinn ist. Gedenke der Fabel des Menenius Lanatus, die er damals zu jenen Männern sprach, die voller Zorn ebenfalls Rom den Rücken gekehrt hatten: Wie die Glieder des Leibes des Magens bedürfen, da jener sie nährt und sättigt, so bedarf umgekehrt auch der Magen der Glieder, denn wie sonst soll die Speise in ihn gelangen, wie soll der Leib sich bewegen und existieren?
Der Staatskörper bedarf somit der Plebs und keineswegs dürfen ihre Interessen ungehört verhallen, ebensowenig wie die Klugheit und Expertise der Patres darf übergangen werden. Beide Prinzipien, Senat und Volk von Rom müssen ihre Stimme erhalten, damit der Staatskörper gesund bleibt."
Bei der Präparation jener Worte waren dem jungen Flavius die Lektionen seines Grammaticus bezüglich des Kreislaufes der Konstitutionen von Gemeinwesen nach Polybios in den Sinn gekommen, wonach die Regierungsformen sich beständig ablösten, dass die Herrschaft eines Einzelnen, der Besten und des Gesamtvolkes stets nach einiger Zeit ins Negative driften würden, um einer anderen guten Regierungsform Raum zu bieten. Lediglich eine Mischverfassung, wie sie in Rom schon zu Zeiten besagten Historikers hatte bestanden, konnte jenen Circulus vitiosus durchbrechen und so Beständigkeit und Ruhe für das Gemeinwesen garantieren.
"Du wirst also erkennen müssen, dass deine Ideen ein deplorabler Irrtum gewesen waren, dass deine römische Heimat das beste aller möglichen Gemeinwesen darstellt.
Zudem ist Rom aber nicht nur ein wohlregierter Staat, er ist vor allem dein Vaterland, welches zu negieren impossibel ist! Gedenke deines Standes, der stets im Dienste jener Stadt gestanden hat, gedenke deines Ahnherren Numa Pompilius, der als erster die Kulte dieser Stadt ordnete, gedenke jener Patres, die bereits den Königen Rat und Hilfe boten, die die Unwürdigen aus dieser Stadt vertrieben und seither die Geschicke dieses Staates lenken! Bedenke auch, dass diese Stadt es war, in die hinein deine Mutter dich gebar, die dich aufzog und nährte, dass deine heutigen Feinde jene sind, mit denen gemeinsam du die Toga Virilis anlegtest, erstmalig den Senat betratest und Magistraturen bekleidetest! Du magst einen Groll gegen einige von ihnen hegen, magst dich von ihnen gekränkt und abgewiesen fühlen. Doch letztlich ist diese Stadt dein Vaterland, wurde der Tempel des Ianus, dessen Pforten deinethalben geöffnet wurden, von deinem Ahnen erbaut. Du selbst hast für sie blutige Kriege gefochten, hast unendliche Mühen auf deine Schultern geladen und die Volsker niedergeworfen, um sie groß zu machen!
Dies ist dein Vaterland, welches du nimmermehr kannst negieren!
Insonderheit ist es aber nicht nur dein Vaterland, sondern auch das deiner Familie. Rom ist die Stadt, wo die Gräber deiner Ahnen liegen, die Tempel, die sie erbauten, stehen! Hier ist dein Haus, sind deine Penaten und Laren heimisch! Und hier brachte deine Frau dir Söhne zur Welt, die einstmals deinen Namen tragen und dein Andenken ehren sollen! Willst du tatsächlich all dies der Zerstörung anheim fallen lassen? Willst du, dass die Gräber deiner Väter zu Staub zerfallen, deine Frau und deine Mutter in die Hände jener fallen, die du selbst gegen sie führst?
Ich frage dich: Wer soll zu den Parentalia Opfergaben auf die Gräber deiner Ahnen stellen, wenn du eines Tages selbst die Verwesung schaust? Wer soll an jenen uralten Stätten den Göttern Roms opfern, die auch die deinen sind? Wo sollen deine Söhne Tugend und Stolz erlernen, wenn nicht an jenem Ort, wo sie die Ehrenmäler ihrer Ahnen erblicken, wo der Name Marcius klingt wie Donnerhall? Sollen sie stattdessen als Fremde in einem Dorf jener Volsker leben? Sollen sie vergessen, woher sie stammen und was sie sind?"
Der Raum der Familie war das Cubiculum seines imaginären Hauses, der ja zum Privatissimum einer herrschaftlichen Domus zählte. Einen Augenschlag blickte er sich imaginär nochmalig darin um, doch glaubte er, jedes Detail erfasst zu haben. So verblieb die Peroratio, die seine Deklamation zu einem Ende führen sollte:
"Nein, Marcius Coriolanus: Dies darf nicht geschehen! Höre die Worte deiner Mutter, erkenne die Wahrheit, gedenke deines Vaterlandes und deiner Familie! Lass ab von deinem schändlichen Tun, strecke die Waffen und kehre dorthin zurück, wo du herstammst, als das, was du bist: ein Patricius Romanus, ein stolzer Quirite und Sohn einer römischen Matrone! Darum bitte-"
Ein letztes Mal stockte der Knabe, da ihm doch gerade noch zur rechten Zeit wurde gewahr, dass er ein stärkeres Verb hierfür präpariert hatte:
"-nein: flehe ich dich an! Nein, ich befehle es dir als deine Mutter, in deren Leib du geformt wurdest und deren Milch dich genährt hat, die dich erzog und dir die Toga Virilis reichte! Lass mich nicht in Gram sterben, sondern erfülle mich mit Stolz, wie es deine Mutter verdient hat!"
Als der junge Flavius geendet hatte, musste er erkennen, dass er sich durch seine eigenen Worte in größte Emotionalität gesteigert hatte, sodass es ihm fast schien, als wäre der Scheme des vor ihm lauschenden Fusus in der Tat der Renegat Coriolanus (obschon er sich doch nicht fühlte, als sei er ein altes Weib, das ihn geboren hatte). Nach einigem Schweigen indessen malte sich ein zufriedenes Lächeln auf seine Lippen, da er doch mit minimalen Insekuritäten den langen Redetext vorgebracht hatte und nicht geringen Stolz empfand, eine derartige Rede erdacht zu haben.