Beiträge von Manius Flavius Gracchus Minor

    In der Tat teilte der junge Flavius die Regung des geringfügig älteren zur Gänze, da eben dieser ja seine singuläre Referenz darstellte, obschon sich ihm auch der Gedanke Bahn brach, sich andernorts nochmals der Prämissen rhetorischen Unterrichts zu versichern. Indessen hatte die Argumentation seines 'Neffen' durchaus ebenso etwas für sich:
    "Dies hatte ich nicht bedacht."
    , gestand es somit und griff nach jenem Stein, mit welchem er den ersten Zug zu machen gedachte, um freilich die Hand unvermittelt zurückzuziehen, als sei ein Blitz in ihn gefahren und habe ihm einen Schlag versetzt gleich jenem, welchem der Arbor Felix im Garten der Villa Flavia Felix seine leicht ramponierte Gestalt verdankte.
    "Wer beginnt?"
    , explizierte er seine Reaktion und kniff die Augen leicht zusammen, um zu ergründen, ob sich irgendwo rund um den Tisch ein zum Losen geeignetes Objekt wie ein Würfel oder ein Astragalus sich befand, da jener Modus für gewöhnlich zur Dezision über den Initiator des Spieles gewählt wurde.

    Die Person des Flavius Domitianus erschien aufs Neue als ein Schatten, welcher auf der Flavia Gens haftete gleich dem Unrat, der sich dieser Tage bei Ausflügen nur allzu leicht an den Calceus anhaftete und nur unter größten Aufwendungen der Sklaven die ursprüngliche Farbe des Schuhwerks wieder preisgab, denn obschon man ihn gelehrt hatte, auch diesen Namen zu ehren wie die übrigen Maiores, so entzog sich des Knaben Kenntnis doch auch dessen weithin distribuierte Unpopularität in aristokratischen Reihen mitnichten, welche doch immerhin die höchste Strafe nach sich gezogen hatte, die einem Verblichenen zuteil werden mochte. Dass dieser nun sich als jener Aggressor offenbarte, welchem der unversöhnliche Hass der Vescularii zu verdanken war, ließ auch die Diabolizität des Salinator an Qualität abnehmen, denn obschon Manius Maior die Ächtung als aufgehoben titulierte, so hatte Manius Minor doch bereits so viel gelernt, dass derartige Relationen keinesfalls durch simple Urteilsannulierungen oder die angesichts der langen Tradition der Res Publica lächerlich kurze Spanne von dreißig Jahren sich keineswegs ins Gegenteil sich kehren mochten.
    "Wen hat Domitianus denn noch alles verbannt?"
    , interrogierte er seinen Vater weiter, um etwaige weitere Kaisererhebungen mit tragischer Konsequenz für die Seinen frühzeitig einer korrekten Ästimation unterwerfen zu können.

    Als Catus Atilianus die Taberna zu einem unwesentlich retardierten Zeitpunkt betrat, bedurfte es einiger Zeit, ehe der jüngste der Flavii ihn identifizierte, bewohnte er doch erst seit kürzester Zeit die Villa Flavia Felix, sodass der Knabe bishero der suffizienten Zeit entbehrt hatte, um sich Silhouette wie Kinetik jenes neuen Flavius einzuprägen. Erst der vertraute Gruß weckte in ihm die Remineszenz, woher das wallende dunkle Haar ihm bekannt war, sodass er mit einem Lächeln seinerseits den Digitus Salutaris streckte.


    Doch erbot sich für einen weiteren Plausch mitnichten die Gelegenheit, denn schon begann der Magister mit dem Unterricht und der junge Flavius eilte sich, jenen von Fusus dargebotenen Platz einzunehmen, während Patrokolos sich in vollendeter Similität zu Vulpes zu seinen Füßen platzierte, bereit, seinem fehlsichtigen Dominus jedwede Notizen abzunehmen, ohne dass die übrigen Kommilitonen daran Anstoß nehmen mochten. Durchaus war diese Parallelität auch geneigt, Manius Minors Furcht vor einer Enthüllung seiner Unzulänglichkeit in publico zu lindern, womit ihm genügend mentale Kapazität verblieb, um den schwülstigen Worten des Quinctius zu lauschen, welcher bishero indessen noch wohlvertraute Fakten offerierte, welche bereits sein Grammaticus ihm in propädeutischer Absicht verraten hatte, womit es Fusus aufs Neue gelang, durch eine kurze Interjektion die dröge Faktizität der Lehre zu erfrischen, da ein professioneller Rhetor, wie sie bisweilen auch auf Gastmählern seiner Familie und familiärer Freunde aufgetreten waren, durchaus recht kurzweilige Referate darzubieten imstande war.

    Obschon der jüngere der beiden Flavii zweifelsohne weder unter die populärsten Modelle, noch unter die Modezaren der Urbs zu zählen war und dieser Umstand sich wohl auch in dem langen noch vor ihm liegenden Lebensrest konstant sich halten würde, so perzipierte doch selbst er die ironische Inversion der getragenen Kombinationen, weshalb er ein mildes Lächeln zur Schau stellte, indessen zugleich dem Gedanken nachhing, dass dies keinesfalls geeignet war, ihn zu einem Austausch zu bewegen, da eben dies doch eine kurzfristige Entblößung implizierte.


    In Folge imitierte er Fusus' Gestus und griff seinerseits nach dem Wein, wobei dieser neuerlich gänzlich konträre Erwägungen nach sich zog, denn gerade süße, gewärmte Erfrischungen zählten zu jenen Dingen, die Manius Minor überaus schätzte, was er freilich nicht mehr verbalisierte, da bereits ein gänzlich differentes Sujet ihm präsentiert wurde, welches dringlicher einer Kommentierung bedurfte:
    "Ich muss gestehen, dass mir nicht bewusst wäre, wie ich den Unterricht präparieren sollte. Mein Grammaticus in Cremona hat durchaus Deklamationen mit mir exerziert, doch scheint es mir, dass mich hier etwas gänzlich differentes erwartet. Wie sollte ich mich also vorbereiten?"
    Dies entsprach in der Tat seiner Perzeption, doch evozierte Fusus' Erkundigung doch jene vertraute Insekurität, welche den Knaben nur allzu häufig in ihre Fänge packte, indem sie ihn mit der Furcht der Insuffizienz infizierte, eine Insuffizienz, die angesichts der hohen Ideale und Erwartungen, welche das Leben eines Flavius in Rom mit sich brachte, an jedem Ende zu lauern schien und auch nun wieder hervorbrach wie ein wildes Tier.
    "Du etwa?"
    , fragte er somit mit einem geradezu timiden Timbre in der Stimme zurück, die Hände sorgsam auf den Knien platziert und ein wenig in sich zusammengesunken.

    Obschon Manius Minor angesichts der metereologischen Umstände wohl kaum auf eine Partie im Freien bestanden hätte, zumal er eher zu jenem Teil der Menschheit sich zählte, welche den Schutz von Dach und Mauern zu jeder Zeit gegenüber der Libertät und Schönheit von Flora und Fauna präferierten, aber auch trotz seiner Leibesfülle eine besondere Sensitivität gegenüber der Kälte besaß, so war er doch ohne Zögern ebenfalls im Hortus erschienen, wo man auf Iullus' Proposition hin sich einfand. Um der Kälte vorzubeugen, hatte er sich indessen in eine wollne Tunica mit langen Ärmeln gehüllt, wobei sein Vestispicius an diesem Tage ein himmelblaues, mit weißen Laticlavi versehenes Exemplar ausersehen hatte. Hinzu trat ein weißes Focale und, selbst wenn dies nicht gänzlich stilecht wirken mochte, da nicht der Vestispicius, sondern Patrokolos dieses Kleidungsstück mit relativer Spontaneität auserkoren hatte, eine scharlachrote Chlamys.
    So präpariert nun saß der junge Flavius dem anderen gegenüber und betrachtete sein Spielbrett, welches Patrokolos aus seiner Spieltruhe geholt hatte, in welche es nach seinen Liberalia recht bald verschwunden war, da Patrokolos es doch als recht unansehnlich beschrieben und Manius Minor ohnehin über ein hübscheres Exemplar verfügte, welches Manius Maior ihm einstmals aus Achaia mitgebracht hatte. Für diesen Anlass war es allerdings überaus adäquat und ohnehin unvermeidlich, um seinen Anverwandten nicht zu kränken, was der Knabe ob seiner großen Zuneigung zu dem jüngeren Milonen unter jeglichen Umständen vermeiden wollte. Dessenungeachtet vermochte der Knabe selbst ohnehin kaum die Disparitäten und Abnormitäten der einzelnen Figürchen wahrzunehmen, sodass es ihm doch relativ gleich sein mochte, welches Exemplar er nutzte.
    "Die blauen!"
    verbalisierte er aber endlich und ergriff sogleich die Schar der Figuren, um sie rund um ihren perlenbekrönten "König" auf der eigenen Seite in Formation zu bringen.

    Die parentalen Einwände erschienen dem Knaben durchaus notabel, denn obschon im mantuanischen wie im cremonesischen Exile sich sämtliche Berichte über die Verläufe des Krieges stets auf den Vescularius projiziert hatten und man primär diesem geflucht hatte, so war ihm doch bekannt, dass nicht Salinator, sondern ein Maturus die Heere der wahren Verräter kommandiert hatte.


    Indessen zog er dies nicht zu weiteren Erwägungen heran, sondern wandte sich der augenscheinlich weitaus unmittelbareren Bedrohung, welche von diesen ausging und einen düsteren Schatten über das Wohl der Flavia Gens zu werfen schien, was freilich in dem jungen Flavius eine weitere Frage evozierte, welche ihm ebenso bereits vor geraumer Zeit sich gestellt hatte, und nun, da die gesamte Weisheit und politische Erfahrung der Flavii versammelt war, womöglich ihre Replik, die Manius Minor zur Satisfaktion gereichen mochte, finden würde:
    "Und welcher war Salinators Grund?"
    , gab er somit mit nicht geringer Insekurität zu bedenken, denn in der Tat war es ihm absolut unbegreiflich, weshalb jemand einen Hass gegen seine Familie hegen mochte, wo sie doch, wie er tagein tagaus ermahnt worden war, sich stets um die Res Publica verdient gemacht hatte, sie zahllose prominente Politiker und Feldherren hervorgebracht hatte und auch heute zuerst das Wohl der Allgemeinheit im Sinne hatte.

    Mit Erstaunen vernahm der jüngste der attendierenden Flavii den Rapport Scatos, welcher augenscheinlich violente Bekanntschaft mit dem gemeinen Volk gemacht hatte. Durchaus war ihm bekannt, dass die Urbs von großer Gefahr war, dass insonderheit jene armen Schlucker, die tagtäglich die Gassen und Straßenränder säumten, mit höchster Umsicht zu beobachten waren, da diese dem Patriziat ihren Reichtum und ihre Macht neideten, doch waren all dies stets recht hypothetische Bedrohungen gewesen, zumal dies das erste Mal gewesen war, dass sie als manifest sich erwiesen hatten. Eine Iteration jener Experienzien innerhalb kürzester Zeit indessen war wohl durchaus geeignet, einen jungen Mann in nicht geringem Maße zu derangieren.
    "Was geschah denn damals?"
    , erkundigte Manius Minor sich deshalb mit bestürzter Stimme, durchaus aber zugleich einem nicht zu leugnenden Vorwitz.

    Ein wenig derangiert inspizierte Manius Minor seinen älteren flavischen Anverwandten, welcher eine gewisse circanasale Blässe zur Schau stellte, was dem für gewöhnlich recht timiden Knaben, dem allerdings ob seiner wohlbehüteten Sozialisation allerdings psychische Attacken weitaus größere Furcht bereiteten denn physische und der ob des langen Verweilens in der Urbs bezüglich armierter Missetäter wiederholte Male ermahnt, indessen zugleich auch kalmiert worden war, doch mirabel sich gerierte, da doch letztlich niemand zu Schaden gekommen und, sofern man von der Person des ihm gänzlich unbekannten Sklaven absah, keiner auch nur in Gefahr geraten war. Womöglich lag es indessen in der Natur Scatos, bisweilen, insonderheit in strapaziösen Momenten, unter spontaner Entkräftung zu leiden, wie der junge Flavius dies auch bei einigen, speziell weiblichen Anverwandten beobachtet hatte.


    Da Fusus nun aber auch ihn direkt adressierte, war er nun wohl genötigt, sich jenseits der Willensbekundung Scatos persönlich zu äußern, was angesichts der langen Vorfreude, welche er dem heutigen Programm entgegengebracht hatte, wie auch der bisherigen Kürze seiner Dauer, in deren Rahmen wohl weniger denn ein winziger Bruchteil visitiert war, letztlich ein evidentes Votum nach sich zog:
    "Ich würde fortfahren, sofern dies dir zusagt."
    , replizierte er somit mit einer Innozenz, welche durchaus einen gewissen infantilen Egoismus zum Ausdruck brachte, indessen sich aber singulär auf die momentane Situation bezog und keinesfalls als Ablehnung einer gemeinschaftlichen Iteration einer derartigen Expedition nach einer eventuellen Genesung Scatos zu dechiffrieren war.




    Zitat

    Original von Manius Flavius Gracchus Minor
    Nach meiner Rückkehr in die Urbs Aeterna gedenke ich, meine Edukation zu vollenden und einen Rhetor aufzusuchen. In Anbetracht des Faktus, dass die Ars Rhetorica eine überaus soziale ist und insbesondere die Deklamation eines Kontrahenten bedarf, bin ich auf der Suche nach lernwilligen Jünglingen, welche ihrerseits Interesse an einer derartigen Ausbildung in Rom besitzen. Selbstredend wäre ein derartiges rhetorisches Studium zusätzlich geeignet, Kontakte für einen späteren Cursus Honorum zu knüpfen etc.


    Ob der Tatsache, dass ich bisher noch ein Knabe von soeben dreizehn Lenzen bin, wäre es mir insbesondere ein Anliegen, Jünglinge in einem Alter von unter 20 Jahren ausfindig zu machen.


    Interessenten mögen sich bei mir via PN melden.


    Einen letzten Aufruf möchte ich hiermit wagen, hat sich doch nun bereits ein hochgelehrter NSC-Rhetor, simuliert von Iulius Dives, gefunden, welcher die Anleitung auf sich nehmen und zu guter Letzt einen Cursus Continuus der Rhetorik offerieren wird. Mein persönliches Interesse an Kommilitonen läge diesbezüglich noch immer bei jugendlichen IDs, die sich gern noch unserem Lehrbetriebe anschließen dürfen und sollen!

    Augenscheinlich war die ironisch intendierte Anmerkung keineswegs geeignet, das Plaisir der Anwesenden zu gewinnen, denn an keiner Stelle vernahm Manius Minor ein Lachen oder zumindest ein derartig ausgeprägtes Lächeln, dass es ihm trotz seiner Fehlsicht eindrücklich erschienen wäre. Verlegen senkte er somit das Haupt, zumal auch seine durchaus seriös gemeinte Interjektion keinerlei Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen in der Lage gewesen war, denn niemand fühlte sich geneigt, ihm jene disturbierenden Umstände der konfusen Parteinahme jener wilden Provinzialen zu explizieren, welche dem Knaben sich prinzipiell doch gewissermaßen als eine homogene Masse darboten und somit kaum auf opponierenden Seiten sich zu positionieren in der Lage waren. Hingegen hatte man ihn stets gelehrt, derartige Nachfragen zurückzustellen, wenn erwachsene Personen parlierten, weswegen er auch in diesem Falle es vorzog zu schweigen, obschon sich heute nicht wie in jüngeren Tagen die Option darbot, zu einem späteren Zeitpunkt bei seiner Mutter Rat zu holen. Jener Gedanke betrübte ihn gar aufs Neue, womit das Gespräch seiner Appetenz entglitt, sondern er vielmehr sich neuerlich die Frage stellte, ob jene seinen Brief erhalten hatte, wann sie nach Rom retournieren mochte und ob sie sich in den Wirren der Nachkriegszeit wohlauf befände. Fragen, welchen seine übrigen Anverwandten augenscheinlich keinerlei Aufmerksamkeit schenkten, da sie doch nunmehr, wie es schien, sich dem Princeps zugewandt hatten, dessen der junge Flavius bishero noch nicht ansichtig geworden und über den er nur überaus limitierte Informationen erhalten hatte war.


    Dennoch, die Bürde seiner Adoleszenz und damit der ihn erwartenden politischen Laufbahn kommemorierend, nötigte er sich recht bald wieder, jenen adulten Konsiderationen zu folgen, zumal selbst der sonst eher heitere und dem offiziösen tendenziell abgeneigte Fusus sich integrierte und somit ein treffliches Modell wissbegieriger Jugend darbot.
    "Glaubst du den Princeps in Gefahr, Vater?"
    , brachte er deshalb auch seinerseits wieder eine Frage hervor in der Hoffnung, diesmal auf adäquatere Weise den Ton der Runde getroffen zu haben, wobei dennoch infantile Unschuld und aufrichtige Sorge aus ihm sprach, denn trotz sämtlicher Kritik, welche soeben gegen die Person des Princeps war erhoben worden, wirkten doch jene infinite Loyalität gegen wie das Vertrauen in das Kaiserhaus, welche die Edukation von Kindesbeinen an gleichsam in ihn eingeschrieben hatte, in weitaus stärkerem Maße.

    Die Aufspürung eines adäquaten Rhetoren für die beiden jungen Flavii hatte nicht geringe Aufwendungen erfordert, da diverse Konditionen hatten erfüllt sein müssen, um ein Resultat zu erzielen, welches sämtlichen Parteien konvenierlich erschien. Namentlich hatte hierbei die visuelle Unzulänglichkeit des Manius Minor eine nicht geringe Rolle gespielt, da jene publik zu machen dem flavischen Hause noch immer Skrupel bereitete, fürchtete man doch hierdurch die Alternativen der professionellen Evolution des Knaben zu konstringieren, was indessen zur Folge hatte, dass ein Studium bei jenen hochgepriesenen Rhetoren, welche beständig in den bedeutendsten Häusern ein- und auszugehen pflegten und in Anbetracht ihres beachtlichen Hochmuts kaum als vertrauenswürdige Geheimnisträger einzuschätzen waren, unverzüglich ausfielen. Zuletzt war die Aufmerksamkeit somit auf jenen Quinctius gefallen, der erst vor kurzer Zeit in der Urbs sein Geschäft eröffnet hatte und den Sprössling eines Klienten der Flavii Gracchi unterrichtete, womit eine glaubwürdige Referenz für dessen Qualität sich ergeben hatte, zumal derartige Homines Novi, die auch im Bereich des Unterrichtsmarktes härtester Konkurrenz ausgesetzt waren, eine nicht geringe Dependenz von einflussreichen Klienten zu erwarten schien, womit hier das Arkanum der Inkapazität des jüngeren Gracchus im Bereich des Sehvermögens in guten Händen sein mochte, zumal man dem Quinctius eine fürstliche Summe an Schulgeld verehrte.


    Und so pilgerte die flavische Schulprozession, bestehend aus Manius Minor und Fusus, Patrokolos und zwei weiteren Sklaven, am Morgen des vereinbarten Tages den Quirinal hinab und zur Via Lata, wo die Taberna des Quinctius sich befand. Durchaus war der jüngere der beiden Flavii gespannt, wie der Rhetorikunterricht sich wohl gestalten würde, denn obschon da sein Grammaticus ihn bereits vortrefflich für die folgende Stufe der Edukation präpariert hatte, so war dies doch das erste Mal, dass er an der Seite von Kommilitonen gelehrt werden würde, sofern man von jener kurzen Phase, da Flavianus, ein Freigelassenensohn der Familia Flavia, ihm Gesellschaft geleistet hatte, absah. Nun aber würden gänzlich fremde Personen mit ihm auf der Schulbank Platz nehmen, würden Knaben, die zweifelsohne an Alter und Größe ihn weitaus überragten, mit ihm studieren, womöglich mit ihm Kontakte anbahnen oder aber ihn aufs Grässlichste verspotten, da er doch des Lesens augenscheinlich nicht mächtig war, was eine nicht geringe Furcht in Manius Minor evozierte, die in ihm in der Tat die Selbstwahrnehmung als 'Minimus' evozierte.


    Dessenungachtet erreichten sie recht bald besagte Taberna und traten ein. Darin waren bereits einige Knaben versammelt, die erwartungsvoll den jungen Flavius und seine Entourage anblickten, was diesem ein Gefühl gab gleich jenen flavischen Bestien, die er einstmals mit seinem Vater visitiert hatte. Indessen erwiderte er aber zugleich die Blicke in nicht minderer Indiskretion, wobei er, um zumindest ein weitgehend scharfes Bild der Gestalten zu gewinnen, die Augen leicht zusammenkniff, womit er tatsächlich ein passables Resultat erzielte und auch einige Gesichtszüge zu identifizieren in der Lage war.
    Während er somit ein wenig genierlich die neue Atmosphäre examinierte, trat Patrokolos zu der Person in reiferem Alter, welche ebenso wie die Schüler, in die Toga gehüllt war, allerdings wohl über eine Tabula vertieft auf einer Cathedra saß.
    "Salve, Magister Quinctius. Dies sind wie vereinbart Manius Flavius Gracchus... Minor und Iullus Flavius Fusus."

    Gleich einem widrigen Trugspiel des Morpheus, wie es den Knaben nicht selten nächtens quälte, vollzog sich vor dessen Augen der kurze Kampf, in welchen ein weiterer der Sklaven des Scato intervenierte, sodass der augenscheinliche Missetäter (was der junge Flavius allerdings lediglich kombinierte, denn keiner aus der attendierenden Personenschar hatte sich bis dato geneigt gefühlt, den Unterworfenen eines Verbrechens zu bezichtigen, indessen aber auch nicht für dessen Freilassung plädiert) besiegt werden konnte, ohne dass das gezückte Messer zum Einsatz hätte kommen können.


    Erst in der Folge zogen auch die Milonen neuerlich Aufmerksamkeit auf sich und Manius Minor wurde gewahr, dass Iullus seinen Bruder zu stützen hatte, woraus der Schluss drohte, der Angreifer hätte mit besagtem Messer jenen attackiert und gar getroffen.
    "Scato, was fehlt dir?"
    , fragte er somit voll aufrichtiger Sorge und trat an die beiden heran, während Fusus bereits den Abschluss jener Episode präparierte und Kurs auf die Tragstühle setzte, den Missetäter den Behörden übergebend.
    "Wie konnte dies geschehen?"
    , fügte der Knabe noch eine weitere Erkundigung hinzu, während er voller Unrast dicht neben den Milonen her marschierte, gefolgt von Patrokolos, welcher sich augenscheinlich alarmiert umblickte und bemüht war, seinen Herrn trotz der hektischen Situiertheit bezüglich möglicher Hindernisse zeitig zu warnen.




    Unter germanischen Attitüden vermochte der Knabe sich nicht recht etwas zu vorzustellen, da ihm all jene Sterotype, die ihm die Autoren seines Grammatikunterrichts präsentiert hatten, doch gänzlich ferne jener Tätigkeit lagen, welcher römische Senatoren nachzugehen pflegten. In infantilem Übermut gab er somit eine ironisch intendierte Bemerkung zum Besten, wobei die ihm nächstbeste Assoziation germanischer Lebensart aufgegriffen wurde:
    "Leben sie etwa auch in Erdhütten?"
    , fragte er somit in die Runde und lächelte bereits selbst ob seines ihm gelungen erscheinenden Scherzes.


    Seriöser war hingegen der weitere Aspekt, den sein Vater thematisierte, zu welchem der junge Flavius dessenungeachtet aber auch Rückfragen zu adressieren hatte, da ihn zu Cremona doch gänzlich differente Informationen erreicht hatten:
    "Aber haben nicht Germanen auf unserer Seite gegen Vescularius gekämpft? Vindex berichtete mir von wilden Germanen, welche Maturus bei Vicetia töteten und damit das Schlachtenglück wendeten!"
    Eben jener Rapport hatte dem Knaben damals gewisse Bedenken bereitet, war er doch bis das dato stets davon ausgegangen, dass die römische, wohldisziplinierte Kampfesweise jene war, welche stets den größten Erfolg nach sich zog, während die wilden Kriegshaufen der Barbaren an den festen Schlachtreihen der Legionen zerschellen mussten wie Wellen an einer Hafenmole. Indessen hatte Vindex ihm daraufhin mitgeteilt, dass eine gute Heeresaufstellung stets beider Aspekte bedurfte, im Herzen durchaus der Ordnung, bisweilen aber auch des Chaoses, um beim Feind Verwirrung zu stiften. Was aber selbstredend keinesfalls erklärte, warum die Germanen einerseits aufseiten der Anhänger der wahren Res Publica gefochten, andererseits durch die Gunst des Bekämpften in den Senat aufgestiegen waren.

    Beschämt und mit geneigtem Haupt revidierte er seine Äußerung angesichts der pikierten Rejektion des Schenkenden:
    "Keinesfalls, mein lieber Iullus! Verzeih meine inadäquate Wortwahl."
    In der Tat implizierte der Begriff des Artifex eine überaus umfangreiche Spanne von Tätigkeiten, zu welcher wohl durchaus ein geschmiedeter Topf zählen mochte, selbst wenn es sich in diesem Falle wohl eher um einen Kultgegenstand mit pretiösen Applikationen handeln würde, da schlichte Handwerksarbeiten doch gemeinhin von einem 'Faber' zu produziert werden pflegten. Aus diesem Grunde eben hatte der junge Flavius sich überhaupt erst zu jenem Kommentar hinreißen lassen, was er indessen keinesfalls zum Anlass eines Zwistes oder auch nur eine Differenz gereichen lassen wollte, weswegen er nun eiligst zurückruderte.


    Erfreulicherweise war aber auch Fusus augenscheinlich nicht geneigt, diesbezüglich einen Eklat zu provozieren, denn schon kehrte er zu jener freundlichen Heiterkeit zurück, welche Manius Minor so sehr an ihm schätzte, da eben sie geradezu als Widerpart seiner ihn bisweilen befallenden Melancholie dienlich war, und deren gewisse Minderung, ablesbar an der Mimik seines Gegenübers, ihm ob seiner Fehlsicht ohnehin entging.
    "Nundenn, dann sollten wir recht bald ein Spiel ansetzen, nehme ich an."


    Ehe aber eine terminliche Konkretisierung sich anbahnte, machte der jüngere Milone auch schon seinem Vater Platz, welcher sich gravitätisch ihm ihm zuwandte, ein Paket aus den Händen des Villicus in Händen.
    Angesichts des Trubels jener Tage, des eifrigen Memorierens der Formularien und Riten hatte der Knabe in der Tat keinerlei Zeit aufgebracht, die Tragweite seiner Adoleszenz auf adäquate Weise zu erfassen, sodass ihn jenes Präsent durchaus unpräpariert erreichte und er anfangs durchaus vorwitzig jenes kleine Produkt musterte, ehe Manius Maior die Auflösung noch vor der Enthüllung verkündete, sodass Manius Minor schlagartig aufs Neue die Tragweite der soeben vollführten Rituale sich offenbarte.
    Stumm ergriff er die güldne Kleinod, wog es in der Hand und fixierte den Karneol in seiner Einfassung, ohne selbstredend die fein ziselierten Linien des Caduceus auch nur erahnen zu können, weswegen er nach einigem Zögern doch die andere Hand zur Hilfe nahm, sanft über den glatten, bräunlich-rosigen Stein strich und dabei durchaus jene Irritation vernahm, in die sich später das Wachs des Siegels eindrücken sollten, wobei er pietätvoll bedachte, dass eben jener Ring wohl bereits ein halbes Saeculum geschaut hatte, dass er unzählige Briefe und Urkunden gesiegelt und zweifelsohne manches erlebt hatte, dass dieser Exponent flavischer Historie nunmehr aber sein Eigentum sein sollte und somit ein beständiger Mahner, ihm Gelegenheit zu verschaffen, gemäß seiner Herkunft für similär Großes zu gebraucht zu werden.


    Erst nach geraumer Stille des Bedenkens blickte er wieder auf, sah in das verschwommene Gesicht seines Gegenübers, das ihm all die Jahre als strahlendes Vorbild gedient und sich dann doch so schmächlich als Feigling entpuppt hatte, gegenüber dem er gefangen war zwischen Sehnsucht nach Liebe und respektvoller Pietät auf der einen, bitterster Desillusion und Verachtung auf der anderen Seite. Ihm kam in den Sinn, wie er unzählige Male im Officium jener Person gestanden und dessen Siegelring betrachtet hatte, welchen er, obschon er ja bereits seit geraumer Zeit an seiner Fehlsicht laborierte, doch von seinem nunmehr eigenen Exemplar zu differieren vermochte, was ihm doch zu kommunizieren schien, dass er nicht gebunden war an die Unzulänglichkeit seines Vaters, die ihm in diesem Augenblick doch weitaus schwerwiegender erschien als die eigene, dass er vielmehr den Siegelring seines Großvaters tragen würde, eines ausgesprochenen Soldaten, welcher als Praefectus Urbi gar die Urbs einem Castellum gleich kommandiert hatte und dem somit jedwede Feigheit absolut ferne lag.
    "Ich danke dir, Vater."
    , brachte er somit endlich hervor und steckte den Ring an den Finger. Ungewöhnlich klobig erschien er ihm angesichts jener Ringe, die ihm bisweilen zu festlichen Anlässen angesteckt wurden, doch wenn er seine Hand nun betrachtete, schien der Karneol in seiner Farbgebung doch nicht allzu sehr von seinem Hautton zu differieren und das schwere Gold darunter zu verbergen.
    Schließlich blickte er in seiner Insekurität, was nun anstehen mochte, neuerlich zu seinem Vater empor.

    Nach dem maternalen Kontaktersuchen kam dem jungen Flavius auch die andere Bezugsperson in den Sinn, welche er seit den Gräueln des Krieges gewonnen und welcher seinen Vater diesbezüglich replatziert hatte, sodass er den Plan fasste, auch diesen brieflich zu kontaktieren. Somit hatte Patrokolos neuerlich zu Tabula und Stylus zu greifen und die geistigen Ergüsse seines Herrn sorgsam zu notieren. Diesmal waren indessen weitaus weniger Korrekturen erforderlich, denn Manius Minor konnte in dem Bewusstsein, zu keinerlei Possen seinem exilischen Protektor genötigt zu sein, frei von der Seele weg sich äußern, seine Furcht und Hoffnung nackt zu verbalisieren und seiner Freude keinerlei scheingravitätische Dämpfung zu verleihen. Lediglich jener Punkt, welcher auf Patrokolos sich bezog, ließ den Sklaven innehalten und entlockte diesem einige ironische Bemerkungen bezüglich des überbordenden Lobes, welches ihm zuteil wurde, verbunde mit einem Plädieren für eine gewisse Mäßigung, da Vindex womöglich das Schriftbild graphologisch auswerten und somit die Hand eben des Gepriesenen identifizieren würde. Doch der Knabe bestand auf die überaus ernst gemeinte Panegyrik, sodass der Diener letztlich all dies zu akzeptieren hatte und gutmütig sich in sein Schicksal fügte.


    Letztlich verblieb indessen neuerlich die Frage, wie ein derartiges Schreiben zu signieren war. Da indessen 'Minimus' zu keiner Zeit zwischen seinem Gastgeber und ihm gebräuchlich gewesen war, eine formales 'Manius Flavius Gracchus' dagegen zu offiziös und der intimen Beziehung, welche sie hegten, keinesfalls adäquat war, wählte er ein freundschaftliches 'Minor', welches ob seines kalligraphischen Ungeschicks zwar ebenfalls recht patzig erscheinen mochte, das allerdings dank seiner Kürze doch etwas ordentlicher sich erwies als seine letzte Signatur:

    M' Vindici s.p.d.


    Verzeih mein langes Schweigen, geschätzter Vindex, doch bin ich seit meiner Rückkehr nach Roma überaus okkupiert vom Leben der Großstadt. Allem voran hatte ich mich für meine Liberalia zu präparieren, denn Vater fasste direkt bei meiner Ankunft den Beschluss, mich zum Manne zu erklären. Ich weiß, dass du mir stets rietest, auch nach allem, was sich ereignet hatte, stets das Beste ihm zuzuschreiben. Dennoch kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, er wolle lediglich der Verantwortung für mich ledig werden. Dessenungeachtet fühle ich mich keineswegs der Adoleszenz gewachsen. In Ermangelung eines Bartwuchses war ich nicht einmal in der Lage, den Laren am Tage meiner Mannwerdung die ersten Bartlocken darzubringen!


    Hinzu kommt, dass ich mich verloben soll. Mir war es bereits gänzlich entfallen, doch haben meine Eltern bereits vor Jahren Abreden getroffen mit einem Freund meines Vaters, Nichte ich ehelichen soll. Dabei fehlt es mir gänzlich an Interesse an einer derartigen Liasion wie überhaupt an Mädchen. Selbst wenn Vater sagt, dass dies nicht bedeuten mag, dass ich bereits in Kürze heiraten muss, so stößt mich der Gedanke doch ab, mit einem Mädchen das Bett zu teilen. Artaxias ist der Meinung, dies mag sich in Kürze ändern, doch vermag ich nicht recht daran zu glauben.


    Weiters fehlst nicht nur du mir, sondern auch meine Mutter, die noch immer nicht nach Roma zurückgekehrt ist. Sie weilt mit meiner Schwester noch immer in Patavium. Vater sagt, die Straßen seien zu gefährlich für eine Reise, obschon Titus an der Seite von Sciurius, dem Vilicus von Vater, auf den Weg geschickt wurde. Vater sagt, er müsse seine Edukation in Rom genießen, was für Flamma nicht zwingend erforderlich sei. Dies alles ist aber wenig geeignet, meinen Kummer zu mildern. Du weißt selbst, wie sehr ich all die Zeit bei dir und schon zuvor der Wiedervereinigung mit Mutter entgegengefiebert hatte. Ohne sie ist die Villa Flavia auch nur ein Ort wie jeder andere. Fast wünsche ich bisweilen, lieber wieder bei dir in Cremona zu sein, denn Vater bringt ohnehin keine Zeit für mich auf und Titus ist in vielem noch so unverständig und infantil.


    Zumindest habe ich aber doch auch einige Menschen gefunden, die mir Trost spenden: Allen voran Patrokolos, ohne den zu leben mir kaum mehr imaginabel erscheint. Wie du mir versprochen hast, ist er bestens für meine Unzulänglichkeiten präpariert. Seine Augen dienen mir so hervorragend, dass ich bisweilen vergesse, dass mir die meinigen so schlechte Dienste erweisen. Dazu rezitiert er hervorragend Dramen aller Art und bringt mich stets aufs Neue zum Lachen. Schließlich hört er mir immer geduldig zu und vermag mich stets wiederaufzurichten, wie du es wohl tun würdest, wenn du hier wärst. Du hast also neuerlich Wort gehalten und mir das beste Geschenk gemacht, das ich jemals erhielt.
    Weiters haben aber auch zwei Anverwandte hier Quartier bezogen, mit denen ich mich recht gut verstehe. Es handelt sich um die Söhne eines entfernten Vetters, die allerdings ein Stück älter sind als ich selbst. Scato, der Ältere, ist recht ehrgeizig und strebt in die Politik. Iullus ist hingegen ein überaus erstaunliches Individuum. Er ist überaus eitel und liebt den Plunder, bisweilen erinnert er mich in manchem gar an meine Mutter. Eine Episode, die dies illustrieren mag, war sein Geschenk anlässlich meiner Liberalia: Ein Ludus Latrunculorum, welches er mir eigenhändig gefertigt hat. Eigenhändig, man stelle sich dies vor! Selbstredend ist es nicht von besonders hoher Qualität und Patrokolos sagt, ich könne froh sein, die Figuren nicht in voller Schärfe sehen zu müssen, doch bringe ich es nicht übers Herz, diesen liebenswerten Gefährten deshalb zu tadeln. So spielen wir bisweilen damit und ich nutze es zumindest mit ihm gemeinsam.


    Demnächst werde ich den Rhetor aufsuchen und meine Edukation perfektionieren. Ich hoffe, dass meine Unzulänglichkeiten mir diesbezüglich nicht zum Hindernis wird und sich ebensolche Übereinkünfte finden lassen wie mit dem Grammaticus hier und bei dir. Allerdings werde ich diesmal den Unterricht wohl nicht privatim erhalten, sodass ich doch das Verdikt meiner Kommilitonen fürchte. Patrokolos beschwichtigt meine Sorge stets und ist der Meinung, dass diese kaum Aufmerksamkeit erregen wird, da doch viele junge Aristokraten, mit Verlaub 'zu faul sind', wie er sagt, um sich selbst der Lektüre zu befleißigen und zweifelsohne auch ihre Sklaven als Vorleser mitbringen werden. Zumindest wird Iullus denselben Rhetor besuchen, sodass ich nicht gänzlich allein bin. Und wer weiß, vielleicht hat Patrokolos auch Recht?


    Berichte mir doch auch, wie sich alles in Cremona entwickelt. Insbesondere, ob der Padus nun wieder in sein Ufer zurückgekehrt ist und ob eure Märkte wieder blühen.


    Ich hoffe, dich eines Tages in Rom begrüßen zu dürfen! Selbst mein Vater wird zweifellos hocherfreut sein, deine Bekanntschaft zu machen!


    Vale bene!
    [Blockierte Grafik: http://s14.directupload.net/images/131110/ppukyo5r.png]

    Germania transportierte für den jungen Flavius das Bild endloser Wälder und wilder Barbaren, wie er sie kürzlich erst in den Narrationen römischer Militärhistoriker geschildert bekommen hatte. Dass aus jenem entlegenen Raum am Ende der Welt ein Homo Novus kommen mochte, versetzte ihn in nicht geringes Erstaunen, welches seine Appetenz von den Spielen weg zu eben jener Region zu verlegen geeignet war.
    "Gibt es viele Senatoren aus Germania? Etwa diese... Germanici?"
    Letzterer Name hatte bereits in früheren Jahren bei Tisch seine Appetenz erregt, wobei er nicht mehr mit völliger Sekurität zu sagen vermochte, ob jener Nomen Gentile eher einem Triumphalnamen wie bei jenem Germanicus aus dem iulischen Kaiserhause oder doch eine unschmeichelhafte Herkunftsbezeichnung wie bei der zahlloser Sklaven similiär zu dechiffrieren war.

    Jene Offenbarung war neuerlich geeignet, den junge Flavius in Verwunderung über seinen Neffen zu stürzen, da handwerkliche Betätigung, ob sie sich auf das Anfertigen von Hufeisen beschränkte oder das marmorner Statuen, ja selbst die assistenten Schreibtätigkeiten eines Scriba, gemeinhin als überaus unschicklich galten und auch der Knabe selbst noch recht deutlich kommemorierte, wie Artaxias ihn einstmals gescholten hatte, als er vor nicht wenigen Jahren seine Camera Ludi zur Waffenschmiede umdeklariert hatte. Da er indessen trotz sämtlicher Unkonventionalitäten eine überaus hohe Meinung von Fusus pflegte, war er auch nicht geneigt diese Anwandlung ihm zur Last zu legen, sondern lächelte milde und spintisierte für einen Augenschlag, um eine Replik zu fassen, welche die Mühen adäquat würdigte, ohne ihn zugleich coram publico einer unschicklichen Tätigkeit zu rühmen:
    "Oh, überaus respektabel! Sollten wir neuerlich zur Flucht aus Rom genötigt sein, wirst du uns zweifellos hervorragend als Artifices zu tarnen in der Lage sein!"
    Uneingedenk des Faktums, dass jene Äußerung eventuell ebenfalls in gewissem Maße herablassend wirken mochte, imaginierte er sich seinen wohlgepflegten Neffen mit einer ledernen Schürze und entblößtem Oberkörper, wie er einstmals einen Schmied in seiner Officina erblickt hatte, was ihn unvermittelt zu einem vergnügten Lachen hinriss.


    Als ihm dann noch eine Partie offeriert wurde, verweilte er in seiner albernen Gesinnung und erwiderte:
    "Sehr gern, lieber Iullus! Wobei ich hoffe, dass du keine geheimen Betrugsoptionen eingebaut hast!"

    Fusus' Rejektion gestaltete sich recht schwächlich, ehe seine Sklavin mit einem Male sich ihm privatim zuwandte, was allerdings einen höchst stupenden Effekt nach sich zog, denn die schwülstigen Worte von Krieg und Strategie produzierten lediglich Konfusion bei dem Knaben, dem eine Konnexion dieses Sujets mit jenem des Einkaufes keineswegs einleuchtend erschien.


    Fortunablerweise war er diesbezüglich auch nicht zu reagieren genötigt, denn den knappen, recht eigenartigen Anwandlungen folgte auf dem Fuße verständlichere, die Manius Minor aus dem Kontexte maternaler Einkaufstouren nur allzu bekannt waren. Hatte er es aber bereits als Kind verabscheut, die exklusiven Läden im oberen Bereich der Mercati Traiani aufzusuchen, um dort einer Puppe gleich in diverse Stoffe gehüllt zu werden, so waren jene lange zurückliegenden, geradezu traumatischen Experientien doch noch immer geeignet, seine Abscheu vor diesen Aktivitäten umgehend zu aktualisieren. Dass dieses auch nicht allzu unmanierlich sich gerierte, da Scato ja seinerseits bereits eine Absage erteilt hatte, kam ihm hierbei noch zupass.
    "Ich bin gänzlich saturiert, werter Iullus. Doch lasse dich davon nicht stören."


    Kaum hatte er dies gesprochen, perzepierte er schlagartig jene Regungen, die sich im Umfelde Scatos abspielten, wo eine Gestalt seinen älteren Neffen anstieß, wie es innerhalb der Enge des Raumes der Mercati wohl kaum verwunderlich sein mochte. Indessen intervenierte nun der Sklave des Scato, dessen Namen der junge Flavius leider verlustig gegangen war, welcher sich gleichwohl in überaus rabiater Manier der augenscheinlichen Bedrohung, welche Manius Minor freilich keinesfalls bedrohlich erschien, zuwandte und diese zu Boden rang. Doch obschon sich das Ausmaß der Bedrohung nicht recht erschließen mochte, konsumierte den Knaben doch ein nicht geringer Schrecken, denn selbst wenn er keinerlei Fehltritt des fremden Mannes wahrzunehmen in der Lage war, so exkludierte dies doch keineswegs, dass der scharfe Blick des Sklaven Scatos, der als Custos Corporis zweifelsohne diesbezüglich eine Schulung erhalten hatte, die Situation gänzlich korrekt einschätzte, was sich zu konfirmieren schien, als die Rufe eines Messers laut wurden, weshalb der junge Flavius durchaus eine Befangenheit verspürte, die ihn gleich einem Kaninchen im Angesicht der Schlange geradezu erstarren ließ und zum stummen Begaffen des sich ihm sich darbietenden Ringkampfes nötigte, ohne dass er der Option des Hilferufens oder gar der persönlichen Intervention eingedenk wurde.




    Nach dem Trubel der Liberalia, im Rahmen derer Manius Minor mehrfach seine Mutter schmerzlich vermisst hatte, war einige Zeit ins Land gegangen, in welcher der Knabe die Anfertigung eines Briefes an eben jene Mutter mit diversen Explikationen prokrastiniert hatte.


    An diesem Tage aber hatte der Grammaticus mit ihm das Deklamieren exerziert, welches zwar für gewöhnlich und in voller Ausformung erst dem Rhetoren vorbehalten war, das indessen in diesen Tagen nicht selten bereits in die Lehrzeit beim Grammaticus eingestreut wurde, um die Sprösslinge edler Häuser rasch adäquat für das folgende Studium zu präparieren. Dabei hatte man mit den Mahnungen der Veturia an ihren Sohn, den abtrünnigen Coriolanus, von einer Attacke gegen seine Heimatstadt abzusehen, ein überaus gebräuchliches Sujet gewählt, welches indessen den Zögling seiner noch ihm obliegenden Pflicht erinnert hatte, weswegen er im Anschluss prompt Patrokolos zu sich ins Cubiculum zitierte, wo er sich auf sein Bett warf und, die unscharf konturierte Kassettendecke fixierend, über eine adäquate Formulierung zu spintisieren.
    "Manius Minor sagt seiner Mutter Grüße."
    , initiierte er endlich sein Diktat, welches selbstredend Patrokolos in die Tabula zu ritzen hatte, da der Knabe zur Anfertigung längerer Texte nicht nur ob seiner Fehlsicht, sondern auch der daraus resultierenden Ermangelung an Übung außerstande war. Doch kaum hatte er die Worte gesprochen, erschienen sie ihm doch inadäquat, vernahm er im Geiste doch noch deutlich jene Titulatur, welcher sich trotz sämtlicher Widerstande sein Vater als auch seine Mutter bedienten, gegen die er bisweilen rebelliert hatte und welcher er in publico aufs Tiefste verabscheute, da sie ihn doch in einer Weise als infantil darstellte, welche seines Alters, gänzlich zu schweigen von seiner nunmehrig staatlich beglaubigten Adoleszenz unangemessen war: Minimus. Für gewöhnlich titulierte er selbst sich zu keiner Zeit auf derartige Weise. Und doch war es in diesem speziellen Falle ihm durchaus konvenierlich, sich jenes Diminutivs zu bedienen, denn mochte dieser auf der einen Seite ihn als den Knaben benennen, der er nach dem parentalen Verdikt wie in Relation zu Titus und Flamma nicht mehr war, so vermittelte eben dieser aber auch eine Vertrautheit, der selbst das familiare 'Manius' nicht zu bieten vermochte, da es doch eben eine Spezifizität der intimen Beziehung zwischen dem ältesten der Gracchi und seinen Eltern darstellte.
    "Nein, schreibe: 'Minimus grüßt seine geliebte Mutter'."
    , folgerte er somit und vernahm das kratzende Geräusch, welches Patrokolos' Stylus (im Übrigen nicht der güldene, welchen Onkel Furianus und Tante Catilina ihm zum Geschenk gemacht hatten, sondern ein überaus simples, dank seiner ebenhölzerne Materialität aber nicht minder edles Produkt) bei der Extinktion der anfänglichen Adresse vermelden ließ.
    Noch zahlreiche Korrekturen folgten jener, während der Knabe immer fort weitere Worte und Wendungen aneinander knüpfte, stets eingedenk, die so schmerzlich vermisste Intimität gegen eine seinem Alter adäquate Distanziertheit abzuwägen.
    Geraume Zeit später, nachdem das Schreiben nicht nur ins Reine kopiert und auf Papyrus aufgetragen, sondern auch nochmals verlesen war, fand der Opus endlich das Placet des jungen Flavius. Persönlich ergriff er nun die Feder, tauchte sie sorgsam in die Tinte und vollführte unter der Kontrolle seiner Linken, deren Daumen und Zeigefinger als Begrenzung seiner Zeilen diente, jene ungelenken Linien, die die Authentizität jenes privaten Schreibens verbürgen würden:

    Ad CLAUDIA ANTONIA


    Minimus suae matri carae salutem.


    Ich bitte dich um Verzeihung so lange Zeit keinen Brief an dich geschickt zu haben, obschon ich doch schon seit meiner Rückkehr nach Rom vor mehr als einem Monat über deinen Aufenthaltsort informiert bin und du zweifellos dich schon lange nach einer Nachricht bezüglich meines Wohlbefinden sehnst.


    Sei unbesorgt: Ich bin wohlbehalten nach Rom zurückgekehrt und habe den Krieg unbeschadet überstanden. Vater, Onkel Flaccus und mir gelang unsere Flucht und wir erreichten unbehelligt Mantua und das Castellum der Legio I. Dort nahm Aurelius uns herzlich auf und ich durfte Freundschaft mit seinem Sohn Durus schließen. Dort ließ Vater mich zurück und ich ließ mich zu einer Insubordination hinreißen, die ich dir besser persönlich verrate als dass du von anderer Stelle davon erfahren musst: Begierig meinen Anteil am Krieg gegen den Usurpator zu leisten, schlich ich mich in den Tross der Legion, als diese zum Kriegszug gegen die Truppen Salinators aufbrach. Allerdings wurde ich entdeckt und Aurelius sandte mich zu seinem Klienten Vindex nach Cremona. Auch dort erging es mir sehr gut, mein Gastgeber erwies sich als überaus freundlich und leutselig. Weiters gewährte er mir Einblicke in das Kriegswesen und erweckte in mir den Wunsch, eines Tages selbst meinen Kriegsdienst zu leisten. Ich hoffe inständig, dass dies trotz meiner Unzulänglichkeiten möglich ist. Außerdem machte er mir zum Abschied einen Sklaven zum Geschenk. Er heißt Patrokolos und stammt aus Patavium, wo du ja jetzt ebenfalls residierst. Er kommt aus dem Haushalt des Marcus Percennius Varisidianus Bambalio, der während der Plünderung durch die vescularischen Truppen ermordet wurde. Vielleicht hast du ja von ihm gehört. Jetzt ist er mir eine große Hilfe, denn er ist ein formidabler Vorleser und dient mir besonders angesichts meiner Unzulänglichkeiten als unverzichtbare Stütze. Ich hoffe, dass du ihn bald kennen lernen kannst, wenn du wieder nach Hause kommst.


    Weiters hat Vater sich entschieden, dass ich meine Bulla ablege. Dies wurde vor einigen Tagen vollzogen und ich bin nun ein vollwertiger römischer Bürger, eingetragen in den Tribus Velina und mit allem, was dazuzählt. Bei der Feier habe ich dich sehr vermisst, obschon es recht fröhlich war und alle Bewohner der Villa Flavia Felix mich reich beschenkt haben. Im Übrigen sind die Söhne des Milo hier eingetroffen und leisten mir bisweilen Gesellschaft. Titus ist auch wohlbehalten hier angekommen, ebenso Tante Domitilla. Sie war während des Krieges in den Alpen verborgen, wo sie nach einem Unfall bei Hirten leben musste. Auch sie ist aber wohlauf, ebenso Onkel Furianus, Tante Claudia und alle anderen.
    Ich werde nun bald Unterricht bei einem Rhetor nehmen, damit ich eines Tages in Vaters Fußstapfen treten kann. Ich bin bereits äußerst enthusiastisch und exerziere das Deklamieren bei meinem neuen Grammaticus mit größtem Eifer.


    Dennoch bedrückt es mich, dass du nicht hier sein kannst. Ich weiß, dass es auf den Straßen recht gefährlich ist für dich und Flamma, aber dies vermag es nicht, meine Sehnsucht nach euch beiden hier zu stillen. Du musst dir keine Sorgen machen, denn Tante Claudia und Tante Domitilla führen den Haushalt sehr ordentlich, doch möchte ich dich doch bald wieder in die Arme schließen. Weiters drängt es mich zu erfahren, wie es euch beiden ergangen ist und ob ihr wohlauf seid.


    Bitte schreibe mir, sobald du es einrichten kannst.


    Dein dich von Herzen liebender
    [Blockierte Grafik: http://s1.directupload.net/images/131110/kdqd6h7n.png]


    "Dies ist adäquat."
    , resümmierte Manius Minor endlich und hielt mit zusammengekniffenen Augen den Brief von sich, um zumindest den Gesamteindruck des Schriftbildes beurteilen zu können. Recht ebenmäßig schien Patrokolos in der Tat seine Worte gesetzt zu haben, lediglich die übergroße Signatur am Ende wich von jener Schönheit ab. Doch war dies wohl immutabel, weswegen er die folgenden Instruktionen gab:
    "Lasse dies zum Cursus Publicus bringen. Es soll schnellstmöglich nach Patavium gesandt werden. Wo Mutter und Flamma wohnen, wird Sciurius dir verraten."
    Nun, da keine Gefahr mehr drohte, dürfte es wohl keinerlei Anlass mehr geben, das Versteck seiner Mutter, in welchem sie mit Flamma und Titus ausgeharrt hatte, geheim zu halten. Und da Sciurius ja persönlich veranlasst hatte, dass jener Teil der Familie wohlbehalten dorthin gelangte, war er zweifelsohne bestens informiert.

    Auch seine Großcousine Domitilla hatte ein Präsent präpariert, welches der Knabe in derselben Politesse und eben solchem Vorwitz entgegen, wobei ihm diesmal selbstredend weitaus früher einsichtig wurde, dass es sich um ein Buch handeln musste, was durchaus nicht ferne lag, nachdem er sich oftmals gemeinsam mit Patrokolos in der Bibliotheca aufhielt um der Literatur zu frönen.


    Als er sie indessen ergriff, verweilte er einen Augenschlag zögerlich, da er selbstredend des Umstandes eingedenk war, dass er keinerlei Fakultät zur Entzifferung des Titels seines Präsentes besaß, sondern eigentlich die Gabe direkt an Patrokolos weiterzugeben gehabt hätte, was er freilich ob seiner Genanz gegenüber der versammelten Anhängerschaft der Gens Flavia unterließ, welche zweifelsohne noch nicht zur Gänze über seine Unpässlichkeiten informiert war und dies auch nicht werden musste. Somit verblieb ihm vorerst lediglich ein allgemein gefasstes:
    "Ich danke dir, Tante Domitilla."
    Dankenswerterweise benannte die Titulartante dessenungeachtet das Buch selbst als Rede des Isokrates, dessen Name prompt ein weites Feld an Assoziationen im Geiste Manius Minors erweckte, da sein Grammaticus ihm nicht nur recht früh bereits aufgetragen hatte, die zehn attischen Redner aus dem Stegreife benennen zu können, sondern auch diese und jene Anekdote aus deren Biographien zum Besten gegeben hatte, womit der Knabe nun imstande war durch das Aufschlagen des Buches und das Taxieren einiger Zeilen die Lektüre zu suggerieren.
    "Oh, 'An Demonikos'. Dies wird meine Rhetorenausbildung zweifellos bereichern! Besten Dank!"
    Selbstredend war keine Garantie gegeben, dass er tatsächlich die angeblich identifizierte Rede in Händen hielt, doch memorierte der Knabe, dass eben jene Rede sich insonderheit an die Jugend richtete, sodass zu kombinieren war, dass diese unter der Auswahl zu finden war, welche man einem Knaben auf dem Wege zur Mannbarkeit überreichte. Um eine Verifizierung zu vereiteln, rollte er das Buch indessen rasch wieder zusammen und reichte sie an Patrokolos weiter.