Beiträge von Manius Flavius Gracchus Minor

    Huldvoll überging der Rhetor das retardierte Eintreffen des Decimus, um sogleich sich aufs Neue dem Stoff zuzuwenden, welcher augenscheinlich von weitaus größerer Komplexität war, als dies die knappen Ansätze, welche sein Grammaticus ihm bisweilen vermittelt hatte, hatten erwarten lassen. So wurden nun zahllose Fachtermini genannt, welche Patrokolos, wie der junge Flavius verhoffte, emsig notierte, um seinem Herrn eine Rekapitulation des Stoffes zu erleichtern, wobei er sich zweifelsohne im negativen Falle auch auf die Notizen der weiteren flavischen Diener, die hier nur allzu zahlreich vertreten waren, würde stützen können.


    Letztlich offerierte der Magister recht bald schon aber erste interaktive Elemente des Unterrichts, welche sogleich geeignet waren, Manius Minor ob seiner Hypermetropie in gewisse Bedrängnis zu bringen, da doch das Gros der Adepten die Tabulae des Quinctius umstandslos persönlich akzeptierten, um in stillem oder gemurmelter Lektüre ihre Inhalte sich einzuverleiben. Der junge Flavius freilich war dessen gänzlich inkapabel, sodass er seine Historie an Patrokolos weiterreichte, welcher sofort mit gedämpfter Stimme diese zu rezitieren begann:
    "Ein Löwe, ein Esel und ein Fuchs waren in Gesellschaft auf die Jagd gegangen. Sie fingen einen Hirsch und viele andere Tiere. Der Löwe befahl dem Esel, den Raub zu teilen. Dieser machte ganz gleiche Teile daraus und ließ den anderen die freie Auswahl. Der Löwe ergrimmte über diese Gleichheit, fiel über den Esel her und zerriss ihn in Stücke.
    Dann wandte er sich dem Fuchse zu und befahl ihm eine andere Teilung zu machen. Der Fuchs legte nun alles auf die Seite des Löwen und behielt nur einen sehr kleinen Teil für sich. „Wer hat dich", fragte der Löwe, „eine so weise Einteilung machen gelehrt?" - „Das klägliche Schicksal des Esels", antwortete der Fuchs."

    Mit einer gewissen schamhaften Regung ob der Furcht, seine Unzulänglichkeit mochte publik werden und ihn dem Spotte der übrigen Studenten aussetzen, blickte der Knabe um sich, womit es ihm freilich an Appetenz fehlte, um sämtliche Details der Narration zu vernehmen, weshalb er nach Abschluss der knappen Episode mittels eines nicht minder knappen
    "Nochmals!"
    , eine Repetition des Vortrages evozierte. Die Übung selbst erwies sich ihm indessen kaum sonderlich diffizil, da er zur Verbergung seiner Fehlsicht nicht selten genötigt war gewesen, Texte differenten Umfanges rasch und beim ersten Vernehmen derartig sich einzuprägen, dass sie mit Leichtigkeit zu rezitieren waren, während er die verschwommenen Zeichen auf einer Tabula betrachtete.


    Somit meldete er sich zu Wort, nachdem Ollius bereits das Seinige vorexerziert hatte, um sein Talentum hier, wo seine Superiorität den Kommilitonen gegenüber zweifelsohne am höchsten war, in die Waagschale zu werfen. Mit bedächtigem Schritt bewegte er sich dann von seinem Platz nach vorn, stets in der Hoffnung, dass der Boden keinerlei Unebenheiten aufwies, welche ihn ins Straucheln bringen mochten.
    An der Seite des Rhetors, dessen Züge sich mit jedem Schritte mehr zu einem indifferenten Schemen gewandelt hatten, angekommen, erfolgte schließlich die Introduktion seiner Fabel:
    "Meine Geschichte handelt von der Ungerechtigkeit. Oder vielmehr dem Recht des Stärkeren: Drei Tiere, ein Löwe, ein Esel und ein Fuchs, gingen gemeinsam auf die Jagd."
    Erst nun im Vortrage drang die Absurdität des Sujets ihm ins Bewusstsein, was ihm ein sublimes Lächeln entlockte.
    "Der Löwe befahl dem Esel, die... Beute zu teilen. Dieser machte ganz gleiche Teile daraus und ließ den anderen... die freie Auswahl. Der Löwe ergrimmte über diese Gleichheit, fiel über den Esel her und zerriss ihn in Stücke."
    Der erste Teil gelang ihm weitgehend ohne Mühen, ja geradezu wortwörtlich, was ihn mit nicht geringem Stolz erfüllte, da doch sein Vorredner augenscheinlich vom Wortlaut der eigenen Fabel abgewichen war. Der zweite hingegen bereitete auch ihm eine gewisse Inkommoditäten:
    "Nun bestimmte der Fuchs den Löwen. Verzeihung: der Löwe den Fuchs zur Teilung der Beute."
    Eine gewisse Insekurität befiel den Knaben, ob seine Rezitation hier ebenfalls den Wortlaut strikt befolgt hatte. Bei der nun folgenden Pointe erschien dies hingegen weitaus klarer:
    "Der Fuchs legte nun alles auf die Seite des Löwen und behielt nur einen kleinen... einen sehr keinen Teil für sich. "Wer hat dich", fragte der Löwe, "eine so weise Einteilung machen gelehrt?" - "Das klägliche Schicksal des Esels", antwortete der Fuchs."
    Voll an Satisfaktion blickte er in die Runde, welche ihn noch immer mit größter Erwartung anblickte. Erst jetzt erkannte er, dass nicht die Geschichte, sondern die Mnemotechniken im Zentrum des Interesses sich befanden, zugleich indessen auch, dass er diesbezüglich von der Prädisposition abgewichen war, da er doch seine eigene, vertraute Weise zur Anwendung gebracht hatte, indem er sich die getragene Stimme eines alten Mannes als Rezitatoren imaginiert hatte, um zugleich die Handlung der Geschichte vor seinem geistigen, durchaus wohlsichtigen Auge zu präsentieren, ohne jemals im Geiste ein Haus zu durchwandern. Indessen war ihm wohlbewusst, dass er sich mit einer derartigen Explikation, welche zugleich seine Missachtung der diesen Exerzitien zugrunde liegenden Axiome offenlegen würde, zurückzuhalten hatte, sodass er mit gedämpfterer Stimme vorerst, um die erwartungsvolle Stille zu füllen, verkündete:
    "Memoriert habe ich dies... nun..."
    Gleich einem Dieb, welcher im Hause des Bestohlenen ertappt wurde, fühlte er sich nun, was ihm die Schamesröte auf die Wangen trieb, während er spintisierte, wie seine Rezitation in das Bild eines Hauses zu transponieren war und dies in Bruchstücken hervorbrachte:
    "Über der Pforte steht die Moral der Geschicht' geschrieben... im Vestibulum ... nun ... lehnt ein Jagdspieß und die Tiere, also der Fuchs, der Esel und der Löwe hängen als Beute. Im Atrium erblickte ich... Aurelius Lupus, ein... nun... Freund meines Vaters."
    Jene Assoziation erbot sich ihm spontan, als er nach einem Bild für den Löwen rang und ihm, nachdem zuerst die flavischen Löwen in den Sinn gelangt, die ihm aber angesichts seines Vater, der augenblicklich sich zu diesen gesellte und welcher zweifelsohne das miserabelste Bild eines Löwen, wie jener der Fabel charakterisiert war, darbot, gänzlich abwegig erschienen waren, seine Gedanken zu den Aurelii schweiften, die den Löwen auf ihren Siegeln führten.
    "Er verlangt von einem grauhaarigen Klienten eine Gabe, erhält indessen zu wenig und züchtigt ihn scharf. Dann folgt ein Rothaariger, welcher furchtsam ihm den gesamten Beutel reicht."
    Jene Transposition erschien in der Tat überaus adäquat, zumal sie dem jungen Flavius offenbarte, welche Wahrheit sich doch hinter der Fabel verbergen mochte, da doch nicht selten Patrone ihre Klienten ausbeuteten (selbst wenn dies über Aurelius Lupus seines Wissens nach kaum zu postulieren war), jener Umstand zugleich aber auch das Anrecht der noblen Geburt war, da letztlich sie alle, die sie hier ihre Plätze inne hatten, zum Herrschen geboren waren, während der Krämer, der soeben das Lokal passierte, auf ewig ein Diener sein mochte, sodass auch die Güter der Welt entsprechend zu verteilen waren.

    Keinesfalls kritisch interpretierte Manius Minor den Kommentar des Fremden, da doch er prinzipiell die naive Neigung sich bewahrt hatte, einer jeden Äußerung bis auf Weiteres eine freundliche Intention zu unterstellen, womit Fusus' spitze Annotation bezüglich einer gänzlich irrealen Karriereoption, welche nur allzu leicht als Verachtung interpretabel erschien, gänzlich inadäquat ihm deuchte.
    Um freilich jedweder Okkasion einer offenen Differenz zuvorzukommen, welche dem Harmoniebedarf des Knaben auf Äußerste zuwider gelaufen wäre, ergriff er das dargebotene Sujet beim Schopfe, um den Fluss der Konversation in ruhigere Fahrwasser zu dirigieren, indem er sich mühte, Fusus' Worte ins Ironische zu transponieren, weshalb er neuerlich ein tapferes Lächeln zur Schau stellte und fragte:
    "Warum nicht? Meines Wissens verfügt der neue Princeps über keinerlei Stammhalter!"
    In der Tat war er eines solchen bei den bisherigen kaiserlichen Auftritten nirgends ansichtig geworden, sondern glaubte sich vielmehr gar zu erinnern, dass die Götter dem greisen Potentaten bishero keinen Stammhalter gewährt hatten.


    Angesichts dieser Thematik enthielt er sich auch weiterer Kommentare bezüglich seiner Reiselust, obschon ihm der ermunternde Kommentar des Catus keineswegs entgangen war, sondern er diesen als Ausweis seiner freundlichen Natur auffasste.

    Obschon dem Knaben trunkene, überhebliche Horden keineswegs unbekannt waren, da er doch allzu oft seine Eltern zu diversen Gastmählern mehr oder minder kultivierter Aristokraten zu begleiten hatte, so erschien es ihm doch gänzlich ferneliegend, derartige Etablissements des Pöbels aufzusuchen, zumal die Elektion geeigneter Bediensteter ihm in seiner infantilen Naivität, die noch nicht um den unschätzbaren Wert adäquater Diener, mit denen man Tage und Nächte zuzubringen hatte, wusste, als Aufgabe des Vilicus erschien und somit kein Grund der Erde ihm in den Sinn kam, sich derartig dem gemeinen Volk zu approximieren.


    Viel unerquicklicher traf ihn indessen die Information, dass augenscheinlich ungehobelte Barbaren in den Genuss der Civitas Romana gelangt waren, was zwar ihm keinesfalls so abstrus erschien wie die Existenz respektloser Soldaten, da ihm doch von seinen Expeditionen in die Urbs bekannt war, dass römische Bürger keineswegs in jedem Falle etwa einen Griechen oder Phönizier an Kultiviertheit zu übertreffen imstande waren.
    "Zweifelsohne hat der Aufenthalt im kalten Norden sie zu derartigen Bestien verrohen lassen. Ich hoffe, der Centurio wird sie für diese Impertinenz windelweich prügeln."
    Allein das Nachsinnen über die germanischen Provinzen evozierte bei dem Knaben ein Frösteln, da doch bereits die Gegend um Cremona ihm des Winters als eisiger Ort erschienen war, was er, den griechischen Autoren folgend, auf die nördliche Lage zurückgeführt hatte, sodass ihm eine um ein Vielfaches nördlichere Position entsprechend unwirtlicher erscheinen musste.


    Der Kommentar seines Vaters war indessen seinem Usus entsprechend gravitätisch, doch vermochte der Knabe diesbezüglich keine spontane Replik zu formulieren, weshalb er sich weiters in Schweigen hüllte und einen Augenschlag bedachte, ob jene Sentenz sich auch auf seinen Autoren selbst zu münzen war, was die Frage implizierte, ob der Wolf als feiges Tier zu deklarieren war. Bei diesem Unterfangen kam ihm allerdings eine Mär seiner Amme in den Sinn, welche sich auf die Historie von Remus und Romulus und deren Zeit in der Obhut jener legendären Wölfin bezog. Jene Narration war erfüllt gewesen von adventurösen Begebenheiten, darunter mehrfachen Attacken von Ratten, Füchsen, aber auch Bären und den Schergen des Amulius Silvius, die die Wölfin in höchster Tapferkeit abwehrte. Und obschon dem Knaben selbstredend bewusst war, dass es sich hierbei nicht zwingend um reale Begebenheiten handeln musste, da doch auch andere Geschichten sich als wenn nicht Lügen, so doch zumindest eigenwillige Interpretationen der Realität entpuppt hatten, so genügte dies Manius Minor, um Manius Maior nicht einer wölfischen Gesinnung zu bezichtigen, sondern vielmehr einer gänzlich konträren, wie etwa der eines Eichhornes.
    Die Imagination, seinen Vater auf einem Baume verweilend und beim geringsten Anlasse in die Blätter entschwindend zu sehen, ließ die Winkel seines Mundes sich leicht in die Höhe neigen, ehe er, als habe ihn der Magister beim Schwatzen ertappt, eine schuldbewusste Miene aufsetzte, da ihm doch nur allzu gut bekannt war, dass derartige Gedanken höchst pietätlos und ungehörig waren.

    Konträr zu den Geschehnissen in der Ferne, entging dem jungen Flavius die enervierte Mimik seines Anverwandten in ihrer Details, indessen hatte er bereits einige Experienz darin gewonnen, emotionale Regungen anhand jener ihm zugänglichen Äußerungen, namentlich dem Verweilen in bestimmten Haltungen, der Neigung des Hauptes und similärer Gestik, zu analysieren. Diese Qualitäten galt es am heutigen Tage jedoch nicht zu gebrauchen, da Fusus augenscheinlich stets geneigt war, seine Emotionen verbal zu exprimieren. Die Reaktion des Knaben war schließlich ein hilfloses humerales Zucken, während er parallel zu den Mühen seines Gegenübers ebenso ins Spintisieren verfiel, dabei freilich eher darauf abzielend, dessen Frustration durch eine erfreuliche Novität zu mildern.


    Dennoch war es Fusus, welcher die nächste Offerte wagte, die umgehend das gracchische Placet erwirkte, hatten sie eben jenen Plan ja bereits vor Wochen bei ihrem ersten Aufeinandertreffen gefasst.
    "Mit größtem Vergnügen!"
    , verlautbarte er somit, während der ältere Flavius sich bereits anschickte, das bereits vorherig präsentierte Bauwerk anzustreben, welches in Konkurrenz mit dem herrschaftlichen Anwesen der Virgines Vestales zu seiner Rechten, der Basilica Aemilia zur Linken und dem sich in der Ferne abzeichnenden Tempels der Venus und Roma geradezu possierlich erschien, da es doch selbst die ihm benachbarte Bibliotheca an Fläche um ein Vielfaches unterbot.
    "Es erscheint mir doch erstaunlich, wie dieser winzige Bau einst die Residenz der Könige sein konnte."
    , kommentierte er seine Impression und blickte, wie zur Konfirmation seiner Äußerung, hinauf zum jenem mit keiner Domus des gesamten Imperiums komparablen Wohnkomplex, welcher sich unmittelbar hinter dem Tempel der Venus auf den grünen Hügeln des Palatinus Mons erstreckte und heute dem Herrscher Roms, der in diesen Tagen doch peinlichst darauf bedacht war, eben nicht als 'Rex' sich titulieren zu lassen, ein Heim bot.




    "Mehercle, wie grässlich!"
    , kommentierte der Knabe mit aufrichtiger Compassion den scatonischen Rapport, um in demselben Augenblicke eine gewisse Relaxation zu verspüren, dass er selbst in jenen Zeiten des schlimmsten Wütens des Bellum Civile sich jenseits der römischen Mauern aufgehalten hatte, sodass nur eine kurze Zeitspanne er in der besetzten Stadt hatte leben müssen. Mit einer derartigen Unverfrorenheit, einen Mann von Stand in derartig grober Weise zu attackieren, hatte der junge Flavius indessen zu keinem Zeitpunkt erwartet, zumal seine Imagination des Miles Romanus jenes eines glänzenden Heroen und keinesfalls eines groben Söldners bishero gewesen war, wie dies auch die Literatur, welche er sich rezitieren zu lassen pflegte, diesbezüglich keinerlei Hinweise geborgen hatte.
    "Handelte es sich um römische Bürger oder etwa jene germanischen Söldner, welche in der Schlacht von Vicetia das Blatt gewendet hatten?"
    , informierte er sich somit weiter in der Hoffnung, zumindest die kaiserlichen Legionen als Refugium seiner idealisierten Attribuierungen zu wahren.

    Augenscheinlich evozierten die Explikationen des jungen Flavius in der Tat den erwünschten Effekt, den Vorwitz des älteren Flavius zu erwecken, wie der Knabe mit nicht geringer Satisfaktion zur Kenntnis nahm, obschon er geruhte nicht weiter hierauf Bezug zu nehmen, zumal sich recht bald ihnen das Forum gleich einer Lichtung im urbanen Dikicht öffnete und den Blick freigab auf eine belebte Szenerie unter den Augen der ehrwürdigen Monumente, allen voran der erstlich ins Auge fallenden Basilica Iulia. Indessen stellte dies für Manius Minor keinesfalls eine infamiliare Perspektive dar, da er bereits unzählige Male durch eben jenen Vicus das Forum betreten hatte, womit er mit einer pointierten Abgeklärtheit, welche einen scharfen, durchaus intendierten Kontrast zur infantilen Ekstase seines Anverwandten bildete.


    Dessenungeachtet entstieg der Knabe ebenso seinem Tragsessel, um die Korrekturen am Sitz seiner Toga Praetexta seitens Patrokolos zu durchlaufen, welchen er weitaus größeren Raum zubilligte als dies Fusus getan hatte. In der Folge lauschte er mit nicht geringem Interesse dem Rapport der Sklavin, welchrer wohl eher eine Reaktualisierung seines Wissens darstellte, da sein Vater, seine Lehrer und zahllose weitere Begleiter ihm auf seinen Exkursionen an diesen Platz stets aufs Neue mit kuriosen wie ennuyanten Anekdoten und Details zu einzelnen Baulichkeiten versorgt hatten, die er selbstredend keinesfalls beständig präsent zu halten imstande war.


    Indessen war der ältere Flavius mitnichten geneigt, Stille zu halten, sondern strebte sogleich der Curia Iulia zu, wo er sich eine Session des Senates erhoffte, was zu desavouieren der junge Flavius schon von weitem sich in der Lage sah, da doch im positiven Falle vor der Curia eine Schar an Sklaven und Liktoren sich im Schatten der Mauern oder auf den Stufen der Tempel aufzuhalten pflegte, um nach Abschluss der Debatten umgehend zur Stelle zu sein und ihren Herren wieder nach Hause zu geleiten.
    "Ich fürchte dich enttäuschen zu müssen, mein lieber Iullus. Die Tore der Curia erscheinen mir verschlossen."
    , resümmierte er seine Observationen, welche zu tätigen er durchaus imstande war, da doch seine Fehlsicht sich lediglich auf das Bild in unmittelbarer Nähe sich beschränkte, während Szenerien in weiterer Distanz ihm geradezu ungewöhnlich scharf vor Augen standnen.




    Ein weiterer Jüngling erschien mit geraumer Retardation in der Taberna, dessen Timbre in der Stimme eine gewisse Kurzatmigkeit zu entnehmen war, was in vollster Weise mit der gewissen Derangiertheit der Aufmachung in Übereinstimmung zu bringen war, welche der junge Flavius mit leicht zusammengekniffenen Augen auf die Distanz noch zu erkennen imstande war. Der Fremde war ihm nicht bekannt und in Ermangelung einer Selbstpräsentation war Manius Minor genötigt, mit erwartungsvollem Blick das Haupt zu ihrem Magister zu wenden, welcher zweifelsohne die Delation zu kommentieren geneigt war und womöglich darüber hinaus Aufschluss über die Identität des Ankömmlings geben mochte, da die Art des Auftretens doch zumindest eine vage Bekanntschaft expektabel erscheinen ließ.

    Augenscheinlich hatte der Wechsel auf dem imperialen Thron in der Tat der flavischen Gens vornehmlich günstige Perspektiven bereitet, was den Knaben mit gewisser Saturiertheit erfüllte, da er doch inständig hoffte, nimmermehr die Strapazen einer Flucht aus Rom ausgesetzt zu sein, wobei jener Gedanke bereits jetzt ihm ein leichtes Schauern bereitete, da er an das bärtige Haupt zurückdachte, welches ihn in seinen Träumen jagte.


    Indessen gelang es Manius Maior schlussendlich, ein differentes Gespräch zu initiieren, welches nun auch die Milonen in stärkerem Maße einzubinden geeignet war. Was Manius Minor hier vernahm, ließ seine düsteren Gespinste einer Wolke im Sturme gleihc rasch verfliegen, da die dargebotenen Informationen ihm ebenfalls überaus aufschlussreich erschienen, hatte er doch bishero keinerlei Kenntnis von dem Tirocinium Fori seines 'Neffen' erlangt, ebensowenig über dessen Bekanntschaften, welche durchaus auch seinen Vorwitz weckten. Dementgegen erwiesen sich die Worte von Iullus keineswegs ennuyant, vielmehr erwärmte es das kleine Herz des Knaben, mit welchen Worten er ihre Relation pries, weshalb er sich genötigt fühlte, dies freiheraus zu erwidern, obschon dies wohl eher dem Pater Familias angestanden wäre:
    "Auch wir freuen uns, dich... oder vielmehr euch in unserer Mitte zu haben."
    Mit einem warmen Lächeln blickte er in die Runde, ehe er den Faden aufgriff, welchen Fusus durch seine Interjektion entfallen sein mochte, zumal auch dieses Sujet seit ihrer Erkundungsexpedition in die Stadt ihm unter den Nägeln brannte:
    "Oh, Scato, wolltest du uns nicht ohnehin auch von dem anderen Zwischenfall mit dem Pöbel berichten?"
    Dies hatte Scato ja nach der Rangelei auf den Mercati Traiani angedeutet und eben auf die Gelegenheit einer gemütliche Cena prokrastiniert, womit nunmehr einem Rapport nichts mehr im Wege stehen mochte.

    Durchaus hatte der junge Flavius das nepotische Curriculum Vitae bereits mehrfach vernommen und bisweilen einige Worte diesbezüglich gewechselt, doch vernahm er wie bei jedem Male die stupende Freizügigkeit, mit welcher Fusus seinen Unwillen den familiären Wünschen, inklusive einer Beschreitung des Cursus Honorum, unverzüglich Folge zu leisten, mit einer gewissen Verblüffung, welche sich in seinem Blick, mit welchem er trotz der Unschärfe des in seinem Geiste sich präsentierenden Bildes seinen Anverwandten begutachtete, offenbarte. Indessen war er nicht geneigt, den Faden aufs Neue aufzunehmen, da er doch zuerst zu erfahren wünschte, wie der Fremde jene Worte aufzunehmen geneigt war.

    Schlussendlich erklomm auch Manius Minor sein wartendes Gefährt, welches sich sogleich den Instruktionen der Vulpes folgend auf den Weg machte, jenen überaus schmalen, von den hohen Mauern der imperialen Fora umgrenzten Pfad zu beschreiten, in welchem das Gedränge der Menschenmassen, welche unbeeindruckt der meterologischen Umstände sich zu jenem pulsierenden Herzen der Stadt und davon wegschoben, welches auch das Ziel ihrer kurzen Reise darstellte.
    "Das Forum Augustum solltest du beizeiten unbedingt ebenfalls besuchen. In den Galerien rund um den Tempel des Mars Ultor befindet sich eine überaus impressive Reihe römischer Heroen und verdienter Staatsmänner."
    , erklärte er mit Blick zu der Mauer, hinter welcher sich all dies verbergen mochte. Doch brannte sein Anverwandter augenscheinlich darauf, nun endlich zum Zentrum der Res Publica vorzudringen, weswegen er es unterließ, einen Zwischenhalt zu offerieren, sondern direkt hierauf sich beziehend seine Evaluation der Potentialitäten für eine derartige Veranstaltung verbalisierte:
    "Du magst Glück haben, denn heute sind die Iden, an denen er für gewöhnlich tagt."
    Selbstredend war ihm der kalendarische Turnus der Senatssitzungen durch seinen Vater, welcher gebräuchlicherweise keine der Seancen verpasste, wohlbekannt. Indessen hatte er bishero kein derartiges Interesse dafür aufbringen können, jederzeit über die jeweilige Agenda informiert zu sein, sodass er auf weitere Explikationen zu verzichten hatte.




    Inzwischen waren dem noch immer jüngsten sämtlicher attendierender Flavii die amüsanten Anwandlungen hinsichtlich seiner generationär-lebensalterlichen Paradoxie wohlbekannt, weshalb ihm lediglich ein schmales Lächeln entfleuchte, ehe er neuerlich mit höchstem Interesse und ernstem Blick den Explikationen des Atilianus lauschte, welcher doch sich als Waisenknabe identifizierte, was indessen keinesfalls ihm eine standesgemäße Edukation verwehrt zu haben schien.
    "Nun, wer weiß das schon?"
    , kommentierte er den knappen biographischen Abriss mit einer Platitüde, obschon die Heimstatt der griechischen Heroen, welche die Narrationen seiner Kindheit wie auch die Dramen seiner Jugend bevölkert hatten und bevölkerten, durchaus gewisse Sehnsüchte in ihm evozierte, da er doch niemals in seinem Leben das italische Festland verlassen hatte, wie er nun auch freiheraus zu gestehen genötigt war:
    "Ich bin hier in Rom geboren und lebe Zeit meines Lebens in diesen Mauern. Möchte man von den Jahren des Bürgerkrieges wie diversen Sommern in unseren Residenzen vor den Toren der Stadt absehen."
    In der Tat war ein freigewähltes Exil in Zeiten der Senatsferien ja überaus gebräuchlich, welches er bisweilen an der Seite seiner Mutter in Baiae, was lediglich mit größtem Wohlwollen als 'vor den Toren der Stadt' zu titulieren war, indessen auch auf weiteren Landgütern der Familia verlebt hatte. Sie alle übertrafen an Fröhlichkeit beiweitem die düstren Monate in Mantua und selbst jene erfreulicheren in Cremona, da selbst der gute Vindex keinesfalls geeignet gewesen war, die maternale Gemeinschaft in ihrer Qualität gänzlich zu ersetzen. Neuerlich leitete dies seinen Geist hinüber zu jener Antithese seines damaligen Gastgebers und damit zu seinem Vater, von welchem ihn nunmehr eine noch größere Distanz trennte, was wiederum die Frage aufwarf, ob jene Regungen similär zu diesen sein mochten, welche Atilianus mit seinem Adoptivvater verbanden, zumal eben jener in seinem fortgeschrittenen doch keineswegs als der leutseligste oder warmherzigste unter den Flavii gerühmt wurde, obschon er dies aus filialer Pietät selbstredend keineswegs verbalisierte, sondern bestenfalls dem kundigen Auge sich durch einen kurzen, mitfühlend-komplizenhaften Blick verriet, welcher in Ermangelung eines Kontextes aber zweifellos kaum von den Anwesenden zu dechiffrieren war.


    Den ersten Zug hingegen prokrastinierte er aufs Neue, um auch seinem Opponenten Gelegenheit zu geben, seine Vita in Kürze darzulegen und damit den Anverwandten ins Bild zu setzen.

    Augenscheinlich erschien das Sujet seinem Vater überaus ennuyant, wie der Knabe das parentale Seufzen rezipierte, weswegen er davon absah, es neuerlich zu vertiefen, sondern vielmehr die Informationen lediglich mit einem Nicken quittierte, obschon sie ihm überaus aufschlussreich erschienen, da eben dies doch einiges an familiären Zwistigkeiten und Konkurrenzen innerhalb der senatorischen Gemeinschaft zu klarifizieren geeignet war, womit sich neuerlich die weisen Worte seines Grammaticus bestätigten: Historia Magistra Vitae.


    Nach einigem Schweigen, welches der junge Flavius damit füllte, spitzfingrig einige weitere Happen sich einzuverleiben, kaute er gedankenversunken, ehe ihm doch eine neuerliche Erkundigung sich aufdrängte:
    "Mit den Cornelii verbindet uns aber kein Zwist, oder?"
    Selbstredend war Manius Minor sich darüber im Klaren, dass seine Verlobte eben zu jener Gens zu zählen war und einem engen Freund seines Vaters anverwandt obendrein, weswegen wohl ein Verdikt keineswegs grundsätzlich ausfallen mochte, doch war er sich ebenso aus seinem Unterricht gewahr, dass die Cornelii in zahllose Zweige unterteilt waren, angefangen bei den Lentuli, über die Maluginenses, die Scipiones, die Cossi, die Cinnae, die Cethegi, die Dollabellae bis hin zu den Sullae und zahllosen weiteren. Einen Überblick hierbei zu bewahren erschien dem Knaben doch überaus diffizil, selbst wenn manche inzwischen erloschen sein mochten.

    Freiheraus eröffnete Fusus dem Opponenten seine Identität, doch in ebensolcher Offenheit replizierte dieser mit seiner eigenen, welche, wie sich offenbarte, überaus interessant sich gerierte, da es sich doch augenscheinlich um einen Adoptivsohn Onkel Furianus' handelte.
    "Manius Flavius Gracchus Minor, Sohn des Manius Flavius Gracchus."
    , präsentierte schlussendlich Manius Minor selbst sich ebenso, ohne indessen seine verwandtschaftlichen Konnexionen verbal zu rekonstruieren, obschon ihm recht rasch in den Sinn gelangte, dass es sich similär zu Fusus und Scato wohl um einen Großneffen handeln musste, was neuerlich die Kuriosität seines geringen Alters hinsichtlich der verwandtschaftlichen Situiertheit pointierte.


    Die Aufforderung zum Fortfahren vorerst gänzlich ignorierend war der infantile Vorwitz des Knaben indessen nicht gestillt, sodass er unvermittelt eine neue Frage verbalisierte:
    "Bist du neu hier in Rom? Und wirst du länger hier verweilen?"
    Selbstredend war die Probabilität einer langfristigen Unterbringung hier in der Villa Flavia Felix ohne ein Zusammentreffen mit den übrigen Flavii überaus gering, doch bewohnte Onkel Furianus doch einen separaten Trakt des Anwesens, in welchem durchaus bisweilen Gäste ein- und ausgingen, welche der übrigen Familiaren kaum ansichtig wurden.

    Noch ehe Fusus seine Replik zu äußern imstande war, erschien nahe des Hauses eine Gestalt, respektive zwei, die ihm gänzlich unbekannt erschienen. Langsam approximierte sie sich, doch vergaß der junge Flavius gänzlich das Spiel ob des Vorwitzes, welcher ihn angesichts der fremden Person ergriff, da hier im Innersten der Villa Flavia Felix konventionellerweise lediglich Mitglieder der Familia allein anzutreffen war, zumal selbst enge Freunde des Hauses stets im Atrium oder dem Tablinium, womöglich noch in den Thermen, niemals aber in diesem allzu intimen Regifugium empfangen zu werden pflegten.


    "Selbstredend, sofern du uns verrätst, wer du bist."
    , erwiderte er somit endlich, als Atilianus ihren Tisch erreicht hatte, womit dessen Züge in den Augen des Knaben zu einem Schemen verschwommen, womit nur noch die markante Frisur einigen Wiedererkennungswert bieten mochten.

    ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~


    Dichter Nebel umpfing ihn, eisige Kälte drang durch den lächerlich dünnen Stoff seiner abstoßend beschmutzten und übelriechenden Tunica, welche doch gänzlich überdeckt wurde durch den süßlichen Duft des Todes, der der der Fracht jenes Karren, welchen er mit höchsten Mühen und unter Stöhnen und Japsen schob, entfleuchte und in ihm widrige ventrikuläre Regungen bescherte, welche doch zumindest keine orale Widergabe des unendlich entfernt liegen scheinenden Mittagsmahles evozierten, solange es ihm gelang, den Blick zwischen seinen Armen starr auf die unregelmäßigen Steine der gräbergesäumten Straße zu richten und nicht jenes mit einem ungepflegten Bart gesäumten Hauptes, das leblos direkt vor ihm sich bei jeder Unebenheit des Bodens sich hin und her wandte, ansichtig zu werden. Und doch vernahm er am Rande seines Gesichtsfeldes mit einem Male, dass das leblose Haupt keinesfalls mehr leblos war, sondern vielmehr ihn nun mit totem Blick fixierte, ihn gleichsam bei seinen Mühen mit Interesse beobachtete, ohne sich durch seine beständigen Mühen, diese Vorgänge zu ignorieren, in geringster Weise disturbieren zu lassen. Doch verspürte er mit einem Male einen inneren Zwang, jene Indiskretion bezüglich des Unvermeidlichen, genau jenem untoten Blick zu begegnen, weshalb er langsam das Haupt erhob, bis er endlich in die leeren Augen blickte.
    "Bleib stehen, wir sind da!"
    , sprachen die gesprungen, von verkrusteten Haaren gesäumten Lippen in diesem Augenschlage und er gehorchte, um sogleich um sich zu blicken, wo hinter den dichten Nebelschwaden Grabmäler in den schwarzen Himmel ragten, darunter, wie sich ihn nun schlagartig offenbarte, jenes der Gens Flavia. Und doch wurde seine Appetenz rasch wieder von dem ihm wohlvertraut erscheinenden toten Paar angezogen, ein Mann in einem dünnen, von schwarz getrocknetem Blut benetzten Gewand und ein zahnloses Weib mit wirrem Haar, auch ein Gehenkter und weitere Leichname, in die das Leben zurückgekehrt zu sein schien.
    "Zu Hilfe!"
    , rief er, sich umwendend und die Gräber fixierend, welche ebenfalls sich nun öffneten und ihre Insassen preisgaben, obschon diese nach römischem Brauche keinesfalls körperhaft mehr hätten erscheinen können, da sie doch für gewöhnlich lediglich in Form ihrer Gebeine und Asche ihre letzte Ruhe fanden. Doch jener Umstand gelangte nicht in seine Aufmerksamkeit, den die eisige Furcht hatte ihren unerbärmlichen Griff um ihn gelegt, hatte ihn gleich glühendem Stahl, welcher ins Wasser gestoßen wurde, erstarren lassen.
    "Mama! Zu Hilfe!"
    , gelangte endlich jene Person in seinen Geist, welche ihm gleich einem Schutzschild stets als Hüterin gedient hatte und deren Liebe womöglich das Böse der ihn umfangenden Larven und Lemuren vertreiben mochte. Doch das bärtige Haupt, welches sich samt dem hinzugehörigen Rumpf nun ebenfalls vom Stapel der Toten gelöst und neben ihm positioniert hatte, ließ lediglich ein schrilles Lachen vernehmen.
    "Deine Mama - ist tot, du kleiner Dummkopf!"
    , rief er aus und brach neuerlich in schallendes Lachen aus. In jenem Augenschlag öffnete sich auch das flavische Grab vor seinen Augen und heraus trat seine Mutter, deren vertraute vornehme Blässe um ein vielfaches gesteigert, deren makelloser feminer Leib zu einem knochigen Leichnam pervertiert und deren stets sorgsam geschminkte Augen eingefallen und leblos waren, doch zugleich voll Gram und Mitleid ihn fixierten. Sie öffnete ihren erblassten Mund und setzte zum Sprechen an, doch kein Wort entfleuchte ihm. Vielmehr bewegte sie sich, nun in einem tunnelgleichen Konstrukt stehend, langsam von ihm weg, ohne auch nur ein Glied zu rühren.
    "Neeeiiii..."

    ~ ~ ~


    "...iiin!"
    , rief Manius Minor aus und schreckte hoch. Ihn umfing Schwärze und er erschrak, als eine Hand seine Schulter berührte, sodass er in Panik sich zurückschreckte, mit Händen und Füßen nach dem vermeindlichen Lemuren schlagend.
    "Domine! Erwache, Domine! Du hattest einen üblen Traum!"
    , sprach eine wohlvertraute Stimme und langsam identifizierte der Knabe den Schemen an seinem Bett und sein heftiger Atem kalmierte sich ein wenig. Alles war ein Traum gewesen, jener vermaledeite Traum, welcher ihn seit ihrer Flucht allzu viele Nächte quälte und inzwischen doch allzu vertraut sein sollte. Und dennoch hatte er in keinster Weise den üblichen Abläufen entsprochen, denn keinesfalls war Claudia Antonia ein Teil jener Odyssee gewesen, da sie doch sicher in Körbe verpackt nach Patavium gesandt worden war, während er mit seinem Vater per Pedes die Flucht angetreten hatte, womit ihr auch keine Rolle in seinen Heimsuchungen aus jenen Tagen zukam.
    "Ich habe Mutter gesehen. Sie war... tot."
    , teilte er seine Impressionen mit dem Sklaven, welcher ihm schon so oft über die Schrecken der Nacht hinweggeholfen hatte, obschon er noch immer keinen Reim sich auf diese Schau zu machen im Stande war. Sorgenvoll erwiderte der Sklave:
    "Deine Mutter? Was ist mit ihr passiert?"
    "Der Traum mit dem Leichenkarren. Sie war eine der Toten!"
    Sanft verspürte er die wärmende Hand Patrokolos', die ihm liebend über den schweißdurchnässten Rücken strich.
    "Deine Mutter ist nicht tot, Domine. Sie ist mit deiner Schwester Flamma in Patavium und es geht ihr sicherlich gut."
    , mühte der Sklave sich, seinen Herrn zu kalmieren. Schweigend vernahm der junge Flavius diese Worte, inkapabel, diese zu erwidern, da er doch durchaus wusste, dass seine Ängste zweifelsohne gänzlich gegenstandslos waren, da keinerlei diesbezügliche Nachricht die Villa Flavia Felix erreicht hatte. Und doch hatte sein vor Wochen entsandter Brief keine Replik nach sich gezogen, hatte Vater keinerlei Novitäten diesbezüglich seit Tagen berichtet. So verharrte er eine gewisse Weile im Schweigen, während die eisige Furcht des Traumes recht widerwillig ihre Klauen um sein Herz löste.
    "Deiner Mutter geht es gut, Domine."
    , repetierte Patrokolos und strich nochmalig über seinen Rücken.
    "Wir können ihr morgen ja nochmals schreiben, wenn du es wünscht."
    Einen Augenblick verharrte Manius Minor dennoch schweigend, ehe er langsam nickte.
    "Ja, das sollten wir tun."
    Langsam ließ er sich zurück auf die Liegestatt gleiten und betrachtete die Decke, die ob seiner Fehlsicht wie der Dunkelheit gleich dem übrigen Mobiliar der Schlafkammer nur schemenhaft zu erkennen war. Seiner Mutter ging es gut. Und morgen würde er ihr schreiben. Oder bei Vater Kunde einholen. Alles war zweifelsohne in bester Ordnung und dies war nur ein böser Traum gewesen.


    Mit diesen Gedanken umfingen ihn recht bald wieder Morpheus' Trugbilder, welche sich in diesem Falle indessen weitaus delektabler ergingen, so dass er am folgenden Morgen in keinster Weise mehr Remineszenzen an seine nächtlichen Ansinnen hegte...

    Obschon dem Knaben Tragödien mit ihren trotz jeglicher retardierender Momente katastrophalen Wendungen in weitaus geringerem Maße zusagten denn Komödien, nach welchen er für gewöhnlich freudig-beschwingt das Theatrum zu verlassen in der Lage war, so respektierte er seinem Usus gemäß auch diesen Entscheid der ihn an Alter übertreffenden Anverwandten, zumal gerade solche Präsentationen, welche Krieg und heroische Charaktere implizierten und somit derzeit das besondere Interesse des Knaben fanden, für gewöhnlich im tragischen Genre zu finden waren.
    "Nun, sofern ihr eine Darbietung erwählt, würde ich gern ebenfalls teilnehmen, sofern Vater es gestattet."
    , gab er somit zu Protokoll.


    In jenem Augenblicke vernahm er mit seinem dank der Hypermetropie durchaus geschärften Ohr sachte Schritte in einiger Entfernung hinter sich, weshalb er sich umwandte, um dort seines Grammaticus ansichtig zu werden, welchen er in dieser Entfernung ja durchaus zu identifizieren in der Lage war. Womöglich hatte dieser die längere Unterbrechung des Unterrichts zum Anlass genommen, seinen Zögling der Faulenzerei zu verdächtigen, ebenso mochte es aber auch denkbar sein, dass die Indiskretion ihn hervorgelockt hatte oder gar die Furcht, allein während der vereinbarten Unterrichtsstunden angetroffen und sich damit seines beachtlichen Salärs nicht angemessen bemüht eingeschätzt zu werden. In jedem Falle interpretierte Manius Minor dessen Erscheinen als dringende Mahnung, sich wieder seinen Studien zuzuwenden, weswegen er sich räusperte und sagte:
    "Ich muss zu meinen Studien zurückkehren. Mein Grammaticus erwartet mich bereits. Ich bitte mich zu entschuldigen."


    Er wandte sich, gefolgt von Patrokolos, zum Gehen, als ihm in den Sinn kam, dass noch ein weiteres Thema soeben zur Sprache gekommen war, zu welchem er auch einen Beitrag zu leisten in der Lage war, weshalb er sich neuerlich umwandte und an Domitilla gewandt diesen unverzüglich verbalisierte:
    "Und sofern du jemanden benötigst, der dir bei deinem Opfer assistiert, werte Tante, stehe ich gern zur Verfügung!"
    In der Tat zählte er im Hause zu jenen Personen, denen mit großem Abstand am häufigsten das Amt des Minister im Rahmen des Hauskultes angetragen wurde, um seinem Vater Weihrauch, kleinere Opfergaben oder bisweilen gar das Culter zur rituellen Entkleidung größerer Opfertiere zu reichen, um ihm die Abläufe dieser Rituale ebenso wie jene des offiziösen Cultus Deorum der Pontifices, bei denen er ebenfalls für gewöhnlich an der Seite seines pontifikalen Erzeugers zu finden war, einzuprägen. Seiner Tante mochte er somit recht nützlich sein und zugleich als wohlgeratener Knabe sich der Familie präsentieren.




    In leichtem Maße desillusioniert bezüglich der jüngst verflossenen adventurösen Erlebnisse Scatos vertröstet zu werden, ließ der Knabe den Anverwandten, welcher augenscheinlich eine gewisse Eile verspürte die sicheren Mauern die Villa Flavia Felix zu erreichen, ziehen und wandte sich dem verbliebenen Milonen zu in der Hoffnung, durch jene Inzidenzien nicht sich die Freude an dem gemeinsamen Ausflug verderben zu lassen.


    Unschlüssig hinüber zum Schemen der Sklavin schielend, welche ja Diversa an Vorträgen und Informationen für den vorliegenden Anlass präpariert, fragte der junge Flavius endlich:
    "Wohin wollen wir uns nun wenden? Hier böte noch die Basilica Ulpia wie das Grabmal des Divus Traianus ein lohnendes Ziel. Und selbstredend die übrigen Kaiserfora im Anschlusse. Oder bist du dieser neueren Bauten bereits überdrüssig und wir fahren direkt mit dem Forum Romanum fort?"
    Erst in diesem Augenschlage, wo er die schier unabschätzbare Menge an Monumenten in unmittelbarer Nähe zu benennen begann und ihm sämtliche Statuen, Ehreninschriften und Tempel in den Sinn kamen, die dort ihre Admiration erwarteten, wurde ihm eingedenk, dass sie keinesfalls in der Lage sein würden, sämtliche bereits bei diesem ersten Besuch in angemessener Weise zu würdigen, womit eine gewisse Selektion vonnöten war, welche selbstredend dem anderen Flavius oblag, der all dieser Bauten noch nicht ansichtig geworden war.




    Zitat

    Original von Manius Flavius Gracchus Minor
    Deplorablerweise bin ich genötigt, dem flavischen Usus mich anzuschließen und für die folgende Woche wohl zur Gänze exkulpieren zu müssen, womit wohl am kommenden Wochenende erst wieder mit meiner Aktivität zu rechnen sein wird.


    Und schon bin ich zurück voll Tatendrang, obschon selbstredend auch mir die prächristfestalen Präparationen ein gewisses Maß an Zeit abnötigen werden.